zu 99.436 Parlamentarische Initiative (Kommission 96.091 SR) Beseitigung von Mängeln der Volksrechte Bericht vom 2. April 2001 Stellungnahme des Bundesrates vom 15. Juni 2001

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, zum Bericht vom 2. April 2001 nehmen wir nach Artikel 21quater Absatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

15. Juni 2001

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

11536

Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

6080

2001-1303

Stellungnahme 1

Ausgangslage

Mit Schreiben vom 2. April 2001 ersuchte die Staatspolitische Kommission des Ständerats (SPK-S) den Bundesrat, Stellung zu nehmen zu ihrem Bericht vom 2. April 2001 «99.436 Parlamentarische Initiative (Kommission 96.091 SR). Beseitigung von Mängeln der Volksrechte».

Die Parlamentarische Initiative war von der Verfassungskommission des Ständerats ausgegangen. Danach sollten die voraussichtlich mehrheitsfähigen Vorschläge des gescheiterten Reformpakets der Botschaft des Bundesrats vom 20. November 1996 (96.091) wieder aufgenommen werden. Die Vorlage war gescheitert, weil die beiden Räte sich nicht auf eine gemeinsame Strategie einigen konnten.

Der Ständerat hatte der Parlamentarischen Initiative am 30. August 1999 Folge gegeben.

2

Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Allgemeine Überlegungen

2.1.1

Zustimmung zur Stossrichtung der Vorschläge

Der Bundesrat ist erfreut darüber, dass nach dem Scheitern der Volksrechtsreform in den eidgenössischen Räten ­

die Verfassungskommission des Ständerates eine Parlamentarische Initiative «Beseitigung von Mängeln der Volksrechte» eingereicht und der Ständerat ihr am 30. August 1999 Folge gegeben hat;

­

die Staatspolitischen Kommissionen der beiden Räte gemeinsam tagende Subkommissionen zur Umsetzung dieser Parlamentarischen Initiative eingesetzt haben;

­

die beiden Subkommissionen auf die Parlamentarische Initiative eingetreten sind und einen Bericht erarbeitet haben;

­

die Staatspolitische Kommission des Ständerates (SPK-S) ebenfalls auf die Vorlage eingetreten ist und einen Bericht und Entwurf für einen Bundesbeschluss verabschiedet hat, gemäss welchem die allgemeine Volksinitiative eingeführt und das Staatsvertragsreferendum reformiert werden soll.

Der Bundesrat kann sich deshalb mit der Hauptstossrichtung des Berichts der SPK-S einverstanden erklären. Er ist zuversichtlich, dass auf Grund der vorliegenden Vorarbeiten die Reform der Volksrechte im Parlaments zu einem guten Ende geführt werden kann, auch wenn neue Befragungen zeigen, dass die Reformbereitschaft in der Bevölkerung nicht besonders gross ist.

Der Bundesrat hofft, dass nach der Zustimmung von Volk und Ständen zur neuen Bundesverfassung und zur Justizreform mit dem Bundesbeschluss über die Änderung der Volksrechte ein weiteres Reformpaket verwirklicht werden kann und dass 6081

damit eine gute Ausgangslage für noch weitere Reformen unseres Staatswesens (Staatsleitungsreform, Neuordnung des Finanzausgleichs) besteht.

2.1.2

Einverständnis des Bundesrats mit verschiedenen Neuerungen

Die SPK-S hat im Vergleich zu den ursprünglichen Reformvorschlägen des Bundesrats verschiedene Änderungen vorgenommen, die zu keinen Bedenken Anlass geben: ­

Allgemeine Volksinitiative: Bundesversammlung kann einer allgemeinen Volksinitiative gleich zu Beginn einen Gegenentwurf gegenüberstellen (Art.

139a Abs. 4 BV)

­

Regelung des Verfahrens bei Initiative und Gegenentwurf in einem separaten Artikel (Art. 139b BV)

­

Verfassungsrechtliche Regelung der Ausnahmen vom Erfordernis übereinstimmender Beschlüsse beider Räte (Art. 156 BV)

­

Beschwerde ans Bundesgericht wegen Missachtung von Inhalt und Zweck einer allgemeinen Volksinitiative durch die Bundesversammlung (Art. 189 Abs. 1 Bst. abis)

2.1.3

Anträge des Bundesrats auf Alternativen und Ergänzungen gegenüber den Vorschlägen der SPK-S

In verschiedenen Punkten möchte der Bundesrat die Akzente der Reform etwas anders setzen, und er beantragt zudem verschiedene Ergänzungen zu den Vorschlägen der SPK-S. Die Abfolge der Stellungnahmen folgt dabei der Nummerierung der entsprechenden Verfassungsbestimmungen mit Ausnahme der Querschnittsfragen «Kantonsinitiative» und «Unterschriftenzahlen und Sammelfristen», welche zu Beginn behandelt werden sollen.

2.1.4

Überblick über die Positionen von SPK-S und Bundesrat

Eine Übersicht über die unterschiedlichen Positionen (Regelung gemäss neuer Bundesverfassung, Anträge des Bundesrats aus dem Jahre 1996, Bericht SPK-S vom 2. April 2001 und vorliegende Stellungnahme) findet sich im Anhang.

6082

2.2

Stellungnahme zu Querschnittsfragen

2.2.1

Kantonsinitiative

Der Bundesrat hat in seiner Vorlage aus dem Jahre 1996 den eidgenössischen Räten die Einführung der Kantonsinitiative beantragt. Er befürwortet auch heute noch diese Ergänzung.

Die Kantone sind bereits in der geltenden Verfassung in die Ausübung der Volksrechte einbezogen. Nach Artikel 141 BV können 50 000 Stimmberechtigte oder acht Kantone das Referendum ergreifen. Nun soll die selbe Zahl von Kantonen auch eine Verfassungsinitiative oder eine allgemeine Volksinitiative auslösen können. Den Kantonen sollen somit nicht nur blockierende, sondern auch impulsgebende Instrumente zur Verfügung stehen.

Zur Zahl von acht Kantonen ist dabei zu präzisieren, dass alle Kantone und damit auch alle Halbkantone numerisch als ein Kanton zu zählen wären.

Das Initiativrecht soll nach der vorgeschlagenen Bestimmung nicht von den kantonalen Regierungen, sondern von den kantonalen Parlamenten oder vom Volk ausgelöst werden können. Der kantonale Verfassungsgeber soll dabei die Kompetenzverteilung innerhalb des Kantons (Parlament oder Volk) bestimmen können. Das Erfordernis der Zustimmung von acht Kantonsparlamenten dürfte eine ähnlich anspruchsvolle Voraussetzung darstellen wie dasjenige von 100 000 bzw. 70 000 Unterschriften.

Das Kantonsreferendum ist ­ vermutlich auf Grund der kurzen Fristen und der bisher unterbliebenen Konzertation unter den Kantonen ­ bisher nie zu Stande gekommen.

Es ist schwierig abzuschätzen, ob auch die Kantonsinitiative im Falle ihrer Einführung dermassen selten genutzt würde. Es ist durchaus möglich, dass die Kantone die Kantonsinitiative als letzte Möglichkeit benutzen werden, um ihre Rechte zu wahren oder Föderalismusreformen einzuleiten, falls nach ihrer Ansicht der Bundesrat oder die eidgenössischen Räte den kantonalen Anliegen zu wenig Rechnung tragen. Die Kantonsinitiative böte den Kantonen zudem Gelegenheit, in der Integrationspolitik Impulse zu geben. Da für das Ergreifen der Kantonsinitiative die gleichen Erfordernisse gelten sollen wie für das Ergreifen des Referendums (acht Kantone), aber mehr Zeit zur Verfügung steht, ist durchaus möglich, dass die Kantonsinitiative häufiger ergriffen würde.

Der Kantonsinitiative werden mehrere Argumente entgegengehalten: ­

Erstens wird gesagt, dass die Kantone bereits über das Instrument der Standesinitiative verfügen und dass den Ständeräten zur Vertretung der Interessen ihres Kantons auch das Instrument der Parlamentarischen Initiative zur Verfügung stehe. Über beide Instrumente entscheiden aber die eidgenössischen Räte, mit diesen Instrumenten kann somit nicht ohne Weiteres eine Volksdebatte und -abstimmung über eine Verfassungs- oder Gesetzesänderung ausgelöst werden. Erst die Kantonsinitiative eröffnet diese Möglichkeiten.

­

Zweitens wird gesagt, dass die Kantonsinitiative in Abstimmungen zu einem Graben zwischen dem Bundesrat und den Kantonsregierungen führen könnte. Diese Befürchtung ist aber nicht überzugewichten. In Abstimmungs6083

kämpfen sind «Gräben» ­ z.B. zwischen Regierungsparteien oder zwischen Bundesräten und «ihren» Parteien ­ häufig anzutreffen, aber sie beeinträchtigen eine anschliessende engere Zusammenarbeit in der Regel nicht. Das schweizerische Regierungssystem hat eine lange und reiche Erfahrung mit wechselnden Koalitionen und Gegnerschaften in Abstimmungskämpfen.

­

Drittens wird auch gesagt, dass die Kantonsinitiative zu regionalen Allianzen führen könne. Acht Kantone sind aber ein hohes Erfordernis.

Auf Grund der vorangehenden Überlegungen beantragt der Bundesrat die Erweiterung des Initiativrechts (Verfassungsinitiative, allgemeine Volksinitiative) auf acht Kantone. Dieses Recht soll nur vom kantonalen Parlament oder vom Volk ausgeübt werden können. Es soll in einer neuen Bestimmung 139c verankert werden.

Der Bundesrat unterbreitet die folgenden Vorschläge auf Ergänzung der Bundesverfassung: Art. 138 1 100

000 Stimmberechtigte oder acht Kantone können ...

Art. 139 1 100

Formulierte Volks- und Kantonsinitiative auf ...

000 Stimmberechtigte oder acht Kantone können ...

Art. 139a 1 100

Volks- und Kantonsinitiative auf Totalrevision ...

Allgemeine Volks- und Kantonsinitiative

000 Stimmberechtigte oder acht Kantone können...

Art. 139c

Kantonsinitiative

Das Initiativrecht der Kantone ist vom kantonalen Parlament oder vom Volk auszuüben.

2.2.2

Unterschriftenzahlen und Sammelfristen

2.2.2.1

Allgemeines

Der Bundesrat hatte in der Botschaft vom 20. November 1996 beantragt, die Unterschriftenzahlen für die ausformulierte Volksinitiative von 100 000 auf 150 000 und diejenigen für das Referendum von 50 000 auf 100 000 Unterschriften anzuheben; letzteres Erfordernis sollte auch für die allgemeine Volksinitiative gelten.

Die SPK-S möchte die Unterschriftenzahl auf dem heutigen Niveau belassen, aber die Sammelfristen auf Verfassungsebene verankern und gleichzeitig die Fristen für die Verfassungsinitiative (heute 18 Monate) sowie für die neu eingeführte allgemeine Volksinitiative auf 12 Monate beschränken.

Der Bundesrat hat seinen Antrag auf Erhöhung der Unterschriftenzahlen mit der demografischen Entwicklung (Anteil der erforderlichen Unterschriften an der Zahl der Stimmberechtigten sei von 7% unter 2,2% gefallen), mit den verbesserten

6084

Kommunikationsmöglichkeiten und mit der damals unterbreiteten Ausweitung der Volksrechte begründet.

Die SPK-S begründet in ihrem Bericht den Verzicht auf eine Erhöhung der Unterschriftenzahlen mit den in letzter Zeit aufgetretenen Schwierigkeiten beim Sammeln von Unterschriften. Diese seien auf verschiedene Gründe zurückzuführen: Erschwertes Sammeln an den Urnen auf Grund der Erleichterung der brieflichen Stimmabgabe, Entpolitisierung der Gesellschaft. Gleichzeitig wird aber auch geltend gemacht, dass das Quorum zum Ergreifen der Instrumente massiv kleiner geworden sei, dass verbesserte Kommunikationsmittel bestünden und dass sich das Gewicht zur indirekten Demokratie verschoben habe.

Der Bundesrat hält grundsätzlich an seiner Beurteilung des Jahres 1996 fest. Er stellt fest, dass die Beanspruchung der Stimmberechtigten seit den Siebzigerjahren stark zugenommen hat und nach wie vor recht hoch ist. Er stellt auch fest, dass die Reform der Volksrechte neue differenzierte Einflussmöglichkeiten bietet, welche die Beanspruchung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nicht verringern werden.

Der Bundesrat bringt auf Grund der seither eingetretenen Entwicklungen aber auch gewisse Nuancierungen an seiner damaligen Position an.

So ist erstens festzuhalten, dass Initiativen und fakultative Referenden für die seit den Siebzigerjahren erfolgte stärkere Beanspruchung der Stimmberechtigten nur zur Hälfte verantwortlich sind. Die andere Hälfte der Abstimmungsvorlagen geht nämlich auf Behördenvorlagen (obligatorisches Referendum) zurück. Die in der Schweiz gepflegte Praxis, die Kompetenzen und Pflichten des Bundes in der Verfassung sehr detailliert aufzulisten, hatte bisher zur Folge, dass sowohl eine Ausweitung wie auch ein Abbau von Bundeskompetenzen mit Verfassungsänderungen verbunden war und damit von Volk und Ständen genehmigt werden musste. Falls die Beanspruchung der Stimmberechtigten wirksam reduziert werden sollte, müssten sich die Exekutive und die Legislative auf eine zurückhaltendere Form der Verfassungsgebung einigen.

Möglicherweise werden inskünftig weniger obligatorische Referenden nötig sein, weil im Rahmen der Verfassungsreform viele Details auf die Gesetzesebene herabgestuft worden sind.

Zweitens ist festzuhalten, dass verschiedene Faktoren (briefliche Stimmabgabe, möglicherweise geringeres
politisches Interesse) dazu geführt haben, dass das Sammeln von Unterschriften trotz der Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten insgesamt schwieriger geworden ist. Seit 1980 hat die Zahl der gescheiterten Initiativen stark zugenommen: von durchschnittlich einer auf elf pro Legislaturperiode.

Die Zahl der zu Stande gekommenen Initiativen hat auf Grund der relativ hohen Zahl lancierter Initiativen weitgehend stagniert (durchschnittlich 5­6 pro Jahr, 11 im Wahljahr 1999, dann wieder 6 im Jahre 2000).

Drittens ist festzuhalten, dass das von der SPK-S geschnürte Reformpaket weniger umfangreich ist als das 1996 vom Bundesrat beantragte Reformpaket. Während die Einführung der allgemeinen Volksinitiative primär der Entlastung der Verfassungsinitiative von Gesetzesinhalten dient und per Saldo zu keiner nennenswerten Zunahme der Gesamtzahl der Initiativen führen dürfte, könnte sich die Ausweitung des fakultativen Staatsvertragsreferendums theoretisch in einer Erhöhung der Zahl der Referenden auswirken. Praktisch dürfte sich wenig ändern. Das fakultative Staats-

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vertragsreferendum ist bisher erst fünf Mal ergriffen worden1. Auf Grund dieser Gegebenheiten empfiehlt der Bundesrat den eidgenössischen Räten, bezüglich der Hürden für Volksrechte folgende Strategie einzuschlagen:

2.2.2.2

Sammelfristen auf Verfassungsstufe

Unterschriftenzahlen und Sammelfristen sind als Hürden für Initiativen und Referenden letztlich ähnlich bedeutsam. Die Möglichkeit der Ausübung der Volksrechte hängt konkret in hohem Masse davon ab, innert welcher Frist die geforderte Zahl der Unterschriften beigebracht werden muss. Entsprechend kann sich der Bundesrat heute dem Vorschlag der SPK-S anschliessen, die Sammelfristen auf Verfassungsebene zu verankern. Weitere Änderungen, wie beispielsweise die aus technischen Überlegungen begründete Verlängerung der Referendumsfrist von 90 auf 100 Tage im Bundesgesetz vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte (SR 161.1; BPR), sind in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Das Erfordernis einer Verfassungsrevision aus eher technischen Überlegungen rechtfertigt nicht, die Sammelfristen nicht auf Verfassungsstufe regeln zu wollen.

2.2.2.3

Kürzere Sammelfristen

Materiell widersetzt sich der Bundesrat der von der SPK-S vorgeschlagenen Reduktion der Sammelfristen nicht grundsätzlich.

2.2.2.4

Unterschriftenzahlen

Fakultatives Referendum: Falls das Parlament eine Verkürzung der Sammelfristen für Volksinitiativen beschliesst, sollten auch die Hürden für das Referendum überprüft werden, damit bei den Volksrechten nicht die bremsenden Elemente privilegiert werden. Da beim Referendum eine Verkürzung der Sammelfrist nicht angezeigt ist, wären die Unterschriftenzahlen auf 70 000 anzuheben.

1

Es betraf folgende Staatsverträge: Bundesbeschluss über die Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der EG sowie gegebenenfalls ihren Mitgliedstaaten oder der Europäischen Atomgemeinschaft andererseits, Abstimmung: 21.05 2000, BBl 2000 1587 Bundesbeschluss über den Beitritt der Schweiz zu den Institutionen von Bretton Woods, Abstimmung: 17.05.1992, BBl 1992 V 451 Bundesbeschluss betreffend ein Abkommen zwischen der Schweiz und der Internationalen Entwicklungsorganisation (IDA) über ein Darlehen von 200 Millionen Franken, Abstimmung: 13.06.1976, BBl 1976 II 1565 Bundesbeschluss betreffend die Genehmigung des zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik abgeschlossenen Abkommens über die Nutzbarmachung der Wasserkraft des Spöl, Abstimmung: 07.12.1958, BBl 1959 I 88 Bundesbeschluss über die Ratifikation des am 7. August 1921 in Paris unterzeichneten Abkommens zwischen der Schweiz und Frankreich zur Regelung der Handelsbeziehungen und des freundnachbarlichen Grenzverkehrs zwischen den ehemaligen Freizonen Hochsavoyens sowie der Landschaft Gex und den angrenzenden schweizerischen Kantonen, Abstimmung: 18.02.1923, BBl 1923 I 746

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Allgemeine Volksinitiative: Der Bundesrat ist seit 1996 der Überzeugung, dass die Unterschriftenzahl für die allgemeine Volksinitiative auf jeden Fall tiefer angesetzt werden muss als für die Verfassungsinitiative. Andernfalls ist das neue Volksinstrument zu wenig attraktiv, und es ist zu erwarten, dass die Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung weiterhin für Inhalte genutzt wird, die eigentlich auf die Gesetzesstufe gehören.

Falls für das Referendum und die allgemeine Volksinitiative eine gleich hohe Unterschriftenzahl verlangt würde, hätte dies voraussichtlich die positive Wirkung, dass an Stelle des Referendums zum Teil die allgemeine Volksinitiative eingesetzt würde.

Damit erhielte die von den Behörden aufwändig erarbeitete Vorlage die Chance, in Kraft zu treten und sich in der Praxis zu bewähren. Und eine Opposition gegen einzelne Bestimmungen der Vorlage müsste sich nicht ­ wie beim fakultativen Referendum ­ gezwungenermassen gegen die gesamte Vorlage richten, sondern könnte gezielt die Änderung einzelner Bestimmungen verlangen, ohne das Gesetzeswerk als Ganzes in Frage zu stellen.

2.2.2.5

Form der Präsentation der Vorschläge

Der Bundesrat äussert sich im Moment noch nicht zur Frage, ob die Änderungen den Stimmberechtigten wie im Jahre 1996 vorgeschlagen als Gesamtpaket oder ob sie in zwei oder mehr Einzelpaketen unterbreitet werden sollen. Denkbar erscheint jedenfalls auch, die Vorschläge zur Verfeinerung der Volksrechte und die erschwerenden Elemente (Verkürzung der Sammelfristen für die Verfassungsinitiative, gegebenenfalls Erhöhung der Unterschriftenzahlen für das Referendum) je getrennt vorzulegen.

2.2.2.6

Übersicht über die Vorschläge zu den Sammelfristen und Unterschriftenzahlen

Gegenstand

Geltende Regelung

SPK-S

Stellungnahme

Verfassungsinitiative Unterschriften 100 000 BV 150 000 BV Sammelfristen 18 Mte. BPR 18 Mte. BPR

100 000 BV 12 Mte. BV

100 000 BV ev. 12 Mte. BV

Allgemeine Volksinitiative Unterschriften Sammelfristen

100 000 BV 12 Mte. BV

70 000 BV ev. 12 Mte. BV

Referendum Unterschriften Sammelfristen

­­ ­­

Vorschlag 1996

100 000 BV 18 Mte. BPR

50 000 BV 100 000 BV 50 000 BV ev. 70 000 BV 100 Tage BPR 100 Tage BPR 100 Tage BV 100 Tage BV

BV = Bundesverfassung BPR = Bundesgesetz über die politischen Rechte

6087

2.2.2.7

Zusammenfassende Darstellung der Strategie des Bundesrats

­

Der Bundesrat widersetzt sich der Verkürzung der Sammelfristen für Initiativen (Initiative auf Totalrevision, Initiative auf Teilrevision der Verfassung, allgemeine Volksinitiative) nicht grundsätzlich. Die Fristen sollen in der Verfassung verankert werden.

­

Falls das Parlament eine Verkürzung der Sammelfristen für Volksinitiativen beschliesst, sollten auch die Hürden für das Referendum überprüft werden, damit bei den Volksrechten nicht die bremsenden Elemente privilegiert werden. Da beim Referendum eine Verkürzung der Sammelfrist nicht angezeigt ist, wären gegebenenfalls die Unterschriftenzahlen auf 70 000 anzuheben.

­

Die Unterschriftenzahl für die allgemeine Volksinitiative soll mit 70 000 Unterschriften tiefer angesetzt werden als für die Initiative auf Teilrevision der Bundesverfassung. Damit kann die allgemeine Volksinitiative eine attraktive Alternative für Vorschläge auf Gesetzesstufe werden.

­

Der Bundesrat äussert sich im Moment noch nicht zur Frage, ob den Stimmberechtigten die Änderungen wie im Jahre 1996 vorgeschlagen als Gesamtpaket oder ob sie in zwei oder mehr Teilrevisionen unterbreitet werden sollen. Denkbar erscheint jedenfalls auch, gegebenenfalls die Vorschläge zur Verfeinerung der Volksrechte und die erschwerenden Elemente (Verkürzung der Sammelfristen für die Verfassungsinitiative, gegebenenfalls Erhöhung der Unterschriftenzahlen für das Referendum) je getrennt vorzulegen, damit Volk (und Stände) sich in völliger Unabhängigkeit über diese letzteren Fragen aussprechen können.

2.3

Stellungnahme zu einzelnen Verfassungsbestimmungen

2.3.1

Artikel 139 Absatz 5: Ablehnung der Volksinitiative als notwendige Voraussetzung für das Unterbreiten eines Gegenentwurfs?

Nach dem Bericht der SPK-S soll die Bundesversammlung der Volksinitiative nur dann einen Gegenentwurf gegenüberstellen können, wenn sie die Initiative zur Ablehnung empfiehlt.

Vorgängig ist zu erwähnen, dass angesichts der Möglichkeit des Doppelmehrs bei Initiative und Gegenentwurf an sich insgesamt folgende sechs Möglichkeiten einer Abstimmungsempfehlung der Bundesversammlung bestehen: a.

Die eidgenössischen Räte stimmen der Initiative zu. Empfehlung: Zustimmung zur Volksinitiative.

b.

Die eidgenössischen Räte lehnen die Initiative (ohne Gegenentwurf) ab: Empfehlung: Ablehnung der Volksinitiative.

c.

Die eidgenössischen Räte lehnen die Initiative ab und bevorzugen einen Gegenentwurf. Empfehlung: Ablehnung der Volksinitiative, Zustimmung zum Gegenentwurf.

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d.

Die eidgenössischen Räte stimmen der Initiative grundsätzlich zu, bevorzugen aber gleichzeitig einen Gegenentwurf. Empfehlung: Zustimmung zur Volksinitiative und zum Gegenentwurf; Präferenz für den Gegenentwurf in der Stichfrage.

e.

Die eidgenössischen Räte stimmen der Initiative grundsätzlich zu, legen aber gleichzeitig einen Gegenentwurf vor. Empfehlung: Zustimmung zur Volksinitiative und zum Gegenentwurf; Präferenz für die Initiative in der Stichfrage. Diese theoretisch denkbare Möglichkeit kann aus den weiteren Überlegungen ausgeschlossen werden, da es in einem solchen Fall sinnvoller wäre, wenn die eidgenössischen Räte Variante a verfolgen würden.

f.

Die eidgenössischen Räte können sich nicht auf eine Abstimmungsempfehlung zur Initiative einigen, wohl aber auf einen Gegenentwurf.

Mit der vorliegenden Formulierung wird eine Empfehlung der Bundesversammlung nach Situationen d und f ausgeschlossen. Die Bundesversammlung würde nach dem Vorschlag gemäss Bericht der SPK-S in beiden Fällen faktisch gezwungen, eine Empfehlung nach Variante c (Ablehnung der Initiative, Zustimmung zum Gegenentwurf) auszusprechen. Sie würde dadurch in ihren Möglichkeiten zur Meinungsäusserung eingeschränkt.

Es ist letztlich Sache des Parlaments zu entscheiden, ob es sich für Fälle nach Variante d die Möglichkeit einer entsprechend differenzierten Empfehlung offen halten möchte. Falls es dies tun möchte, gibt es folgende zwei Formulierungsmöglichkeiten: Variante 1: Artikel 139 Absatz 5 mit Kann-Formulierung einer Abstimmungsempfehlung 5 Die Initiative wird Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet. Die Bundesversammlung kann die Initiative zur Annahme oder zur Ablehnung empfehlen. Sie kann der Initiative einen Gegenentwurf gegenüberstellen.

Variante 2: Artikel 139 Absatz 5 ohne verfassungsrechtliche Regelung der Empfehlungsfrage 5 Die Initiative wird Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet. Die Bundesversammlung kann der Initiative einen Gegenentwurf gegenüberstellen.

Bei der zweiten Variante erfolgt die Ausgestaltung der Modalitäten für Abstimmungsempfehlungen auf Gesetzesstufe. Eine Regelung auf Verfassungsebene ist dafür nicht erforderlich.

Theoretisch denkbar wäre noch eine dritte Variante mit einer Bestimmung, nach welcher die Bundesversammlung Initiative und Gegenvorschlag zustimmen und Volk und Ständen empfehlen würde, in der Stichfrage den Gegenentwurf zu bevorzugen. Eine solche Bestimmung wäre aber kompliziert und in ihrem Detaillierungsgrad der Verfassungsebene nicht angemessen.

Der Bundesrat bevorzugt die verfassungsrechtlich einfachere Version und damit Variante 2. Er stellt in diesem Sinne Antrag.

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2.3.2

Artikel 139b: Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung und allgemeine Volksinitiative: Initiative und Gegenentwurf/Stichfragenregelung bei Patt zwischen Volk und Ständen

Nach heutiger Rechtslage gelten eine Initiative und ein Gegenentwurf, denen Volk und Stände in den Hauptfragen zugestimmt haben, als abgelehnt, wenn in der Stichfrage Volk und Stände je eine unterschiedliche Lösung vorziehen. Die Lösung der SPK-S will eine solche Nulllösung vermeiden. Diejenige Vorlage soll in Kraft treten, deren Summe der prozentualen Anteile der Volksstimmen und der Standesstimmen höher ist.

Der Bundesrat unterstützt es sehr, wenn solche Nulllösungen vermieden werden können. Auch wenn die neue Lösung recht selten wirksam werden dürfte, stellt sich aber dennoch die Grundsatzfrage, ob die Stimmbürger/innen der kleinen Kantone in Abstimmungen dermassen privilegiert werden sollen. Da nämlich die 26 Standesstimmen ­ als Folge des «Gesetzes der grossen Zahl» ­ grösseren Schwankungen unterworfen sind als die Volksstimmen, wird mit der vorgeschlagenen Lösung faktisch die Komponente «Standesstimmen» bevorzugt.

2.3.3

Artikel 139d: Zwei Volksinitiativen zum gleichen Gegenstand

Der Bundesrat schlägt vor, der Bundesversammlung zu ermöglichen, zwei Volksinitiativen nach einem ähnlichen Verfahren wie bei der Abstimmung über Initiative und Gegenentwurf zur Abstimmung zu unterbreiten, und beantragt deshalb folgende Bestimmung: Artikel 139d

Volksinitiativen zum gleichen Gegenstand

Werden kurz nacheinander zwei Volksinitiativen eingereicht, welche den gleichen Gegenstand betreffen, aber dazu abweichende Regelungen vorsehen, so kann die Bundesversammlung sie nach dem gleichen Verfahren wie bei Initiative und Gegenentwurf zur Abstimmung bringen.

Die Begründung für diese Bestimmung ergibt sich aus den Erfahrungen der letzten Jahre: Es kommt immer wieder vor, dass im gleichen Zeitraum Initiativen eingereicht werden, welche die gleiche Verfassungsmaterie betreffen, deren Inhalt aber divergiert.2 Mit der am 1. April 1997 in Kraft getretenen Änderung des BPR sind die Fristen für Volksinitiativen massiv verkürzt worden. Nach Artikel 74 BPR hat der Bundesrat eine Volksinitiative innert neun Monaten nach der Schlussabstimmung in den eidgenössischen Räten der Volksabstimmung zu unterbreiten. Falls zur gleichen Verfas2

Vgl. die drei folgenden Initiativen zum AHV-Rentenalter: ­ Eidgenössische Volksinitiative «für die 10. AHV-Revision ohne Erhöhung des Rentenalters» ­ Eidgenössische Volksinitiative «für ein flexibles Rentenalter ab 62 für Frau und Mann» ­ Eidgenössische Volksinitiative «für eine Flexibilisierung der AHV ­ gegen die Erhöhung des Rentenalters für Frauen»

6090

sungsmaterie gleichzeitig mehrere Initiativen eingereicht werden, wird der Bundesrat nicht umhin kommen, sie Volk und Ständen am gleichen Abstimmungsdatum zu unterbreiten.

Die Stimmberechtigten geraten in einer solchen Situation in ein Dilemma, wenn sie beiden Initiativen zustimmen wollen und gleichzeitig davon ausgehen, dass beide Initiativen reale Chancen haben, angenommen zu werden. Falls nämlich beide Initiativen von Volk und Ständen angenommen werden, werden in der Verfassung zwei voneinander abweichende oder einander sogar widersprechende Lösungen verankert. Die Stimmberechtigten, die ein solches Ergebnis vermeiden möchten, sind gezwungen, nur für eine der beiden Initiativen zu stimmen. Falls zahlreiche Stimmberechtigte so verfahren und dieses Abstimmungsverhalten beide Initiativen gleichermassen betrifft, kann es vorkommen, dass beide Initiativen abgelehnt werden, obgleich sie von einer Mehrheit der Stimmberechtigten an sich bevorzugt werden.

Dadurch kann sich eine Verfälschung des Wählerwillens ergeben. Bei der vom Bundesrat vorgeschlagenen Regelung könnten die Stimmberechtigten beiden Initiativen zustimmen und sich in der Stichfrage für die von ihnen bevorzugte Lösung aussprechen.

Das Unterbreiten von zwei Volksinitiativen nach dem vorgeschlagenen System soll folgenden Einschränkungen unterworfen sein: Erstens muss der Entscheid durch die Bundesversammlung erfolgen, wobei das Verfahren auf Gesetzesstufe zu konkretisieren ist. Denkbar ist dabei, dass die Bundesversammlung einen entsprechenden Antrag des Bundesrats genehmigen muss. Zweitens soll dies nur möglich sein, wenn beide Initiativen die gleiche Verfassungsmaterie betreffen, aber einen divergierenden Inhalt haben. Das vorgeschlagene Verfahren ist insbesondere dann sinnvoll, wenn die beiden Initiativen ein ähnliches Anliegen zum Ausdruck bringen, dazu aber voneinander abweichende Regelungsvorschläge unterbreiten. Es sollte hingegen dann nicht zur Anwendung kommen, wenn die Regelungsinhalte komplementär sind. Volksinitiativen haben dann den gleichen Gegenstand, wenn sie im Sinne der bisherigen Gesetzgebung und Praxis «die nämliche Verfassungsmaterie» (Art. 28 Abs. 1 GVG) betreffen.

Auf Grund der abstimmungstechnischen Probleme bei mehr als zwei Vorlagen, auf welche der Bundesrat in seiner Botschaft zum konstruktiven Referendum
(BBl 1999 2937 ff.) hingewiesen hat, ist es nicht angezeigt, dass zwei Volksinitiativen und zusätzlich ein Gegenvorschlag Volk und Ständen zum gleichen Zeitpunkt unterbreitet werden. In einem solchen Fall wären zwei einander nachfolgende Volksabstimmungen (z.B. erste Volksinitiative und Gegenvorschlag, dann zweite Volksinitiative) die sinnvolle Lösung.

2.3.4

Artikel 141: Staatsvertragsreferendum

Der Bundesrat hat in seiner Vorlage aus dem Jahre 1996 vorgesehen, dass diejenigen Verträge dem Referendum unterstellt werden, deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert, die Rechte und Pflichten Privater begründen.

Die SPK-S möchte noch etwas weiter gehen und Verträge, die wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert, dem Referendum unterstellen.

6091

Sowohl der Bundesrat als auch die SPK-S möchten das Referendum auf wichtige Staatsverträge ausdehnen. Die Frage stellt sich aber, was unter diesem Kriterium zu verstehen ist. Die SPK-S möchte eine Parallelität von innerstaatlichem und Staatsvertragsreferendum herstellen und bezieht sich auf die Formulierung von Artikel 164 Absatz 1 BV.

Der Bundesrat ist demgegenüber der Meinung, dass nur solche Staatsverträge referendumspflichtig sein sollen, zu deren Umsetzung Gesetzesänderungen erforderlich sind, welche die Bürgerinnen und Bürger in ihren Rechten und Pflichten betreffen, die also belastende oder begünstigende Regelungen für Personen enthalten. Mit dem Vorschlag der SPK-S wären auch Staatsverträge, die bloss die Organisation oder die Aufgaben von Behörden regeln, dem Staatsvertragsreferendum unterstellt. Der Bundesrat betrachtet seinen Vorschlag aus dem Jahre 1996 nach wie vor als richtige Lösung und beantragt deshalb, Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d wie folgt zu formulieren: d. völkerrechtliche Verträge, 1. die unbefristet und unkündbar sind; 2. die den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen; 3. deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert, die Rechte oder Pflichten von Personen begründen.

Der Bundesrat kann einer Ausdehnung des Staatsvertragsreferendums zudem nur zustimmen, wenn das Junktim zwischen der Ausweitung des Staatsvertragsreferendums und der Möglichkeit einer paketweisen Abstimmung über Staatsvertrag und Umsetzungserlass (s. nachfolgend Ziff. 235) erhalten bleibt. Nur dadurch kann nämlich ein kohärentes und ausgewogenes System hergestellt werden. Vor allem wird Transparenz über die Auswirkungen des Staatsvertrags geschaffen, und das Volk kann in voller Kenntnis dieser Auswirkungen entscheiden.

2.3.5

Artikel 141a: Möglichkeit einer paketweisen Abstimmung über Staatsvertrag und Umsetzungserlass

Der Bundesrat hat in seiner Vorlage aus dem Jahre 1996 vorgesehen, dass Staatsverträge und die der Umsetzung des Vertrags dienenden Gesetzesänderungen als Gesamtpaket vorgelegt werden können.

Die SPK-S möchte nicht, dass eine solche Bestimmung in die Verfassung aufgenommen wird. Der ablehnende Entscheid der SPK-S wird damit motiviert, dass eine paketweise Vorgehensweise keine differenzierte Stellungnahme der Stimmbürger und Stimmbürgerinnen ermöglicht.

Der Bundesrat beantragt, ein paketweises Abstimmen (Staatsvertrag und Umsetzungserlass) zu ermöglichen. Gerade die praktischen Erfahrungen der jüngeren Jahre (EUROLEX, GATT-Lex, sektorielle bilaterale Abkommen) haben nämlich gezeigt, dass es aus mehreren Gründen Vorteile bieten würde, wenn der Bundesrat bzw. die eidgenössischen Räte über eine solche Möglichkeit verfügen würden: ­

6092

Bei Staatsverträgen, die der Schweiz keinen Umsetzungsspielraum lassen (z.B. schrittweise Einführung der 40-Tonnen-Limite), ist das separate Ab-

stimmen über den Umsetzungserlass eine blosse Augenwischerei. Wird nämlich der Umsetzungserlass abgelehnt, dann bleibt dem Bundesrat bzw.

dem Parlament nichts anderes übrig, als eine praktisch identische Vorlage zu unterbreiten bzw. zu verabschieden. Bisherige Erfahrungen (z.B. bei der Einführung der Sommerzeit) zeigen, dass das Ignorieren von ablehnenden Entscheiden des Volkes, wozu die Schweiz auf Grund rechtlicher oder faktischer Gegebenheiten praktisch gezwungen sein kann, das Vertrauen der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in die politischen Behörden und die politischen Institutionen zu untergraben droht. Das separate Abstimmen über Umsetzungserlasse, bei denen die Schweiz keinen Spielraum hat, läuft dem Anliegen nach einer Verwesentlichung der Volksrechte zuwider.

Hinter der ablehnenden Stellungnahme der SPK-S mag auch die Befürchtung stehen, dass im Rahmen einer paketweisen Abstimmung die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger dazu gedrängt werden könnten, durch Hinweis auf den sinnvollen Staatsvertrag auch dem Umsetzungserlass zuzustimmen.

Dabei wird aber verkannt, dass erstens mit der zu beantragenden Verfassungsänderung nur die Möglichkeit eines paketweisen Abstimmens geschaffen wird und dass zweitens ein entsprechender Beschluss durch das Parlament erfolgen muss. Ausserdem schafft das Paket Transparenz, indem die Stimmberechtigten auch über die innerstaatliche Umsetzung entscheiden können in der Gewissheit, dass das Paket ein Ganzes bleibt. Mit der Einführung der allgemeinen Volksinitiative wird zudem dem Volk neu die Möglichkeit gegeben, auch bestehendes Gesetzesrecht ­ unter Einschluss von Umsetzungserlassen von Staatsverträgen ­ abzuändern.

­

Mit dem paketweisen Abstimmen können auch die Glaubwürdigkeit der schweizerischen Aussenpolitik und die Verhandlungsposition des Bundesrats gestärkt werden.

­

Ein paketweises Abstimmen dient der Verfahrensökonomie und hilft, widersprüchliche Entscheide (Annahme des Staatsvertrags, Ablehnung des Umsetzungserlasses bzw. umgekehrt) zu vermeiden.

Auf Grund dieser Erwägungen beantragt der Bundesrat einen Artikel 141a: Artikel 141a

Umsetzung von völkerrechtlichen Verträgen

Untersteht der Genehmigungsbeschluss eines völkerrechtlichen Vertrags dem obligatorischen oder dem fakultativen Referendum, so kann die Bundesversammlung die Gesetzesänderungen, die der Umsetzung des Vertrages dienen, in den Genehmigungsbeschluss aufnehmen.

6093

2.4

Volksrechte im Falle eines EU-Beitritts

Der Bundesrat hat in seinem Integrationsbericht 1999 (BBl 1999 3935­4352) die Auswirkungen eines EU-Beitritts auf die Volksrechte eingehend dargestellt (BBl 1999 4271­4277). Im aussenpolitischen Bericht 2000 vom 15. November 2000 (BBl 2001 261­358) hat der Bundesrat ferner als Voraussetzung für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen eine Prüfung der Auswirkungen auf die Bereiche Volksrechte u.v.a.m. formuliert und in Aussicht gestellt, dass er die erforderlichen Abklärungen in der laufenden Legislaturperiode vornehmen wird.

Kurzfristig liegt in der Integrationspolitik die Priorität beim Inkrafttreten und der Umsetzung der bilateralen Verträge, mittelfristig bei neuen bilateralen Verhandlungen. Ein Beitritt zur EU kommt erst längerfristig in Frage.

Die SPK-S äussert sich in ihrem Bericht nicht explizit zur Frage des Verhältnisses zwischen den Änderungen der Volksrechte und der europäischen Integration. Dies bedeutet indessen nicht, dass aus den Überlegungen sämtliche integrationspolitischen Fragen völlig ausgeklammert worden sind. Die vorgeschlagenen Änderungen des Staatsvertragsreferendums und auch die Einführung der allgemeinen Volksinitiative dürften im Hinblick auf eine Annäherung an die EU durchaus nicht nachteilig sein. Es wurde aber darauf verzichtet, Änderungen vorzuschlagen, die nur im Falle eines EU-Beitritts zweckmässig wären. Diese Stossrichtung erscheint dem Bundesrat durchaus sinnvoll.

Der Verzicht auf ein Aufnehmen von Beitrittsverhandlungen in der laufenden Legislaturperiode bietet die Chance, ohne Zeitnot einen vertieften Dialog über die möglichen und zurzeit absehbaren Konsequenzen eines EU-Beitritts auf die Institutionen unsere Landes (Föderalismus, Volksrechte, Regierung) und die wichtigsten betroffenen Politikbereiche aufzunehmen.

Was die Volksrechte angeht, hat der Integrationsbericht ihre Vereinbarkeit mit einem EU-Beitritt bejaht. Die Analyse des Jahres 1999 ist auch heute noch richtig. Es ist jedoch angezeigt, sie zu ergänzen und zu vertiefen. Dabei ist folgenden Elementen Beachtung zu schenken: ­

Die Vereinbarkeit von innerstaatlichem und EU-Recht wurde gestützt auf die Volksinitiativen und Referenden der vorangegangenen Jahre analysiert.

EU-Recht entwickelt sich indessen laufend weiter. Die Abklärung der institutionellen Auswirkungen muss die politische und rechtliche Dynamik der EU inskünftig vermehrt einbeziehen.

­

Für einen allfälligen EU-Beitritt ist ein längerer Zeithorizont einzubeziehen.

­

Ein Beitritt zur EU wird einerseits Auswirkungen auf die praktische Tragweite der Volksrechte haben. Mit gewissen Einschränkungen ist zu rechnen.

Ein Beitritt erlaubt andererseits aber auch das Mitgestalten der EU. Inwieweit das Volk dank einer Weiterentwicklung der politischen Rechte inskünftig auf die Politik der Schweiz in der EU Einfluss nehmen kann und soll, muss in Zukunft vermehrt ausgelotet werden.

Bei der Überprüfung, Ergänzung und Vertiefung der institutionellen Aspekte europapolitischer Optionen wird es nicht ausschliesslich darum gehen, die Auswirkungen eines EU-Beitritts auf die Ausgestaltung der Volksrechte zu ermitteln. Es sind vielmehr mögliche Optionen aufzuzeigen, die auf Grund unterschiedlicher 6094

Werthaltungen gegenüber der europäischen Integration angezeigt sein könnten. Es gilt deshalb, einen Dialog aufzubauen, in dem Spielräume und Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede und Unvereinbarkeiten ermittelt werden können. Damit kann eine breite gemeinsame Basis geschaffen werden, auf Grund derer die Perspektiven, Chancen und Risiken eines Beitritts zur EU beurteilt werden können. Ein solcher Dialog und solche Abklärungen werden nicht alle im Zusammenhang mit den europapolitischen Optionen der Schweiz auftauchenden Fragen beantworten können. Je nach gewählter Option wird es darum gehen, Erfahrungen zu sammeln und gestützt darauf weitere Verfeinerungen vorzunehmen.

6095

Nein

Nein

100 000/keine Frist (Gesetz: 18 Monate)

Gegenentwurf nur bei Ablehnung der Initiative

Nein

­­

Finanzierung der Ausübung der politischen Rechte (Art. 127a; 136a)

Vo. Iv. Totalrev. BV/Teilrev. BV/ Allgemeine Vo. Iv.: Kantonsinitiative (Art. 128/129/129a; 138/139/139a/139c)

Vo. Iv. Totalrev. BV/Teilrev. BV/ Unterschriften/Fristen (Art. 128/129; 138/139)

Vo. Iv. Teilrev. BV/Abstimmungsempfehlung der Bvers.

(Art. 129 Abs. 5; 139 Abs. 5)

Allgemeine Vo. Iv., Grundsatz (Art. 129a; 139a)

Allgemeine Vo. Iv., Unterschriften/Fristen (Art. 129a; 139a Abs. 1)

6096

Neue BV vom 18. April 1999

Thema

100 000/Keine Frist (Gesetz: 18 Monate)

Ja

Gegenentwurf nur bei Ablehnung der Initiative

150 000/keine Frist (Gesetz: 18 Monate)

Ja

Ja

Entwurf BR vom 20. November 1996

recte: gemäss Botschaft des BR über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996 kursiv: gemäss Bundesverfassung vom 18. April 1999

100 000/12 Monate

Ja

Gegenentwurf nur bei Ablehnung der Initiative

100 000/12 Monate

Nein

Nein

Bericht SPK-S vom 2 April 2001

70 000/ev. 12 Monate

Einverstanden

Empfehlung für offenere Lösung

100 000/ev. 12 Monate

Antrag auf Einführung dieser Möglichkeit

Einverstanden

Stellungnahme Bundesrat

Parlamentarische Initiative (Kommission 96.091 SR). Beseitigung von Mängeln der Volksrechte Übersicht über die geltende Regelung in der Bundesverfassung, die Anträge des Bundesrates 1996, die Anträge gemäss Bericht SPK-S vom 2. April 2001 und die Stellungnahme des Bundesrates

Nummerierung Artikel BV:

99.436

Anhang

Status quo

50 000/ keine Frist (Gesetz: 100 Tage)

Nein

Nein

Fak. Staatsvertragsref., Ausgestaltung (Art. 131b; 141)

Fak.Ref., Unterschriften/Fristen (Art. 131b; 141)

Obl. und fak. Staatsvertragsref., Möglichkeit einer paketweisen Abstimmung über Staatsvertrag und Umsetzungserlass (Art. 131c; 141a)

Vorlage von Alternativen (Art. 131d; Art. 141d)

Ja

Ja

100 000/ keine Frist

Verträge, deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert, die Rechte und Pflichten Privater begründen

Ja

6097

Nein

Nein

Nein

Gleichzeitige Abstimmung über 2 Initiativen zum gleichen Gegenstand (Art. 131f; 139d)

Volksmehr obsiegt

Allg. Vo. Iv., Beschwerde wegen Missachtung von Inhalt und Zweck (Art. ­­; Art. 189)

Keine Lösung

Vo. Iv. Teilrev. BV/Allgemeine Vo. Iv., Verfahren bei Initiative und Gegenentwurf: Stichfragenregelung bei Patt zwischen Volk und Ständen (Art. 131e; 139b)

Nein

keine Verfassungsbestimmung

­­

Allgemeine Vo. Iv., Gegenentwurf bereits bei der ersten Abstimmung (Art. 129a Abs. 4; 139a Abs. 4)

Entwurf BR vom 20. November 1996

Beschlüsse bei Uneinigkeit beider Räte keine Verfassungsbestim(Art. ­­; Art. 156) mung

Neue BV vom 18. April 1999

Thema

Ja

Verfassungsrechtliche Regelung

Nein

Nein

50 000/100 Tage

Verträge, die wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert

Nein

Summe Anteile Volks- und Standesstimmen

Ja

Bericht SPK-S vom 2 April 2001

Einverstanden

Einverstanden

Einverstanden

Antrag auf Einführung dieser Möglichkeit

Evtl. 70 000/100 Tage

Antrag auf Lösung gemäss Entwurf vom 20. 11. 1996

Antrag auf Einführung dieser Möglichkeit

Einverstanden

Einverstanden

Stellungnahme Bundesrat