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Schweizerische Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft (siehe aas Mitgliederverzeichnis Seite 709 hiervor) sind am 3. Dezember 1917, vormittags 11 Uhr, zur ersten Session der vierundzwanzigsten Amtsperiode zusammengetreten.

Herr Henzi F a z y , von und in Genf, geboren im Jahre 1842, eröffnete als Alterspräsident die Sitzung des N a t i o n a l r a t e s mit folgender Ansprache : Herren Nationalräte!

Bei dor Eröffnung der heutigen Sitzung hat sich Ihr Alterspräsident einer ersten Pflicht zu entledigen, indem er Ihnen mit aufrichtigem Bedauern mehrere Kollegen, die seit der letzten Session verstorben sind, ins Gedächtnis zurückruft.

Am 12. Oktober erlag unser Kollege Oberst Eduard Secretati einer schmerzvollen Krankheit, deren Verlauf seine Freunde lange Monate hindurch mit ängstlicher Sorge verfolgten. Die unermüdliche und fruchtbare Tätigkeit Secretans hat sich auf den verschiedensten Gebieten entfaltet: Als Nationalrat, als waadtländischer Grossrat, als Oberstdivisionär hat unser teurer Kollege der öffentlichen Sache mit seltener Begabung und unermüdlicher Hingebung gedient; als Leiter einer bedeutenden Tageszeitung der romanischen Schweiz übte er auf die öffentliche Meinung einen wesentlichen Einfluss aus, der die Belohnung fester Überzeugungen ist. Soll ich Ihnen, meine Herren, von der hervorragenden Rolle Secretans bei unseren Verhandlungen im Nationalrate sprechen ? Sein klares, kraftvolles Wort, seine prägnante Dialektik machten stets Eindruck; man konnte anderer Ansicht sein als er, aber man schätzte seine loyale, mit aller Ritterlichkeit zum Ausdruck gebrachte Überzeugung. Wenn ,wir nicht irren, bestand Secretans letzte Handlung im Nationalste darin, dass er sich dem auf die Revision der Militärorganisation abzielenden Postulate anschloss, das die Befugnisse des Bundesrates und des Armeekommandos genau bestimmt und das Übergewicht der Zivilgewalt über die Militärbehörden sichergestellt sehen möchte.

Leider war es ihm nicht mehr vergönnt, sich mit uns wieder zu vereinigen, um an der Schlussabstimmung über das Postulat teilzunehmen.

Rudolf A m sie r von Meilen (Zürich) war eben mit ge- waltiger Stimmenmehrheit als Nationalrat wiedergewählt worden,

732 als er auf einem Ausflüge durch einen Herzschlag gleichsam niedergeschmettert wurde. Amsler erfreute sich einer wohlverdieaten Volksgunst, die er seinen guten Diensten als Mitglied von Gemeindebehörden, als Kantonsrat und als Nationalrat zu danken hatte. Er sass seit 1899 in unserm Bäte und war sowohl im Plenum als auch in den Kommissionen seines sichern Urteils, seiner Geschäftserfahrung und seines überaus versöhnlichen Wesens wegen hoch geschätzt.

Carl N i e d e r b e r g e r gehörte der Regierung von Nidwaiden an. Er war 1896 in den Nationalrat gekommen und 1 hatte sich zurückgezogen, als er am 7. November der Krankheit erlag. Die einmütigen und rührenden Trauerkundgebungen, die ihn zu Grabe geleitet haben, legen Zeugnis ab von seinen vielen Verdiensten.

Er war ein gewissenhafter und pflichttreuer Mann, der Nützliches stiftete, ohne darauf eitel zu sein.

Durch ein schmerzliches Zusammentreffen vernahmen wir an demselben Tage, i an dem Carl Niederberger verschied, den Tod Albert L o c h e r s , der dein Nationalrate ohne Unterbrechung seit 1899 angehörte. Nachdem Locher dem bernischen Grossen Rat angehört und als Maire von St. Immer, dann als Regierungsstatthalter des Amtes Courtelary gewirkt hatte, wurde er 1912 in die Kantonsregierung berufen. In diesen verschiedenen Funktionen konnte Locher seine lebhafte und glänzende Intelligenz, seine weitherzigen und fortschrittlichen Neigungen zur Geltung bringen. Wir, die wir ihn im Nationalrate an der Arbeit gesehen haben, werden seine geläufige und überzeugende Sprache, sein freimütiges und herzliches Benehmen und seine erprobte Vaterlandsliebe nicht vergessen. Warum musste sein Dasein durch die Zufälligkeiten des öffentlichen Lebens in der letzten Zeit noch verdüstert werden? , Meine Herren Nationalräte !

In den drei abgelaufenen Jahron, diesen schmerzlichen und tragischen Jahren, wie sie zu keiner Zeit noch erlebt wurden, sind die durch den westfälischen und den WienerVertrag garantierte Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz unverletzt geblieben ; unsere Landesgrenzen sind geachtet worden. Wir haben alle Ursache, uns deswegen sehr glücklich zu schätzen, und wir würden die erste unserer Pflichten vernachlässigen, sprächen wir dem Bundesrate und der schweizerischen Armee, die über die Integrität unseres Staategebietes wacht, nicht unsere Dankbarkeit aus. Soll es nicht unsere erste Sorge sein, unseren Offizieren und

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Soldaten, die, ihren Berufsgeschäften, ihren Familien entrissen, mît vaterländischer Aufopferung ihren militärischen Pflichten nachkommen, dankbare Grüsse zu bieten? Ihnen gebührt die Ehre; sie haben Anrecht auf die achtungsvolle und dankbare Anerkennung der Abgeordneten des Landes. Ohne Zweifel müssen die wiederholten Anforderungen des Dienstes manchmal etwelche vorübergehende Unzufriedenheit hervorrufen. Allein das Schweizervolk hegt die zuversichtliche Hoffnung, dass innert der Grenze des vernünftigerweise Zulässigen nichts gespart werde, um die schwere Bürde, die auf unseren Mitbürgern im Felde lastet, zu mildern und zu . erleichtern. In der letzten Zeit haben wir mit tiefem Bedauern und voller Kümmernis erkennen müssen, dass in gewissen Kreisen die Sorge um die Landesverteidigung, das Gefühl für die militärischen Bedürfnisse nicht so aufgefasst und verstanden werden, wie es sein sollte. Wenn es ein Land gibt, in dem solche Strömungen nicht aufkommen sollten, dann ist es gerade unsere kleine, freie und republikanische Schweiz, in der die Armee weder im Dienste eines Machthabers noch einer Kaste steht. Sollte man etwa zugeben, dass die letzte Etappe der demokratischen Evolution darauf hinauslaufe, dem Eindringling die Pforten zu öffnen, sich widerstandslos unter fremdes Joch zu beugen? In dep entlegensten Tälern würde alsdann der Verzweiflungsschrei widerhallen: ,,Finis Helveti«ea. Nein, meine Harren, wir sind denn doch nicht so weit ! Vom Rhein bis zur Rhone verdammt das Schweizervolk solch eine Denkweise; es bleibt den ruhmreichen Überlieferungen seiner Vergangenheit treu ; es weiss, was ein Vaterland wert ist, und es würde in alle Opfer einwilligen, um seine höchsten Güter, die Freiheit und Unabhängigkeit, zu erhalten.

Die wirtschaftliche Krisis, die Schwierigkeiten der Lebensmittelversorgung und die dadurch notwendig gewordenen Sparinassnahmen rufen in unserm Lande wie auch anderwärts eine Unbehaglichkeit und Unzufriedenheit hervor, die eine Rückwirkung auf das politische Leben ausüben. Die von den Behörden angeordneten außerordentlichen Massnahmen werden verhandelt, vielfach schlecht aufgenommen oder falsch ausgelegt. Niemand denkt daran, vom Volke zu verlangen, auf sein Recht zu diskutieren und zu kritisieren zu verzichten. Ein Volk, das nicht mehr diskutiert, ist ein geknechtetes Volk. Darf
aber der Alterspräsident nicht den Wunsch aussprechen, dass unsere Bevölkerung in der Krisis, die wir durchmachen, die Ruhe und Kaltblütigkeit bewahre, wie es sich bewährten Republikanern geziehmt ? Kürzlich ist in einer unserer Hauptstädte, die. ein geistiger Mittelpunkt

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ersten Ranges is-t, die Ordnung ernstlich gestört worden. Ähnliche Vorkommnisse werden sieh nicht wiederholen. Ist es aber nicht znm mindesten sonderbar, dass sich die Strassenunruhen unter dem Wahlepruch der Friedensstiftung abspielen, und ist es nicht erste Pflicht des Pazifizismus, sich friedliebend zu zeigen ?

Es sind drei Jahre her, dass der Alterspräsident um diese Zeit hier den Wunsch aussprach, Belgiens und Luxemburgs Unabhängigkeit und Neutralität möchten aus dem damals begonnenen Kampfe siegreich hervorgehen. Zu jener Zeit schien es, dass dieser Wunsch sehr spröde, fast wahnwitzig sei; es war ein heiterer Ausblick inmitten heftigsten Unwetters. Können wir heute, wenn auch der Krieg mit furchtbarer Heftigkeit weiterwütet, nicht die Morgenröte einer neuen Ära wahrnehmen, in der Belgien und Luxemburg zu neuem Leben erwachen und ihre Stelle unter den neutralen Staaten wieder einnehmen werden? Wie viele gute Geister hegen die feste Überzeugung, dass auch andern schrecklich heimgesuchten Länderstriohen ein besseres Schicksal lächeln werde.

Als vor einem Jahrhundert die Karte Europas auf dem Wiener Kongresse umgestaltet wurde, nahm der Kongress die Teilung der Landgebiete, Staaten oder Provinzen nicht nach ihrer Ausdehnung, sondern nach der Kopfzahl ihrer Bevölkerung vor. Die Bevollmächtigten behandelten die Völker wie menschliches Vieh!

Könnte dergleichen heute noch vorkommen ? Dies scheint unmöglich. Es kann sich nicht mehr darum handeln, eine Nation auf der Weltkarte zu streichen. Und haben wir nicht aufrichtige Freude empfunden, als wir vernahmen, dass man hüben und drüben daran denkt, ein hundertjähriges Verbrechen, die Aufteilung Polens, wieder gutzumachen? Wenn ein Volk Ströme seines Blutes für die Wiedererlangung seiner Unabhängigkeit vergossen hat, ist es dann nicht würdig, zu leben ? Würde nicht ein unabhängiges und neutrales Polen als Schranke zwischen Grossmächten eine wertvolle Bürgschaft für den internationalen Frieden sein?

Vielleicht sollte ich mich bei Ihnen, meine Herren, entschuldigen, dermassen eine kurze Weile unsere engen Grenzen überschritten und die Europa nach dem Kriege vorbehaltene Zukunft au ergründen gesucht zu haben. Mitten im Gewirr können wir bloes eine neue Ära vorausahnen und träumen, in der die Grundsätze triumphieren werden, die die Grundlage unserer
eigenen Einrichtungen sind. Wir können den andern Ländern nur die ideellen Güter wünschen, deren wir uns selber erfreuen.

Im Jahre 1307 gründeten einige herzhafte Männer auf einer abgelegenen Wiese am Fusse von Seelisberg die helvetischen Frei-

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heiten ; entblössten Hauptes, im Anblicke der hehren Alpenfirnen gelobten sie, dem geltenden Feudalrechte zum Trotz, den unerschütterlichen Willen, frei zu sein. Der Rütlischwur hat uns die Jahrhunderte hindurch den Grundsatz überliefert, der ans io der Beurteilung der zeitgenössischen Ereignisse leiten soll. Möge unser Land die Gefühle, die die Männer auf dem Rütli beseelten und die sich zusammenfassen lassen in die Worte: Freiheit, Widerstand gegen Unterdrückung, bewahren als anvertrautes unverletzliches und geheiligtes Gut, Und jetzt, meine Herren Nationalräte und Kollegen, ist es Zeit, zu schliessen. Beim Beginn der neuen Legislaturperiode haben wir drei Jahre der Bangigkeit und Betrübnis hinter uns, und Doch scheint sich der Himmel nichts weniger ale aufzuheitern, Unsere Bevölkerung musa die Opfer und Entbehrungen weiter ertragen und bedenken, dass ihr Geschick im Vergleich mit demjenigen der Nachbarstaaten noch beneidenswert ist. Wir aber, meine Herren, wollen uns eifrig bestreben, uns in diesen schwierigen Zeiten durch die Reife und die Mässigung unserer Debatten und die Weisheit unserer Beschlüsse des Vertrauens des Schweizervolkes stets würdiger zu erweisen.

Nach Validierung der Wahlen und Beeidigung des Rates wird als Präsident gewählt : Herr Henri C a l a m e, von Le Locle und La Brévine, in Neuenburg, bisher Vizepräsident.

Am 5. Dezember ergänzte der Nationalrat sein Bureau wie folgt: Vizepräsident : Herr Heinrich H ä b e r l i n , von Bissegg und Frauenfeld, in Frauenfeld.

Stimmenzähler : ,, Friedrich B u r i , von Bangerten, in Fraubrunnen.

,, Evaristo Garbani-Nerini, von Gresso, in Lugano.

,, Dr. Hermann Stadlin-Graf, von und in Zug.

,, Heinrich Walther, von Sursee, in Luzern.

,, Albert-EdouardMaunoir, von und in Genf.

,, Gustav Müller, von Wiler b. Utzenstorf, in Born.

,, Dr. Theodor Odinga, von Uster und Borgen, in Borgen.

,, Louis R e y m o n d , von V Abbaye, in Orbe.

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Im S t a n d e r a t e eröffnete Herr Präsident Oberst M e r c i e r Sitzung und Session mit einem Rückblick auf die verflossene Amtsdauer und einem Nachruf zu Ehren der seit der letzten Session verstorbenen Nationalräte Secretan, Amsler, Niederberger und Locher. Der Rat erhebt sich von den Sitzen.

Nach Beeidigung der in den Rat neu eingetretenen Herren Dr. Dind (Waadt) und Regierungsrat Schöpfer (Solothurn) wird das Bureau für 1917/18 wie folgt bestellt: Präsident : Herr Heinrich B o l l i , von Beringen, in Schaffhausen, bisher Vizepräsident.

Vizepräsident: ,, Dr. Friedr, Brügger, von Churwalden und Obersaxen, in Chur.

Stimmenzähler : ,, Henri Simon, vonSte.Croix, inGrandson.

,, Joseph A n d e r m a t t , von und in Baar,

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Ans denVerhandlungen des Bundesrates.

(Vom 23. November 1917.)

Am 17. November 1917 hat Herr Fernand P e l t z e r dem Bundespräsidenten und dem Vorsteher des politischen Departements sein Beglaubigungsschreiben als ausserordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister des Königreichs Belgien überreicht.

Die zu Vizekonsuln beim italienischen Generalkonsulat in Zürich ernannten Herren Carlo M e n a s c i und Ugo Cappelletti werden in dieser Eigenschaft anerkannt.

Der zum Vizekonsul von Italien in Locamo ernannte Herr Mario I n d e 11 i wird in dieser Eigenschaft anerkannt.

(Vom 27. November 1917.)

Für die Dauer des Aktivdienstes werden nachstehende Vorschriften über die Befristung der Notunterstützungsbegehren erlassen:

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05.12.1917

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