99.436 Parlamentarische Initiative (Kommission 96.091 SR) Beseitigung von Mängeln der Volksrechte Bericht der Staatspolitischen Kommission des Ständerates vom 2. April 2001

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen gemäss Artikel 21quater Absatz 3 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) den vorliegenden Bericht. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, ihrem beiliegendem Erlassentwurf zuzustimmen.

2. April 2001

Im Namen der Kommission

11424

Der Präsident: Maximilian Reimann

2001-0661

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Übersicht Mit seiner Botschaft vom 20. November 1996 (96.091) zur Reform der Bundesverfassung hat der Bundesrat auch ein Reformpaket «Volksrechte» präsentiert. Die Verfassungskommissionen beider Räte haben sich intensiv mit diesen Reformvorschlägen befasst, doch scheiterte die Vorlage schliesslich im Sommer 1999 in beiden Räten in der Eintretensdebatte. Ausschlaggebend für dieses Scheitern war insbesondere die Verknüpfung der Einführung neuer direktdemokratischer Instrumente mit der Erhöhung der notwendigen Unterschriftenzahlen für die Einreichung von Volksbegehren.

Da der Ständerat der Ansicht war, dass einzelne Elemente des Reformpakets dennoch weiterverfolgt werden sollten, gab er am 30. August 1999 der parlamentarischen Initiative (99.436) seiner Verfassungskommission Folge. Danach sollten die voraussichtlich mehrheitsfähigen Vorschläge in der gescheiterten Vorlage des Bundesrates wieder aufgenommen werden, um gewisse Mängel im heutigen direktdemokratischen Instrumentarium zu beheben.

Nach erneuter Überprüfung der Vorschläge werden nun folgende Massnahmen vorgeschlagen: 1.

Mit der allgemeinen Volksinitiative sollen 100 000 Stimmberechtigte in Form der allgemeinen Anregung eine Verfassungs- oder Gesetzesänderung verlangen können. Der Mangel der fehlenden Initiativmöglichkeit unterhalb der Verfassungsstufe wird somit behoben. Der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrates wird weitgehend übernommen, mit einer Ausnahme: Um allenfalls einen Urnengang sparen zu können, soll die Bundesversammlung die Möglichkeit haben, der allgemeinen Volksinitiative einen Gegenentwurf gegenüberzustellen, bevor sich der Souverän in einer Vorabstimmung über den Grundsatz der Initiative ausgesprochen hat. Dies bedingt, dass die Bundesversammlung das Anliegen der Initiative bereits in dieser Phase umsetzt.

2.

Das Staatsvertragsreferendum soll in dem Sinn ergänzt werden, dass alle Verträge, die wichtige rechtsetzende Normen enthalten oder zum Erlass von Bundesgesetzen verpflichten, dem fakultativen Referendum unterstellt werden. Der bisherige Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV beschränkte das Referendum auf Abkommen, die eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführen. Mit dieser Ergänzung der direktdemokratischen Rechte soll der Entwicklung begegnet werden, dass immer mehr auf internationaler Ebene Recht gesetzt wird. Es geht darum, eine Parallelität zur innerstaatlichen Kompetenzordnung herzustellen.

3.

Die Sammelfrist für Volksinitiativen wird von 18 auf 12 Monate verkürzt.

Damit soll der von vielen Akteuren als zu lang empfundene Entscheidungsprozess verkürzt werden.

Neben diesen drei wichtigsten Neuerungen werden weitere Vorschläge unterbreitet, welche punktuelle Verbesserungen bringen: Für den zwar unwahrscheinlichen, aber doch möglichen Fall, dass sowohl eine Initiative wie auch der dazugehörige Ge-

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genentwurf angenommen werden, Volk und Stände in der Stichfrage jedoch unterschiedliche Präferenzen äussern, wird neu ein Verfahren vorgesehen, welches die unbefriedigende Lösung des Status quo vermeidet. Nullentscheide sollen auch dann vermieden werden, wenn sich die beiden Räte nicht einig sind, zur Wahrung der direktdemokratischen Rechte aber ein Entscheid notwendig ist: So zum Beispiel bei der Gültigerklärung von Volksinitiativen oder bei der Umsetzung einer vom Volk angenommenen allgemeinen Volksinitiative. Es wird deshalb eine verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen, um in solchen besonderen Fällen vom Grundsatz der übereinstimmenden Beschlüsse beider Räte abweichen zu können.

Es wurden zahlreiche weitere Vorschläge geprüft, sowohl aus dem Reformpaket des Bundesrates, wie auch aus den Reihen des Parlamentes. Die meisten Vorschläge erwiesen sich jedoch als zweischneidig in Bezug auf ihre Wirkung. In der Regel überwogen die mit einem Reformvorschlag verbundenen Nachteile die zu erwartenden Vorteile. Insbesondere hat sich nach eingehender Prüfung und nach Anhörung von Vertretern aus der Praxis die Erhöhung der Unterschriftenzahlen nicht als mehrheitsfähig erwiesen.

Es wird hier deshalb auf ein umfassendes Reformpaket verzichtet. Vielmehr sollen mit den vorgeschlagenen Massnahmen gezielt festgestellte Mängel am System der Volksrechte behoben werden.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Die gescheiterte Reform der Volksrechte im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung

1.1.1

Die Vorschläge des Bundesrates vom 20. November 1996

Mit seiner Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung (96.091) hat der Bundesrat der Bundesversammlung neben den Entwürfen für einen Bundesbeschluss «über eine nachgeführte Bundesverfassung» (Vorlage A) und «über eine Reform der Justiz» (Vorlage C) auch den Entwurf eines «Bundesbeschlusses über die Reform der Volksrechte» (Vorlage B) (BBl 1997 I 436ff.) unterbreitet.

Der Bundesrat wollte mit seinem Reformpaket die Volksrechte weder ausbauen noch einschränken. Vielmehr suchte er nach einem neuen Gleichgewicht zwischen einer Verfeinerung der Instrumente und einer Erhöhung der Hürden für deren Gebrauch. Mit den vorgeschlagenen Verfeinerungen der Instrumentarien wollte der Bundesrat diverse Mängel des geltenden Systems der Volksrechte beheben. Das System sollte zukunftstauglich sein und insbesondere auch der Internationalisierung des Rechts Rechnung tragen. Mit der Erhöhung der Hürden wollte der Bundesrat sicherstellen, dass die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der politischen Institutionen gewahrt bleibt. Der Bundesrat hat seine Vorschläge denn auch als Paket präsentiert, das er als Ganzes gewürdigt wissen wollte (BBl 1997 I 440f.). Konkret hat der Bundesrat die folgenden Neuerungen vorgeschlagen: 1. Die Einführung der allgemeinen Volksinitiative Mit diesem Instrument können 100 000 Stimmberechtigte oder acht Kantone in Form einer allgemeinen Anregung die Annahme oder Aufhebung von Verfassungsoder Gesetzesbestimmungen verlangen. Damit wird die Initiative in Form der allgemeinen Anregung auch für die Gesetzesstufe möglich. Ist die Bundesversammlung mit der Initiative einverstanden, so arbeitet sie eine entsprechende Vorlage aus.

Lehnt die Bundesversammlung die Initiative ab, so muss die Initiative zuerst in der Volksabstimmung angenommen werden, bevor die Bundesversammlung die entsprechende Umsetzung ausarbeiten muss.

2. Die Wiedereinführung des fakultativen Verwaltungsund Finanzreferendums Die Bundesversammlung könnte Sach- und Finanzbeschlüsse ­ etwa Konzessionen für technische Grossanlagen oder Rüstungsausgaben ­ dem fakultativen Referendum unterstellen. Zu diesem Vorschlag ist anzumerken, dass er mit der neuen Bundesverfassung bereits annähernd umgesetzt ist. Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe c BV sieht vor, dass Bundesbeschlüsse dem fakultativen Referendum unterstellt werden können, soweit Verfassung oder Gesetz dies vorsehen. Bundesbeschlüsse sind gemäss Artikel 163 Absatz 2 BV für nicht rechtsetzende Bestimmungen vorgesehen.

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3. Der Ausbau des fakultativen Staatsvertragsreferendums Zusätzlich zu den gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV vorgesehenen internationalen Verträgen soll eine weitere Kategorie Verträge dem fakultativen Referendum unterstellt werden. Neu sollen auch Verträge dem Referendum unterstellt werden, deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen oder Bundesbeschlüssen erfordert, welche Rechte oder Pflichten Privater begründen. Um die Gefahr widersprüchlicher Volksentscheide zu vermindern, können die Gesetzesänderungen, die der Umsetzung des Vertrags dienen, in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen und als Gesamtpaket der Volksabstimmung vorgelegt werden.

4. Vorlage eines Haupttextes und einer Alternative Will die Bundesversammlung eine Verfassungsänderung vornehmen, so soll sie die Möglichkeit haben, zwei Alternativtexte zur Abstimmung unterbreiten zu können.

Auch beim Erlass von Bestimmungen, die dem fakultativen Referendum unterstehen, kann sie einen Haupt- und einen Alternativtext vorlegen. Wird das Referendum nicht ergriffen, dann tritt der Haupttext in Kraft.

5. Abstimmung über zwei Volksinitiativen zum gleichen Gegenstand Werden kurz nacheinander zwei Volksinitiativen zum gleichen Gegenstand eingereicht, so kann die Bundesversammlung diese nach dem analogen Verfahren wie bei der Abstimmung über Alternativen zur Abstimmung vorlegen. Die Bundesversammlung soll neu zwei Volksinitiativen einen Gegenvorschlag gegenüberstellen und diese drei Möglichkeiten zur Abstimmung unterbreiten können.

6. Entscheid des Bundesgerichts über die Gültigkeit von Volksinitiativen Wenn die Bundesversammlung Zweifel hat, ob eine Volksinitiative gemäss den geltenden Kriterien für gültig oder ungültig zu erklären ist, so hat sie das Bundesgericht anzurufen. Dieses entscheidet abschliessend.

7. Die Erhöhung der Unterschriftenzahlen Für die Einreichung einer Volksinitiative sollen neu 150 000 statt 100 000 Unterschriften verlangt werden. Für die Einreichung eines Referendums bräuchte es neu 100 000 statt 50 000 Unterschriften. Für die Einreichung einer allgemeinen Volksinitiative reichen 100 000 Unterschriften.

1.1.2

Die Beratung der Vorschläge in den Verfassungskommissionen

Die Verfassungskommissionen beider Räte haben sich intensiv mit den Vorschlägen des Bundesrates auseinandergesetzt. Beide Kommissionen sind dabei so vorgegangen, dass sie zuerst die einzelnen Instrumente geprüft haben und die Frage nach den dafür verlangten Unterschriften erst am Schluss der Beratungen stellten. Die Verfassungskommission des Ständerates ist weitgehend den Vorschlägen des Bundesrates gefolgt, das heisst, sie hat der vorgeschlagenen Verfeinerung des Instrumentariums in Koppelung mit der Erhöhung der Unterschriftenzahlen zugestimmt.

Die Verfassungskommission des Nationalrates stimmte der Ergänzung der Rechte vorerst ebenfalls zu. Die Erhöhung der Zahl der notwendigen Unterschriften für die 4807

Einreichung einer Initiative oder eines Referendums fand dann jedoch keine Mehrheit. Die Gegnerschaft der Erhöhung setzte sich aus zwei Gruppen zusammen: Die erste Gruppe wollte eine Erweiterung der Volksrechte, jedoch keine Erhöhung der Unterschriftenzahlen. Die Vertreter und Vertreterinnen dieser Gruppe erachteten es als wenig sinnvoll, einerseits neue Instrumente einzuführen, andererseits deren Gebrauch zumindest für bestimmte Kreise nahezu zu verunmöglichen. Die zweite Gruppe wollte am System der Volksrechte nichts ändern, das heisst, keine neuen Instrumente vorsehen, aber auch die Unterschriftenzahl nicht erhöhen. Nachdem auf Grund dieser Konstellation keine Erhöhung der Hürden zustande kam, stellte die dritte Gruppe, welche das Projekt des Bundesrates, das heisst die Erweiterung des volksrechtlichen Instrumentariums bei Erhöhung der Unterschriftenzahlen mittrug, den Antrag, auf die gefällten Beschlüsse zur Erweiterung der Volksrechte zurückzukommen. In der Folge fanden die allgemeine Volksinitiative sowie das fakultative Einzelakt- und Finanzreferendum keine Mehrheit mehr. Die Kommission war dann der Ansicht, dass es sich nicht lohne, die noch verbleibenden kleineren Änderungen als «Reform der Volksrechte» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten und beantragte dem Rat deshalb Nichteintreten. Der Berichterstatter betonte im Rat, dass dies nicht bedeute, dass die Kommission keinen Handlungsbedarf sehe. Dieser sei gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden internationalen Verflechtung durchaus gegeben (AB 1999 N 1021f.). Das Projekt sei deshalb in einem anderem Zusammenhang neu zu starten. Der Nationalrat stimmte dem Nichteintretensantrag am 9. Juni 1999 mit 134:15 Stimmen zu.

Der Ständerat als Zweitrat stand somit vor einer schwierigen Ausgangslage. Seine Kommission hat an sich das bundesrätliche Projekt ­ ergänzt noch durch eigene Vorschläge zur Frage der Übereinstimmung von Volksinitiativen mit dem Völkerrecht ­ unterstützt. Auf der anderen Seite stand der wuchtige Nichteintretensentscheid des Nationalrates. Die Verfassungskommission beantragte deshalb ihrem Rat ebenfalls Nichteintreten, unterbreitete ihm jedoch eine parlamentarische Initiative, wonach eine Neubeurteilung der Volksrechtsreform vorgenommen werden sollte.

Der Rat folgte am 30. August 1999 seiner Kommission. Er stimmte der parlamentarischen Initiative 99.436 mit 30:6 Stimmen zu (AB 1999 S 609ff.).

1.2

Die parlamentarische Initiative der Verfassungskommission des Ständerates (99.436)

Die parlamentarische Initiative 99.436 der Verfassungskommission des Ständerates zur Beseitigung von Mängeln der Volksrechte verlangt, dass die voraussichtlich mehrheitsfähigen Vorschläge in der gescheiterten Vorlage des Bundesrates vom 20.

November 1996 für eine Reform der Volksrechte wieder aufgenommen werden und damit gewisse Mängel in der heutigen Ausgestaltung und Handhabung der Volksrechte behoben werden. Das generelle Ziel ist weder eine Erleichterung noch eine Erschwerung der Ausübung der Volksrechte, aber eine Behebung von Mängeln des bestehenden Instrumentariums. Es wird auch zu prüfen sein, ob diese Vorschläge in der Form einer Totalrevision, einer einzigen Partialrevision oder mehrerer Partialrevisionen der Bundesverfassung vorgelegt werden sollen.

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Die Kommission wollte mit dieser Initiative vermeiden, dass das Thema «Volksrechtsreform» versandet, sah sie doch nach wie vor Handlungsbedarf. Zur Illustration nannte sie in ihren Begründungen zur Initiative konkret zwei Beispiele: 1.

Im heutigen Recht besteht keine hinreichende Klarheit darüber, wie vorzugehen ist, wenn Volksinitiativen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz entgegenstehen. Diese Problematik gewinnt auch unabhängig von der Frage eines allfälligen Beitritts der Schweiz zur EU zunehmend an Bedeutung. Die Verfassungskommission des Ständerates hat hierzu bereits einen Lösungsvorschlag ausgearbeitet.

2.

Volksbegehren, die auf Rechtsetzungsakte unterhalb der Verfassungsstufe oder auf Einzelakte abzielen, können heute nur auf dem Umweg über Verfassungsinitiativen eingebracht werden. Die allgemeine Volksinitiative oder das Einzelaktreferendum würden zweckmässigere Verfahren schaffen.

Die Verfassungskommission des Ständerates legte jedoch Wert darauf, dass bei der Behebung dieser und anderer Mängel die vorgeschlagenen Änderungen insgesamt ein ausgewogenes Ganzes bilden. Sowohl die demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten wie die Handlungsfähigkeit des Staates sollten gewahrt bleiben.

1.3

Die Arbeit der Subkommissionen «Volksrechte»

1.3.1

Die Einsetzung von Subkommissionen in beiden Staatspolitischen Kommissionen

Die Staatspolitische Kommission des Ständerates hat sich an ihrer Sitzung vom 17. Januar 2000 mit dem Vorgehen bezüglich der Umsetzung der parlamentarischen Initiative 99.436 auseinandergesetzt. Sie beschloss, die Umsetzung der Initiative selber an die Hand zu nehmen. Einer Subkommission1 wurde der Auftrag erteilt, eine Kommissionsvorlage auszuarbeiten. Der Bericht der Subkommission sollte zwischen Herbst- und Wintersession 2000 vorliegen.

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates diskutierte an ihrer Sitzung vom 17. Februar 2000 anlässlich der Beratungen über die Volksinitiative für das konstruktive Referendum über das weitere Vorgehen bezüglich der Volksrechtsreform.

Die Kommission sprach sich gegen die Einführung des konstruktiven Referendums, jedoch für eine umfassende Überprüfung des volksrechtlichen Instrumentariums aus.

Sie setzte deshalb ebenfalls eine Subkommission2 ein, welche die Zusammenarbeit mit der ständerätlichen Subkommission suchen sollte.

Auf Vorschlag ihrer Präsidenten und Vizepräsidenten beschlossen die beiden Subkommissionen gemeinsam zu tagen. Voraussetzung dafür war, dass sich die Subkommission der SPK-N dem Fahrplan der ständerätlichen Subkommission, welche ja die Umsetzung der Initiative 99.436 an die Hand zu nehmen hatte, anschloss.

1 2

Mitglieder der Subkommission SPK-S: Dettling (Präsident), Schmid Samuel (Vizepräsident), Béguelin, Inderkum Mitglieder der Subkommission SPK-N: Cina (Präsident), Gross Andreas (Vizepräsident), Baader, de Dardel, Engelberger, Joder, Lustenberger, Vallender

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1.3.2

Das Vorgehen der Subkommissionen

1.3.2.1

Die Frage der Unterschriftenzahlen als «pièce de résistance»

Die Subkommissionen liessen sich in einem ersten Schritt von der Verwaltung über das Projekt des Bundesrates vom 20. November 1996 sowie über die Beratung dieser Vorlage in den Verfassungskommissionen informieren. Auf Grund der Bedeutung der Frage der Unterschriftenzahlen für das Scheitern der Vorlage beschlossen die Subkommissionen, mit diesem Thema zu beginnen. Kommt in dieser Frage keine Einigung zu Stande, so die Überlegung, hat es keinen Sinn, die einzelnen Instrumente zu prüfen. Ein erneuter Nullentscheid sollte vermieden werden.

Die Subkommissionen haben sich deshalb vertieft mit der Frage der nötigen Unterschriften für das Zustandekommen von Initiativen und Referenden sowie mit den Sammelfristen auseinandergesetzt. Sie hörten Vertreter und Vertreterinnen von Parteien und Gruppierungen an, die mit den praktischen Problemen des Unterschriftensammelns konfrontiert sind. Da die neuen technischen Möglichkeiten allenfalls Einfluss auf die direktdemokratische Beteiligung haben könnten, liessen sie sich von der Bundeskanzlerin über die neusten technischen Entwicklungen und den Stand des Projektes «E-Government» informieren. Im weiteren beschäftigten sich die Subkommissionen eingehend mit der quantitativen Entwicklung der Ausübung der Volksrechte.

1.3.2.2

Beschränkung auf Beseitigung von Mängeln im geltenden System

Nach Bereinigung des Themenkomplexes «Unterschriftenzahlen/Sammelfristen» beschäftigten sich die Subkommissionen mit den einzelnen Reformvorschlägen betreffend das direktdemokratische Instrumentarium. Dabei wurden in erster Linie die vom Bundesrat in seiner Vorlage vom 20. November 1996 vorgeschlagenen Reformen geprüft. Daneben wurden jedoch auch weitere Ideen in die Diskussion einbezogen. Bei der Prüfung der Vorschläge ging es darum, die folgenden drei Fragen zu beantworten: 1.

Wo bestehen Mängel im bestehenden Instrumentarium?

2.

Tragen die gemachten Vorschläge zur Behebung dieser Mängel bei oder ist nach anderen Lösungen zu suchen?

3.

Wie sind die Instrumente genau auszugestalten?

Dabei steht nicht ein Ausbau der direktdemokratischen Instrumente im Vordergrund.

Vielmehr geht es um eine Verfeinerung. Konkret sollten dort Anpassungen vorgenommen werden, wo das bestehende Instrumentarium in der praktischen Anwendung nicht befriedigt. Es kann festgestellt werden, dass gewisse Mängel bestehen, seit es die konkreten Rechte gibt. Andere Mängel sind erst in jüngerer Zeit offensichtlich geworden und hängen insbesondere mit der Internationalisierung der Rechtsentwicklung zusammen. Die Volksrechte sollen jedoch anwendungstauglich bleiben, auch in einem geänderten Umfeld.

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1.4

Die Beratung der Vorlage in der Staatspolitischen Kommission des Ständerates

Die Staatspolitische Kommission des Ständerates hat die Vorschläge ihrer Subkommission in Kenntnis der abweichenden Anträge und der Minderheitsanträge der Subkommission der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates diskutiert. Sie teilt die Schlussfolgerungen der beiden Subkommissionen, wonach es in erster Linie darum geht, punktuell Mängel am geltenden System der Volksrechte zu beheben.

Sie hat deshalb den von den Subkommissionen erarbeiteten Erlassentwurf mit einigen Modifikationen übernommen.

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Nicht Ausbau, sondern Verfeinerung des Instrumentariums

Es war der Kommission ein Anliegen, Vorschläge auszuarbeiten, die mehrheitsfähig sind. Das Paket ist deshalb weniger umfangreich als das vom Bundesrat im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung vorgeschlagene. Es handelt sich somit nicht um eine umfassende Reform der Volksrechte. Eine solche Reform wird auch nicht als notwendig erachtet, erweist sich doch das System der Volksrechte als insgesamt funktionsfähig. Einzelne Korrekturen sind jedoch im Laufe der Zeit notwendig geworden, und diese gilt es nun vorzunehmen.

Konkret sind diese Korrekturen vorzunehmen in Bezug auf die fehlenden Initiativmöglichkeiten unterhalb der Verfassungsebene und vor dem Hintergrund der zunehmenden überstaatlichen Rechtsetzung, bei der der Souverän bisher nicht einbezogen werden konnte. Hier werden mit der allgemeinen Volksinitiative bzw. mit der Ausweitung des Staatsvertragsreferendums konkrete Lösungsvorschläge unterbreitet.

Die vorgeschlagenen Reformen stellen keine Erweiterung, sondern eine Differenzierung der Rechte des Volkes dar. Eine Zunahme der Anzahl Volksabstimmungen auf Grund dieser Reform ist deshalb nicht zu erwarten. Allenfalls werden diese Volksabstimmungen zu einem anderen Zeitpunkt oder in einer anderen Form stattfinden.

So ist es durchaus möglich und mit der Reform beabsichtigt, dass ein Referendum gegen einen Staatsvertrag ergriffen wird, welches ohne die entsprechende Erweiterung dann gegen die Ausführungsgesetzgebung ergriffen worden wäre. So kann die politische Diskussion bereits zu einem früheren Zeitpunkt stattfinden, wenn nicht schon viel Zeit und Energie in eine umsetzende Gesetzgebung investiert worden ist.

Die Auswirkungen der allgemeinen Volksinitiative könnten zum Beispiel darin bestehen, dass die Stimmberechtigten über den Grundsatz einer zu treffenden Gesetzgebung abstimmen, anstatt über einen Verfassungstext, der eigentlich auf Gesetzesebene gehört.

Da die Mitwirkungsmöglichkeiten des Volkes nicht erweitert, sondern nur teilweise in andere Kanäle gelenkt werden, drängt sich denn auch die «Kompensation» durch eine Erhöhung der Unterschriftenzahlen nicht auf. Eine solche Erhöhung ist auf Grund der intensiven Abklärungen auch sachlich nicht angezeigt, da sie nicht unbedingt den erhofften Erfolg ­ eine Reduzierung der Volksbegehren ­ haben würde.

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2.2

Die Volksrechte und die zunehmende Bedeutung der internationalen Rechtsetzung

Die Staatspolitische Kommission hat sich auch mit der Frage der «Europatauglichkeit» der direktdemokratischen Rechte auseinandergesetzt. Im Vordergrund steht hier die Problematik des Umgangs mit völkerrechtswidrigen Volksinitiativen, eine Problematik, die sich nicht nur in Bezug auf das EU-Recht im Falle eines Beitritts stellt, sondern generell bezüglich aller völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz. Angesichts der geringen Anzahl bisher vorgekommener und zu erwartender Konfliktfälle ist die Kommission allerdings ­ wie der Bundesrat im Rahmen der Diskussionen über das von ihm vorgeschlagene Projekt der Reform der Volksrechte ­ zum Schluss gekommen, vorerst keine Regelung vorzusehen (vgl. Ziff. 2.3.4.1).

Den tendenziell abnehmenden Einflussmöglichkeiten der Stimmberechtigten auf Grund der zunehmenden Rechtsetzung auf überstaatlicher Ebene ­ ebenfalls ein vom EU-Beitritt unabhängiges Problem ­ will die Kommission mit einer Ergänzung des Staatsvertragsreferendums entgegenwirken (vgl. Ziff. 2.3.3).

Die Kommission teilt die vom Bundesrat in seinem Integrationsbericht 1999 geäusserte Auffassung, wonach die Instrumente Referendum und Volksinitiative mit einer EU-Mitgliedschaft vereinbar sind: «Im Falle eines EU-Beitritts müssten wir auf keines der uns vertrauten direkt-demokratischen Instrumente verzichten. Richtig ist jedoch, dass die faktische und zum Teil auch die rechtliche Tragweite der Referendums- und Initiativrechte in gewissen Fällen eingeschränkt würden. Dies namentlich, weil die Inhalte von Teilen der Gesetzgebung durch das EU-Recht geprägt werden und weil Volksentscheide, die im Widerspruch zum EU-Recht stehen, nicht voll zum Tragen kommen» (Schweiz ­ Europäische Union. Integrationsbericht 1999 vom 3. Februar 1999. BBl 1999 4271). Die rechtliche Ausgestaltung der Volksrechte bedarf somit keiner Änderung, allenfalls hat ein EU-Beitritt Auswirkungen auf ihre Anwendung. Doch auch hier kommt der Bundesrat auf Grund von entsprechenden Studien über mögliche Konfliktfälle bei Abstimmungsvorlagen in den 1990er Jahren zum Schluss: «In der Praxis wäre somit die Anzahl der tatsächlichen Konflikte gering gewesen. Damit sich ein potenzieller Konflikt zu einem wirklichen Konflikt entwickelt, bedarf es zudem beim fakultativen Referendum zunächst der Ergreifung desselben durch 50 000 Bürgerinnnen und
Bürger sowie andererseits der Annahme der jeweiligen Vorlage durch das Volk bzw. durch Volk und Stände. Eine Einschränkung der Volksrechte ist demnach nicht notwendig, wenn man bedenkt, dass beinahe alle potenziellen Konflikte mit dem Gemeinschaftsrecht zu keiner konkreten Verletzung des Gemeinschaftsrechts führen würden» (Schweiz ­ Europäische Union. Integrationsbericht 1999 vom 3. Februar 1999. BBl 1999 4273).

Die Staatspolitische Kommission sieht deshalb keine Notwendigkeit, im Hinblick auf einen allfälligen späteren EU-Beitritt Abstriche bei den direktdemokratischen Rechten zu machen. Sollten, falls die Frage des Beitritts einmal aktuell werden sollte, dennoch gewisse Anpassungen des rechtlichen Instrumentariums als notwendig erscheinen, wird dann der Zeitpunkt sein, diese vorzunehmen. Der Bundesrat hat in seinem Integrationsbericht 1999 versprochen, verschiedene Möglichkeiten, wie Konflikte zwischen Gemeinschaftsrecht und Volksentscheiden vermieden werden können, vertieft zu prüfen. Er beabsichtigt, im Rahmen einer allfälligen Botschaft zu einem EU-Beitritt auch konkrete Vorschläge zu unterbreiten, mit welchen Instrumenten die offensichtlichsten Konfliktfälle zu lösen seien. Doch gerade auf Grund 4812

der jüngsten politischen Entwicklungen wird eine solche Botschaft in naher Zukunft nicht zu erwarten sein. Eine Koppelung mit der vorliegenden kurzfristig realisierbaren Reform der Volksrechte ist deshalb auf Grund der unterschiedlichen Zeithorizonte der beiden Projekte nicht angezeigt.

2.3

Die Überprüfung der einzelnen Reformvorschläge

2.3.1

Erhöhung der Unterschriftenzahlen/Verkürzung der Sammelfristen

2.3.1.1

Quantitative Entwicklung der Ausübung der Volksrechte

In seiner Botschaft zur Verfassungsreform vom 20. November 1996 legte der Bundesrat dar, wie sich die Unterschriftenzahl und die Gesamtzahl der Stimmberechtigten im Laufe der Jahrzehnte auseinanderentwickelt haben. 1977 wurde die Zahl erforderlicher Unterschriften für die Einreichung einer Volksinitiative von 50 000 auf 100 000 erhöht, für die Ergreifung eines Referendums wurden nicht mehr 30 000, sondern neu 50 000 Unterschriften verlangt. Doch diese Erhöhung vermochte mit der demographischen Entwicklung nicht Schritt zu halten. Während der Anteil der Unterschriftenzahl an den Stimmberechtigten für die Volksinitiative 1891 noch ca.

7% betrug, fiel er vor der Reform von 1977 auf 1,3%, danach stieg er wieder auf 2,6% an, um schliesslich erneut auf unter 2,2% zu fallen. Der Bundesrat vertrat deshalb in seiner Botschaft von 1996 die Ansicht, dass sich eine Erhöhung der Unterschriftenzahlen aufdränge (BBl 1997 I 448f.).

Auf Grund der Auseinandersetzung mit verschiedenen Statistiken kam die Kommission jedoch zum Schluss, dass die alleinige Abstützung auf die demographischen Daten zu kurz greift. Weitere Daten geben andere interessante Aufschlüsse. So können auf Grund der Auswertung des statistischen Materials folgende Ergebnisse festgehalten werden: 1. Das Verhältnis der zustandegekommenen Referenden zu den referendumspflichtigen Vorlagen ist stabil geblieben Die Bundesversammlung hat in den letzten 30 Jahren 864 dem Referendum unterstehende Vorlagen verabschiedet, in den 100 Jahren zuvor (seit 1871) wurden insgesamt nur 1010 referendumspflichtige Vorlagen beschlossen. In den letzten 30 Jahren ist auf 13,5 Vorlagen des Parlamentes ein Referendum zustandegekommen, in den 100 Jahren zuvor war es ein Referendum auf 13,8 Vorlagen. Die absolute Zunahme der Anzahl Referenden ist also eindeutig auch in Zusammenhang mit der Zunahme der gesetzgeberischen Aktivität der Behörden zu sehen. Mit der Entwicklung des Leistungsstaates hat sich das staatliche Betätigungsfeld beträchtlich erweitert. Die Behörden sind in immer mehr Bereichen gesetzgeberisch tätig, was natürlich auch immer mehr Kreise zum Referendum herausfordert. Konstant geblieben ist jedoch die Herausforderung durch das Referendum. Nach wie vor verstreicht die Referendumsfrist bei etwa 94% aller Vorlagen ungenutzt: Gemäss Sciarini und Trechsel wird seit 1947 pro Legislaturperiode gegen rund 6% der referendumspflichtigen Vorlagen das Referendum ergriffen. Nur in zwei Legislaturperioden seit 1947 ist

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dieser Anteil über 10% gestiegen, nämlich zwischen 1975 und 1979 und zwischen 1987 und 1991.3 2. Die quantitative Entwicklung der zustandegekommenen Referenden verläuft nicht linear Die quantitative Entwicklung des fakultativen Referendums verläuft nicht linear. So gab es Phasen, in denen das Referendum prozentual zu der Anzahl Vorlagen häufiger ergriffen wurde, während in anderen Phasen kaum je eine Vorlage der Referendumsabstimmung ausgesetzt war. In den Krisenjahren 1932­1935 zum Beispiel kam das Referendum bei 16% aller Parlamentsvorlagen zu Stande. Konjunktur hatte das Referendum auch in den 1970er Jahren: In der Legislaturperiode 1975­1979 wurde gegen fast 14% der Vorlagen das Referendum erfolgreich ergriffen. Diesen referendumsfreudigen Jahren ging eine eigentliche Flaute voraus. In den 1950er und 1960er Jahren wurde das Referendum äusserst selten ergriffen. Der Tiefpunkt liegt in den Jahren 1955­1959, als nur 1% der Vorlagen durch die Referendumsabstimmung musste; aber auch in den Jahren zwischen 1963­1971 lag der Wert nur knapp über 2%. Die Konkordanz hatte zu diesem Zeitpunkt ­ wie die Wirtschaft ­ Hochkonjunktur, alle Gruppierungen fühlten sich offenbar gut in das System integriert, so dass sie nicht mit dem Referendum operieren mussten. Erst das Aufkommen neuer Oppositionsbewegungen in den 1970er Jahren verschuf dem Referendum wieder mehr Beliebtheit. In der letzten Legislatur (1995­1999) wurde gegen 9% der Parlamentsvorlagen das Referendum erfolgreich ergriffen.

Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Anzahl Referenden explosionsartig weiter entwickelt. Nicht nur die Anzahl der referendumspflichtigen Vorlagen ­ die sich in der letzten Legislatur ebenfalls eher stabilisiert hat ­ bestimmt die Anzahl Referenden, sondern auch das wirtschaftliche und politische Umfeld. Je besser es gelingt, die verschiedenen Gruppierungen ins System zu integrieren, das heisst, je besser es den Behörden gelingt, referendumstaugliche Vorlagen auszuarbeiten, desto weniger wird das Referendum ergriffen werden. Je nach gesellschaftsund wirtschaftspolitischem Umfeld wird dies den Behörden besser oder schlechter gelingen.

3. Die meisten Volksabstimmungen finden auf Grund eines obligatorischen Referendums statt Sciarini und Trechsel zeigen in ihrer Untersuchung auf, dass in fast der Hälfte
aller Fälle seit 1947 das Volk auf Grund eines obligatorischen Referendums zur Urne gerufen wurde. 45% der Volksabstimmungen gingen auf ein obligatorisches Referendum zurück, während in 28% bzw. 26% der Fälle Volksinitiativen bzw. fakultative Referenden der Auslöser waren.4 Seit den 1970er Jahren hat die Zahl der Erlasse der Bundesversammlung, die dem obligatorischen Referendum unterliegen, markant zugenommen. Die viel beklagte Zunahme der Volksabstimmungen ist also zu einem wesentlichen Teil auf die zunehmende Aktivität der Behörden zurückzuführen, und weniger auf die Unterschriftensammelfreudigkeit der Stimmbürger und Stimmbürgerinnen.

3

4

Pascal Sciarini et Alexander H. Trechsel: Démocratie directe en Suisse: l'élite politique victime des droits populaires? In: Schweizerische Zeitschrift für Politische Wissenschaft, Sonderheft «Staatsreform», Vol. 2 1996, S. 213 Sciarini/Trechsel, S. 211

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4. Insbesondere Parteien haben Mühe, die notwendige Anzahl Unterschriften für Volksinitiativen zu Stande zu bringen Seit den 1970er Jahren ist eine markante Zunahme der lancierten Volksinitiativen zu verzeichnen. Allerdings können sich die Unterschriftensammler und -sammlerinnen eines Erfolges nicht mehr so sicher sein. Seit 1977 ist jede dritte Initiative an der Unterschriftenzahl gescheitert.

Eine Untersuchung der Bundeskanzlei hat gezeigt5, dass seit 1977 insbesondere die politischen Parteien Mühe bekunden, die nötige Anzahl Unterschriften für Volksinitiativen zustande zu bringen. 26 Volksinitiativen kamen gemäss dieser Studie seit 1977 nur knapp zustande, was 25% aller in diesem Zeitraum zustandegekommener Initiativen entspricht. Augenfällig ist nun, dass 18 dieser 26 Initiativen von Bundesratsparteien stammen. 20 von den 54 in diesem Zeitraum von den Parteien lancierten Volksinitiativen kamen gar nicht zustande. Die Parteien haben also nur 16 der von ihnen insgesamt 54 gestarteten Volksinitiativen mühelos zustandegebracht. Auf der anderen Seite stammte keine einzige Volksinitiative, welche mit über 140 000 Unterschriften eingereicht wurde, von einer Partei. Diese Initiativen wurden von Verbänden und ad-hoc Komitees lanciert. Eine weitere Erhöhung der Unterschriftenzahl könnte also zur Folge haben, dass die Volksinitiative ein ausschliessliches Verbandsrecht würde.

5. Die Unterstützung der Behörden in Volksabstimmungen ist konstant hoch Sciarini und Trechsel haben für die Zeitspanne 1947 bis 1995 untersucht, wie oft das Ergebnis einer Volksabstimmung dem Ergebnis in den eidgenössischen Räten entsprach. Sie konnten feststellen, dass in 77% der Fälle das Volk gleich entschied wie die Bundesversammlung. Besonders hoch ist die Unterstützung der Behörden bei Volksinitiativen (93%), welche in der Volksabstimmung gemäss der Empfehlung der Bundesversammlung fast immer abgelehnt wurden. Handelte es sich um eine Volksabstimmung auf Grund eines obligatorischen Referendums, fanden die Behörden in 78% der Fälle Unterstützung. Etwas anders sieht die Bilanz beim fakultativen Referendum aus: Von den ca. 6% der Vorlagen des Parlamentes, bei denen es zur Referendumsabstimmung kam, fanden immerhin 57% die Zustimmung des Volkes.

Gemäss Sciarini und Trechsel kann von einer zunehmenden Desavouierung der Behörden
durch das Volk nicht die Rede sein, haben doch die Werte für die Unterstützung der Behördenentscheide in jüngerer Zeit eher zugenommen.6 6. Die Erhöhung der Unterschriftenzahlen könnte die Bildung von unheiligen Allianzen fördern Die Bundeskanzlei hat untersucht, wie sich die Referendumskomitees seit 1977 zusammensetzten.7 Bis zur Erhöhung der Unterschriftenzahlen im Jahre 1977 war im 20. Jahrhundert sehr selten ein Referendum durch eine Koalition verschiedener Vetogruppen zustandegekommen. Seit der Quorumserhöhung von 1977 hingegen haben diese Koalitionen erheblich zugenommen. 25 der 57 seither zustandegekommenen Referenden kamen dank Vetokoalitionen zustande. In 16 dieser 25 Fälle war die Koalition zudem heterogen zusammengesetzt; das heisst, Gruppierungen mit politisch 5 6 7

Papier der Schweizerischen Bundeskanzlei: Sektion Politische Rechte, 28. Mai 2000 Sciarini/Trechsel, S. 213ff.

Papier der Schweizerischen Bundeskanzlei: Sektion Politische Rechte, 28. Mai 2000

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unterschiedlichen Anliegen taten sich zusammen, um ein Gesetz zu Fall zu bringen.

So kämpften zum Beispiel 1977 die Vereinigung «Ja zum Leben» sowie die Vereinigung für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch gegen die gesetzliche Neuordnung des Schwangerschaftsabbruchs. 1993 beteiligten sich die Firma Denner und die Vereinigung der kleinen und mittleren Bauern (VKMB) am Referendum gegen die Landwirtschaftgesetzesrevision, und ­ als jüngstes Beispiel ­ auch das Referendum gegen die bilateralen Verträge mit der EU wurde von verschiedenen Organisationen von rechts bis links mitgetragen.

Die Erfolgschancen der Referenden dieser Vetokoalitionen sind zwar in der Volksabstimmung mit ca. 25% geringer als die Chancen der Referenden homogener Gruppen. Allerdings muss befürchtet werden, dass eine weitere Erhöhung der Unterschriftenzahlen dazu führt, dass sich noch vermehrt verschiedene Vetogruppen ohne ideologische Hemmschwellen zu solchen «Feuer-Wasser-Koalitionen» zusammenschliessen, um die nötige Anzahl Unterschriften zu erhalten. Für einzelne Gruppierungen scheint es bereits seit der Erhöhung von 1977 schwieriger geworden zu sein, die nötigen Unterschriften zusammenzubekommen: Von den 15 seit 1977 nicht zustandegekommenen Referenden wurden 14 nur von einer Gruppe getragen. Es erstaunt deshalb nicht, dass sich vermehrt Koalitionen bilden: Eine Quorumserhöhung eint die Gegnerschaft. Solche «unheiligen Allianzen» könnten durchaus stabilen Charakter erhalten und regelmässig Vorlagen der Behörden bekämpfen. Die Einbindung solcher heterogenen Allianzen in die Konkordanzdemokratie dürfte sich schwieriger gestalten als die Einbindung von homogenen Gruppen.

2.3.1.2

Die Erfahrungen aus der Praxis

In seiner Botschaft zur Reform der Volksrechte vertrat der Bundesrat die These, dass nicht nur die erhöhte Anzahl der Stimmberechtigten, sondern auch die verbesserten Kommunikationsmittel es den Initianten und Initiantinnen erheblich leichter als früher machen würden, die erforderlichen Unterschriften zu sammeln (BBl 1997 I 449).

Die Subkommissionen wollten diese und andere Fragen mit Vertretern und Vertreterinnen von Gruppierungen und Parteien diskutieren, welche Erfahrungen im Unterschriftensammeln haben. Sie hörten folgende Personen an: ­

Herrn Beat Ringger, Präsident umverkehR

­

Herrn Pierre Triponez, Direktor Schweizerischer Gewerbeverband

­

Frau Aliki Panayides, stellv. Generalsekretärin SVP

­

Herrn Jean-François Steiert, Generalsekretär SP

Die Angehörten argumentierten mit Nuancen alle in die gleiche Stossrichtung: Für alle stellt das Ergreifen eines Referendums oder die Lancierung einer Volksinitiative einen aufwändigen und kostspieligen Prozess dar. Die Schwierigkeiten haben dabei nicht abgenommen. Im Gegenteil seien neue Schwierigkeiten hinzu gekommen, welche allfällige Erleichterungen durch die demographische Entwicklung mehr als wett machen würden. Die Angehörten haben insbesondere folgende Beobachtungen wiedergegeben:

4816

1. Es fehlen öffentliche Orte zum Sammeln von Unterschriften Es wurde beklagt, dass mit der Einführung und intensiven Nutzung der brieflichen Stimmabgabe das Stimmlokal als Sammelort weggefallen sei. Früher sei dies der günstigste Ort gewesen, um Unterschriften zu sammeln, da sich hier politische interessierte Personen, die zudem in der entsprechenden Gemeinde auch stimmberechtigt waren, einfanden. Heute müssten diese Personen vor Einkaufszentren oder ähnlichen Orten ausfindig gemacht werden. An diesen Orten ist die Aufmerksamkeit ohnehin schwierig auf politische Anliegen zu lenken. Etwas leichter sei dies an Orten, die weniger von Hektik geprägt sind, wie zum Beispiel bei Musikfestivals, Konzerten oder ähnlichen Veranstaltungen. Allerdings handelt es sich hier um private Veranstaltungen und politische Aktivitäten sind nicht immer erwünscht.

2. Mailings und Inserate haben einen gewissen Erfolg bei traditionellen Organisationen, ad-hoc Komitees sind auf die Strasse angewiesen Für ad-hoc Komitees ist der öffentliche Raum nach wie vor der bedeutendste Sammelort, während für traditionelle Organisationen Mailings und Inserate in eigenen oder nahestehenden Publikationen wichtige Instrumente sind. Wenn sich ein Komitee eigens für die Einreichung einer Volksinitiative oder eines Referendums bildet, so kann es sich nicht auf seine Mitglieder abstützen und muss die Leute «auf der Strasse» abholen. Dieser Sammelprozess auf der Strasse ist sehr zeit- und personalintensiv. Es wurden Zahlen zwischen 10 und 40 Unterschriften genannt, die pro Stunde gesammelt werden können. Das Initiativkomitee «umverkehR» hat 7000­ 8000 Sammelstunden gebraucht. Etwas anders sieht es bei traditionellen Organisationen aus, welche durch das direkte Anschreiben ihrer Mitglieder einen Teil der Unterschriften zusammen bringen.

3. Das Internet hat sich als Sammelinstrument (noch) nicht etabliert Wenig Erfolg hatten die Angehörten bisher mit Sammeln von Unterschriften durch Versenden von Unterschriftenbögen via Internet. Alle bieten ihre Unterschriftenbogen auf Internet an, doch diese werden wenig benutzt. Während die einen argumentierten, dass dies an der noch zu geringen Verbreitung des Internets liege, und hier ein Entwicklungspotenzial sehen, meinten andere, dass das Internet auch in Zukunft wenig zum Sammeln von Unterschriften
beitragen werde, da fast noch mehr als an öffentlichen Orten um Aufmerksamkeit gekämpft werden müsse.

4. Die Volksrechte sind teuer Die Angehörten machten auch Angaben zu den Kosten. Von verschiedener Seite wurde der Betrag von Fr. 5.­ für eine Unterschrift genannt. Die Kosten für ein Referendum würden sich etwa auf 250 000 Fr. belaufen, für eine Initiative sei mit etwa 500 000 Fr. zu rechnen, gab ein Hearingsteilnehmer an. Ein anderer Teilnehmer stellte eine «Verteuerung» der Volksrechte fest: früher habe seine Partei mit etwa 50 000 Fr. für eine Volksinitiative gerechnet, heute sei der Betrag etwa fünfmal höher. Eine Erhöhung der Unterschriftenzahlen würde die Volksrechte weiter verteuern.

5. Die Konkurrenz der Politik durch kommerzielle Freizeitangebote ist grösser geworden Es wurde festgestellt, dass es immer schwieriger wird, Personen zu finden, die bereit sind, für ein politisches Anliegen Zeit zu investieren. Der Bevölkerung steht heute 4817

eine Vielzahl von Freizeitangeboten zur Verfügung. Die Beteiligung in einem Verein oder in einer Partei ist längst dem Besuch des Fitnesscenters gewichen. Kommt hinzu, dass direktdemokratische Prozesse langfristig angelegt sind. Wer zu Beginn einer Unterschriftensammlung einen Samstagmorgen lang bei strömendem Regen vor dem Einkaufszentrum steht und 50 Unterschriften sammelt, und dann vielleicht vier Jahre später über dieses Anliegen abstimmen kann (nach 18 Monaten Sammelfrist und der Behandlung durch Bundesrat und Parlament), stellt sich wahrscheinlich die Frage, ob sich dies wirklich lohnt, zumal das Anliegen in der Regel erst noch abgelehnt wird. Viele Leute sind sich in ihrem beruflichen und privaten Umfeld schnellere Prozesse gewohnt.

6. Die Verkürzung der Frist für das Unterschriftensammeln bei Volksinitiativen bringt vor allem Probleme für ad-hoc Komitees, für traditionelle Organisationen ist sie problemloser Zur Verkürzung der Sammelfristen wurde bezüglich des Referendums festgehalten, dass hier eine Verkürzung fast nicht möglich ist. Bezüglich der Volksinitiative zeigten sich die Vertreter traditioneller Organisationen indifferent. Eine Verkürzung hätte neben Nachteilen auch Vorteile; 18 Monate seien lang und Motivierungsprobleme könnten entstehen. Ganz anders sieht die Situation jedoch für Gruppierungen aus, die sich erst für die Lancierung einer Volksinitiative bilden. Sie brauchen Zeit, um die Infrastruktur und das Kommunikationsnetz aufzubauen. Die Verkürzung der Sammelfrist würde es spontan gebildeten Gruppierungen kaum mehr ermöglichen, Volksinitiativen einzureichen.

2.3.1.3

Der Einfluss von neuen Technologien

Die Kommunikations- und Informationstechnologie entwickelt sich rasant fort, und es ist die Frage nach ihren Auswirkungen auf die direkte Demokratie, in der Kommunikation und Information eine zentrale Rolle spielen, zu stellen. Die Subkommissionen liessen sich von der Bundeskanzlerin über geplante Projekte im Bereich «EGovernment» informieren.

Die Information hat gezeigt, dass in der Bundeskanzlei die Möglichkeiten des elektronischen Abstimmens ­ und damit verbunden des elektronischen Unterschriftensammelns ­ ernsthaft geprüft werden und dass an einem entsprechenden Projekt gearbeitet wird. Es sind jedoch noch viele technische Hürden, insbesondere im Bereich der Sicherheit, zu nehmen. Die Bundeskanzlei geht deshalb von einem längeren Zeithorizont aus, bis die Stimmberechtigten wahlweise per E-Mail, per Post oder persönlich wählen und abstimmen können.

2.3.1.4

Schlussfolgerungen

1. Keine Erhöhung der Unterschriftenzahlen Auf Grund all dieser von ihrer Subkommission zusammengetragenen Informationen kam die Kommission mehrheitlich zum Schluss, dass eine Erhöhung der Unterschriftenzahlen für die Einreichung von Initiativen und Referenden nicht nur aus Gründen des zu erwartenden Widerstandes nicht angezeigt ist, sondern dass auch 4818

sachliche Gründe dagegen sprechen. Eine Erhöhung der Unterschriftenzahlen würde die Volksrechte noch mehr zu Verbandsrechten machen, für Parteien und ad-hoc Gruppierungen würde es kaum noch möglich, ein Referendum zu ergreifen, geschweige denn eine Volksinitiative zu lancieren. Die Instrumente würden verteuert, und ihr Gebrauch noch mehr an vorhandene Finanzkraft gebunden.

Zudem hat sich gezeigt, dass trotz verbesserten Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten das Sammeln von Unterschriften nicht leichter geworden ist. Die Individualisierung und die damit verbundene teilweise Entpolitisierung der Gesellschaft hat dazu geführt, dass ein grösserer Einsatz geleistet werden muss, um jemanden für ein Anliegen zu interessieren. Mit der Einführung der brieflichen Stimmabgabe wurde zudem eine weitere Hürde beim Unterschriftensammeln eingebaut. Ob neue Technologien dereinst Erleichterungen beim Unterschriftensammeln bringen werden, ist höchst ungewiss. Im Moment ist dies offensichtlich noch nicht der Fall.

Die Elektronisierung des Abstimmens und Unterschriftensammelns ist zudem ein langfristiges Projekt und kann deshalb für eine jetzt in Angriff genommene Reform der Volksrechte keine Auswirkungen haben.

Auf der anderen Seite sind die Vorteile der direkten Demokratie für das politische System nicht zu unterschätzen. Zu erwähnen sind hier nur der hohe Informationsgrad der Bevölkerung sowie die Integrationsfunktion der Abstimmungsdemokratie.

Diese soll deshalb nicht nur finanzstarken Verbänden oder gar Einzelpersonen überlassen werden.

Dieser Argumentation könnte entgegengehalten werden, dass seit Beginn der direkten Demokratie das Quorum zum Ergreifen der Instrumente massiv kleiner geworden ist. Kommt hinzu, dass verbesserte Kommunikationsmittel es den Initianten und Initiantinnen erheblich erleichtern, an die Stimmberechtigten zu gelangen. Die Zunahme der Volksabstimmungen könnte auch eine Belastung für die Demokratie darstellen. Der Souverän könnte durch die von ihm geforderte Dauerpräsenz das Interesse endgültig verlieren. Das Gleichgewicht zwischen direkter und indirekter Demokratie habe sich eindeutig zuungunsten von letzterer verschoben. Die Bürger und Bürgerinnen müssten wieder vermehrt den Eindruck haben, dass auch die gewählten Repräsentanten etwas entscheiden und Wahlen deshalb wichtig
sind. Wenn jedoch die von den Behörden ausgearbeiteten Erlasse immer wieder in Frage gestellt und damit der Entscheidungsprozess verzögert wird, entstehe vielmehr der Eindruck eines machtlosen Parlamentes.

2. Verpönung des Bezahlens von Unterschriftensammlungen Die Kommission sieht diese Problematik durchaus, erachtet aber aus den oben dargelegten Gründen die Erhöhung der Unterschriftenzahlen nicht als ein wirksames Mittel, um die Wahldemokratie zu stärken. Allenfalls werden auf Gesetzesstufe Massnahmen zu prüfen sein, die wirksamer sein könnten. So ist zum Beispiel die Frage zu stellen, ob die Bezahlung von Unterschriften nicht gesetzlich zu verbieten wäre. Die direkte Demokratie würde dadurch ihren Ruf der Käuflichkeit los, der ihr heute bisweilen nachgesagt wird. Die Bürgerinnen und Bürger sollen nicht zur Urne gerufen werden, wenn eine finanzstarke Gruppierung oder gar Einzelperson dies will, sondern wenn es tatsächlich um ein umstrittenes Anliegen geht. Die Staatspolitische Kommission beantragt deshalb die Überweisung des folgenden Postulats:

4819

«Der Bundesrat wird beauftragt zu prüfen, ob die Strafbarkeit des Bezahlens von Unterschrifensammlerinnen und Unterschriftensammlern sowohl für den Bund als auch für die Kantone eingeführt werden soll.»

3. Verankerung der Sammelfristen auf Verfassungsebene und Verkürzung der Frist bei Volksinitiativen In bezug auf die Frist für die Sammlung von Unterschriften für Referenden sah die Kommission keinen Handlungsbedarf. Unter 100 Tagen lassen sich kaum 50 000 Unterschriften für ein Referendum sammeln. Hingegen ist die Kommission mit 4:4 Stimmen bei zwei Enthaltungen und Stichentscheid des Präsidenten der Auffassung, dass eine Verkürzung der Frist zur Sammlung von Unterschriften für Volksinitiativen von 18 auf 12 Monaten vertretbar ist. Selbst für Initianten und Initiantinnen können allzu lange Sammelfristen ­ dies wurde in den Anhörungen der Subkommissionen deutlich ­ Probleme darstellen, indem sie sich negativ auf die Motivation auswirken. Zieht sich ein politisches Projekt allzu lange hin, dann besteht die Gefahr, dass das Interesse verloren geht und der Schwung abnimmt. Eine Verkürzung der Sammelfrist kann durch eine bessere Organisation der Unterschriftensammlung aufgefangen werden und könnte den Prozess beschleunigen. Im Rahmen der hier präsentierten Vorlage ist eine bescheidene Erschwerung der Bedingungen zur Lancierung einer Initiative durchaus gerechtfertigt, stehen doch den Initianten und Initiantinnen mit der allgemeinen Volksinitiative insgesamt mehr Möglichkeiten zur Verfügung.

Die Minderheit der Kommission ist jedoch der Ansicht, dass auf die Verkürzung der Frist verzichtet werden sollte. Die Anhörung in den Subkommissionen hat eben gerade auch gezeigt, dass zwar traditionelle Organisationen mit entsprechender Infrastruktur mit kürzeren Fristen kaum Probleme haben werden, hingegen aber kleinere Gruppierungen und ad-hoc Komitees, welche zuerst eine Organisation bilden müssen. Die Volksrechte sollten aber nicht nur von gut organisierten Gruppen genutzt werden können. Es sollten auch nicht organisierte Interessen, welche zuerst in einer Organisation gebündelt werden müssen, in den politischen Prozess eingebracht werden können. Da die hier präsentierte Vorlage keine wesentliche Erweiterung der Volksrechte mit sich bringt, könnte eine Erhöhung der Hürden durch eine Verkürzung der Frist die ganze Vorlage aus dem Gleichgewicht bringen und somit gefährden. Notwendige Anpassungen würden so verhindert.

Einig war sich die Kommission hingegen darin, dass die Sammelfristen neu in der Verfassung zu
verankern sind. Die Sammelfristen stellen genau gleich wie die erforderlichen Unterschriften eine zentrale Rahmenbedingung für Referendums- und Initiativkomittees dar. Diese wichtigen Eckwerte des direktdemokratischen Instrumentariums sind in der Verfassung festzuhalten.

2.3.2

Allgemeine Volksinitiative und Gesetzesinitiative

2.3.2.1

Beurteilung des Handlungsbedarfs

Gemäss geltendem Recht können 100 000 Stimmberechtigte mit einer Volksinitiative die Total- oder die Teilrevision der Bundesverfassung verlangen. Die direkte Einflussnahme auf die Gesetzesebene ist den Initianten und Initiantinnen allerdings verwehrt. Dies führt dazu, dass Themen auf Verfassungsstufe behandelt werden, die 4820

eindeutig nicht Verfassungscharakter haben. Falls die entsprechenden Volksinitiativen angenommen würden oder angenommen worden wären, würde die Bundesverfassung zum Beispiel eine Bestimmung enthalten, welche einen autofreien Sonntag pro Jahreszeit vorsieht, oder eine Bestimmung, welche Tempo 30 innerorts vorschreibt. Gemäss der Botschaft des Bundesrates vom 20. November 1996 könnten mehr als die Hälfte der zu diesem Zeitpunkt angekündigten oder hängigen Volksinitiativen auf Gesetzesebene realisiert werden (BBl 1997 I 439).

Die Kommission erachtet diesen Zustand nicht nur aus verfassungsästhetischen Gründen als unbefriedigend. Offenbar besteht seitens der Stimmberechtigten das Bedürfnis, auch unterhalb der Verfassungsebene Anliegen in den politischen Entscheidungsprozess einzubringen. Sind sie gezwungen, dies auf Verfassungsstufe zu tun, so können sie dies zum Teil nicht mit der gewünschten Präzision. Das Fehlen eines Initiativinstruments unterhalb der Verfassungsstufe stellt eine Lücke im System der Volksrechte dar, die geschlossen werden muss.

2.3.2.2

Die allgemeine Volksinitiative als Instrument, mit dem stufengerecht gesteuert werden kann

Die Kommission erachtet das Instrument der allgemeinen Volksinitiative als geeignet, um die bestehende Lücke im System der Volksrechte zu schliessen. Die allgemeine Volksinitiative sieht vor, dass 100 000 Stimmberechtigte in der Form der allgemeinen Anregung die Annahme, Änderung oder Aufhebung von Verfassungsoder Gesetzesbestimmungen verlangen können. Es liegt dann an der Bundesversammlung, die Initiative durch die notwendigen Verfassungs- und/oder Gesetzesänderungen umzusetzen, wenn sie der Initiative zustimmt bzw. diese in der Vorabstimmung vom Volk angenommen wird.

Insbesondere hat das Instrument folgende Vorteile: 1.

Es steht neu ein Instrument unterhalb der Verfassungsstufe zur Verfügung, so dass verfassungsunwürdige Themen nicht mehr auf dieser Stufe eingebracht werden müssen.

2.

Das Instrument erlaubt, mittels der Volksinitiative bestimmte bestehende Gesetzesbestimmungen aufzuheben oder zu ändern. Es übernimmt somit die Funktion eines nachträglichen Gesetzesreferendums. Es müssen somit keine Umgehungsmanöver mehr in der Art gewählt werden, dass einer Gesetzesbestimmung nachträglich die Verfassungsgrundlage entzogen wird. Mit dem Instrument ist auch die Hoffnung verbunden, dass weniger häufig ganze Gesetzesvorlagen mittels dem Referendum blockiert werden, da die Stimmberechtigten nun ja gezielt auf eine bereits in Kraft stehende Gesetzesbestimmung einwirken können, wenn diese in der Anwendung nicht befriedigt.

3.

Auf Gesetzesebene kann präziser gesteuert werden als auf Verfassungsebene. Die Anliegen der Initiantinnen und Initianten können so präziser umgesetzt werden.

4.

Die Initianten und Initiantinnen können ein Anliegen formulieren, ohne konkrete Normtexte ausarbeiten zu müssen. Dies erlaubt auch Gruppierungen, die nicht über das nötige Expertenwissen verfügen, ihre Anliegen einzubringen.

4821

5.

2.3.2.3

Indem die Bundesversammlung die Rechtsetzungsstufe festsetzt, hat sie einen gewissen Handlungsspielraum. Sie kann somit auch eine politische Würdigung vornehmen. Im weiteren hat die Bundesversammlung die Möglichkeit, die Anliegen verfassungs- und völkerrechtskonform umzusetzen.

Allgemeine Volksinitiative und/oder Gesetzesinitiative?

Eine andere Möglichkeit zur Schaffung eines Initiativinstrumentes unterhalb der Verfassungsebene wäre die Einführung der formulierten Gesetzesinitiative. Als Argument für die formulierte Gesetzesinitiative kann vorgebracht werden, dass die Stimmberechtigten die Möglichkeit haben sollten, formulierte Änderungen auf Gesetzesebene zu verlangen. Wer konkrete Vorstellungen hat, wie eine Gesetzesänderung auszusehen hat, sollte diese auch einbringen können, ohne den Umweg über die allgemeine Volksinitiative wählen zu müssen.

Gemäss Ansicht der Kommission bringt jedoch die Gesetzesinitiative zu viele Probleme mit sich: 1.

Was passiert mit nicht verfassungsmässigen oder nicht völkerrechtskonformen Gesetzesinitiativen? Die Beurteilung der Verfassungsmässigkeit ist bisweilen relativ schwierig und auch nicht immer ganz eindeutig vorzunehmen. Bei Einführung der Gesetzesinitiative bestünde die Gefahr, dass formelle Diskussionen über die Verfassungs- und Völkerrechtskonformität die materielle Diskussion über die Initiative dominieren würden. Bei der allgemeinen Volksinitiative kann die Bundesversammlung nach eingehender Prüfung die adäquate Rechtsetzungsstufe festlegen sowie eine völkerrechtskonforme Ausgestaltung vornehmen.

2.

Die technische Ausgestaltung von Gesetzestexten kann ­ im Vergleich zu den in der Regel knappen und allgemein gehaltenen Verfassungsbestimmungen ­ äusserst komplex sein. Häufig sind viele Details zu berücksichtigen und es sind je nachdem auch Querverbindungen zu anderen Gesetzen herzustellen. Es stellt sich die Frage, ob Initiativkomitees mit der Ausarbeitung von komplexen Gesetzesbestimmungen nicht überfordert sind, es sei denn, sie können sich den Beizug von Experten leisten. Es besteht die Gefahr, dass die Qualität der Gesetzgebung leidet, wenn die Vorarbeiten von Initiativkomitees geleistet wird. Bei der allgemeinen Volksinitiative wird die technische Detailarbeit den Behörden überlassen. Initiativkomitees sollen einen politischen Willen äussern können, ohne gesetzestechnische Feinarbeit leisten zu müssen.

3.

Der Ständerat und somit die Interessenvertretung der Kantone wären bei der Erarbeitung von Gesetzesbestimmungen ausgeschlossen, da die Bundesversammlung eine formulierte Gesetzesinitiative ja nicht abändern darf.

4822

2.3.2.4

Ausgestaltung des neuen Instruments

Das neue Instrument der allgemeinen Volksinitiative soll folgendermassen ausgestaltet werden: 1.

Die allgemeine Volksinitiative wird als ergänzendes Instrument zur Volksinitiative auf Totalrevision der Bundesverfassung und zur Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung in Form des ausgearbeiteten Entwurfs eingeführt. Die Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung in Form der allgemeinen Anregung entfällt.

2.

Die Initiativkomitees haben auf den Unterschriftenlisten zu deklarieren, in welcher Form sie ihr Anliegen einreichen wollen. Deklarieren sie ihre Initiative als Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung, so darf die Bundesversammlung keine Änderungen daran vornehmen. Artikel 68 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte ist entsprechend zu ergänzen.

3.

Die allgemeine Volksinitiative kann nur in Form der allgemeinen Anregung eingereicht werden. Dies schliesst nicht aus, dass die Initianten und Initiantinnen ihr Anliegen bereits präzis formulieren können. Falls die Initiative Erfolg hat, müssen diese Präzisierungen in formaler Hinsicht nicht wortwörtlich übernommen werden. Die Bundesversammlung muss inhaltlich dem geäusserten Anliegen voll Rechnung tragen; sie hat jedoch die Möglichkeit, es in die rechtsetzungstechnisch korrekte Form zu bringen. Es entspricht der bisherigen Praxis bei den Volksinitiativen auf Teilrevision der Bundesverfassung in Form der allgemeinen Anregung, dass auch solche Initiativen konkret formuliert werden dürfen. Bisher wurden 11 Volksinitiativen in Form der allgemeinen Anregung eingereicht, welche zum Teil relativ konkret ausgestaltet waren, indem zum Beispiel bestimmte Verfassungsbestimmungen genannt wurden. Die Bundesversammlung hat alle diese Volksinitiativen für gültig erklärt. Diese Praxis soll auch beim neuen Instrument beibehalten werden. Es liegt auch im Interesse der Bundesversammlung, wenn sich die Initianten und Initiantinnen bereits relativ präzis äussern. Sie hat dann genauere Leitplanken für die Umsetzung des Anliegens und setzt sich weniger schnell dem Vorwurf der Manipulation aus.

4.

Mit der allgemeinen Volksinitiative sollen nur Verfassungs- und Gesetzesänderungen verlangt werden können, nicht jedoch die Änderung von Einzelakten. Der Souverän soll in seinem Initiativrecht auf die allgemeinabstrakten Normen beschränkt sein; für den Erlass von Einzelakten ist er nicht geeignet. Enthält eine allgemeine Volksinitiative dennoch ein individuell-konkretes Begehren, so ist sie nicht ungültig zu erklären, sondern auf Verfassungsstufe zu realisieren.

5.

Für die Einreichung einer allgemeinen Volksinitiative müssen 100 000 Unterschriften gesammelt werden. Indem die Initiantinnen und Initianten die Möglichkeit haben, ihr Anliegen bereits relativ präzis zu formulieren, stellt die allgemeine Volksinitiative ein interessantes Instrument dar, dessen Attraktivität nicht noch durch eine tiefere Unterschriftenzahl gesteigert werden muss. Die Minderheit ist sogar der Ansicht, dass für eine allgemeine Volksinitiative 120 000 Unterschriften verlangt werden sollten. Die allgemeine Volksinitiative bedeute eine Erweiterung der Volksrechte, welche den Ini-

4823

tianten und Initiantinnen neue Möglichkeiten biete. Im Sinne einer Kompensation sei es gerechtfertigt, für die Nutzung dieses Instruments die Hürden etwas höher zu setzen. Dies insbesondere auch deshalb, weil die vorgeschlagene Erhöhung vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung als gering zu bezeichnen sei. Die Mehrheit warnt jedoch davor, die Hürden für die allgemeine Volksinitiative höher anzusetzen. Das Instrument würde so zu einer Totgeburt, da es für die Initianten und Initiantinnen zu unattraktiv wäre. Diese würden dann auf jeden Fall das «billigere» Instrument der formulierten Volksinitiative wählen, auch wenn ihr Anliegen nicht verfassungswürdig ist.

6.

Die Bundesversammlung soll zu einer allgemeinen Volksinitiative einen Gegenvorschlag unterbreiten können. Anders als im Vorschlag des Bundesrates vom 20. November 1996 soll dieser Gegenvorschlag jedoch bereits in der Vorabstimmung dem Volk unterbreitet werden können und nicht erst in der zweiten Phase, wenn die Bundesversammlung eine vom Volk angenommene Initiative umzusetzen hat. Mit diesem Vorgehen soll Zeit gewonnen und ein zweiter Urnengang erspart werden. Voraussetzung ist jedoch, dass bereits in der ersten Abstimmung ausformulierte Bestimmungen vorliegen. Will die Bundesversammlung der Initiative also einen Gegenentwurf gegenüberstellen, so hat sie das Anliegen der Initianten in konkrete Verfassungs- oder Gesetzesbestimmungen umzusetzen und sodann diesen Bestimmungen ihren eigenen Entwurf gegenüberzustellen. Handelt es sich um Verfassungsbestimmungen, so werden diese Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet und es wird nach dem System des «Doppelten Ja» mit Stichfrage entschieden. Handelt es sich um Gesetzesbestimmungen, so sind die beiden Entwürfe ebenfalls nach diesem System der Volksabstimmung zu unterbreiten. Wenn die Umsetzung einer allgemeinen Volksinitiative sowohl die Verfassungs- wie auch die Gesetzesebene betrifft, und die Bundesversammlung einen Gegenentwurf unterbreiten möchte, muss nach einem pragmatischen Vorgehen gesucht werden. Dies wird am ehesten darin bestehen, zuerst die beiden Varianten für die Verfassungsänderung Volk und Ständen zu unterbreiten, um anschliessend die dem Resultat der Volksabstimmung entsprechenden Gesetzesanpassungen vorzunehmen, welche dann dem fakultativen Referendum unterstehen. Lehnt die Bundesversammlung die Initiative ab und will sie keinen Gegenentwurf unterbreiten, so unterbreitet sie das Anliegen dem Volk zur Vorabstimmung, um erst nach einem positiven Entscheid die Umsetzung vorzunehmen.

7.

Die Initianten und Initiantinnen sollen an das Bundesgericht gelangen können, wenn sie mit der Umsetzung nicht einverstanden sind. Heisst das Bundesgericht die Beschwerde gut, dann geht der Erlass zur Neuberatung an die Bundesversammlung zurück. Durch die Beschwerdemöglichkeit sollen die Initiantinnen und Initianten Vertrauen in das Instrument gewinnen.

4824

2.3.3

Verfeinerung der aussenpolitischen Mitwirkungsmöglichkeiten

2.3.3.1

Beurteilung des Handlungsbedarfs

Die zunehmende Internationalisierung der Rechtsetzung stellt auch die direkte Demokratie vor neue Herausforderungen. Es ist die Frage zu stellen, ob die demokratische Mitwirkung der Stimmberechtigten im aussenpolitischen Bereich noch genügend ist.

Heute kann das Volk gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV mittels fakultativem Referendum zu völkerrechtlichen Verträgen Stellung nehmen, die 1.

unbefristet und unkündbar sind;

2.

den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen;

3.

eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung vorsehen.

Die Bundesversammlung kann weitere völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum unterstellen (Art. 141 Abs. 2 BV). Obligatorisch Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten sind der Beitritt zu Organisationen für kollektive Sicherheit oder zu supranationalen Gemeinschaften (Art. 140 Abs. 1 Bst. b BV).

Angesichts der zunehmenden Bedeutung des Vertragsvölkerrechts vermag dieses System, insbesondere auch die Kategorie der «Verträge, die eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung vorsehen», nicht mehr ganz zu befriedigen. Eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung liegt vor, wenn ein Staatsvertrag multilaterales Einheitsrecht schafft, das Landesrecht unmittelbar ersetzt oder ergänzt und grundsätzlich einen gewissen Mindestumfang erreicht, der auch nach landesrechtlichen Massstäben die Schaffung eines separaten Gesetzes als sinnvoll erscheinen liesse. «Multilateral» wurde dabei in der Praxis so verstanden, dass für einen grösseren, nicht bloss zwei Staaten umfassenden Raum Recht geschaffen wird (BBl 1997 I 472f.).

Die Bestimmung ist also auslegungsbedürftig. So muss von Fall zu Fall entschieden werden, ob der Umfang der neuen Regelungen so gross ist, dass von einer «Rechtsvereinheitlichung» gesprochen werden kann, und ob ein formell bilaterales Abkommen allenfalls als multilateral zu bezeichnen wäre. Die internationale Rechtsetzung ist gemäss diesem System nicht in gleichem Umfang dem Referendum unterstellt wie die innerstaatliche. Erreichen die neuen Bestimmungen nicht einen bestimmten Umfang oder betreffen sie nur zwei Staaten, ist das Referendum ausgeschlossen.

Dem Referendum nicht unterstellt sind zudem Verträge, die nicht direkt anwendbar sind, jedoch Gesetzesanpassungen zur Folge haben.

Insbesondere bei Verträgen, welche Änderungen der nationalen Gesetzgebung zur Folge haben, ist es sinnvoller, die politische Diskussion bereits bei Vertragsabschluss zu führen und nicht erst bei der Ausführungsgesetzgebung. Im Rahmen von Staatsverträgen werden zunehmend Grundsatzentscheide für die nationale Gesetzgebung getroffen. Das Volk sollte sich darüber aussprechen können, ob eine internationale Verpflichtung überhaupt eingegangen werden soll. Damit soll verhindert werden, dass erst mittels Referendum zur Ausführungsgesetzgebung nachträglich der Staatsvertrag torpediert wird. Es muss ein System gefunden werden, das sowohl die Mitspracherechte des Volkes wie auch die Glaubwürdigkeit der Schweiz als völkerrechtlicher Partner sicherstellt.

4825

2.3.3.2

Ergänzung des fakultativen Staatsvertragsreferendums

In seiner Botschaft zur Reform der Volksrechte vom 20. November 1996 hat der Bundesrat vorgeschlagen, dass eine weitere Kategorie von Verträgen dem fakultativen Referendum unterstellt werden soll, und zwar Verträge, deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen oder Bundesbeschlüssen erfordert, welche Rechte oder Pflichten Privater begründen (BBl 1997 I 471ff.).

Die Verfassungskommission des Nationalrates wollte hier noch einen Schritt weiter gehen und sprach sich für eine Formulierung aus, wonach völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum zu unterstellen sind, falls sie rechtsetzende Normen enthalten oder zum Erlass von Bundesgesetzen verpflichten. Gemäss dieser Regelung würden neu folgende Verträge auch dem Referendum unterstehen: a.

Verträge, die rechtsetzende Normen enthalten, auch wenn deren Umfang nicht das Ausmass erreicht, dass von einer Rechtsvereinheitlichung gesprochen werden kann;

b.

Verträge, die nur das Rechtssystem zweier Staaten betreffen;

c.

Verträge, die nicht direkt anwendbar sind, aber die Anpassungen der Bundesgesetzgebung erforderlich machen.

Die Kommission hat beschlossen, an die Formulierung der Verfassungskommission des Nationalrates anzuknüpfen, welche ursprünglich auch vom Bundesrat im Verfassungsentwurf von 1995 vorgeschlagen worden war. Analog zur innerstaatlichen Rechtsetzung soll auch die staatsübergreifende Rechtsetzung Gegenstand eines Referendums sein können. So sind analog zu Artikel 164 Absatz 1 BV Verträge, welche wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten, dem Referendum zu unterstellen.

Der Bundesrat hatte sich im Rahmen der Diskussionen in den Verfassungskommissionen gegen diese Erweiterung gewehrt. Er hatte argumentiert, durch diese Bestimmung würde eine Unzahl von Verträgen zusätzlich dem Referendum unterstellt, die nur Verpflichtungen für die Vertragsstaaten beinhalten, ohne die Bürgerinnen und Bürger direkt zu betreffen. Das Volk sollte seiner Ansicht nach nur dann über Staatsverträge abstimmen können, wenn die Umsetzung in individuelle Rechtspositionen eingreift.

Dagegen ist einzuwenden, dass auch im innerstaatlichen Bereich nur gegen einen kleinen Teil der Gesetze das Referendum ergriffen wird. Wie im innerstaatlichen Bereich werden die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen bei der staatsübergreifenden Rechtsetzung zu selektionieren wissen, und es werden nur für die Bevölkerung wichtige Fragen zur Abstimmung kommen. Da das Referendum ja fakultativ ist, kann die Selektion des Wichtigen den Stimmbürgern und Stimmbürgerinnen überlassen werden, ohne dass auf abstrakter Ebene eine solche unter Umständen problematische Abgrenzung vorgenommen werden muss.

Wichtig ist zudem, dass die erweiterte Referendumsmöglichkeit gegen Staatsverträge die Handlungsfähigkeit der Schweiz auf internationalem Parkett nicht einschränkt. Wie der Bundesrat in seiner Botschaft vom 20. November 1996 darlegte (BBl 1997 I 474), wird seine Kompetenz, ohne Verzug die vorläufige Anwendung von internationalen Abkommen anzuordnen, nicht tangiert. Da gemäss Artikel 25 des Wiener Abkommens über das Recht der Verträge (SR 0.111) die vorläufige An4826

wendung von Verträgen noch keine endgültige völkerrechtliche Bindung bewirkt, bestünde keine Gefahr, dass die Schweiz durch die vorläufige Anwendung eines referendumspflichtigen Vertrages, der in einer anschliessenden Volksabstimmung abgelehnt würde, vertragsbrüchig würde.

Die Kommission ist im übrigen wie der Bundesrat in seiner Botschaft zur Auffassung gelangt, dass das fakultative Staatsvertragsreferendum nicht auf diejenigen Verträge ausgedehnt werden sollte, deren Ausführungsgesetzgebung den Kantonen allein obliegt. Die Mitwirkung der Kantone in der aussenpolitischen Entscheidfindung ist durch Artikel 55 BV hinreichend gewährleistet (vgl. BBl 1997 I 474).

2.3.3.3

Völkerrechtlicher Vertrag und gesetzliche Umsetzung: Gleichzeitige Abstimmung

Der Bundesrat hat in seiner Botschaft vom 20. November 1996 vorgeschlagen, dass Gesetzesänderungen, die der Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrags dienen, in den Genehmigungsbeschluss zum Vertrag aufgenommen werden können. Der Vertrag und die Gesetzgebung zu seiner Umsetzung sollen als Gesamtpaket der Volksabstimmung unterbreitet werden können. Widersprüchliche Volksentscheide ­ die Ablehnung der Ausführungsgesetzgebung zu einem angenommenen Staatsvertrag ­ sollen damit vermieden werden (BBl 1997 I 475f.).

Die Kommission hingegen ist der Ansicht, dass diese «paketweise» Vorgehensweise keine differenzierte Stellungnahmen der Stimmbürger und Stimmbürgerinnen ermöglicht. Man kann durchaus zum Schluss kommen, dass ein Staatsvertrag gut ist, die Ausführungsgesetzgebung jedoch missglückt ist. Eine solche Stellungnahme wäre den Stimmberechtigten verwehrt.

Hingegen erachtet es die Kommission als sinnvoll, wenn am gleichen Abstimmungstag über den Staatsvertrag und die gesetzliche Umsetzung abgestimmt wird.

Die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen können sich dann ein besseres Bild darüber machen, was der Staatsvertrag konkret bedeutet, und eine Beurteilung im Gesamtzusammenhang vornehmen. Wenn immer möglich sollte deshalb die gesetzliche Umsetzung parallel zur Genehmigung des Staatsvertrags erfolgen. Dies ist jedoch bereits im Rahmen der geltenden Verfassung möglich. Die Verfassung braucht somit nicht angepasst zu werden.

2.3.3.4

Volksmotion in transnationalen Angelegenheiten

Die Kommission hat weitere Formen der Mitwirkungsmöglichkeiten des Volkes im Bereich der Aussenpolitik geprüft, so insbesondere das Instrument der transnationalen Volksmotion. Die transnationale Volksmotion stellt einen Antrag von 10 000 Stimmberechtigten an die Bundesversammlung dar, dem Bundesrat einen Auftrag zu erteilen, in internationalen Organisationen oder Gremien bestimmte Anliegen zu vertreten.

Die Kommission vertrat die Ansicht, dass auf dieses Instrument verzichtet werden sollte. 10 000 Unterschriften können durch zahlreiche Verbände ohne weiteres gesammelt werden, so dass die Bundesversammlung andauernd mit solchen Motionen 4827

konfrontiert würde. Die Verbände würden versuchen, die Verhandlungsmandate des Bundesrates zu beeinflussen, so dass die Handlungsfähigkeit der Behörden in aussenpolitischen Belangen leiden könnte.

2.3.4

Weitere diskutierte, aber nicht aufgenommene Vorschläge

2.3.4.1

Verhältnis zwischen der Volksinitiative und dem Völkerrecht

Die Verfassungskommission des Ständerates hatte sich intensiv mit der Frage beschäftigt, wie mit Volksinitiativen umzugehen sei, welche nicht nur zwingendem, sondern auch dem übrigen Völkerrecht widersprechen. Sie hat schliesslich eine Lösung erarbeitet, wonach Artikel 173 BV mit folgender Bestimmung ergänzt werden sollte: «Die Bundesversammlung entscheidet, welche Massnahmen zu treffen sind, wenn eine angenommene Volksinitiative ganz oder teilweise völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz widerspricht».

Die Verfassungskommission des Ständerates war der Ansicht, dass eine Reaktion der politischen Behörden erfolgen müsse, wenn eine völkerrechtswidrige Volksinitiative angenommen würde. Eine solche Reaktion sei dann angebracht oder sogar zwingend, wenn es zum Beispiel um das Künden eines völkerrechtlichen Vertrags gehe. Die Bundesversammlung könne jedoch auch zum Schluss kommen, dass der Widerspruch zum Völkerrecht toleriert und die allfälligen Konsequenzen getragen werden sollen. Angesichts der Tragweite dieser Entscheidung über die verschiedenen möglichen Schlussfolgerungen müsse diese Verantwortung der Bundesversammlung zugewiesen werden und dürfe nicht dem Bunderat überlassen werden.

Der Bundesrat wehrte sich gegen die Normierung dieser Frage und wollte das Problem wie bisher der Praxis überlassen. Es sei nicht wünschenswert, wenn die Unvereinbarkeit einer angenommenen Volksinitiative mit dem Völkerrecht zu einer Parlamentsdebatte führe. Das Volk hätte dann den Eindruck, seine Entscheide würden nicht ernst genommen. Die Gefahr, dass eine völkerrechtswidrige Volksinitiative angenommen würde, sei äusserst gering. Allenfalls sei es sinnvoller, eine Kollision mit dem Völkerrecht in Kauf zu nehmen, als eine grosse Debatte zu lancieren.

Die Staatspolitische Kommission teilt die Auffassung des Bundesrates und schlägt vor, auf eine Normierung der Frage zu verzichten.

2.3.4.2

Vorlage eines Haupttextes und einer Alternative

In seinem Reformpaket hatte der Bundesrat eine weitere Neuerung vorgeschlagen, welche dazu beitragen sollte, den «Alles-oder-nichts»-Charakter der Volksrechte etwas einzudämmen. So sollte die Bundesversammlung, wenn sie eine Verfassungsänderung vornimmt, die Möglichkeit haben, zwei Texte zur Abstimmung zu unterbreiten. Auch beim Erlass von Bestimmungen, die dem fakultativen Referendum unterstehen, sollte sie einen Haupttext und eine Alternative vorlegen können.

Wird das Referendum nicht ergriffen, dann tritt der Haupttext in Kraft. Diese neue Möglichkeit sollte dazu beitragen, sogenannte «Scherbenhaufen» zu vermeiden. Die 4828

Bundesversammlung kann so zum Beispiel eine umstrittene Neuerung aus einer Vorlage herausbrechen und als Alternative vorlegen. Wird die umstrittene Neuerung nicht akzeptiert, dann treten zumindest die weniger umstrittenen Neuerungen in Kraft (BBl 1997 I 477f.).

Anders als die überwiegenden Mehrheiten beider Verfassungskommissionen beurteilt die Staatspolitische Kommission diese Neuerung kritisch und schlägt vor, darauf zu verzichten. Parlament und Regierung haben ihre Führungsrolle wahrzunehmen und sollen dem Volk keine Auswahlsendungen liefern. Das Volk erwartet vom Parlament, dass es sich zu einem Konsens durchringt.

2.3.4.3

Gegenüberstellung von zwei Volksinitiativen zum gleichen Gegenstand

Zwei einander widersprechende Volksinitiativen zum selben Gegenstand können heute nicht gleichzeitig der Volksabstimmung unterbreitet werden: Wenn über beide Volksinitiativen am gleichen Tag getrennt abgestimmt wird, könnten beide Initiativen angenommen werden; das neue Verfassungsrecht wäre widersprüchlich. Der Bundesrat erachtete diese Regelung angesichts der Häufung von Volksinitiativen zu denselben kontroversen Themen als unbefriedigend. Sie verhindert, dass zum gleichen Abstimmungstermin die verschiedenen Lösungsvarianten zu einem Problem auf dem Tisch liegen und im Gesamtzusammenhang beurteilt werden können. Er schlug deshalb in seinem Reformpaket vor, in der Verfassung ausdrücklich vorzusehen, dass zwei Volksinitiativen, die den gleichen Gegenstand betreffen, einander gegenübergestellt werden können. Die Bundesversammlung sollte die Möglichkeit haben, diesen beiden Initiativen einen Gegenvorschlag gegenüber zu stellen. Die Stimmberechtigten könnten dann zwischen der ersten Initiative, der zweiten Initiative, dem Gegenvorschlag und dem Status quo entscheiden (BBl 1997 I 479f.).

Dieser Vorschlag bringt Vor- und Nachteile mit sich, wobei nach Ansicht der Kommission die Nachteile überwiegen. Einerseits ist der erweiterte Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu begrüssen. Es kann eine umfassende Diskussion über ein bestimmtes Thema geführt werden und die Stimmberechtigten können in Kenntnis verschiedener Lösungsvorschläge entscheiden. Andererseits sind mit der Kombination von Abstimmungsfragen immer auch Manipulationsmöglichkeiten verbunden.

Es müsste überlegt werden, ob das Verfahren nur bei sich widersprechenden Volksinitiativen angewendet werden darf. Werden zwei sich ergänzende Volksinitiativen einander gegenübergestellt, so besteht die Gefahr, dass eine Volksinitiative in der Stichfrage scheitert, die an sich eine Mehrheit gefunden hätte. Ebenfalls hervorzuheben ist die Komplizierung des Abstimmungsverfahrens. Der Bundesrat hat in seiner Botschaft zum konstruktiven Referendum auf die Problematik hingewiesen, welche entsteht, wenn die Abstimmenden über mehr als drei Varianten zu entscheiden haben (BBl 1999 2937ff.). Es müsste mit einem System von Haupt- und Eventualfragen gearbeitet werden, welches für die Stimmberechtigten nicht auf den ersten Blick verständlich sein dürfte. Allenfalls
müsste dann die Bundesversammlung sinnvollerweise darauf verzichten, einen Gegenentwurf zu unterbreiten.

Auf Grund der zahlreichen Nachteile, welche dieses Verfahren mit sich bringen würde, ist auf eine entsprechende Verfassungsänderung zu verzichten.

4829

2.3.4.4

Verbot von rückwirkenden Bestimmungen in Volksinitiativen

Nicht wieder aufgenommen hat die Kommission den im Rahmen einer parlamentarischen Initiative ausgearbeiteten Vorschlag, wonach Volksinitiativen, welche rückwirkende Bestimmungen enthalten, unzulässig seien (91.410 Parlamentarische Initiative. Behandlung von rückwirkenden Bestimmungen in Volksinitiativen, BBl 1993 II 204). Die damals ausgearbeitete Bestimmung wurde sehr kompliziert, weil juristisch nur schwer fassbar ist, was als rückwirkend zu bezeichnen ist. Die Initianten und Initiantinnen würden immer Umgehungsmöglichkeiten finden.

2.3.4.5

Einführung anderer Formen des Einzelaktreferendums

Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe c BV sieht vor, dass Bundesbeschlüsse dem fakultativen Referendum unterstellt werden können, soweit Verfassung oder Gesetz dies vorsehen. Bundesbeschlüsse sind gemäss Artikel 163 Absatz 2 BV für nicht rechtsetzende Bestimmungen vorgesehen. Damit können Einzelakte ­ etwa Konzessionen für technische Grossanlagen oder Rüstungsausgaben ­ dem Referendum unterstellt werden.

Die Kommission erachtet diese Bestimmungen als befriedigend und schlägt vor, auf weitergehende Formen des Einzelaktreferendums, wie sie in den Verfassungskommissionen diskutiert wurden, zu verzichten.

2.3.4.6

Entscheid über die Gültigkeit von Volksinitiativen: Zuständigkeit

In seinem Reformpaket hat der Bundesrat vorgeschlagen, dass die Bundesversammlung das Bundesgericht anzurufen habe, wenn sie Zweifel hat, ob eine Volksinitiative gemäss den geltenden Kriterien für gültig zu erklären ist. Das Bundesgericht entscheidet abschliessend (BBl 1997 I 482ff.).

In der Kommission wurde der Vorschlag diskutiert, dass die Bundesversammlung das Bundesgericht konsultativ anrufen sollte, wenn sie Zweifel betreffend die Gültigkeit hätte. Der definitive Entscheid bliebe jedoch bei der Bundesversammlung.

Aber auch diese Lösung stellt nach Ansicht der Kommission einen zu starken Eingriff in die Gewaltenteilung dar. Beim Entscheid um die Gültigkeit von Volksinitiativen handelt es sich um einen politischen Entscheid, der ausschliesslich von der Bundesversammlung gefällt werden muss. Eine Politisierung der Rechtsprechung muss vermieden werden. Kommt hinzu, dass allfällige Differenzen zwischen dem Bundesgericht und der Bundesversammlung die Glaubwürdigkeit der obersten Bundesbehörden untergraben würden.

4830

2.3.4.7

Einführung der Kantonsinitiative

Die Kommission hat sich auch mit dem von der Konferenz der Kantonsregierungen bereits im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung und auch jetzt wieder geäusserten Anliegen auseinandergesetzt, für acht Kantone ein analoges Initiativrecht wie für 100 000 Stimmberechtigte vorzusehen. Der Bundesrat hatte dieses Anliegen im Rahmen des Reformpaketes Volksrechte aufgenommen. Er hat allerdings präzisiert, dass das Initiativrecht von den kantonalen Parlamenten oder vom Volk ausgeübt werden müsse. Die Kommission ist der Ansicht, dass es auch dann nicht angeht, dieses Instrument einzuführen. Es handelt sich bei den Initiativen gemäss Artikel 138, 139 und 139a BV um Volksrechte und nicht um Rechte von Gliedstaaten oder Institutionen. Den Kantonen steht das Instrument der Standesinitiative zur Verfügung, mit dem sie direkt ins parlamentarische Entscheidungsverfahren gelangen können. Die Einführung der Kantonsinitiative könnte unnötigerweise Konflikte zwischen den Bundesbehörden und den Kantonen hervorrufen. Zudem besteht die Gefahr, dass mit diesem Instrument Regionen gegeneinander ausgespielt werden. Zudem ist auch die Frage nach der praktischen Anwendung dieses Instrumentes zu stellen: Können sich acht Kantonsparlamente oder die Stimmberechtigten von acht Kantonen innerhalb von 12 Monaten auf einen gemeinsamen Initiativtext einigen?

Die Minderheit der Kommission ist allerdings der Ansicht, dass die Kantonsinitiative ein wichtiges Kompensationsinstrument darstellen würde in Bezug auf die aktuellen Zentralisierungstendenzen. Angesichts der zunehmendenen Interdependenzen gerade auch im Bereich der Aussenpolitik werde die Mitwirkung der Kantone immer wichtiger. Die Standesinitiative stelle hierzu kein griffiges Instrument dar, da sie nicht die gleiche rechtliche Tragweite habe wie die Volksinitiative. Die Bundesversammlung entscheidet abschliessend über das Schicksal einer Standesinitiative. In der Praxis hat sich das Instrument kaum als wirksam erwiesen. Die demokratische Legitimation für eine Kantonsinitiative, ausgehend von mindestens acht Kantonen, könne nicht ernsthaft in Frage gestellt werden, zumal das Initiativrecht von den kantonalen Parlamenten oder vom Volk auszuüben ist.

2.3.4.8

Information und Meinungsbildung der Stimmberechtigten

Verschiedene Kommissionsmitglieder äusserten sich besorgt darüber, wie es finanzstarken Kreisen immer wieder gelingt, mit umfangreichen Kampagnen, sowie mit Aussagen und Argumenten, welche nicht wahrheitsgetreu sind, ins Abstimmungsgeschehen einzugreifen. Erwähnt wurde auch die Zunahme von zum Teil vereinfachenden und verletzenden Aussagen auf Wahl- und Abstimmungsplakaten. Vor diesem Hintergrund ist auch die parlamentarische Initiative 99.427 (Stamm Judith. Anrufinstanz bei Abstimmungskampagnen) zu sehen, welcher der Nationalrat Folge gegeben hat. Es ist auch die Frage zu stellen, ob Transparenz darüber herrschen müsste, wer mit wieviel Geld welche Kampagne führt (vgl. dazu auch die parlamentarische Initiative 99.430 Gross Andreas. Abstimmungskampagnen. Offenlegung höherer Beiträge, welcher der Nationalrat ebenfalls Folge gegeben hat). Die Kommission ist allerdings der Ansicht, dass es sehr schwierig sein dürfte, das Verhalten von gewissen Akteuren mit gesetzgeberischen Massnahmen zu beeinflussen, 4831

und wehrt sich deshalb gegen eine kaum durchsetzbare Verfassungsbestimmung. Immerhin schlägt sie in einem Postulat vor, die Strafbarkeit des bezahlten Unterschriftensammelns zu prüfen (vgl. Ziff. 2.3.1.4).

3

Erläuterung der einzelnen Verfassungsbestimmungen

Art. 138 Abs. 1 Die Sammelfristen sollen neu bei allen direktdemokratischen Instrumenten auf Verfassungsebene verankert werden. Die Frist wird neu für alle Initiativformen auf 12 Monate festgesetzt. Die Minderheit I beantragt, entsprechend der geltenden Regelung im Bundesgesetz über die politischen Rechte, eine Sammelfrist von 18 Monaten. Die Minderheit II verlangt die Einführung der Kantonsinitiative. Dabei soll acht Kantonen das gleiche Recht zukommen wie 100 000 Stimmberechtigten. Allerdings soll nicht die Kantonsregierung dieses Recht ausüben dürfen, sondern entweder die kantonalen Parlamente oder die Kantonsbevölkerungen. Zur Begründung der Anträge vgl. Ziffern 2.3.1.4 und 2.3.4.7.

Art. 139

Formulierte Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung

Titel, Abs. 1, 2, 4 Die Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung in Form der allgemeinen Anregung, welche bisher auch in diesem Artikel geregelt war, wird ersetzt durch die allgemeine Volksinitiative (Art. 139a), so dass Artikel 139 nur noch die formulierte Volksinitiative regelt. Auch hier wird die Sammelfrist von neu 12 Monaten verankert. Die Anträge der Minderheiten I und II entsprechen denjenigen zu Artikel 138 Absatz 1.

Abs. 5 (Minderheit III) In Absatz 5 will die Minderheit III der Bundesversammlung ermöglichen, einer Volksinitiative in jedem Fall, auch wenn sie dieser im Prinzip zustimmt, einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Diese Korrektur entspreche dem Sinn der Verfassung von 1874, welcher durch die Neuformulierung in der Verfassung von 1999 verloren gegangen sei: Die Bundesversammlung brauche nicht vollumfänglich gegen eine Volksinitiative zu sein, wenn sie einen Gegenvorschlag unterbreitet, sondern sie kann einfach eine andere Lösung präsentieren wollen. Als Beispiel könnten die Volksinitiativen zur Rechtsstellung der Tiere genannt werden: Zu diesem Thema hat schon eine lange Diskussion im Parlament stattgefunden. Zurzeit liegt eine parlamentarische Initiative vor, die eine Regelung auf Gesetzesstufe vorsieht. Gleichzeitig sind zwei Volksinitiativen zustande gekommen, wovon eine fast identisch ist mit dem Inhalt der parlamentarischen Initiative. Falls der Bundesrat und das Parlament mit dem Anliegen einverstanden sind, können sie nicht gut die Volksinitiative zur Ablehnung empfehlen, die parlamentarische Initiative jedoch gut heissen. Für die Stimmberechtigten wäre die Haltung der Behörden einsichtiger, wenn gesagt würde: «Wir sind grundsätzlich mit der Volksinitiative einverstanden, vom Parlament wur4832

de jedoch eine bessere Lösung auf Gesetzesebene ausgearbeitet.» Diese Korrektur sei, so die Minderheit, umso mehr angebracht, weil im neuen Artikel 139a Absatz 4 auch eine offene Formulierung gewählt wird, welche nicht die Ablehnung der Initiative voraussetzt. Die Mehrheit ist jedoch der Ansicht, dass die Formulierung gemäss neuer Bundesverfassung, welche gegenüber der alten eine wünschenswerte Klärung gebracht hat, übernommen werden soll. Es würde von den Stimmbürgern und Stimmbürgerinnen nicht verstanden, wenn die Bundesversammlung einen Gegenentwurf zu einer Initiative unterbreitet, der sie zustimmt. Das System der Volksrechte soll möglichst transparent sein; eine solche Möglichkeit würde jedoch Verwirrung stiften.

Abs. 6 Da das Verfahren bei Initiativen mit Gegenentwürfen neu sowohl bei der ausformulierten Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung wie auch bei der allgemeinen Volksinitiative Anwendung finden kann, wird vorgeschlagen, dieses in einem speziellen Artikel 139b zu regeln. Somit kann auch Artikel 139 etwas entschlackt werden.

Art. 139a

Allgemeine Volksinitiative

Abs. 1 Absatz 1 legt drei wichtige Elemente der allgemeinen Volksinitiative fest. Zum ersten wird die Anzahl notwendiger Unterschriften für die Einreichung einer allgemeinen Volksinitiative auf 100 000 sowie die Sammelfrist auf 12 Monate festgelegt.

Damit wird für alle Formen der Volksinitiative die gleiche Anzahl Unterschriften verlangt und die gleiche Sammelfrist gewährt. Zweitens wird die allgemeine Volksinitiative als Initiative in Form der allgemeinen Anregung definiert. Dies schliesst ­ wie unter Ziffer 2.3.2.4 ausgeführt ­ nicht aus, dass die Initiative auch präzis formuliert sein darf. Zum Dritten wird der Geltungsbereich der allgemeinen Volksinitiative auf die Verfassungs- und Gesetzesmaterie beschränkt. Mit einer allgemeinen Volksinitiative kann somit nicht ein Einzelakt oder dessen Aufhebung verlangt werden. Dies schliesst nicht aus, dass im Rahmen einer allgemeinen Volksinitiative ein Anliegen mit individuell-konkretem Charakter vorgebracht wird. In diesem Fall ist das Anliegen auf Verfassungsstufe umzusetzen. Analog zu den jeweiligen Minderheitsanträgen bei Artikel 138 Absatz 1 und Artikel 139 Absatz 1 verlangen die Minderheiten I und III eine Sammelfrist von 18 Monaten beziehungsweise die Einführung der Kantonsinitiative. Die Minderheit II ist der Ansicht, dass die Anforderungen für die Einreichung einer allgemeinen Volksinitiative höher anzusetzen seien und verlangt 120 000 Unterschriften. Für weitere Erläuterungen der Anträge der Mehrheit und der Minderheiten vgl. die Ziffern 2.3.1.3, 2.3.2.4 und 2.3.4.7.

Abs. 2 Absatz 2 sieht für die allgemeine Volksinitiative die gleichen Gültigkeitserfordernisse vor wie für die formulierte Verfassungsinitiative. Die Einheit der Form wird auch hier verlangt, das heisst, die Initianten und Initiantinnen müssen sich von Beginn weg festlegen, für welche Form der Volksinitiative sie Unterschriften sammeln. An-

4833

dererseits hat die Bundesversammlung auch nicht das Recht, eine formulierte Verfassungsinitiative nachträglich als allgemeine Volksinitiative ­ und umgekehrt ­ zu deklarieren.

Abs. 3 Wenn die Bundesversammlung mit der Initiative einverstanden ist, so hat sie diese auf der entsprechenden Rechtsetzungsstufe umzusetzen. Die Bundesversammlung hat also Handlungsspielraum bezüglich der Rechtsetzungsstufe und der korrekten juristischen Formulierung des Anliegens, nicht jedoch bezüglich der Wiedergabe des materiellen Inhalts. Die entsprechenden Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen unterliegen dem obligatorischen bzw. fakultativen Referendum.

Abs. 4 Absatz 4 ermöglicht, dass die Bundesversammlung bereits in einem frühen Stadium einen Gegenentwurf unterbreiten kann. Bereits in der ersten Abstimmung sollen die Stimmberechtigten über die Initiative und das Gegenprojekt der Bundesversammlung abstimmen können, anstatt zuerst allgemein über das Anliegen zu befinden, um dann erst in einem zweiten Urnengang die konkreten Texte zur Auswahl zu haben.

Dies setzt allerdings voraus, dass die Bundesversammlung in einem solchen Fall das Anliegen der Initianten und Initiantinnen bereits in konkrete Verfassungs- und/oder Gesetzesbestimmungen umsetzt, denn ein konkreter ausgearbeiteter Gegenentwurf der Bundesversammlung kann nicht einer allgemein formulierten Initiative gegenübergestellt werden, sonst herrscht keine «Waffengleichheit». Absatz 4 bezieht sich auf Absatz 3, in welchem deutlich zum Ausdruck kommt, dass allgemeine Volksinitiativen durch Änderungen der Bundesverfassung oder der Bundesgesetzgebung umgesetzt werden. Unter «Änderungen» sind also konkrete Verfassungs- oder Gesetzestexte zu verstehen. Ein Gegenentwurf kann zudem nur dann unterbreitet werden, wenn er auf der gleichen Rechtsetzungsstufe formuliert werden kann wie das Anliegen der Initiative, ansonsten haben die beiden Vorlagen in der Volksabstimmung nicht die gleichen Voraussetzungen: Einer auf der Verfassungsstufe umgesetzten Initiative kann also nicht ein Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe gegenübergestellt werden.

Je nachdem, auf welcher Rechtsetzungsstufe das Anliegen umgesetzt wird bzw. der Gegenentwurf formuliert wird, haben Volk und Stände bzw. nur das Volk darüber zu befinden. Auch bei Gesetzesänderungen wird sich das Volk somit letztlich über
drei Varianten äussern können: status quo, Initiative und Gegenvorschlag. Ist die Umsetzung der Volksinitiative sowohl auf Verfassungs- und Gesetzesebene vorzunehmen, so haben sich Volk und Stände vorerst über die Varianten zur Verfassungsbestimmung auszusprechen (vgl. dazu die Ausführungen unter Ziffer 2.3.2.4).

Abs. 5 Absatz 5 regelt das Verfahren, wenn die Bundesversammlung mit der Initiative nicht einverstanden ist und ihr keinen Gegenentwurf gegenüberstellen will. In diesem Fall ist eine Volksabstimmung über die allgemeine Volksinitiative durchzuführen, ohne dass deren Anliegen bereits in Verfassungs- oder Gesetzesbestimmungen umgesetzt werden. Erst wenn die Mehrheit der Stimmenden dem Anliegen zustimmt, hat die

4834

Bundesversammlung diese Umsetzung vorzunehmen. In der Vorabstimmung über den Grundsatz ist nur das Volks-, nicht aber das Ständemehr notwendig. Wird für die Umsetzung des Anliegens eine Verfassungsänderung notwendig sein, werden sich in der zweiten Phase auch die Stände zu dieser äussern können.

Übersicht über die verschiedenen Verfahren bei der allgemeinen Volksinitiative, je nach Stellungnahme der Bundesversammlung Konkret gibt es die folgenden drei Möglichkeiten, wie eine allgemeine Volksinitiative behandelt werden kann: 1. Die Bundesversammlung ist mit dem Anliegen der Initianten und Initiantinnen einverstanden (Abs. 3): ­

Ausarbeitung von die Initiative umsetzenden Verfassungs- und/oder Gesetzesbestimmungen durch die Bundesversammlung.

­

Abstimmung von Volk und Ständen über Verfassungsänderungen.

­

Allenfalls Volksabstimmung über Gesetzesänderungen, wenn das Referendum ergriffen wird.

2. Die Bundesversammlung kann der Initiative nicht zustimmen, möchte ihr aber einen Gegenentwurf gegenüberstellen (Abs. 4): ­

Ausarbeitung von die Initiative umsetzenden Verfassungs- oder Gesetzesbestimmungen durch die Bundesversammlung.

­

Ausarbeitung eines Gegenentwurfs auf der der Initiative entsprechenden Rechtsetzungsstufe durch die Bundesversammlung.

­

Abstimmung von Volk und Ständen über Verfassungsänderungen nach dem System des «Doppelten Ja».

­

Volksabstimmung über Gesetzesänderungen nach dem System des «doppelten Ja».

3. Die Bundesversammlung ist mit dem Anliegen der Initianten und Initiantinnen nicht einverstanden und will der Initiative auch keinen Gegenvorschlag unterbreiten (Abs. 5): ­

Volksabstimmung über die allgemeine Volksinitiative (Grundsatzabstimmung: soll das Anliegen der Initiative umgesetzt werden oder nicht?)

­

Falls Volksabstimmung negativ: Die Initiative ist erledigt.

­

Falls Volksabstimmung positiv: Die Bundesversammlung arbeitet die Verfassungs- und/oder Gesetzesänderungen aus, welche die Initiative umsetzen.

­

Abstimmung von Volk und Ständen über Verfassungsänderungen.

­

Allenfalls Volksabstimmung über Gesetzesänderungen, wenn das Referendum ergriffen wird.

4835

Art. 139b

Verfahren bei Initiative und Gegenentwurf

Abs. 1 und 2 Da das Verfahren bei Initiative und Gegenentwurf neu bei mehreren Verfahren zur Anwendung kommt, soll es in einem speziellen Artikel geregelt werden. Die Formulierungen in den Absätzen 1 und 2 lehnen sich an Artikel 139 Absatz 6 der geltenden Verfassung an. In Absatz 1 muss jedoch klargestellt werden, dass die Bundesversammlung nicht nur einer Initiative, sondern auch der von ihr vorgenommenen Umsetzung einer Initiative gemäss Artikel 139a Absatz 4 einen Gegenentwurf gegenüberstellen kann. In Absatz 1 ist zudem nicht mehr von Volk und Ständen, sondern von den Stimmberechtigten die Rede, da es sich ja um Initiativen sowohl auf Verfassungs- wie auch auf Gesetzesstufe handeln kann. In Absatz 3 wird dann klargestellt, dass bei Verfassungsänderungen das Mehr von Volk und Ständen verlangt wird.

Abs. 3 Die Überarbeitung der Bestimmung betreffend das Verfahren bei Initiativen und Gegenentwurf erlaubte es, eine kleine Korrektur gegenüber dem geltenden Verfassungsrecht vorzunehmen. Die geltende Regelung sieht vor, dass keine der Vorlagen in Kraft tritt, wenn in der Stichfrage (nachdem beide Vorlagen von Volk und Ständen angenommen worden sind) die eine Vorlage mehr Standes- und die andere mehr Volksstimmen erzielt. Dies ist unbefriedigend, sind doch beide Vorlagen von einer Mehrheit von Volk und Ständen gutgeheissen worden. Als Resultat bleibt hingegen der Status quo, den nur eine Minderheit von Volk und Ständen gewollt hat. Neu soll in einem solchen Fall diejenige Vorlage in Kraft treten, bei welcher der prozentuale Anteil der Volksstimmen und der prozentuale Anteil der Standesstimmen in der Stichfrage die grössere Summe ergeben. Sprechen sich also auf der einen Seite 55% des Volkes für die Initiative und 45% für den Gegenentwurf aus, und auf der anderen Seite 40% der Stände für die Initiative und 60% für den Gegenentwurf, dann tritt der Gegenentwurf in Kraft (Summe beim Gegenentwurf = 105, Summe bei der Initiative = 95).

Art. 140

Obligatorisches Referendum

Abs. 2 Bst. abis Diese Neuerung ergibt sich aus der Möglichkeit, dass die Bundesversammlung allgemeinen Volksinitiativen einen Gegenentwurf gegenüberstellen kann. Das Volk muss sich dazu äussern können, ob es die Version der Initianten oder der Bundesversammlung vorzieht, unabhängig davon, ob das Anliegen auf Verfassungs- oder Gesetzesebene umgesetzt wird.

Abs. 2 Bst. b Hier wird die Volksinitiative in der Form der allgemeinen Anregung durch die allgemeine Volksinitiative ersetzt.

4836

Art. 141

Fakultatives Referendum

Abs. 1 Wenn bei den Initiativinstrumenten die Sammelfrist neu auf Verfassungsebene verankert wird, hat dies auch beim Referendum zu geschehen. Die Sammelfrist von 100 Tagen entspricht der geltenden Regelung in Artikel 59 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte.

Abs. 1 Bst. d. Ziff. 3 Die Bestimmung enthält drei Neuerungen: 1.

Die Multilateralität ist kein Kriterium mehr dafür, ob ein Staatsvertrag dem Referendum unterstellt wird oder nicht.

2.

Der Umfang des durch den Staatsvertrag neu geschaffenen Rechts spielt keine Rolle mehr für die Unterwerfung unter das Referendum.

3.

Es sollen auch Staatsverträge dem Referendum unterstellt werden, die nicht direkt anwendbar sind, jedoch zum Erlass von Bundesgesetzen verpflichten.

Staatsverträge sind immer dann dem Referendum zu unterstellen, wenn sie 1.

wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten, oder

2.

zum Erlass von Bundesgesetzen verpflichten.

Damit wird bezüglich des Referendums eine Parallelität zwischen inner- und zwischenstaatlicher Gesetzgebung hergestellt: Wichtige rechtsetzende Normen sind dem Referendum zu unterstellen (vgl. die Begründung in Ziff. 2.3.3.2).

Abs. 2 Die Ausdehnung des Staatsvertragsreferendums in Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 erlaubt es, auf diese Bestimmung zu verzichten, da nun auch bilaterale Abkommen dem Referendum zu unterstellen sind, sofern sie die entsprechenden Kriterien erfüllen.

Art. 156

Getrennte Verhandlung

Abs. 3 Ein besonderes Problem kann sich bei der Umsetzung einer allgemeinen Volksinitiative durch die Bundesversammlung stellen, wenn sich die beiden Räte nicht auf einen Entwurf für die Umsetzung einer vom Volk angenommenen Initiative einigen können. Das Problem bestand bereits bisher bei der Volksinitiative in der Form der allgemeinen Anregung. Artikel 19 des GVG sieht vor, dass die Vorlage abzuschreiben ist, wenn sich die beiden Räte nicht einig werden. Obwohl solche Nullentscheide noch nie vorgekommen sind, ist doch höchst unbefriedigend, dass sie überhaupt möglich sind. Es wird hier deshalb vorgeschlagen, die verfassungsmässige Grundlage dafür zu schaffen, dass auf Gesetzesebene ein Verfahren vorgesehen werden kann, mit dem solche Nullentscheide vermieden werden können. Abweichungen vom Grundsatz der übereinstimmenden Beschlüsse beider Räte sollen deshalb zuläs-

4837

sig sein, wenn es sich um die Frage der Umsetzung einer allgemeinen Volksinitiative handelt.

Gesetzliche Ausnahmen vom Grundsatz der übereinstimmenden Beschlüsse beider Räte sind heute schon ­ ohne eindeutige Verfassungsgrundlage ­ vorgesehen: Artikel 20 Absatz 4 GVG sieht vor, dass im Falle des Scheiterns des Einigungsprozesses beim Budget oder bei Nachträgen der Beschluss der dritten Beratung massgebend wird, welcher den tieferen Betrag oder den tieferen Personalbestand vorsieht. Artikel 24 Absatz 2 GVG sieht vor, dass eine Volksinitiative gültig ist, wenn ein Rat zweimal die Gültigkeit bejaht hat.

In diesem neuen Absatz 3 sind abschliessend alle Fälle aufzulisten, bei denen vom Grundsatz der übereinstimmenden Beschlüsse beider Räte abgewichen werden darf, bzw. abgewichen werden muss, damit ein Beschluss zu Stande kommt. Es geht dabei um Akte der Bundesversammlung, die in Kraft treten und endgültige Wirkung entfalten sollen. Verfahrensentscheide (z.B. Nichteintreten) fallen nicht unter die Bestimmung von Artikel 156. Neben Beschlüssen zur Umsetzung von allgemeinen Volksinitiativen und betreffend die Gültigkeit von Volksinitiativen sind hier deshalb auch Beschlüsse zur Umsetzung einer vom Volk beschlossenen Totalrevision sowie Beschlüsse über den Voranschlag oder über Nachträge aufzuführen (Art. 20 Abs. 4 GVG).

Im Hinblick auf die entsprechende Gesetzgebung ist klar festzuhalten, dass der in Artikel 148 Absatz 2 BV festgehaltene Grundsatz der Gleichstellung der beiden Kammern zu beachten ist. Eine gesetzliche Regelung, welche vorsieht, dass gewisse Entscheide abschliessend vom Nationalrat oder vom Ständerat gefällt werden dürfen, ist demnach nicht zulässig. Zwar ist bei den bereits bestehenden gesetzlichen Ausnahmebestimmungen betreffend Ungültigkeitserklärung bei Volksinitiativen und bei der Verabschiedung des Budgets der Entscheid einer Kammer abschliessend, wobei dieser Entscheid aber einmal durch diese, das andere mal durch die andere Kammer gefällt werden kann. Es wird somit keiner Kammer zum vornherein die abschliessende Kompetenz zugesprochen.

Art. 189

Verfassungsgerichtsbarkeit

Abs. 1 Bst. abis Die Bestimmung ermöglicht die Stimmrechtsbeschwerde bei der allgemeinen Volksinitiative. Wer der Ansicht ist, die Bundesversammlung habe eine allgemeine Volksinitiative nicht gemäss ihrem Wortlaut und den darin enthaltenen Absichten umgesetzt, kann mit einer Beschwerde an das Bundesgericht gelangen.

Auf Gesetzesebene könnte die Stimmrechtsbeschwerde wie folgt ausgestaltet werden. Zur Beschwerde legitimiert wäre jeder Stimmberechtigte, das Initiativkomitee, politische Parteien und sonstige politische Vereinigungen. Die Beschwerde müsste innerhalb von 30 Tagen seit der amtlichen Veröffentlichung des Erlasses eingereicht werden. Wenn das Bundesgericht die Beschwerde gutheisst, geht der Erlass zur Neuberatung an die Bundesversammlung zurück. Wird die Beschwerde abgewiesen, oder ist die Beschwerdefrist unbenutzt abgelaufen, so wird der Erlass nochmals im Bundesblatt publiziert und eine Referendumsfrist angesetzt.

4838

4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Es ist nicht davon auszugehen, dass die hier vorgeschlagenen Verfassungsänderungen relevante finanzielle Auswirkungen haben werden. Die Vorlage ist so konzipiert, dass nicht mit einer Zunahme der Urnengänge zu rechnen ist und keine entsprechenden zusätzlichen Ausgaben entstehen.

4.2

Auswirkungen auf die Gesetzgebung

Die Einführung der allgemeinen Volksinitiative wird verschiedene Anpassungen des Geschäftsverkehrsgesetzes (bzw. des das Geschäftsverkehrsgesetz ablösenden Parlamentsgesetzes, vgl. Gesetzesentwurf der SPK des Nationalrates vom 1. März 2001) und des Bundesgesetzes über die politischen Rechte erfordern. Konkret sind die Bestimmungen, welche das Verfahren für die Partialrevision in Form der allgemeinen Anregung regeln, zu ersetzen durch die Bestimmungen betreffend die allgemeine Volksinitiative. Dies betrifft sowohl das Verfahren im Parlament (Geschäftsverkehrsgesetz), als auch die Regelung der Unterschriftensammlung und der Volksabstimmung (Bundesgesetz über die politischen Rechte). In diesem Bericht ist bereits an verschiedenen Stellen auf notwendige Anpassungen hingewiesen worden. Die Einführung der Stimmrechtsbeschwerde bei der allgemeinen Volksinitiative erfordert eine Regelung des Verfahrens im Organisationsgesetz des Bundesgerichtes (vgl. die Ausführungen zu Art. 189 BV).

5

Form der Präsentation der Vorschläge (Einheit der Materie)

Die Kommission hat sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, wie die Reformvorschläge formell präsentiert werden sollen. Sollen die hier unterbreiteten Reformvorschläge nach Sachgebiet getrennt als einzelne Partialrevisionen oder als Reformpaket vorgelegt werden? Wenn die Variante «Reformpaket» gewählt wird, dann muss geklärt werden, ob die Vorschläge dem Kriterium der Einheit der Materie genügen und im Rahmen einer Partialrevision vorgelegt werden können (Art. 194 BV) oder ob eine Totalrevision der Bundesverfassung durchgeführt werden muss (Art.

193 BV).

Theoretisch gibt es die folgenden drei Varianten: 1.

Die Reformvorschläge werden thematisch gegliedert und im Rahmen einzelner Bundesbeschlüsse vorgelegt. Denkbar wären zum Beispiel ein «Bundesbeschluss über die Einführung der allgemeinen Volksinitiative», ein «Bundesbeschluss über die Ergänzung des Staatsvertragsreferendums» sowie ein «Bundesbeschluss über die Verkürzung der Sammelfristen für Volksinitiativen». Der Vorteil dieses Vorgehens liegt darin, dass sich die Abstimmenden differenziert zu den einzelnen Sachfragen äussern können. Der Nachteil liegt darin, dass das parlamentarische Verfahren weniger offen ist, indem Minderheits- und Einzelanträge nur zu den konkreten Einzelfragen eingereicht werden können. Ein weiterer Nachteil ist darin zu sehen, dass die 4839

Darstellungsweise sehr kompliziert würde, indem verschiedene Elemente ein und desselben Verfassungsartikels in verschiedenen Bundesbeschlüssen zu regeln wären.

2.

Aus der Praxis der Bundesbehörden lässt sich folgern, dass die Einheit der Materie in zwei Fällen nicht gegeben ist: Erstens, wenn eine Vorlage ein politisches Programm mit unterschiedlichen Zielen und Instrumenten enthält, die zueinander keinen ausreichenden Bezug aufweisen; zweitens, wenn sie zwei unterschiedliche Bereiche staatlichen Handelns betrifft wie zum Beispiel die soziale Sicherheit und die Armee. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus denkbar, die vorliegenden Verfassungsänderungen in einem «Bundesbeschluss über die Änderung der Volksrechte» zu präsentieren. Es handelt sich nämlich um Vorschläge, die gemäss dem in der parlamentarischen Initiative 99.436 formulierten Auftrag dazu beitragen sollen, gewisse Mängel der Volksrechte zu beseitigen. Es gibt also eine gemeinsame Klammer: das direktdemokratische Instrumentarium soll mit den gemachten Vorschlägen wieder «à jour» gebracht werden. Der Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass der parlamentarische Prozess bis zum Ende der parlamentarischen Phase offen ist, d.h. es können auch zu einem späten Zeitpunkt noch weitere Anliegen eingebracht werden, welche dasselbe Ziel ­ die Beseitigung von Mängeln der Volskrechte ­ verfolgen. Die Abstimmenden hingegen werden sich in diesem Verfahren nur zum Paket als Gesamtes äussern können. Es besteht eine gewisse Gefahr der Kumulation von Neinstimmen.

3.

Als dritte Variante steht auch das Verfahren der Totalrevision der Bundesverfassung offen. Dieses ist dann zu wählen, wenn die Vorschläge als Paket vorgelegt werden sollen und die Vorschläge dem Erfordernis der Einheit der Materie nicht genügen. Beim Verfahren der Totalrevision der Bundesverfassung ist zu beachten, dass eine Volksabstimmung über die Grundsatzfrage, ob eine Totalrevision der Bundesverfassung durchgeführt werden soll, stattfinden muss, wenn sich die beiden Räte nicht einigen können. Spricht sich das Volk für eine Totalrevision aus, dann sind die Räte neu zu bestellen (Art.

193 Abs. 2 und 3 BV). Es ist die Frage zu stellen, ob für eine derart begrenzte Thematik tatsächlich das Verfahren der Totalrevision Anwendung finden soll.8 In Bezug auf die Meinungsäusserungsmöglichkeiten der Stimmberechtigen und die Kumulation der Nein-Stimmen stellen sich die gleichen Probleme wie bei der paketweisen Teilrevision.

Die Kommission ist der Ansicht, dass die Vorschläge in einem Paket präsentiert werden sollen. Der parlamentarische Prozess soll möglichst offen geführt werden können. Sie präsentiert deshalb die Vorschläge in Form eines «Bundesbeschlusses über die Änderung der Volksrechte».

Zur Frage, ob die Vorschläge im Rahmen einer Partialrevision präsentiert werden können, liegt ein Gutachten des Bundesamtes für Justiz vor. Dieses basiert zwar auf den Vorschlägen der Subkommissionen. Die Anträge der SPK des Ständerates entsprechen jedoch ­ mit Ausnahme der Verkürzung der Sammelfristen für Volks8

Das Beispiel der Justizreform zeigt, dass eine derartige «Totalrevision» in der Praxis doch als Teilrevision wahrgenommen wird. Das findet seinen Ausdruck zum Beispiel darin, dass die Bundesverfassung heute immer noch das Datum «18. April 1999» führt, obwohl sie am 12. März 2000 erneut totalrevidiert worden ist.

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initiativen ­ weitgehend den Vorschlägen der Mehrheit der Subkommissionen. Das Bundesamt kommt in seinem Gutachten vom 31. Oktober 2000 zum Schluss, dass die Anträge der Subkommissionsmehrheiten im Rahmen einer Partialrevision der Bundesverfassung verwirklicht werden können. Im Gutachten wird argumentiert, dass die Anträge ein Ziel (Beseitigung von Mängeln) innerhalb eines Bereichs (Volksrechte) mit mehreren Mitteln verfolgen. Nach der Praxis der Bundesbehörden könnten diese Mittel auch im Rahmen einer Teilrevision verwirklicht werden. Die SPK hält fest, dass auch die von ihr zusätzlich eingebrachte Neuerung der Verkürzung der Sammelfristen die Beseitung eines Mangels ­ nämlich der zu langen Entscheidungsprozesse beim Verfahren bei Volksinitiativen ­ zum Ziel hat.

Die SPK ist deshalb der Ansicht, dass das Verfahren einer paketweisen Teilrevision dem Verfahren einer Totalrevision eindeutig vorzuziehen ist. Die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen sind thematisch einem klaren Bereich zuzuordnen und verfolgen ein Ziel, nämlich die Beseitigung von Mängeln der Volksrechte. Eine Totalrevision der Verfassung ist deshalb kaum gerechtfertigt. Ein inflationärer Gebrauch des Verfahrens der Totalrevision ist zu verhindern. Die Behörden könnten sonst in Versuchung geraten, dieses Verfahren auch dann zu wählen, wenn sie mehrere Verfassungsbestimmungen politisch verknüpft haben möchten, auch wenn sachlich nicht unbedingt ein Zusammenhang gegeben ist.

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