01.079

Botschaft über eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 30. November 2001

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf zu einer Teilrevision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte mit Antrag auf Zustimmung.

Gleichzeitig beantragen wir, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 1997 P 97.3590

Ausübung des Stimmrechtes in der ganzen Schweiz. Änderung von Art. 3 des Bundesgesetzes über politische Rechte (N 8.3.99, Guisan)

1999 P 99.3321

Volksinitiativen und Referenden. Internet-Homepage (N 8.10.99, Andreas Gross)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

30. November 2001

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

11697

Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2001-2521

6401

Übersicht Verschiedene Umstände veranlassen den Bundesrat, bereits nach kurzer Zeit eine weitere Revision der Bundesgesetzgebung über die politischen Rechte zu beantragen.

Die neue Bundesverfassung hat u.a. die Parteien verfassungsrechtlich verankert (Art. 137 und Art. 147 BV). Es erscheint sinnvoll, dies auf Gesetzesstufe in geeigneter Weise fortzusetzen: Parteien mit nennenswerter Verbreitung im Bund sollen sich unter bestimmten zurückhaltend formulierten Bedingungen bei der Bundeskanzlei amtlich registrieren lassen können (Art. 76a BPR) und dafür bei der Wahlvorbereitung in den Genuss entsprechender Erleichterungen kommen (Art. 24 Abs. 3 BPR).

Artikel 8 Absatz 3 BV (wie Art. 4 Abs. 2 aBV) hält den Gesetzgeber dazu an, nicht nur für die Gleichberechtigung, sondern auch für die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter zu sorgen. Diesem Ziel dient der Vorschlag zu einem neuen Artikel 86a BPR.

Bei alledem will die Vorlage gezielt bürgerfreundlich revidieren. Davon zeugt etwa das Gebot, auf den Wahlzetteln mit Vordruck genügend Platz für das Panaschieren und Kumulieren zu belassen (Art. 33 BPR). Allen Beteiligten die Planung erleichtern soll der Versuch, abgesehen von dringlichen Bundesgesetzen, eine Mindestankündigungsfrist für die Abstimmungsvorlagen vorzusehen (Art. 10 BPR).

Ferner ist im Sinne einer ersten Vorstufe zu einem umfassenden Vote électronique der gezielte Einsatz elektronischer Mittel zur Erleichterung der Ausübung politischer Rechte, soweit derzeit ohne Manipulationsgefahr vertretbar, zu fördern (Art. 60a und Art. 69a BPR). Ebenfalls der Erleichterung der Meinungsbildung der Stimmberechtigten soll die erweiterte Pflicht der Bundeskanzlei zum elektronischen Angebot (Art. 11 BPR) dienen. Schliesslich sollen die Rechtsgrundlagen für Pilotprojekte zur elektronischen Stimmabgabe konsolidiert werden (Art. 5 Abs. 3, Art. 8a, Art. 12 Abs. 3, Art. 38 Abs. 5 und Art. 49 Abs. 3 BPR).

Verzichtet werden soll künftig auf Doppelkontrollen bei Volksbegehren (Art. 66 Abs. 2 und Art. 72 Abs. 2 BPR) sowie auf anfechtbare Verfügungen bei deutlichem Verfehlen der Unterschriftsquoren um über 10 000 Unterschriften (Art. 66 Abs. 1 und Art. 72 Abs. 1 BPR). Unterschriften sollen nurmehr bis zur Erreichung des Quorums gezählt werden (Art. 66 Abs. 3 und Art. 72 Abs. 3 BPR).

6402

Botschaft

1

Allgemeiner Teil

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Verankerung der Parteien in der Bundesverfassung

Die Artikel 137 und 147 BV haben die politischen Parteien verfassungsrechtlich verankert. Unter der alten Bundesverfassung war es in mehreren Versuchen nicht gelungen, dies zu realisieren. Es geht nun darum, in geeigneter Form mit der Konkretisierung dieser Verfassungsgrundlage zu beginnen. Dabei sollen keine unerfüllbaren Erwartungen geweckt werden. Weder der Bundeshaushalt noch die bisher konsequent und bewusst minimal gehaltenen personellen Mittel der Bundeskanzlei für die politischen Rechte sowie auch der meisten Kantone lassen dies zu. Mit geeigneten Massnahmen des Gesetzgebers lassen sich aber Erleichterungen schaffen, die sowohl den Parteien als auch der Verwaltung nützen und bei der Bundeskanzlei Kräfte freimachen für eine amtliche Registrierung registrierungswilliger Parteien.

Werden diese Massnahmen in gezielter und geeigneter Weise verknüpft, so können sie auch etwas beitragen zur Vermeidung wachsender Listenzersplitterung. Dies dient zugleich der Überschaubarkeit des Kandidatenangebots bei Nationalratswahlen und kommt vor allem den Stimmberechtigten zugute.

1.1.2

Erste Schritte zur elektronisch gestützten Ausübung der Volksrechte

Hauptanlass zur vorliegenden Revision ist ein zunehmend breiter artikuliertes Bedürfnis nach elektronischen Angeboten der öffentlichen Hand auch im Bereich der politischen Rechte. Die umfassende Einführung eines Vote électronique wird jahrelanger Entwicklung und Aushandlung bedürfen, weil sie das politische Leben von Grund auf beeinflussen wird und beispielsweise föderalistisch gewachsene Strukturen in Frage stellen kann. Dies rechtfertigt aber kein weiteres Zuwarten. Insbesondere für entfernter wohnende Auslandschweizer Stimmberechtigte kann ein Vote électronique gegenüber der brieflichen Stimmabgabe entscheidende Vorteile bringen. Im Zeitalter zunehmender Mobilität und Globalisierung gilt dies während Auslandaufenthalten aber auch für Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz.

Die Bundeskanzlei stellt die Unterschriftenlisten zu allen in der Unterschriftensammlung stehenden Volksbegehren künftig elektronisch im pdf-Format zur Verfügung und ermöglicht so den Stimmberechtigten, einfacher und rascher an jene Volksbegehren heranzukommen, die sie zu unterzeichnen wünschen. Dies bedingt jedoch eine klare Abgrenzung der Verantwortlichkeiten: Für den vollständigen Ausdruck der von der Bundeskanzlei auf Internet angebotenen gültigen Unterschriftenlisten bleiben die ausdruckenden Personen selber verantwortlich (Art. 60a und 69a BPR).

6403

1.1.3

Sparmassnahmen und organisatorische Straffung zu Gunsten der Entwicklung elektronischer Hilfsmittel bei der Ausübung politischer Rechte

Die administrativen Erleichterungen zu Gunsten der Parteien lassen sich derart konzipieren, dass für Kommunal- und Kantonsverwaltungen wie auch für die Bundeskanzlei ein Minderaufwand ermöglicht wird (Art. 24 BPR). Die freigespielten Kräfte auf Bundes- und Kantonsebene lassen sich einsetzen für die Registrierung eintragungswilliger Parteien (Art. 76a BPR). Weitere Einsparungen lassen sich erzielen durch die Eliminierung doppelter und gewisser anderer Kontrollen bei Volksbegehren sowie durch die Übernahme des beispielsweise in Zürich bewährten Systems, Volksbegehren nurmehr bis zur Erreichung des verfassungsmässigen Quorums auszuzählen (Art. 66 und Art. 72 BPR). Das Freispielen dieser Kräfte ist nötig für den Einsatz bei der Entwicklung umfassender elektronisch gestützter Methoden bei der Ausübung der politischen Rechte («Vote électronique»), welche in den kommenden Jahren ansteht und finanziell wie personell enorme Anstrengungen erfordern wird.

Zielvorstellung des Bundesrates ist die Entwicklung entsprechender Möglichkeiten in enger Zusammenarbeit mit Kantonen, Gemeinden, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung.

1.1.4

Frauenförderung

Die eidgenössische Volksinitiative «für eine gerechte Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden (Initiative 3. März)» ist am 12. März 2000 von Volk und Ständen wuchtig abgelehnt worden (BBl 2000 2990 und 2994). Nachdem zwei andere Volksinitiativen bereits in der Unterschriftensammlung gescheitert waren (Eidgenössische Volksinitiative «Frauen und Männer» [BBl 1990 III 171; Scheitern: BBl 1992 II 715] und eidgenössische Volksinitiative «Nationalrat 2000» [BBl 1991 I 104, Korrektur: BBl 1991 II 292; Scheitern: BBl 1992 III 1538]), dürften ergebnisorientierte Quoten in näherer Zukunft kaum ein mehrheitsfähiges Instrument zur Erzielung einer angemessenen Vertretung der Frauen in eidgenössischen Behörden darstellen.

Angebotsorientierte Quoten wurden durch zwei parlamentarische Initiativen der SPK-N (98.429 und 99.403) angeregt, aber schliesslich in beiden Räten fallen gelassen (BBl 1998 4759­4799, 1999 3113­3124; AB 1998 N 1805­1824, S 1186­1194, 1999 S 479­484, N 714­734). Damit ist freilich der Verfassungsauftrag nicht erledigt: Artikel 8 Absatz 3 zweiter Satz BV beauftragt den Gesetzgeber, für die tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann zu sorgen.

1.1.5

Redaktionsmängel

Am 6. Dezember 1999 hat der Nationalrat den Bundesrat beauftragt, ein krass sinnstörendes redaktionelles Versehen im italienischen Gesetzestext bei nächster Gelegenheit zur Behebung bereitzustellen (AB 1999 N 2372). Es geht um die korrekte Berechnung der Verteilungszahl für die Zuteilung der Nationalratsmandate (Art. 40 Abs. 1 BPR). Nur durch ihre mathematisch präzise Bestimmung wird sicher verhindert, dass von Gesetzes wegen einmal mehr Sitze verteilt werden müssen könnten, als die Bundesverfassung (Art. 149 Abs. 1 BV) überhaupt zur Verfügung stellt.

6404

Die deutsche und französische Fassung gewährleisten dies (vgl. BBl 1993 III 486f.

und 536 und FFf 1993 III 452s. und 506), derweil die italienische Fassung auch bei der Revision von 1994 versehentlich fehlerhaft geblieben war (FFi 1993 III 348 segg. [korrekt] und 396 [falsch]).

1.1.6

Bürgerfreundlichere Ausgestaltung

Die mit vertretbarem Aufwand zumutbaren Anstrengungen sollen unternommen werden, damit die Ausübung der demokratischen Rechte so bürgerfreundlich als möglich bleibt. Die teils inhaltliche (vgl. Art. 60 und Art. 68: Unterschriftenlisten aller laufenden eidg. Volksbegehren), teils zeitliche (Art. 11 Abs. 3: Elektronisches Angebot der Abstimmungserläuterungen mindestens sechs Wochen vor dem Urnengang) Erweiterung des Internetangebots der Bundeskanzlei zielt in diese Richtung.

Dazu gehört auch eine für Stimmberechtigte, Parteien, Kantone, Gemeinden, Verbände und staatsbürgerliche Vereinigungen verschiedenster Art transparentere Planung der Abstimmungsvorlagen (Art. 10 Abs. 1 und 1bis).

Die briefliche Stimmabgabe hat seit der Liberalisierung von 1994 insbesondere in Agglomerationen enorm zugenommen (vgl. Anhang 1). Von dieser Entwicklung ausgenommen blieben nur Kantone, welche für die in der Regel am gleichen Tag stattfindenden kantonalen und kommunalen Urnengänge die briefliche Stimmabgabe weiterhin von sehr restriktiv formulierten Bedingungen abhängig machen. Dies ist in der Regel durch negative historische Erfahrungen und entsprechende Angst vor Manipulationen bedingt. Gesamtschweizerisch aber stimmen heute nahezu die Hälfte aller am Urnengang teilnehmenden Stimmberechtigten brieflich, und in grossen Agglomerationen erreicht dieser Teil 90 Prozent. Rund die Hälfte der brieflich Stimmenden tun es postwendend.

In diesem Zusammenhang sollte auch vermehrt Rücksicht genommen werden auf veränderte Feriengewohnheiten, die etwa durch die Vereinheitlichung des Schuljahresbeginns 1985 (BBl 1985 II 1435) verstärkt worden sind. Die Schulferienzeiten variieren im Einzelnen zwischen den verschiedenen Landesgegenden recht stark.

Insbesondere im Sommer und im Herbst pflegen sie in der französischsprachigen Schweiz später zu liegen als in der Deutschschweiz.

Aus diesem Grund kann für eidgenössische Volksabstimmungen und noch stärker für die Nationalratswahlen kaum ein Zeitpunkt gefunden werden, bei dem sowohl der Abstimmungs- oder Wahltag selber als auch die unmittelbar davor liegende Periode von Kollisionen zu kantonalen Ferienterminen völlig frei sind. Einer Vorverlegung des letzten Verteiltermins für das Stimmmaterial um eine Woche bei Volksabstimmungen und um elf Tage bei Nationalratswahlen erwuchs freilich
im Vernehmlassungsverfahren starke Opposition von Kantonen und Wirtschaft, derweil der Vorschlag bei den Parteien auf geteiltes Echo stiess. Drohende Verteuerung des Abstimmungs- und Wahlkampfs lässt den Bundesrat von dieser Änderung absehen. Für Auslandschweizer Stimmberechtigte sollen auf Verordnungsstufe andere Wege zur Entschärfung der Situation gesucht werden.

6405

1.1.7

Fazit

Zwar stellt die vorliegende Revision nur einen Zwischenschritt vor der einschneidenderen Reform (Erweiterung um elektronisch gestützte Formen der Ausübung politischer Rechte) dar. Dennoch ergeben die verschiedenen Revisionspunkte insgesamt eine wahl- und abstimmungstechnische Reform, die allen Beteiligten ­ Stimmberechtigten, Parteien und Behörden ­ je eigene Vorteile bringt.

1.2

Ergebnisse des Vorverfahrens

1.2.1

Aufnahme von Anliegen aus andern parlamentarischen Arbeiten

In verschiedener Hinsicht nimmt der Revisionsentwurf Anliegen auf, welche in den vergangenen Jahren parlamentarisch artikuliert wurden (Frauenförderung, administrative Erleichterungen für Parteien, elektronisch gestützte Ausübung der politischen Rechte).

1.2.2

Aufnahme von Anliegen aus der Aktivbürgerschaft

Andere Anliegen wurden vorgebracht im Rahmen erheblich häufiger erhobener Abstimmungsbeschwerden der letzten Jahre oder in der Korrespondenz Stimmberechtigter, welche gegenüber der sachbefassten Dienststelle der Bundeskanzlei entsprechende Anliegen artikulierten. Dies betrifft insbesondere die frühere Information zu Volksabstimmungen, aber auch eine transparentere und längerfristige Abstimmungsplanung und ein stärkeres elektronisches Angebot. Die Massnahmen zur Parteienregistrierung und für Erleichterungen zu ihren Gunsten nehmen Anliegen mehrerer öffentlicher Diskussionen der jüngeren Vergangenheit auf.

1.2.3

Vernehmlassungsverfahren

Im Rahmen des von Mitte Juni bis Ende September 2001 durchgeführten Vernehmlassungsverfahrens wurden Kantone, Parteien, Spitzenverbände der Wirtschaft und weitere interessierte Organisationen zur Stellungnahme eingeladen. Geantwortet haben alle Kantone mit Ausnahme Nidwaldens, sieben der 13 in den eidgenössischen Räten vertretenen Parteien, fünf der zehn Wirtschaftsverbände, von den übrigen zur Stellungnahme eingeladenen Kreisen einzig die Auslandschweizerorganisation sowie spontan weitere vier interessierte Organisationen. Die Revision wird in drei Vierteln der Stellungnahmen begrüsst und als praktikabel und ihre Regelungsdichte als angemessen beurteilt. Weiter gehende Revisionsanliegen bleiben in der Minderheit.

Die Einführung eines Parteienregisters mit allein freiwilliger Registrierungsmöglichkeit (Art. 76a BPR) und davon abhängigen Wahlanmeldeerleichterungen (Art. 24 BPR) findet eine Dreifünftelsmehrheit. Der Bundesrat hält an diesem Vorschlag fest.

Einige im Vernehmlassungsverfahren geäusserte Bedenken gehen am Kern der Sache vorbei. Nationalratswahlen sind Bundeswahlen, und hierfür sind Regelungen 6406

über die Parteien vom Bundesgesetzgeber zu treffen. Wenn Artikel 137 BV umgesetzt werden soll, so sind ein Register und gesetzliche Registrierungsvoraussetzungen ein unumgänglicher erster Schritt.

Die Ermöglichung von Pilotprojekten (Art. 5 Abs. 3 und Art. 8a BPR) und andere behutsame Schritte (Art. 60a und Art. 69a BPR) hin zu einem Vote électronique finden mindestens eine Zweidrittelsmehrheit. Drei Viertel aller Vernehmlasser begrüssen Massnahmen zur leichteren Planung der Volksabstimmungen (Art. 10 BPR).

Mit Dreiviertelsmehr wird dagegen einer Ermöglichung des Verzichts auf das Stimmrecht selbst unter strengen Formvorschriften kategorisch opponiert; der Bundesrat verzichtet daher auf den entsprechenden Vorschlag (Art. 4a) aus dem Vernehmlassungsverfahren. Kantone, welche entsprechende Praktiken kommunaler Behörden ohne Einverständnis der Bundesbehörden zu dulden begonnen haben, werden dies infolgedessen allerdings wieder unterbinden müssen.

Knapp positiv ausgefallen ist das Echo auf den Vorschlag einer Gesetzesgrundlage für Informationskampagnen zur Förderung der Stimmbeteiligung und der Chancengleichheit der Geschlechter bei Nationalratswahlen (Art. 86a BPR); weiter gehenden Forderungen steht hier besonders intensive Opposition entgegen. Interessanterweise gingen zu diesem Vorschlag von Frauenseite zwei spontane, von den sechs eingeladenen Frauenverbänden hingegen keine Reaktionen ein.

1.3

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

1.3.1

Berücksichtigte Anliegen

Der Revisionsentwurf nimmt das mit Zustimmung des Bundesrates am 8. Oktober 1999 überwiesene (AB 1999 N 2214f.) Postulat Andreas Gross (99.3321) betreffend «Volksinitiativen und Referenden. Internet-Homepage» auf und setzt es in geeigneter Weise um.

1.3.2

Erst teilweise berücksichtigte Anliegen

Abgeschrieben werden kann ausserdem ein Postulat Guisan (97.3590) betreffend «Ausübung des Stimmrechtes in der ganzen Schweiz. Änderung von Art. 3 des Bundesgesetzes über politische Rechte», welches vom Nationalrat am 8. März 1999 gegen den Willen des Bundesrates überwiesen worden war (AB 1999 N 194f.). Wie oben skizziert (Ziff. 1.1.2 und 1.1.3 hiervor), benötigt die Entwicklung eines umfassenden Angebots elektronisch unterstützter Ausübung der politischen Rechte zwar personell wie finanziell erhebliche Ressourcen und entsprechend viel Zeit, weil die Sicherung des Stimmgeheimnisses einerseits und der Schutz vor Manipulationen andererseits nicht einfach unter einen Hut zu bringen sein werden. Der Bundesrat ist indessen gewillt, in enger Zusammenarbeit mit Kantonen und Gemeinden und unter Nutzung der in Wirtschaft und Wissenschaft gewonnenen Erkenntnisse eine bürgerfreundliche Lösung zu suchen. Das Postulat ist geprüft; es soll schrittweise materieller Umsetzung entgegengeführt werden.

6407

2

Besonderer Teil

2.1

1. Titel: Stimmrecht und Stimmabgabe (Art. 1­9)

Art. 1 und Art. 2 Die Bestimmungen können aufgehoben werden, weil sie mit dem Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung auf den 1. Januar 2000 vollumfänglich auf Verfassungsstufe verankert sind (Art. 136 Abs. 1 und 2 BV).

Art. 5 Abs. 3 und Art. 8a Die Ermöglichung von Versuchen mit elektronischer Stimmabgabe bedarf einer eigenen gesetzlichen Grundlage: Die Erhebung des Volkswillens ist von Verfassungs wegen an präzise Kriterien gebunden, und die bundesgerichtliche Rechtsprechung knüpft auch unverbindliche Konsultativabstimmungen an solche Bedingungen (BGE 104 Ia 228f E. 1a). Unabhängig davon, ob Pilotversuche in gesonderten, eigenen Konsultativurnengängen oder aber im Rahmen ordentlicher eidgenössischer Volksabstimmungen durchgeführt werden, müssen sie die freie Willensbildung und die unverfälschte Willenskundgabe gewährleisten (Art. 34 Abs. 2 BV). Auch jede Art von Pilotversuchen bedarf daher intensivster Vorbereitung, weil das Vertrauen der Stimmberechtigten selber in die halbdirekte Demokratie auf dem Spiele steht und daher Fehler weder politisch noch rechtlich toleriert werden können. Aus diesem Grund muss vor jedem Pilotversuch das Einverständnis aller mitwirkenden Gemeinwesen vorliegen; darüber hinaus aber müssen für jeden Pilotversuch auch Urnengang, beteiligte Gemeinwesen und Kreis aller Versuchsberechtigten genau abgegrenzt werden (Art. 8a Abs. 1 BPR). Nur so lassen sich jene überblickbaren Verhältnisse schaffen, in denen sich Manipulationsversuchen ebenso vorbeugen lässt wie einer Verletzung des Stimmgeheimnisses (Art. 8a Abs. 2 BPR). Die Einzelheiten lassen sich erst festlegen, wenn wesentliche technische Voraussetzungen möglicher Lösungen bekannt sind. Daher ist der Erlass der Einzelheiten dem Bundesrat zu delegieren (Art. 8a Abs. 3).

Art. 9 Nach der Schaffung eines zivilen Ersatzdienstes (vgl. heute Art. 59 Abs. 1 BV; Bundesgesetz vom 6. Oktober 1995 über den zivilen Ersatzdienst, SR 824.0) gebieten es Rechtsgleichheit und Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 1 und 2 BV), nicht nur den im Dienst stehenden Wehrpflichtigen und Zivilschützern, sondern ebenso ihren Kollegen des zivilen Ersatzdienstes in gleicher Situation den Anspruch auf briefliche Stimmabgabe auch bei kantonalen und kommunalen Urnengängen einzuräumen.

Von Bedeutung ist dies insbesondere in jenen Kantonen (heute vorab
noch Wallis und Tessin), welche der Möglichkeit brieflicher Stimmabgabe in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten historisch bedingt reserviert gegenüberstehen.

6408

2.2

2. Titel: Abstimmungen (Art. 10­15)

Art. 10 Abs. 1 und Abs. 1bis (neu) Sinn der Neuregelung ist es, dem in den vergangenen Jahren zunehmend artikulierten Wunsch nach längerfristiger und damit transparenterer und leichter kalkulierbarer Abstimmungsplanung Rechnung zu tragen und damit den Abstimmungsrhythmus zu verstetigen und soweit möglich zu beruhigen.

Zu diesem Zweck sollen folgende Grundsätze im Gesetz festgeschrieben werden: 1.

Regeln zur Bestimmung der für eidgenössische Volksabstimmungen im Grundsatz zu reservierenden Sonntage (Abs. 1);

2.

Die Zusicherung, dass der Bundesrat künftig die Abstimmungsvorlagen mit Ausnahme dringlicher Bundesgesetze mindestens vier Monate im Voraus festlegt und bekannt gibt (Abs. 1bis).

Schwierig ist es, eine Gesetzmässigkeit für die ersten beiden Volksabstimmungstermine des Kalenderjahres festzulegen. Dies liegt darin begründet, dass 1.

im Januar und Anfang Februar aus Gründen postalischer Engpässe des Weihnachts- und Neujahrspostverkehrs und im Juli wegen verbreiteter Ferienabwesenheit keine Volksabstimmungen stattfinden können;

2.

zwischen zwei eidgenössischen Volksabstimmungen wegen Raumknappheit und zur Vermeidung von Materialverwechslungsmöglichkeiten mindestens acht Wochen liegen sollten;

3.

von Aschermittwoch bis Pfingsten und Fronleichnam Gesetzmässigkeiten des Kalenderjahres und solche des Festkalenders bzw. des kirchlichen Jahreskreises einander überlagern.

Absatz 1bis will gewährleisten, dass auch für den konkreten Abstimmungskampf allseits ein genügendes Minimum an Vorbereitungszeit zur Verfügung steht: Danach legt der Bundesrat künftig mindestens vier Monate vor dem Abstimmungstermin fest, welche Vorlagen zur Abstimmung gelangen. Eine Ausnahme muss freilich für dringliche Bundesgesetze gemacht werden, die dem Volk innert Jahresfrist vorgelegt werden müssen, falls nach dem Inkrafttreten innert 100 Tagen ein Referendum eingereicht wird und zu Stande kommt (Art. 59 BPR): Weil dringliche Bundesgesetze nach dem Zustandekommen eines Referendums ohne Annahme durch das Volk ein Jahr nach Inkraftsetzung ausser Kraft treten müssen und in diesem Fall nicht erneuert werden können (Art. 165 Abs. 2 und 4 BV), muss vermieden werden, dass die neue Regelung über die Ankündigung der Abstimmungsvorlagen ohne den Volksentscheid zu Fall gebracht werden könnte, nur weil anschliessend kein weiteres Datum mehr fristgerecht zur Verfügung steht. Dies liefe auf eine Missachtung der direktdemokratischen Rechte hinaus. Zu den Gründen siehe im Übrigen auch den Kommentar zu Artikel 11 Absatz 3 hiernach.

Art. 11 Abs. 3 dritter Satz (neu) Korrespondenz ebenso wie vermehrte Forderungen in Abstimmungsbeschwerden zeigen einen offenbar verbreitet zunehmenden Wunsch, die Abstimmungsunterlagen früher als bisher zu erhalten. Ähnliche Desiderate ergeben sich seitens der Parteien

6409

und anderer politisch interessierter Vereinigungen im Hinblick auf die Vorbereitung der Abstimmungskampagnen: Die Delegiertenversammlungen müssen die Vorlagen in voller Kenntnis debattieren und Abstimmungsparolen fassen können. Auch andere Veranstaltungen wie die weit verbreiteten Vortragsreihen privater Vereinigungen können aktuelle politische Themen erst wirksam aufnehmen, wenn die Fragen entscheidungsreif aufbereitet sind. Das Abstimmungswesen soll daher soweit möglich bürgerfreundlicher ausgestaltet werden. Um den Abstimmungskampf nicht unverantwortbar zu verteuern und um den Kantonen nicht Probleme für den Fall gleichzeitiger Wahlen zu verursachen, verzichtet der Bundesrat nach der deutlichen Opposition im Vernehmlassungsverfahren auf eine frühere Verteilung der Abstimmungsunterlagen an die Stimmberechtigten. Hingegen soll die Bundeskanzlei Informationsbedürfnisse dadurch bereits früher stillen, dass sie die Abstimmungserläuterungen künftig spätestens sechs Wochen vor dem Abstimmungstag auf Internet zur Verfügung hält. Im Übrigen siehe auch Anhang 1.

Art. 12 Abs. 3 (neu) Die traditionellen Arten der Stimmabgabe setzen die Verwendung der amtlichen Stimm- und Wahlzettel voraus (Art. 12 Abs. 1 Bst. a, Art. 38 Abs. 1 Bst. b und Art. 49 Abs. 2 Bst. a BPR), welche nur handschriftlich ausgefüllt oder abgeändert sein dürfen (Art. 12 Abs. 1 Bst. b, Art. 38 Abs. 1 Bst. c und Art. 49 Abs. 2 Bst. c BPR). Für Pilotversuche mit elektronischer Stimmabgabe können diese Gültigkeitserfordernisse nicht aufrechterhalten werden. Auch elektronische Stimmabgaben benötigen jedoch präzise Abgrenzungen zwischen gültiger und unzulässiger Willensäusserung, etwa zur Verhinderung der Mehrfachstimmabgabe oder der Stimmabgabe durch Unbefugte (d.h. nicht Stimmberechtigte oder Personen, die unter falscher Namensangabe stimmen wollen). Diese Abgrenzungen muss das kantonale Recht jenes Standes vornehmen, in welchem ein Pilotversuch mit elektronischer Stimmabgabe durchgeführt wird. Die kantonalen Bestimmungen bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung des Bundesrates (Art. 91 Abs. 2 BPR). Der Bundesrat wird diese Genehmigung zur Bedingung jeglicher Bewilligung nach Artikel 8a BPR machen.

Art. 14 Abs. 2 Den Kantonen muss neu eine Maximalfrist (13 Tage) für die Veröffentlichung der kantonalen Teilergebnisse im kantonalen
Amtsblatt gesetzt werden, weil andernfalls die Erwahrung der Gesamtergebnisse des Bundes nicht mehr rechtzeitig erfolgen könnte, nachdem die Justizreform der Bundesverfassung den Instanzenzug vor das Bundesgericht und nicht mehr vor den Bundesrat geführt hat (Art. 189 Abs. 1 Bst. f BV). Der Bundesrat kann somit Abstimmungsbeschwerden nicht mehr wie bisher selber und gleichzeitig mit der Erwahrung (vgl. Art. 15 und Art. 81 BPR) entscheiden. Dies führt zwangsläufig zu Verzögerungen. Ein Paket von Massnahmen muss demokratiewidriger Vereitelung zeitgerechten Vollzugs durch eine organisierte Flut von Abstimmungsbeschwerden entgegensteuern (vgl. auch den Kommentar zu Art.

15 hiernach). Dazu gehört die Befristung der amtlichen Veröffentlichung der kantonalen Abstimmungsteilergebnisse. Notfalls ist eine Sondernummer des Amtsblattes herauszugeben. Das Verfahren entspricht dem Vorgehen bei den Nationalratswahlen (vgl. Kommentar zu Art. 52 Abs. 2 hiernach).

6410

Art. 15 Abs. 4 (neu) Während bisher die verbindliche Feststellung des Abstimmungsergebnisses mit dem Entscheid über Abstimmungsbeschwerden kompetenzmässig wie zeitlich zusammenfiel, erfordert die Justizreform der Bundesverfassung (Art. 189 Abs. 1 Bst. f BV) nun die Trennung dieser beiden Schritte. Zumindest im Regelfall wird die Erwahrung durch den Bundesrat folgerichtig der rechtskräftigen Erledigung sämtlicher Abstimmungsbeschwerden durch das Bundesgericht nachgeordnet bleiben müssen.

Entsprechende Vorschläge unterbreiteten wir mit der Botschaft zum neuen Bundesgerichtsgesetz (BBl 2001 4202).

Wie aber die jüngere Vergangenheit zunehmend häufiger gezeigt hat1*, kann ein Zuwarten mit der Erwahrung und Inkraftsetzung namentlich dort, wo Sachzwänge des internationalen oder nationalen Rechts zum Wohle der Allgemeinheit umgehendes Handeln erfordern, gravierende Nachteile zum Schaden des Landes nach sich ziehen, welche insbesondere auch im Widerspruch zum gefällten demokratischen Mehrheitsentscheid stehen. Bei dringlich erklärten Bundesgesetzen entstünde gar systematisch das Risiko, dass sie nach der verfassungsmässigen Jahresfrist ausser Kraft gesetzt werden müssten, wenn mit einer Beschwerdeflut die rechtzeitige Erwahrung eines zustimmenden Volksentscheides verhindert werden könnte. Dies zeigt die Tabelle 1: Tabelle 1 Schritt

Minimalzeitbedarf in Tagen

Publikation im Bundesblatt bzw. in der Amtlichen Sammlung 10 Tage Referendumsfrist 100 Tage Prüfung der Unterschriften 30 Tage Ansetzung der Volksabstimmung (i.d.R. vier Blankodaten pro Jahr) 30 Tage korrekte Organisation der Volksabstimmung nach den Vorgaben 95 Tage Veröffentlichung des Abstimmungsergebnisses im kantonalen Amts- 28 Tage blatt, Beschwerde an die Kantonsregierung und Entscheid darüber Erhebung der Abstimmungsbeschwerde 5 Tage Zwischentotal Reserve für den Bundesgerichtsendentscheid inklusive Eröffnung Verfahren bis zum Erwahrungsbeschluss des Bundesrates Publikation im Bundesblatt bzw. in der Amtlichen Sammlung Total

298 Tage 37 Tage 15 Tage 15 Tage 365 Tage

Aus diesen Gründen soll die zuständige Behörde (Bundesrat oder Parlament) bei sehr deutlichem Abstimmungsergebnis Gesetzesvorlagen oder Bundesbeschlüsse über die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge vor Ablauf der Erwahrung provisorisch in Kraft setzen oder dringliche Gesetze in Kraft erhalten können, wo die Rechtsänderung (oder bei Dringlichkeitsrecht ihre Erhaltung) keinen Aufschub erträgt (Art. 15 Abs. 4 BPR).

*

Fussnoten: siehe Seite 25

6411

2.3

3. Titel: Wahl des Nationalrats (Art. 16­57)

2.3.1

1. Kapitel: Allgemeines (Art. 16­20a)

Art. 16 Abs. 2 und Art. 17 Einleitungssatz Artikel 1 und Artikel 142 Absatz 4 BV haben den Begriff des Halbkantons gestrichen. Die Artikel 16 Absatz 2 und 17 Einleitungssatz BPR sind nun redaktionell entsprechend anzupassen.

2.3.2

2. Kapitel: Verhältniswahl (Art. 21­46)

Art. 22 Abs. 2 Neu soll die Angabe des Geschlechts auf dem Wahlvorschlag aufzuführen sein (Art. 22 Abs. 2), und an Stelle des Geburtsjahres ist nach einer Anregung des Kantons Bern aus dem Vernehmlassungsverfahren die Angabe des genauen Geburtsdatums zu verlangen: Der Zeitdruck bei der Überprüfung aller Kandidaturen erheischt dies erfahrungsgemäss in der Tat, damit die Fälschung von Altersangaben erkannt, gesetzlich verbotene Doppelkandidaturen verhindert und die Wählbarkeit von Personen, die erst im Wahljahr das Wahlalter erreichen, ohne Zeitverlust festgestellt werden können.

Art. 23 zweiter Satz (neu) In Artikel 23 BPR ist die Zulassungsbedingung (vgl. Art. 29 Abs. 3 BPR) unzweideutiger Unterscheidbarkeit aller Listennamen statuiert. Demgegenüber verlangt Artikel 31 Absatz 1bis BPR einen gemeinsamen Listenhauptnamen für alle miteinander unterverbundenen Wahlvorschläge. Die Artikel 23 und 31 Absatz 1bis BPR sind zueinander präzis komplementär. Ratio legis ist die Zulässigkeit einer Unterlistenverbindung nur innerhalb einer und der gleichen Partei. Dies wird durch die Identität des Hauptnamens sichergestellt. Eigenständige Gruppierungen, die sich lediglich für die Nationalratswahlen als verschiedene «Flügel» zu einer «einzigen» «Partei» «zusammenschliessen» wollen, müssen dies vor der Einreichung ihrer Wahlvorschläge durch die Wahl eines gemeinsamen, übergeordneten Listenhauptnamens tun (vgl. AB 1993 N 2486f.). Dies macht es aber unausweichlich, dass sich die Vertreter dieser Wahlvorschläge auf die offizielle Bezeichnung einer Liste als Stammliste einigen, der Linien auf ungenau nur mit dem gemeinsamen, übergeordneten Listenhauptnamen bezeichneten Wahlzetteln als Zusatzstimmen zuzuzählen sind (Art. 37 Abs. 2bis). Nur so kann verhindert werden, dass: ­

Zusatzstimmen unzureichend bezeichneter Stimmzettel für eine der konkurrierenden Listen gleichen Hauptnamens durch undurchsichtige Entscheide der beiden Parteien zu leeren Stimmen umfunktioniert werden können, woraus treuwidrig (vgl. Art. 5 Abs. 3 BV) geschädigte Dritte hervorgehen könnten;

­

ein klar geäusserter Teil des Wählerwillens entgegen Artikel 34 Absatz 2 BV missachtet werden könnte; der Schutz dagegen existierte als ungeschrie-

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bener Rechtsanspruch bereits unter der alten Bundesverfassung (vgl. BGE 124 I 57, 121 I 190 E. 3a, 12 E. 5b aa, 119 Ia 272 E. 3a und die ständige frühere Praxis).

Der verfassungsmässige Anspruch aller Stimmberechtigten darauf, dass kein Wahlergebnis anerkannt werde, welches nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht wiedergibt, schliesst jegliche Stimmen aus, deren Berücksichtigung der Staat der Disposition von Parteien anheimstellen könnte. Wie bedeutsam dies ist, zeigt der gesetzgeberische Entscheid, innerkantonale Doppelkandidaturen zu verunmöglichen (Art. 27 Abs. 1 BPR, vgl. dazu BBl 2000 2361­2365).

Art. 24 Abs. 3 (neu) Der neue Artikel 24 Absatz 3 BPR bringt für Parteien administrative Erleichterungen, welche auf Grund der verfassungsmässigen Grundlage (Art. 137 und Art. 147 BV) möglich werden. Die Bestimmung will jenen Parteien, welche sich bei der Bundeskanzlei fristgerecht und ordnungsgemäss (vgl. den Kommentar zu Art. 76a hiernach) haben registrieren lassen, die Sammlung des gesetzlichen Unterschriftenquorums und die Einholung aller Stimmrechtsbescheinigungen dann erlassen, wenn sie nicht mehr als einen einzigen Wahlvorschlag einreichen. Die beiden Voraussetzungen sind unausweichlich, weil sonst die Tendenz zur Listenzersplitterung noch mehr gefördert wird. Dies aber müsste der Wählerschaft die Übersicht zusätzlich erschweren und am Ende die Regularität der Wahlergebnisse beeinträchtigen. Gruppierungen, die sich erst für den Wahlprozess konstituieren oder die ­ bewusst niedrig gehaltenen ­ Registrierungsvoraussetzungen nicht erfüllen, haben selbstverständlich weiterhin die Möglichkeit, die Zulassung zur Wahl durch das Beibringen der Unterschriftenquoren zu erreichen. Das gleiche gilt für eine Partei, die mehrere Wahlvorschläge einreicht: In diesem Fall muss sie für jede Liste das Unterschriftenquorum erreichen. Weiterhin von allen kandidierenden Listen einzureichen sind die Unterschriften sämtlicher kandidierenden Personen. Dieses Erfordernis stellt nämlich sicher, dass niemand gegen seinen Willen zur Kandidatur genötigt wird und dass insbesondere das Verbot interkantonaler Doppelkandidaturen (Art. 27 Abs. 2 BPR) dazu benützt werden kann, die Chancen missliebiger Kandidatinnen oder Kandidaten in ihrem Wohnsitzkanton mit einer verdeckten Portierung durch
Dritte in einem andern Kanton ohne ihr Wissen zu beeinträchtigen. Ein Vorschlag des Kantons Zürich aus dem Vernehmlassungsverfahren (Reduktion des Unterschriftenquorums für alle Listen, die unter gleichem Namen bei der vorangegangenen Wahl einen Sitz errangen) bietet keine Alternative, weil neue Ad-hoc-Gruppierungen problemlos die Namen aufgelöster Parteien zur Inanspruchnahme der Vergünstigungen benützen könnten.

Art. 37 Abs. 2bis zweiter Satz (neu) Absatz 2bis garantiert die präzise Rechtsfolge der Bezeichnung einer Liste als Stammliste bei mehreren Listen gleichen Hauptnamens (vgl. den Kommentar zu Art. 23 hiervor).

Art. 38 Abs. 5 (neu) Siehe Ziffer 2.2 den Kommentar zu Artikel 12 Absatz 3 hiervor.

6413

Art. 39 Bst. d und e Das System der Stammlistenbezeichnung (Art. 23 und 37 Abs. 2bis) erlaubt die präzise Zuordnung sämtlicher Stimmen, sodass die enorm aufwendige Erhebung der Zahl der Kandidaten- und der Zusatzstimmen einer jeden Liste innerhalb einer Unterlistenverbindung sowie gegebenenfalls innerhalb einer Listenverbindung unter ausschliesslich gleich bezeichneten Listen entbehrlich geworden ist.

Art. 40 Abs. 1 In den Amtsblättern einzelner Kantone wurde die Verteilungszahl für die Verteilung der Mandate innerhalb einer Listenverbindung zuweilen nicht korrekt berechnet publiziert: Nachdem die Division der Gesamtstimmenzahl aller beteiligten Listen durch die um eins vermehrte Zahl der zu verteilenden Mandate eine ganze Zahl ergeben hatte, wurde unzutreffenderweise nicht die nächsthöhere ganze Zahl als Verteilungszahl bestimmt. Dies hätte in einer weniger günstigen Konstellation dazu führen können, dass mehr Mandate zu verteilen gewesen wären, als überhaupt zur Verfügung standen (vgl. BBl 1993 III 486). Aus diesem Grund darf das Versehen sich nirgends wiederholen (vgl. BBl 2000 2365f.).

Der korrekt redigierte Artikel 17 Absatz 1 des Bundesgesetzes vom 14. Februar 1919 über die Wahl des Nationalrats (AS 35 359; BS 1 180) wurde 1976 vermeintlich im Sinne einer «Neuredaktion ohne materielle Änderung» (BBl 1975 I 1340) in Artikel 40 Absatz 1 BPR so umformuliert, dass der Quotient «Gesamtstimmenzahl : (Mandatszahl + 1)» auf die nächste ganze Zahl «aufzurunden» sei. Eine ganze Zahl kann jedoch nicht aufgerundet werden.

Nachdem das gesetzgeberische Versehen im Bund entdeckt worden war, wurde dem Eintreten eines verfassungswidrigen Zustandes 1994 durch Korrektur des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vorgebeugt. Die extra vorgenommene Korrektur wurde jedoch trotz ausführlicher Begründung in der Botschaft (BBl 1993 III 486f.)

im italienischen Gesetzestext (und ausschliesslich in diesem, vgl. Ziff. 1.1.5 hiervor) in der Novelle vom 18. März 1994 versehentlich nicht übernommen. Dies wird hier entsprechend dem Auftrag des Nationalrates (AB 1999 N 2372) nachgeholt.

2.3.3

3. Kapitel: Mehrheitswahl (Art. 47­51)

Art. 49 Abs. 3 (neu) Siehe Ziffer 2.2 den Kommentar zu Artikel 12 Absatz 3 hiervor.

6414

2.3.4

4. Kapitel: Veröffentlichung der Ergebnisse und Wahlprüfung (Art. 52­53)

Art. 52 Abs. 2 Genau so wie bei Volksabstimmungen wird der Beschwerdeweg für Wahlbeschwerden durch die Justizreform der Bundesverfassung (Art. 189 Abs. 1 Bst. f BV) neu vor das Bundesgericht geführt. Damit werden die beiden Schritte der Beschwerdeerledigung und der verbindlichen Feststellung der Wahlergebnisse kompetenzmässig wie zeitlich getrennt. Die Validierung der Wahl durch den neu gewählten Nationalrat wird folgerichtig der rechtskräftigen Erledigung sämtlicher Abstimmungsbeschwerden durch das Bundesgericht zeitlich nachgeordnet bleiben müssen (vgl. auch den Kommentar zu Art. 15 hiervor).

Ein Paket von Massnahmen muss demokratiewidriger Vereitelung zeitgerechter parlamentarischer Arbeitsaufnahme durch eine organisierte Flut von Wahlbeschwerden steuern. Dazu gehört die Befristung der amtlichen Veröffentlichung der kantonalen Wahlergebnisse. Notfalls ist eine Sondernummer des Amtsblattes herauszugeben. Das Verfahren entspricht dem Vorgehen bei den Volksabstimmungen (vgl.

Kommentar zu Art. 14 Abs. 2 hiervor) und wurde bereits seit 1991 mit identischer Frist (8 Tage) auf dem Wege der Anordnung durch bundesrätliches Kreisschreiben praktiziert.

Art. 53 Abs. 1 Eine weitere Massnahme gegen die Vereitelung der Aufnahme der Arbeit durch das Parlament nach den Wahlen besteht nach der durch die Justizreform der Bundesverfassung gebotenen Aufteilung von Beschwerdeerledigung und Validierung der Wahlen darin, den frühestmöglichen Termin für die Konstituierung des neu gewählten Nationalrats gesetzlich festzulegen. Damit wird das Risiko vermindert, dass beim Zusammentritt noch allzu viele Wahlbeschwerden unerledigt sein könnten und so die Legitimität der Konstituierung beeinträchtigen könnten. Vorgeschlagen wird, dass die konstituierende Sitzung des neu gewählten Nationalrates am siebenten Montag nach der Wahl (d.h. je nach Konstellation jeweils zwischen dem 30. November und dem 6. Dezember) stattfinden soll. Diese Minimalfrist berücksichtigt die gesetzlichen Vorgaben zu den einzelnen Verfahrensteilschritten (vgl. Tab. 2). Der Vorschlag des Kantons Freiburg aus dem Vernehmlassungsverfahren (konstituierende Sitzung erst am 8. Montag nach dem Wahltag) ist nicht gangbar; er würde wegen der Festtage zur Abkürzung der Wintersession in Wahljahren zwingen.

Zufolge der neuen Teilung der Zuständigkeiten kann der
Nationalrat nurmehr die Gültigkeit all jener Wahlen feststellen, die nicht vor dem Bundesgericht angefochten oder deren Beschwerden vom Bundesgericht rechtskräftig erledigt wurden.

6415

Tabelle 2 Schritt

Minimalzeitbedarf in Tagen

Wahltag: zweitletzter Oktobersonntag (= 18.­24. Oktober) Publikation der Ergebnisse im kantonalen Amtsblatt Beschwerdefrist 1. Instanz (Kantonsregierung) Postalische Zustellung Beschwerdeentscheid Kantonsregierung Postalische Zustellung Beschwerdefrist ans Bundesgericht Postalische Zustellung

8 Tage 3 Tage 1 Tag 10 Tage 1 Tag 5 Tage 1 Tag

Zwischentotal

29 Tage

Reserve für den Bundesgerichtsendentscheid inklusive Eröffnung

13 Tage

Total Tage vom Wahltag bis zur Eröffnung der neuen Legislatur (Art. 1 GVG: normal letzter Novembermontag [= zwischen dem 24. und dem 30. November], ausnahmsweise 1. Dezembermontag [= zwischen dem 1. und dem 7. Dezember])

ergibt minimal 42 Tage, nach dem Wahltag

Die Kantone Uri und Solothurn erachten diese (zwingenden) Fristen als unrealistisch und regen an, die Wahlbeschwerde direkt ans Bundesgericht zu eröffnen. Dies müsste aber schon daran scheitern, dass das Bundesgericht für die Erhebung des rechtserheblichen Sachverhalts mit den spezifischen Besonderheiten der verschiedenen Wahlkreise nicht so vertraut sein kann wie die örtlichen Behörden. Der Zeitdruck wäre damit statt behoben lediglich ans Bundesgericht verschoben.

Die Konstituierung des Nationalrates war bisher nicht im Gesetz geregelt. Erst in Artikel 3 Absatz 2 des Nationalratsreglements (SR 171.13) ist festgehalten, dass der Rat konstituiert ist, sobald die Wahl von wenigstens zwei Dritteln der Mitglieder gültig erklärt ist. Es handelt sich hier um eine wichtige Bestimmung im Sinne von Artikel 164 BV, ist doch die Konstituierung Voraussetzung dafür, dass der Rat überhaupt verhandeln kann. Die Bestimmung ist deshalb auf Gesetzesstufe zu heben. Sie könnte zwar auch dem Parlamentsrecht zugeordnet werden, doch der enge Konnex zur Wahlprüfung macht es sinnvoll, sie in Artikel 53 Absatz 1 BPR aufzunehmen. Umsetzung verdient die in der Vernehmlassung vom Kanton Solothurn, von economiesuisse und dem Arbeitgeberverband vorgetragene Anregung, das Quorum für die Konstituierung des Nationalrats dem verfassungsmässigen Verhandlungsquorum anzupassen: Artikel 159 Absatz 1 BV verlangt dafür nur die Mehrheit der Mitglieder des Rates und gibt damit der Handlungsfähigkeit der Behörden unbedingten Vorrang.

6416

2.3.5

5. Kapitel: Änderungen während der Amtsdauer (Art. 54­57)

Art. 56 Abs. 1 und 3 erster Satz Die Erleichterungen für ordnungsgemäss registrierte Parteien (vgl. den Kommentar zu Art. 24 Abs. 3) machen auch beim Nachrücken eine Sonderregelung erforderlich: Weil hier kein Unterschriftenquorum mehr verlangt wird, muss auch die Dreifünftelsmehrheit für die Regelung des Nachrückens auf einer andern Basis bestimmt werden. Der Gesetzesrevisionsentwurf schlägt dafür den statutarischen kantonalen Parteivorstand vor.

2.4 Art. 60a

4. Titel: Referendum (Art. 58­67b) Angebot von Unterschriftenlisten in elektronischer Form

Der Nationalrat überwies am 8. Oktober 1999 (AB 1999 N 2214f.) ein vom Bundesrat nicht bekämpftes Postulat Andreas Gross (99.3321), in dem als Ausgleich für die nach der Ausbreitung der brieflichen Stimmabgabe zumal in Agglomerationsgebieten (vgl. Anhang 1) zunehmend schwieriger gewordene Unterschriftensammlung für Volksinitiativen und Referenden gefordert wurde, dass die Bundeskanzlei die laufenden Volksbegehren auf einer eigenen Internet-Homepage anbieten solle.

Der Gesetzesrevisionsentwurf will eine Voraussetzung für die rasche Umsetzung dieses ersten Teilschrittes auf dem Weg zu einem umfassenden Angebot für die elektronische Ausübung des Stimm- und Wahlrechts schaffen. Die Lösung soll bürgerfreundlich, aber einfach und praktisch kostenneutral sein. Probleme bietet vor allem die Veränderbarkeit der heruntergeladenen Dokumente: Wenn die Unterschriftenliste die gesetzlichen Minimalangaben nicht mehr vollumfänglich und korrekt enthält, droht dies die Gültigkeit der darauf abgegebenen Unterschriften zu beeinträchtigen. Für Änderungen an Unterschriftenlisten, die aus der unterschiedlichen Konfiguration von EDV-Geräten oder aus anschliessend erst vorgenommenen Manipulationen entstehen, muss in jedem Fall die Verantwortung übernehmen, wer die elektronisch zur Verfügung gestellte Unterschriftenliste herunterlädt. Dies gilt auch für Unterschriftenlisten, die von Privaten elektronisch zur Verfügung gestellt werden. Dies ist im Gesetz ausdrücklich festzuschreiben, weil die technologische Entwicklung es verunmöglicht, dass ­ wie es der Gewerbeverband in seiner Vernehmlassung wünscht ­ eine Behörde die Unveränderbarkeit (einschliesslich Ausdruck!)

der elektronisch zur Verfügung gestellten Dokumente auf Jahre hinaus garantieren könnte.

Das elektronische Angebot von Unterschriftenlisten durch die Bundeskanzlei kann erst eine Vorstufe zu einem umfassenderen Vote électronique sein. Die Erarbeitung entsprechender Lösungen bedarf intensivster Zusammenarbeit von Gemeinden, Kantonen und Bund, dürfte den Verzicht auf viele liebgewordene Traditionen (etwa eine Harmonisierung der Stimmregister) erfordern und lässt sich aus verschiedenen Gründen nicht entfernt mit ausländischen Versuchen in diesem Bereich vergleichen: Zwar erfordert die hohe Bevölkerungsfluktuation heute allenthalben eine grosse Flexibilität der Stimmregisterführung.

6417

Die Kadenz des Abstimmungskalenders und die Frequentierung der direktdemokratischen Mitwirkungsrechte (Volksinitiative, Referendum, Volksmotion usw.) auf sämtlichen Stufen des öffentlichen Lebens unterscheiden sich in der Schweiz jedoch grundlegend von jeglicher ausländischer Verfassungswirklichkeit.

Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 2 Bst. a und b und 3 Zu Absatz 1: Der Mechanismus blosser unanfechtbarer Notiz im Bundesblatt ist bereits im bisherigen Gesetz verankert. Er dient der Vermeidung trölerischer Beschwerden, die gar nicht mehr auf ein Zustandekommen des Referendums hinwirken, sondern unter Missachtung demokratischer Gepflogenheiten darauf abzielen, eine Rechtsänderung hinauszuzögern, obwohl kein verfassungsmässiger Volksentscheid mehr erwirkt werden kann (vgl. BBl 1993 III 494 und 496; VPB 53.19; BBl 1988 II 1104­1117).

Bisher sind solche Notizen vorgesehen, wenn das verfassungsmässige Quorum um mehr als die Hälfte verfehlt wurde. Der Revisionsvorschlag will den Mechanismus greifen lassen, wo das Quorum um mehr als 10 000 Unterschriften verfehlt wurde.

Die Erfahrung zeigt, dass Referenden äusserst selten Unterschriftenzahlen zwischen 25 000 und 40 000 auf sich vereinigen. In den letzten 20 Jahren war dies zweimal der Fall. Hingegen hat die Änderung zur Konsequenz, dass in zeitlich dringenden Fällen rascher eruiert werden kann, ob die Rechtsänderung zu realisieren oder die Volksabstimmung zu organisieren ist. Dies wirkt sich insbesondere in Wahljahren und bei Dringlichkeitsrecht mit Verfassungsgrundlage aus: In Wahljahren kann im September keine eidgenössische Volksabstimmung durchgeführt werden. Dringlichkeitsrecht mit Verfassungsgrundlage aber tritt ein Jahr nach seiner Verabschiedung ausser Kraft, wenn ein Referendum dagegen zu Stande kommt und wenn ihm das Volk nicht vor Ablauf der Jahresfrist in einer Abstimmung zugestimmt hat (Art. 165 Abs. 2 BV). Die verschiedenen Fristen bewirken paradoxerweise, dass nicht das klare Zustandekommen eines Referendums die wirksamste Waffe gegen das angefochtene Dringlichkeitsgesetz ist, sondern das Nichtzustandekommen mit mehr als der Hälfte der Unterschriften. Die Beschwerdemöglichkeiten erlauben dort entscheidende Verzögerungen der Volksabstimmung (vgl. die Zeitpläne in Tab. 1 hiervor). Dieser Sachverhalt ist demokratisch unhaltbar. Mit der
Erhöhung des Quorums für den Anspruch auf eine Nichtzustandekommensverfügung wird das entsprechende Risiko erheblich herabgesetzt.

Zu Absatz 2: Die Bundeskanzlei soll Arbeitskräfte im Rahmen des Vertretbaren für wichtige neue Aufgaben einsetzen können statt für Kontrollen im Bereich der Volksrechte. Daher soll auf die bisher gesetzlich vorgeschriebene Kontrolle der Stimmrechtsbescheinigungen verzichtet werden, obwohl dabei regelmässig Mängel in der Praxis mehrerer nach kantonalem Recht zuständiger Instanzen (zumeist der Gemeinden) zu Tage treten (Fehlen der Datierung, des Vermerks der Anzahl gültiger Unterschriften, des Amtsstempels oder der amtlichen Eigenschaft der bescheinigenden Person). Bisher wurden diese Kontrollen stichprobeweise durchgeführt.

6418

Eine umfassende Kontrolle mit Nulltoleranz für das Zustandekommen eidgenössischer Volksbegehren ist im Zeitalter umfassender Mobilität mit vernünftigem Aufwand unmöglich. Die auf Versehen zurückzuführenden Bescheinigungsmängel mit Wirkung zu Lasten und zu Gunsten eines Volksbegehrens neutralisieren einander aufs Ganze gesehen. Mit der Einführung der Pflicht zur Erteilung nicht nur des blockschriftlichen Namenszugs, sondern zusätzlich auch der eigenhändigen Unterschrift i.e.S. 1996 konnte die Zahl der von der Bundeskanzlei noch zu streichenden Unterschriften von durchschnittlich 3,45 Prozent auf durchschnittlich noch 1,48 Prozent gesenkt werden.

Zu Absatz 3: Die vorstehend dargestellte Entwicklung rechtfertigt nach Ansicht des Bundesrates auch eine zweite Sparmassnahme: Inskünftig sollen Unterschriften nurmehr bis zur Erreichung des Quorums detailliert gezählt werden. Diese Regelung entspricht der bereits beispielsweise im Kanton Zürich geübten und bewährten Praxis bei kantonalen Volksbegehren. Damit können nicht nur Arbeitskräfte eingespart werden; auch die Zeit für die Ermittlung des Zustandekommens lässt sich damit abkürzen. Längerfristig muss freilich damit gerechnet werden, dass Referendumskomitees nicht mehr wesentlich höhere Unterschriftenzahlen als das Quorum plus eine Sicherheitsmarge beibringen.

Die Kantone Graubünden, Waadt und Wallis, die SVP und der Gewerbeverband äusserten in ihren Vernehmlassungen Bedenken gegen die Sparmassnahme, weil die Unterschriftenzahl eine wesentliche Information für den Abstimmungskampf sein könne. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt jedoch, dass die Komitees zumeist bereits selber den Medien detaillierte Listen der bescheinigten Unterschriften nach Kantonen abgeben. Angesichts der geringfügigen Anzahl der bei der Bundeskanzlei noch zu streichenden Unterschriften ist der Informationszugewinn jedoch nurmehr marginal, und der behördliche Mehraufwand ist nicht mehr zu rechtfertigen.

Art. 67b Abs. 1 Siehe Ziffer 2.3.1 den Kommentar zu Artikel 16 Absatz 2 und Artikel 17 Einleitungssatz hiervor.

2.5 Art. 69a

5. Titel: Volksinitiative (Art. 68­76) Angebot von Unterschriftenlisten in elektronischer Form

Siehe Ziffer 2.4 den Kommentar zu Artikel 60a hiervor.

Art. 72 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 2 und 3 Siehe den Kommentar zu Artikel 66 hiervor. Bei Volksinitiativen liess sich mit der Einführung der Pflicht zur Erteilung nicht nur des blockschriftlichen Namenszugs, sondern zusätzlich auch der eigenhändigen Unterschrift i.e.S. 1996 die Zahl der von der Bundeskanzlei noch zu streichenden Unterschriften von durchschnittlich 2,48 Prozent auf durchschnittlich noch 1,21 Prozent senken.

6419

2.6

5a. Titel: Parteienregister (Art. 76a)

Art. 76a Die neue Bundesverfassung hat die Parteien im Grundgesetz verankert. Dies soll nun auf Gesetzesstufe in massvoller Weise fortgesetzt werden. Unabdingbare Voraussetzung für jede Art einer Parteienregelung bleibt ein Register. Für die Registrierung setzt der Bundesrat dabei ausschliesslich auf Freiwilligkeit, die, soweit mit der Rechtsgleichheit (Art. 8 BV) vereinbar, durch gewisse Vorteile (vgl. den Kommentar zu Art. 24 Abs. 3 hiervor) abgegolten werden soll.

Zu Absatz 1: Das Konzept setzt voraus, dass registrierungswillige Parteien die Vereinsform (Art. 60­79 ZGB, SR 210) wählen und sich somit Statuten und die gesetzlich vorgeschriebenen Organe (vgl. dazu den Kommentar zu Art. 24 Abs. 3 und 56 Abs. 1) geben. Ausserdem soll der Registrierung von «Versuchsballonen», «Eintagsfliegen» und von Gruppierungen ohne minimalen Rückhalt in der Bevölkerung dadurch vorgebeugt werden, dass sich nur politische Vereine als Parteien eintragen lassen können, die in einer Mindestzahl von Kantonen wahrzunehmende Aktivitäten entfalten und dies durch eine minimale Vertretung in zumindest drei Kantonsparlamenten oder eine Vertretung im Nationalrat belegen können.

Absatz 2 regelt die obligatorischen Voraussetzungen des Eintrags ins Parteienregister: Wer sich dort eintragen lassen will, verpflichtet sich, der Bundeskanzlei stets die rechtsgültigen Statuten einzureichen, einen einzigen verbindlichen Namen der Partei in allen Amtssprachen sowie den Sitz der Partei bekannt zu geben und die beiden Namen und Adressen der präsidierenden und der hauptverantwortlich geschäfts- oder sekretariatsführenden Person zu hinterlegen. Weitere Angaben (etwa Telefon- und Faxnummer, elektronische Adressen, Namen und weitere Angaben anderer Vorstandsmitglieder, Liste der Präsidiumsmitglieder der Kantonalparteien usw.) können, aber müssen der Bundeskanzlei nicht gemeldet werden.

Zu Absatz 3: Ähnlich wie das Generalsekretariat der Bundesversammlung ein Register über die Interessenbindungen der Parlamentsmitglieder erstellt und zur Einsicht offen hält, soll die Bundeskanzlei über die von den Parteien eingereichten Unterlagen ein öffentlich zugängliches Register erstellen müssen. Weitere Einzelheiten darüber sind auf Grund der neuen Bundesverfassung (Art. 163 Abs. 1 und 164 Abs. 2 BV) in einer Parlamentsverordnung zu regeln.

2.7

6. Titel: Rechtspflege (Art. 77­82)

Art. 77 Abs. 2 Nach der konsequenten Aufteilung der Kompetenzen im Wahl- und Abstimmungswesen (Beschwerdeentscheide beim Bundesgericht, Erwahrung beim Bundesrat für Abstimmungen, beim Nationalrat für die Nationalratswahlen) durch die Justizreform der Bundesverfassung sind verschiedene Massnahmen nötig, damit die zeitgerechte Abwicklung aller Schritte und das verzugslose Inkrafttreten von Referendumserlassen oder Inkraftbleiben dringlicher Bundesgesetze gewährleistet bleiben (vgl. auch Kommentar zu Art. 14 Abs. 2, 15 Abs. 4 und 53 Abs. 1 hiervor). Zu diesem Paket von Massnahmen gehört namentlich auch, dass im Bereich der politischen Rechte 6420

jegliche auf Verzögerung ausgelegte Inanspruchnahme des Beschwerderechts verunmöglicht wird.

Daher wird die Einreichung der Beschwerde per B-Post zum Zwecke des blossen Hinauszögerns wenigstens beim Ablauf der absoluten Rekursfrist (nach Veröffentlichung der Ergebnisse im kantonalen Amtsblatt) verunmöglicht; Beschwerden müssen spätestens am vierten Tag nach Veröffentlichung der Ergebnisse im kantonalen Amtsblatt bei der Kantonsregierung eintreffen. Diese Figur nimmt auf, was seit 1994 im Wahlrecht für die Einreichung von Nationalratswahllisten mit gutem Erfolg eingeführt worden ist. Die im Vernehmlassungsverfahren dagegen angeführte Kritik der Kantone Zürich, Luzern, Uri, Freiburg, Solothurn und Wallis sowie des Arbeitgeberverbandes und von economiesuisse scheitert daran, dass die Alternativvorschläge entweder die fristgerechte Konstituierung des Nationalrats gefährden oder aber das Bundesgericht mit Sachverhaltsabklärungen belasten würden, welche kantonale Erstinstanzen weit rascher vornehmen können. Wer Beschwerde führt, kann in aller Regel durch Lettre signature (LSI) sicherstellen, dass die Sendung am nächstfolgenden Tag bei der Kantonsregierung eintrifft. Insofern führt der Vorschlag des Bundesrates im Endeffekt zum gleichen Ergebnis wie die Anregung des Kantons Freiburg, lässt aber Beschwerdeführenden die Alternative offen, ihre Beschwerde persönlich zu überbringen.

Art. 80 Abs. 2 zweiter Satz Der neu hinzuzufügende Satz verdeutlicht, dass blosse Hinweise auf das überdeutliche Verfehlen der verfassungsmässigen Quoren für Volksinitiativen oder Referenden entgegen einzelnen Lehrmeinungen2 nicht beschwerdefähig sein sollen. Die Verdeutlichung dient ebenso wie die Präzisierungen zu den Artikeln 66 und 72, aber auch jene zu den Artikeln 14, 15 und 77 (vgl. den Kommentar zu diesen Bestimmungen) dem Anliegen, Beschwerden vorzubeugen, welche ohne jegliche Chance auf das Erreichen des Hauptzieles der blossen Verzögerung dienen. Insbesondere im Falle von Referenden bei Dringlichkeitsrecht könnten irgendwelche Opponenten das Fortdauern des neuen Rechts unter Umgehung jeglicher demokratischer Entscheide auf dem Beschwerdeweg verhindern.

2.8 Art. 86a

7. Titel: Gemeinsame Bestimmungen (Art. 83­87) Informationskampagnen zu Wahlen

Bereits in Ziffer 138 seiner einlässlichen Stellungnahme vom 9. September 1998 (BBl 1998 4769­4799) zur parlamentarischen Initiative der SPK-N (98.429) Frauenmindestquoten für Nationalratswahlen (BBl 1998 4759­4768) hatte sich der Bundesrat bereit erklärt, Massnahmen zur Förderung der politischen Gleichstellung der Geschlechter wie eine Informations- und Aufklärungskampagne bei den Haushaltungen, Radio- und Fernsehspots, Hinweise anlässlich der Teilnahme seiner Mitglieder an politischen Sendungen oder einen Aufruf an die Stimmberechtigten in der Wahlanleitung zu den Nationalratswahlen zu prüfen und gegebenenfalls zu treffen.

Am 12. März 2000 ist die eidgenössische Volksinitiative «für eine gerechte Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden (Initiative 3. März)» von Volk und Ständen

6421

abgelehnt worden (BBl 2000 2990 und 2994). Zwei parlamentarischen Initiativen der SPK-N (98.429 und 99.403) wurde von den beiden Räten schliesslich keine Folge gegeben (BBl 1998 4759­4799, 1999 3113­3124; AB 1998 N 1805­1824, S 1186­1194, 1999 S 479­484, N 714­734). Damit sind Frauenquoten als zumindest vorderhand nicht mehrheitsfähig erwiesen.

Anderseits sind bei den Nationalratswahlen vom 24. Oktober 1999 die Kandidaturen von Frauen, welche 1995 im schweizerischen Mittel knapp 35 Prozent erreicht hatten, in verschiedenen Kantonen und auch gesamtschweizerisch in absoluten Zahlen zurückgegangen (Frauen 1995: 990; 1999: 983; Männer 1995: 1844; 1999: 1862; vgl. auch Anhang 2).

Der Verfassungsauftrag besteht jedoch fort: Der Gesetzgeber hat die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter anzustreben (Art. 8 Abs. 3 zweiter Satz BV).

Der Bundesrat kommt deshalb auf sein Angebot aus der Stellungnahme vom 9. September 1998 zurück und unterbreitet den Entwurf zu einer Gesetzesgrundlage für Informationskampagnen zur Förderung der Stimmbeteiligung, von Frauenkandidaturen für den Nationalrat und zur Sensibilisierung der Wählerschaft für die Chancengleichheit der Geschlechter auch in der Politik.

Die Wahlberechtigten wurden 1999 in einer Broschüre der Bundeskanzlei anlässlich der Nationalratswahlen im Namen der Demokratie aufgefordert, wählen zu gehen, und darauf aufmerksam gemacht, dass die Grosse Kammer die Schweizer Bevölkerung widerspiegelt und die Frauen davon die Hälfte ausmachen. Auch die Kantonsregierungen wurden in einem Kreisschreiben des Bundesrates darauf hingewiesen, dass ein Defizit bei der Repräsentation der Frauen besteht, und sie wurden gebeten, die Wahlberechtigten auf dieses Missverhältnis hinzuweisen und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie diesem entgegenzuwirken sei.

Trotz divergierender Vernehmlassungsergebnisse bleibt der Bundesrat der Auffassung, dass der Verfassungsauftrag ernst genommen werden muss und dass die vorgeschlagene Rechtsgrundlage die politische Chancengleichheit massvoll anstrebt, zumal sie zugleich darauf abzielt, die Stimmbeteiligung zu fördern. So oder so wird es in erster Linie Aufgabe der Parteien und Gruppierungen bleiben, für die Nationalratswahlen ausgeglichene Equipen von Kandidatinnen und Kandidaten anzubieten.

2.9

Ergänzung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte der Auslandschweizer (Art. 1)

Siehe Ziffer 2.1 den Kommentar zu Artikel 5 Absatz 3 und Artikel 8a.

6422

3

Auswirkungen

3.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

3.1.1

Auf den Bund

Finanziell verursacht die Vorlage dem Bund keine unmittelbaren Mehrauslagen. Für Informations- und Sensibilisierungskampagnen müssten zu gegebener Zeit Kredite erst noch auf dem Weg des Voranschlags anbegehrt und bewilligt werden. Entsprechende Abklärungen vor den Nationalratswahlen 1999 ergaben Kampagnekonzepte für eine halbe bis eine knappe Million Franken.

Personelle Mehraufwendungen werden durch die Vorlage vollständig vermieden: Die Kontrolle von Volksbegehren bringt gewisse Entlastungen, die sich für den Bund in Personaleinsparungen von insgesamt 1,3 Personenstellen niederschlagen.

Führung und Veröffentlichung des Parteienregisters binden anderseits bei der Bundeskanzlei personelle Mittel, und dasselbe gilt für die Pflicht zum laufend nachzuführenden elektronischen Angebot der Unterschriftenlisten zu sämtlichen eidgenössischen Volksbegehren, die sich im Unterschriftensammelstadium befinden sowie für die Vorbereitung weiterer Schritte in Richtung Angebot elektronischer Ausübung von Stimm- und Wahlrecht. Der Bedarf an Kräften verlagert sich also mit unserer Vorlage insgesamt neutral.

3.1.2

Auf die Kantone und Gemeinden

Die Kantone dürften einerseits durch die Parteienförderungsmassnahme von Artikel 24 Absatz 3 BPR bei der Nationalratswahlvorbereitung deutlich entlastet werden, wenn in der Zeitdruckphase der Wahlvorschlagskontrolle und -bereinigung hinsichtlich der registrierten Parteien, die nur eine einzige Liste einreichen, die Überprüfung der Unterschriften aller unterstützenden Stimmberechtigten (in den bevölkerungsreichen Kantonen 400, in den mittelgrossen 200 und in den bevölkerungsärmeren 100 Unterschriften pro Liste) entfällt. Die verschiedenen Mechanismen der Vorlage zur sanften Unterstützung der Listenkonzentration dürften die Kantone auf längere Sicht tendenziell in Wahljahren ebenfalls etwas entlasten.

3.2

Andere Auswirkungen

Die Vorlage bringt allen im Nationalrat vertretenen Parteien einen Vorteil mit der Registrierungsmöglichkeit und gegebenenfalls dem Wegfall des Unterschriftenquorums für Wahlvorschläge bei Nationalratswahlen.

4

Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Legislaturplanung nicht ausdrücklich enthalten, weil sie nicht zu den schwergewichtigen Vorlagen gezählt werden kann.

6423

5

Verfassungsmässigkeit

Die Revisionsvorlage stützt sich wie das bestehende BPR auf die Kompetenz zur Regelung der Ausübung der politischen Rechte (Art. 39 Abs. 1 BV).

Parteienregistrierung und administrative Erleichterungen (Art. 24 Abs. 3 und Art. 76a BPR) bilden eine erste Konkretisierung von Artikel 137 BV. Die Vorschläge zur bürgerfreundlicheren Ausgestaltung der politischen Rechte (Art. 10, 11, 33, 60 und 68 BPR) setzen die Garantie der unverfälschten Stimmabgabe und der freien Willensbildung (Art. 34 BV) um.

Die Sparmassnahmen bewegen sich innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens, weil sie im Bereich der Volksrechte (Art. 66 und 72 BPR) niemandes Rechte tangieren oder aber, weil sie den Status einer Partei (Art. 137 BV) und entsprechende Vereinfachungen (Art. 24 Abs. 3 und Art. 56 BPR) nur jenen Vereinigungen zuerkennen, welche durch Statuten, Organe und Verbreitung Gewähr für eine gewisse Dauerhaftigkeit bieten, sich entsprechend registrieren lassen und die Mutationen regelmässig melden (Art. 76a BPR) und daneben die Bemühungen des Gesetzgebers gegen die Listenzersplitterung umsetzen. Daneben bleibt die Möglichkeit spontaner Gruppenbildung jedweder Art auch für Wahlvorschläge bei den Nationalratswahlen ungeschmälert erhalten, die sich aber mangels Nachweis grosser Beständigkeit weiterhin durch das Beibringen der minimalen Unterschriftenquoren über einen messbaren Rückhalt in der Bevölkerung ausweisen müssen (Art. 24 Abs. 1 BPR). Die von der Revisionsvorlage umgesetzte Unterscheidung zwischen Parteien und anderen Wahlgruppierungen ist letztlich bereits von der Bundesverfassung (Art. 137) vorgezeichnet.

6424

Fussnoten 1

In den letzten Jahren ist es mehrmals vorgekommen, dass Bundesgesetze oder Staatsverträge, gegen welche das Referendum ergriffen wurde und zu denen dann eine Volksabstimmung organisiert werden musste, in Ritzung der referendums- und publikationsrechtlichen Vorschriften nach der Volksabstimmung vorzeitig in Kraft gesetzt werden mussten oder im Falle eines Zustandekommens des ergriffenen Referendums hätten in Kraft gesetzt werden müssen. Hier einige Beispiele: a. In der Volksabstimmung vom 17. Mai 1992 wurden nach dem Zustandekommen je zweier übrigens aus Kreisen mit jeweils konträren Interessen lancierter Referenden (BBl 1992 I 1266 und 1268) der Bundesbeschluss über den Beitritt der Schweiz zu den Institutionen von Bretton Woods und das Bundesgesetz über die Mitwirkung der Schweiz an den Institutionen von Bretton Woods angenommen. Bundesbeschluss und Bundesgesetz wurden angesichts der auf dem Spiel stehenden internationalen Interessen der Schweiz (Vertretung in den Organen der Institutionen) durch Unterzeichnung der entsprechenden Übereinkommen bereits auf den 29. Mai 1992 in Kraft gesetzt (vgl. AS 1992 2567, 2570, 2571, 2644, 2646, 2678, 2680, 2705, 2707 und 2729), obwohl der Bundesratsbeschluss zur Erwahrung der Abstimmungsergebnisse (923 685 Ja [= 55,8 %] gegen 730 553 Nein [= 44,2 %] zum Bundesbeschluss; 929 929 Ja [= 56,4 %] gegen 718 254 Nein [= 43,6 %] zum Bundesgesetz) erst am 13. August 1992 ergehen konnte (BBl 1992 V 451­454).

b. In der Volksabstimmung vom 7. März 1993 wurde nach dem Zustandekommen eines Referendums (BBl 1993 I 641) das Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über die Erhöhung des Treibstoffzolles angenommen. Die Gesetzesänderung wurde nach der Annahme angesichts der enormen auf dem Spiel stehenden Einnahmen mit Beschluss des Bundesrates vom 7. März 1993 bereits auf den 8. März 1993, 00.00 h in Kraft gesetzt (vgl. AS 1993 955f.), obwohl der Bundesratsbeschluss zur Erwahrung des Abstimmungsergebnisses (1 259 373 Ja [= 54,5 %] gegen 1 051 067 Nein [= 45,5 %]) erst am 27. April 1993 ergehen konnte (BBl 1993 I 1589).

c. Recht ähnlich wie bei den Institutionen von Bretton Woods (Bst. a hiervor) war die Konstellation 1995 beim Beitritt zum neuen Vertragswerk der Welthandelsorganisation WTO: Um in den Genuss entscheidender zusätzlicher Vorteile zu gelangen, musste die Schweiz die
Ratifikationsurkunde vor dem 1. Juli 1995 hinterlegen (vgl.

AS 1995 2113­2115 [Genehmigungsbeschluss vom 16. Dezember 1994] und 2117 [Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation]). Um dies überhaupt irgendwie möglich zu machen ­ das Abkommen war nach jahrelangen schwierigsten Verhandlungen am 15. April 1994 in Marrakesh abgeschlossen worden ­ musste das Blanko-Volksabstimmungsdatum auf den letztmöglichen Termin, den 25. Juni 1995, festgesetzt werden (Bundesratsbeschluss vom 25. Mai 1994, BBl 1994 II 1230), und die eidgenössischen Räte mussten das Vertragswerk beide in der Dezembersession 1994 beraten und genehmigen. Nur so konnte die Referendumsfrist am 27. Dezember 1994 ausgelöst und am 27. März 1995 abgeschlossen werden, was für eine Prüfung der Referendumsunterschriften und die Organisation der Volksabstimmung für den 25. Juni 1995 unter Eingehung sämtlicher Risiken das allerletzte technisch noch mögliche Datum war. Das tatsächlich eingereichte Referendum kam dann derart deutlich nicht zu Stande (BBl 1995 II 669­674), dass daraufhin auch das Referendumskomitee auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde verzichtete. Hätte die Volksabstimmung stattfinden müssen, so wäre wiederum das gleiche Verfahren einzuschlagen gewesen wie bei den Institutionen von Bretton Woods, denn zwischen Volksabstimmung (25. Juni 1995) und Terminus ad quem für eine mit entscheidenden Vorteilen verbundene Hinterlegung der Ratifikationsurkunde (1. Juli 1995) lagen nur 5 Tage.

d Erneut sehr ähnlich lag die Konstellation für die am 30. April 1997 verabschiedete, auf den 1. Januar 1998 in Kraft getretene PTT-Reform (4 Gesetze): ­ Postgesetz (BBl 1997 II 1498); ­ Postorganisationsgesetz (BBl 1997 II 1506); ­ Fernmeldegesetz (BBl 1997 II 1520) und ­ Telekommunikationsunternehmungsgesetz (BBl 1997 II 1549).

6425

e.

f.

g.

6426

Diese 4 Referendumsvorlagen erschienen am 13. Mai 1997 im Bundesblatt. Die neu 100-tägige Referendumsfrist lief am 21. August 1997 ab. Die Partei der Arbeit (PdA) beschloss am 15. Mai 1997, gegen alle 4 Vorlagen das Referendum zu ergreifen. Die PTT-Union verzichtete auf eine Unterstützung der Unterschriftensammlung. Auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund hatte den Verzicht auf Unterstützung signalisiert. Die PTT-Reform musste auf den 1. Januar 1998 in Kraft treten.

Zu diesem Zweck hätte die Volksabstimmung bei einem Zustandekommen des Referendums am 23. November 1997 stattfinden müssen.

Der Bundesrat hätte spätestens am 3. September 1997 in zweiter Lesung die Erläuterungen für eine Volksabstimmung vom 23. November 1997 verabschieden müssen.

In jedem Fall hätte das Inkrafttreten auf den 1. Januar 1998 angesichts der Promulgationsfristen ohne Abwarten der Erwahrung dekretiert und publiziert werden müssen. Allein das Scheitern des Referendums in der Unterschriftensammlung bereits Mitte Juli 1997 hat ein erneutes derartiges Szenario erspart.

Gegen das Bundesgesetz vom 10. Oktober 1997 über die Reform der Unternehmensbesteuerung 1997 (BBl 1997 IV 802­809), welches vorab kleineren und mittleren Unternehmen bedeutsame Steuererleichterungen bringen und das wirtschaftliche Fortkommen erleichtern sollte, wurde kein Referendum ergriffen. Der Bundesrat setzte es aus den überwiegenden wirtschaftlichen Gründen bereits auf den 1. Januar 1998 in Kraft, obwohl die Referendumsfrist erst am 29. Januar 1998 ablief. (Es hat durchaus bereits Referenden gegeben, welche erst nach Ablauf der Hälfte der Referendumsfrist lanciert wurden und noch zu Stande kamen, z.B. das Referendum gegen die 9. AHV-Revision [BBl 1977 II 981­1008, III 594]).

Das Bundesgesetz vom 19. Dezember 1997 über eine leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (Schwerverkehrsabgabegesetz, SVAG) (BBl 1997 IV 1614) gelangte nach dem Zustandekommen eines Referendums (BBl 1998 2700) am 27. September 1998 zur Volksabstimmung und wurde angenommen (BBl 1998 5529). Am 29. November 1998 fand die Volksabstimmung über jene Verfassungsänderung (Bundesbeschluss über Bau und Finanzierung von Infrastrukturvorhaben des öffentlichen Verkehrs) statt, welche erst die Verfassungsgrundlage für einen Teil der Zuwendung der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe schuf
(BBl 1999 1092). Bei einer Ablehnung der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe wäre die Volksabstimmung über den Bundesbeschluss über Bau und Finanzierung von Infrastrukturvorhaben des öffentlichen Verkehrs gegenstandslos geworden. Der Bundesrat konnte die Volksabstimmung daher in extremis erst nach der Volksabstimmung über das Schwerverkehrsabgabegesetz am 28. September 1998 definitiv festsetzen und musste zu diesem Zweck auf das provisorische amtliche Endergbnis dieses Urnengangs abstellen. Der Bundesratsbeschluss zur Erwahrung des Abstimmungsergebnisses (1 355 735 Ja [= 57,2 %] gegen 1 014 370 Nein [= 42,8 %]) konnte erst am 25. November 1998 ergehen (BBl 1998 5529).

Gegen den dringlichen Bundesbeschluss vom 9. Oktober 1998 über die ärztliche Verschreibung von Heroin (BBl 1998 4813; AS 1998 2293) wurde am letzten Tag der Referendumsfrist mit sehr knapp über dem Quorum liegender Unterschriftenzahl ein Referendum eingereicht. Im Nationalratswahljahr 1999 konnte im September keine Volksabstimmung durchgeführt werden. Die Volksabstimmung musste daher spätestens am 13. Juni 1999 durchgeführt werden (BBl 1999 3421f. und 7293f.), was erforderte, dass der Bundesrat über die Volksabstimmung noch im Februar 1999 entschied. Die Kontrolle des Referendums ­ bei derart knapper Unterschriftenzahl von zwei unabhängig voneinander arbeitenden Gruppen vorzunehmen ­ ergab schliesslich ein Zustandekommen mit 50 440 gültigen Unterschriften (BBl 1999 1930f.). Bei einem Nichtzustandekommen hätten allein schon rechtliches Gehör (Art. 29 und 30 VwVG), detailliert begründete Negativverfügung (Art. 35 in Verbindung mit Art. 27 und 28 VwVG) und die 30-tägige Beschwerdefrist für den Weiterzug ans Bundesgericht (Art. 80 Abs. 1 und 2 BPR) die rechtzeitige Anordnung und Durchführung der Volksabstimmung am 13. Juni 1999 verunmöglicht, sodass der dringliche Bundesbeschluss am 9. Oktober 1999 ohne Volksentscheid ausser Kraft hätte treten müssen, ohne erneuert werden zu können (Art. 89bis aBV).

2

Vgl. Yvo Hangartner/Andreas Kley: Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2000, 349 Fn. 97 und 416f. Rz. 1016 sehen auch in der «Feststellung, das Referendum sei nicht benützt worden, ... eine anfechtbare Verfügung», wobei jeder Stimmberechtigte beschwerdeberechtigt sei, auch wenn dies im Gesetz nicht so ausgewiesen sei. Eine Umsetzung dieser Ansicht würde die Publikation einer beschwerdefähigen Verfügung im BBl zu sämtlichen Referendumsvorlagen verlangen und die Verabschiedung von Dringlichkeitsvorlagen ab dem Sommer des Vorwahljahres bis zum Frühling des Wahljahres de facto illusorisch machen (vgl. Tab. 1), weil im Herbst des Wahljahres wegen der Nationalratswahlen keine Volksabstimmung durchgeführt werden kann.

6427

Anhang 1 (zu Art. 11 Abs. 3)

Frequentierung der brieflichen Stimmabgabe in den einzelnen Kantonen seit der Liberalisierung von 1994 Kanton

ZH BE LU UR SZ OW NW GL ZG FR SO BS BL SH AR AI SG GR AG TG TI VD VS NE GE JU CH

Sommer 1998

Spätherbst 1998

Kantonale Stimmbeteiligung in Prozenten

Davon wurden brieflich abgegeben (in Prozenten)

Kantonale Stimmbeteiligung in Prozenten

Davon wurden brieflich abgegeben (in Prozenten)

50 54 60 55 51 58 60 51 58 57 57 56 52 71 61 59 55 47 51 55 41 46 47 47 49 55 52

42 65 81 nicht erhoben 35 nicht erhoben nicht erhoben 15 11 nicht erhoben nicht erhoben 90 72 6 40 43 nicht erhoben nicht erhoben nicht erhoben 36 1 5 nicht erhoben 7 87 nicht erhoben nicht erhoben

41 38 41 39 34 50 44 32 39 36 40 45 36 63 43 34 37 34 40 40 35 35 32 30 41 41 38

38 64 81 50 34 57 73 13 65 34 56 90 72 6 45 34 73 70 45 36 2 nicht erhoben 5 6 89 1 44

Quelle: Umfrage der Bundeskanzlei von 1999

6428

Anhang 2 (zu Art. 86a)

Kandidatinnen und gewählte Frauen nach Kantonen bei den Nationalratswahlen 1995 und 1999 Kanton

Anzahl kandidierender Frauen 1995

Anzahl gewählter Frauen

1999

1995

1999

Absolut

in %

absolut

in %

absolut

in %

absolut

in %

277 182 26 3 6 28 22 37 30 3 2 73 23 85 30 10 86 17 13 36 1

34,4 31,2 38,2 14,3 31,6 35,9 37,3 50,0 34,1 33,3 20,0 38,0 45,1 39,0 37,5 15,9 39,8 29,3 32,5 38,3 12,5

319 154 23 5 4 22 26 32 26 2 1 59 17 81 29 10 102 21 15 31 4

35,7 34,8 25,6 25,0 26,7 37,9 30,2 44,4 41,9 33,3 33,3 32,6 29,8 35,5 31,9 16,1 39,2 29,2 36,6 34,8 20,0

14 5 3 0 0 1 1 1 2 1 1 3 2 3 0 0 4 0 0 2 0

41,2 18,5 30,0 0,0 0,0 16,7 14,3 16,7 28,6 50,0 50,0 25,0 40,0 20,0 0,0 0,0 23,5 0,0 0,0 18,2 0,0

14 7 2 1 0 2 1 1 2 0 1 4 1 3 0 1 3 0 1 3 0

41,2 25,9 20,0 33,3 0,0 33,3 14,3 16,7 28,6 0,0 50,0 33,3 20,0 20,0 0,0 12,5 17,6 0,0 20,0 27,3 0,0

Schweiz 990

34,9

983

34,5

42

21,0

46

23,0

ZH BE LU SZ ZG FR SO BS BL SH AR SG GR AG TG TI VD VS NE GE JU

Quellen: ­

Bundesamt für Statistik (Hg.): Die Frauen bei den Nationalratswahlen 1995.

Bern 1995, 22f.

­

Bundesamt für Statistik (Hg.): Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2001.

Zürich 2001, 751.

6429

Abkürzungsverzeichnis AB Abs.

aBV

= Amtliches Bulletin der Bundesversammlung = Absatz = Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, ausser Kraft getreten am 1. Januar 2000 Art.

= Artikel AS = Amtliche Sammlung der eidgenössischen Gesetze BBl = Bundesblatt BGE = Bundesgerichtsentscheid BPR = Bundesgesetz vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte, SR 161.1 BS = Bereinigte Sammlung der eidgenössischen Gesetze Bst.

= Buchstabe BV = Bundesverfassung vom 18. April 1999 der Schweizerischen Eidgenossenschaft, SR 101, in Kraft getreten am 1. Januar 2000 BPRAS = Bundesgesetz vom 19. Dezember 1975 über die politischen Rechte der Auslandschweizer, SR 161.5 E = Erwägung f., ff.

= und folgende GVG = Bundesgesetz vom 23. März 1962 über den Geschäftsverkehr der Bundesversammlung sowie über die Form, die Bekanntmachung und das Inkrafttreten ihrer Erlasse (Geschäftsverkehrsgesetz), SR 171.11 Hg., Hgg. = Herausgeber i.d.R.

= in der Regel i.e.S.

= im engeren Sinne i.S.

= in Sachen Kat.

= Kategorie N = Nationalrat OG = Bundesgesetz vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (Bundesrechtspflegegesetz), SR 173.110 Rz.

= Randziffer S = Ständerat SPK = Staatspolitische Kommission SR = Systematische Sammlung des Bundesrechts Sten. Bull. = Stenographisches Bulletin der Bundesversammlung Tab.

= Tabelle vgl.

= vergleiche VPR = Verordnung vom 24. Mai 1978 über die politischen Rechte, SR 161.11 VPRAS = Verordnung vom 16. Oktober 1991 über die politischen Rechte der Auslandschweizer, SR 161.51 6430

VwVG ZBl ZGB Ziff.

= Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz), SR 172.021 = Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung = Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907, SR 210 = Ziffer

6431