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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs von Jost Fuchs, Richter, und sieben Streitgenossen, [in Schwarzenberg (Kanton Luzern), gegen die Schlußnahme der Regierung des Kantons Luzern vom 25. Juli 1891 betreffend die Gemeinderathswahl vom 14. Juni 1891 in Schwarzenberg.

(Vom 16. Januar 1892.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat h hat in Sachen des Rekurses von Jost Fuchs, Richter, und sieben Streitgenossen, in Schwarzenberg (Kanton Luzern), gegen die Schlußnahme der Regieruog des Kantons Luzern vom 25. Juli 1891 betreffend die Gemeinderathswahl vom 14. Juni 1891 in Schwarzenbérg; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Verhältnisse: I.

Am 7. Juni 1891 fanden in Schwarzenberg mittelst Listenskrutiniums die Gemeinderathswahlen statt. Bei einem absoluten Mehr von 128 Stimmen wurden als gewählt erklärt: Josef Schröter mit 213 Stimmen und Theodor Stofer mit 223 Stimmen.

Bundesblatt. 44. Jahrg. Bd. I.

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Da die dritte Wahl nicht zu Stande kam, fand am 14. Juin die Fortsetzungswahl statt. Bei einem absoluten Mehr von 126 erhielt Josef Burri gerade diese Zahl von Stimmen und wurde als gewählt erklärt. Dagegen kam die Wahl des Ersatzmannes nicht zu Stande. Es wurde sofort in offener Abstimmung zur Aemtervertheilung geschritten und bezeichnet: Als Präsident und Gemeindeammann: Josef Schroter.

Als Waisenvogt: Josef Burri.

Als Verwalter: Theodor Stofer.

Am 21. Juni fand die Wahl des Ersatzmannes statt. Bei einem absoluten Mehr von 124 wurde Friedensrichter Rüßli mit 128 Stimmen gewählt.

Schon am 13. Juni hatte Herr M. Zurkirchen, Sektionschef in Schwarzenberg, das Gesuch gestellt, es seien vom Stirnmregister von Schwarzenberg für die den 14. dieses Monats stattfindende Gemeinderathswahl 6 Bürger abzutragen. Der Regierungsrath erkannte jedoch am gleichen Tage, in Erwägimg, daß die Wahl vom 14. dies eine Fortsetzungswahl ist, daher das Stimmregister des ersten Wahltages gilt und Abänderungen desselben ohne Einvernahme des Gemeinderathes vomRegierungsrathee nicht mehr verfügt werden, u n d daß, wenn d i e sechs genannten Bürger z u r Ausübung dieselben, wenn sie an der Wahl dennoch Theil nehmen sollten, eines Vergehens sich schuldig machen würden und ihre Theilnahme an der Wahl nachträglich alsKassationsgrundd geltend gemacht werden kann, mit Hinsicht auf § 109 des Organisationsgesetzes : Auf das Gesuch des M. Zurkirchen sei im Sinne der Motive n i c h t einzutreten.

Mit Eingabe vom 15. Juni verlangten sodann mehrere Bürger unter Verweisung auf die vom Sektionschef Zurkirchen beigebrachten Belege beim Regieningsrathe auf dem Wege der Kassationsbesch werde die Ungültigerklärung der Wahl des dritten Gemeinderathsmitgliedes.

weil fünf Bürger das Simmrecht ausgeübt hätten, welche am 14. Juni in Schwarzenberg nicht stimmberechtigt waren.

Der Regierungsrath nahm an, es seien vier von den namhaft gemachten fünf Bürgern am 14. Juni in Schwarzenberg nicht stimmberechtigt gewesen, und erkannte daher durch Schlußnahme vom 25. Juli 1891 mit Hinsicht auf §§ 109, 259 und 219 des Organisationsgesetzes : Es habe bei der Wahl Niemand das absolute Mehr erreicht, die Erklärung der Mehrheit des Wahlbüreau, daß Jos. Burri gewählt sei, sowie die vorgenommene Aemtervertheilung werden kassirt und es sei eine Neuwahl anzuordnen.

419 II.

Gegen diesen Regierungsbeschluß erhoben Herr Richter Jost Fuchs und sieben Streitgenossen mittelst Eingabe vom 30. Juli 1891 heim Bundesrathe Beschwerde.

Die Rekurrenten führen aus : 1. In Schwarzenberg nahm der Kampf bei den diesjährigen Gemeinderathserneuerungswahlen eine eigenthümliche Färbung an.

Der bisherige Herr Waisenvogt Josef Burri ist konservativ, hat aber bei früheren Anlässen, wo Männer seiner Partei als Beamte durch Veruntreuung, Betrug und dgl. die Gemeinde schädigten oder schädigen wollten, fest und rücksichtslos zugegriffen und dadurch den Haß der Betreffenden und ihrer Familien sich zugezogen. Herr Burri arbeitete bei diesen Bemühungen, die Gemeinde vor Schaden zu bewahren, Hand in Hand mit den Liberalen. Das zog ihm den Haß des Herrn Pfarrers zu, der dann auch die Kassationsbeschwerde gegen die Wahl des Herrn Burri verfaßt und eigenhändig geschrieben hat.

Für die Wahl vom 7. Juni mußten die Stimmregister am 31. Mai geschlossen sein. An diesem Tage scheinen zwei Bürger, Jakob Wermelinger von Entlebuch und Josef Weingartner von Adligenswyl, die Gemeinde nicht mehr bewohnt zu haben. Am 1. Juni zog ein dritter, Gottlieb Bucheli, und am 11. Juni ein vierter, Johann Bucheli, fort. Bei der Bereinigung der Stimmregister betheiligte sich auch der Sektionschef Melchior Zurkirchen, dessen Bruder gegen Waisenvogt Burri kandidirte. Er verlangte, daß alle Bürger, welche die Gemeinde noch nicht drei Monate verlassen hatten, auf das Stimmregister getragen werden. Dies geschah. Arn 13. Juni aber verlangte M. Zurkirchen, daß sechs Bürger vorn Stimmregister abgetragen werden (worüber bereits oben berichtet worden ist).

2. Der Regierungsrath hat am 25. Juli mit Unrecht erkannt, die genannten vier Bürger gehören nicht auf das Stimmregister.

Die beiden Bucheli wohnten beim Schluß desselben noch in der Gemeinde; Wermelinger und Weingartner aber mußten auf dem Register belassen werden, da es sich um e i n e k a n t o n a l e W a h l , d. h. um eine im ganzen Kanton gleichzeitig stattfindende Wahl handelte. Es stehen auch Anhänger der Partei Zurkirchen auf dem Stimmregister, die vor dem l, Juni die Gemeinde verlassen haben, /,. B. Sennknecht Roos. Diese Leute bleiben nun auf dem Register stehen, während die in gleicher Lage befindlichen Bürger der Gegenpartei gestrichen werden. Der Regierungsrath hat durch Beschluß vom 18. Juli 1887 festgestellt, es können nach-

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tväglich keine Stimmrechtsbeschwerden erhoben werden, wenn während der gesetzlichen Auflagefrist gegen das Stimmregister keinerlei Einsprachen gemacht worden und kein tìrund vorliegt, anzunehmen, daß solche Einsprachen nicht hätten gemacht werden können. ,,Hier ist nun von dieser Regel abgegangen worden; das geht gegen die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze."

3. Es widerstreitet der Kantonsverfassung, wenn Bürger, welche sieh in einer Gemeinde nicht förmlich abgemeldet haben oder zur Zeit der Stimmregisterbereinigung noch in der Gemeinde wohnen, nachträglich -- entgegen der Vereinbarung beider Parteien -- gestrichen werden. Namentlich ist das gefährlich, wenn es sich um kantonale Wahlen handelt, als welche sich die Integralerneuerungswahlen der Gemeinderäthe auch deshalb qualifiziren, weil die Gemeinderäthe auch die Organe der kantonalen Verwaltung, z. B.

die Einzieher der Staatssteuer, sind.

Die Rekurrenten verlangen daher vom Bundesrath die Kassation des Regierungsbeschlusses vom 25. Juli und die Genehmigung der Wahlverhandlung vom 14. Juni. Eventuell ersuchen sie den Bundesrath um die Anordnung, daß das Stimmregister für die neue Wahlverhandlung neu bereinigt werde. .,,Denn", sagen sie, ,,sonst können durch die Falle, welche Herr Melchior Zurkirchen mit seinem Begehren den Liberalen gelegt hat, die Anhänger Zurkirchens, die nicht mehr in der Gemeinde wohnen, in derselben stimmen, die Bürger aber, welche jedenfalls mit Recht auf das neue Stimmregister getragen wurden, wie die beiden Bucheli, dagegen nicht.

Das wäre ein neues Unrecht.* Endlich stellen die Rekurrenten das Gesuch, es möge die vom Regierungsrath bereits auf den 16. August angesetzte neue Wahlverhandlung bis zum Entscheide der Bundesbehörde sistirt werden, da ja sonst der Rekurs gegenstandslos würde.

III.

Der Regierungsrath des Kantons Luzern erhob mit Zuschrift an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement vom 19. August gegenüber diesem Rekurse vorab die Einrede der mangelnden Kompetenz der angerufenen Behörde, indem er alle Einwendungen erneuert, welche er im Jahre 1883 gegenüber einem ähnlichen Rekurse des Herrn Glanzmann in Escholzmatt und seither'wiederholt erheblich gemacht hat.

In der Hauptsache sieht er sich zu Richtigstellungen veranlaßt.

Er sagt wörtlich:

421 ,,Die zirka 1000 Seelen und wenig über 250 Stimmberechtigte zählende Gemeinde Schwarzenberg zeichnet sich seit Jahren durch leidenschaftliche Wahlbevvegungen aus. Sigristen- und Organistenwahlen geben oft Veranlassung zu Beschwerden an den Regierungsrath, und es ist nicht ausgeschlossen, daß, wenn die vorwürfige Beschwerde des Herrn Richter Fuchs vom Bundesrafh gutgeheißen wird, Letzterer das Vertrauen der Schwarzenberger in dem Maße sich erwirbt, daß er noch o('t über die Gültigkeit von Bannwarten-, Sigristen-, Organisten-, Kirchmeier-Wahlen von Schwarzenberg zu Gericht zu sitzen Gelegenheit erhält. Die Wahlbewegungen in Schwarzenberg unterscheiden sich von denjenigen anderei1 Gemeinden noch dadurch, daß sich dort nicht politische Parteien, sondern wenige weitverzweigte Familien gegenüberstehen. Zu den einflußreichsten dieser Familien gehörte lange Zeit diejenige der ,,Zurkirchen* ; allein es erhob sich aus Gründen, die wir nicht näher kennen, gegen sie eine Reaktion, welche zur Verdrängung der Familie aus den Gemeindeämtern führte. Dieses Jahr, anläßlich der Erneuerung der Gemeinderäthe, suchte dieselbe den verlorenen Einfluß wieder zu gewinnen. Sie suchte dies dadurch zu erreichen, daß sie von den drei bisherigen Gemeinderathstnitgliedern den in kantonalen und eidgenössischen Fragen zu den Konservativen zählenden Herrn Burri durch einen Familienangehörigen gleicher politischer Sichtung bekämpfte, das einzige zur liberalen Partei zählende Gemeinderathsmitglied dagegen unangefochten ließ. Die beiden Kandidaten Burri und Zurkirchen gehören somit der gleichen politischen Partei an, es sichert uns dies wenigstens vor dem wohlfeilen Vorwurf, als habe unser Entscheid die eine politische Partei gegenüber der andern begünstigen wollen . . .

,,Das luzernerische Organisationsgesetz sagt in § 219, daß der Regierungsrath Wahlurkunden zu verwerfen und neue Wahlen anzuordnen habe, wenn wesentliche Unförmlichkeiten bei der Wahlverhandlung stattgefunden hätten. Diese Bestimmung bezieht sich zunächst allerdings nur auf die Bezirksrichterwahlen ; allein in § 259 des zitirten Gesetzes wird auch gesagt, daß sie auch bei Gemeindevathawahlen anzuwenden sei. Als wesentliche Unförmlichkeiten werden solche betrachtet, welche eine direkte Verfassungs- oder Gesetzesverletzung enthalten oder auf das Wahlresultat einen
entscheidenden Einfluß haben konnten.

,,Eine Unförmlichkeit von entscheidendem Einflüsse ist offenbar dann vorhanden, wenn Nichtsüm m berechtigte an einer Wahl theilnehmen, bei welcher der als gewählt proklamirte Kandidat nur gerade das absolute Mehr erreicht hat, wie das bei der Schwarzenberger Wahl vom 14. Juni der Fall war.

42-2 ,,Schon am Tage vor der Wahl hatte der Führer der Zurkirchen Partei den Regierungsrath darauf aufmerksam gemacht, daß auf dem Stimmregister Nichtstimmberechtigte stehen. Auf diese Eingabe wurde mittelst Erkenntniß vom gleichen Tage nicht mehr eingetreten, einerseits weil bei Fortsetzungswahlen das Stimmregister des ersten Wahlganges in Kraft bleibe und Einsprüche gegen dasselbe nur nach erfolgter Wahl auf dem Kassationswege anzubringen seien, andererseits weil die Eingabe so spät eingelangt sei, daß eine Einvernahme des Gemeinderathes nicht mehr stattfinden könne.

Ausdrücklieh wurde von uns im erwähnten Erkenntniß (Beilage l der Beschwerde) erklärt, daß die Theilnahme der angeblich Nichtstimmberechtigten an der Wahl als Kassationsgrund erheblich gemacht werden könne.

,,Wenn daher die Partei Zurkirchen nach der Wahl die Theilnahme von vier Nichtstimmberechtigten als Kassationsgrund geltend machte, so kam sie damit nicht zu spät. Der Regierungsrath mußte ihre Anbringen prüfen, während er allerdings, wenn vor der Wahl die Stimmberechtigung der betreffenden vier Bürger nicht angezweifelt worden wäre, die Frage der Stimmberechtigung nicht mehr hätte prüfen können . . .

,,Unsere Kantonsverfassung sagt in § 27, Absatz 8, daß, wenn ein Stimmfähiger aus einer Gemeinde des Kantons in eine andere übersiedle und bei dem Eintreten einer kantonalen Wahl oder Abstimmung seit seiner Uebersiedlung noch nicht drei Monate verflossen seien, derselbe für dermalen sein Stimmrecht am frühern Wohnorte ausüben könne. Herr Richter Fuchs behauptet nun, auch die Gemeinderathswahlen seien kantonale Wahlen, es finde auch bei diesen eine Rückkehr in die verlassene Gemeinde statt; die vier im Stimmrecht Angefochtenen seien daher, da sie am 14. Juni noch nicht seit drei Monaten die Gemeinde Schwarzenberg verlassen hatten, zur Rückkehr behufs der Stimmabgabe berechtigt gewesen. Daß Gemeinderathswahlen kantonale Wahlen seien, ergibt sich für Herrn Fuchs aus dem vom Bundesrathe den 8. Juni 1891 gefaßten Beschlüsse über die Rekursbeschwerde betreffend die Gemeinderathswahlen in Locamo vom 1. Mai 1887, Ziffer 2 der Motive. Allein in diesem Bundesrathsbeschlusse wird nicht festgestellt, daß ganz allgemein unter kantonalen Wahlen auch Gemeinderathswahlen zu verstehen seien, vielmehr wird da erklärt, daß Art. 59, Ziffer 9, des
Gesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege unter kantonalen Wahlen auch die Wahlen einer Gemeinde behörde verstehe. Diese Interpretation des Bundesgesetzes mag richtig sein, dagegen würde eine gleiche Auslegung des § 27 der Luzerner Verfassung zu Merkwürdigkeiten fuhren, die wir hier nicht

423 auseinanderzusetzen brauchen. Uebrigens schützen die §§ 28 und 88 der Verfassung selbst vor einer solchen Auslegung, indem hier Gemeindewahlen ausdrücklich in Gegensatz gestellt werden zu kantonalen Wahlen. Steht fest, daß Gerneinderathswahlen nicht kantonale Wahlen sind im Sinne des § 27 cit., so steht ebenso fest, daß, wer einmal eine Gemeinde verlassen hat, .nicht mehr dahin zurückkehren kann, um an Gemeindewahlen Theil zu nehmen.

Das sagt denn ausdrücklich § 88, Abs. 3, der Verfassung, welcher erklärt, daß nur die in der Gemeinde W o h n e n d e n in Geineindeangelegenheiten stimmberechtigt seien. So ist es seit dem Erlaß der kantonalen Verfassung vom Jahre 1875 immer gehalten worden, in Hunderten von Fällen, gegenüber Angehörigen von beiden Parteien, ohne daß je eine andere Auslegung der Verfassung für möglich gehalten worden wäre.

,,Die Unterscheidung, welche die Verfassung bezüglich der Stimmberechtigung in kantonalen und in Gemeindewahlen macht, ist keineswegs eine willkürliche. Diese Unterscheidung geht von der Erwägung aus, daß derjenige, welcher eine Gemeinde dauernd verlassen hat, an der Gestaltung der Angelegenheiten und der Besetzung der Behörden der verlassenen Gemeinde ein direktes Interesse nicht mehr hat, selbst wenn seit dem Wegzug erst kurze Zeit verflossen ist. Anders verhält sich die Sache bei kantonalen Wahlen und Abstimmungen. Das direkte Interesse an denselben dauert fort, so lange der Wohnsitz im Kanton dauert, das Stimmrecht wird daher erst mit der dauernden Verlegung des Wohnsitzes außerhalb deu Kanton verloren. Das Interesse an den kantonalen Angelegenheiten erfordert nicht, daß dem aus einer Gemeinde in eine andere Verzogenen die Ausübung des Stimmrechts am verlasseneu Orte gestattet werde, jenem Interesse entspricht vielmehr nur das Recht, am neuen oder am alten Wohnorte stimmen zu können. Wenn nun die Verfassung die Ausübung des Stimmrechts gerade am v e r l a s s e n e n Wohnorte vorsieht, so thut sie dies, um dem sogenannten Wahlknechtenthum vorzubeugen. Sollte der Bundesrath als Rekursinstanz finden, es seien die Art. 88 und 28 der Staatsverfassung, die seiner Zeit die Genehmigung der Bundesversammlung erhielten, mit dem Bundesrechte in Widerspruch, so hätte der Große Bath sich mit der Abänderung der betreifenden Verfassungsartikel zu befassen. Von diesem
Gesichtspunkte hat die Beschwerde des Herrn Richter Fuchs erhöhte Bedeutung, dem gegenüber tritt die uns und wohl auch dem Bundesrathe ganz gleichgültige Präge, ob der Kandidat der Zurkirchen- oder der Burri-Partei gewählt sei, in den Hintergrund."·

424 IV.

In einer Nachtragseingabe vom 14. August, in Bern eingetroffen am 24. August 1891, brachten die Rekurrenten noch Folgendes vor: ,,So viel uns bekannt ist, machen die Gemeinderäthe unseres Kantons bei Bereinigung der Stimmregister keinen Unterschied zwischen kantonalen und Gemeindewahlen. Es wird allseitig von der Annahme ausgegangen, daß auch in Gemeindeangelegenheiten keinem Bürger, der die Requisite der politischen Stimmfähigkeit besitzt, das Stimmrecht entzogen werden dürfe, und daß der § 27 unserer Kantonsverfassung auch bei Gemeindeangelegenheiten, respektive Gemeindewahlen Anwendung finde. Dieser Auffassung pflichtete auch, wie wir schon in unserm Rekurse erwähnt haben, Herr Sektionschef Melchior Zurkirchen, der unsere Gegenpartei vertrat, bei.

Zur Bekräftigung unserer diesbezüglichen Behauptung übermachen wir Ihnen in Beilage ein Zeugniß des hiesigen Gemeinderathes, vom 11. August abbin.

,,Nach der Gemeinderathswahl führte Herr Sektionschef Zurkirchen gegen diejenigen Bürger, welche behufs Stimmabgabe itt dasige Gemeinde zurückkehrten und auf sein Verlangen auf dein Stimmregister figurirten, wegen unbefugter Theilnahme an der Gemeinderathswahl Strafklage.

,,Kläger wurde den 23. Juni abbin vom Statthalteramt Luzern verhört. Der Verhörrichter sagte unter Ziffer 4 dieses Verhörs, daß laut Vorschrift der Verfassung ein Bürger, der die Gemeinde nicht mehr als drei Monate verlassen, berechtigt sei, in der frühern Gemeinde zu stimmen, worauf Herr Zurkirchen seine Klage sofort zurückzog.

,,Das Stimmrecht dieser Bürger in dasiger Gemeinde ist somit auch durch diese Untersuchung festgestellt worden. Der Untersuchungsrichter hat die gleiche Auffassung der bezüglichen Verfassungsbestimmung, welche bei Bereinigung des Stimmregisters als Grundlage diente."

Das çitirte Zeugniß des Gemeinderathes von Schwarzenberglautet wie folgt : ,,Der Gemeinderath von Sehwarzenberg bezeugt anmit, dass Herr Melchior Zurkirchen, Sektionschef in hier, welcher den 31. Mai 1891 bei der Bereinigung des Stimmregister für die Gemeinderathswahl als Vertreter der Partei ,,Zurkirchen" anwesend war, vor uns erklärt hat, daß diejenigen Bürger, welche die dasige Gemeinde noch nicht drei Monate verlassen haben, auf dem Stimmregister zu belassen seien."

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V.

Der Regier ungsrat h erwiderte hierauf unterm 3. September 1891 : ,,Welche Bedeutung die zwischen dem Vertreter der Partei Zurkirchen und dem Gemeinderath getroffene Vereinbarung hat, wonach die noch nicht seit, drei Monaten aus der Gemeinde weggezogenen Bürger beider Parteien auf dem Stimmregister belassen werden sollten, ist einleuchtend. Wenn jenes Abkommen wirklieh getroffen wurde, hätte der Wortführer der Zurkirchen-Partei sich als an dasselbe gebunden betrachten und die Theilnahme jener aus der Gemeinde weggezogenen Anhänger der Gegenpartei nicht mehr als Kassationsgrund geltend machen sollen. -- Für den Regierungsrath liegt die Sache natürlich anders, für ihn existiren solche von Parteien getroffene Vereinbarungen, welche eine vom Gesetze abweichende Stimmregisterbereinigung bezwecken, nicht; erhält er von einer ungesetzlichen Stimmregisterbereinigung Kenntniß, so muß er aus dieser Thatsache ohne Rücksicht auf Parteiabmachungen die Konsequenzen ziehen, welche durch das Gesetz an jene geknüpft sind."

VI.

Durch Verfügung vom 8. August 1691 hat der Bundesrath dem Gesuche der Rekurrenten um Suspension der auf 16. August angesetzten Verhandlung zur Wahl eines dritten Gemeinderathsmitgliedes von Schwarzenberg entsprochen;

in Er w ä g uu g : /. In Bezug auf die Kompetenzfrage ist einfach auf das in frühem ähnliehen Rekursfällen, namentlich im Falle Glanzmann und Konsorten (l. Juni 1883) und im Falle Häfliger und Konsorten (17. November 1891), Gesagte zu verweisen (vergi. Bundesblatt 1884, II, 762 ff.; 1891, V, 540 ff.)ll. In Bezug auf die Sache selbst sind nachstehende Fragen zubeurtheilen:: 1. Steht der Regierungsbeschluß vom 25. Juli 1891, welcher die Gesammterneuerungswahlen der Gemeinderäthe im Kanton Luzern nicht als eine kantonale Wahl nach § 27, Absatz 3, der Kantonsverfassung betrachtet und darum bezüglich der Berechtigung zur Theilnahme an diesen Wahlen nicht, die allegirte Verfassungsstelle, sondern den § 88, Absatz 3, der luzernischen Verfassunganwendbar ei klärt, mit dein kantonalen Verfassungsrechte im Einklänge?

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Die Frage stellt sich nach dem materiellen Inhalte der citirten §§ der Luzerner Verfassung wie folgt: Kanu bei Gemeindewahlen, wie bei kantonalen, ein aus einer Gemeinde des Kantons in eine andere übergesiedelter Stimmfähiger, wenn beim Eintreten einer Wahl seit seiner Uebersiedelung noch nicht drei Monate verflossen sind, sein Stimmrecht für dermalen noch an dem frühern Wohnort ausüben ?

Diese Frage ist im Sinne des Regierungsrathes zu beantworten.

§ 28 der luzernischen Verfassung sagt ausdrücklich, daß hinsichtlich der Stimmfähigkeit in Gemeindeangelegenheiten der von den Gemeinden handelnde Abschnitt V des dritten Titels der Verfassung verfüge. In Abschnitt V findet sich § 88, der in seinem dritten und vierten Absätze Folgendes bestimmt: ,,Alle Kantonsbürger und niedergelassenen Schweizerbürger, welche seit drei Monaten in der Gemeinde wohnen und die Requisite der kantonalen allgemeinen Simmfähigkeit (§ 27) besitzen, sind in den Gemeindeversammlungen der politischen Gemeinde stimmfähig.

,,Die Stimmregister in Gemeindeangelegenheiten sind wie diejenigen der Kantonalabstimmungen und Wahlen zu bereinigen.a Daraus geht klar hervor, daß die luzernische Verfassung die Gemeindewahlen von den kantonalen absichtlich unterscheidet und sie nicht zu den letzteren zählt.

Eine dem Absatz 3 des § 27 entsprechende Bestimmung, die es dem noch nicht drei Monate aus der Gemeinde weggezogenen Bürger erlaubte, in derselben als an seinem bisherigen Wohnorte noch zu stimmen, enthält Abschnitt V des dritten Titels der Luzerner Verfassung nicht.

Demgemäß ist mit der Regierung des Kantons Luzern anzunehmen, die Stimmberechtigung bei Gemeindewahlen richte sich ausschließlich nach § 88 der Verfassung dieses Kantons.

Wenn nun die Regierung die Worte des § 88 : ,,Alle Kantonsbürger und niedergelassenen Schweizerbürger, welche seit drei Monaten in der Gemeinde w o h n e n , -- sind in den Gemeindeversammlungen stimmfähig", mit aller Schärfe dahin auslegt, daß der Bürger mit d e m M o m e n t e des Wegzuges aus einer Gemeinde behufs der Wohnsitznahme in einer andern Gemeinde in der erstem das Stimmrecht in Gemeindeangelegenheiten verliere, so widerstreitet offenbar diese Auslegung weder dem Wortlaute, noch dem Sinne des genannten Verfassungsparagraphen.

Vorausgesetzt wird für die praktische Anwendung der Bestimmung immerhin, daß der Wegzug des Bürgers aus der Ge-

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meinde und sein Aufenthalt in einer andern Gemeinde das Aufgeben des Wohnsitzes in der erstem und das Wohnsitznehmen in der letztern als eine Thatsache erkennen lassen.

Im vorliegenden Falle herrscht über diesen Punkt zwischen den Parteien kein Streit, während derselbe streitig war im Rekursfalle von Altwis, wo die Regierung gestützt auf die ihr vorliegenden Ausweise annehmen durfte, es halten sich zwei Bürger nur vorübergehend in einer andern Gemeinde auf und sie haben daher ihren Wohnsitz in Altwis nicht aufgegeben.

2. Hat die Regierung dadurch, daß sie die Kassationsbeschwerde vom 15. Juni gegen die Wahl Verhandlung vom 14. d. Mts. in materielle Behandlung zog und begründet erklärte, gegen feststehendes .Recht des Kantons Luzern gehandelt und so gegenüber den Rekurrenten, beziehungsweise gegenüber den vier Bürgern, welche die Regierungsschlußnahme vom 25. Juli 1891 vom Stimmregister in Schwarzenberg gestrichen hat, den Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze verletzt ("Art. 4 der Bundesverfassung und § 4 der Kantons verfassung)?

. Die Rekurrenten verweisen zur Unterstützung ihrer Behauptung auf einen Regierungsbeschluß vom 18. Juli 1887, welcher allerdings besagt, daß Aussetzungen am Stimmregister als Kassationsgründe gegen eine Gemeindewahl nicht angenommen werden können, wenn während der gesetzlichen Auflagefrist gegen das Stimmregister keinerlei Einsprachen gemacht worden sind und kein Grund vorliegt, anzunehmen, daß solche Einsprachen nicht hätten gemacht werden können.

Ein zweiter Regierungsbeschluß, durch welchen in Anwendung desselben Prinzips auf eine Kassationsbeschwerde nicht eingetreten worden wäre, ist nicht namhaft gemacht worden.

Dagegen ist in anderen Rekursfällen betreffend die Luzerner Gemeinderathswahlen vom Juni 1891 (Altwis und Neuenkirch) von dei- Regierung in ihren rechtliehen Erörterungen gegenüber dem Bundesrathe angeführt worden, die Reklamationen wegen Theilnahme Nichtstimmfähiger seien zu spät angebracht, da sie nicht v o r der Wahl geltend gemacht worden seien. Allein auch in diesen Fällen hat die Regierung gestützt auf die §§ 259 und 219 des luzernischen Organisationsgesetzes materielle Entscheidungen getroffen, indem sie jeweilen die Rekurrenten mit ihren Kassationsbegehren, nach materieller Untersuchung der Stimmrechtsverhältnisse, abwies. Im vorliegenden Rekursfalle sagt der Regierungsrath, er hätte dieStimmberechtigungg d e r vier v o n Schwarzenberg

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der Wahl ,,angezweifelt" worden wäre. (Dies ist von M. Zurkirchen unternommen worden, während die Kassationsbeschwerde an den Regierungsrath dann von anderen Bürgern erhoben wurde.)

Bei diesem Stunde der Rechtsprechung kann nicht von einer feststehenden Praxis im Sinne des Regierungsbeschlusses vom 18. Juli 1887 gesprochen werden.

Der Bundesrath hält dafür, daß der Regierungsrath sich in voller Uebereinstimmung mit Verfassung (§ 29) und Gesetz (§§ 3, 4, 109 litt, h, 219 und 259 des Organisationsgesetzes) befindet, wenn er bei Kassationsbeschwerden von Bureau-Mitgliedern oder andern Bürgern, die in Gemäßheit des § 259 des Organisationsgesetzes gegen Gemeindewahlen ihm eingereicht werden, die Frage der Stimmberechtigung der Theilnehmer, soweit sie streitig ist, oder die Frage der gesetzwidrigen Verhinderung von Stimmberechtigten an der Theilname, soweit sie aufgeworfen wird, prüft und sodann nach dem Ergebnisse seiner Prüfung die Entscheidung trifft.

Denn, wie der Regierungsrath mit Recht sagt, die Theilnahme Nichtstimmfähiger an einer Wahl qualifizirt sich als eine sehr wesentliche Unförmlichkeit bei einer Wahlverhandlung (§ 219 des Organisationsgesetzes), die zur Kassation derselben führen muß, wenn das Resultat der Wahl durch das verfassungs- und gesetzwidrige Vorkommniß herbeigeführt sein kann. Das Gleiche ist zu sagen von der rechtswidrigen Abhaltung eines Burgers von der Theilnahme an einer Wahl.

Der Regierungsrath muß solche, auf dem Kassationsbeschwerdewege zu seiner Kenntniß gebrachte Verhältnisse untersuchen, gleichviel ob sie schon vor der Wahl von irgend einer Seite berührt worden seien oder nicht. Denn es handelt sich dabei um wesentliche Erfordernisse und Voraussetzungen einer rechtsgültigen Wahl.

Die §§ 3 und 4 des luzernischen Organisationsgesetzes aber handeln vou den Bedingungen, unter denen ein Bürger, der auf dem Stimmregister sich nicht aufgetragen findet, seine Auftragung betreiben und erwirken kann. In d i e s e r Beziehung allerdings stellt das Gesetz (§ 4) eine Ausschlußbestimmung auf, indem es festsetzt, daß vom siebenten Tage vor einer Wahl oder Abstimmung an N i e m a n d mehr auf das Stimmregister aufgetragen werden darf, es sei denn, daß der Regierungsrath auf (selbstverständlich rechtzeitig) erfolgten Rekurs Jemanden die Stimmberechtigung noch zuerkennen oder der
Gemeinderath den ertheilten Abschlag zurückziehen würde. In dieser Beziehung also, wo angenommen werden darf, ein in das Stimmregister nicht aufgetragener Bürger habe durch Unterlassung der gesetzliehen Schritte zur Erwirkung der Auftragung auf die Theilnahme an der Wahl oder Abstimmung

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v e r z i c h t e t , darf angenommen werden, es sei jedes nachträgliche Reklamationsrecht verwirkt.

Nicht so verhält es sich dagegen in Bezug auf die A n f e c h t u n g der Stimmberechtigung von Bürgern, die auf das Stimmregister aufgetragen sind ; für diese stellt das Gesetz eine solche Ausschlußbestimmung nicht auf, es hat vielmehr ganz mit Recht in dieser Richtung sich auf die formelle Vorschrift beschränkt, daß eine Kassationsbeschwerde spätestens zehn Tage nach der Wahl mit den Beweisen dem Regierungsrath eingereicht werden müsse (§ 259, Absatz 2, des Organisationsgesetzes).

Demgemäß haben die Rekurrenten rnit Unrecht dem Regierungsrathe mit Bezug auf die Inbetrachtziehung und materielle Erledigung der Kassationsbeschwerde vom 15. Juni gegen die Gemeinderathswahl vom 14. Juni 1891 Verletzung des verfassungsmäßigen Grundsat/es der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze vorgeworfen.

3. Ist dem eventuellen Begehren der Rekurrenten zu entsprechen, welches dahin geht, daß der Bundesrath die Anordnung treffen möge, es sei das Stimmregister von Schwarzenberg für eine neue Wahl Verhandlung zur Wahl des dritten Gemeinderathsmitgliedes neu zu bereinigen ?

Die Rekurrenten begründen ihr Begehren damit, daß sonst die Anhänger der Partei Zurkirchen, die nicht mehr in der Gemeinde wohnen, in derselben stimmen könnten.

Der Bundesrath kann diesem Begehren nicht Folge geben, da es Sache der zuständigen Behörden der Kantone ist, für Wahlen und Abstimmungen, die von ihrer Gesetzgebung beherrscht sind, die erforderlichen organisatorischen Vorschriften zu erlassen.

Aus dem oben unter Ziffer 2 Gesagten geht indessen klar hervor, daß den Rekurrenten so gut wie ihren Gegnern das Recht zusteht, beim Regierungsrathe die allfällige Theilnahme Nichtstimmberechtigter an einer neuen Wahlverhandlung nach derselben als Kassationsgrund geltend zu machen, beschlossen: 1. Das Rekursbegehren gegen den Regierungsbeschluß vom 25. Juli 1891 wird als unbegründet abgewiesen.

2. Auf das eventuelle Begehren betreffend die Bereinigung der Stimmregister für eine neue Wahlverhandlung wird aus dem unter Ziffer II Nr. 3 der Erwägungen angeführten Motive und im Sinne dieses letztern nicht eingetreten.

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3. Dieser Beschluß ist der h. Regierung des Kantons Luzern., sowie dem Herrn Jost Fuchs, Richter in Schwarzenberg, für ihn und Streitgenossen, mitzutheilen.

B e r n , den 16. Januar 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluß über den Rekurs von Jost Fuchs, Richter, und sieben Streitgenossen, [in Schwarzenberg (Kanton Luzern), gegen die Schlußnahme der Regierung des Kantons Luzern vom 25. Juli 1891 betreffend die Gemeinderathswahl vom 14. Juni 1891 in ...

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27.01.1892

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