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Bundesrathsbschluss betreffend

Verbesserungen im Eisenbahnbetrieb.

(Vom 24. Mai 1892.)

Der schweizerische Bundesrath, nach Einsicht eines Antrages seines Eisenbahndepartements, zum Zwecke mehrerer Sicherung des Eisenbahnbetriebes, b e s c h l ie sst :

Art. L 1. Die Eisenbahnen werden bei der Erklärung behaftet, daß an Stelle der Fahrt auf Zeitdistanz die Züge auf R a u m distanz gefahren werden sollen, in dem Sinne, daß dieselben sich in der Regel in keinem geringern Abstand als dem einer Stationsdistanz folgen dürfen.

2. Wo die Fahrtordnung es erheischt, daß Züge in geringer Abstand gefahren werden, d. h. der Zugsabstand auf den Bruchtheil einer Stationsentfernung beschränkt ist, soll die Stationsdistan nach Bedürfniß in zwei oder mehr Unterabtheilungen zerlegt und müssen diese durch B l o c k s t a t i o n e n geschützt werden, welche mit den Signaleinrichtungen versehen sind, die das Einhalten der vorgeschriebenen Distanzen sichern.

Art. II.

1. Das von den Gesellschaften vorgeschlagene R ü c k m e l d e v e r f a h r e n wird als obligatorisch erklärt. Es darf kein Zug von einer Station abgelassen werden, bevor diese darüber sich versichert hat, daß der vorausgegangene Zug die nächste Station erreicht oder passirt habe. Diese Versicherung erfolgt in der Regel durch eine telegraphische Anzeige von Seiten der letztern Station.

274 2. Bei Zugskreuzungen auf eingeleisiger Strecke, d. h. wenn zwischen zwei in gleicher Richtung verkehrenden Zügen auf dem gleichen Geleise ein Zug in entgegengesetzter Richtung verkehrt, gilt das Eintreffen dea letztern als Beweis für die Rückmeldung und kann also auf die telegraphische Mittheilung verzichtet werden.

3. Der Bundesrath behält sich vor, auf Verlangen an Stelle der telegraphischen Mittheilung die Rückmeldung durch das Telephon zu gestatten.

4. In allen Fällen, gleichviel ob die Rückmeldung auf telegraphischem oder telephonischem Wege stattfinde, ist darüber die von den Bisenbahnen vorgeschlagene Kontrole zu führen, und es sind die Verwaltungen verpflichtet, diejenige Ueberwachung dieser Kontrole zu organisiren, welche deren ausnahmslose Durchführung sichert.

5. Wo nur mit e i n e r Zugskomposition (en navette) gefahren wird, kann die Rückmeldung unterbleiben.

6. Soweit das System der Rückmeldung noch nicht eingeführt ist, soll dasselbe vom 1. Juli d. ,T. ab zur Durchführung gelangen; für diejenigen Linien, wo dies mangels zureichender Einrichtungen nicht möglich sein sollte, wird der Bundesrath Ausnahmen bewilligen. Die Gesuche um Ausnahmen müssen binnen 20 Tagen, von der Mittheilung dieses Beschlusses an gerechnet, dem Eisenbahndepartement eingereicht werden.

Art. III.

1. Auf den schweizerischen Eisenbahnen müssen sämmtliche Personen- und Schnellzüge mit d u r c h g e h e n d e n a u t o m a t i s c h e n L u f t d r u c k b r e m s e n geführt werden.

2. Eine Ausnahme ist gestattet für die Züge der Nebenlinien und Lokalbahnen, deren maximale Geschwindigkeit an keiner Stelle 45 krn. in der Zeitstunde übersteigt. Immerhia sind durchgehende selbstwirkende Bremsen auch hier an den Personenzügen anzubringen, wenn das Gefäll der Bahn 15 °/oo übersteigt, oder wenn die Strecke ohne Einfriedigung oder ohne Barrierenabschlüsse ist, oder wenn das Gebiet von öffentlichen Straßen mitbenutzt wird.

3. Für die S c h n e l l z u g s r o u t e n , sowie für die H a u p t b a h n s t r e c k e n mit Wagenübergang auf andere Linien sollen die Bremsapparate nach dem System Westinghouse, d. h. als sog.

Einkammerapparate gebaut sein, in der Meinung, daß auch Apparate anderer Bremssysteme auf diesen Linien Verwendung finden dürfen, sofern dieselben mit der Westinghouse-Bremse vollkommen an-

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standslos und wie diese selbst funktioniren und zu bedienen sind.

Auf Bahnen mit starkem Gefäll, wo solches als nöthig erkannt wird, ist eine Doppelleitung zur Erreichung genügend sicherer Thalfahrt anzubringen.

4. Bei den Z ü g e n mit über 60 Kilometer maximaler Geschwindigkeit muß die kontinuirliche Bremse bis zum letzten Wagen durchgeführt sein und dieser selbst einen richtig funktionirenden Bremsapparat besitzen. Bei allen andern Zügen mit durchgehenden Bremsen dürfen ausnahmsweise, sofern in dem kontinuirlich gebremsten Zugstheil die für die fragliche Strecke für die ganze Zuglast vorgeschriebene Bremszahl vorhanden ist, hinter dem letzten Wagen mit funktionirendem Bremsapparat noch im Maximum drei Wagen angehängt werden, wobei stets die Handbremse des letzten Wagens im Zuge in vollkommen dienstfähigem Zustande sein muß und durch einen zuverlässigen, streekenkundigen Angestellten zu bedienen ist. In keinem Falle darf aber das Gewicht des nicht in die Kontinuität einbezogenen Sehlußtheiles des Zuges ein Drittel der kontinuirlich gebremsten Zuglast (excl. Maschine) übersteigen.

5. a. Es sind sämmtliche L o k o m o t i v e n , welche zur Führung von Personen- und Schnellziigen verwendet werden, mit Apparaten zur Bedienung der kontinuirlichen Bremse zu versehen.

Bei Lokomotiven mit Schlepptender soll diese Bremse wenigstens auf den Tender wirken, bei Tenderlokomotiven sollen die Triebund Kuppelräder mitgebremst werden. Bei allen Lokomotiven soll das Kuppeln der Bremsleitung auf beiden Stirnseiten möglich sein.

b. Es sollen sämmtliche in Betracht kommenden Personen-, Gepäck- und Bahnpostwagen mit vollständigen Bremsapparaten versehen werden.

c. Von den einzurichtenden Güterwagen können bei einem Theil der Wagen auch bloß Bremsleitungen angebracht werden, jedoch darf die Zahl dieser Wagen einer Verwaltung lk ihres sämmtlichen für kontinuirliche Bremsen eingerichteten Materials der gleichen Bauart nicht erreichen.

6. Bei den Wagen des mit Luftdruckbremsen versehenen übergangsfahigen normalspurigen Materials soll sowohl auf jeder Plattform als auch im Innern der Personenwagen die Möglichkeit geboten sein, das Bremsen des Zuges zu veranlassen.

7. Zur Durchführung dieser Maßregeln wird ein Terrain bis zum 1. Juni 1894 gewährt, in der Meinung jedoch, daß dieselbe nach Möglichkeit gefördert werde und daß bis zum 1. Juni 1892 alle Schnellzüge mit automatischen kontinuirlichen Luftdruckbremsen geführt werden.

Bundesblatt. 44. Jahrg. Bd. III.

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276 8. Den Gesellschaften ist vorbehalten, beim Bundesrathe die Bewilligung von Ausnahmen nachzusuchen, wo besondere Verhältnisse dazu Anlaß geben.

Art. IV.

1. Betreffend das R o l l m a t e r i a l ist für einmal angenommen, daß der Bestand zum Mindesten in dem Umfang erhalten bleiben soll, welcher sich aus der gegenwärtig vorhandenen Zahl der Fahrzeuge zuzüglich der zur Zeit in Aussicht genommenen Neuanschaffungen ergibt. Dieses Rollmaterial muß stets in gutem Zustande erhalten und es soll rechtzeitig für den Ersatz abgehender Stücke gesorgt werden.

2. Bezüglich der L o k o m o t i v e n wird das Eisenbahndepartement feststellen, welche Anzahl derselben bei den einzelneu Gesellschaften vorhanden sein muß, um abgesehen von den in Reparatur befindlichen Maschinen eine genügende Reserve zu sichern.

3. In Hinsicht auf die P e r s o n e n w a g e n wird das Departement die Verhandlungen mit den einzelnen Verwaltungen fortsetzen, in dem Sinn, daß der Gesammtbestand der Personenwagen auf die Zahl gebracht werden soll, welche, bei gegenseitiger Aushülfe, für das Bedürfniß auch bei ausnahmsweiser Frequenz genügt, in der Art, daß weder auswärtige Wagen angemiethet, noch Gepäck- oder Güterwagen zum Personentransport beansprucht werden müssen.

4. Was den G ü t e r w a g e n p a r k betrifft, wird das Departement den Effekt der von den Gesellschaften in Aussicht genommenen Neuanschaffungen gewärtigen.

Art. V.

Die Eisenbahngesellschaften sind eingeladen, die Vorschriften betreffend die Aufnahme in den Eisenbahndienst in dem Sinne zu ergänzen, daß das Betriebspersonal auch nach der Aufnahme in den Dienst durch fortgesetzte Instruktion und Belehrung auf der Höhe seiner Aufgabe erhalten und die allseitige Diensttiichtigkeit desselben durch p e r i o d i s c h e P r ü f u n g e n konstatirt wird.

Art. VI.

Die tägliche Beanspruchung der F r a u e n im B a r r i e r e n d i e n s t darf nicht über die Dauer von 12 aufeinanderfolgenden Tagesstunden hinausgehen. Eine Vertretung derselben in diesem Dienst ist nur durch solche Personen statthaft, welche die nöthige Eignung dazu haben ; insbesondere sind Kinder und körperlich

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untaugliche ältere Personen davon ausgeschlossen. Für Wöchnerinnen gilt, in Analogie der Bestimmung im Art. 15 des Fabrikgesetzes vom 23. März 1877, A. S. Ili, 241, daß dieselben vor und nach der Niederkunft im Ganzen während 6 Wochen nicht im Bahndienst beschäftigt werden dürfen, in der Meinung, daß der Dienst jedenfalls wenigstens 4 Wochen nach der Niederkunft ausgesetzt werden soll.

Art. VII.

Die Gesellschaften sind bei der Erklärung behaftet, daß die Zugführer bei den Schnell- und den stark frequentirten Personenzügen weder zum Gepäck- noch zum Billetdienst herangezogen werden sollen.

Art. VIII.

Die Eisenbahngesellschaften sind eingeladen, die resp. Dienstvorschriften irn Sinne der vorstehenden Anordnungen soweit als nöthig zu ergänzen.

Art. IX.

Betreffend die Erstellung des zweiten Geleises auf den in den Anträgen des Eisenbahndepartementes vom 2. Oktober 1891 bezeichneten Linien und Bahnstrecken wird das Departement mit den einzelnen Gesellschaften verhandeln.

B e r n , den 24. Mai 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft;: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluss betreffend Verbesserungen im Eisenbahnbetrieb. (Vom 24. Mai 1892.)

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01.06.1892

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