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Botschaft über das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten vom 19. November 1997

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Entwurf für einen Bundesbeschluss über das Rahmenübereinkommen des Europarates vom 1. Februar 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

19. November 1997

1997-639

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Koller Der Bundeskanzler; Couchepin

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Übersicht Am Wiener Gipfeltreffen vom 9. Oktober 1993 haben die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Europarates beschlossen, das Ministerkomitee zu beauftragen, rasch ein Rahmenübereinkommen zu erarbeiten, in dem die Grundsätze umschrieben werden, die von den Mitgliedstaaten zur Gewährleistung des Schutzes nationaler Minderheiten einzuhalten sind. Das Rahmenübereinkommen wurde am ]. Februar 1995 zur Unterschrift aufgelegt. Sein Ziel ist es, interne oder zwischenstaatliche Spannungen zu vermeiden oder zu vermindern, die durch das Fehlen eines Schutzes der Minderheiten insbesondere in Zentral- und Osteuropa entstehen können. Es fügt sich also in die politische Zielsetzung der Förderung des Friedens und der demokratischen Stabilität in Europa ein. Das Rahmenübereinkommen ist das erste rechtlich zwingende multilaterale Instrument, das ausschliesslich den Schutz von nationalen Minderheiten zum Gegenstand hat. Es vervollständigt und unterstützt, auf normativer Ebene, die politische Aktion innerhalb anderer europäischer Institutionen, insbesondere der OSZE.

Die Unmöglichkeit -- sowohl auf universeller wie auf europäischer Ebene -, eine unbestrittene Definition des Begriffs der nationalen Minderheiten zu finden, und die Vielfalt der Situationen der Minderheiten in Europa haben zum Entscheid för ein Rahmeninstrument geführt, das eine Auflistung von allgemeinen Grundsätzen enthält. Diese Grundsätze umschreiben die Ziele, zu deren Verfolgung sich die Vertragsstaaten verpflichten, wobei ihnen bei der Umsetzung ein grosser Spielraum eingeräumt wird. Die Vertragsparteien verpflichten sich insbesondere: gegen die Diskriminierung zu kämpfen, eine vollständige und effektive Gleichheit zwischen den Angehörigen der Mehrheit und der nationalen Minderheiten zu fördern, die Kultur der nationalen Minoritäten zu bewahren und zu fördern und ihre Identität zu wahren, die Versammlungs-, Vereins-, Meinungsäusserungs-, Gedanken-, Gewissensund Religionsfreiheit der Angehörigen von nationalen Minoritäten zu garantieren, den Gebrauch der Minderheitensprache zu erlauben und den Minoritäten das Recht zur Gründung von Schul- und Ausbildungsstätten anzuerkennen. Die Bestimmungen des Rahmenübereinkommens sind, im Prinzip, nicht unmittelbar anwendbar.

Das Rahmenübereinkommen enthält einen eigenen Kontrollmechanismus. Das
Ministerkomitee des Europarates ist -- unterstützt von einem beratenden Ausschuss -- beauftragt, über die Durchführung des Rahmenübereinkommens zu wachen. Es prüft insbesondere die Informationen, die ihm die Vertragsparteien regelmässig zu liefern haben. Diese Berichte geben Auskunft über die gesetzgeberischen und anderen Massnahmen, die sie getroffen haben, um die im Rahmenübereinkommen enthaltenen Grundsätze in die Praxis umzusetzen.

Das Rahmenübereinkommen muss von 12 Mitgliederstaaten des Europarates ratifiziert sein, damit es in Kraft tritt. Bis heute haben es 36 Staaten unterzeichnet und 14 von ihnen bereits ratifiziert. Es wird am 1. Februar 1998 in Kraft treten.

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Die Ziele und Prinzipien des Rahmenübereinkommens sind schon heute in weitem Masse von den Bestimmungen der Bundesverfassung und der massgeblichen Erlasse sowie den internationalen Instrumenten, die für die Schweiz Gültigkeit haben, gedeckt. Trotzdem hat der Bundesrat vor, anlässlich der Ratifikation zwei Erklärungen bezüglich des Anwendungsbereiches des Rahmenübereinkommens und der anwendbaren Grundsätze im Bereich der Sprachen abzugeben.

Die Schweiz hat aktiv an der Erarbeitung dieses Rahmenübereinkommens mitgewirkt, indem sie den Vorsitz der staatlichen Expertengruppe, die mit seiner Formulierung beauftragt war, übernahm. Nachdem das Rahmenübereinkommen in der Vernehmlassung bei den Kantonen und den interessierten Kreisen auf breite Zustimmung gestossen war, unterzeichnete es der Bundesrat am L Februar 1995. Im Sechsten Bericht über die Schweiz und die Übereinkommen des Europarates vom 29. November 1995 ist das Rahmenübereinkommen über den Schutz der nationalen Minderheiten innerhalb jener prioritären Übereinkommen aufgeführt, deren Ratifikation im Laufe dieser Legislaturperiode vorgesehen ist. Mit der Ratifikation des Rahmenübereinkommens bestätigt die Schweiz ihr traditionelles Engagement auf dem Gebiet der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes, der einen integralen Bestandteil der Menschenrechte bildet. Sie setzt damit ihre Überzeugung, dass dem Schutz der nationalen Minderheiten für die demokratische Stabilität und den Frieden in Europa und auf der ganzen Welt grosse Bedeutung zukommt, in die Tat um.

Diese Ratifikation trägt zur Glaubwürdigkeit des Engagements der Schweiz zugunsten der Minderheiten im Europarat und in der OSZE bei.

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Botschaft I II

Allgemeiner Teil " Geschichtlicher Hintergrund

Der internationale Schutz von Minderheiten hat eine lange Geschichte; bereits im 17. Jahrhundert garantierten einige bilaterale Abkommen einen besonderen Schutz für Personen, die in einem Gebiet lebten, das im Anschluss an einen Krieg an einen anderen Staat abgetreten worden war1. Nach dem Ersten Weltkrieg, zur Zeit des Völkerbundes, wurde ein relativ gut entwickeltes System des Minderheitenschutzes aufgebaut. Als Gegenstück zur Tatsache, dass bei der Bestimmung der Grenzen der Grundsatz der Nationalitäten 2 nur teilweise berücksichtigt worden war, beschlossen die Siegermächte, einen besonderen Schutz für gewisse Volksminderheiten einzuführen. Zu diesem Zweck wurden in verschiedenen Friedensabkommen, die mit mittel- und osteuropäischen Staaten abgeschlossen wurden, besondere Bestimmungen aufgenommen3. Dieses System des Minderheitenschutzes war jedoch nur für gewisse Staaten, die fast alle aus der Aufteilung von besiegten Staaten hervorgingen, verbindlich. Der Völkerbundspakt enthielt keine allgemeine Bestimmung über den Schutz von Minderheiten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Schwerpunkt im Rahmen der Vereinten Nationen vor allem auf den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gelegt.

Die Grundlage dafür war die Vorstellung, dass die nicht-diskriminierende Respektierung der Grundrechte grundsätzlich einen ausreichenden Minderheitenschutz gewährleistet. Die Teilung unseres Kontinents in zwei Blöcke mit gegensätzlichen Ideologien trug ebenfalls dazu bei, dass die Frage des Minderheitenschutzes vorübergehend in den Hintergrund gedrängt wurde. Mit dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 und dem Zerfall des kommunistischen Systems in Osteuropa trat die Frage nach dem Schutz von Minderheiten, die in dieser Region lange Zeit verdrängt worden war, wieder zu Tage. Der Beginn der Jugoslawien-Krise im Juli 1991 und die dadurch entstandenen ethnisch und religiös motivierten, politischen Entwicklungen haben besonders deutlich gemacht, wie gefährlich das Fehlen einer ReZur Geschichte des internationalen Minderheitenschutzes vgl. TüRK, D.: «Protection of Minorities in Europe», in: Recueil des cours de l'Académie de droit international de La Haye, 1992, Bd. III, S. 152 ff; SCHULTE-TENCKHOFF, I. & ANSBACH, T.: «Les minorités en droit international», in: Le droit et les minorités, Bruylant, Brüssel,
1995, S. 15 ff.

Das Selbstbestimmungsrecht und damit die Idee einer Festlegung der Grenzen auf der Grundlage des Prinzipes der Nationalitäten wurde in der sogenannten Deklaration der «14 Punkte» vom S.Januar 1918 unterstrichen, in welcher der Präsident der Vereinigten Staaten, Woodrow Wilson, die Prinzipien, die zur «Neuen Diplomatie» führen sollten, und die territorialen Vereinbarungen nach dem Ende der Feindseeligkeiten dargestellt hatte.

Die garantierten Rechte zielten in erster Linie darauf ab sicherzustellen, dass die Mitglieder von Minderheiten den anderen Staatsangehörigen eines Landes in jeder Hinsicht gleichgestellt waren. In zweiter Linie sollten sie den Minderheitsgruppen geeignete Mittel und Wege garantieren, um die Elemente zu schützen, die den wesentlichen Kern der Identität einer Minderheit ausmachen. In bezug auf die Anwendung und die Auslegung dieser Rechte vgl. Ständiger Internationaler Gerichtshof, Entscheid über die Minderheitsschulen in Oberschlesien (Ecoles minoritaires en Haute-Silésie), Série A/B N° 40; Rechtsauffassungen über Behandlung von Personen polnischer Nationalität in Dan~ zig (Traitement des nationaux polonais à Dant&g) und über die Minderheitsschulen in Albanien (Ecoles minoritaires en Albanie), Série A/B, N° 44 und 64.

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gelung des Minderheitenproblems für die demokratische Stabilität und den Frieden in Europa ist. Diese Feststellung hat die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Europarates, die sich erstmals in der Geschichte der Organisation im Oktober 1993 zu einem Gipfeltreffen in Wien zusammengefunden hatten, bewogen, ein Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (Rahmenübereinkommen) zu erarbeiten.

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Überblick über den internationalen Minderheitenschutz Auf weltweiter Ebene

Auch wenn dem Schutz von Minderheiten zur Zeit des Völkerbundes besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, enthalten weder die Charta der Vereinten Nationen noch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 Bestimmungen über den Minderheitenschutz. Man muss bis zur Verabschiedung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte im Jahre 1966 warten, bis eine Bestimmung (Artikel 27) spezifisch die Minderheiten schützt4. Dieser ziemlich restriktiv formulierte Artikel ist bis heute auf weltweiter Ebene die einzige vertragliche Bestimmung in diesem Bereich. Er sieht vor, dass ein Land den Angehörigen ethnischer, religiöser oder sprachlicher Minderheiten nicht das Recht nehmen darf, gemeinsam mit den anderen Mitgliedern ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu führen, sich zu ihrer eigenen Religion zu bekennen und diese zu praktizieren und ihre eigene Sprache zu sprechen.

Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hat 1978 im Anschluss an eine Empfehlung des Sonderberichterstatters der Unterkommission zur Verhütung von Diskriminierung und für Minderheitenschutz5 eine Arbeitsgruppe gebildet, die den Auftrag hatte, den Entwurf für eine Erklärung über die Minderheiten zu verfassen. Die Arbeiten stiessen auf zahlreiche Schwierigkeiten, namentlich in bezug auf die Definition der verwendeten Terminologie, was den Abschluss der Arbeiten verzögerte. Im Dezember 1992 genehmigte die Generalversammlung schliesslich dennoch eine Erklärung über die Rechte von Menschen, die zu nationalen, ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten gehören6. Diese Erklärung ist ein internationales, nicht zwingendes Instrument, das international meistens bereits anerkannte Regeln zusammenfasst, deren normativer Gehalt eher schwach ist. Nach Ansicht der Schweiz und anderer europäischer Staaten entbindet dieser Umstand die Mitglieder der Völkergemeinschaft jedoch nicht davon, für die Realisierung der Grundsätze zu sorgen, die in der Erklärung enthalten sind. So nimmt unser Land denn auch aktiv an den Arbeiten der Arbeitsgruppe über die Minderheiten teil, die zu diesem Zweck gebildet wurde.

4 5

6

SR 0.103.2 Vgl. Bericht von CAPOTORTI, F.: «Etude des droits des personnes appartenant aux minorités ethniques, religieuses et linguistiques» (1977), veröffentlicht in: Série d'études n° 5, Vereinte Nationen, Genf, 1991.

Vgl. BOKATOLA, I. O.: «La Déclaration des Nations Unies sur les droits des personnes appartenant à des minorités nationales ou ethniques, religieuses et linguistiques», Revue générale de droit international public, 1993, S. 5 ff; HlLDPOLD, P.: «Minderheitenschutz im Rahmen der Vereinten Nationen: Die Deklaration vom 18. Dezember 1992», in: Revue suisse de droit international et européen, 1994, S. 31 ff; THORNBERRY, P.: «The UN Déclaration: Background, Analysis and Observations», in: PHILLIPS, A. & ROSAS, A. (eds), The UN Minoriry Rlghts Déclaration, Abo Akademi University, Institute for Human Rights, Turku, 1993, S. 11 ff.

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Auf europäischer Ebene

Unter den Organisationen, die sich auf europäischer Ebene um den Schutz der Minderheiten bemühen, sind insbesondere der Europarat, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie die Europäische Union (EU) zu erwähnen.

Für die OSZE stellt die Suche nach Lösungen für die Probleme nationaler Minderheiten ein wichtiges Mittel dar, sich für den Erhalt des Friedens und der Sicherheit in Europa einzusetzen, d.h. für das erste der ihr übertragenen Ziele7. Schon die Schlussakte von Helsinki aus dem Jahre 1975 lud die beteiligten Staaten ein, die Rechte der Minderheiten zu respektieren, die auf ihrem Staatsgebiet leben. Diese Verpflichtung wurde im Schlussdokument der Wiener Konferenz von 1989 (§ 19) bestätigt, vor allem aber im Dokument, das an der Kopenhagener Konferenz von 1990 über die menschliche Dimension verabschiedet wurde (§§ 30-40)8 und grundlegende Prinzipien des Minderheitenschutzes äusserst detailliert darlegt. Dies ist bis heute der umfassendste Text auf diesem Gebiet. Zusammen mit dem Bericht des Expertentreffens der KSZE über die nationalen Minderheiten, das im Juli 1991 in Genf stattfand, stellt es eine der wichtigsten Inspirationsquellen für das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten dar. Anlässlich des Gipfels von Helsinki, 1992, wurde beschlossen, den Posten eines OSZEHochkommissars für nationale Minderheiten zu schaffen. Seine Aufgaben gehören im wesentlichen zur präventiven Diplomatie. Sein Interventionsrecht betrifft in der Tat jene Fälle, bei welchen Spannungen im Zusammenhang mit nationalen Minder-' heilen einen Konflikt heraufbeschwören könnten. Der erste Hochkommissar für nationale Minderheiten, Max van der Stoel, ehemaliger Aussenminister der Niederlande, wurde im Januar 1993 ernannt. Er hat sein Mandat bis heute mit Erfolg ausgeübt und dabei in mehr als zehn Staaten interveniert, beispielsweise in Albanien, Estland, Ungarn, Kasachstan, Kirgistan, Lettland, der Slowakei, der Ukraine und in Mazedonien.

Auch der Europäischen Union (EU) wurde nach dem Fall der Berliner Mauer bewusst, welch grosse Herausforderung die politische Stabilität und der Respekt der Minderheiten in Mittel- und Osteuropa sowie in der ehemaligen UdSSR für sie darstellen. Sie beschloss daher, die Anerkennung dieser neuen Staaten verschiedenen Bedingungen
zu unterstellen, wie etwa «der Unverletzlichkeit der Grenzen» oder der «Garantie der Rechte für die ethnischen und nationalen Gruppen oder für die Minderheiten»9. Auf multilateraler Ebene ist die bedeutendste Initiative der EU der Vorschlag eines Stabilitätspaktes für Europa, der am 20./21. März 1995 von den 52 Mitgliedstaaten der OSZE unterzeichnet wurde10. Der Pakt stellt als solcher kein 7

8 9

10

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Vgl. DAES, E.-I.: «The Question of Minorities wilhin thè Framework of thè Conference on Security and Coopération in Europe», in: ALFRËDSON, G. & MACAL1STER-SMITH, P.

(eds), The Living Law of Nations: Essays in Memory of Aue Gralil-Madsen, Kehl am Rhein, 1994; GHEBALI, V.-Y.: «La CSCE et la question des minorités nationales», in: L'Europe centrale et ses minorités: vers une solution européenne, PUF, Paris, 1993, S,51-72.

BENOÎT-RoHMER, F.: La question minoritaire en Europe: Textes et commentaire. Editions du Conseil de l'Europe, Strasbourg, 1996, S. 73-77.

Vgl. die Gemeinsame Erklärung vom 17. Dezember 1991 betreffend Richtlinien über die Anerkennung der neuen Staaten in Osteuropa und in der Sowjetunion, Bull. EG, Nr. 12, 1991.

Vgl. BENOÎT-ROHMER, F.: op. cit., S. 31-32 und 127-137.

zwingendes Rechtsabkommen dar. Er setzt sich aus einer politischen Erklärung", einer Liste mit rund 100 in diesem Bereich abgeschlossenen Vereinbarungen und Abkommen sowie einem Anhang zusammen, der die flankierenden Massnahmen aufzählt, die von der EU im Hinblick auf die Umsetzung des Paktes getroffen wurden.

Im Rahmen des Europarates muss in erster Linie die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 195012 erwähnt werden, die in Artikel 14 eine Nichtdiskriminierungsklausel enthält. Diese Bestimmung sieht vor, dass die Beanspruchung der in der Konvention anerkannten Rechte ohne jeglichen Unterschied, insbesondere in bezug auf die Sprache, die Konfession oder die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, sichergestellt sein muss. Sie liefert demnach gewisse Elemente für den Schutz der Angehörigen einer nationalen Minderheit. Artikel 14 hat jedoch keine selbständige Bedeutung. Er kann nur in Verbindung mit der Ausübung eines anderen, von der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Rechtes geltend gemacht werden. Die Praxis hat darüber hinaus gezeigt, dass dieser Schutz, der sich nur gerade auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung abstützt, ziemlich beschränkt bleibt, wenn er nicht von gewissen positiven Massnahmen begleitet wird13.

Die Unzulänglichkeiten des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung gegenüber der spezifischen Situation von Minderheiten haben den Europarat dazu gebracht, eigenständige Instrumente zu erarbeiten. Das erste ist die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, die am 5. November 1992 in Strassburg angenommen wurde1*. Diese Charta bezweckt die Erhaltung und die Förderung des Gebrauchs der Minderheitensprachen im Erziehungswesen, im Justizwesen, in der Verwaltung, in den Medien sowie in den wirtschaftlichen und sozialen Lebensbereichen. Obwohl man die nationalen Minderheiten nicht einfach mit sprachlichen Minderheiten gleichsetzen kann, war die Verteidigung der Sprache und der damit einhergehenden kulturellen Rechte immer ein wichtiges Element des Minderheitenschutzes in Europa15. Das zweite spezifisch im Rahmen des Europarats erarbeitete Instrument ist das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, das am 10. November 1994 angenommen wurde und Gegenstand der vorliegenden Botschaft ist.

Gewisse europäische Staaten wählen
auch einen anderen, parallelen Weg und schliessen bilaterale Verträge ab. Das Rahmenübereinkommen des Europarates regt ausdrücklich den Abschluss solcher Verträge an. Diese erlauben es, den Minderhei1

'

Punkt 7 dieser Erklärung unterstreicht ausdrücklich die Bedeutung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten, indem er darauf verweist.

12

SR 0.101 Vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: Belgische Sprachenfrage, Entscheide vom 9. Februar 1967, Série A N° 5 und vom 23. Juli 1968,'Série A n° 6; Fall Maihieu-Mohin und Clerfayt, Entscheid vom 2. März 1987, Série A n° 113; Fall Informationsverein Lentia und andere, Entscheid vom 24. November 1993, Série A n° 276. Vgl.

HlLLGRUBER, CH. & JESTAEDT, M.- The European Convention on Human Rìghts and thè Protection of National Minoritles, Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, Bonn, 1994.

GlORDAN, H. (Hrsg.): Les minorités en Europe. Droits linguistiques et droits de l'homme, Kimé, Paris, 1992.

Die Schweiz hat die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen am 9. Oktober 1993 unterzeichnet. Ihre Ratifikation wurde vom Bundesrat im November 1996 beantragt (BB1 1997 I 1165) und von den eidgenössischen Räten anlässlich der Sommer- und Herbstsessionen angenommen. Das Ratifikationsinstrument sollte in Kürze hinterlegt werden.

13

14 15

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ten Rechte zu gewähren, die breiter angelegt und besser dem historischen, kulturellen oder politischen Kontext angepasst sind. Bis heute wurden in den bilateralen Beziehungen zwischen europäischen Staaten über 100 Verträge oder Vereinbarungen abgeschlossen und gemeinsame politische Erklärungen abgegeben. Erwähnenswert sind insbesondere die verschiedenen bilateralen Abkommen über Zusammenarbeit und gute Nachbarschaft, die in den vergangenen Jahren von Deutschland und Ungarn mit ihren Nachbarländern, in welchen Minderheiten deutscher oder ungarischer Sprache leben, abgeschlossen wurden.

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Entstehung des Rahmenübereinkommens

Die parlamentarische Versammlung des Europarats hat dem Ministerkomitee wiederholt empfohlen10, sowohl auf politischer als auch auf juristischer Ebene Initiativen zu ergreifen, um die nationalen Minderheiten zu schützen. In der 1993 am Wiener Gipfeltreffen verabschiedeten Erklärung17 haben die Staats- und Regierungschefs ihrerseits dem Ministerkomitee den Auftrag erteilt, «kurzfristig ein Rahmenübereinkommen auszuarbeiten, das die von den Mitgliedstaaten einzuhaltenden Grundsätze zur Sicherung des Schutzes der Minderheiten formuliert». Mit der Verabschiedung dieses Mandats haben die Staats- und Regierungschefs die spezifische Berufung des Europarates in der Ausarbeitung rechtlicher Nonnen, gegenüber anderen Organisationen - namentlich der OSZE und der Europäischen Union - hervorgehoben. Dieses dem Europarat anvertraute Mandat wurde so ausgestaltet, dass es die Arbeiten der Europäischen Union (Stabilitätspakt für Europa) und der OSZE (Hochkommissar für den Schutz nationaler Minderheiten) ergänzt. Die Staats- und Regierungschefs des Europarats haben an ihrem zweiten Gipfeltreffen, das im Oktober 1997 in Strassburg stattgefunden hat, die bedeutende Rolle dieser Organisation im Bereich des Minderheitenschutzes bestätigt. Dabei haben sie beschlossen, die bestehenden Instrumente mit praktischen Initiativen, wie zum Beispiel vertrauensbildenden Massnahmen oder einer verstärkten Zusammenarbeit, zu vervollständigen.

Das Rahmenübereinkommen, das in einer extrem kurzen Zeit (9 Monate) durch den Ad-hoc-Ausschuss zum Schutz nationaler Minderheiten (CAHMIN) unter schweizerischem Vorsitz vorbereitet worden war, wurde am 10. November 1994 vom Ministerkomitee genehmigt und am I. Februar 1995 zur Unterzeichnung freigege-

16 17

1300

Vgl. Empfehlungen 285 (1961), 1134(1990), 1177(1992), 1201 (1993), 1255 (1995), 1285(1996), 1300(1996).

Erklärung von Wien vom 9. Oktober 1993, angenommen von den Staats- und Regierungschefs der 32 Mitgliedstaaten des Europarates (BB! 1994 I 607). Der operationeile Teil in bezug auf die «nationalen Minderheiten» ist Gegenstand von Anhang II der Erklärung.

ben18. Die für das Inkrafttreten des Rahmenübereinkommens nötige Anzahl Ratifikationen und Beitritte wurde auf zwölf festgelegt. Bis zum 10. November 1997 hatten 36 Staaten das Rahmenübereinkommen unterzeichnet und 14 von diesen hatten es ratifiziert (Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Italien, Kroatien, Mazedonien, Moldova, Rumänien, San Marino, Spanien, Ungarn, die Slowakei und Zypern). Das Rahmenübereinkommen wird am 1. Februar 1998 in Kraft treten.

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Tragweite des Rahmenübereinkommens

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Ziele und Rechtsnatur des Rahmenühereinkommens

Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Europarates haben die Initiative zur Ausarbeitung des Rahmenübereinkommens mit dem Ziel ergriffen, interne und/oder zwischenstaatliche Spannungen zu vermeiden oder zu beruhigen, die wegen des Fehlens eines Schutzes nationaler Minderheiten entstehen könnten. Dem Rahmenübereinkommen kommt somit im heutigen politischen Kontext Europas eine besondere Bedeutung zu. Es ist das erste multilaterale Instrument mit rechtlich zwingendem Charakter, das spezifisch für den Schutz nationaler Minderheiten bestimmt ist. Es legt eine Reihe von rechtlichen Grundsätzen fest, zu deren Einhaltung sich die beteiligten Staaten verpflichten.

Mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Situationen und Forderungen der nationalen Minderheiten in Europa hat man sich für ein Rahmeninstrument entschieden, das im wesentlichen programmatische Bestimmungen enthält. Diese bestimmen die Ziele, zu deren Verfolgung sich die Vertragsstaaten verpflichten, oder sie legen den allgemeinen Rahmen der zu behandelnden Themen fest. Aus der Wahl, ein Rahmeninstrument zu erarbeiten, folgt, dass das Übereinkommen nicht unmittelbar anwendbar sein soll. Die flexible Formulierung der im Rahmenübereinkommen enthaltenen Bestimmungen lässt den Vertragsstaaten einen Ermessensspielraum bei der Umsetzung der Ziele, zu deren Verfolgung sie sich verpflichtet haben. Dieses Fehlen der unmittelbaren Anwendbarkeit wird ausdrücklich durch die Präambel bestätigt. Sie weist darauf hin, dass die Durchsetzung der im Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätze mittels innerstaatlicher Gesetzgebung und geeigneter Regierungspolitiken erfolgen wird. Dies wird auch im Erläuternden Bericht unterstrichen19.

18

19

Zu diesem Rahmenübereinkommen vgl. im allgemeinen: KtEBES, H.: «La Conventioncadre du Conseil de l'Europe pour la protection des minorités nationales», in: RUDH, 1995, S. 165 ff; TAVERNIER, P.: «A propos de la Convention-cadre du Conseil de l'Europe pour la protection des minorités nationales», Revue générale de droit international public, 1995, S. 392 ff; BoiLLAT, PH.: «Quelques observations sur la Convention-cadre pour la protection des minorités nationales», in: Pratique juridique actuelle, 1995, S.

1283-1290; MALINVERNI, G.: «La Convention-cadre du Conseil de l'Europe pour la protection des minorités nationales», in: Revue suisse de droit international et européen, 5/1995, S. 521-546; FENET, A.; «La Convention-cadre pour la protection des minorités nationales», in: Le droit et les minorités: analyses et textes, Buylant, 1995, S. 167-189; BENOÎT-ROHMER, F.: op. cit., S. 39-61; GILBERT, G.: «The Council of Europe and Minority Rights», Human Rights Quanerly, Bd. 18/1, 1996, S. 160-189; MOCK, H.-P.: «La Convention-cadre du Conseil de l'Europe pour la protection des minorités nationales», Annuaire de la Nouvelle Société Helvétique, 1996-1997.

Erläuternder Bericht (veröffentlicht in: RUDH, 1995, S. 171-181), § 11. Die Rechtslehre hat es ebenfalls nicht unterlassen, diesen Aspekt besonders zu erwähnen; vgl.

KLEBES, H.: op. cit., S. 166-167; TAVERNIER, P.: op. cit., S. 394; BOILLAT, PH.: op. cit., S. 1286; MALINVERNI, G.: op. cit., S. 531.

1301

Auch wenn das Rahmenübereinkommen nicht als unmittelbar anwendbares Instrument konzipiert worden ist, so ist es dennoch nicht ausgeschlossen, dass einige der Bestimmungen aufgrund ihrer Formulierung als genügend bestimmt erachtet werden können, um unmittelbar anwendbar zu sein. Dies könnte besonders für Artikel 8 (Recht, sich zu einer Religion zu bekennen und religiöse Einrichtungen zu gründen), Artikel 9 (Meinungsäusserungsfreiheit) und Artikel 10 Paragraph l (Recht auf Gebrauch der eigenen Sprache) der Fall sein. Die in diesen Bestimmungen enthaltenen Rechte werden jeder Person bereits durch die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft20, durch die EMRK sowie durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte garantiert. Daher kann eine eventuelle direkte Anwendbarkeit dieser obengenannten Bestimmungen des Rahmenübereinkommens zwar allenfalls die Auslegung der bereits existierenden Rechte beeinflussen, nicht jedoch neue Verpflichtungen schaffen, die der schweizerischen Rechtsordnung unbekannt wären.

142

Die Definition der nationalen Minderheiten

Als die Staats- und Regierungschefs am Gipfeltreffen von Wien die Erarbeitung eines Rahmenübereinkommens beschlossen, dachten sie zunächst an die nationalen Minderheiten in Zentral- und Osteuropa, die durch die Geschichte von ihrer «Heimat» getrennt worden waren. Sie erachteten es als möglich, dass diese Minderheiten, wenn sie nicht geschützt würden, diese Region Europas destabilisieren könnten. Doch das Rahmenübereinkommen hat natürlich eine grössere Tragweite und kann in allen Mitgliedstaaten des Europarates zur Anwendung gelangen.

Das Rahmenübereinkommen enthält keine Definition des Begriffs der «nationalen Minderheit». Die Verfasser des Übereinkommens sind angesichts der Vielfalt der Situationen, die in Europa in diesem Bereich bestehen, zum Schluss gekommen, dass es heute noch nicht möglich ist, eine für alle Mitgliedstaaten des Europarates annehmbare Definition zu erarbeiten. Um ein Scheitern der Ausarbeitung eines Rahmenübereinkommens zu vermeiden und möglichst zahlreiche Ratifizierungen zu ermöglichen, entschieden sie sich für einen pragmatischen Weg, indem sie keine Definition formulierten21. Das Rahmenübereinkommen überlässt den Staaten somit eine ziemlich grosse Freiheit bei der Bestimmung der Kriterien, die sie zur Definition des Begriffs der nationalen Minderheit heranziehen.

Kein internationales Instrument mit juristischem Zwangscharakter kennt eine Definition des Begriffs der «Minderheit» oder desjenigen - im Prinzip engeren - der «nationalen Minderheit»22. Seit den Fünfzigerjahren hat sich die Kommission für Menschenrechte der Vereinten Nationen um eine Definition bemüht, ohne jedoch zu einem konkreten Ergebnis zu gelangen. Die Arbeiten der Kommission haben dennoch einige Elemente für eine Definition aufzustellen vermocht: Aus den vorgeschlagenen Definitionen folgt, dass als nationale Minderheit eine Gruppe von Personen, die zahlenmässig kleiner ist als die restliche Bevölkerung, die keine dominierende Stellung einnimmt und deren Angehörige sich vom Rest der Bevölkerung 20 21

SR101

22

Zum Problem der Definition der Minderheiten, vgl. insbesondere PACKER, P., «On thè Definition of Minorities», in: PACKER, J. & MYNTTI. K. (Hrsg.), The protection of Ethnie and Linguisiic Minorities in Europe, Abo Academy University, Institute for Human Rights, 1993, S. 23 ff.

1302

BOILLAT,PH.: op. cit., S. 1284.

durch ihre ethnischen, religiösen oder sprachlichen Eigenheiten unterscheiden und durch ein Gefühl der Solidarität bei der Erhaltung ihrer Kultur, ihrer Traditionen, ihrer Religion oder ihrer Sprache miteinander verbunden sind23, verstanden wird.

Auch andere Versuche wurden unternommen, um den Begriff der nationalen Minderheiten zu definieren, beispielsweise im Rahmen der Vereinten Nationen oder der OSZE. Sie blieben jedoch ebenfalls ohne grossen Erfolg. Der vielleicht ausgereifteste Versuch ist die Definition, die im Entwurf des Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention enthalten ist, den die parlamentarische Versammlung des Europarates am 1. Februar 1993 vorgeschlagen hatte24. Diese Definition ist in bezug auf das Rahmenübereinkommen von besonderem Interesse, denn sie bezieht sich ausdrücklich auf den Begriff der «nationalen Minderheit». Laut Artikel l des Entwurfs bezeichnet der Ausdruck «nationale Minderheit» «eine Gruppe von Personen in einem Staat, die a. auf dem Gebiet dieses Staates leben und Bürger dieses Staates sind; b. mit diesem Staat alte, solide und dauerhafte Beziehungen unterhalten; c. spezifische ethnische, kulturelle, religiöse oder sprachliche Eigenschaften aufweisen; d. zahlenmässig ausreichend repräsentativ sind, jedoch weniger zahlreich sind als die übrige Bevölkerung dieses Staates oder einer Region dieses Staates; e. vom Willen getragen werden, gemeinsam das zu erhalten, was ihre gemeinsame Identität ausmacht, namentlich ihre Kultur, ihre Traditionen, ihre Religion oder ihre Sprache».

Diese Definition, welche die Eigenschaft der nationalen Minderheit an die Staatsangehörigkeit bindet, erlaubt es nicht, alle Probleme zu lösen. Der Entwurf des Zusatzprotokolls wurde im übrigen vom Ministerkomitee des Europarates nicht übernommen. Er liefen den Staaten, die mit dem Beitritt zum Rahmenübereinkommen dessen Anwendungsbereich definieren müssen, aber dennoch einige interessante Bezugspunkte25. Eine sehr ähnliche Definition wurde im Projekt für ein Europäisches

23

24

25

Siehe die Definitionen der zwei Sonderberichterstatter der Unterkommission der Vereinten Nationen zur Verhütung von Diskriminierung und für Minderheitenschutz, F.

Capotortì (in: «Etude des droits des personnes appartenant aux minorités ethniques, religieuses et linguistiques» (1977), veröffentlicht in: Série d'études n °5, Vereinte Nationen, Genf, 1991, § 568) und J. Deschênes (UNO Dok. E/CN.4/Sub.2/1985/31, § 181).

Gemà'ss dem Menschenrechtskomitee könnten die Rechte, die mit Artikel 27 des Internationalen Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte den Minderheiten zugesprochen werden, auch den Nicht-Bürgern, wie z.B. den Wanderarbeitern oder sogar Personen, die auf der Durchreise sind, zuerkannt werden. Vgl. Allgemeine Bemerkung Nr. 23 (1994), UNO Dok. HRI/GEN/I/Rev. 3, S. 44, § 5.2. Es muss jedoch bemerkt werden, dass sich Artikel 27 des Paktes, dem die Schweiz beigetreten ist, auf Minderheiten bezieht und nicht, wie das Rahmenübereinkommen, auf nationale Minderheiten.

Empfehlung 1201 (1993) betreffend Zusatzprotokoll zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Rechte nationaler Minderheiten, in:RUDH, 1995, S. 181 ff.

Bezüglich der Erklärung, die der Bundesrat in bezug auf den Anwendungsbereich des Rahmenübereinkommens anzubringen gedenkt, vgl. infra, Ziffer 22.

1303

Übereinkommen zum Schutz der Minderheiten vorgeschlagen, das 1991 von der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht erarbeitet worden ist26.

143

Das Fehlen der Anerkennung kollektiver Rechte

Die in den zwingenden internationalen Instrumenten zum Schutz der Menschenrechte anerkannten Rechte sind in der Regel als individuelle Rechte konzipiert27. Eine grosse Mehrheit der Staaten ist heute nicht bereit, im Rahmen eines internationalen Vertrags oder in ihren innerstaatlichen Gesetzgebungen Rechte zu anerkennen, die einer Minderheit als solcher und nicht den einzelnen Personen, die dieser Minderheit angehören, zugesprochen würden, wie etwa das Recht auf eine gewisse Autonomie oder das Recht, in einem bestimmten Verhältnis in den staatlichen Organen vertreten zu sein28. Das Rahmenübereinkommen trägt diesen Bedenken Rechnung und überträgt die Rechte den «Angehörigen» einer nationalen Minderheit und nicht den Minderheiten selber. Aus dem Wortlaut geht deutlich hervor, dass es sich bei den garantierten Rechten um individuelle Rechte handelt2?.

Artikel 3 Paragraph 2 des Rahmenübereinkommens sieht die Möglichkeit vor, dass die Angehörigen einer nationalen Minderheit ihre Rechte auch in Gemeinschaft ausüben können. Dabei kann z.B. an die Versammlungs- oder an die Vereinsfreiheit gedacht werden, welche kollektiv ausgeübt werden. Träger dieser Rechte bleibt jedoch immer das Individuum.

15

Die Haltung der Schweiz gegenüber dem Rahmenübereinkommen

151

Die Haltung der Bundesbehörden

Die Schweiz war aktiv an der Erarbeitung des Rahmen Übereinkommens beteiligt.

Sie präsidierte insbesondere den Ausschuss staatlicher Experten CAHMIN, der dieses Instrument hervorgebracht hat. Ein Vertreter der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und Erziehungsdirektoren (EDK) wurde im übrigen bei der internen Vorbereitung der schweizerischen Haltung innerhalb dieses Ausschusses beigezogen.

Der Bundesrat hat vor dem Hintergrund, dass das Rahmenübereinkommen den Mitgliedstaaten des Europarates zur Unterzeichnung offensteht, ein Vernehmlassungsverfahren bei den Kantonen, den politischen Parteien und den interessierten Kreisen 26

27

28

29

Artikel 2, § l dieses Entwurfes für ein Übereinkommen lautet wie folgt: «Im Rahmen dieses Übereinkommens bezeichnet der Begriff eine im Vergleich zur restlichen Bevölkerung eines Staates zahlenmässig kleinere Gruppe, deren Mitglieder die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzen,' ethnische, religiöse oder sprachliche Merkmale besitzen, die sich von denjenigen der restlichen Bevölkerung unterscheiden und die vom Willen getragen sind, ihre Kultur, ihre Traditionen, ihre Religion oder ihre Sprache zu bewahren» (vgl. RUDH, 1991, S. 189 ff.).

In gewissen Instrumenten zum Schutz der Menschenrechte gibt es jedoch auch Beispiele für kollektive Rechte. So garantiert z.B. die Afrikanische Charta der Menschen- und Völkerrechte in den Artikeln 19 bis 24 eine gewisse Anzahl kollektiver Rechte. Rechte gleicher Natur werden auch in der Konvention Nr. 169 über die autochthonen Völker der Internationalen Arbeitsorganisation anerkannt.

Vgl. BOILLAT, PH., Op. Cit., S. 12.

Vgl. Erläuternder Bericht, § 31.

1304

durchgeführt. Da diese Vernehmlassung auf breite Zustimmung stiess, hat der Bundesrat das Rahmenübereinkommen am 1. Februar 1995 unterzeichnet. In seinen Antworten auf verschiedene, in letzter Zeit eingegangene parlamentarische Vorstösse hat der Bundesrat darauf hingewiesen, dass er das Rahmenübereinkommen im Laufe der Legislaturperiode 1995-1999 zu ratifizieren gedenke. Die schweizerischen Behörden haben so die Möglichkeit, sich auf das Rahmenübereinkommen zu berufen, und zwar gegenüber jedem beteiligten Staat, der es nicht einhält30. In seiner Antwort vom 13. November 1996 auf eine Interpellation von Ständerat Rhinow hat der Bundesrat ausgeführt, dass er die Absicht habe, im Verlaufe von 1997 die Ergebnisse des VernehmlassungsVerfahrens zu veröffentlichen und der Bundesversammlung die Botschaft mit dem Antrag auf Ratifizierung vorzulegen.

Das Rahmenübereinkommen hat das politische Ziel, Lebensbedingungen zu begünstigen, welche die Grundrechte der Personen respektieren, die einer nationalen Minderheit angehören. Ganz allgemeine Ziele sind ausserdem das friedliche Zusammenleben sowie das optimale Funktionieren der Demokratie. Das Rahmenübereinkommen ist auch geeignet, Handlungen der Präventivdiplomatie zu unterstützen. So hat insbesondere der OSZE-Hochkommissar für den Schutz nationaler Minderheiten ein direktes Interesse an diesem Instrument bekundet, auf das er sich bei seinen Aktivitäten beziehen kann.

Die Schweiz wird oft als Musterbeispiel für das Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen genannt, da sie auf ihrem Staatsgebiet Gemeinschaften mit unterschiedlichen Sprachen, Kulturen oder Religionen vereint. So erstaunt es denn auch nicht, dass für einige Bestimmungen des Rahmenübereinkommens unsere Tradition und unsere Praxis als direktes Vorbild genommen wurden. Das Rahmenübereinkommen steht in vollständiger Harmonie mit dem föderalistischen System der Schweiz, das den nationalen Minderheiten eine Autonomie zur Förderung und zur Wahrung ihrer Sprachen, ihrer Religionen und ihrer Kulturen anbietet und gleichzeitig ihre Mitarbeit und ihre Vertretung innerhalb der eidgenössischen Institutionen garantiert. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Grundsätze und Ziele des Rahmenübereinkommens schon heute in grossem Masse von den Bestimmungen der Verfassung, der massgeblichen Erlasse sowie
der internationalen Instrumente, welche für die Schweiz Gültigkeit haben, gedeckt sind.

Mit der Ratifizierung des Rahmenübereinkommens würde die Schweiz ihr Engagement zugunsten der Menschenrechte, der Demokratie und der Grundsätze des Rechtsstaates bestätigen und konkretisieren - ein Engagement, das zu den fünf Zielen der schweizerischen Aussenpolitik in den Neunziger] ahren zählt31. Der Bundesrat hat mehrmals seinen Willen unterstrichen, die Aussenpolitik des Landes nach den Grundsätzen zu orientieren, die seine innere Kohäsion begründen, und die Notwendigkeit des Minderheitenschutzes geltend zu machen, der einen wichtigen Faktor des Friedens und der demokratischen Stabilität darstellt. Die Ratifizierung des Rahmenübereinkommens würde einen Akt europäischer Solidarität bedeuten. Sie würde darüber hinaus die Glaubwürdigkeit des Engagements der Schweiz zugunsten der Minderheiten innerhalb des Europarates und der OSZE garantieren. Ein Abseitsstehen hingegen könnte die Position der Schweiz innerhalb dieser zwei Organisatio-

30 31

Vgl. insbesondere die Antwort vom 20. Dezember 1995 auf die einfache Frage Dünki mit dem Titel «Slowakische Republik: Neues Sprachengesetz».

Vgl. insbesondere den Bericht vom 29. November 1993 des Bundesrates über die Aussenpolitik der Schweiz in den 90er Jahren, BB11994 1153.31

1305

nen schwächen, und dies in einem Moment, in welchem sie schon in anderen Bereichen unter den Konsequenzen ihrer internationalen Isolation zu leiden hat.

152

Das Vernehmlassungsverfahren

Der ßundesrat hat das Rahmenübereinkommen am 25. November 1994 bei den Kantonen, den politischen Parteien und den interessierten Kreisen und Organisationen in die Vernehmlassung geschickt. Das Vernehmlassungsverfahren wurde am 13. Januar 1995 abgeschlossen.

Das Rahmenübereinkommen ist im Vernehmlassungsverfahren auf ein weitgehend positives Echo gestossen. Die grosse Mehrheit der Kantone hat der Unterzeichnung dieses Instrumentes und der Ratifikation der Schweiz zugestimmt. Alle politischen Parteien und interessierten Kreise, die geantwortet haben, stimmen der Ratifikation ebenfalls zu.

Nur gerade der Kanton Appenzell-Innerrhoden hat sich gegen die Ratifizierung des Rahmenübereinkommens ausgesprochen. Er ist der Ansicht, dass der Kreis der geschützten Personen oder Gruppen nicht klar definiert ist und dass die Ratifizierung des Rahmenübereinkommens den Integrationsdruck, der auf die in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländer lastet, verringern würde. Er befürchtet zudem, dass die Bestimmungen des Rahmenübereinkommens unmittelbar anwendbar wären. Die Kantone Schwyz und Nidwaiden haben ebenfalls ihre Befürchtung zum Ausdruck gebracht, dass die Gerichte sich in ihrer Rechtsprechung auf dieses Instrument berufen würden. Andere Kantone sowie die Schweizerische Volkspartei haben hingegen betont, dass das Rahmenübereinkommen nicht unmittelbar anwendbar sei. Der Kanton Graubünden, seinerseits, vertritt die Ansicht, dass das Rahmenübereinkommen in bezug auf die Verpflichtung, positive Massnahmen zugunsten der Minderheiten zu ergreifen, nicht genügend bestimmt ist, was seiner Meinung nach den Nutzen des Übereinkommens in Frage stellt.

Zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmer haben darauf hingewiesen, dass die Ziele des Rahmenübereinkommens mit der traditionellen Haltung der Schweiz im Bereich des Minderheitenschutzes in Einklang stehen. Mehrere haben unterstrichen, dass das Rahmenübereinkommen in erster Linie ein politisches Ziel verfolgt, und erachten das Übereinkommen als Schritt in Richtung eines besseren Schutzes der Minderheiten. Ebenfalls positiv wurde beurteilt, dass auch Nichtmitgliedstaaten des Europarates dem Übereinkommen beitreten können. Hingegen wurde das Fehlen einer Definition des Konzepts der nationalen Minderheiten allgemein als Schwachpunkt des Rahmenübereinkommens angesehen. Es
wurde vorgeschlagen, diesen Begriff mit einer auslegenden Erklärung oder einem Vorbehalt zu präzisieren. Dazu wurden verschiedene Vorschläge unterbreitet. Einige der Vernehmlassungsteilnehmer haben den Wunsch geäussert, dass gewisse Personenkategorien vom Begriff der nationalen Minderheit ausgeklammert werden: die Staatenlosen (Schweizerische Volkspartei, Evangelische Volkspartei der Schweiz, Schweizer Demokraten), die Flüchtlinge (Schweizerische Volkspartei, Evangelische Volkspartei der Schweiz), die Wanderarbeitnehmerinnen und Wanderarbeitnehmer (Schweizerische Volkspartei, Evangelische Volkspartei der Schweiz), alle Gruppen von Ausländerinnen und Ausländern - einschliesslich der Doppelbürgerinnen und Doppelbürger - (Schweizerische Volkspartei, Evangelische Volkspartei der Schweiz) oder, für gewisse Bestimmungen, die eingebürgerten Personen (Luzern). Andererseits wurde auch geltend ge-

1306

macht, dass der Anwendungsbereich der Bestimmungen des Rahmenübereinkommens in bezug auf den Unterricht und den Gebrauch von Minderheitensprachen mittels einer auslegenden Erklärung oder eines Vorbehalts - auf die Nationalsprachen beschränkt werden sollte. Es wurde ausserdem verlangt, dass auch das Sprachenterritorialitätsprinzip vorbehalten bleibe. Abgesehen von diesen Vorbehalten erachten die Vernehmlassungsteilnehmer im allgemeinen, wie auch der Bundesrat, dass das schweizerische Recht den Anforderungen des Rahmenübereinkommens genügt und eine Ratifizierung keine Änderung unserer inneren Rechtsordnung erfordert.

2

Besonderer Teil

Das Rahmenübereinkommen besteht aus einer Präambel, welche die Gründe für seine Erarbeitung erläutert, und fünf Abschnitten. Die Bestimmungen von Abschnitt I formulieren gewisse allgemeine Grundsätze. Abschnitt II, der normative Kern des Übereinkommens, enthält eine Reihe von spezifischen Grundsätzen. In Abschnitt III sind verschiedene Bestimmungen in bezug auf die Auslegung und die Anwendung des Rahmenübereinkommens enthalten. Es folgen, schliesslich, die Bestimmungen über die Überwachung der Umsetzung des Übereinkommens (Abschnitt IV) und die Schlussklauseln, wie sie in den Übereinkommen und Abkommen üblich sind, die innerhalb des Europarates abgeschlossen werden.

21

Allgemeine Grundsätze

Abschnitt I des Rahmenübereinkommens formuliert gewisse allgemeine Grundsätze, die der Interpretation der anderen inhaltlichen Bestimmungen des Rahmenübereinkommens dienen können.

Artikel l legt dar, dass der Schutz der nationalen Minderheiten einen integralen Bestandteil des Schutzes der Menschenrechte darstellt und, als solcher, einen Bereich der internationalen Zusammenarbeit darstellt. Der Schutz der Minderheiten fällt damit nicht in den Bereich, der den Staaten reserviert ist.

Artikel 2 sieht vor, dass die Bestimmungen des Rahmenübereinkommens nach Treu und Glauben, im Geiste des Verständnisses und der Toleranz sowie in Übereinstimmung mit den Grundsätzen guter Nachbarschaft, Zusammenarbeit und freundschaftlicher Beziehungen angewendet werden müssen. Diese Prinzipien sind von der Erklärung der Vereinten Nationen über die Grundsätze des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit unter den Staaten inspiriert32. Sie unterstreichen, dass das Rahmen übereinkommen sich als Instrument im Dienste des Friedens und der internationalen Stabilität versteht.

Artikel 3 Paragraph l garantiert jeder Person, die einer nationalen Minderheit angehört, das Recht, frei zu wählen, ob sie als solche behandelt werden will oder nicht.

Er gibt damit jeder betroffenen Person das Recht, zu entscheiden, ob sie den Schutz des Rahmenübereinkommens wünscht oder nicht. Dieser Paragraph bedeutet hingegen nicht die Freiheit eines Individuums, willkürlich zu wählen, irgendeiner nationalen Minderheit anzugehören. Schon seine Formulierung («jede Person, die einer 32

Resolution 2625 (XXV), angenommen von der UNO-Generalversammlung am 24. Oktober 1970.

1307

nationalen Minderheit angehört») zeigt klar, dass es nicht darum geht, ein freies Auswahlrecht anzuerkennen, sondern dass, im Gegenteil, der Wille, sich mit einer nationalen Minderheit zu identifizieren, an objektive Elemente anknüpfen muss33.

Artikel 3 Paragraph l sieht darüber hinaus vor, dass weder die freie Wahl, wie sie diese Bestimmung garantiert, noch die Ausübung der Rechte, die damit verbunden sind, irgendwelche Nachteile nach sich ziehen darf. Diese Bestimmung soll sicherstellen, dass die Nutzung der freien Wahl auch nicht indirekt angetastet wird. Nach Paragraph 2 können die Rechte und Freiheiten, die sich aus den Grundsätzen des Rahmenübereinkommens ergeben, einzeln oder gemeinsam mit anderen ausgeübt werden34.

22

Die Personen, die in der Schweiz nationalen Minderheiten im Sinne des Rahmenübereinkommens angehören

Abschnitt I formuliert gewisse Grundprinzipien, welche die anderen Bestimmungen des Rahmenübereinkommens präzisieren, enthält jedoch keine Definition des Begriffs der «nationalen Minderheiten»35. ES obliegt somit den Staaten, diejenigen Gruppen festzulegen, die sie als nationale Minderheiten im Sinne des Rahmenübereinkommens qualifizieren möchten. Dabei handelt es sich nicht um eine Möglichkeit, die den Staaten offensteht, sondern vielmehr um eine Voraussetzung, die für die Definition des Anwendungsbereichs des Rahmenübereinkommens und zu dessen Umsetzung notwendig ist.

33

34 35

1308

BOILLAT, PH.: op. eil., S. 1285.

Vgl. supra, Ziffer 143.

Vgl. supra, Ziffer 142.

Eine Möglichkeit des Vorgehens besteht in der Formulierung einer Erklärung bei der Ratifizierung des Rahmenübereinkommens, welche die fehlende Definition ersetzt36.

In Anbetracht der Resultate der Vernehmlassung der Kantone, der politischen Parteien und der interessierten Kreise schlägt der Bundesrat vor, anlässlich der Ratifikation folgende Erklärung abzugeben: Als nationale Minderheiten im Sinne des vorliegenden Rahmenübereinkommens gelten in der Schweiz diejenigen Gruppen von Personen, die zahlenmä'ssig kleiner als der Rest der Bevölkerung des Landes oder eines Kantons sind, deren Angehörige die schweizerische Staatsbürgerschaft besitzen, alte, solide und dauerhafte Bindungen zur Schweiz unterhalten und vom Willen getragen werden, gemeinsam zu bewahren, was ihre Identität ausmacht, insbesondere ihre Kultur, ihre Traditionen, ihre Religion oder ihre Sprache.

Diese Erklärung nimmt Elemente der Definition des Konzepts der «nationalen Minderheit» auf, wie sie in Artikel l des Entwurfs vom L Februar 1993 für ein Zusatzprotokoll der parlamentarischen Versammlung des Europarates verankert ist. Sie inspiriert sich auch an Artikel 2 Absatz l des Entwurfes des europäischen Übereinkommens zum Schutze der Minderheiten vom 4. März 1991, der von der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht erstellt wurde37. Diese Definition

36

37

Diesen Weg haben einige der Staaten, die das Rahmeniibereinkommen schon ratifiziert haben, gewählt (Dänemark, Deutschland, Estland und Mazedonien). Die bis heute abgegebenen Erklärungen lauten wie folgt: - Dänemark: «Im Zusammenhang mit der Hinterlegung des Ratifikationsinstrumentes des Rahmenübereinkomrnens zum Schutz der nationalen Minderheiten durch Dänemark wird hiermit erklärt, dass das Rahmenübereinkommen auf die deutsche Minderheit in Süd-Jütland, das zum Königreich Dänemark gehört, angewendet wird»; - Deutschland: «Das Rahmenübereinkommen enthält keine Definition des Begriffs der nationalen Minderheiten. Es ist deshalb Sache der einzelnen Vertragsstaaten zu bestimmen, auf welche Gruppen es nach der Ratifizierung Anwendung findet. Nationale Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland sind die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit und die Angehörigen des sorbischen Volkes mit deutscher Staatsangehörigkeit. Das Rahmenübereinkommen wird auch auf Angehörige der traditionell in Deutschland heimischen Volksgruppen der Friesen deutscher Staatsangehörigkeit und der Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit angewendet»; - Estland: «Die Republik Estland versteht unter dem Begriff nationale Minderheiten, der im Rahmenübereinkommen zum Schutz der nationalen Minderheiten nicht definiert wird, folgendes: als nationale Minderheit> werden diejenigen Bürger von Estland angesehen, die 1) auf dem Gebiet Estlands leben; 2) die alte, solide und dauerhafte Bindungen zu Estland haben; 3) die sich durch ihre ethnischen, kulturellen, religiösen oder sprachlichen Merkmale von den Esten unterscheiden; 4) die vom Willen getragen werden, gemeinsam ihre kulturellen Traditionen, ihre Religion oder ihre Sprache, welche die Grundlage ihrer gemeinsamen Identität bilden, zu wahren»; - Mazedonien: «Die Republik von Mazedonien erklärt, dass: 1) der Begriff «nationale Minderheit, wie er im Rahmenübereinkommen zum Schutz der nationalen Minderheiten verwendet wird, als identisch mit dem Begriff «Nationalitäten) betrachtet wird, wie er in der Verfassung und den Gesetzen der Republik von Mazedonien verwendet wird; 2) die Bestimmungen des Rahmenübereinkommens zum Schutz der nationalen Minderheiten werden auf die nationalen Minderheiten der Albaner, Türken, Walachen, Roma und Serben, die auf dem Gebiet der Republik von Mazedonien
leben, angewandt». Luxemburg hat anlässlich der Unterzeichnung des Rahmenübereinkommens die folgende Erklärung formuliert; «Das Grossherzogtum von Luxemburg versteht unter «nationaler Minderheit im Sinne des Rahmenübereinkommens eine Gruppe von Personen, die seit zahlreichen Generationen auf seinem Gebiet leben, die luxemburgische Staatsbürger sind und die ihre unterschiedlichen Merkmale in bezug auf die Ethnie und die Sprache bewahrt haben. Aufgrund dieser Definition sieht sich das Grossherzoglum von Luxemburg veranlasst festzustellen, dass es keine «nationale Minderheit» auf seinem Gebiet gibt».

VgLsitpra, Ziffer 122.

1309

entspricht der Konzeption des Begriffes «nationale Minderheit», wie er in der Mehrheit der anderen europäischen Staaten verstanden wird.

Aus dieser Definition geht hervor, dass das Rahmenübereinkommen in der Schweiz auf nationale sprachliche Minderheiten angewendet werden kann, aber auch auf andere schweizerische Bevölkerungsgruppen, wie die Mitglieder der jüdischen Gemeinde oder die Fahrenden.

23 Spezifische Grundsätze Abschnitt II, der längste des Rahmenübereinkommens, enthält Grundsätze, die ein breites Spektrum von spezifischen Bereichen betreffen.

23.1

Recht auf Gleichbehandlung und Diskriminierungsverbot (Art. 4)

Artikel 4 Paragraph l erwähnt in klassischer Weise das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz und den Grundsatz der Nichtdiskriminierung. Paragraph 2 unterstreicht, dass die Förderung der vollständigen und effektiven Gleichstellung zwischen den Angehörigen einer nationalen Minderheit und denjenigen der Mehrheit den Erlass besonderer Massnahmen erfordern kann, die den spezifischen Besonderheiten der Betroffenen Rechnung tragen. Diese Massnahmen müssen dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entsprechen, der insbesondere verlangt, dass sie nicht länger andauern oder eine grössere Tragweite annehmen dürfen, als zur Erreichung des Ziels, d.h. die vollständige und effektive Gleichstellung, unbedingt notwendig ist38.

Paragraph 3 verdeutlicht, dass die in Paragraph 2 genannten Massnahmen weder als Diskriminierung zu verstehen sind noch den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzen. Diese Bestimmung soll den Angehörigen einer nationalen Minderheit eine effektive Gleichstellung gewährleisten.

Die Ziele dieser Bestimmung des Rahmenübereinkommens sind im Prinzip durch Artikel 4 Absatz l der Schweizerischen Bundesverfassung (BV) gedeckt. Dieser hält fest, dass alle Schweizerinnen und Schweizer vor dem Gesetz gleich sind. In Übereinstimmung mit diesem Grundsatz verbietet die Pflicht, die Gleichheit vor dem Gesetz zu gewährleisten, dem Staat, Entscheide zu fallen, die «unter Berücksichtigung der Person» getroffen werden oder gewisse Personen oder Personengruppen bevorzugen oder diskriminieren. Daraus folgt jedoch keine Pflicht, eine strenge Gleichbehandlung zu garantieren. Ungleiche Behandlungen sind möglich, aber nur unter der Bedingung, dass sie objektiv begründet sind. Manchmal verlangt die Pflicht, die Gleichheit vor dem Gesetz zu gewährleisten, sogar solche Ungleichheiten39. Das Bundesgericht vertritt die Auffassung, dass der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz dann verletzt wird, wenn identische Situationen aufgrund ihrer Ähnlichkeit nicht gleich behandelt werden oder wenn unterschiedliche Situationen aufgrund ihrer Unterschiede nicht unterschiedlich behandelt werden40. Daraus lässt sich ableiten, dass eine positive Ungleichbehandlung - d.h. die Ergreifung von spezifischen Massnahmen zugunsten von besonders benachteiligten Gruppen, die darauf abzìe38

39 40

1310

Erläuternder Bericht, § 39.

MÜLLER, J.-P.: Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung. Bern, 1991,

S. 214.

Vgl. u.a. BGE110 la 13 mit Hinweisen.

len, eine frühere oder eine aktuelle Diskriminierung zu korrigieren - aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht nur zulässig ist, sondern sich unter gewissen Umständen sogar aufdrängen kann41.

Obwohl Artikel 4 BV sehr restriktiv formuliert wurde, richtet er sich nach Auffassung der Rechtslehre und der Rechtsprechung nicht nur an die Behörden, die für den Vollzug des Rechts zuständig sind, sondern auch an den Gesetzgeber42- Angesichts des relativ abstrakten Charakters der bundesgerichtlichen Formulierung der Gleichbehandlung verfügt der Gesetzgeber bei der Ausarbeitung von Gesetzen jedoch über einen grossen Ermessensspielraum.

Die Gleichbehandlung vor dem Gesetz und das Dtskriminierungsverbot ergeben sich in der Schweiz auch aus anderen, internationalen Instrumenten (EMRK, Internationale Pakte im Bereich der Menschenrechte43, Internationales Übereinkommen von 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung44).

23.2

Erhaltung und Entwicklung der Kultur, Verzicht auf erzwungene Assimilierung (Art. 5)

Dieser Artikel soll im wesentlichen gewährleisten, dass Personen, die einer nationalen Minderheit angehören, ihre Kultur erhalten und pflegen sowie die wesentlichen Elemente ihrer Identität, d.h. ihre Religion, ihre Sprache, ihre Traditionen und ihr kulturelles Erbe, bewahren können.

Paragraph l verankert die Verpflichtung, die zur Verwirklichung dieses Ziels notwendigen Bedingungen zu fördern. Er zählt die Religion, die Sprache, die Traditionen und das kulturelle Erbe als wesentliche Elemente der Identität einer nationalen Minderheit auf. Er besagt jedoch nicht, dass das blosse Bestehen von ethnischen, kulturellen, sprachlichen oder religiösen Unterschieden zwangsläufig zur Entstehung von nationalen Minderheiten führt45. Im übrigen bedeutet der Verweis auf «Traditionen» nicht, dass dadurch Praktiken, die dem nationalen Recht oder internationalen Normen zuwiderlaufen, gebilligt oder akzeptiert würden. Die traditionellen Praktiken werden in der Tat durch die Einhaltung der öffentlichen Ordnung begrenzt40.

Gegenstand von Paragraph 2 ist der Schutz der Angehörigen nationaler Minderheiten vor jeder erzwungenen Assimilierung. Er verbietet weder eine freiwillige Assimilierung noch hindert er die Vertragsstaaten daran, im Rahmen ihrer allgemeinen Integrationspolitik entsprechende Massnahmen zu ergreifen47.

Die Kultur- und Sprachpolitik ist im wesentlichen eine Kompetenz der Kantone. Der neue Artikel 116 BV sieht in Absatz 2 vor, dass die Kantone das Verständnis und den Austausch zwischen den Sprachgemeinschaften zu fördern haben. Diese Ver41

42 43 44

45 46 47

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 2. März 1992 über den Beitritt der Schweiz zum Internationalen Übereinkommen von 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und über die entsprechende Strafrechtsrevision, Ziffer 521, BB1 1992 III 269 ff.

MÜLLER, G.: in: Commentaire de la constitution fédérale, Art. 4, Nr. 30; HAEFLIGER A.: Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern, 19S5, S. 60 ff.

SR 0.103.1 und SR 0.103.2 SR 0.104

Erläuternder Bericht, § 43.

Ibid., § 44. Vgl. auch die Artikel 20 und 21 des Rahmenübereinkommens.

Erläuternder Bericht, § 45-46.

1311

pflichtung gilt jedoch auch für den Bund. Die Erarbeitung eines Bundesgesetzes in diesem Bereich ist im Legislaturprogramm 1995-1999 vorgesehen48. Dieses Programm sieht auch vor, dass ein Bundesgesetz über die Amtssprachen verabschiedet wird. Artikel 116 Absatz 3 spricht im übrigen ausdrücklich davon, dass der Bund befugt ist, die von den Kantonen Graubünden und Tessin zugunsten der rätoromanischen und italienischen Schweiz getroffenen Massnahmen zu unterstützen. Das Bundesgesetz vom 6. Oktober 1995 über Finanzhilfen für die Erhaltung und Förderung der rätoromanischen und der italienischen Sprache und Kultur und seine Ausführungsverordnung, die am 1. August 1996 in Kraft getreten sind, stellen die rechtliche Grundlage dar, die es dem Bund erlaubt, die von den zwei betroffenen Kantonen in Betracht gezogenen Massnahmen zu unterstützen49. Es können in diesem Zusammenhang auch die Beiträge erwähnt werden, welche die Eidgenossenschaft über die Stiftung Pro Helvetia zugunsten von kulturellen Austauschprogrammen ausrichtet.

23.3

Massnahmen zur Förderung der Toleranz (Art. 6)

Nach Artikel 6 Paragraph l verpflichten sich die Vertragsparteien, darüber zu wachen, dass der Geist der Toleranz und der interkulturelle Dialog gefordert und wirksame Massnahmen zur Förderung der gegenseitigen Achtung und des gegenseitigen Verständnisses sowie der Zusammenarbeit zwischen allen in ihrem Hoheitsgebiet lebenden Menschen getroffen werden. Bildung, Kultur und Medien werden speziell erwähnt, da sie zur Verwirklichung der Ziele von besonderem Interesse sind. Im übrigen werden ihnen im Rahmenübereinkommen auch besondere Bestimmungen gewidmet. Paragraph 2 enthält die Pflicht, alle geeigneten Massnahmen zu treffen, um die Personen zu schützen, die aufgrund ihrer ethnischen, kulturellen, sprachlichen oder religiösen Identität Opfer von diskriminierenden, feindseligen oder gewalttätigen Drohungen oder Handlungen sein könnten.

Diese Bestimmungen entsprechen den Forderungen, die sich aus den Artikeln 6 und 7 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung ergeben, das für die Schweiz seit dem 29. Dezember 1994 in Kraft ist.

Der Bundesrat hat in seiner diesbezüglichen Botschaft vom 2. März 1992 einen nicht erschöpfenden Katalog der bereits getroffenen Massnahmen zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses zwischen den in unserem Land bestehenden Gemeinschaften aufgestellt50. Im Nachgang zu diesem Beitritt hat der Bundesrat am 23. August 1995 beschlossen, eine eidgenössische Kommission gegen den Rassismus einzusetzen, die insbesondere in den Bereichen Sensibilisierung und Vorbeugung aktiv ist. Bezüglich der Massnahmen zum Schutze von Personen, die diskriminierenden oder gewalttätigen Drohungen oder Handlungen ausgesetzt sein könnten, sei daran erinnert, dass die Schweiz seit dem 1. Januar 1995 über strafrechtliche Bestimmungen verfügt, welche gewisse diskriminierende Handlungen oder Absichten gegenüber Personen oder Personengruppen aufgrund ihrer Rasse, ihrer Herkunft oder Religion unter Strafe stellt51.

48

W

50

51

BB11996II 293.

SR 441.3 BB11992 III 269 ff., Ziffer 81.

Artikel 261bis des Schweizerischen Strafgesetzbuches (SR 311.0} und Artikel I71c des Militärstrafgesetzbuches (SR 321.0).

1312

23.4

Versammlungs-, Vereins-, Meinungsäusserungs-, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 7, 8 und 9)

In den Artikeln 7, 8 und 9 des Rahmenübereinkommens werden einige Grundfreiheiten übernommen, die bereits durch die EMRK geschützt werden. Dieser Einbezug erklärt sich mit dem Willen, eine gewisse Vollständigkeit zu gewährleisten, und mit der Tatsache, dass das Rahmenübereinkommen auch Nichtmitgliedstaaten des Europarates offensteht52. Die in den Artikeln 7-9 erwähnten Rechte haben denn auch für Angehörige nationaler Minderheiten eine besondere Bedeutung.

Artikel 9 enthält wichtige Grundsätze im Bereich der Nichtdiskriminierung beim Zugang zu den Medien. Paragraph 4 dieser Bestimmung konkretisiert die relevanten Bestimmungen der EMRK, indem er von den Vertragsparteien verlangt, dass sie im Rahmen ihrer Rechtsordnung dafür sorgen, geeignete Massnahmen zu treffen, um den Angehörigen nationaler Minderheiten den Zugang zu den Medien zu erleichtern sowie Toleranz zu fördern und kulturellen Pluralismus zu ermöglichen. Diese Bestimmung verdeutlicht somit - im wichtigen Bereich der Medien - Artikel 6 des Rahmenübereinkommens, In der Schweiz schreibt Artikel 3 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 199l53 über Radio und Femsehen in bezug auf den Auftrag der Radio- und Fernsehgesellschaften vor, dass dem kulturellen und sprachlichen Pluralismus des Landes sowie der Förderung des Verständnisses zwischen den Völkern Rechnung zu tragen ist. Diese Grundsätze stehen auch in den Konzessionen, die den Radio- und Fernsehunternehmen erteilt werden. Auch wenn die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) für ihre Programme faktisch eigenständig verantwortlich ist, so ist sie doch im Besitze einer Sendekonzession, die ihr eine Verantwortung im allgemeinen Interesse auferlegt. Ganz allgemein entsprechen die in den Artikeln 7-9 des Rahmenübereinkommens enthaltenen Grundsätze denjenigen Rechten, die durch die schweizerische Bundesverfassung, die EMRK oder den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte54 geschützt sind.

23.5

Garantien im Bereich der Sprachen

Die Artikel 10, 11, 13 und 14 des Rahmen Übereinkommens enthalten Grundsätze zu verschiedenen Aspekten der Sprachenfreiheit. Angesichts ihrer Bedeutung ist es angebracht, Inhalt und Tragweite jedes einzelnen Artikels zu analysieren, bevor der Inhalt der Erklärung angesprochen wird, die der Bundesrat auf der Grundlage der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens abzugeben vorschlägt.

52

Erläuternder Bericht, § 25.

53

SR 784.40

54

SR 0.103.2

1313

23.51 23.511

Gebrauch der Minderheitensprache (Art. 10) Gebrauch der Minderheitensprache in den Beziehungen zwischen Individuen und im Verkehr mit den Verwaltungsbehörden (Paragr. l und 2)

Paragraph l nennt ein grundlegendes Prinzip des Schutzes von Angehörigen nationaler Minderheiten: das Recht, die eigene Minderheitensprache ungehindert und ohne Beeinträchtigung zu benutzen, im privaten Rahmen wie in der Öffentlichkeit, mündlich wie schriftlich. Die Benützung der Minderheitensprache stellt für die Personen, die einer nationalen Minderheit angehören, eines der wichtigsten Mittel zur Behauptung und Wahrung ihrer Identität dar. Sie ist aber für diese Personen auch ein Mittel zur freien Meinungsäusserung. Der Begriff «in der Öffentlichkeit» bedeutet zum Beispiel auf einem öffentlichen Platz, draussen oder in Gegenwart anderer Personen. Er bezieht sich jedoch keinesfalls auf den Verkehr mit den öffentlichen Behörden, der in Paragraph 2 dieser Bestimmung behandelt wird55.

Sofern verschiedene kumulative Bedingungen erfüllt sind (d.h. ein geographisches Gebiet, das traditionell oder in substantieller Zahl von Angehörigen einer nationalen Minderheit bewohnt wird, entsprechender Wunsch seitens der Angehörigen dieser nationalen Minderheit, tatsächliches Bedürfnis), sieht Paragraph 2 vor, dass die Vertragsstaaten soweit als möglich die Voraussetzungen gewährleisten, die es den Mitgliedern einer nationalen Minderheit erlauben, die Minderheitensprache in ihrem Verkehr mit den Verwaltungsbehörden zu gebrauchen. In Anbetracht der Schwierigkeiten finanzieller, administrativer und technischer Art, die sich aus dem Vollzug dieses Grundsatzes ergeben könnten, ist die Bestimmung bewusst sehr elastisch formuliert und räumt den staatlichen Behörden einen grossen Ermessensspielraum ein. Die Verpflichtung der Vertragsstaaten in bezug auf den Gebrauch der Minderheitensprachen beeinträchtigt in keiner Art und Weise die Stellung der Amtssprache oder der Amtssprachen des betreffenden Landes56. Im übrigen wurden im Rahmenübereinkqmmen die «geographischen Gebiete, die traditionell oder in substantieller Zahl von Angehörigen einer nationalen Minderheit bewohnt werden» absichtlich nicht definiert, um den besonderen Situationen in den betroffenen Staaten Rechnung zu tragen57.

In der Schweiz ist die Sprachenfreiheit seit 1965 vom Burtdesgericht als ungeschriebenes Verfassungsrecht anerkannt58. Sie entspringt, wenigstens teilweise, auch Artikel 27 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte59. Die
Sprachenfreiheit ist eine Bedingung für die Ausübung der anderen Freiheiten, insbesondere der Meinungsäusserungsfreiheit, der Pressefreiheit und der politischen Rechte.

Sie garantiert den Gebrauch der Muttersprache, sowohl mündlich als auch schriftlich®.

Die Sprachenfreiheit bezieht sich in erster Linie auf die Beziehungen zwischen Privatpersonen. Die strikt persönlichen Beziehungen bilden den harten Kern der Frei55

5o

5 ?

58 59

00

1314

Erläuternder Bericht, § 63.

ibid.

Ibid.

BGE 911480.

KÄLIN, W., MALINVERNI, G. & NOVAK, M.: La Suisse et les Pactes des Nations Unies relatifs aux droits de l'homme, Basel, Helbing & Lichtenhahn, 1991, S. 44-45 und 214 ff.

BGE 116 la 346.

heil, der gegen jegliche Einmischung der Behörden geschützt ist. Zwar sind Einschränkungen zulässig, wenn es darum geht, den öffentlichen Rahmen der Beziehungen zwischen Privatpersonen zu regeln. Dies darf jedoch nur dann geschehen, wenn folgende Bedingungen kumulativ erfüllt werden: Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage, Vorliegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses sowie Einhaltung der Verhältnismässigkeit der Massnahme. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, hat jede Person Anspruch auf Sprachenfreiheit, und zwar unabhängig von der Sprache, in welcher sie sich ausdrückt (d.h. nicht nur die Angehörigen einer Minderheit). Somit, geht der Schutz, der durch das schweizerische Recht garantiert wird, weiter als die Anforderungen des Rahmenübereinkommens.

Die Sprachenfreiheit gibt dem einzelnen einerseits das Recht, seine Sprache in den Beziehungen zum Staat zu benützen, und andererseits das Recht, in seiner Sprache unterrichtet zu werden und diese erlernen zu können. Dieses Recht ist durch die Regeln in bezug auf die Verwendung der Amtssprachen auf eidgenössischer und kantonaler Ebene eingeschränkt. Das Bundesgericht erachtet es als zulässig, die Sprachenfreiheit in diesen Fällen einzuschränken, wenn dies durch das Prinzip der Territorialität der Sprachen begründet ist01.

23.512

Garantien in bezug auf den Gebrauch einer Sprache in strafrechtlichen Angelegenheiten (Paragr. 3)

Artikel 10 Paragraph 3 bezweckt das Recht jeder Person, die einer nationalen Minderheit angehört, innerhalb kürzester Zeit und in einer Sprache, die sie versteht (die aber nicht notwendigerweise die Minderheitensprache sein muss), über die Gründe ihrer Verhaftung sowie über die Art und den Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung informiert zu werden und sich in dieser Sprache verteidigen zu können.

Dieser Paragraph widerspiegelt die Substanz von Artikel 5 und 6 der EMRK sowie jene von Artikel 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte.

Anlässlich der Ratifizierung der EMRK hat die Schweiz eine erläuternde Erklärung (die eigentlich als Vorbehalt angesehen werden muss) abgegeben62. Diese bestimmt, dass die Unentgeltlichkeit des Beistandes eines Dolmetschers die begünstigte Person nicht endgültig von der Zahlung der entsprechenden Kosten befreit63. Die Gültigkeit

ol

Vgl. BGE 106 la 302,1211 196 und nicht veröffentlichter Entscheid 2 P.179/I996 vom 22.1.97. Die Sprachenfreiheit und das Territorialitätsprinzip waren Gegenstand wichtiger Diskussionen anlässlich der Revision von Artikel 116 der Bundesverfassung (AB 1992 S 1057 ff.; AB 1993 N 1559 ff.). Zu den Vorschlägen des Bundesrates zur Reform der Verfassung vgl. die Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung, BB11997 I 163. In der Lehre, vgl. insbesondere MAL1NVERNI, G.: «Liberté de la langue», in: Commentaire de la Constitution fédérale; MORAND, CH.-A.: «Liberté de la langue et principe de territorialité: Variations sur un thème encore méconnu», RDS, 1993, Bd. 112, S. 20 ff.; MALINVERNI, G.: «La protection des minorités en Suisse», 4' Colloque juridique international sur les «Minorités et organisation institutionnelle», Monoton, 22.-27. September 1996; WYSS, M.P.: «Das Sprachenrecht der Schweiz nach der Revision von Art. 116 BV», ZSR, 1997, Bd. 116, S. 141 ff.

" Vgl. Rapport de gestion 1988, EDA, Direktion für Völkerrecht, Kap. IV, S. 48.

03 SR 0.101. Ein Vorbehalt ähnlichen Inhalts wurde anlässlich des Beitritts zum Internationalen Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte (SR 0.103.2) abgegeben.

1315

dieses Vorbehaltes ist umstritten64. Der Bundesrat ist der Meinung, dass die aus Artikel 10 Paragraph 3 des Rahmenübereinkommens resultierende Pflicht heute vorbehaltlos anerkannt werden muss.

23.52

Führung des Familiennamens und Formulierung der geographischen Angaben in der Minderheitensprache (Art. 11)

Artikel 11 Paragraph l verpflichtet die Staaten, das Recht jeder einer nationalen Minderheit angehörigen Person, ihren Familiennamen (oder ihren Vaternamen) und ihre Vornamen in der Minderheitensprache zu führen, sowie das Recht auf deren amtliche Anerkennung nach den in ihren Rechtsordnungen vorgesehenen Modalitäten. Sein Hauptziel besteht darin zu verhindern, dass Personen gezwungen werden, ihren Namen aufzugeben, oder dass ihr Name durch die Behörden gewaltsam geändert wird, und zwar aus dem alleinigen Grund, dass diese Personen Angehörige einer nationalen Minderheit sind, wie dies in der Vergangenheit in gewissen Ländern vorgekommen ist.

Nach Artikel 11 Paragraph 2 muss Personen, die einer nationalen Minderheit angehören, das Recht gewährt werden, Schilder, Inschriften und andere Informationen privater Art in ihrer Minderheitensprache für die Öffentlichkeit sichtbar anzubringen. Dieses Recht, das sich in der Schweiz aus der Sprachenfreiheit ableitet, hindert die Vertragsparteien jedoch nicht daran vorzusehen, dass solche Beschriftungen auch in der Amtssprache oder in den Amtssprachen des Landes verfasst werden65.

Der Ausdruck «privater Art» bezieht sich auf alles, was keinen offiziellen Charakter hat66.

Paragraph 3 bezweckt die Förderung der Möglichkeit, für Ortsbezeichnungen, Strassennamen und andere topographische Hinweise, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, auch die Minderheitensprache zu benutzen. Die Vertragsstaaten können diese Bestimmung unter sorgfältiger Berücksichtigung ihrer spezifischen Bedingungen und ihrer Rechtsordnung vollziehen67. Ausserdem verpflichtet das Rahmen übereinkommen die Vertragsstaaten nur, sich zu bemühen, die traditionellen Bezeichnungen in der Minderhettensprach'e zu benutzen. Diese Verpflichtung ist überdies an zwei 04

65

66

ö7

1316

Die Erwägungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes im Fall Weber vom 22. Mai 1990 (Série A, Bd. 177) lassen annehmen, dass diese Erklärung nicht mit dem in Artikel 64 Paragraph 2 EMRK, statuierten Prinzip, dass ein Vorbehalt von einer «kurzen Inhaltsangabe des betreffenden Gesetzes» begleitet sein muss, vereinbar ist.

Das Bundesgericht hat sich offen die Frage der Gültigkeit dieses Schweizer Vorbehaltes gestellt (Urteil vom 17. Dezember 1991, G.F. c/ Cour de Justice du canton de Genève, teilweise veröffentlicht in: RSDIE, 1992/2, S. 486 ff.). Vgl. auch VILLIGER, M.E.: Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, Schulthess, Zürich, 1993, S.

26, Nr. 37.

Erläuternder Bericht, § 69. Das Bundesgericht hat in einem konkreten Anwendungsfall entschieden, dass die Verweigerung einer Bewilligung für ein italienisches Firmenschild in einer Gemeinde des Kantons Graubünden, die mehrheitlich romanisch ist, nicht gegen-die Sprachenfreiheit verstösst (BGE116 la 345). Eine solche, die Sprachenfreiheit einschränkende Regelung scheint nicht von Anfang an ausgeschlossen. Sie hängt aber vom Vorhandensein eines öffentlichen Interesses, von der Einhaltung der Verhältnismüssigkeit sowie von einer Abwägung der vorliegenden Interessen ab. Vgl. MALINVERNI, G.: op. cit., S. 20. Vgl. auch supra, Ziffer 23.511.

Erläuternder Bericht, § 69.

Ibid., § 70.

Bedingungen geknüpft: Erstens muss man sich in einer Region befinden, die traditionell oder von einer substantiellen Zahl von Angehörigen einer nationalen Minderheit bewohnt wird und zweitens bedarf es einer ausreichend grossen Nachfrage. Die restriktiven Bedingungen dieses Grundsatzes erklären sich durch den sehr sensiblen Charakter seiner Anwendung in gewissen mittel- und osteuropäischen Staaten68.

23.53

Recht, die Minderheitensprache zu erlernen und dazu entsprechende Bildungsstätten einzurichten (Art. 14 Paragr. l und Art. 13)

Nach Artikel 14 Paragraph l verpflichten sich die Vertragsparteien, jeder Person, die einer nationalen Minderheit angehört, das Recht zuzuerkennen, die eigene Minderheitensprache zu erlernen. Eine solche Verpflichtung stellt für diese Personen eines der wichtigsten Mittel dar, ihre Identität zu behaupten und zu bewahren. Da diese Bestimmung das eigentliche Kernstück des Grundsatzes der Sprachenfreiheit ausmacht und sie für den Staat zu keinerlei positiven Verpflichtungen führt, lässt sie keine Ausnahmen zu.

In der Schweiz wird dieses Recht durch die Sprachenfreiheit geschützt und gewissermassen auch durch die EMRK sowie durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte.

Artikel 13 verlangt von den Staaten, dass sie im Rahmen ihres Erziehungswesens den Angehörigen einer nationalen Minderheit das Recht zuerkennen, eigene private Bildungs- und Ausbildungsstätten einzurichten und zu betreiben. Paragraph 2 dieser Bestimmung betont ausdrücklich, dass die Ausübung dieses Rechts für die Vertragsparteien keinerlei finanzielle Verpflichtungen mit sich bringt.

In der Schweiz kann die Einrichtung von privaten Schulen und Bildungsstätten namentlich an die Sprachen-, die Meinungsäusserungs-, die Vereins-, die Glaubensund Gewissensfreiheit (Art. 49 BV) und gegebenenfalls sogar an die Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 B V) geknüpft werden. Sie ist jedoch einer Kontrolle durch die zivilen Behörden unterworfen, die über die Bewilligung zur Eröffnung oder zum Betreiben und die Anerkennung der erteilten Schulabschlüsse ausgeübt wird (vgl.

insbesondere Art. 27 Abs. 2 BV). Diese Kontrolle soll vor allem gewährleisten, dass der Inhalt und die Qualität des Unterrichts den geforderten Standards entspricht und nicht dazu geeignet ist, die Grundrechte und die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler zu beeinträchtigen. Solche Regelungen sind mit dem Rahmenübereinkommen kompatibel. Der Erläuternde Bericht erwähnt ausdrücklich, dass die in Artikel 13 enthaltene Verpflichtung sich unter dem Vorbehalt der im Bereich des Erziehungswesens anwendbaren Bestimmungen versteht und. dass die privaten Institutionen den gleichen Kontrollen unterstellt werden können wie die anderen Einrichtungen, namentlich was die Qualität des Unterrichts betrifft09.

68 69

BoiLLAT, PH.: op. cit., S. 1288, Anm. 22.

Erläuternder Bericht, § 72.

1317

23.54

Erlernen der Minderheitensprache oder Unterricht in dieser Sprache (Art. 14 Paragr. 2 und 3)

Artikel 14 Paragraph 2 betrifft gleichzeitig den Unterricht in der Minderheitensprache sowie den Unterricht der Minderheitensprache. Um möglichen Schwierigkeiten finanzieller, administrativer und technischer Natur des Unterrichts der oder in der Minderheitensprache Rechnung zu tragen, wurde die Bestimmung bewusst flexibel formuliert, so dass den Vertragsparteien ein grosser Ermessensspielraum überlassen wird. Die Verpflichtung, bestrebt zu sein, einen solchen Unterricht sicherzustellen, hängt von verschiedenen Elementen ab. Es ist namentlich notwendig, dass man sich in einem geographischen Gebiet befindet, das traditionell oder in substantieller Zahl von Angehörigen nationaler Minderheiten bewohnt wird, und dass eine hinreichende Nachfrage danach besteht. Auf jeden Fall bedeutet die Formulierung «so weit wie möglich», dass dieser Unterricht von den verfügbaren Mitteln der betroffenen Körperschaft abhängt^O. Paragraph 3 präzisiert, dass diese Bestimmung so umzusetzen ist, dass das Erlernen der Amtssprache oder der Unterricht in dieser Sprache nicht berührt werden.

In der Schweiz limitiert das Terri tori ali tätsprinzi p die Möglichkeit, in seiner Muttersprache unterrichtet zu werden71. Das Bundesgericht bindet diese Möglichkeit dennoch an die Sprachenfrei hei't72.

23.55

Tragweite der auf die Sprachenfreiheiten anwendbaren Grundsätze für die Schweiz

Wie aus dem Vorangegangenen hervorgeht, enthält das Rahmenübereinkommen verschiedene Bestimmungen im Bereich der Sprachen. Anlässlich des Vemehmlassungsverfahrens haben gewisse Kantone und interessierte Kreise gewünscht, dass ein Vorbehalt oder eine Erklärung angebracht wird, um auf die Regeln zum Gebrauch der Amtssprachen oder auf das Sprachen terri torialitätsprinzip hinzuweisen.

Es ist angebracht, die Zweckmässigkeit eines solchen Vorbehalts oder einer solchen Erklärung zu prüfen.

Unter den Bestimmungen des Rahmenübereinkommens im Bereich der Sprachen sind diejenigen, die den Gebrauch der Sprache im Privatbereich betreffen, in absoluteren Begriffen formuliert. Dies ist insbesondere der Fall in Artikel 10 Paragraph l, Artikel 11 Paragraph l und 2 und Artikel 14 Paragraph I. Diese Bestimmungen sind in der Schweiz durch die Sprachenfreiheit, die das Bundesgericht als ungeschriebenes Verfassungsrecht anerkannt hat, bereits gedeckt. Weder die aktuelle Garantie, wie sie sich aus dem ungeschriebenen" Verfassungsrecht ergibt, noch das Rahmenübereinkommen schliessen Beschränkungen der Sprachenfreiheit aus, wenn es sich um Beziehungen zwischen Individuen handelt, die in den Bereich der Öffentlichkeit fallen (Unterricht, Werbung, Firmenschilder, usw.). Diese Massnahmen müssen jedoch die üblichen Bedingungen im Bereich der Einschränkung von Grundrechten respektieren, d.h. es muss eine gesetzliche Grundlage und ein überwiegendes, öffentliches Interesse vorhanden sein und die Vernaitnismässigkeit muss gewahrt bleiben.

70 71 72

Ibid., § 75.

BGE 911486; 100 la 302; 122 I 236.

BGE 122 I 236.

1318

Wenn, das Rahmenübereinkommen Grundsätze aufstellt, welche positive Verpflichtungen des Staates beinhalten, dann benützt es in der Regel sehr elastische Formulierungen. So sind die Artikel 10 Paragraph 2, 11 Paragraph 3 und 14 Paragraph 2 so formuliert, dass sie den staatlichen Behörden einen besonders weiten Ermessensspielraum lassen.

Nach Ansicht des Bundesrates rechtfertigen es die Grundsätze des Rahmenübereinkomrnens im Bereich der Sprachen nicht, einen Vorbehalt anzubringen"". Angesichts der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens beantragt der Bundesrat jedoch, anlässlich der Ratifikation folgende Erklärung zu formulieren: «Die Bestimmungen des Rahmenübereinkommens über den Gebrauch der Sprachen im Verkehr zwischen Privatpersonen und Verwaltungsbehörden sind anwendbar, ohne die Grundsätze, welche die Eidgenossenschaft und die Kantone für die Festlegung der Amtssprachen befolgen, zu beeinträchtigen.»

23.6

Massnahmen zugunsten der Toleranz im Bereich der Bildung und der Forschung (Art. 12)

Dieser Artikel behandelt die Bereiche der Bildung und der Forschung und widerspiegelt die Philosophie der Autorinnen und Autoren des Rahmenübereinkommens, mit anderen Worten: die Förderung der toleranten Gesinnung und des interkulturellen Dialogs. In diesem Sinne stellt er eine Ergänzung zu Artikel 6 Paragraph l des Rahmenübereinkommens dar. Die Förderung der Kenntnis von Kultur, Geschichte, Sprache und Religion der nationalen Minderheiten (Paragraph 1) bei gleichzeitiger Erleichterung der Kontakte zwischen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern der verschiedenen Gemeinschaften (Paragraph 2) ist eines der Mittel, dessen Umsetzung durch das Rahmenübereinkommen gefördert werden soll, um ein Gleichgewicht sicherzustellen zwischen dem legitimen Interesse der nationalen Minderheiten, ihre Identität zu bewahren, und der Sorge .des Staates, die Angehörigen dieser Minderheiten zu integrieren, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken74.

Paragraph 3 verpflichtet die Staaten schliesslich, die Chancengleichheit der Angehörigen von nationalen Minderheiten beim Zugang zu allen Bildungsebenen zu fördern.

In der Schweiz sind Bildung und Forschung in erster Linie Sache der Kantone. Diese bemühen sich auf unterschiedliche Weise, das Verständnis und die Toleranz zwischen den Kulturen zu fördern, und unterstützen entsprechende Aktivitäten seitens der Privatpersonen. Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und Erziehungsdirektoren (EDK) hat unterstrichen, dass die Schule auf allen Stufen die Pflicht hat, Schülerinnen und Schüler zum Respekt des Nächsten, zur Toleranz zwischen religiösen, ethnischen, sozialen und anderen Gruppen sowie zum Frieden zwischen den Völkern zu erziehen7^. Der Bund unterstützt verschiedene Aktionen in diesem Bereich im Rahmen seiner Jugendpolitik und mittels Bundesbeiträgen. Die bis zum heutigen Tage von den Gemeinden, den Kantonen und 73

TM 75

Es kann festgehalten werden, dass bis heute kein Staat einen Vorbehalt in bezug auf das Rahmeniibereinkommen angebracht hat.

BOILLAT, PH.: op. cit., S. 128S.

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 2. März 1992 über den Beitritt der Schweiz zum Internationalen Übereinkommen von 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und über die entsprechende Strafrechtsrevision, Ziffer 81, BBI 1992 III 269 ff.

1319

vom Bund entfalteten Aktivitäten entsprechen den Grundsätzen von Artikel 12 des Rahmenübereinkommens und verdienen es, weitergeführt zu werden.

23.7

Beteiligung der nationalen Minderheiten am kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben sowie an den öffentlichen Angelegenheiten (Art. 15)

Nach Artikel 15 des Rahmen Übereinkommens verpflichten sich die Vertragsparteien, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen für die tatsächliche und wirksame Beteiligung von Angehörigen nationaler Minderheiten" am kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben sowie an den öffentlichen Angelegenheiten, insbesondere an jenen, die sie betreffen.

Das föderalistische System der Schweiz garantiert eine Vertretung der in einem bestimmten Gebiet lebenden Minderheiten innerhalb der eidgenössischen Institutionen und lässt den Kantonen und den Gemeinden eine organisatorische Autonomie. Es stellt damit ein besonders angemessenes Mittel dar, um die Ziele des Artikels 15 des Rahmenübereinkommens zu erfüllen76. Um eine Teilnahme der Gesamtheit der nationalen Minderheiten, ob diese nun in einer bestimmten Region leben oder nicht, an den öffentlichen Angelegenheiten zu garantieren, können und müssen andere Mittel benutzt werden. So ist es zum Beispiel wichtig, die repräsentativen Organisationen der verschiedenen nationalen Minderheiten bei der Erarbeitung von Gesetzesentwürfen, die sie betreffen, zu konsultieren oder miteinzubeziehen.

23.8

Gebietsänderungen und Umsiedlung von Personen (Art. 16)

Artikel 16 verbietet Massnahmen, welche die relativen BevölkerungsVerhältnisse in geographischen Gebieten ändern, in denen Personen leben, die einer nationalen Minderheit angehören, und dadurch eine Einschränkung der Rechte und Freiheiten herbeiführen, die im Rahmenübereinkommen verankert'sind. Bei diesen Massnahmen handelt es sich beispielsweise um Enteignungen, Ausweisungen oder Grenzänderungen der Verwaltungsbezirke, welche die Absicht verfolgen, diese Rechte und Freiheiten einzuschränken.

Dieser Artikel stellt eine klare Verurteilung jeglicher Politik dar, die eine «ethnische Säuberung» beabsichtigt. Es sei ausserdem daran erinnert, dass die Staaten nach Artikel 6 Paragraph 2 verpflichtet sind, alle geeigneten Massnahmen zum Schutze von Personen zu treffen, welche diskriminierenden, feindseligen oder gewalttätigen Drohungen oder Handlungen ausgesetzt sein können.

76

Vgl. MAUNVERNI, G.: «Fédéralisme et protection des minorités en Suisse», Europäische Kommission für Demokratie durch Recht, 8. Oktober 1991, Dok. CDL (91) 21; KOLLER, A.: «Fédéralisme, régionalisme et protection des minorités», Rapport introductif présenté par le Ministre suisse de la justice à la Conférence des Ministres européens de la justice, Lugano, 22. Juni 1993, Dok. MJU-RI (93)1.

1320

23.9

Internationale Kontakte der Angehörigen nationaler Minderheiten und Teilnahme an den Arbeiten von Nichtregierungsorganisationen (Art. 17)

Dieser Artikel enthält zwei Verpflichtungen, die für die Erhaltung und die Entwicklung der Kultur von Angehörigen nationaler Minderheiten sowie für die Bewahrung ihrer Identität nach Artikel 5 des Rahmenübereinkommens wichtig sind. Paragraph l sieht vor, dass die Vertragsstaaten das Recht der Personen, die einer nationalen Minderheit angehören, ungehindert und in friedlicher Absicht Kontakte über die nationalen Grenzen hinaus aufzunehmen und zu pflegen, nicht behindern. Paragraph 2 seinerseits räumt das Recht ein, an den Aktivitäten nichtstaatlicher nationaler oder internationaler Organisationen teilzunehmen. Diese beiden Bestimmungen beruhen zu einem grossen Teil auf den Paragraphen 32.4 und 32.6 des Dokuments des OSZE-Treffens von Kopenhagen über die menschliche Dimension77. Sie verdeutlichen nur die Rechte, die sich aus der Meinungsäusserungsfreiheit sowie aus der Vereinsfreiheit ergeben und die in der Schweiz durch das Verfassungsrecht, durch die EMRK sowie durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte garantiert sind.

23.10

Internationale Abkommen und grenzüberschreitende Zusammenarbeit (Art. 18)

Artikel 18 ermutigt die Vertragsparteien, da wo besondere Situationen es rechtfertigen, bilaterale oder multilaterale Abkommen zum Schutze der nationalen Minderheiten abzuschliessen. Dieser Weg soll den Staaten erlauben, auf der Grundlage der Prinzipien des Rahmenübereinkommens, «massgeschneiderte» Lösungen für die spezifischen Probleme zu finden. Es handelt sich dabei um ein wichtiges Mittel, um die Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit den nationalen Minderheiten unter den Staaten zu verringern oder zu vermeiden. Erwähnenswert sind insbesondere die verschiedenen bilateralen Abkommen über Zusammenarbeit und gute Nachbarschaft, die in den vergangenen Jahren von Deutschland und Ungarn mit ihren Nachbarländern, in welchen Minderheiten deutscher oder ungarischer Sprache leben, abgeschlossen wurden78.

Ausserdem regt Artikel 18 zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit an und entspricht der Politik des Bundesrates, so wie sie in seinem Bericht vom 7. März 1994 über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik79 umschrieben wird.

23.11

Abweichungen von den Grundsätzen des Rahmenübereinkommens (Art. 19)

Diese Bestimmung sieht die Möglichkeit von eventuell erforderlichen Beschränkungen, Einschränkungen oder Abweichungen vor. Sind die im Rahmenübereinkommen verankerten Verpflichtungen ebenfalls in anderen internationalen Instrumenten ge-

77

Vgl.Jtt»ra, Ziffer 122.

78

Ibid.

79

BB11994 II620.

1321

regelt, insbesondere in der EMRK, sind allein die Beschränkungen, Einschränkungen und Abweichungen oder Ausnahmen zulässig, die1 in diesen Instrumenten vorgesehen sind. Sind die im Rahmenübereinkommen verankerten Verpflichtungen in ·einem anderen internationalen Instrument hingegen nicht Gegenstand einer entsprechenden Bestimmung, so kommen die in diesen Instrumenten für andere Verpflichtungen vorgesehenen Einschränkungsbedingungen, insoweit sie relevant sind, analog zur Anwendung80.

Die Bedingungen für eine Abweichung werden also in Anlehnung an andere internationale Instrumente, insbesondere die EMRK, aufgestellt. Diese sieht vor, dass alle Beschränkungen oder Einschränkungen der von ihr garantierten Rechte durch das Gesetz vorgesehen sein und in einer demokratischen Gesellschaft eine Massnahme darstellen müssen, die für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, die Verteidigung der Ordnung, den Schutz der Gesundheit und der Moral oder den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (vgl. zum Beispiel Art. 8 § 2 EMRK). Abweichungen von gewissen garantierten Rechten sind ebenfalls möglich, wenn Kriegsereignisse oder Öffentliche Gefahren den Fortbestand des Staates gefährden (Art. 15 EMRK). Schliesslich dürfen die gestatteten Einschränkungen der Rechte und Freiheiten nicht für andere Zwecke als die vorgesehenen angewendet werden (Art. 18 EMRK).

24

Auslegung und Anwendung des Rahmenübereinkommens

Abschnitt III enthält die Bestimmungen in bezug auf die Auslegung und den Vollzug des Rahmenübereinkommens (Art. 20 bis 23).

Nach Artikel 20 haben die Angehörigen nationaler Minderheiten bei der Ausübung der Rechte, die sich aus den Grundsätzen des Rahmenübereinkommens ergeben, die innerstaatliche Gesetzgebung und die Rechte anderer zu achten. Artikel 21 dehnt diese Vorschrift auf die völkerrechtliche Ebene aus. Er macht deutlich, dass aus dem Rahmenübereinkommen kein Recht abgeleitet werden kann, irgendwelche Tätigkeiten auszuüben oder Handlungen vorzunehmen, die den fundamentalen Grundsätzen des Völkerrechts zuwiderlaufen.

Artikel 22, der sich an Artikel 60 der EMRK anlehnt, beinhaltet einen Vorbehalt zugunsten der Anwendung von innerstaatlichen oder internationalen Rechtsvorschriften über Menschenrechte und Grundfreiheiten, die für die geschützten Personen vorteilhafter wären. Artikel 23 weist zudem darauf hin, dass das Rahmenübereinkommen die in der EMRK verankerten Rechte und Freiheiten nicht abändert.

25

Kontrollmechanismus

Abschnitt IV des Rahmenübereinkommens führt einen Kontrollmechanismus zur Überwachung des Vollzugs durch die Vertragsparteien ein.

Die Verantwortung für die Überwachung des Vollzugs des Rahmenübereinkommens obliegt dem Ministerkomitee des Europarates (Art. 24). Die Staaten sind gehalten, dem Ministerkomitee ein Jahr nach Inkrafttreten des Rahmenübereinkommens einen ersten Bericht und danach periodisch oder auf Verlangen des Ministerkomitees wei80

1322

Erläuternder Bericht, § 88.

tere Berichte vorzulegen (Art. 25). Die Übertragung der Kontrolle des Rahmenübereinkommens an ein politisches Organ, das Ministerkomitee, statt an ein unabhängiges Expertengremium ist zweifellos eine Schwäche des Rahmenübereinkommens.

Es ist jedoch vorgesehen, dass das Ministerkomitee durch einen beratenden Ausschuss unterstützt wird, der die Prüfung der innerstaatlichen Massnahmen vorbereitet, die von den einzelnen Vertragsstaaten getroffen wurden. Das Ministerkomitee bestimmt die Zusammensetzung und die Geschäftsordnung des beratenden Ausschusses innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Rahmen Übereinkommens (Art. 26).

Es wurden weder der Mechanismus der Staatsbeschwerde noch jener der Individualbeschwerde berücksichtigt. Dies erklärt sich mit der Tatsache, dass einige im Rahmenübereinkommen enthaltene Grundsätze nur schwer mit einem internationalen Kontrollmechanismus, wie ihn die EMRK vorsieht und der einen beinahe rechtlichen Charakter gehabt hätte, vereinbar sind.

26

Schlussbestimmungen

Gegenstand der Artikel 27 bis 32 sind die Schlussbestimmungen des Rahmenübereinkommens, die sich nach den Schlussklauseln richten, die für Übereinkommen und Abkommen innerhalb des Europarates üblich sind.

Das Rahmenübereinkommen liegt für die Mitgliedstaaten des Europarates zur Unterzeichnung auf. Auf Einladung des Ministerrates kann das Rahmenübereinkommen auch von anderen Staaten unterzeichnet werden (Art. 27 und 29). Diese Möglichkeit wurde insbesondere für diejenigen Staaten der OSZE geschaffen, die nicht Mitglied des Europarates sind81. Die für das Inkrafttreten des Rahmenübereinkommens erforderliche Anzahl von 12 Ratifikationen oder Beitrittserklärungen (Art. 28) ist erreicht. Das Rahmenübereinkommen wird am 1. Februar 1998 in Kraft treten.

3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

In Übereinstimmung mit einer konstanten Praxis des Ministerkomitees des Europarates gehen die Kosten im Zusammenhang mit der Umsetzung des Rahmenübereinkommens im Rahmen des Gesamtbudgets des Europarates zu Lasten der Mitgliedstaaten.

Die Schweiz wird in periodischen Abständen einen Bericht über die getroffenen Massnahmen zur Umsetzung der im Rahmenübereinkommen verankerten Grundsätze ausarbeiten müssen. Angesichts der prekären Lage der Bundesfinanzen ist keine Aufstockung des Personalbestandes der Bundesverwaltung vorgesehen, um die zusätzliche Arbeitslast zu bewältigen, die durch die Ausarbeitung solcher Berichte anfallen wird. Somit wird die Umsetzung des Rahmenübereinkommens keine Auswirkungen auf den Bestand des Bundespersonals haben. Auch wird es für die Kantone und die Gemeinden weder neue finanzielle Verpflichtungen noch Auswirkungen auf ihren Personalbestand haben.

KLEBES, H.: op. cit., S. 165 ff.

1323

4

Legislaturplanung

Die Ratifizierung des vorliegenden Rahmenübereinkommens ist Bestandteil der Legislaturplanung 1995-199982.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Das Verhältnis zum europäischen Recht wurde schon im allgemeinen Teil dieser Botschaft dargestellt83. Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, an der die Schweiz als Vertragspartei beteiligt ist, enthält keine ausdrückliche Bestimmung zum Schutz von Minderheiten. Sie untersagt hingegen die Diskriminierung von nationalen Minderheiten (Art. 14). Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen stellt auf diesem Gebiet ebenfalls ein relevantes Instrument dar, genauso wie die Dokumente der OSZE, insbesondere das Kopenhagener Dokument über die menschliche Dimension (Juni 1990), in dessen Kapitel IV verschiedene Aspekte des Schutzes nationaler Minderheiten im Detail erwähnt werden.

6

Verfassungsmässigkeit

Der Entwurf des Bundesbeschlusses über die Genehmigung des Rahmenübereinkommens stützt sich auf Artikel 8 der Bundesverfassung, der dem Bund die Befugnis zum Abschliessen von Staatsverträgen überträgt. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung leitet sich aus Artikel 85 Ziffer 5 BV ab.

Das Rahmenübereinkommen kann jederzeit gekündigt werden (Art. 31). Es sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor und führt zu keiner multilateralen Rechtsvereinheitlichung. Der Bundesbeschluss, den wir Ihnen zur Annahme empfehlen, unterliegt somit nicht dem fakultativen Staats Vertragsreferendum nach Artikel 89 Absatz 3 BV.

82 83

BB11996 II356. .

Vgl. saprà, Ziffer 122.

1324

Bundesbeschluss über das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten

Entwurf

vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 8 der Bundesverfassung, nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 19. November 19971, beschliesst: Art. l ' Das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten vom I. Februar 1995 wird unter Abgabe folgender Erklärungen genehmigt: a. Als nationale Minderheiten im Sinne des vorliegenden Rahmenübereinkommens gelten in der Schweiz diejenigen Gruppen von Personen, die zahlenmässig kleiner als der Rest der Bevölkerung des Landes oder eines Kantons sind, deren Angehörige die schweizerische Staatsbürgerschaft besitzen, alte, solide und dauerhafte Bindungen zur Schweiz unterhalten und vom Willen getragen werden, gemeinsam zu bewahren, was ihre Identität ausmacht, insbesondere ihre Kultur, ihre Traditionen, ihre Religion oder ihre Sprache.

b. Die Bestimmungen des Rahmenübereinkommens über den Gebrauch der Sprachen im Verkehr zwischen Privatpersonen und Verwaltungsbehörden sind anwendbar, ohne die Grundsätze, welche die Eidgenossenschaft und die Kantone für die Festlegung der Amtssprachen befolgen, zu beeinträchtigen.

~ Der Bundesrat wird ermächtigt, das Rahmenübereinkommen unter Abgabe der erwähnten Erklärungen zu ratifizieren.

Art. 2 Dieser Beschluss untersteht nicht dem fakultativen Staatsvertragsreferendum.

9488

1

BEI 1998 1293 1325

Übersetzung1

Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten

Die Mitgliedstaaten des Europarats und die anderen Staaten, die dieses Rahmenübereinkommen unterzeichnen in der Erwägung, dass es das Ziel des Europarats ist, eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern herbeizuführen, um die Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe bilden, zu wahren und zu fördern; in der Erwägung, dass eines der Mittel zur Erreichung dieses Zieles in der Wahrung und in der Entwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten besteht; in dem Wunsch, die Wiener Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Europarats vom 9. Oktober 1993 in die Tat umzusetzen; entschlossen, in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet das Bestehen nationaler Minderheiten zu schützen; in der Erwägung, dass die geschichtlichen Umwälzungen in Europa gezeigt haben, dass der Schutz nationaler Minderheiten für Stabilität, demokratische Sicherheit und Frieden auf diesem Kontinent wesentlich ist; in der Erwägung, dass eine pluralistische und wahrhaft demokratische Gesellschaft nicht nur die ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität aller Angehörigen einer nationalen Minderheit achten, sondern auch geeignete Bedingungen schaffen sollte, die es ihnen ermöglichen, diese Identität zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und zu entwickeln; in der Erwägung, dass es notwendig ist, ein Klima der Toleranz und des Dialogs zu schaffen, damit sich die kulturelle Vielfalt für jede Gesellschaft als Quelle und Faktor nicht der Teilung, sondern der Bereicherung erweisen kann; in der Erwägung, dass die Entwicklung eines toleranten und blühenden Europas nicht allein von der Zusammenarbeit zwischen den Staaten abhängt, sondern auch der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen lokalen und regionalen Gebietskörperschaften unter Achtung der Verfassung und der territorialen Unversehrtheit eines jeden Staates bedarf; im Hinblick auf die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Protokolle dazu; im Hinblick auf die den Schutz nationaler Minderheiten betreffenden Verpflichtungen, die in Übereinkommen und Erklärungen der Vereinten Nationen und in den Dokumenten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, insbesondere dem Kopenhagener Dokument vom 29. Juni 1990, enthalten sind; entschlossen, die zu achtenden Grundsätze und die sich aus ihnen ergebenden
Verpflichtungen festzulegen, um in den Mitgliedstaaten und in den anderen Staaten, die Vertragsparteien dieser Übereinkunft werden, den wirksamen Schutz nationaler Minderheiten sowie der Rechte und Freiheiten der Angehörigen dieser Minderheiten 1

1326

Übersetzung des französischen Originaltextes

Rahmeniibereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten unter Achtung der Rechtsstaatlichkeit, der territorialen Unversehrtheit und der nationalen Souveränität der Staaten zu gewährleisten; gewillt, die in diesem Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätze mittels innerstaatlicher Rechtsvorschriften und geeigneter Regierungspolitik zu verwirklichensind wie folgt übereingekommen:

Abschnitt I Artikel l Der Schutz nationaler Minderheiten und der Rechte und Freiheiten von Angehörigen dieser Minderheiten ist Bestandteil des internationalen Schutzes der Menschenrechte und stellt als solcher einen Bereich internationaler Zusammenarbeit dar.

Artikel 2 Dieses Rahmenübereinkommen ist nach Treu und Glauben, im Geist der Verständigung und Toleranz und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen guter Nachbarschaft, freundschaftlicher Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen den Staaten anzuwenden.

Artikel 3 (1) Jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, hat das Recht, frei zu entscheiden, ob sie als solche behandelt werden möchte oder nicht; aus dieser Entscheidung oder der Ausübung der mit dieser Entscheidung verbundenen Rechte dürfen ihr keine Nachteile erwachsen.

(2) Angehörige nationaler Minderheiten können die Rechte und Freiheiten, die sich aus den in diesem Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätzen ergeben, einzeln sowie in Gemeinschaft mit anderen ausüben und geniessen.

Abschnitt II Artikel 4 (1) Die Vertragsparteien verpflichten sich, jeder Person, die einer nationalen Minderheit angehört, das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf gleichen Schutz durch das Gesetz zu gewährleisten. In dieser Hinsicht ist jede Diskriminierung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit verboten.

(2) Die Vertragsparteien verpflichten sich, erforderlichenfalls angemessene Massnahmen zu ergreifen, um in allen Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens die vollständige und tatsächliche Gleichheit zwischen den Angehörigen einer nationalen Minderheit und den Angehörigen der Mehrheit zu fördern. In dieser Hinsicht berücksichtigen sie in gebührender Weise die besonderen Bedingungen der Angehörigen nationaler Minderheiten.

1327

Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten

(3) Die in Übereinstimmung mit Absatz 2 ergriffenen Massnahmen werden nicht als Diskriminierung angesehen.

Artikel 5 (1) Die Vertragsparteien verpflichten sich, die Bedingungen zu fördern, die es Angehörigen nationaler Minderheiten ermöglichen, ihre Kultur zu pflegen und weiterzuentwickeln und die wesentlichen Bestandteile ihrer Identität, nämlich ihre Religion, ihre Sprache, ihre Traditionen und ihr kulturelles Erbe, zu bewahren.

(2) Unbeschadet der Massnahmen, die im Rahmen ihrer allgemeinen Integrationspolitik getroffen werden, sehen die Vertragsparteien von Zielsetzungen oder Praktiken ab, die auf die Assimilierung von Angehörigen nationaler Minderheiten gegen deren Willen gerichtet sind, und schützen diese Personen vor jeder auf eine solche Assimilierung gerichteten Massnahme.

Artikel 6 (1) Die Vertragsparteien fördern den Geist der Toleranz und des interkulturellen Dialogs und treffen wirksame Massnahmen zur Förderung der gegenseitigen Achtung und des gegenseitigen Verständnisses sowie der Zusammenarbeit zwischen allen in ihrem Hoheitsgebiet lebenden Menschen, unabhängig von deren ethnischer, kultureller, sprachlicher oder religiöser Identität, und zwar insbesondere in den Bereichen Bildung, Kultur und Medien.

(2) Die Vertragsparteien verpflichten sich, geeignete Massnahmen zu treffen, um Menschen zu schützen, die wegen ihrer ethnischen, kulturellen, sprachlichen oder religiösen Identität diskriminierenden, feindseligen oder gewalttätigen Handlungen oder der Androhung solcher Handlungen ausgesetzt sein können.

Artikel 7 Die Vertragsparteien stellen sicher, dass das Recht aller Angehörigen einer nationalen Minderheit, sich friedlich zu versammeln und sich frei zusammenzuschliessen, sowie ihr Anspruch auf freie Meinungsäusserung und auf Gedanken-, Gewissensund Religionsfreiheit geachtet werden.

Artikel S Die Vertragsparteien verpflichten sich anzuerkennen, dass jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, das Recht hat, ihre Religion oder Weltanschauung zu bekunden sowie religiöse Einrichtungen, Organisationen und Vereinigungen zu gründen.

Artikel 9 (1) Die Vertragsparteien verpflichten sich anzuerkennen, dass das Recht jeder Person, die einer nationalen Minderheit angehört, auf freie Meinungsäusserung die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung
von Nachrichten oder Ideen in der Minderheitensprache oder Eingriffe Öffentlicher Stellen und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen einschliesst. Die Vertragsparteien stellen im

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Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten

Rahmen ihrer Rechtsordnung sicher, dass Angehörige einer nationalen Minderheit in bezug auf ihren Zugang zu den Medien nicht diskriminiert werden.

(2) Absatz l schliesst nicht aus, dass die Vertragsparteien Hörfunk-, Fernseh- oder Kinounternehmen einem Genehmigungsverfahren ohne Diskriminierung und auf der Grundlage objektiver Kriterien unterwerfen.

(3) Die Vertragsparteien hindern Angehörige nationaler Minderheiten nicht daran, Printmedien zu schaffen und zu nutzen. Innerhalb des gesetzlichen Rahmens für Hörfunk und Fernsehen stellen sie soweit wie möglich und unter Berücksichtigung des Absatzes l sicher, dass Angehörigen nationaler Minderheiten die Möglichkeit gewährt wird, eigene Medien zu schaffen und zu nutzen.

(4) Die Vertragsparteien ergreifen im Rahmen ihrer Rechtsordnung angemessene Massnahmen, um Angehörigen nationaler Minderheiten den Zugang zu den Medien zu erleichtern sowie Toleranz zu fördern und kulturellen Pluralismus zu ermöglichen.

Artikel 10 (1) Die Vertragsparteien verpflichten sich anzuerkennen, dass jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, das Recht hat, ihre Minderheitensprache privat und in der Öffentlichkeit mündlich und schriftlich frei und ungehindert zu gebrauchen.

(2) In Gebieten, die von Angehörigen nationaler Minderheiten traditionell oder in beträchtlicher Zahl bewohnt werden, bemühen sich die Vertragsparteien, sofern die Angehörigen dieser Minderheiten dies verlangen und dieses Anliegen einem tatsächlichen Bedarf entspricht, soweit wie möglich die Voraussetzungen dafür sicherzustellen, dass im Verkehr zwischen den Angehörigen dieser Minderheiten und den Verwaltungsbehörden die Minderheitensprache gebraucht werden kann.

(3) Die Vertragsparteien verpflichten sich, das Recht jeder Person, die einer nationalen Minderheit angehört, zu gewährleisten, in möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe ihrer Festnahme und über die Art und den Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden sowie sich in dieser Sprache, erforderlichenfalls unter unentgeltlicher Beiziehung eines Dolmetschers, zu verteidigen.

Artikel 11 (1) Die Vertragsparteien verpflichten sich anzuerkennen, dass jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, das Recht hat, ihren Familiennamen (Vaternamen) und ihre Vornamen in
der Minderheitensprache zu führen, sowie das Recht auf amtliche Anerkennung dieser Namen, wie dies nach der Rechtsordnung der jeweiligen Vertragspartei vorgesehen ist.

(2) Die Vertragsparteien verpflichten sich anzuerkennen, dass jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, das Recht hat, für die Öffentlichkeit sichtbar Schilder, Aufschriften und Inschriften sowie andere Mitteilungen privater Art in ihrer Minderheitensprache anzubringen.

(3) In Gebieten, die traditionell von einer beträchtlichen Zahl von Angehörigen einer nationalen Minderheit bewohnt werden, bemühen sich die Vertragsparteien im Rahmen ihrer Rechtsordnung, einschliesslich eventueller Übereinkünfte mit anderen

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Rahnienübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten

Staaten, und unter Berücksichtigung ihrer besonderen Gegebenheiten, traditionelle Ortsnamen, Strassennamen und andere für die Öffentlichkeit bestimmte topographische Hinweise auch in der Minderheitensprache anzubringen, wenn dafür ausreichende Nachfrage besteht.

Artikel 12 (1) Die Vertragsparteien treffen erforderlichenfalls Massnahmen auf dem Gebiet der Bildung und der Forschung, um die Kenntnis der Kultur, Geschichte, Sprache und Religion ihrer nationalen Minderheiten wie auch der Mehrheit zu fördern.

(2) In diesem Zusammenhang stellen die Vertragsparteien unter anderem angemessene Möglichkeiten für die Lehrerausbildung und den Zugang zu Lehrbüchern bereit und erleichtem Kontakte unter Schülern und Lehrern aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen.

(3) Die Vertragsparteien verpflichten sich, die Chancengleichheit von Angehörigen nationaler Minderheiten beim Zugang zu allen Bildungsstufen zu fördern.

Artikel 13 (1) Im Rahmen ihres jeweiligen Bildungssystems erkennen die Vertragsparteien an, dass Angehörige einer nationalen Minderheit das Recht haben, eigene private Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen zu gründen und zu betreiben.

(2) Die Ausübung dieses Rechts bringt für die Vertragsparteien keine finanziellen Verpflichtungen mit sich.

Artikel 14 (1) Die Vertragsparteien verpflichten sich anzuerkennen, dass jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, das Recht hat, ihre Minderheitensprache zu erlernen.

(2) In Gebieten, die von Angehörigen nationaler Minderheiten traditionell oder in beträchtlicher Zahl bewohnt werden, bemühen sich die Vertragsparteien, wenn ausreichende Nachfrage besteht, soweit wie möglich und im Rahmen ihres Bildungssystems sicherzustellen, dass Angehörige dieser Minderheiten angemessene Möglichkeiten haben, die Minderheitensprache zu erlernen oder in dieser Sprache unterrichtet zu werden.

(3) Absatz 2 wird angewendet, ohne dass dadurch das Erlernen der Amtssprache2 oder der Unterricht in dieser Sprache berührt wird.

Artikel 15 Die Vertragsparteien schaffen die notwendigen Voraussetzungen für die wirksame Teilnahme von Angehörigen nationaler Minderheiten am kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben und an öffentlichen Angelegenheiten, insbesondere denjenigen, die sie betreffen.

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Für Österreich: Staatssprache.

Rahmentibereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten Artikel 16 Die Vertragsparteien sehen von Massnahmen ab, die das Bevölkerungsverhältnis in von Angehörigen nationaler Minderheiten bewohnten Gebieten verändern und darauf gerichtet sind, die Rechte und Freiheiten einzuschränken, die sich aus den in diesem Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätzen ergeben.

Artikel 17 (1) Die Vertragsparteien verpflichten sich, nicht in das Recht von Angehörigen nationaler Minderheiten einzugreifen, ungehindert und friedlich Kontakte über Grenzen hinweg zu Personen herzustellen und zu pflegen, die sich rechtmässig in anderen Staaten aufhalten, insbesondere zy Personen mît derselben ethnischen, kulturellen, sprachlichen oder religiösen Identität oder mit demselben kulturellen Erbe.

(2) Die Vertragsparteien verpflichten sich, nicht in das Recht von Angehörigen nationaler Minderheiten auf Teilnahme an der Tätigkeit nichtstaatlicher Organisationen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene einzugreifen.

Artikel 18 (1) Die Vertragsparteien bemühen sich, erforderlichenfalls zwei- und mehrseitige Übereinkünfte mit anderen Staaten, insbesondere Nachbarstaaten, zu schliessen, um den Schutz von Angehörigen der betroffenen nationalen Minderheiten sicherzustellen.

(2) Gegebenenfalls treffen die Vertragsparteien Massnahmen zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

Artikel 19 Die Vertragsparteien verpflichten sich, die in diesem Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätze zu achten und zu verwirklichen und dabei Beschränkungen, Einschränkungen oder Abweichungen, soweit solche erforderlich sind, nur insoweit vorzunehmen, als sie in völkerrechtlichen Übereinkünften, insbesondere der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und den Protokollen dazu, vorgesehen und für die sich aus den genannten Grundsätzen ergebenden Rechte und Freiheiten von Belang sind.

Abschnitt in Artikel 20 Bei der Ausübung der Rechte und Freiheiten, die sich aus den in diesem Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätzen ergeben, haben Angehörige einer nationalen Minderheit die innerstaatlichen Rechtsvorschriften und die Rechte anderer, insbesondere diejenigen von Angehörigen der Mehrheit oder anderer nationaler Minderheiten, zu achten.

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Rahmemibereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten

Artikel 21 Die Bestimmungen dieses Rahmenübereinkommens sind nicht so auszulegen, als gewährten sie das Recht, irgendeine Tätigkeit auszuüben oder irgendeine Handlung vorzunehmen, die den wesentlichen Grundsätzen des Völkerrechts, insbesondere der souveränen Gleichheit, der territorialen Unversehrtheit und der politischen Unabhängigkeit der Staaten, zuwiderläuft.

Artikel 22 Die Bestimmungen dieses Rahmenübereinkommens sind nicht als Beschränkung oder Minderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen, die nach den Gesetzen einer Vertragspartei oder nach einer anderen Übereinkunft, deren Vertragspartei sie ist, gewährleistet sind.

Artikel 23 Die Rechte und Freiheiten, die sich aus den in diesem Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätzen ergeben, sind, soweit sie Gegenstand einer entsprechenden Bestimmung in der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder den Protokollen dazu sind, in Übereinstimmung mit diesen zu verstehen.

Abschnitt IV Artikel 24 (1) Das Ministerkomitee des Europarats überwacht die Durchführung dieses Rahmenübereinkommens durch die Vertragsparteien.

(2) Vertragsparteien, die nicht Mitglieder des Europarats sind, nehmen am Durchführungsmechanismus in einer noch zu bestimmenden Art und Weise teil.

Artikel 25 (1) Innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Rahmenübereinkommens für eine Vertragspartei übermittelt diese dem Generalsekretär des Europarats vollständige Informationen über die Gesetzgebungsmassnahmen und andere Massnahmen, die sie zur Verwirklichung der in diesem Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätze getroffen hat.

(2) Danach übermittelt jede Vertragspartei dem Generalsekretär regelmässig und sooft das Ministerkomitee dies verlangt, jede weitere Information, die für die Durchführung dieses Rahmenübereinkommens von Belang ist.

(3) Der Generalsekretär leitet die nach diesem Artikel übermittelten Informationen an das Ministerkomitee weiter.

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Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten Artikel 26 (1) Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Massnahmen, die von den Vertragsparteien zur Verwirklichung der in diesem Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätze getroffen wurden, wird das Ministerkomitee von einem beratenden Ausschuss unterstützt, dessen Mitglieder anerkanntes Fachwissen auf dem Gebiet des Schutzes nationaler Minderheiten besitzen.

(2) Die Zusammensetzung dieses beratenden Ausschusses und sein Verfahren werden vom Ministerkomitee innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Rahmenübereinkommens festgelegt.

Abschnitt V Artikel 27 Dieses Rahmenübereinkommen liegt für die Mitgliedstaaten des Europarats zur Unterzeichnung auf. Bis zum Tag des Inkrafttretens liegt das Übereinkommen auch für jeden anderen vom Ministerkomitee dazu eingeladenen Staat zur Unterzeichnung auf. Es bedarf der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung. Die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt.

Artikel 28 (1) Dieses Rahmenübereinkommen tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach dem Tag folgt, an dem zwölf Mitgliedstaaten des Europarats ausgedrückt haben, durch das Übereinkommen gebunden zu sein.

(2) Für jeden Mitgliedstaat, der später seine Zustimmung ausdrückt, durch das Rahmenübereinkommen gebunden zu sein, tritt es am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde folgt.

Artikel 29 (1) Nach Inkrafttreten dieses Rahmenübereinkommens und nach Konsultation der Vertragsstaaten kann das Ministerkomitee des Europarats durch einen mit der in Artikel 20 Paragraph d der Satzung des Europarats vorgesehenen Mehrheit gefassten Beschluss jeden Nichtmitgliedstaat des Europarats, der nach Artikel 27 eingeladen wurde, zu unterzeichnen, dies aber noch nicht getan hat, und jeden anderen Nichtmitgliedstaat einladen, dem Übereinkommen beizutreten.

(2) Für jeden beitretenden Staat tritt das Rahmenübereinkommen am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Hinterlegung der Beitrittsurkunde beim Generalsekretär des Europarats folgt.

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Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten

Artikel 30 (1) Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde einzelne oder mehrere Hoheitsgebiete, deren internationale Beziehungen er wahrnimmt, bezeichnen, auf die dieses Rahmenübereinkommen Anwendung findet.

(2) Jeder Staat kann jederzeit danach durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung die Anwendung dieses Rahmenübereinkommens auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet erstrecken. Das Rahmenübereinkommen tritt für dieses Hoheitsgebiet am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Erklärung beim Generalsekretär folgt.

(3) Jede nach den Absätzen l und 2 abgegebene Erklärung kann in bezug auf jedes darin bezeichnete Hoheitsgebiet durch eine an den Generalsekretär gerichtete Notifikation zurückgenommen werden. Die Rücknahme wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär folgt.

Artikel 31 (1) Jede Vertragspartei kann dieses Rahmenübereinkommen jederzeit durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation kündigen.

(2) Die Kündigung wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von sechs Monaten nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär folgt.

Artikel 32 Der Generalsekretär des Europarats notifiziert den Mitgliedstaaten des Rates, anderen Unterzeichnerstaaten und jedem Staat, der diesem Rahmenübereinkommen beigetreten ist, a) jede Unterzeichnung; b) jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde; c) jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Rahmenübereinkommens nach den Artikeln 28,29 und 30; d) jede andere Handlung, Notifikation oder Mitteilung im Zusammenhang mit diesem Rahmenübereinkommen.

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Rahmenübereinkommen unterschrieben.

Geschehen zu Strassburg am 1. Februar 1995 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Mitgliedstaaten des Europarats und allen zur Unterzeichnung dieses Rahmenübereinkommens oder zum Beitritt dazu eingeladenen Staaten beglaubigte Abschriften.

Es folgen die Unterschriften 9488

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft über das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten vom 19. November 1997

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1998

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

11

Cahier Numero Geschäftsnummer

97.082

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

24.03.1998

Date Data Seite

1293-1334

Page Pagina Ref. No

10 054 579

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