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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche Kantonsregierungen betreffend die Vollziehung des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1891 über die ci vil rechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter.

(Vom 28. Juni 1892.)

Getreue, liebe Eidgenossen !

Nachdem von allen Kantonen, von einigen allerdings nur durch provisorische Erlasse, die in unserm Kreisschreiben vom 20. November 1891 (Bundesbl. 1891, V, 480) bezeichneten Anordnungen zur Vollziehung des Bundesgesetzes über die c i v i l r e c h t l i c h e n V e r hältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter, vom 25. Juni 1891 (A. S. n. F. Bd. XII, 8. 369), getroffen worden sind, glauben wir uns der Erwartung hingeben zu dürfen, daß die mit der Anwendung des Gesetzes betrauten kantonalen Behörden ihre Aufgabe mit demjenigen Eifer und derjenigen Sorgfalt zu erfüllen trachten werden, welche die Einführung eines vielerorts tief einschneidende Neuerungen mit sich bringenden Gesetzes erfordert.

Die schweizerische Bundeskanzlei wird demnächst in der Lage sein, ein Verzeichniß der von den Kantonen zur Ausführung des Gesetzes aufgestellten Behörden und Beamten im Bundesblatte zu veröffentlichen. Dieses Verzeichniß soll in Sonderabzügen den kantonalen Staatskanzleien zur Bekanntmachung und Verbreitung in den Kantonen zugestellt werden.

Wir haben den Antworten der Kantonsregierungen auf unser Kreisschreiben vom 20. November vorigen Jahres entnehmen können, daß da und dort über einige Punkte des Gesetzes noch unsichere

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oder nach unserer Auffassung irrthümliche Ansichten bestehen. Einzelne Regierungen erwarten ausdrücklich von uns die Beantwortung gewisser Fragen zur Klarlegung solcher Punkte.

Nun überweist allerdings Art. 38 des Gesetzes die Beurtheilung von Streitigkeiten, zu denen die Anwendung desselben Anlaß geben kann, dem Bundesgerichte. Wir glauben aber, daß es in unserer Stellung liege, im gegenwärtigen Momente durch Mittheilung unserer, für das Gericht freilich unmaßgeblichen, Ansicht über Sinn und Tragweite der fraglichen Bestimmungen Streitigkeiten vorzubeugen, zumal die Kantonsbehörden gerade zu diesem Zwecke uns um Kundgebung unserer Auffassung angehen.

Auf diesen Standpunkt uns stellend, haben wir die Fragen einiger Regierungen in besonderen Schreiben beantwortet.

In gleichem Sinne gestatten wir uns die nachfolgenden Bemerkungen über die Gestaltung der ehelichen Güterrechtsverhältnisse nach dem Bundesgesetze : Der Bund hat mit dem vollen Bewußtsein der Tragweite seines Schrittes (vgl. Bundesbl. 1891, III, 565 und 566) in dem Gesetze über die eivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter die güterrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten durch Bestimmungen geordnet, die buchstäblich über den Rahmen einer gesetzlichen Ordnung der Rechtsverhältnisse von Niedergelassenen oder Aufenthaltern hinausgehen. Die gesetzgebenden Räthe waren mit dem Bundesrathe zur Ueberzeugung gekommen, daß das Institut des ehelichen Güterrechtsverhältnisses nach seiner innern Natur eine b e s o n d e r e Behandlung im Gesetze verlange, indem nicht zwischen Heimatrecht und Wohusitzrecht hier die Wahl zu treffen sei, sondern zwischen dem einmal -- durch Gesetz oder Vertrag -- begründeten Güterrechte und dem Rechte der Heimat oder des jeweiligen Wohnsitzes der Ehegatten. Und man bestimmte einerseits, daß das Recht des ersten ehelichen Wohnsitzes die Güterrechtsverhältnisse der Ehegatten u n t e r e i n a n d e r für die ganze Dauer der Ehe, mögen die Ehegatten Niedergelassene oder Aufenthalter sein und bleiben oder nicht, beherrsche, sofern nicht die Ehegatten dem Rechte eines neuen Wohnsitzes sich freiwillig unterwerfen, andererseits aber, daß für die Verhältnisse der Ehegalten g e g e n ü b e r D r i t t e n das Hecht des jeweiligen ehelichen Wohnsitzes maßgebend sei.

Das ist der Inhalt der Artikel 19
und 20 des Bundesgesetzes.

Ueber die eivilrechtlichen Verhältnisse der schweizerischen Ehegatten im Auslande und der aus dem Auslande in die Schweiz zurückgekehrten schweizerischen Ehegatten enthält Art. 31 besondere Bestimmungen.

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In den Uebergangs- und Schlußbeslimmungen wurde festgesetzt, daß die Befugniß, ihr Verhältniß u n t e r e i n a n d e r dem jeweiligen Wohnsitzrechte zu unterstellen, auch den zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes bereits verehelichten Personen zustehe.

Ob auch die Grundbestimmung, daß die Eheleute andernfalls in Bezug auf ihr Gütersystem für die ganze Dauer der Ehe dem Rechte des ersten eheliehen Wohnsitzes unterworfen seien, auf die zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes bereits verehelichten Personen anwendbar sei, wurde in den Uebergangs- und Schlußbestimmungen nicht gesagt. Man erachtete es für überflüssig.

In der That, das Bundesgesetz will die Rechtsverhältnisse nicht blos derjenigen Personen regeln, welche in Zukunft, nach seinem Inkrafttreten, Niedergelassene oder Aufenthalter w e r d e n , sondern auch derjenigen, die zur Zeit seines Inkrafttretens bereits Niedergelassene oder Aufenthalter sind. Es unterwirft diese letzteren, unter gleichzeitiger Aufhebung aller widersprechenden Bestimmungen der eidgenössischen und kantonalen Gesetzgebung, sowie der einschlägigen Konkordate, dem Rechte der Heimat' oder des Wohnsitzes. Es schafft in diesen Beziehungen einen Rechtszustand, der vielfach dem bisherigen direkt entgegengesetzt ist. Nicht anders verhält es sich in Hinsicht auf das Institut des ehelichen Güterrechts. Das Gesetz läßt auch hier an die Stelle des bisherigen ungeordneten Zustaudes eine bestimmte, von allen Kantonen anzuerkennende Jurisdiktion treten, diejenige des ersten eheliehen Wohnsitzes und diejenige des jeweiligen faktischen Wohnsitzes der Ehegatten. Auch hier ergreift das,, Gesetz sämmtliche zur Zeit seines Inkrafttretens bestehende Ehen und unterstellt sie der neuen Ordnung, ohne Rücksicht darauf, ob sie bisher einem andern Rechte unterstellt waren, aber auch ohne Rücksicht darauf, ob die Eheleute in ihrem bürgerlichen Heimatkantone oder in einem andern Kantone wohnen. Denn das Gesetz sieht in diesem Punkte, wie wir bereits bemerkt haben, von dem Gegensatze ,,Heimatrecht oder Wohnsitzrechta im bürgerrechtlichen Sinne ab und betrachtet das Recht des ersten ehelichen Wohnsitzes als das Ursprungs- oder Heimatrecht der Ehe in Bezug auf die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten zu einander.

Daraus erklärt sich, warum die Bestimmungen des Bundesgesetzes auch die
güterrechtlichen Verhältnisse der in ihrem bürgerlichen Heinaatkantone wohnenden Eheleute erfassen und diese vom Gesetze als Niedergelassene behandelt werden, sofern nicht ihr Heimatkanton zugleich der Kauton ihres ersten ehelichen Wohnsitzes ist.

28 Für die Anwendung des Gesetzes ergibt sich aus dem Gesagten was folgt: Die Art. 19 und 20 des Bundesgesetzes sind auch auf die am 1. Juli 1892 bereits bestehenden Ehen anwendbar.

Die Kantone sind daher nicht befugt, festzusetzen, welches Recht auf solche Eheleute anwendbar sei.

Das Bundesgesetz erstreckt sich auch auf die am 1. Juli 1892 in ihrem bürgerlichen Heimatkantone wohnenden oder in der Folge in denselben zurückkehrenden Ehegatten. Wenn der Heimatkanton nicht der Kanton ihres ersten ehelichen Wohnsitzes ist, so gilt filidie Ehegatten unter sich das Recht dieses letztern, sofern sie sich nicht durch eine in Gemäßheit des Art. 20 abgegebene Erklärung dem Rechte ihres Heimatkantons unterwerfen, der eben in den Augen des Gesetzes als ein Wohnsitzkanton erscheint.

Es können nicht blos die nach dem 1. Juli 1892 in einen Kanton n e u einziehenden Ehegatten von der Befugniß Gebrauch machen, die ihnen Art. 20 des Bundesgesetzes einräumt, sondern sämmtliche Ehegatten, die nicht im Kantone ihres ersten ehelichen Wohnsitzes wohnen. Sie alle haben im Sinne des Gesetzes (Art. 20) ,,ihren Wohnsitz gewechselt".

Was im Besondern die von den Ehegatten zum Behufe der Unterstellung ihres Güterrechtsverhältnisses unter das Recht des jeweiligen Wohnsitzes abzugebende Erklärung anbetrifft, so geht aus der Entstehungsgeschichte des Art. 20 mit Sicherheit hervor, daß die Genehmigung der Erklärung durch die zuständige Behörde des Wohnsitzkantons aus zwei Gründen für nothwendig erachtet wurde; einmal weil es sich um ein Rechtsgeschäft zwischen Ehegatten handelt und zum Abschluß eines solchen nach den meisten kantonalen Gesetzen die Frau nicht ohne Mitwirkung einer Behörde oder eines Beistandes befähigt ist, sodann -- und dies ganz wesentlich -- zur Verhütung von Mißbrauch und Zwang seitens des Mannes gegenüber der Frau. (Vergi. Bericht des Bundesrathes vom 8. Juni 1891 im Bundesblatt 1891, III, 565.)

In d i e s e r Richtung wird die von den Kantonen bezeichnete Behörde ihre Aufgabe zu erfüllen und ihres Amtes zu walten haben; nicht aber kann sie, wie einzelne Kantone anzunehmen scheinen, dem Willen der Ehegatten einfach ihren Willen entgegensetzen, die Erklärung der Ehegatten nach ihrem bloßen Gutfinden genehmigen oder nicht genehmigen.

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Wir haben in unserm Kreisschreiben vom 20. November 1891 die Kantonsregierungen angefragt, bis zu welchem Zeitpunkt der Uebergang der Vormundschaftsverwaltungen vom Heimatkanton auf den Wohnsitzkanton sich unter Wahrung aller Interessen der Verwaltung vollziehen lasse.

Die Antworten lauten sehr verschieden. Einige Kantone erklären hiefür einen Zeitraum von wenigen Wochen oder Monaten als genügend ; andere, und diese bilden die Mehrzahl, wünschen den Rechnungsabschluß auf Ende dieses Jahres vorzunehmen, verlangen dann aber noch für die Prüfuog und Genehmigung der Rechnungen durch die Oberbehörden eine mehr oder weniger geraume Zeit.

In Würdigung aller Verhältnisse gelangen wir zur Ansieht, daß der U e b e r g a n g im L a u f e e i n e s J a h r e s , also bis zum I.Juli 1893, d e f i n i t i v v o l l z o g e n s e i n k ö n n e .

Wir setzen demnach den 1. Juli 1893 als Schlußtermin fest und ersuchen Sie, die nöthigen Anordnungen jetzt schon zu treffen, damit spätestens im genannten Zeitpunkte die vormundschaftliche Verwaltung von der zuständigen Wohnsitzbehörde in aller Form an die Hand genommen werden kann.

Sie wollen bei diesem Geschäfte der Vermittlung der Regierung des Wohnsitzkantons sich bedienen und sich mit derselben zu diesem Behufe sofort in Beziehung setzen.

Es ist nicht unsere Meinung, daß die Uebertragung bis zu dem festgesetzten Schlußtermine verschoben werden müsse oder daß dieselbe für alle Verwaltungen gleichzeitig zu geschehen habe. Vielmehr überlassen wir es ganz den beidseitigen Regierungen, das Vorgehen im Einzelnen nach ihrem Gutfinden unter sich zu vereinbaren.

Zwischen den Rechnungsabschluß und den Beginn der Verwaltung durch die neue Vormundschaftsbehörde wird eine Periode provisorischer Verwaltung sich einschieben, während welcher die Rechnung durch die Oberiostanzen des bisherigen Vormundschaftskantons geprüft und genehmigt wird. Es erscheint als angezeigt, daß diese provisorische Verwaltung von der bisherigen Stelle geführt und von der Regierung des betreffenden Kantons überwacht und geleitet werde, da die Ausweise über das vormundsehaftlicho Vermögen erst nach endgültiger Genehmigung der Rechnung au die neue Verwaltungsstelle abgehen können.

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Die Bundesbehörde, speziell unser Justiz- und Polizeidepartement, stellt sich den hohen Kantonsregierungen für alle weiteren wünschbaren Aufschlüsse zum Zwecke einer richtigen Vollziehung des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1891 zur Verfügung.

Wir benützen diesen Anlaß, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 28. Juni 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Häuser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Bingier.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche Kantonsregierungen betreffend die Vollziehung des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1891 über die civil rechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter. (Vom 28. Juni 1892.)

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06.07.1892

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