97.457 Parlamentarische Initiative Klärung des Erbrechts des überlebenden Ehegatten Zusatzbericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 10. Mai 2001

Nach Einsicht in die Stellungnahme des Bundesrates vom 9. März 2001 hat sich die Kommission für Rechtsfragen am 10. Mai 2001 noch einmal mit ihrem Entwurf befasst. Dabei folgt sie in Artikel 473 Absatz 1 ZGB dem Bundesrat, in Absatz 2 übernimmt sie im Sinne eines Kompromisses den Antrag der Minderheit (gemäss Entwurf vom 22. Jan. 2001).

10. Mai 2001

Im Namen der Kommission: J. Alexander Baumann

2001-0905

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Zusatzbericht 1

Artikel 473 Absatz 1 ZGB

Mit der Revision des Kindesrechts, die 1978 in Kraft getreten ist, wurden die ausserhalb der Ehe geborenen Nachkommen den ehelichen Nachkommen erbrechtlich gleichgestellt. Gleichzeitig wurde in Artikel 473 Absatz 1 ZGB vorgesehen, dass das Nutzniessungsvermächtnis dem überlebenden Ehegatten auch gegenüber den nicht gemeinsamen Kindern zugehalten werden darf, wenn diese während der Ehe gezeugt wurden. Damit wollte man verhindern, dass der überlebende Ehegatte wegen eines Seitensprungs des Partners oder der Partnerin Einbussen in Kauf nehmen muss.

Kommt hinzu, dass das Eherecht, das 1988 in Kraft getreten ist, eine wesentliche Besserstellung des überlebenden Ehegatten zulasten der Nachkommen vorsieht. Indem der gesetzliche Erbteil des Ehegatten von einem Viertel auf die Hälfte erhöht wurde, verkleinerte sich der Erbteil und damit auch der Pflichtteil der Nachkommen um einen Drittel. In Anbetracht dieser Entwicklungen, und auch im Lichte von Artikel 8 Absatz 2 der Bundesverfassung, erscheint die in Artikel 473 Absatz 1 ZGB vorgesehene Unterscheidung zwischen den vor der Ehe und den während der Ehe gezeugten nicht gemeinsamen Kindern nicht mehr gerechtfertigt.

Hingegen ist eine Unterscheidung zwischen gemeinsamen und nicht gemeinsamen ­ vor oder während der Ehe gezeugten - Kindern naheliegend: Zwischen dem überlebenden Ehegatten und den gemeinsamen Kindern bestehen Familienbande, so dass man ihnen zumuten kann, im Interesse ihres Elternteils vorübergehend auf die Nutzung ihres Erbteils zu verzichten. Dagegen ist nicht einzusehen, warum nicht gemeinsame Nachkommen zugunsten eines überlebenden Ehegatten, mit dem sie nicht verbunden sind, sich einen Eingriff in ihren Pflichtteil gefallen lassen müssen. Die Unterscheidung zwischen den gemeinsamen und den nicht gemeinsamen Nachkommen hat denn auch ihr Vorbild in Artikel 216 ZGB, der Ehegatten unter dem ordentlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung erlaubt, im Rahmen eines Ehevertrages die ganze Errungenschaft dem überlebenden Ehegatten zuzuhalten.

Vorbehalten bleiben die Pflichtteile der nicht gemeinsamen Nachkommen.

In Anbetracht dieser Erwägungen beantragt die Kommission, dem Bundesrat zu folgen und den Pflichtteil der während der Ehe gezeugten nicht gemeinsamen Kinder von der Nutzniessung durch den überlebenden Ehegatten auszunehmen.

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Artikel 473 Absatz 2 ZGB

Artikel 473 ZGB stellt grundsätzlich eine Ausnahme im System des Erbrechts dar.

Er erlaubt einen Eingriff in das Pflichtteilsrecht der Nachkommen, wenn es darum geht, den überlebenden Ehegatten optimal zu begünstigen. Dieser Eingriff rechtfertigt sich, wie schon dargestellt, durch die Familienbande, die zwischen den gemeinsamen Nachkommen und dem überlebenden Elternteil bestehen. Die Belastung des Erbteils der gemeinsamen Nachkommen mit der Nutzniessung des überlebenden Ehegatten wird dadurch kompensiert, dass sich dieser Erbanteil vergrössert.

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Mit der Verfügung über die freie Quote kann der Erblasser seinen Nachkommen einen Teil dieser Kompensation vorenthalten. Dies spielt dann keine wesentliche Rolle, wenn die Quote dem überlebenden Elternteil zufällt, der später von den Nachkommen beerbt wird. Anders verhält es sich, wenn der Erblasser den frei verfügbaren Teil einem Dritten vermacht: Dann wird dieser Teil den Nachkommen endgültig entzogen. Dadurch verschärft sich die Pflichtteilsverletzung, die je nach Höhe der verfügbaren Quote und je nach der zeitlichen Dauer der Nutzniessung mehr oder weniger einschneidend sein kann.

Mit der Änderung von Artikel 473 ZGB bezweckt die Kommission einzig eine Präzisierung, keine materielle Änderung des Erbrechts. Sie hatte sich für die Dreiachtelslösung entschieden, um die Verfügungsfreiheit des Erblassers weniger einzuschränken und flexible Lösungen für den Einzelfall zu ermöglichen. In diesem Sinne hält sie daran fest, dass die verfügbare Quote auch wirklich verfügbar, das heisst nach dem freien Willen des Erblassers zugesprochen werden kann. In Anbetracht des Antrags des Bundesrats, die Zuweisung der verfügbaren Quote nach Artikel 473 nur für den überlebenden Ehegatten zuzulassen, kommt sie aber auf ihren Entscheid bezüglich Höhe der Quote zurück und schliesst sich der ursprünglichen Minderheit an. Die Einviertelslösung hat den Vorteil, dass eine Pflichtteilsverletzung gegenüber den Nachkommen nur in geringerem Umfang möglich ist. Ausserdem stellt sie eine Kompromisslösung zwischen der Einachtels- und der Dreiachtelstheorie dar, die bis anhin beide ihre überzeugten Anhänger hatten.

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