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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend die eidgenössische Gewährleistung einer partiellen Aenderung der Verfassung des Kantons Uri.

(Vom 24. Mai 1892.)

Tit.

Mit Zuschrift vom 9. Mai 1892 berichten Landammann und Regierungsrath des Kantons Uri, daß die Landesgemeinde dieses Kantons am 1. Mai abhin den Art. 19 der kantonalen Verfassung vom 6. Mai 1888 und 3. Mai 1891 in der Weise abgeändert habe, daß die fakultative Anwendung der geheimen Abstimmung aufgehoben und somit der Satz: ,,Letzteren (d. h. den Gemeindeversammlungen) bleibt überlassen, auch die geheime Abstimmung zur Anwendung zu bringen", gestrichen worden ist.

Das Verhandlungsprotokoll der Landesgemeinde vom 1. Mai 1892 sagt hierüber: ,,Das mit 290 Unterschriften versehene Volksbegehren betreffend Streichung der Bestimmung in Art. 19 der Kantonsverfassung über Zuläßigkeit der geheimen Abstimmung und für Festhaltung am offenen Handmehr in den Gemeinden, wie an der Landesgemeinde, weil die geheime Abstimmung zu großem Parteihaß und Zerwürfniss geführt habe, wird angenommen."

Die Regierung von Uri ersucht um die eidgenössische Gewährleistung dieser Verfassungsänderung.

Sie fügt ihrem Gesuche folgende Bemerkungen bei: ,,Die geheime Abstimmung war im Kanton Uri, wie in den übrigen Landsgemeindekantonen, bis zum Jahre 1888 gesetzlich nicht gestattet.

,,Nach langem Kampfe und mit schwacher Mehrheit entschloß sich der Verfassungsratb, den Gemeinden die Befugniß einzuräumen, nach gewaltet Diskussion über jedes Geschäft auch geheim abzustimmen. Schon diese Bestimmung erregte im Volke Widerwillen und konnte nur als Bestandtheil des ganzen Verfassungswerkes durchdringen.

262 ,,Die seitherige Anwendung der geheimen Abstimmung geschah jeweilen erst nach gewalteter Diskussion über ein bestimmtes Geschäft und auf speziellen, erst an der jeweiligen Gemeindeversammlung gestellten Antrag hin. Derjenige Theil der Bürgerschaft, der sich an der Gemeindeversammlung nicht einfand, hatte gar keine Kenntniß von der Aufstellung der Urne. Eine Kontrole bezüglich Stimmfähigkeit fand nicht statt.

,,Um diesen Mißständen zu begegnen, erlitt die fragliche Verfassungsbestimmung an der Landesgemeinde vom 3. Mai 1891 eine Aenderung. Schon vor derselben und seither wieder versäumte die Bauernsame von Altdorf keinen Anlaß, um gegen die Anwendung der geheimen Abstimmung, welche unser Volk im Allgemeinen als eine den Traditionen und politischen Gepflogenheiten des Landes zuwiderlaufende Einrichtung betrachtet, Protest und Einrede zu erheben. Schließlich wurde ein Initiativ-Begehren von 290 Bürgern zu Händen der letzten Landesgemeinde gestellt, worin die Streichung der bewilligten Ausnahme vom Grundsatze des offenen Handmehrs verlangt wurde. Die Landesgemeinde pflichtete diesem Begehren mit großer Mehrheit bei. Damit ist der Kanton Uri wieder zu jener Abstimmungsweise zurückgekehrt, welche vor 1888 ausnahmslos bestund und auch in den übrigen Landsgemeindekantonen, mit Ausnahme von Glarus, in gleicher Weise geübt wird. Zweifellos sind die Kantone ganz selbstständig, das offene Handmehr oder die geheime Abstimmung als Abstimmungsart zu bezeichnen und verstößt der Landsgemeindebeschluß also in keiner Beziehung gegen die Bestimmungen der Bundesverfassung.

,,Wir zweifeln deßhalb nicht, daß Sie dieser Verfassungsänderung die Genehmigung ertheilen werden.a Der Bundesrath anerkennt die Richtigkeit der Bemerkung des Regierungsrathes von Uri, daß es den Kantonen freistehe, für kantonale Wahlen und Abstimmungen die ihnen geeignet scheinende Art und Weise der Abstimmung anzunehmen.

Diese Frage kam schon früher bei Anlaß der Bundesgenehmigung kantonaler Verfassuagsbestimmungen zur Sprache. So im Dezember des Jahres 1876, als es sich um die Gewährleistung des tessinischen Verfassungsdekretes vom 20. November 1875, der sogenannten Riformetta, handelte. Damals wurde bekanntlich im Kanton Tessin, nachdem bei den Integralerneuerungswahlen des Großen Käthes vom 21. Februar 1875 der konservativen Partei die
Mehrheit zugefallen war, von dieser gegen die Ansicht der liberalen Partei durch eine Verfassungsrevision an Stelle der bisherigen ö f f e n t l i c h e n Stimmgebung in Kreisversammlungen die g e h e i m e Stimmabgabe in Gemeindeversammlungen eingeführt.

263 Der Bundesrath und ihm beipflichtend die gesetzgebenden Käthe anerkannten in ihren bezüglichen Berichten, daß es dem Bunde nicht zukomme, die in Bezug auf die F o r m der Wahlen und Abstimmungen von den Kantonen aufgestellten Vorschriften zu beanstanden, sobald nur feststeht, daß der Wille der Mehrheit der stimmenden Bürger frei und ungehindert zum Ausdruck gelangen kann.

,,Die Bundesbehörden sind daher auch nicht befugt,"1 erklärte die bundesräthliche Botschaft vom 12. Dezember 1876, ,,in eine Prüfung der Gründe einzutreten, welche in den einzelnen Kautonen für das eine oder andere System geltend gemacht werden.u Diese Anschauungsweise billigte ausdrücklich der von R. Brunner verfaßte Bericht der nationalräthlichen Kommission vom 18. Dezember 1876.

So haben wir denn auch im vorliegenden Falle keine Veranlassung, nach den Gründen zu forschen, welche die Mehrheit der Urner Landesgemeinde am 1. Mai 1892 bewegen haben, die durch Art. 19 der Verfassung vom 6. Mai 1888 eingeräumte und durch diu Partialrevision vorn 3. Mai 1891 noch freier gestaltete Befugniß, in den Gemeinden die geheime Abstimmung zur Anwendung zu bringen, wieder aufzuheben. Genug, daß das offene Handmehr eine dem Bundesrechte nicht widersprechende Abstimmungsweise ist.

Wir beantragen Ihnen daher, dieser Partialrevision der Urner Verfassung die eidgenössische Genehmigung zu ertheilen, nach unten folgendem Beschlussesentwurfe.

Empfangen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 24. Mai 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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(Entwurf.)

Bnndesbeschluß betreffend

Gewährleistung der von der Landesgemeinde am 1. Mai 1892 beschlossenen Partialrevision des Art. 19 der Staatsverfassung des Kantons Uri.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft und des Antrages des Bundesrathes vom 24. Mai 1892, in Erwägung : daß die neue Fassung des Art. 19 der Verfassung des Kantons Uri vom 6. Mai 1888 und 3. Mai 1891 an der Landesgemeinde vom 1. Mai 1892 von der absoluten Mehrheit der stimmenden Bürger angenommen worden ist und nichts enthält, was den Vorschriften der Bundesverfassung zuwider wäre ; in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschließt: 1. Der erwähnten Verfassungsbestimmung wird die Bundesgarantie ertheilt.

2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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1892

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01.06.1892

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