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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Heinrich Müller in Malters, Luzern, betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung.

(Vom 7. Juli 1900.J

Der schweizerische Bundes rat hat über die Beschwerde des Heinrich M ü l l e r in Malters, Luzern, betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Eingabe vom 9. Dezember 1899 stellte Heinrich Müller in Malters beim Regierungsrate des Kantons Luzern das Gesuch um Erteilung eines Personalwirtschaftsrechtes zur Ausübung in zwei Parterrelokalen des Hauses Nr. 416. Auf den Antrag seines Staatswirtschaftsdepartementes wies der Regierungsrat das Gesuch durch Schlußnahme vom 26. Mai 1900, unter Hinweis auf das Gesetz über die Wirtschaften, vom 22. November 1883, ab, in Erwägung : ,,1. daß der Bewerber in den Jahren 1868, 1879 und 1881 dreimal polizeilich bestraft wurde;

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,,2. daß allerdings laut Zeugnis des Gemeinderates von Malters seit 1883 über denselben keine Strafen mehr zur Kenntnis jener Behörde gelangt sind, und seither überhaupt nichts Nachteiliges über dessen Leumund an dortigen Protokollen steht ; .;,3« daß sonach gemäß bundesrätlicher Praxis Einwendungen in Bezug auf die persönliche moralische Qualifikation des Patentbewerbers nicht erhoben werden könnten, daß dagegen die hierseitige Behörde das Erfordernis des unbescholtenen Rufes (§ 15, Absatz 2, des Wirtsgesetzes) von jeher nach strengster Auslegung verlangt hat.a II.

Gegen diese Schlußnahme erhob Heinrich Müller den 11. Juni 1900 die staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesrate. Er stellt, das Gesuch : Es sei der Entscheid des Regierungsrates vom 28. Mai 1900 ciufzuheben und diese Behörde zu verhalten, dem Kekurrenten das nachgesuchte Wirtschaftspatent zu erteilen. Zur Begründung wird angeführt: Die zum Betriebe der Wirtschaft vorgesehenen Lokale sind vom Regierungsrate als ganz geeignet befunden und auch das Bedürfnis nach einer Wirtschaft anerkannt worden ; beinahe die Hälfte der stimmfähigen Bürger von Malters haben sich denn auch unterschriftlich für das Vorliegen eines solchen Bedürfnisses ausgesprochen. Die vom Regierungsrate zu Begründung seiner Abweisung angeführte Gesetzesstelle, § 15, Absatz 2, des Gesetzes über die Wirtschaften, vom 22. Wintermonat 1883, lautet: ,,Bezüglich der persönlichen Requisite wird verlangt, daß der Bewerber im Besitze der vollen bürgerlichen Ehrenfähigkeit, eigenen Rechtes und nicht Konkursit sei, daß er und seine Familie in unbescholtenem Rufe stehen und daß namentlich keine Thatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß er das Wirtsgewerbe zur Förderung der Völlerei, des verbotenen Spiels, der Hehlerei oder der Unsittlichkeit mißbrauchen werde.'1 Die vorliegenden Thatsachen decken sich nun aber gar nicht mit dieser gesetzlichen Bestimmung. Der Gresuchsteller ist im vollen Besitze der bürgerlichen Ehrenftlhigkeit, er ist eigenen Rechtes und nicht Konkursit, wie die eingelegten Zeugnisse beweisen. Das Einzige, was ihm vorgeworfen werden kann, ist, daß er dreimal polizeilich bestraft worden ist; seit der letzten Strafe aber sind beinahe 20 Jahre verflossen. Die Familie ist in unbescholtenem Rufe; aber auch

599 die Vorstrafen des Gesuchstellers rechtfertigen es nicht, seinen eigenen Ruf als einen bescholtenen zu bezeichnen. Im Jahre 1886 wurde Müller, als Minderjähriger, mit einem Monat Gefängnis bestraft, weil er mit Beihülfe anderer junger Burschen dem Chorherrn Staffelbach in Münster ein halbes Dutzend junger Hühner entwendet hatte. Bin Jugendstreich! Im Jahre 1879 erhielt er zehn Tage Gefängnis, weil er aus dem Walde zwei kleine Tannchen im Werte von 30 Cts., mit Wachstumsschaden auf Fr. 2 geschätzt, entwendete. Im Jahre 1881 wurde Müller mit zehn weitern Tagen bestraft, weil er trotz Verbot seine Miete aufgegeben und den Vermieter um das Retentionsrecht brachte, immerhin mit nachheriger Schadloshaltung. Alle diese Strafen rechtfertigen die Annahme nicht, daß Müller das Wirtsgewerbe zur Förderung der Völlerei etc. mißbrauchen werde. Dieser Annahme steht vielmehr die große Anzahl der Unterschriften entgegen, welche das Zutrauen der Mitbürger zu Müller aussprechen. Die angefochtene Schlußnahme der kantonalen Regierung ist deshalb eine die Garantie der Handels- und Grewerbefreiheit verletzende und muß von der Bundesbehörde aufgehoben werden.

III.

Der Regierungsrat des Kantons Luzern stellt in seiner Vernehmlassung vom 22. Juni 1900 keinen Abweisungsantrag, sondern beschränkt sich auf Anbringung folgender Bemerkungen : Unsere Vernehmlassung kann eine sehr kurze sein, indem die aufgeworfene Frage eine reine Rechtsfrage ist, und der von uns eingenommene Standpunkt sich ohne weiteres aus der Motivierung unserer angefochtenen Schlußnahme ergiebt. Wir haben dem Rekurrenten das Patent aus dem Grunde verweigert, weil derselbe nach unserer Anschauung das Erfordernis des unbescholtenen Rufes nicht besitzt. Diese Folgerung zogen wir aus der Thatsache, daß Patentbewerber dreimal polizeilich vorbestraft worden ist. Den Entscheid nun darüber, ob diese unsere Praxis gegen die Garantie der Gewerbefreiheit verstoße, oder aber nicht, überlassen wir der h. Bundesbehörde. Allerdings liegen die Bestrafungen ziemlich weit zurück; auch waren die Delikte, wenn anders die Behauptungen der Rekursschrift richtig sind, nur leichter Art. Allein nachdem die Wirtschaften nun einmal nicht in wünschbarer Weise reduziert werden können, glauben wir immerhin mit aller Strenge darauf halten zu müssen, daß die moralische Qualifikation der Patentinhaber, beziehungsweise Bewerber, nach allen Richtungen eine

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tadellose sei ; wir glauben, daß die Öffentlichkeit und auch das Ansehen des Wirtsgewerbes durch diese Praxis, deren Strenge wir keineswegs in Abrede stellen, nur gewonnen hat.

Von dieser Praxis sind wir auch dann nicht abgegegangen, nachdem dieselbe im bundesrätlichen Entscheide in Sachen J. Franz Kragl, vom 8. Januar 1895 (Bundesbl. 1895, I, 60), desavouiert worden ist. Wenn nun die h. Bundeshehörde an den in diesem Entscheide entwickelten Anschauungen über Rehabilitation eines Vorbestraften in der öffentlichen Meinung glaubt festhalten zu sollen, dann ist allerdings die materielle Begründetheit der Beschwerde nicht zu bestreiten. Denn die Vorstrafen, welche dem Kekurrenten zur Last gelegt werden, sind unbestreitbar viel leichtere, als jene war, welche den Regierungsrat den 18. Mai 1894 veranlaßt hat, das Patent des Kragl nicht zu erteilen.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Der Regierungsrat des Kantons Luzern gesteht sowohl in seiner patentverweigernden Schlußnahme vom 26. Mai 1900, durch welche er das Gesuch des Heinrich Müller vom 9. Dezember 1899 erledigte, zu, daß gemäß bundesrätlicher Praxis in Bezug auf die moralische Qualifikation des Patentbewerbers Einwendungen nicht erhoben werden können ; er konstatiert sogar, daß die um cirka 20 Jahre zurückdatierenden Vorstrafen des Müller ganz leichter Natur sind; sie seien unbestreitbar viel leichtere als diejenige, welche den Regierungsrat den 18. Mai 1894 veranlaßt hat, einem J. F. Kragl das Wirtschaftspatent zu verweigern. In jenem Beschwerdefalle hat aber der Bundesrat, unter Aufhebung der regierungsrätlichen Schlußnahme, festgestellt, daß, bei aller zulässigen Strenge in der Handhabung der Bestimmungen über die persönlichen Requisite der Patentbewerber, doch gewisse Grenzen nicht überschritten werden dürfen ; daß insbesondere eine einmalige strafgerichtliche Verurteilung nicht die Wirkung haben könne, einer Person den guten Ruf für die ganze nachfolgende Lebenszeit zu entziehen ; vielmehr erscheine der amtliche Vorhalt einer gerichtlichen Verurteilung nur dann als gerechtfertigt, wenn er sich auf Verhältnisse stützen kann, die in der Gegenwart noch fortbestehen, oder doch in ihren Folgen naturgemäß sich noch fühlbar machen (Bundesblatt 1895, I, 60 und 1896, II, 37). Letzterer Thatbestand liegt zugestandener- und naclm-ewiesenermaßen im

601 heutigen Falle nicht vor ; die angefochtene Schlußnahme muß demnach als eine mit dem Grundsatze der Handels- und Gewerbefreiheit im Widerspruche stehende erklärt werden (vgl. auch den Entscheid des Bundesrates vom 14. April 1899 in Sachen WeberFries, Bundesbl. 1899, II, 608 und 1900, I, 809/810).

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als begründet erklärt und der Regierungsrat des Kantons Luzern eingeladen, dem Beschwerdeführer das nachgesuchte Wirtschaftspatent zu erteilen.

B e r n , den 7. Juli 1900.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Häuser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Rillgier.

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