00.091 Aussenpolitischer Bericht 2000 Präsenz und Kooperation: Interessenwahrung in einer zusammenwachsenden Welt vom 15. November 2000

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Aussenpolitischen Bericht 2000 und ersuchen Sie, davon Kenntnis zu nehmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

15. November 2000

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

11258

Der Bundespräsident: Adolf Ogi Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2000-2363

261

Vorwort Die internationalen Entwicklungen der letzten zehn Jahre und deren Auswirkungen auf die Schweiz geben Anlass zu einer Rechenschaft über die Aussenpolitik der Neunzigerjahre sowie zur Festlegung von Schwerpunkten für die kommenden Jahre.

Mit dem vorliegenden Bericht hält der Bundesrat an den umfassenden Zielsetzungen fest, die er in seinem Aussenpolitischen Bericht aus dem Jahre 1993 definiert hatte und die von Volk und Ständen mit der neuen Bundesverfassung am 18. April 1999 gutgeheissen wurden. Einzelne aussenpolitische Tätigkeitsbereiche möchte er aber bezüglich Zielsetzung und Mitteleinsatz vertiefen und an passen.

Viele der internationalen Trends, die sich zu Beginn der Neunzigerjahre abzeichneten, haben sich in den letzten Jahren bestätigt und verstärkt. Nach dem Ende des Kalten Kriegs ist das weltpolitische Gefüge unübersichtlicher geworden. Die Stellung der USA als einzige global handlungsfähige Grossmacht ist zentral und mit ein Grund, weshalb sich die Europäische Union um eine Stärkung ihres aussenund sicherheitspolitischen Profils bemüht. Weltweit werden neue Akteure das weltpolitische Geschehen im kommenden Jahrzehnt stärker als bisher mitbestimmen.

Doch welche Formen und Strukturen diese multipolare Welt annehmen wird, ist heute nicht erkennbar.

Die Globalisierung unserer Lebensverhältnisse wird weiter fortschreiten. Die Annahme aber, dass dieser Vorgang automatisch auch zu einer wachsenden Annäherung der Völker und Nationen führen wird, könnte sich als Täuschung erweisen.

Vielmehr macht die Globalisierung die kulturelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Diversität der Welt sichtbarer, das Gefälle zwischen Völkern und Regionen augenfälliger. Spannungen werden nicht ausbleiben. Deshalb müssen die Anstrengungen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und die interkulturelle Verständigung in Zukunft verstärkt werden.

Neue Entwicklungen scheinen den Handlungsspielraum der Staaten zurückzudrängen. Die Globalisierung der Wirtschaftstätigkeiten, Informatik und Kommunikation, wissenschaftliche Entwicklungen im Bereich der Biologie, der Einfluss der Medien gehören dazu, aber auch die wachsende Bedeutung des internationalen organisierten Verbrechens.

Nicht alle diese Entwicklungen bedürfen der staatlichen Einflussnahme; doch für einige unter ihnen sind wirksamere
internationale Zusammenarbeit und Rahmenbedingungen dringlich geboten.

Die Globalisierung der Lebensbereiche erfordert die Aufrechterhaltung und den Ausbau eines handlungsfähigen internationalen Systems. Die Vereinten Nationen sind der einzige Rahmen, der zur Erörterung und Lösung globaler Probleme unter Einbezug aller Staaten zur Verfügung steht. Das wachsende Bedürfnis nach der Bildung regionaler Staatengemeinschaften ist im gleichen Zusammenhang zu sehen.

Aus der Sicht der meisten europäischen Staaten bildet die Europäische Union die geeignete Handlungsebene, auf der Europa den soeben beschriebenen Entwicklungen wirksam begegnen kann.

262

Internationale Gefährdungen und Chancen machen auch vor der Schweiz nicht Halt. Unser Land hat die Kraft und die Vitalität, auf viele Herausforderungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Natur eigenständig zu reagieren.

Doch zur wirksamen und nachhaltigen Lösung der grossen Fragen dieser Zeit ist die Schweiz auf die Zusammenarbeit mit anderen Staaten angewiesen, vorab mit den europäischen Nachbarn und Partnern. Selbstgerechtigkeit und Absenz können wichtige Interessen des Landes gefährden. Die starke Abhängigkeit von der Aussenwirtschaft macht die Schweiz verletzlich, weshalb sie sich stets die Frage vor Augen halten muss, welchen Preis ihr institutionelles Abseitsstehen von wichtigen Institutionen, vor allem ihr Fernbleiben von der Europäischen Union, hat.

Aussenpolitik ist Interessenpolitik. Doch die Wahrung der Landesinteressen kann nicht die einzige Richtschnur des aussenpolitischen Handelns sein. Angesichts der globalen Probleme wie Armut, Zunahme innerstaatlicher Konflikte, Umweltzerstörung und Migration muss das aussenpolitische Handeln auch die Verantwortung zum Ausdruck bringen, welche die Schweiz als Teil der Staatengemeinschaft wahrzunehmen hat. Auch Interessenpolitik muss sich nach ethischen Grundsätzen richten. Zwischen Interessenwahrung und ethischen Grundsätzen können Spannungen auftreten, insbesondere dann, wenn wirtschaftliche Interessen in Einklang zu bringen sind mit dem Ziel, eine gerechtere, friedlichere Welt mitzugestalten. Dieses Spannungsverhältnis wird besonders deutlich bei der Frage, ob und auf welche Weise Wirtschaftsbeziehungen zu Staaten unterhalten werden, in denen Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Aus einer kurzfristigen Optik ergeben sich Reibungspunkte. Allerdings ist dieses Spannungsverhältnis aus langfristiger Optik auflösbar, denn unbestrittenermassen stellt zwar eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung die Grundlage für Bestrebungen zur Stärkung der guten Regierungsführung, zur Achtung der Menschenrechte und des Rechtsstaats dar ­ die Achtung dieser Grundsätze ist aber auch ihrerseits eine Voraussetzung für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung.

Ähnliches gilt auch für die Diskussionen über den Finanzplatz Schweiz. Ein starker und wettbewerbsfähiger Finanzplatz ist ein wichtiger Bestandteil der schweizerischen
Volkswirtschaft und eine der Grundlagen unseres Wohlstands. Als einer der Standortfaktoren, welche den Erfolg eines Finanzplatzes begünstigen, gilt heute aber auch die Integrität. Diese Zielsetzung ist somit eine Voraussetzung für einen auch in Zukunft erfolgreichen Finanzplatz. Es ist nicht auszuschliessen, dass unser Land im Zusammenhang mit den weltweiten Bestrebungen zur Bekämpfung der Finanzkriminalität und des Missbrauchs von Finanzzentren in den nächsten Jahren noch verstärkt exponiert sein wird. Indem die Schweiz auf die Integrität ihres Finanzplatzes Wert legt und sich weiterhin für die wirksame internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von illegalen und missbräuchlichen Finanzgeschäften einsetzt, kann sie ihre Interessen bestmöglich vertreten.

Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass die Interessen unseres Landes dann wirksam vertreten werden, wenn die aussenpolitischen Tätigkeiten darauf ausgerichtet sind, die Unabhängigkeit der Schweiz durch die Wahrung eines möglichst grossen Handlungsspielraums zu stärken. Gleichzeitig ist sich der Bundesrat der internationalen Verantwortung bewusst, die unserem Land zukommt. Interessen

263

und Verantwortung will er durch verstärkte Präsenz und eine intensivierte Zusammenarbeit auf der internationalen Bühne wahrnehmen. Auf diese Weise kann der Bundesrat die Ziele der Bundesverfassung und die Schwerpunkte seiner Aussenpolitik bestmöglich umsetzen und damit zu Frieden, Achtung der Menschenrechte, Wohlstand, Verminderung der Armut und Erhaltung der Umwelt beitragen.

264

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

262

1 Einleitung 1.1 Aussagen und Ziele des «Berichts über die Aussenpolitik der Schweiz in den Neunzigerjahren» 1.2 Zusammenfassung der aussenpolitischen Aktivitäten in den Neunzigerjahren 1.2.1 Ausweitung des aussenpolitischen Handlungsspielraums der Schweiz 1.2.2 Erhöhung des aussenpolitischen Handlungsbedarfs der Schweiz 1.2.3 Bestrebungen zur Wahrung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 1.2.4 Einsicht in die zunehmende Verletzlichkeit der Schweiz 1.3 Zweck des vorliegenden Berichts

267

2 Internationale Herausforderungen 2.1 Das globale Umfeld 2.1.1 Strukturelle Veränderungen 2.1.2 Globale Probleme 2.1.3 Akteure in der internationalen Politik 2.2 Das europäische Umfeld 2.2.1 Europäische Union 2.2.2 Europäische Sicherheitsarchitektur 2.2.3 Problemzonen in Europa und in Europas Nachbarschaft 2.3 Internationale Herausforderungen der Zukunft 2.3.1 Frieden 2.3.2 Wohlstand und Armut 2.3.3 Leben im digitalen Zeitalter 2.3.4 Folgerungen

276 276 276 277 281 285 285 286 287 289 289 290 291 291

3 Leitlinien, Ziele und Schwerpunkte der schweizerischen Aussenpolitik im neuen Jahrzehnt 3.1 Leitlinien 3.1.1 Visionen und Realitäten 3.1.2 Rahmenbedingungen, Grundsätze und Entscheidungsprozesse 3.2 Ziele und Schwerpunkte 3.2.1 Friedliches Zusammenleben der Völker 3.2.2 Achtung der Menschenrechte und Förderung der Demokratie 3.2.3 Wirtschaftliche Interessenwahrung 3.2.4 Linderung von Not und Armut in der Welt 3.2.5 Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen 3.3 Institutionelle Mittel zur Durchsetzung der Schwerpunkte 3.3.1 Multilaterale Politik 3.3.2 Supranationale Politik: Beitritt zur EU

292 292 292 293 299 299 303 306 310 312 313 313 316

267 268 269 269 272 272 273

265

3.4 Geografische Schwerpunkte der bilateralen Politik 3.4.1 Bilaterale Beziehungspflege in Europa und weltweit 3.4.2 Südost- und Osteuropa 3.4.3 Mittelmeerraum 4 Schlusswort

320 320 323 324 325

Anhang Die schweizerische Aussenpolitik der Neunzigerjahre im Rückblick 1 Stellung und Ansehen der Schweiz in der Welt

326

2 Aktivitäten der schweizerischen Aussenpolitik in den Neunzigerjahren 2.1 Wahrung und Förderung von Sicherheit und Frieden 2.1.1 Sicherheitspolitik 2.1.2 Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik 2.1.3 Friedensförderung 2.1.4 Gute Dienste 2.1.5 Ostzusammenarbeit 2.1.6 Humanitäre Hilfe 2.1.7 Migrationspolitik 2.2 Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat 2.2.1 Gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie 2.2.2 Menschenrechtspolitik 2.2.3 Humanitäres Völkerrecht 2.3 Förderung der Wohlfahrt 2.3.1 Standort Schweiz 2.3.2 Europäische Integrationspolitik 2.3.3 Weltwirtschaftssystem 2.3.4 Internationales Finanzsystem 2.4 Abbau sozialer Gegensätze 2.5 Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen

328 328 328 331 332 334 335 336 337 339 339 339 341 342 342 344 345 347 348 350

3 Besondere Instrumente der schweizerischen Aussenpolitik 3.1 Neutralität 3.2 Internationales Genf

352 352 353

4 Interessenwahrungsaufgaben und Dienstleistungen

355

266

Bericht 1

Einleitung

1.1

Aussagen und Ziele des «Berichts über die Aussenpolitik der Schweiz in den Neunzigerjahren»

Die Zeit vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1989 war gekennzeichnet durch den Gegensatz zwischen Ost und West, der sich seinerseits stark auf die Beziehungen zwischen Nord und Süd auswirkte. Die internationalen Rahmenbedingungen der späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre wurden durch folgende Ereignisse geprägt: ­

Die Sowjetunion und Jugoslawien fielen auseinander ­ in kurzer Zeit entstanden fast 20 neue Staaten im Osten Europas.

­

Die USA wurden zur einzigen global handlungsfähigen Grossmacht.

­

Der Warschauer Pakt wurde aufgelöst, was zu einer völligen Neuorientierung in der internationalen Sicherheitspolitik führte.

­

Die Europäische Union vollendete ihren Binnenmarkt und wurde zur wichtigsten politischen Kraft auf dem Kontinent.

­

Deutschland vollzog seine Wiedervereinigung.

­

Südafrika befreite sich vom Apartheidregime.

­

Die ideologisch bedingte Blockierung der UNO, insbesondere des UNOSicherheitsrates, konnte weitgehend überwunden werden.

­

Die Nord­Süd-Zusammenarbeit wurde mittels verschiedener internationaler Konferenzen auf neue Grundlagen gestellt.

Der «Bericht über die Aussenpolitik der Schweiz in den Neunzigerjahren» vom 29. November 1993 (Aussenpolitischer Bericht 93) beschrieb die grundlegenden Umwälzungen des damaligen Umfeldes und legte den Rahmen für die künftige Politik der Schweiz fest. Leitmotiv des Aussenpolitischen Berichts 93 war die Erkenntnis, dass Selbstbestimmung heute nur durch umfassende Mitwirkung und Mitbestimmung auf internationaler Ebene gewahrt werden kann. Wichtige Entscheidungen, die unser Land betreffen, werden immer häufiger nicht bei uns und von uns getroffen. Durch internationale Mitwirkung gestaltet unser Land die internationalen Rahmenbedingungen mit und stärkt seine Handlungsfähigkeit, den Platz der Schweiz in der Staatengemeinschaft sowie die schweizerische Identität.

Dem Aussenpolitischen Bericht 93 lagen folgende Überlegungen zu Grunde: ­

Aussenpolitik ist Teil der Gesamtpolitik. Sie befasst sich mit allen Tätigkeiten und Entwicklungen, die eine grenzüberschreitende Dimension haben und bündelt die nach aussen gerichteten Tätigkeiten mit dem Ziel bestmöglicher Kohärenz zwischen Innen- und Aussenpolitik, zwischen verschiedenen Teilbereichen sowie zwischen Zielen, Mitteln und Instrumenten der Aussenpolitik.

­

Aussenpolitik ist Interessenpolitik. Sie bezweckt, die politische und wirtschaftliche Stellung der Schweiz in der Welt zu sichern und zu stärken.

267

­

Aussenpolitik ist Übernahme von Verantwortung. Die ethischen Grundsätze der schweizerischen Aussenpolitik finden ihren Ausdruck in der humanitären Tradition unseres Landes, im Einsatz für Wahrung und Förderung von Sicherheit, Frieden, Solidarität und Wohlfahrt in der Welt sowie in der Mitwirkung an der Verbesserung der Handlungsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft.

­

Aussenpolitik stützt sich schliesslich auf das Recht als Schutz kleinerer Staaten. Diese haben ein besonderes Interesse daran, dass sich die internationalen Beziehungen auf der Grundlage und im Rahmen einer allgemein anerkannten Rechtsordnung abspielen. Der Einsatz für das Völkerrecht ist deshalb eine Konstante der schweizerischen Aussenpolitik.

Vor dem im Aussenpolitischen Bericht 93 beschriebenen Hintergrund hatte der Bundesrat die folgenden fünf Ziele der schweizerischen Aussenpolitik definiert:

Abbau sozialer Gegensätze

Wahrung und Förderung von Sicherheit und Frieden

Förderung der Wohlfahrt

Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat

Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen

Dieser Ansatz bleibt nach wie vor von grosser Aktualität. Die mit den fünf aussenpolitischen Zielen angestrebten Inhalte der schweizerischen Aussenpolitik werden daher auch für das kommende Jahrzehnt gültig bleiben.

1.2

Zusammenfassung der aussenpolitischen Aktivitäten in den Neunzigerjahren

Die internationalen Entwicklungen der Neunzigerjahre standen zwar nicht ausschliesslich, aber doch vorwiegend im Zeichen der Grossen Wende von 1989. Der Zusammenbruch kommunistischer Herrschaftsverhältnisse, die Vereinigung der beiden Deutschland, die Auflösung der Sowjetunion sowie der Zerfall des früheren Jugoslawien waren die herausragenden Ereignisse zu Beginn des letzten Jahrzehnts.

Die Entstehung zahlreicher neuer Staaten in Europa, die Bildung neuer Sicherheitsstrukturen, die Erweiterungspläne der Europäischen Union sowie die wachsende aussen- und sicherheitspolitische Dominanz der USA waren die wichtigsten Folgen.

268

1.2.1

Ausweitung des aussenpolitischen Handlungsspielraums der Schweiz

Das Ende des Kalten Kriegs hat den aussenpolitischen Handlungsspielraum der Schweiz in den letzten zehn Jahren zweifellos erweitert. Unser Land hat davon vor allem im sicherheitspolitischen Bereich mit folgenden Schritten Gebrauch gemacht: ­

Die Beteiligung an internationalen Sanktionen, welche die Vereinten Nationen im Rahmen des Systems kollektiver Sicherheit ergriffen.

­

Die Teilnahme an der Partnerschaft für den Frieden, für welche sich der Bundesrat 1996 entschied.

­

Die Mitwirkung an friedenserhaltenden Aktionen im UNO- oder OSZERahmen.

­

Die Verstärkung der Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Staaten im Bereich menschliche Sicherheit.

Mit diesem erweiterten Handlungsspielraum gelang es, bei der Neuordnung der gesamteuropäischen Sicherheitsordnung einen der Schweiz angemessenen Platz zu finden. Mit den erwähnten Massnahmen hatte der Bundesrat auch die wesentlichen Schlussfolgerungen des Sicherheitspolitischen Berichts 2000 vorweggenommen, der grössere Sicherheit durch Kooperation anstrebt. In das selbe Kapitel gehört der Vorsitz der OSZE, den die Schweiz im Jahr 1996 inne hatte. Der schweizerische OSZEVorsitz fiel in eine Zeit, in welcher die Organisation mit der Durchführung der Wahlen in Bosnien neue operationelle Aufgaben zu erfüllen hatte und gleichzeitig ihre Mitgliederzahl stark erhöhte.

Dagegen hat das Ende des Ost­West-Gegensatzes keine Auswirkungen auf den integrationspolitischen Spielraum der Schweiz gehabt. Im Gegensatz zu unserem Land hätten beispielsweise Österreich und Finnland zur Zeit des Kalten Kriegs der Europäischen Union kaum beitreten können. Nach dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs stand ihnen diese Option offen und wurde rasch und entschlossen genutzt. Die Schweiz wäre durch die aussen- und sicherheitspolitischen Umstände des Kalten Kriegs nicht an einer Annäherung an die Europäische Union oder an der EUMitgliedschaft gehindert worden. Die Verhandlungen über die Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums hatten Ursprung und Logik nicht in der Grossen Wende von 1989, sondern in der Vollendung des EU-Binnenmarktes. Letztere verstärkte die traditionellen Bestrebungen der EFTA-Staaten, ihre Zusammenarbeit mit der Europäischen Union auf die Dynamik des Binnenmarktes abzustimmen. Im Dezember 1992 verschlossen sich das Schweizer Stimmvolk und die Stände einem Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum. Es gelang erst im Jahr 1998, die Folgen dieser Ablehnung durch den Abschluss von sieben bilateralen Abkommen mit der EU teilweise auszugleichen.

1.2.2

Erhöhung des aussenpolitischen Handlungsbedarfs der Schweiz

Die Abwendung der zentral- und osteuropäischen Staaten von der kommunistischen Herrschaft hin zu politischem Pluralismus und zur Marktwirtschaft und das Entstehen von fast 20 neuen Staaten in dieser Region erforderten die tatkräftige Unterstüt-

269

zung Westeuropas. Die Schweiz leistete von Anfang an namhafte Beiträge an die Transformation dieser Staaten. Die so genannte «Osthilfe» hat unserem Land in den Staaten Zentral- und Osteuropas viel Ansehen eingetragen. Ausbau und Festigung der schweizerischen Beziehungen zur zentral- und osteuropäischen Staatenwelt gehören zu den grossen aussenpolitischen Friedensdividenden des letzten Jahrzehnts.

Unter anderen Vorzeichen stand und steht demgegenüber die starke Präsenz Westeuropas, insbesondere der Schweiz, auf dem Balkan. Der von Krieg und Verbrechen begleitete Zerfall des früheren Jugoslawien ist die grösste Hypothek aus der Zeit der Grossen Wende, und der Balkan wurde während der letzten zehn Jahre zur wichtigsten sicherheitspolitischen Herausforderung unseres Landes. Wegen der Nähe des Konflikts, wegen der dort begangenen Verbrechen gegen Unschuldige und Minderheiten sowie mit Rücksicht auf die bei uns lebenden grossen Volksgruppen aus dem früheren Jugoslawien hat sich die Schweiz von Anfang an zu Gunsten politischer Lösungen im Balkan engagiert. Diplomatische Bemühungen, friedenspolitische Aktivitäten, humanitäre Hilfe, Rückkehrhilfe und Wiederaufbau gehörten ebenso dazu wie ein namhafter sicherheitspolitischer Einsatz und ein starkes Engagement bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen.

Es gab im Verlauf der Neunzigerjahre keine andere Weltgegend, in welcher die Schweiz die ihr zur Verfügung stehenden Mittel derart konzentriert und umfangreich einsetzte wie in Südosteuropa. Ende der Neunzigerjahre beliefen sich die jährlichen Kosten für diesen Einsatz auf eine Grössenordnung von 200 Millionen Franken. Dass unsere Leistungen die Anerkennung der übrigen westeuropäischen Staaten finden, kommt beispielsweise in der Aufnahme der Schweiz in den Stabilitätspakt zum Ausdruck Die weltweit wachsende Zahl innerstaatlicher Konflikte und die Destabilisierung vieler Länder im Süden und im Osten erforderten in den letzten Jahren von der schweizerischen Friedenspolitik ein deutlicheres Profil. Friedenspolitik ist ein umfassender Begriff: Er bezieht sich nicht nur auf die unmittelbar friedensfördernden Massnahmen als solche, sondern auch auf den Beitrag der Entwicklungszusammenarbeit an Frieden und Sicherheit, auf die Leistungen der Sicherheitspolitik oder auf die Förderung nachhaltiger Entwicklung.
Südosteuropa bildete einen Schwerpunkt dieser Friedenspolitik, gefolgt vom südlichen Afrika. Die Leistungen an Frieden und Sicherheit, welche die Schweiz früher unter dem Begriff «Gute Dienste» erbrachte, sind so in eine Politik übergegangen, welche bezüglich Konzeption und Umsetzung einen umfassenderen Ansatz verfolgt.

Nur so kann es unserem Land gelingen, der internationalen Gemeinschaft zu helfen, mit der wachsenden Zahl von Konflikten und Zerfallserscheinungen in vielen Ländern fertig zu werden. Die Schweiz darf für sich in Anspruch nehmen, der internationalen Gemeinschaft in der Friedenspolitik im weitesten Sinne, insbesondere aber in der Flüchtlingspolitik und bei der Rückkehrhilfe, wesentliche Anstösse gegeben zu haben.

Die Umsetzung des Grundsatzes «Hilfe zur Selbsthilfe» ist auf einigermassen stabile Rahmenbedingungen angewiesen. Die Entwicklungspolitik der Schweiz konzentrierte sich im vergangenen Jahrzehnt zunehmend auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen und auf die Schaffung institutioneller Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung. Ihre Aktivitäten sind darauf ausgerichtet, Lern- und Veränderungsprozesse von Gesellschaften und Menschen zu fördern, damit diese längerfristig in die Lage versetzt werden, auf Grund eigener Anstrengungen einen ange-

270

messenen Platz in Gesellschaft und Politik einzunehmen. Dieser umfassende Ansatz bildet den auch international anerkannten Schwerpunkt einer Entwicklungspolitik, die den Partner in einem Entwicklungsland ernst nimmt, auf seine Bedürfnisse eingeht und bestrebt ist, nachhaltige Wirkung zu erzielen.

Die verstärkten Bestrebungen der schweizerischen Menschenrechtspolitik, die im Laufe der Neunzigerjahre zur Ausarbeitung einiger bedeutsamer internationaler Rechtsinstrumente führten, sind ebenfalls hervorzuheben. Zudem wurde der nationale Rechtsrahmen deutlich verbessert und die schweizerische Menschenrechtspolitik hat sowohl bilateral als auch multilateral ein erhebliches Profil gewonnen. Die anerkannte Rolle unseres Landes bei der Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts ist ein weiterer Ausdruck der Überzeugung, dass nur mittels eines verstärkten, von allen anerkannten Rechtsrahmens dauerhafte Verbesserungen der weltweiten humanitären Situation zu erzielen sind.

An Profil hat sodann die schweizerische Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik gewonnen. Für den Abschluss des Übereinkommens über das Verbot chemischer Waffen (1993) sowie des Vertrags über ein umfassendes Verbot der Kernversuche (1996) hat sie sich erfolgreich eingesetzt. Inzwischen ist die Schweiz allen ihr offen stehenden multilateralen Vertragswerken über Rüstungskontrolle und Abrüstung beigetreten und wurde 1996 Vollmitglied der Genfer Abrüstungskonferenz. Zudem ist es unserem Land in enger Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Staaten und Nichtregierungsorganisationen gelungen, mit dem Vertrag über das Verbot von Personenminen zur Verbesserung der menschlichen Sicherheit beizutragen. Schliesslich hat die Schweiz die Problematik schweizerischer Kriegsmaterialexporte mit einer Gesetzesänderung wesentlich entschärfen können.

Die Rolle der schweizerischen Umweltpolitik ist unbestritten. Neben internen Bestrebungen, beispielsweise in der Verkehrspolitik mit der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe, die auch im Ausland Anerkennung und Nachahmung finden, war unser Land an der Ausarbeitung zahlreicher internationaler Rechtsinstrumente im Umweltbereich führend beteiligt (Klimakonvention, Konvention zum Schutz der Biodiversität, Basler Übereinkommen sowie Abkommen im Chemikalienbereich) und hat auf die Ausgestaltung der internationalen
Umweltpolitik massgeblich Einfluss nehmen können. Darüber hinaus setzte sich die Schweiz dafür ein, dass die Umwelt- und Sozialdimension verstärkt in internationalen Rechtsinstrumenten des wirtschafts- und finanzpolitischen Bereichs Berücksichtigung fand.

Die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen wurde in den Neunzigerjahren systematisch weitergeführt. Sie hat heute eine Dichte und Bedeutung erreicht, welche die Absonderlichkeit unserer Nichtmitgliedschaft deutlicher denn je hervortreten lässt. Dieses Abseitsstehen wird angesichts der in den Neunzigerjahren erreichten Universalität der UNO je länger desto unverständlicher. Dass in dieser Zeitspanne Genf als Sitz zahlreicher UNO-Institutionen trotz starker Zunahme weltweiter Konkurrenz kaum an Bedeutung verlor, ist nicht nur das Ergebnis einer aktiven Diplomatie, sondern auch namhafter Leistungen des Bundes und des Kantons Genf, die zur erhöhten Attraktivität des Standortes Genf beigetragen haben.

271

1.2.3

Bestrebungen zur Wahrung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit

In den Neunzigerjahren hat unser Land erhebliche Anstrengungen zur Wahrung und zum Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Schweiz unternommen. Angesichts einer globalisierten Weltwirtschaft und der damit einhergehenden Verschärfung des Standortwettbewerbs wird sich allerdings der Bedarf an strukturellen Anpassungen in der Schweiz auch in Zukunft kaum vermindern.

In der europäischen Integrationspolitik gelang es Ende 1998, mit den sieben bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU ein wichtiges Vertragswerk abzuschliessen, das die gegenseitigen Beziehungen in massgebenden Teilbereichen stabilisiert und den Standort Schweiz stärkt.

Nach dem erfolgreichen Abschluss der Uruguay-Runde des GATT trat die Schweiz 1995 vom GATT in die neu gegründete Welthandelsorganisation über. Die vertragliche Absicherung des Zutritts zu wichtigen Märkten für Waren und Dienstleistungen konnte damit wesentlich verbessert werden. Auch gelang es, die Reform des schweizerischen Agrarmarktes in ein internationales Regelwerk einzubinden. Zudem kann die WTO einen bedeutsamen Beitrag zur Integration der Entwicklungsländer in das Welthandelssystem leisten.

Der 1992 erfolgte Beitritt der Schweiz zu den Institutionen von Bretton Woods eröffnete unserem Land neue Möglichkeiten, sich an den internationalen Bestrebungen zur Stärkung der Stabilität des internationalen Finanzsystems, zum Abbau von wirtschaftlichen Ungleichheiten, zur Bekämpfung der Armut, und zur Entschuldung der Entwicklungsländer zu beteiligen.

Mit Blick auf die internationalen Finanzbeziehungen hat die Schweiz im vergangenen Jahrzehnt bedeutende Anstrengungen unternommen, den Missbrauch ihres Finanzplatzes zu verhindern. Hervorzuheben ist das 1998 in Kraft getretene umfassende Geldwäschereigesetz, das durch die Sorgfaltspflichtvereinbarung der Schweizerischen Bankiervereinigung und durch Richtlinien der Eidgenössischen Bankenkommission ergänzt wird. Zudem unterstützte unser Land die weltweiten Bestrebungen zur Geldwäschereibekämpfung im Rahmen der «Financial Action Task Force on Money Laundering» und war bei der Schaffung international anerkannter Standards auf diesem Gebiet massgeblich beteiligt. Des Weiteren hat die Schweiz ihre internationale Zusammenarbeit bei der Blockierung und Rückgabe von so genannten «Potentatengeldern» ausgebaut. Schliesslich gewährte die Schweiz anderen Staaten grosszügig Rechtshilfe in Strafsachen.

1.2.4

Einsicht in die zunehmende Verletzlichkeit der Schweiz

Die Schweiz hatte das Glück, auch am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts praktisch mit allen Staaten dieser Welt korrekte Beziehungen zu unterhalten. Trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten ist das Verhältnis insbesondere zu den Nachbarstaaten ausgezeichnet. Diese positive Bilanz wird allerdings getrübt durch die Auseinandersetzungen über das Verhalten der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach. Die ganze Angelegenheit beschränkte sich bei weitem nicht auf die Aussenpolitik, doch war diese stark gefordert. Als besonders schwierig erwies sich dabei der Umgang mit einer Problematik, die nicht, wie in der Diplomatie 272

üblich, eine Sache von Regierung zu Regierung war, sondern die sich durch eine Vielzahl von Akteuren mit grossem Einfluss sowohl auf die Medien wie auch auf Regierungskreise auszeichnete.

Einzelne Lehren und Erkenntnisse aus diesen Turbulenzen, welche insbesondere unser Verhältnis zu den USA belasteten, lassen sich schon heute gewinnen: ­

Auch langjährige freundschaftliche Beziehungen zu einem Staat hindern diesen nicht daran, harte Interessenpolitik zu betreiben und traditionell gute Beziehungen zu einem anderen Staat innenpolitischen Interessen unterzuordnen.

­

Das Ansehen der Schweiz baut teilweise auf überholte Klischees auf, deren Brüchigkeit sich bei ernsthaften Differenzen bemerkbar macht und im Bedarfsfall andere Staaten nicht vom Versuch abhält, ihre Interessen gegenüber der Schweiz mit Nachdruck oder gar mit Druck durchzusetzen.

Im Zuge der Diskussionen um das Verhalten der Banken während und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Rolle des Finanzplatzes Schweiz in Vergangenheit und Gegenwart vermehrt Gegenstand kritischer Beobachtung aus dem Ausland. In jüngster Zeit hat der Druck des Auslands, insbesondere jener anderer wichtiger internationaler Finanzplätze, auf die Schweiz zugenommen, das Bankgeheimnis noch verstärkt zu relativieren und die Bestimmungen zum internationalen Informationsaustausch im Steuerbereich zu lockern. Fälle, in denen Verstösse gegen die Sorgfaltspflicht aufgedeckt wurden (Geldwäscherei, Potentatengelder), geben diesen Konkurrenten des Finanzplatzes Schweiz zusätzlich Anlass, die schweizerischen Anstrengungen bei der Bekämpfung von Missbräuchen ihres Finanzsystems in Frage zu stellen. Die fortschrittliche und internationalen Standards entsprechende nationale Gesetzgebung und die Bereitschaft unseres Landes, in internationalen Gremien aktiv an der Lösung solcher Probleme mitzuarbeiten, können diese Kritik nur teilweise abwenden.

Eine weitere grenzüberschreitende Entwicklung, die globaler oder zumindest regionaler Lösungen bedarf, ist die Zunahme des organisierten Verbrechens im vergangenen Jahrzehnt. Unser Land ist auf Grund seines Fernbleibens von der Europäischen Union gerade im Bereich innere Sicherheit auf verstärkte nationale Anstrengungen und auf eine Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit angewiesen.

1.3

Zweck des vorliegenden Berichts

Seit Anfang der Neunzigerjahre hat sich das internationale Umfeld wesentlich verändert. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass der Aussenpolitische Bericht von 1993 in einigen Teilen überholt ist und hat deshalb in seiner Antwort auf eine Motion von Nationalrat Hans Zbinden von 1999 unter anderem ausgeführt: «...(Der Bundesrat ist) bereit, den eidgenössischen Räten im Jahr 2000 einen aussenpolitischen Bericht vorzulegen, welcher die Strategien und Mittel zur Erreichung der aussenpolitischen Ziele unter den veränderten aussenpolitischen Rahmenbedingungen prüft. Konkret soll der Bericht: ­

Rechenschaft geben über die Erfahrungen bei der Umsetzung jener aussenpolitischen Ziele, an welchen sich der Bundesrat während der Neunzigerjahre orientierte.

273

­

Die Schwerpunkte in den weltweiten internationalen Entwicklungen der letzten Jahre analysieren und den künftigen Handlungsbedarf für die schweizerische Aussenpolitik aufzeigen.

­

Die einzelnen aussenpolitischen Tätigkeitsbereiche bezüglich Zielsetzung und Mitteleinsatz konzeptionell vertiefen.»

Neben dem vorliegenden Bericht, welcher die Leitlinien, Ziele und Schwerpunkte der schweizerischen Aussenpolitik im kommenden Jahrzehnt beschreibt, wird der Bundesrat bei Bedarf auch in Zukunft zu einzelnen Themen besondere Berichte verfassen und dem Parlament zuleiten. Zusätzlich zur regelmässigen Information des Bundesrates über seine Regierungstätigkeit (Geschäftsberichte, Jahresziele, Legislaturplanungen), den üblichen Jahresberichten (Aussenwirtschaftsberichte, Berichte über die Aktivitäten beim Europarat usw.) sowie den periodischen Rahmenkrediten für die Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit wird auch in Zukunft das Bedürfnis bestehen, einzelne Fragen der schweizerischen Aussenpolitik zu vertiefen.

Im vergangenen Jahrzehnt wurde diese Vorgehensweise erfolgreich erprobt. So hat das Parlament nach dem grundsätzlichen «Bericht über die schweizerische Aussenpolitik in den Neunzigerjahren» von 1993 das «Nord­Süd-Leitbild» von 1994, den «Zwischenbericht zur europäischen Integrationspolitik der Schweiz» von 1995, den «Abrüstungsbericht» von 1996, den «Bericht über das Verhältnis der Schweiz zu den Vereinten Nationen» von 1998, den «Integrationsbericht» von 1999, den «Bericht über die humanitären Dimensionen der schweizerischen Aussenpolitik» von 1999, den «Sicherheitspolitischen Bericht 2000», den «Bericht über die Menschenrechtspolitik der Schweiz» von 2000 sowie den «Bericht über die Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik der Schweiz 2000» erhalten. Dazu kommen eine Vielzahl von Botschaften und Berichten, in denen auch aussenpolitische Fragen thematisiert wurden.

Die Aussenpolitik beeinflusst sowohl die innere als auch die äussere Sicherheit der Schweiz massgeblich. Aussenpolitik ist zuweilen selbst ein Mittel der Sicherheitspolitik im weitesten Sinne, da das Ausmass internationaler Zusammenarbeit grossen Einfluss auf die Zielerreichung der sicherheitspolitischen Instrumente hat. Der vorliegende Bericht steht deshalb in einem engen Zusammenhang mit dem Sicherheitspolitischen Bericht des Bundesrates vom 7. Juni 1999.

Die Aussenpolitik der Schweiz bedarf der stetigen Auseinandersetzung über Inhalte und Schwerpunkte im Parlament, in den Kantonen und in der Öffentlichkeit, damit der Bundesrat bei der Umsetzung seiner Politik auf innenpolitische Unterstützung zählen kann. Mit dem vorliegenden Bericht,
der den Titel «Aussenpolitischer Bericht 2000 ­ Präsenz und Kooperation: Interessenwahrung in einer zusammenwachsenden Welt» trägt, will der Bundesrat dazu beitragen, einen solchen Dialog anzuregen. Diese Dialogbereitschaft stellt eine Konstante schweizerischer Politik dar; beispielsweise sind in den vorliegenden Bericht wesentliche Ergebnisse des vom Bundesrat 1995 in Auftrag gegebenen Nationalen Forschungsprogrammes 42 «Grundlagen und Möglichkeiten der schweizerischen Aussenpolitik» eingeflossen, das insgesamt 58 Forschungsprojekte umfasste.

Die schweizerische Aussenpolitik wird wesentlich von den Entwicklungen im internationalen Umfeld bestimmt, auf welche unser Land angemessene Antworten finden muss. Inhalt und Aufbau des Berichts folgen dieser grundsätzlichen Einsicht:

274

­

Ziffer 2 beschreibt das globale und europäische Umfeld.

­

Ziffer 3 enthält die aussenpolitischen Leitlinien, Ziele und Schwerpunkte des Bundesrates für das nächste Jahrzehnt.

­

Im Anhang werden Stellung und Ansehen unseres Landes beschrieben sowie die Schwerpunkte und wichtigsten Aktivitäten der schweizerischen Aussenpolitik der Neunzigerjahre im Einzelnen dargestellt.

275

2

Internationale Herausforderungen

2.1

Das globale Umfeld

2.1.1

Strukturelle Veränderungen

Die Globalisierung der Lebensverhältnisse geht unvermindert weiter, das Zusammenschrumpfen von Raum und Zeit beeinflusst zunehmend alles staatliche und private Handeln. Auch heute bestimmen neue wissenschaftliche und technologische Errungenschaften, insbesondere die eigentliche Revolution in den Bereichen Bio- und Gentechnologie, Kommunikation und Information, den weltweiten Strukturwandel.

Die in den Neunzigerjahren weltweit feststellbaren Bestrebungen zur Deregulierung vormals abgeschotteter Märkte, insbesondere im Infrastrukturbereich, die Zunahme von Privatisierungen staatlicher Industrien, die Liberalisierung von Kapitalbewegungen sowie eine eigentliche Fusionswelle, die gigantische Unternehmungen entstehen liess, prägen den Globalisierungsprozess im wirtschaftlichen Bereich. Die Konkurrenz hat weltweit zugenommen. Um auf diesem globalisierten Markt bestehen zu können, sind die Unternehmungen laufend zu Anpassungen und strukturellen Bereinigungen gezwungen. Auf Grund der Beschleunigung des Globalisierungsprozesses werden bestehende Denkmuster und Anpassungsmechanismen stark gefordert.

Die Globalisierung kann den Lebensstandard sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern erhöhen und damit zur Verminderung bestehender oder sich ausweitender Ungleichheiten beitragen. Allerdings bedingt die Nutzung dieser Möglichkeiten, dass gewisse internationale Rahmenbedingungen wirtschaftlicher, politischer, ökologischer und sozialer Natur gegeben sind: ­

Die Anerkennung international gültiger Spielregeln für das Verhalten von Wirtschaft und Wissenschaft.

­

Die Verbesserung der Stabilität des internationalen Finanzsystems.

­

Die Durchsetzung der Grundsätze der «Guten Regierungsführung», insbesondere Bestrebungen zur Stärkung von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

­

Die Schaffung und Einhaltung von internationalen Umweltstandards.

­

Die Einhaltung grundlegender Sozial- und Arbeitsnormen.

Solche Rahmenbedingungen senken die Kosten und Risiken der internationalen Arbeitsteilung und leisten einen Beitrag zur Verminderung von Armut und Ungleichheiten, sozialer Unrast, extremistischer Tendenzen sowie Umweltzerstörung.

Globalisierung und Technologie beeinflussen nicht nur die Wirtschaftstätigkeit. Sie helfen auch, universell geltende Werte, insbesondere die Menschenrechte, zu verbreiten und besser wahrzunehmen. Eine vertiefte Kenntnis der Bedeutung dieser universellen Werte führt auch zu einem fruchtbaren internationalen Dialog über den Missbrauch solcher Werte und damit zu mehr Frieden und Stabilität in der Welt. Es ist nicht länger möglich, ganze Völker auf Zeit von der internationalen Gemeinschaft abzuschotten oder unter menschenunwürdigen Bedingungen leben zu lassen.

Sowohl das Ende der bipolaren Weltordnung als auch die Globalisierung unserer Lebensverhältnisse haben weltweit die kulturelle und zivilisatorische Vielfalt der Staaten und Völker verstärkt hervortreten lassen. Identitätsfragen haben an Bedeu276

tung gewonnen, mit teils positiven, teils negativen Folgen. Der Wegfall ideologischer Grenzen hat in vielen Staaten im Osten Europas sowie im Süden des Globus eine kulturelle Neuorientierung ausgelöst und nationalen oder regionalen Kulturen Aufschwung gegeben. Dort aber, wo verstärktes Selbstbewusstsein oder neu erworbene Staatlichkeit in extremen Nationalismus umschlugen oder einen religiösen Fundamentalismus nährten, entstanden Konflikte. Der angeblichen kulturellen Nivellierung durch das Internet und durch andere weltweite Kommunikationsmittel zum Trotz hat der Bedarf nach Verständigung zwischen den verschiedenen Zivilisationen, Glaubensrichtungen und Ethnien eher zugenommen.

Nicht nur wirtschaftliche oder kulturelle Tätigkeiten werden vom Globalisierungsprozess geprägt. Auch die Probleme für die innere Sicherheit der Staaten werden zunehmend global: Terrorismus, organisiertes Verbrechen und die kriminelle Sabotage kritischer Infrastrukturen sowie der Anbau und Handel von Drogen sind Gefahren, die in zunehmendem Masse die internationale Gemeinschaft beunruhigen. Besorgniserregend sind auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der aus solchen Aktivitäten stammenden finanziellen Mittel, die kriminelle Gruppen zur Korruption und zu Betrügereien im grossen Stil befähigen.

Neben dem beispielsweise im Rahmen der EU-Erweiterung feststellbaren Willen, immer grössere Wirtschaftsräume zusammenzufassen, ist eine entgegengesetzte Bewegung erkennbar, nämlich die Neubewertung des Kleinen, des Übersichtlichen, des Regionalen. Gerade in Europa ist seit längerer Zeit eine Tendenz zur innerstaatlichen und staatenübergreifenden Regionalisierung zu beobachten. Im regionalen Rahmen können wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Bezugspunkte geschaffen werden, die in einer kaum mehr überblickbaren Welt, in der Entscheidungen häufig in Gremien fernab vom Bürger getroffen werden, neue Ordnung herstellen. Dieses «global denken ­ lokal handeln» machen sich nicht nur Wirtschaftsunternehmungen oder Nichtregierungsorganisationen zu Eigen. Zunehmend übernimmt die Staatengemeinschaft diese Vorgehensweise. So werden globale Programme, beispielsweise im Umwelt- oder Sozialbereich, vermehrt durch regional wirkende Umsetzungsaktionen konkretisiert.

2.1.2

Globale Probleme

Die beschriebenen, stark von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kräften getragenen Veränderungen blieben nicht ohne Auswirkungen auf die internationale Politik. Vier Herausforderungen globalen Ausmasses stehen im Zentrum:

2.1.2.1

Bekämpfung der Armut

Die in den letzten zehn Jahren zu verzeichnende Bilanz der internationalen Bestrebungen zur Lösung globaler Armutsprobleme ist nicht durchwegs zufriedenstellend: Der Anteil der Armen in Entwicklungs- und Schwellenländern ist zwar in Prozenten der Weltbevölkerung leicht zurückgegangen. Gleichzeitig müssen heute nach Weltbankangaben mehr Menschen denn je, nämlich knapp ein Drittel der Weltbevölkerung (zwei Milliarden Menschen), mit weniger als 2 US-Dollar pro Tag auskommen.

277

Die Unterernährung fordert jährlich rund 9 Millionen Opfer. Besorgniserregend ist die Ausweitung von AIDS, vor allem in Afrika südlich der Sahara. Dazu kommt die hohe Zahl von Todesfällen, die jährlich auf Grund von Krankheiten wie Malaria oder Tuberkulose zu beklagen sind. Epidemien bleiben eine ernste Bedrohung für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung vieler Länder.

In zahlreichen Entwicklungsländern ist Armut sowohl Ursache als auch Folge von teilweise langwierigen gewaltsamen Konflikten und schlechter Regierungsführung.

Das Klima der Unsicherheit und Gewalt beraubt ganze Generationen ihrer Chancen für ein menschenwürdiges Dasein.

Es sind besonders die Frauen, die von den Folgen der Armut und der Unterentwicklung betroffen sind. Frauen erhalten in der Regel eine schlechtere Ausbildung, ihnen stehen weniger Arbeitsplätze zur Verfügung, ihr Zugang zu den neuen Technologien und zu Krediten privater Institute ist beschränkt und sie sind häufig die hauptsächlichen Leidtragenden von Konflikten. Zudem werden Frauen vielfach Opfer krimineller Machenschaften (Frauenhandel, Prostitution).

Diesem ernüchternden Bild stehen Erfolge gegenüber, welche der internationalen Zusammenarbeit zu verdanken sind. Die Lebenserwartung steigt, die Kindersterblichkeit nimmt ab, die Alphabetisierungsrate von Erwachsenen wächst. Zudem ist es einigen Entwicklungsländern, vor allem in Asien, gelungen, in der globalen Wirtschaft Fuss zu fassen.

Generell ist festzustellen, dass die Situation der Entwicklungsländer zunehmend komplexer wird: Während viele Staaten, vor allem in Afrika, mit gewaltigen Problemen zu kämpfen haben, können andere Länder wirtschaftliche und soziale Fortschritte ausweisen. Deshalb müssen in Zukunft differenzierte Strategien ausgearbeitet und umgesetzt werden, die dieser Ausgangslage besser Rechnung tragen.

Das vergangene Jahrzehnt war auf globaler Ebene gekennzeichnet durch die Suche nach geeigneten politischen Strategien zur Bekämpfung von Armut, Ungleichheiten jeglicher Art und Umweltzerstörung1. Die internationale Gemeinschaft ist sich zunehmend bewusst geworden, dass eine Reihe von Themen, die hoch auf der politischen Traktandenliste stehen, beispielsweise Klimaveränderungen, Bevölkerungswachstum, Migration, Zunahme der Massenvernichtungsmittel, internationaler Drogen-, Menschen- und
Waffenhandel oder andere Aktivitäten des organisierten Verbrechens, eine globale Dimension aufweisen. Sie können deshalb mit rein nationalen Massnahmen nicht mehr wirksam angegangen werden.

Die Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung ist heutzutage eine der grossen weltweiten Herausforderungen, die sich gleichermassen ­ wenn auch in verschiedener Weise ­ in Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern stellt. Als nachhaltig gilt eine Entwicklung dann, wenn sie gewährleistet, dass die Bedürfnisse der heute lebenden Menschen befriedigt werden können, ohne für künftige Generationen die Möglichkeit zu schmälern, ihre künftigen eigenen Bedürfnisse decken zu können.

1

278

Weltgipfel für Kinder 1990 in New York, Erdgipfel 1992 in Rio, Weltkonferenz über Menschenrechte 1993 in Wien, Konferenz über Bevölkerungswachstum 1994 in Kairo, Weltgipfel für soziale Entwicklung 1995 in Kopenhagen, Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking, Weltgipfel über Ernährungssicherheit 1996 in Rom, Habitat Konferenz 1996 in Istanbul; diese globalen Konferenzen werden in der Regel alle fünf Jahre durch Folgekonferenzen zum gleichen Thema ergänzt, so kürzlich jene zum Sozialgipfel 2000 in Genf.

Schlüsselfaktoren einer nachhaltigen Entwicklungsstrategie sind wirtschaftliche Effizienz, Schonung der Umwelt und gesellschaftliche Solidarität.

2.1.2.2

Von der Sicherheit souveräner Staaten zur globalen menschlichen Sicherheit

Das Gesicht des Krieges hat sich in den letzten Jahrzehnten grundsätzlich gewandelt. Immer seltener bekämpfen sich Soldaten regulärer Armeen auf dem Schlachtfeld. Heute ist der innere Zustand von Staaten, ihre Stabilität, zur internationalen Herausforderung geworden. In den Gesellschaften des Südens zogen gescheiterte Staatsbildungs- und Entwicklungsmodelle, wachsende Armut und der Kampf um knappe Ressourcen einen Wettstreit um Reichtum und Macht zwischen rivalisierenden Gruppen nach sich. Vor allem der afrikanische Kontinent war Opfer dieser Entwicklungen.

Zahlreiche innerstaatliche Konflikte werden dadurch gekennzeichnet, dass einzelne Parteien darauf abzielen, die Angehörigen anderer nationaler oder ethnischer Gruppen zu vertreiben oder umzubringen. Wer glaubte, die Menschheit habe aus dem vergangenen «Jahrhundert der Extreme» die Lehren gezogen, sah sich angesichts der Konflikte in Südosteuropa (Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Kosovo), in Afrika (Angola, Somalia, Ruanda, Sudan, Sierra Leone) oder in Asien (Osttimor), wo die Vertreibung oder Vernichtung ganzer Volksgruppen betrieben wurde, eines Besseren belehrt. Besorgniserregend ist sodann die wachsende Privatisierung der Kriegführung: Nicht nur in Afrika finanzieren sich viele Kriegstreibende aus dem Erlös von Bodenschätzen oder anderer krimineller Aktivitäten wie Drogen- und Waffenhandel; vielfach sind Rebellenbewegungen, kriminelle Gruppen oder sogar einzelne Unternehmungen wegen der damit verbundenen Gewinne am Fortdauern solcher Konflikte interessiert. Die Bürgerkriege in Angola oder in Sierra Leone hätten ohne Diamantenminen einen völlig anderen Verlauf genommen. Ähnliches gilt für den Bürgerkrieg in Kolumbien ohne die Erlöse aus dem Drogenhandel.

Aus diesen Gründen bildet die Förderung von Sicherheit und Frieden ein zentrales Element der Strukturpolitik auf globaler Ebene. Ein neues Sicherheitsverständnis rückt in den Vordergrund, nämlich das «Konzept der globalen menschlichen Sicherheit». Dieses Konzept umfasst nicht nur die «Freiheit von Furcht» (Sicherheitsagenda), sondern auch die «Freiheit von Not» (Entwicklungsagenda) sowie eine «nachhaltige Zukunft» (Umweltagenda). Es geht davon aus, dass Industrie- und Entwicklungsländer lebenswichtige gemeinsame Interessen haben und folglich eine «Sicherheits- beziehungsweise Schicksalsgemeinschaft»
bilden2.

Die Verbesserung der menschlichen Sicherheit ist nur möglich, wenn die Grundsätze der «Guten Regierungsführung» durchgesetzt werden. Insbesondere Menschenrechte sind seit längerer Zeit nicht mehr nur auf der Ebene der Gesetzgebung des Einzelstaates zu beachten. Sie sind zu universell anerkannten und juristisch durchsetzbaren Normen geworden, die das Verhalten der Staatengemeinschaft und jenes von Privatpersonen regeln.

2

Vgl. auch den so genannten «Millennium Report» des UN-Generalsekretärs K. Annan vom 3.4.00

279

2.1.2.3

Nachhaltige Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen

Der Erdgipfel von Rio de Janeiro im Jahre 1992 bildete einen Wendepunkt in der internationalen Umwelt- und Entwicklungspolitik; Bestrebungen im Umweltbereich werden zunehmend zu einer zentralen Aktivität der Staaten. Die Konferenz unterstrich die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung als Voraussetzung für die Zukunftssicherung unseres Planeten.

In Rio wurde ein umfassendes Aktionsprogramm, die so genannte Agenda 21, verabschiedet. Sie bildet die Grundlage für eine weltweite Partnerschaft und bezweckt, die Ziele einer qualitativ hoch stehenden Umwelt und einer leistungsfähigen Wirtschaft für alle Menschen in Einklang zu bringen. Die Agenda 21 umreisst den Handlungsbedarf auf globaler, regionaler und nationaler Ebene; zudem hat der Erdgipfel die Festlegung und Weiterentwicklung von Grundsätzen, Normen und Rechtsinstrumenten im Umweltbereich gefördert.

Einiges ist bereits erreicht worden: Bis heute wurden weit über 100 multilaterale Abkommen im Umweltbereich vereinbart, die beispielsweise beim Schutz der Ozonschicht sowie bei der Kontrolle gefährlicher Abfälle und genveränderter Organismen zu einigen Erfolgen geführt haben.

Allerdings haben die Herausforderungen, denen die internationale Gemeinschaft bei der nachhaltigen Nutzung der Lebensgrundlagen gegenübersteht, im letzten Jahrzehnt eher zu- als abgenommen: Pro Jahr geht ein Prozent des globalen Waldbestands verloren. Nach wie vor verbraucht ein Fünftel der Weltbevölkerung über 60 Prozent der globalen Engergieproduktion. Die Weltbevölkerung soll in den nächsten 50 Jahren von heute 6 Milliarden auf 9 Milliarden Menschen anwachsen, was zu einer noch grösseren Nachfrage nach natürlichen Ressourcen führen wird.

Eine Mehrheit dieser neu geborenen Menschen wird auch in absehbarer Zukunft nicht über die Wahl verfügen, umweltschonend zu leben und zu arbeiten.

Verschiedene Studien warnen vor bevorstehenden Klimaveränderungen. Die internationale Politik wird sich auf die Auseinandersetzungen mit Problemen wie steigender Meeresspiegel, Zunahme der wüstenähnlichen Landschaften usw. vorbereiten müssen.

2.1.2.4

Migration

Von massgeblicher Bedeutung für das Migrationsproblem ist das Auseinanderklaffen des Bevölkerungswachstums im Norden und im Süden: Die meisten Länder des Nordens sind mit einer rasch alternden Bevölkerung und mit niedrigen oder sogar negativen Zuwachsraten der Bevölkerung konfrontiert. Der Süden hingegen hat mit den Problemen einer rasch wachsenden Bevölkerung zu kämpfen. Diese Menschen sehen sich neben Konflikten und Naturkatastrophen in vielen Fällen einer individuell kaum lösbaren Zunahme der Armut gegenüber. Als Ursachen der Auswanderung sind deshalb armutsbestimmende Faktoren von ausschlaggebender Bedeutung.

Mangelnde Einkommensmöglichkeiten, ungenügende Ernährungs- oder Trinkwasserbasis, schlechte Gesundheitsversorgung und fehlende Ausbildungsmöglichkeiten spielen bei der individuellen Auswanderungsentscheidung eine gewichtige Rolle.

Dazu kommen Umweltzerstörung, Ressourcenknappheit, schlechte Regierungsfüh-

280

rung, Verletzung der Menschenrechte sowie politische, religiöse und ethnische Spannungen.

Aus westeuropäischer Sicht sind zurzeit der Osten Europas sowie der südliche Mittelmeerraum die Regionen mit dem grössten Migrationspotenzial. Migranten suchen meist in jenem Staat bessere Lebensbedingungen, in dem sich auf Grund kolonialer Vergangenheit oder früherer Arbeitsmarktpolitiken bereits grössere Bevölkerungsgruppen gleicher Herkunft aufhalten, beispielsweise Marokkaner in Spanien, Algerier in Frankreich, Tunesier und Albaner in Italien, Angehörige Ex-Jugoslawiens und der Türkei in Deutschland oder in der Schweiz. Allerdings können Krisen und Konflikte in anderen Weltregionen dieses Bild rasch ändern.

Auf Grund der Zunahme der Migration haben in den letzten Jahren praktisch alle Staaten Westeuropas ihre Asylgesetzgebungen verschärft. Die EU ist daran, einen einheitlichen Asyl- und Migrationsraum in Europa zu schaffen. Sie wird in den kommenden Jahren bei der Harmonisierung dieser Bereiche eine massgebliche Rolle spielen.

Der Migrationsproblematik kann weder durch eine Verschärfung der Asylgesetzgebungen noch durch eine Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt beigekommen werden. Nur durch die Verminderung der migrationsauslösenden Ursachen kann langfristig sichergestellt werden, dass der Einwanderungsdruck auf die Industriestaaten nachlässt. Es ist ebenso anerkannt, dass eine unbeschränkte beziehungsweise unkontrollierte Einwanderung zu grossen innenpolitischen Spannungen führen kann.

Neben Problemen, welche bei der Integration dieser Menschen aus anderen Kulturen bestehen, darf nicht übersehen werden, dass die meisten europäischen Staaten auf Grund der Überalterung ihrer Bevölkerung auch mit wachsenden Problemen bei den Altersrenten konfrontiert werden. So müssten sich nach Expertenmeinungen mindestens 20 Millionen arbeitswillige Menschen in den nächsten 20 Jahren neu in Westeuropa niederlassen, um die Finanzierung der Renten für die in diesem Zeitraum aus dem Arbeitsprozess ausscheidenden Personen sicherzustellen. Auch die wirtschaftliche und wissenschaftliche3 Entwicklung ist auf eine gewisse Zuwanderung angewiesen: Einzelne Wirtschaftszweige, beispielsweise Landwirtschaft, Bauwirtschaft oder Tourismus, beruhen zu einem wichtigen Teil auf der Arbeitsleistung von Migranten. Finanzielle Beiträge, die Migranten häufig in ihre Herkunftsländer überweisen, bilden einen positiven Entwicklungsbeitrag, ebenso wie der Wissenstransfer durch Rückwanderer.

2.1.3

Akteure in der internationalen Politik

2.1.3.1

Gewichtsverschiebungen zwischen Staaten und Regionen

Vor zehn Jahren ist eine Weltordnung zu Ende gegangen, welche stark durch das atomar abgesicherte «Gleichgewicht des Schreckens» geprägt war. Die Zugehörigkeit zu einem der beiden ideologischen Blöcke hatte bis dahin die Stellung vieler Staaten in der Welt bestimmt. Heute gibt es nur noch eine Supermacht, die USA, die 3

Gerade in der Schweiz trägt der traditionell hohe Ausländeranteil unter den Akademikern viel zum ausgezeichneten Ruf des Forschungsstandortes Schweiz und zur Stärkung der Innovationskraft bei.

281

in wirtschaftlicher, politischer, technologischer und militärischer Hinsicht eine überragende Stellung einnehmen. Die USA sind zurzeit die einzige militärische Macht mit weltweiter Einsatzfähigkeit ihrer Mittel. Zudem beeinflusst die amerikanische Innenpolitik wie keine andere die globale Agenda.

Neben den USA üben eine Reihe von Staaten oder Staatengruppen wachsenden Einfluss als regionale Grossmächte aus. Man spricht deshalb davon, dass die bipolare, durch die USA und die Sowjetunion bestimmte, einer multipolaren Weltordnung Platz gemacht habe. Diese Ordnung wird durch regionale Pole bestimmt, die sich um verschiedene Themen herum gebildet haben: ­

An erster Stelle ist die Europäische Union zu nennen, die nicht nur in den Weltwirtschaftsbeziehungen zum wichtigsten Partner, manchmal auch zum Konkurrenten der USA geworden ist. Die EU hat auch in der Aussen- und Sicherheitspolitik an Profil gewonnen.

­

Die Auflösung der Sowjetunion hat die bereits vorher bestehenden inneren Krisen wirtschaftlicher, sozialer und politischer Natur verstärkt. Trotz seiner wirtschaftlichen Schwäche und dem Bedarf an gesellschaftlicher Neuorientierung bleibt Russland eine Grossmacht, vor allem im sicherheitspolitischen Bereich.

­

Asien war zu Beginn der Neunzigerjahre auf dem Weg, den wirtschaftlichen Erfolg Europas nachzuahmen; viele Beobachter sprachen bereits vom kommenden «Pazifischen Jahrhundert». Die Asienkrise Ende der Neunzigerjahre hat aber viele Staaten der Region um einige Jahre zurückgeworfen.

Auch Japan hatte in den letzten Jahren mit strukturellen Problemen zu kämpfen. Der Einfluss Chinas in der Welt hat zugenommen, nicht zuletzt auf Grund der wirtschaftlichen Liberalisierungsbestrebungen und der dadurch ausgelösten wirtschaftlichen Dynamik und Anziehungskraft. Zudem hat gerade China im vergangenen Jahrzehnt stark aufgerüstet. Indien scheint auf Grund seiner Grösse, seiner technischen Möglichkeiten, der Bevölkerungszahl und steigender Wettbewerbskraft in der Lage zu sein, in absehbarer Zeit zu einer regional einflussreichen Macht zu werden.

­

Ein ähnliches Potenzial besitzen Brasilien, Südafrika sowie Ägypten. Viele Staaten Asiens und Afrikas werden jedoch auch im kommenden Jahrzehnt mit internen Problemen zu kämpfen haben. Trotz der regionalen Unterschiede ist zu beobachten, dass Unterentwicklung, schleppendes Wirtschaftswachstum sowie schwache staatliche Strukturen die Lage der meisten Staaten der Welt kennzeichnen. Dies gilt auch für einige Länder Lateinamerikas.

Dieser Kontinent erlebte zu Beginn der Neunzigerjahre hoffnungsvolle Bestrebungen für mehr Demokratie und Marktwirtschaft. In den letzten Jahren werden jedoch die Staaten Lateinamerikas, vor allem jene im Andenbogen, mit schwer wiegenden Problemen, insbesondere sozialer Natur, konfrontiert.

Wie sich die Strukturen einer multipolaren Staatenwelt im nächsten Jahrzehnt entwickeln werden, ist heute im Einzelnen nicht erkennbar. Mit Sicherheit steht aber fest, dass internationale und globale Herausforderungen die Kapazität der einzelnen Staaten zur Problemlösung übersteigen. Sie verlangen überstaatliche Regelungen.

Der Trend zur Verlagerung der Handlungsebene vom nationalen auf den internationalen Bereich hat sich in den Neunzigerjahren markant verstärkt. Er wird sich, teilweise als Antwort auf den Vorgang der Globalisierung, fortsetzen.

282

Die einzelnen Staaten, insbesondere die Grossmächte, werden nach wie vor wichtige Akzente in der Weltpolitik setzen. Letztere werden bei Bedarf weiterhin bereit sein, ihre Interessen notfalls unilateral durchzusetzen.

Staaten sind aber bereits seit längerer Zeit nicht mehr die einzigen Entscheidungsträger der globalen Politik. Die moderne Welt wird durch verschiedene Akteure geprägt: Staaten, internationale Organisationen und informelle Staatengruppierungen, nichtstaatliche Akteure, gesellschaftliche Kräfte.

2.1.3.2

Internationale Organisationen und informelle internationale Zusammenarbeit

Die Dynamik und Neuausrichtung internationaler Organisationen sowie die wachsende Bedeutung regionaler Formen der Zusammenarbeit haben grosse Auswirkungen auf die internationale Zusammenarbeit zwischen Staaten.

Von den 190 Staaten der Völkergemeinschaft sind 189 Mitglieder der Vereinten Nationen. Einzig die Schweiz steht (neben den Sonderfällen Heiliger Stuhl und Taiwan) abseits. Die Welthandelsorganisation (WTO) umfasst bereits 137 Staaten und führt mit 30 weiteren Ländern Beitrittsverhandlungen, darunter so gewichtigen wie China, Russland oder Saudi-Arabien. In den Institutionen von Bretton Woods sind über 180 Staaten Mitglieder des Währungsfonds und der Weltbank.

Gleichzeitig sind regionale Formen der Zusammenarbeit verstärkt worden. Beispiele dafür sind: ­

die Erweiterungsverhandlungen der EU mit zurzeit 12 Kandidatenstaaten 4;

­

die «Partnerschaft für den Frieden» der NATO mit 27 Partnerstaaten, darunter allen ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts;

­

die Aktivitäten der OSZE, die sowohl ihre operationellen Kapazitäten als auch die Mitgliederzahl stark erhöht hat;

­

die Arbeiten des Europarates, der mittlerweile die Einhaltung seiner Grundsätze (Gute Regierungsführung, Achtung der Menschenrechte) in praktisch allen Staaten Europas überwacht;

­

die zunehmende Bedeutung der Frankophonie-Organisation;

­

die Aushandlung und der Abschluss von Freihandelsabkommen der EFTAStaaten mit europäischen und aussereuropäischen Partnerländern;

­

das zunehmende Gewicht von Organisationen wie der NAFTA und dem Mercosur auf dem amerikanischen Kontinent sowie gleichlaufende Bestrebungen in Asien (ASEAN, APEC, ASEM) und in Afrika (OAU und SADC);

In den Neunzigerjahren war zudem eine verstärkte Entwicklung hin zur Bildung informeller Staatengruppierungen zu beobachten. Die Gruppe der sieben wichtigsten Industriestaaten (USA, Japan, Kanada, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien) wurde um Russland zur Gruppe der 8 (G 8) erweitert. Zwecks Wahrung der Stabilität des internationalen Finanzsystems hat sich eine neue Gruppe von Staaten 4

Als 13. Beitrittskandidat steht die Türkei bereits fest. Eigentliche Beitrittsverhandlungen mit diesem Land werden jedoch erst beginnen, wenn gewisse politische Vorbedingungen erfüllt sind.

283

und Institutionen zusammengetan, zur so genannten Gruppe der 20 (G 20). Diese besteht aus den Staaten der G 8, ausgewählten weiteren Industrieländern und wichtigen Schwellenländern sowie Vertretungen der EU und der Institutionen von Bretton Woods. Mit dem «Financial Stability Forum» wurde 1999 eine weitere informelle Gruppierung mit ähnlicher Ländervertretung und mit der Teilnahme multilateraler Finanzgremien geschaffen. Gleichgesinnte Staaten arbeiten zunehmend in informellen Strukturen zusammen, beispielsweise im Bereich menschliche Sicherheit oder im Umweltbereich.

Eine besondere Bedeutung kommt den Aktivitäten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) zu. Diese Organisation spielt nicht nur als Hüter des humanitären Völkerrechts, sondern auch bei mannigfaltigen humanitären Aktionen eine massgebliche Rolle.

2.1.3.3

Nichtstaatliche Akteure

Zu den massgeblichen nichtstaatlichen Akteuren sind die wirtschaftlichen Unternehmungen zu zählen, vor allem diejenigen, die global tätig sind. Ihre Bedeutung als Arbeitgeber, als Investoren, als Sozialpartner, als Träger technischer und gesellschaftlicher Entwicklungen kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Im Gegensatz zu vielen anderen nichtstaatlichen Akteuren unterliegt ihre grenzüberschreitende Tätigkeit in wachsendem Mass Verhaltensregeln, welche ihnen die Staatengemeinschaft vorgibt, beispielsweise die «Leitsätze für das Verhalten von multinationalen Unternehmungen» der OECD oder die «Deklaration über fundamentale Rechte und Prinzipien bei der Arbeit» der ILO.

Nichtregierungsorganisationen sind für viele Themenbereiche zu Akteuren globalen Ausmasses herangewachsen. Neben ihrem Engagement auf lokaler Ebene versuchen Nichtregierungsorganisationen insbesondere, internationale Rahmenbedingungen in den Bereichen Umwelt, Nord­Süd-Beziehungen, Sozialnormen, menschliche Sicherheit und Menschenrechte zu setzen. Seit einiger Zeit kann beobachtet werden, dass sich diese Akteure ­ namentlich über die Nutzung der neuen Informationstechnologien ­ zu einer eigentlichen «globalen Zivilgesellschaft» entwickeln. Diese Zivilgesellschaft umfasst unzählige Vereine, Bürgerinitiativen und andere Organisationsformen, die nur selten das gleiche Ziel verfolgen. Amnesty International, World Wide Fund for Nature, Greenpeace und andere sind zu eigentlichen multinationalen Unternehmungen gewachsen, mit Tausenden von Arbeitsplätzen und weltweitem Einfluss. Andere Nichtregierungsorganisationen sind auf der lokalen Ebene tätig und nehmen sich kleinräumig wirkender Probleme an.

Der Einfluss der Medien auf die nationale und internationale Meinungsbildung hat sich weiter verstärkt. Im heutigen Informationszeitalter verfügen Medien über ein nicht zu unterschätzendes Gewicht, das häufig die Agenda der politischen Aktivitäten bestimmt.

Die Bedeutung des international tätigen organisierten Verbrechens ist massiv gestiegen. Häufig verfügen kriminelle Gruppen über reichlich fliessende Geldquellen, insbesondere aus dem Erlös des Drogen-, Waffen- und Menschenhandels, aus Schutzgeldzahlungen oder aus der illegalen Ausbeutung von Bodenschätzen. Kapitalströme zweifelhaften Ursprungs haben weltweit stark zugenommen.

284

Eine erhebliche Bedeutung in der Weltpolitik kommt sodann den Aktivitäten von Rebellen- und Befreiungsbewegungen zu. Auch Religionsgemeinschaften sind nicht erst im Zeitalter der Globalisierung wichtige, vielfach international tätige Akteure.

2.2

Das europäische Umfeld

2.2.1

Europäische Union

Die Entwicklung der EU im letzten Jahrzehnt ist im Integrationsbericht 1999 des Bundesrates beschrieben worden. Die folgenden Ausführungen beschränken sich deshalb auf die hauptsächlichen Entwicklungslinien.

Die EU hat die durch das Ende des Kalten Kriegs entstandenen Handlungsspielräume genutzt. Sie hat im vergangenen Jahrzehnt ihren Binnenmarkt vollendet, eine gemeinsame Währung eingeführt, ihre Aussen- und Sicherheitspolitik verstärkt und ist daran, ihren verteidigungspolitischen Rahmen zu definieren. Mit der Einführung des Euro hat die EU ihren Willen gezeigt, weltpolitische Handlungsfähigkeit und Verantwortung in einem wichtigen Wirtschaftsbereich zu übernehmen. Als Interessen- und Wertegemeinschaft ist sie zum entscheidenden politischen Faktor in Europa geworden, mit grosser Anziehungskraft auf die Staaten Zentral-, Ost- und Südeuropas. Die EU wurde in den letzten Jahren zu einem globalen Akteur und hat den Willen gezeigt, auch in Zukunft auf diesem Weg weiterzugehen.

Österreich, Finnland und Schweden, jahrzehntelange Partner der Schweiz in Sachen Europapolitik, sind der Union 1995 beigetreten. Zurzeit führt sie Beitrittsverhandlungen mit 12 Staaten Zentral-, Ost- und Südeuropas. Im vergangenen Jahrzehnt hat die Union die notwendigen politischen und wirtschaftlichen Reformen dieser Staaten massiv unterstützt und damit wesentlich zur Sicherheit und Stabilität Europas beigetragen.

Die geplante Erweiterung stellt die Europäische Union vor grosse Herausforderungen. Der Beitritt neuer Staaten wird ihr ein anderes Gesicht geben und gleichzeitig wird er Europa umgestalten. Der Erweiterungsschritt birgt für die Union das Risiko in sich, ihre politische und wirtschaftliche Gestaltungskraft zu vermindern. Die EU ist deshalb daran, ihre institutionellen Strukturen zu reformieren. Die laufende Regierungskonferenz muss über einige grundsätzliche Fragen entscheiden, als da sind: ­

Zahl der Kommissionsmitglieder,

­

Festlegung der Bereiche, in denen Mehrheitsentscheidungen möglich sind (Verzicht auf Einstimmigkeit),

­

Gewichtung der Stimmen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf Mehrheitsentscheidungen,

­

Grössere Flexibilität bei künftigen Politiken.

Die Lösung dieser Fragen wird entscheidend dafür sein, wie in Zukunft das Gleichgewicht zwischen kleinen, mittleren und grossen Mitgliedstaaten ausgestaltet wird, welche Rolle die einzelnen EU-Organe spielen werden und in welchem institutionellen Rahmen die weltweiten Beziehungen zwischen der EU und den anderen Grossmächten wie USA, Russland, Japan oder China sowie wichtigen Regionen wie Mittelmeer, südliches Lateinamerika, Asien und Afrika gestaltet werden.

285

Ob diese Reformen genügen, um die stark erweiterte Union zur Führung einer europäischen Innenpolitik wie auch einer Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu befähigen, ist eine offene Frage. Sie bildet den Hintergrund für die Diskussionen, welche zurzeit über die Schaffung eines «Bundesstaates Europa», über ein «Europa der variablen Geometrie» sowie über die verstärkte demokratische Abstützung der EU-Institutionen stattfinden. Diese Diskussionen haben durch den kürzlich erfolgten negativen Volksentscheid in Dänemark zur Einführung der Gemeinschaftswährung an Bedeutung gewonnen. Der dänische Entscheid hat aufgezeigt, dass neue Integrationsschritte nicht immer auf Verständnis stossen und dass zumindest in einigen Mitgliedstaaten nach wie vor tiefsitzende Widerstände gegen die weitere Übertragung von Kompetenzen an supranationale Organe bestehen.

2.2.2

Europäische Sicherheitsarchitektur

Entwicklungen im Sicherheitsbereich Die herkömmlichen machtpolitischen Bedrohungen haben mit dem Ende des Kalten Krieges deutlich abgenommen. Der Rüstungswettlauf konnte durch verschiedene Vereinbarungen und unilaterale Aktionen einiger Atommächte eingedämmt werden.

Andere Gefahren und Risiken treten in den Vordergrund. Die sicherheitspolitischen Bestrebungen moderner europäischer Gesellschaften verlagern sich zunehmend auf die Bewältigung innerstaatlicher Spannungen und Konflikte, deren Auswirkungen nicht nur regional destabilisierend wirken, sondern den Frieden in Europa bedrohen können, ferner auf die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und des Terrorismus sowie auf die Verminderung der Verletzlichkeit technologischer Systeme.

Vor diesem Hintergrund ist die Europäische Sicherheitsordnung in einem grundlegenden Wandel begriffen, den der Bundesrat in seinem Sicherheitspolitischen Bericht 2000 beschrieben hat. Als Stichworte seien in Erinnerung gerufen: ­

Erweiterung der NATO,

­

Schaffung der Partnerschaft für den Frieden,

­

Bereitschaft der EU zur Übernahme friedenserhaltender Aufgaben,

­

Ausbau und Aufwertung der OSZE,

­

Engagement des Europarates («Sicherheit durch Demokratie»).

In die Auseinandersetzungen auf dem Balkan hat die NATO wiederholt entscheidend eingegriffen. Ohne ihr Engagement und ohne Truppenstationierung wäre die Befriedung von Bosnien-Herzegowina kaum denkbar gewesen. Mit ihrem Kampfeinsatz gegen die Bundesrepublik Jugoslawien hat sie die Voraussetzung für die grosse internationale Präsenz im Kosovo geschaffen.

Bedrohung der inneren Sicherheit durch das organisierte Verbrechen Das grenzüberschreitende organisierte Verbrechen hat in Folge der Globalisierung, mit den neuen Informatik- und Telekommunikationsmöglichkeiten sowie durch die Öffnung des Ostens und der Balkankrise an Bedeutung gewonnen. Besorgniserregend ist die Tatsache, dass eine Zunahme der Professionalität, des Organisationsgrades sowie der Skrupellosigkeit der Delinquenten feststellbar ist. Die Einnistung des internationalen Verbrechens in das normale Geschäftsleben durch Geldwäscherei, Korruption und andere Praktiken der Wirtschaftskriminalität bedroht nicht nur 286

die Stabilität Osteuropas und anderer Schwellenländer, sondern auch diejenige hoch entwickelter und international stark vernetzter Volkswirtschaften und stellt eine der grössten Herausforderungen der modernen Welt dar.

Die Europäische Union strebt mit dem Amsterdamer Vertrag, in Kraft seit 1. Mai 1999, den Aufbau eines europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts an. In diesem sind wichtige Politikbereiche wie Einwanderung, Asyl und Visa in die Kompetenz der EU verlagert worden. Gleichzeitig wurden die Polizeizusammenarbeit sowie die Amts- und Rechtshilfe in Strafsachen und damit die Instrumente zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens verbessert. Damit werden bestehende Formen der europäischen und weltweiten Zusammenarbeit teilweise überlagert, was die Mitwirkungsmöglichkeiten der Nicht-EU-Mitgliedstaaten, vor allem der Schweiz, schmälert.

2.2.3

Problemzonen in Europa und in Europas Nachbarschaft

Südosteuropa Keine andere europäische Region hat die aussenpolitische Agenda des Kontinents derart dominiert und die europäische Sicherheit so herausgefordert wie der Balkan.

Seit 1995 übernimmt die internationale Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, seit 1999 auch im Kosovo, die Rolle einer Ordnungsmacht. Sie kombiniert militärische Präsenz mit der Wiederherstellung politischer, justizieller und administrativer Strukturen.

Das von EU und NATO verfolgte Ziel, die Staaten Südosteuropas schrittweise an die euro-atlantischen Strukturen heranzuführen, ist ein langfristiges Bestreben, das über Jahre hinaus grosse Mittel und Anstrengungen erfordern wird und nur Erfolgsaussichten hat, wenn alle Massnahmen in einen umfassenden regionalen Rahmen eingebunden werden. Der Stabilitätspakt für Südosteuropa versucht, mit einem vernetzten Ansatz diesem Ziel näher zu kommen.

Über die dabei zu überwindenden Schwierigkeiten bestehen keine Illusionen. Frieden im Balkan ist nur unter folgenden Voraussetzungen zu erreichen: ­

Serbien muss nach dem Machtwechsel vom Oktober 2000 zu Demokratie und politischer Stabilität kommen.

­

Die Stellung des Kosovo und von Montenegro ist zu klären.

­

Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens müssen die dringenden wirtschaftlichen und politischen Reformen an die Hand nehmen.

­

Die Flüchtlinge und Vertriebenen sollen zurückkehren können.

­

Das organisierte Verbrechen muss erfolgreich bekämpft werden.

­

Die Stabilisierung Südosteuropas bleibt auch im kommenden Jahrzehnt eine der grossen Herausforderungen und Bewährungsproben Europas.

Nachfolgestaaten der Sowjetunion Das Auseinanderbrechen der Sowjetunion war das bedeutendste Ereignis des letzten Jahrzehnts. Anders als in Südosteuropa konnten sich die Nachfolgestaaten der Sowjetunion friedlich trennen. Alle sind OSZE-Mitglieder geworden und viele von ih287

nen streben die Mitgliedschaft im Europarat an. Neben den baltischen Staaten konnten Russland, die Ukraine und Georgien diesen Schritt bereits vollziehen; Armenien und Aserbaidschan sind auf dem Weg dorthin.

Allerdings sind im Inneren einiger Staaten Konflikte ausgebrochen. Einige Konflikte schwelen weiter, beispielsweise jene im Kaukasus. Die grösste Herausforderung für alle Staaten der ehemaligen Sowjetunion besteht in der Überwindung der schweren Wirtschaftskrise. Namentlich die Privatisierung von Staatsbetrieben und die Reform des Sozialwesens sowie Probleme in den Bereichen Umwelt und Energie stellen erhebliche Anforderungen für alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion, insbesondere aber für Russland und die Ukraine, dar. Als besonderes Erschwernis ist sodann der zunehmende Einfluss des organisierten Verbrechens zu erwähnen, der Stabilität und Reformen in einigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion gefährdet.

Die Staaten Zentralasiens nahmen in der Sowjetunion die Rolle von Zulieferern bestimmter Rohprodukte ein. Sie sind durch willkürlich gezogene Grenzen benachteiligt, die keine Rücksicht auf bestehende wirtschaftliche Strukturen und ethnische Gesichtspunkte nehmen und eine ungleiche Verteilung von Entwicklungspotenzial und natürlichen Ressourcen zur Folge haben. Dazu kommen Probleme beim Aufbau selbstständiger Staaten, insbesondere schwache demokratische Strukturen.

Mittelmeerraum Die wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen dieser Region (Naher Osten, Maghreb und Türkei) werden durch grosse Unterschiede im Entwicklungsstand und in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, durch starkes Bevölkerungswachstum sowie durch Spannungen zwischen den Ansprüchen moderner Regierungsführung und gesellschaftlichen Wandels bestimmt. Dazu kommen in einigen Staaten ernste Probleme der Missachtung von Grund- und Menschenrechten. Im Nahen Osten befinden sich zahlreiche Staaten in einem latenten Kriegszustand, der von Zeit zu Zeit zu grossen Spannungen oder sogar zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führt.

In vielen Ländern ist der Islam ein Thema, und zwar in seinem Verhältnis zum Staat wie auch zur Gesellschaft. Der religiöse Fundamentalismus hat seine Wurzeln nicht nur in den ungenügenden Rahmenbedingungen einiger Staaten der Region; er ist auch Ausdruck einer Abwendung von klassischen Gesellschafts-
und Politikmodellen westeuropäischer Prägung und einer Rückbesinnung auf so genannte «traditionelle Werte». Wenn sich fundamentalistische Bewegungen terroristischer Mittel bedienen, um ihre Ziele zu erreichen, werden sie zu einer ernsten Bedrohung für freiheitlich orientierte Gesellschaften.

Zwischen nördlichem und südlichem Mittelmeer besteht ein enormer wirtschaftlicher Graben und die Beziehungen zwischen Norden und Süden werden von unterschiedlichen Interessen dominiert. Der Süden sucht Anschluss an den Wohlstand des Nordens, Märkte für seine Landwirtschaftsprodukte und offene Arbeitsmärkte für seine rasch wachsende Bevölkerung. Der Norden ist vor allem an Frieden im Nahen Osten, an einer Stabilisierung der strategischen Stellung der Türkei, an politischer Stabilität und wirtschaftlicher Entwicklung im südlichen Mittelmeerraum sowie an der Verminderung des Zuwanderungsdrucks interessiert. Der Förderung von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen, welche die «Gute Regierungsführung» verstärken und damit Konfliktpotenzial und Migrationsursachen vermindern helfen, kommt deshalb aus Sicht des Nordens die grösste Bedeutung zu. Einen wichtigen Schritt auf diesem Weg hat die Europäische Union

288

mit der 1999 getroffenen Entscheidung gemacht, der Türkei den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten einzuräumen.

2.3

Internationale Herausforderungen der Zukunft

Kein Land bestimmt allein seine aussenpolitische Agenda. Aussenpolitik besteht nicht ausschliesslich, aber wesentlich darin, auf internationale Entwicklungen zu reagieren oder sie planend mitzugestalten. Oft sind solche Entwicklungen nicht voraussehbar, und die Kunst der Aussenpolitik ist es alsdann, rasch, zweckmässig und im Interesse des Landes zu handeln.

Wesentliche aussenpolitische Fragen und Probleme, mit denen sich die Schweiz im kommenden Jahrzehnt befassen muss, gehören teilweise schon seit Jahren zu den Tätigkeitsfeldern schweizerischer Aussenpolitik. So werden die beschriebenen globalen und europäischen Entwicklungen auch die nächsten Jahre prägen. Viele der Schwerpunkte, welche die Schweiz bei der Führung ihrer Aussenpolitik in letzter Zeit gesetzt hat, werden auch weiterhin wichtig bleiben. Die schweizerische Aussenpolitik wird durch Kontinuität und Berechenbarkeit geprägt.

Es ist jedoch erkennbar, dass einige globale und teilweise neue Fragen und Herausforderungen die Staaten und Völker im 21. Jahrhundert in wachsendem Mass beanspruchen werden. Es zeichnen sich Veränderungen und Entwicklungen ab, welche für die Lebensformen der Menschen und für das Zusammenleben der Staaten von grosser und nachhaltiger, teilweise revolutionärer Bedeutung sein werden5. Es wäre allerdings ein Irrtum, diese Fragen allein als Domäne der Aussenpolitik zu betrachten.

2.3.1

Frieden

Schaffung einer Weltgemeinschaft in Frieden

5

­

Alle Menschen sollen ohne Angst leben können. Die Verhütung von gewaltsamen Konflikten zwischen Staaten und vor allem auch innerhalb der einzelnen Staaten ist von überragender Bedeutung. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse sind so zu gestalten, dass sie gewaltverhütend wirken. Die Wirksamkeit der friedensfördernden Aktionen muss gestärkt, die Politik der Sanktionen differenziert werden. In diesem Zusammenhang spielt das Völkerrecht eine gewichtige Rolle. Der völkerrechtliche Ordnungsrahmen ist zu verstärken.

­

Die Auseinandersetzung mit den modernen Bedrohungsformen muss effizienter werden. Dazu gehören Massnahmen gegen das organisierte Verbrechen, gegen Drogenanbau und Drogenhandel, gegen Geldwäscherei, aber auch gegen Terrorismus.

­

Die Weiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln muss eingedämmt werden.

Vgl. auch den so genannten «Millennium Report» des UN-Generalsekretärs K. Annan vom 3.4.00

289

Sicherung der Lebensgrundlagen für alle Stichwortartig geht es um folgende Herausforderungen: ­

Demografische Entwicklung, Ernährung einer rasch wachsenden Bevölkerung, Versorgung mit Wasser, Bekämpfung epidemischer Krankheiten;

­

Nachhaltigkeit im Umgang mit der Umwelt.

Zu Kontroversen wird die Frage Anlass geben, wie weit einzelne dieser Herausforderungen durch bio- und gentechnologische Errungenschaften gemeistert werden könnten. Die Gentechnologie löst möglicherweise für Millionen von Menschen das Hungerproblem, schafft aber auch ungeahnte und unheimliche Möglichkeiten zum Eingriff in jede Form von Leben, auch von menschlichem. Mehr als andere Wissenschaften muss deshalb die Biotechnologie bei jedem Fortschritt die damit verbundenen politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen bedenken und wenn nötig entsprechende Lösungsansätze entwickeln. Ein solcher Ansatz ist nur mittels internationaler Zusammenarbeit und Wahrnehmung der Verantwortung aller Staaten weltweit durchsetzbar.

2.3.2

Wohlstand und Armut

Diese Ziele umfassen: ­

Schaffung der Voraussetzungen für ein sozial und ökologisch nachhaltiges Wirtschaftswachstum und für Beschäftigung: ­ Liberalisierung des Aussenhandels von Waren und Dienstleistungen, ­ Förderung von Investitionen, ­ Liberalisierung des Kapitalverkehrs

­

Stabilität des internationalen Finanzsystems,

­

Kampf gegen Armut und Ungleichheiten,

­

Förderung der Integration der Schwellen- und Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft.

Nachhaltige Entwicklung, Kampf gegen die Armut und die Förderung wirtschaftlicher Prosperität sind in den Entwicklungsländern nicht möglich ohne «Gute Regierungsführung» und nicht ohne die Selbstverantwortung der Betroffenen; hinter dem Stichwort des «empowering people» steht die Forderung, den Menschen mehr Mitsprache bei der Gestaltung ihres Umfeldes zu geben.

Die Notwendigkeit, für eine geordnete Entwicklung zu sorgen, ruft nach einer Verbesserung der internationalen Rahmenbedingungen für globales Handeln, sei es im wirtschaftlichen, finanziellen oder gesellschaftlichen Bereich. Nachhaltige Förderung von Wohlstand setzt aber auch voraus, dass gute Rahmenbedingungen für die Industrien der Zukunft geschaffen werden. Es geht nicht nur um «neue» Industrien, sondern auch um radikale Veränderungen innerhalb traditioneller Industriezweige.

Globale Lösungsansätze werden unweigerlich auch das Bewusstsein der kulturellen Verschiedenheiten verstärken. Damit gewinnt die Durchsetzung der universellen Gültigkeit gewisser Grundwerte, insbesondere der Menschenrechte, zusätzlich an

290

Bedeutung. Die Globalisierung erfordert folglich auch einen verstärkten Dialog der Zivilisationen.

2.3.3

Leben im digitalen Zeitalter

Die stürmische Entwicklung des digitalen Zeitalters und die Durchdringung von Leben und Gesellschaft durch die digitale Technologie wird besondere Regelungen erfordern, beispielsweise in den Bereichen Datensicherheit, Privatsphäre oder geistiges Eigentum. Unübersehbar sind auch die gesellschaftlichen Auswirkungen in Schule, Wirtschaft und Gesellschaft.

Besondere Bedeutung kommt der Frage zu, wie national und weltweit eine «digitale Zweiklassengesellschaft» verhindert werden kann, welche die «Vernetzten» von den «Andern» trennt. Länder und Bevölkerungen, die nicht über die notwendigen Voraussetzungen politischer, sozialer und wirtschaftlicher Natur verfügen, laufen Gefahr, zu den Verlierern des weltweiten Strukturwandels zu gehören. Deshalb werden globale Strategien zu entwickeln sein, die mithelfen, neue Ungleichheiten zu verhindern.

2.3.4

Folgerungen

Diese Themen werden auch die Schweiz beschäftigen. Auch von ihr werden sie politische Entscheidungen und gesellschaftliche Anpassungen verlangen. Soweit diese Herausforderungen für die Aussenpolitik von Bedeutung sind, so kann diese gewiss nicht für sich beanspruchen, auf alle Fragen Antworten bereitzuhalten. Mit Sicherheit drängt sich aber eine zentrale Feststellung auf: Diese globalen Fragen übersteigen die Fähigkeit eines einzelnen Staates zur Beantwortung und Lösung bei weitem.

Wann immer die Schweiz einen Beitrag zur Umsetzung globaler Antworten leisten will, wird sie diesen nur im engen Zusammenwirken mit anderen Staaten erbringen können. Dass diese «anderen Staaten» im Fall der Schweiz in erster Linie die europäischen sind, ist auf Grund gemeinsamer Werte, Traditionen, Überzeugungen und Interessen offensichtlich.

291

3

Leitlinien, Ziele und Schwerpunkte der schweizerischen Aussenpolitik im neuen Jahrzehnt

Im Folgenden will der Bundesrat die Leitlinien, Ziele und Schwerpunkte seiner Aussenpolitik darstellen: ­

Die Leitlinien stellen den rechtlichen Rahmen dar, der sich aus der neuen Bundesverfassung ergibt, die von Volk und Ständen am 18. April 1999 gutgeheissen wurde. Sie vertiefen die Frage der Abstützung der Aussenpolitik in der Innenpolitik, loten das Spannungsfeld zwischen Interessenwahrung, Neutralitätsstatus und internationaler Verantwortung der Schweiz aus und beschreiben die Arbeitsweise in der Aussenpolitik.

­

Die von der neuen Bundesverfassung vorgegebenen aussenpolitischen Ziele bilden die Richtschnur bei der Schwerpunktsetzung des Bundesrates. Thematische Schwerpunkte konkretisieren den Inhalt dieser Ziele, institutionelle Mittel dienen zur Durchsetzung dieser Schwerpunkte und schliesslich führt eine verstärkte geografische Schwerpunktbildung der bilateralen Aussenpolitik zu einem effizienten Mitteleinsatz.

3.1

Leitlinien

3.1.1

Visionen und Realitäten

Das Land, das seiner Aussenpolitik Visionen voranstellt, braucht Ausstrahlung, Kraft und Mittel zu ihrer Umsetzung. Visionären Charakter weisen die Ziele auf, welche die neue Bundesverfassung der schweizerischen Aussenpolitik vorgibt. Die Eidgenossenschaft soll für eine Welt des Friedens, der Freiheit und der Gerechtigkeit eintreten. Mehrung der Wohlfahrt für alle Völker, Überwindung von Not und Armut sowie Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen sind Forderungen, deren Umsetzung visionäre Kraft voraussetzt. Und ist das Bild einer freiheitlichen, demokratischen, unabhängigen und friedlichen Schweiz, die sich der Welt in Solidarität und Offenheit stellt, nicht auch eine Vision?

Doch wer Visionen hegt, muss auch bereit sein, sie beharrlich zu verfolgen. Wenn die Schweiz die Vision einer Weltgemeinschaft hat, in der Staaten und Gesellschaften in Wohlstand, Sicherheit, Frieden und Gerechtigkeit zusammenleben, muss sie den Willen haben, den Vereinten Nationen, welche auf diese Ziele hinarbeiten, beizutreten. Oder wenn unser Land die Vision eines geeinten Europas hegt, in dem die Staaten auf Frieden und Wohlstand hinarbeiten, dann müssen wir uns der EUBeitrittsfrage mit Entschlossenheit annehmen.

Zwischen Visionen und Zielen lässt sich nicht immer scharf unterscheiden. Je abstrakter die Ziele, desto stärker tritt ihr visionärer Charakter hervor. Die fünf aussenpolitischen Ziele, welche der Bundesrat in seinem Aussenpolitischen Bericht von 1993 definierte, sind so umfassend und übergeordnet, dass sie eine visionäre Dimension aufweisen. Es ist insofern bezeichnend, dass sie mit den aussenpolitischen Zielen unserer europäischen Partner, ja selbst mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen übereinstimmen.

Vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklungen in den Neunzigerjahren sowie der Herausforderungen der Zukunft will der Bundesrat: 292

­

die Rahmenbedingungen, Grundsätze und Entscheidungsprozesse der schweizerischen Aussenpolitik überprüfen;

­

die Schwerpunkte der schweizerischen Aussenpolitik und die Mittel zu ihrer Durchsetzung im nächsten Jahrzehnt festlegen.

3.1.2

Rahmenbedingungen, Grundsätze und Entscheidungsprozesse

3.1.2.1

Rechtlicher Rahmen

Am 1. Januar 2000 ist die neue Schweizerische Bundesverfassung in Kraft getreten, in welche die Ergebnisse einer intensiven gedanklichen Auseinandersetzung über Ziele, Grundsätze und Mittel der schweizerischen Aussenpolitik eingeflossen sind.

Anstelle der früheren, aus dem Bundesvertrag von 1815 übernommenen Formel «Behauptung der Unabhängigkeit des Vaterlandes gegen aussen, Handhabung von Ruhe und Ordnung im Innern» ist der neue Zweckartikel wie folgt gefasst: «Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes» 6.

Aus der Erkenntnis, dass Abhängigkeiten und Überschneidungen zwischen aussenund innenpolitischen Entwicklungen alle Grundentscheidungen des modernen Staates prägen, beauftragt die Bundesverfassung unser Land, in der Aussenpolitik folgende Ziele zu verfolgen: ­

Stärkung von Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt7, im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen8;

­

Schutz der Freiheit und der Rechte des Volkes und Wahrung der Unabhängigkeit und der Sicherheit des Landes9;

­

Förderung der gemeinsamen Wohlfahrt, der nachhaltigen Entwicklung, des inneren Zusammenhalts und der kulturellen Vielfalt des Landes 10;

­

Einsatz für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung 11.

Artikel 54 Absatz 2 der Bundesverfassung gibt der Aussenpolitik folgende Ziele vor: «Der Bund setzt sich ein für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und für ihre Wohlfahrt; er trägt namentlich bei zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.» Was die Aussenwirtschaftspolitik betrifft, hält Artikel 101 der Bundesverfassung fest: «Der Bund wahrt die Interessen der schweizerischen Wirtschaft im Ausland.» 6 7 8 9 10 11

Art. 2 Abs. 1 BV BV, Präambel BV, Präambel Art. 2 Abs. 1 BV Art. 2 Abs. 3 BV Art. 2 Abs. 4 BV

293

Schliesslich enthält die Bundesverfassung die folgenden, für die schweizerische Aussenpolitik bedeutsamen Organisations- und Kompetenznormen: ­

Gemäss Artikel 180 der Bundesverfassung bestimmt der Bundesrat «... die Ziele und die Mittel seiner Regierungspolitik. Er plant und koordiniert die staatlichen Tätigkeiten.»

­

Unsere Bundesverfassung weist den eidgenössischen Räten in der Aussenpolitik wichtige Gestaltungsmöglichkeiten zu12. Bereits im vergangenen Jahrzehnt konnte die Zusammenarbeit mit dem schweizerischen Parlament in aussenpolitischen Fragen wesentlich erweitert werden. Insbesondere die Erfahrungen, die mit der parlamentarischen Abstützung des Verhandlungsprozesses über die sieben bilateralen Abkommen mit der EU gemacht wurden, haben zu einer deutlichen Verstärkung des parlamentarischen Einflusses in der Aussenpolitik beigetragen.

­

Auch die Kantone wirken zunehmend an der aussenpolitischen Entscheidungsfindung mit, was in der Bundesverfassung sichtbaren Ausdruck findet13. Die entsprechenden Verfassungsbestimmungen sind zudem durch das «Bundesgesetz über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes» vom 22. Dezember 1999 konkretisiert worden.

Mit der neuen Bundesverfassung erfahren die fünf aussenpolitischen Ziele der Schweiz eine redaktionelle Neufassung und präsentieren sich wie folgt:

12 13

294

Art. 166 und 173 Bst. a BV Art. 54­56 BV

3.1.2.2

Innenpolitische Abstützung

Im schweizerischen Staatssystem, das auf der weitgehenden Mitwirkung von Volk und Ständen an der Politik beruht, muss auch die Aussenpolitik eine Angelegenheit aller sein. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, über alle wichtigen aussenpolitischen Vorgänge informiert zu werden. Deshalb kommt dem Bundesrat die Aufgabe zu, seine Aussenpolitik im dauernden Dialog mit der schweizerischen Öffentlichkeit und den zahlreichen innenpolitischen Akteuren zu führen.

Innen- und Aussenpolitik sind untrennbar miteinander verknüpft. Innenpolitische Entscheidungen werden wesentlich von internationalen Entwicklungen beeinflusst.

Die zunehmende Rolle, die internationale Entwicklungen und ­ als Antwort darauf ­ die internationale Zusammenarbeit sowie internationale Abkommen spielen, engen den nationalen Handlungsspielraum ein.

Aussenpolitik ist auch die Fortführung der Innenpolitik gegen aussen. Wenn die Schweiz den Frieden im Kosovo fördert, versucht sie auch, Migrationspotenzial für unser Land abzubauen; mit einer aktiven Entwicklungszusammenarbeit im südlichen Afrika wird auch bezweckt, dortige Gesellschaften dauerhaft in die Lage zu versetzen, zu Partnern auf dem Weltmarkt und damit zu interessanten Märkten für die schweizerische Wirtschaft zu werden. Die Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden: Krisen und Probleme ausserhalb schweizerischer Grenzen lassen sich nicht dauerhaft von unserem Land fernhalten; sie haben direkte Auswirkungen auf unsere Arbeitsplätze, auf die Zuwanderung, kurz: auf Sicherheit und Wohlstand in der Schweiz. Deshalb hat die schweizerische Aussenpolitik auch zum Ziel, Entscheidungen des Auslands so zu beeinflussen, dass die innenpolitischen Handlungsspielräume nicht über Gebühr eingeschränkt werden. Aussen- und Innenpolitik lassen sich nicht trennen, sondern sind häufig nur die beiden Seiten der gleichen Münze.

Ohne eine fortwährende innenpolitische Abstützung würden der schweizerischen Aussenpolitik demokratische Legitimation und Kontrolle sowie Rückkoppelung mit den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräften unseres Landes fehlen. Eine breite innenpolitische Abstützung ist Voraussetzung dafür, dass die vom Bundesrat beabsichtigte Aussenpolitik der schrittweisen Öffnung unseres Landes und der besseren Wahrnehmung weltpolitischer Verantwortung durchgesetzt
werden kann.

Die schweizerische Aussenpolitik kann auf Grund der Aktivitäten im letzten Jahrzehnt und auf Grund der öffentlichen Auseinandersetzungen über einzelne Sachfragen auf Verständnis der Bürgerinnen und Bürger zählen. Letztlich entscheidet in der Schweiz das Volk, allenfalls zusammen mit den Ständen, über alle wichtigen aussenpolitischen Fragen.

Aussenpolitische Sachentscheide bedingen Kenntnis und Verständnis für internationale Zusammenhänge und ihre Auswirkungen auf innenpolitische Themen. Mit einer gezielten Verstärkung der Informations- und Bildungsarbeit will der Bundesrat das Bewusstsein für die schweizerischen Handlungsmöglichkeiten und Handlungszwänge fördern. Die angestrebte Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit geht von der Tatsache aus, dass Informationen einen Markt bilden, auf dem auch die Aussenpolitik des Bundesrates mit neuen Kommunikationsformen bestehen muss. Deshalb wird der Bundesrat auf der Grundlage eines aussenpolitischen Informationskonzepts im neuen Jahrzehnt eine kohärente und koordinierte Informationspolitik verfolgen, welche die aussenpolitischen Einzelvorhaben und Massnahmen in den Gesamtzusam295

menhang stellt. Zudem will der Bundesrat der Information für die Jugend besondere Wichtigkeit einräumen und sieht zu diesem Zwecke gemeinsame Anstrengungen von Bund und Kantonen zur Verstärkung der Zusammenarbeit mit den Schulen aller Stufen vor.

Von besonderer Bedeutung wird die weitere Stärkung der bereits bestehenden engen Zusammenarbeit mit der Wissenschaft sein. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogrammes «Grundlagen und Möglichkeiten der schweizerischen Aussenpolitik» (NFP 42), das 1995 in Auftrag gegeben wurde und insgesamt 58 Forschungsprojekte umfasst14, ist der Ideenaustausch mit der akademischen Welt wesentlich intensiviert worden. Dieser Austausch dient auch dazu, Projekte des Bundesrates einer externen Prüfung zu unterziehen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse aufzunehmen und aus der externen Evaluation der geleisteten Arbeit Verbesserungen für die Zukunft abzuleiten.

Allerdings kann der Bundesrat alleine nicht für ein vertieftes Verständnis aussenpolitischer Sachfragen sorgen. Dazu braucht es auch Bemühungen des Parlaments, der Kantone, der politischen Parteien und anderer politisch und gesellschaftlich bestimmenden Kräfte in unserem Land.

3.1.2.3

Interessenpolitik und Neutralität

Schweizerische Aussenpolitik will Interessen der Schweiz wahren. Sie ist gleichzeitig auch Ausdruck der Verantwortung, die unser Land als Teil der Staatengemeinschaft wahrzunehmen hat. So gesehen bringt das Wortpaar Interessenwahrung und Verantwortung die ethische Grundlage einer nachhaltigen, zukunftsorientierten Politik zum Ausdruck. Es ist dies eine Ethik des Gleichgewichts von Rechten und Pflichten zwischen gleichwertigen Partnern und Partnerländern, die verlangt, dass Interessenkonflikte nach den Regeln legitimer Ansprüche und nicht nach jenen der Machtverteilung unter den Partnern und Trägern von Ansprüchen geregelt werden.

Die schweizerische Aussenpolitik muss programmatisch abgestützt sein, will sie mehr sein als die Summe bilateraler Beziehungen zwischen souveränen Staaten.

Aussenpolitik als programmatisches Ganzes hat wiederum klare Bezüge zu vielen Bereichen der Innenpolitik.

Die beschriebenen internationalen Entwicklungen greifen derart ineinander, wirken ungeachtet staatlicher Grenzen so rasch und sind so anspruchsvoll, dass ihnen nur im Zusammenwirken zwischen Staaten, internationalen Organisationen sowie privaten und öffentlichen Akteuren der Aussenpolitik begegnet werden kann. Zudem erfordert der Globalisierungsprozess neue Denk- und Arbeitsansätze: In Zukunft werden noch mehr als bisher vernetzte Antworten auf komplexe Problemstellungen vonnöten sein. Solche Antworten werden die Verschiedenartigkeit der beteiligten Akteure und der Problemstellungen zu berücksichtigen haben.

Der verstärkte globale Wettbewerb erzwingt eine ständige Verbesserung der Standortattraktivität der Schweiz sowie der Produktivität schweizerischer Unternehmungen. Auf diesem Weg sind Liberalisierung und Deregulierung der Märkte teilweise

14

296

Die Publikation einer umfassenden wissenschaftlichen Synthese der Forschungsergebnisse ist für die zweite Hälfte des Jahres 2001 vorgesehen. Die Ergebnisse des NFP 42 wurden im August 2000 der Öffentlichkeit vorgestellt.

unabdingbare wirtschaftliche Notwendigkeiten. Gleichzeitig müssen ökologische und soziale Ziele einbezogen werden, beispielsweise durch neue Modelle zur Sicherung der Grundversorgung und der sozialen Sicherheit sowie durch marktwirtschaftliche Anreize für eine ressourcen- und umweltschonende Wirtschaftsweise.

Der Bundesrat wird dabei im Auge behalten, dass der aussenpolitische Einfluss unseres Landes stark von seiner wirtschaftlichen Bedeutung abhängig ist. Die wirtschaftliche Interessenvertretung gegen aussen bleibt einer der Kernpunkte schweizerischer Aussenpolitik. Für ein Land, das sich auf Grund fehlender natürlicher Ressourcen weitgehend auf die Herstellung von Produkten und Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung konzentrieren muss, bilden gute politische und wirtschaftliche Beziehungen zu allen Staaten die Voraussetzung für eine wirksame Interessenwahrung. Die Universalität der Aussenpolitik schliesst die Bildung von Schwerpunkten nicht aus, vor allem nicht auf wirtschaftlichem Gebiet. Dazu zwingen übrigens auch die beschränkten finanziellen und personellen Mittel.

Durch ein politisches Abseitsstehen vergrössert sich für unser Land die Gefahr einer wirtschaftlichen und politischen Fremdbestimmung. Wichtige Fragen sind zunehmend nur noch auf internationaler oder regionaler Ebene zu lösen; die multilaterale Politik ist politisch und wirtschaftlich zur vorherrschenden Handlungsebene geworden.

Angesichts der beschleunigten technologischen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen in der Welt ist der Bundesrat davon überzeugt, dass sich eine aktive, gestaltende Aussenpolitik zum politischen und wirtschaftlichen Vorteil unseres Landes auswirken wird. Diese zukunftsorientierte Politik will nicht nur auf internationale Herausforderungen reagieren, sondern die weltweiten Rahmenbedingungen aktiv mitgestalten.

Die neuen internationalen Rahmenbedingungen wirken sich im besonderen Masse auf die Sicherheitspolitik der Schweiz aus und sind deshalb auch für die Ausgestaltung der schweizerischen Neutralitätspolitik von grosser Bedeutung: Wie der Bundesrat letztmals im Sicherheitspolitischen Bericht 2000 ausführte, haben die beiden traditionellen Pfeiler der schweizerischen Sicherheitspolitik, autonome Verteidigung und Neutralität, für die Wahrung der Sicherheit in Europa im letzten Jahrzehnt
stark an Bedeutung verloren. Die Schweiz kann ihre Sicherheit nicht im Alleingang garantieren, sondern ist dafür auf die Zusammenarbeit mit andern angewiesen. Deshalb bildet «Sicherheit durch Kooperation» das Leitmotiv der neuen schweizerischen Sicherheitspolitik. Vor diesem Hintergrund wird der Bundesrat die bereits im Neutralitätsbericht 1993 dargelegte und im Sicherheitspolitischen Bericht 2000 bestätigte Strategie weiterverfolgen: Die grundsätzliche Beibehaltung der Neutralität gekoppelt mit der konsequenten Nutzung des Handlungsspielraums sind geeignete Mittel, um einen nützlichen Beitrag für Sicherheit und Frieden in der Welt zu leisten.

Der Neutralitätsstatus hindert unser Land nicht daran, die internationale Zusammenarbeit im sicherheitspolitischen Bereich weiter zu verstärken sowie nichtmilitärische Sanktionen zu unterstützen, welche die UNO oder eine relevante Staatengruppe wie beispielsweise die OSZE oder die EU gegen einen Rechtsbrecher ergreifen. Die Unterstützung militärischer Massnahmen durch die Schweiz unter gleichzeitiger Wahrung ihrer Neutralität wird auch in Zukunft nur dann zulässig sein, wenn diese Massnahmen im Einklang mit dem geltenden, allgemein anerkannten Völkerrecht stehen.

297

3.1.2.4

Koordinationsaufgaben

Eine einheitliche, kohärente Aussenpolitik ist Voraussetzung für die optimale Wahrung der Interessen der Schweiz gegenüber dem Ausland. Unter Wahrung der Zuständigkeiten der Departemente koordiniert das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) die aussenpolitische Tätigkeit. Der Bundesrat hat dem EDA folgende Koordinationsrolle zugewiesen: ­

Das EDA stellt «in Zusammenarbeit mit den anderen Departementen die Kohärenz der Aussenpolitik der Schweiz» sicher (Organisationsverordnung des EDA vom 29. März 2000)15.

­

«Es koordiniert die aussenpolitische Tätigkeit der Departemente und Ämter und arbeitet zu diesem Zweck eng mit allen betroffenen Verwaltungsstellen zusammen» (Organisationsverordnung des EDA vom 29. März 2000) 16.

Die kohärente Umsetzung der schweizerischen Aussenpolitik stellt erhebliche Anforderungen. Der Bundesrat ist bestrebt, die entsprechenden Verfahren so zu verbessern, dass Widersprüche zwischen einzelnen Sachbereichen verringert werden, damit die Glaubwürdigkeit seiner Aussenpolitik im In- und Ausland erhalten bleibt.

Zielkonflikte sind eine normale Begleiterscheinung politischer Entscheidungen. Der Bundesrat wird deshalb vermehrt überprüfbare Vorgaben für die Aussenpolitik formulieren. Die Lösung einer aussenpolitischen Sachfrage muss mit den massgeblichen Verfassungsnormen im Einklang stehen. Bereichsübergreifende Gesamtstrategien, die den Orientierungsrahmen für die verschiedenen Akteure bilden, sowie Transparenz der Entscheidungsverfahren sind geeignete Mittel einer kohärenten Aussenpolitik.

Besonders bedeutsam ist die Koordination der verschiedenen Politikbereiche im Rahmen der Aussenbeziehungen bei schwerwiegenden Verstössen gegen Frieden und Sicherheit oder bei Verletzungen grundlegender Prinzipien durch einzelne Länder, mit denen die Schweiz zusammenarbeitet. In derartigen Fällen überprüft der Bundesrat die Beziehungen mit einem Land in ihrer ganzen Breite und entscheidet auf Grund klarer Kriterien über einen teilweisen oder völligen Abbruch der Zusammenarbeit (so genannte «politische Konditionalität»).

Als Kriterien gelten namentlich: ­

schwere Verstösse gegen Frieden und Sicherheit (Krieg, Schüren von Kriegsbestrebungen, Staatsterror),

­

schwer wiegende Verletzungen der Menschenrechte, insbesondere gravierende Diskriminierung von Minderheiten,

­

fehlende Bemühungen um eine Gute Regierungsführung; dazu zählen die bewusste und konsequente Verhinderung von reformorientierten Massnahmen,

­

Unterbrechung oder Rückgängigmachung von Demokratisierungsprozessen,

­

fehlende Bereitschaft zur Rückübernahme der eigenen Staatsangehörigen.

Für die Anwendung der politischen Konditionalität gibt es keinen Automatismus.

Vielmehr gilt es, sich die Zielsetzung einer bestimmten Massnahme vor Augen zu 15 16

298

SR 172.211.1 (Art. 1 Abs. 2 Bst. b) SR 172.211.1 (Art. 2 Bst. a)

halten und jeweils situationsbezogen und nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit die bestmögliche Option für die schweizerische Interessenwahrung zu wählen.

Das Schwergewicht der Verbesserung einer gefährdeten Zusammenarbeit wird bei positiven Massnahmen liegen. Darunter versteht der Bundesrat gezielte Massnahmen im Partnerland, die dazu beitragen, von der Schweiz kritisierte Sachverhalte in Zusammenarbeit mit der Regierung oder mit Gruppen der Zivilgesellschaft zu beheben.

Der teilweise oder vollständige Abbruch der Zusammenarbeit mit einem Land kann sich jedoch ­ als äusserste Massnahmen ­ als unumgänglich erweisen, um die Glaubwürdigkeit aussenpolitischer Zielsetzungen zu wahren. Die dargestellten Kriterien gelten ebenfalls für die Aufnahme oder die Intensivierung von Aussenbeziehungen.

3.2

Ziele und Schwerpunkte

Die Schweizerische Bundesverfassung vom 18. April 1999 führte zu einer redaktionellen Neufassung der nunmehr in den Artikeln 54 Absatz 2 und 101 enthaltenen aussenpolitischen Ziele. Es handelt sich um folgende fünf Ziele: ­

friedliches Zusammenleben der Völker,

­

Achtung der Menschenrechte und Förderung der Demokratie,

­

Wahrung der Interessen der schweizerischen Wirtschaft im Ausland,

­

Linderung von Not und Armut in der Welt,

­

Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.

Im Folgenden werden diese fünf Ziele dargestellt und mittels Schwerpunkten konkretisiert.

3.2.1

Friedliches Zusammenleben der Völker

Schwerpunkte: Der Bundesrat will einen wesentlichen und deutlich sichtbaren Beitrag zur Verhütung gewaltsamer Konflikte leisten. Seine geografischen Schwerpunkte werden in Südost- und Osteuropa sowie in der Mittelmeerregion liegen. Dies schliesst punktuelle Engagements in Staaten, in denen die Schweiz über besondere Stärken verfügt, nicht aus. Die thematischen Schwerpunkte umfassen den Aufbau von Demokratie und Rechtsstaat, die Förderung des Dialogs im Konfliktfall sowie Bemühungen für den Wiederaufbau. Migrationspolitische Instrumente wie die Rückkehrhilfe können diese aussenpolitische Stossrichtung unterstützen.

Der Bundesrat will die schweizerische Offenheit zum Dialog und die Achtung kultureller Vielfalt mit dem interkulturellen Dialog und mit der Stiftung solidarische Schweiz national und international stärken.

299

3.2.1.1

Verhütung von gewaltsamen Konflikten und Wiederaufbau

Den friedenspolitischen Bemühungen der Schweiz liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass Konflikte oft Begleiterscheinungen sozialen und politischen Wandels sind: Solange sie gewaltlos ausgetragen werden, können sie sich positiv auf diesen Wandel auswirken. Viele gewaltsame Konflikte der jüngsten Zeit stehen in einem ursächlichen Zusammenhang mit Wohlstandsniveau, sozialem Gefälle und Entwicklungstempo in einem bestimmten Land. Deshalb besteht das Ziel der schweizerischen Friedenspolitik darin, im globalen und regionalen Rahmen auf Verhältnisse hinzuwirken, welche die gewaltlose Lösung bestehender Probleme ermöglichen. Im Fall akuter Konflikte werden jene Kräfte, die sich für die gewaltlose Beilegung von Streitigkeiten einsetzen, unterstützt. Schliesslich sollen langfristig orientierte Bestrebungen im gesellschaftlichen und institutionellen Bereich sowie bei den Infrastrukturen Wiederaufbauarbeit und damit Konfliktbewältigung ermöglichen.

Der Bundesrat wird deshalb auf kurze Frist angelegte Vermittlungsaktivitäten und langfristig angelegte Mittel der Konfliktverhütung weiter optimieren und deren Einsatz noch besser aufeinander abstimmen: ­

In der zivilen Friedensförderung wird das Instrumentarium ausgebaut, um bilateral und multilateral einen nachhaltigen Beitrag zur Konfliktlösung erbringen zu können. Wahlbeobachter und Wahlexperten, Menschenrechtsbeobachter, Zivilpolizisten und andere zivile Friedensexperten werden in einem «Expertenkorps für zivile friedensfördernde Missionen» zusammengefasst.

­

Die schweizerische Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit sowie die humanitäre Hilfe werden ihre langfristigen, auf die Verhütung gewaltsamer Konflikte ausgerichteten Aktivitäten verstärken und daneben in der Wiederaufbauarbeit tätig sein.

­

Im Rahmen der militärischen Friedensförderung wird der Bundesrat darauf abzielen, dass sich unser Land an jenen Einsätzen zur Friedensunterstützung beteiligen kann, die auf der Grundlage eines UNO- oder OSZE-Mandats durchgeführt werden. Falls es sich um bewaffnete Einsätze handelt, soll die Bewaffnung dazu dienen, dass die eingesetzten Truppen sich schützen und ihren Auftrag erfüllen können. Die Teilnahme an Kampfhandlungen zur Friedenserzwingung wird ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang wird der Bundesrat auch prüfen, ob und mit welchen Mitteln die Schweiz allenfalls bei künftigen Missionen der EU im Rahmen der so genannten «Petersberger-Aufgaben» (humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben und Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung) einen nützlichen Beitrag leisten könnte.

­

Die bestehende intensive Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Staaten im Bereich menschliche Sicherheit wird der Bundesrat weiterführen und nach Möglichkeit noch ausbauen.

Geografisch werden die friedenspolitischen Bemühungen auf Südost- und Osteuropa sowie die Mittelmeerregion konzentriert. Punktuelle Engagements in ausgewählten Staaten, in denen die Schweiz über besondere Stärken verfügt, sind nicht ausgeschlossen. In Südosteuropa wird die Schweiz vor allem mit internationalen Organisationen zusammenarbeiten, daneben aber nach wie vor auch bilateral tätig 300

bleiben. In anderen Krisengebieten steht die bilaterale Zusammenarbeit oder jene im Verbund mit gleichgesinnten Staaten klar im Vordergrund. Die bilateralen Bemühungen wird der Bundesrat insbesondere auf diejenigen Länder und Regionen ausrichten, in denen die Schweiz auf Grund der teilweise langjährigen Entwicklungszusammenarbeit über ein gut ausgebautes Beziehungsnetz, Kenntnisse der lokalen Verhältnisse sowie breite Akzeptanz verfügt.

Thematisch wird der Bundesrat die schweizerischen Bestrebungen einerseits auf vertrauensbildende, vermittelnde Aktionen konzentrieren. Andererseits wird er im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit friedensfördernde Massnahmen namentlich in folgenden Bereichen unternehmen: ­

Förderung lokaler Friedensbemühungen, von Wiederaufbau und Wiedereingliederung,

­

Stärkung der Zivilgesellschaft und des Dialogs zwischen Staat und Zivilgesellschaft,

­

Unterstützung unparteiischer Vermittlungsformen,

­

Förderung des gegenseitigen Verständnisses und der Transparenz in Konfliktsituationen.

Sodann wird der Bundesrat Massnahmen zur Erhöhung der menschlichen Sicherheit, insbesondere Entminungsaktionen und Aktionen zur Eindämmung von Kleinwaffen, besondere Beachtung schenken. Schliesslich werden die Bemühungen zur Stärkung des humanitären Völkerrechts weitergeführt.

Von besonderer Bedeutung wird die Vernetzung der beschriebenen Massnahmen mit den Bestrebungen der schweizerischen Migrationspolitik sein. Der Bundesrat geht davon aus, dass der Zuwanderungsdruck auf die Schweiz auch in den nächsten Jahren anhalten wird. Die Schweiz wird indessen auch in Zukunft auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sein. Zudem wird die Frage einer Zuwanderung nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus demografischen Gründen geprüft werden müssen. Dazu kommen humanitäre Erwägungen und die Achtung des Völkerrechts, insbesondere des völkerrechtlichen Grundsatzes, dass bei Rückführungen abgewiesener Asylbewerber das Leben in Sicherheit und Würde im Herkunftsland garantiert sein muss (Non-Refoulement). Der Bundesrat will sich vermehrt auf eine umfassende Migrationspolitik abstützten. Dazu gehört auch eine bessere Integration der Ausländer in der Schweiz.

Aussenpolitisch kann die nationale Migrationspolitik durch die Bekämpfung der Migrationsursachen unterstützt werden und damit einen nützlichen Beitrag zur Förderung des Friedens in der Welt leisten. Gestützt auf die guten Erfahrungen, die mit den Rückkehrhilfeprogrammen für Bosnien-Herzegowina und für den Kosovo gemacht wurden, werden ähnliche Programme für andere Länder geprüft. Zudem wird der Bundesrat überall dort, wo dies möglich ist, Rückübernahmeabkommen abschliessen. Die schweizerischen Möglichkeiten, Herkunftsstaaten von Migranten zur Zusammenarbeit bei der Rückkehr ihrer Staatsangehörigen zu bewegen, sind begrenzt; der koordinierte Einsatz aussenpolitischer Instrumente kann hier teilweise Abhilfe schaffen. Deshalb beabsichtigt der Bundesrat, in Zukunft in allen zwischenstaatlichen Zusammenarbeitsabkommen, die sich dafür eignen, Rückübernahmeklauseln aufzunehmen (vgl. Ziff. 3.1.2.4 «politische Konditionalität»).

Die Migrationsproblematik ist auf der Ebene des Einzelstaates nicht zu lösen. Wenn eine Verminderung jener Ursachen, die Migration zur Folge haben, erreicht werden 301

soll, ist internationale Zusammenarbeit unerlässlich. Im europäischen Rahmen ist der Bundesrat deshalb daran interessiert, sich an der Ausgestaltung einheitlicher migrationsbezogener Politiken der EU zu beteiligen. Allerdings hängen die entsprechenden Möglichkeiten vom Interesse der EU an einer vertieften Zusammenarbeit ab.

3.2.1.2

Offenheit zum Dialog und Achtung kultureller Vielfalt

Verstärkung des Dialogs der Kulturen und Zivilisationen Traditionelles Ziel der auswärtigen Kulturpolitik ist die Darstellung der Vielfalt und Lebendigkeit der schweizerischen Kulturszene im Ausland. Die Bemühungen des Bundesrates zur Verstärkung des schweizerischen Kulturlebens im Ausland werden von zahlreichen Kulturinstitutionen der Schweiz unterstützt. In den kommenden Jahren soll die schweizerische Kulturpolitik im Aussenbereich verstärkt werden, um den interkulturellen Austausch zu beleben.

Kulturellen Fragen kommt in der globalisierten Welt eine zunehmende Rolle zu. Die Achtung kultureller Diversität und das Verständnis für andere Kulturen und Zivilisationen gewinnen an Bedeutung. Die Kultur ist nicht nur Ausdruck der Kreativität von Einzelnen und von Völkern; kulturelle Schöpfungen und Erfahrungen schaffen auch Gemeinsamkeiten, welche die gegenseitige Verständigung fördern. Die Aussenpolitik der Schweiz wird sich deshalb vermehrt für den Dialog zwischen verschiedenen Kulturen einsetzen. Verständnis kann nur mit einer breiten Diskussion über die gegenseitigen kulturellen und religiösen Werte gefördert werden. Der Bundesrat hat die Absicht, in diesem Bereich stärker tätig zu werden. Damit hilft er mit, die innerhalb verschiedener internationaler Organisationen stattfindenden Diskussionen über die gegenseitige Toleranz, den Verzicht auf Gewalt zur Durchsetzung kultureller Anliegen und das gegenseitige Verständnis zu vertiefen.

Die Schweiz kann in diesem Bereich eigene Erfahrungen einbringen und konfliktgefährdete Staaten und Gesellschaften in ihren Bestrebungen unterstützen, ihre Verschiedenheiten so zu leben, dass keine gewaltsamen Auseinandersetzungen entstehen.

Verwirklichung der Stiftung solidarische Schweiz Der Bundesrat will das Projekt der Stiftung solidarische Schweiz so bald wie möglich verwirklichen. Die Stiftung ist Teil der Absicht, 1300 Tonnen Nationalbankgold einer neuen Verwendung zuzuführen. Davon sollen für die Stiftungszwecke 500 Tonnen Gold reserviert werden. Die entsprechenden Arbeiten werden Verfassungsänderungen und damit eine Volksabstimmung nötig machen.

Der Stiftungszweck wird sowohl innen- als auch aussenpolitische Elemente enthalten und vor allem die Ziele Armutsbekämpfung, Verhütung von Gewalt und Aufbau funktionierender sozialer Strukturen verfolgen. Ein
besonderes Schwergewicht soll auf die Zukunftsorientierung der Stiftung gelegt werden. Die Verbesserung der Lebensbedingungen für künftige Generationen steht deshalb im Zentrum der entsprechenden Bestrebungen. Neben der nationalen Zielsetzung will der Bundesrat mit der Stiftung solidarische Schweiz auch ein sichtbares Zeichen der internationalen Verantwortung unseres Landes setzen.

302

3.2.2

Achtung der Menschenrechte und Förderung der Demokratie

Schwerpunkte: Der Bundesrat will eine eigenständige und profilierte humanitäre Politik der Schweiz betreiben, in Fortführung der aussenpolitischen Tradition unseres Landes. Er wird seine Bestrebungen zur Achtung und Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat mit entsprechenden Massnahmen verstärken. Seine Menschenrechtspolitik wird der Bundesrat nach den Grundsätzen der Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte führen.

3.2.2.1

Humanitäre Politik der Schweiz ­ eine Tradition mit Zukunft

Humanitäre Dimensionen sind in allen Bereichen der schweizerischen Aussenpolitik zu finden, namentlich in der Entwicklungs-, Menschenrechts-, Sicherheits-, Aussenwirtschafts-, Migrations- und Umweltpolitik. Diese humanitären Dimensionen bezwecken, den Schutz von Leben und menschlicher Würde vor, während und nach Krisen und Konflikten zu ermöglichen und eine solidarische, wirksame und nachhaltige Antwort auf bestehende und potenzielle Krisen und Konflikte zu geben.

Wie in Ziffer 2 dargestellt wurde, haben sich die Gefahren für die in der heutigen Zeit lebenden Menschen im letzten Jahrzehnt nicht verringert. Die zahlreichen Auseinandersetzungen, die zum Alltag vieler Menschen gehören, werden charakterisiert durch immer effizientere Waffen, beispielsweise Streubomben, welche die Zivilbevölkerung zur eigentlichen Zielscheibe machen. Dazu kommt die Zunahme innerstaatlicher Konflikte, in denen häufig brutalste Unterdrückungs- und selbst Vernichtungsmethoden angewendet werden.

Bedeutungsvoll ist ebenfalls die auf Grund der Übernutzung natürlicher Ressourcen zu beobachtende Zunahme von Naturkatastrophen, die unterprivilegierte Gesellschaftsschichten am meisten treffen.

Diese Entwicklungen erfordern, dass der Respekt gegenüber den fundamentalsten humanitären Regeln verbessert wird. Die Bedeutung des humanitären Engagements nimmt zu, und die Suche nach allgemein gültigen humanitären Grundsätzen, auch für innerstaatliche Konflikte, bleibt ein dringendes Gebot.

Das weltweite humanitäre Engagement unseres Landes ist Teil unserer aussenpolitischen Traditionen. Weltweit sichtbare Zeichen dieses Engagements setzt die Schweiz als Ursprungs- und Heimatort des IKRK und der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung durch die aktive Unterstützung internationaler und schweizerischer humanitärer Organisationen und durch diejenige des internationalen Genfs, das humanitäre Kompetenzzentrum in der Welt. Mit dem schweizerischen Katastrophenhilfekorps und der humanitären Hilfe der Schweiz werden zahlreiche Programme und Projekte unterstützt. Viele schweizerische Hilfswerke sind ebenfalls in humanitären Projekten tätig. Diese und ähnliche Aktivitäten setzen ein international anerkanntes Zeichen für die humanitäre Solidarität der Schweiz.

303

Die humanitäre Politik der Schweiz wird auch in Zukunft einen aussenpolitischen Schwerpunkt bilden, mit Hilfe dessen der Bundesrat konkrete und sichtbare internationale Solidarität zum Ausdruck bringen will. Aus diesem Grund wird er die beiden Kernbereiche der humanitären Aussenpolitik besonders fördern, nämlich: ­

humanitäre Aktionen der Schweiz, insbesondere die humanitäre Hilfe,

­

humanitäres Völkerrecht, insbesondere dessen weltweite Verankerung und Weiterentwicklung.

Der Bundesrat will die Leistungsfähigkeit und die finanziellen Mittel der humanitären Hilfe verstärken. Einen Schwerpunkt wird er bei den Massnahmen zu Gunsten der Flüchtlinge und Vertriebenen setzen (humanitäre Nothilfe zur Verhinderung von Flüchtlingsströmen sowie Wiederaufbauhilfe für die Wiedereingliederung von Flüchtlingen und Vertriebenen).

Der Bundesrat wird sich weiterhin für die Stärkung und den Ausbau des humanitären Völkerrechts einsetzen. Im Vordergrund seiner entsprechenden Bemühungen steht das Ziel, das geltende humanitäre Völkerrecht besser durchzusetzen. Zu diesem Zweck wird der Bundesrat eng mit gleichgesinnten Staaten zusammenarbeiten, insbesondere im Rahmen des Internationalen Strafgerichtshofs, und das IKRK sowie weitere humanitäre Organisationen staatlicher oder privater Natur nach Kräften unterstützen.

Die humanitäre Aussenpolitik der Schweiz wird die Besonderheiten der entsprechenden Bestrebungen auch in Zukunft wahren, als da sind: Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Glaubwürdigkeit. Zudem ist die humanitäre Hilfe in einem bestimmten Notfall keinen politischen Bedingungen unterworfen.

3.2.2.2

Weltweiter Einsatz für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat

Verbesserung der Guten Regierungsführung Schlechte Wirtschafts- und Sozialpolitik, Missachtung der Menschenrechte, undemokratische Verhältnisse sowie schwache staatliche Strukturen sind Haupthindernisse für nachhaltige Entwicklung, Frieden und internationale Stabilität. Nur in einem Staat, der günstige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen garantiert, können Menschen sich entfalten, kann die private Initiative zum unerlässlichen Motor der Entwicklung werden.

In der internationalen Zusammenarbeit, vor allem im Dialog zwischen Norden und Süden, kommt den Fragen nach dem Stellenwert von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten («Gute Regierungsführung») mittlerweile eine Schlüsselrolle zu. Der Bundesrat will seine bisherigen Bemühungen verstärken und damit in den schweizerischen Partnerländern zur Förderung der individuellen Entfaltungsmöglichkeiten, der Menschenrechte und der Demokratie beitragen.

Thematische Schwerpunkte liegen bei der Unterstützung von Reformen im Bereich der Rechtsordnungen sowie der Staats-, Regierungs- und Verwaltungsorganisation.

Dazu treten Massnahmen zur Stärkung demokratischer Strukturen und Abläufe; hierzu sind etwa die Durchführung von Wahlen, die Unterstützung von Organisationen der Zivilgesellschaft oder die Förderung der Medienvielfalt und der Transparenz

304

zu zählen. Wichtig sind zudem Massnahmen gegen die in vielen Ländern grassierende Korruption.

Diese Anliegen sollen zum einen auf multilateraler Ebene eingebracht und durchgesetzt werden. Zum anderen soll «Gute Regierungsführung» auch über die bilaterale Zusammenarbeit angestrebt werden. Die Schweiz verfügt beispielsweise bei der Dezentralisierung über viel Erfahrung und Wissen, das gewinnbringend eingesetzt werden kann.

Dabei gilt es zu beachten, dass der Einsatz zu Gunsten der «Guten Regierungsführung» den besonderen Bedürfnissen und Rechtstraditionen des entsprechenden Landes Rechnung tragen muss. Ebenso muss Klarheit bestehen, dass Aufbau und Förderung rechtsstaatlicher Verhältnisse und Normen langfristige Aufgaben darstellen, die auf die Unterstützung der Zivilgesellschaft eines Landes angewiesen sind.

Achtung der Menschenrechte als aussenpolitische Handlungsanweisung Menschenrechte sind ethischer und normativer Ausdruck grundlegender, universell gültiger Wertvorstellungen. Die globalisierte Welt braucht diesen verbindlichen Rahmen, der das Zusammenleben von Staaten, Völkern und Individuen regelt. Allerdings bestehen nach wie vor besorgniserregende Schwierigkeiten, die Menschenrechte durchzusetzen.

Diese Kluft zwischen rechtlichem Rahmen und Durchsetzung wird vertieft durch zwei weitere Konfliktquellen: ­

Einerseits wird immer wieder versucht, die Durchsetzung der Menschenrechte von Entwicklungsprioritäten, kultureller Diversität oder von dem im Menschenrechtsbereich nicht anwendbaren Grundsatz der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten abhängig zu machen.

­

Andererseits ist gerade die Menschenrechtspolitik immer wieder Gegenstand nationaler Interessenkonflikte, beispielsweise bei der Gewährung von Exportrisikogarantien.

Zudem ist das internationale Umfeld im Menschenrechtsbereich in einem stetigen Wandel begriffen, der von der internationalen Gemeinschaft immer neue, angepasste Instrumente der Menschenrechtspolitik erfordert. Der Ausgestaltung und Durchsetzung juristischer Instrumente kommt eine besondere Bedeutung zu. Beispiele für diese Entwicklungslinie sind der Ausbau des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Ad-hoc-UNO-Tribunale in Ruanda und in Ex-Jugoslawien sowie das am 17. Juli 1998 in Rom verabschiedete Statut eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs. Darüber hinaus zeigt beispielsweise der Fall Pinochet auf, dass die Frage der Rechtmässigkeit von Handlungen von Regierungspersonen zunehmend nach universell gültigen Kriterien beurteilt wird.

Rechtsgrundlage und Angemessenheit der einzusetzenden Instrumente und Mittel bedürfen immer wieder der internationalen Diskussion und Akzeptanz. Dies wird besonders deutlich beim Gebrauch von Gewalt zur Durchsetzung von Menschenrechten: Als Beispiel dient die NATO-Intervention in der Kosovo-Krise, die auf Grund von drastischen Menschenrechtsverletzungen und von Verletzungen des humanitären Völkerrechts zu Stande kam. Andere Beispiele betreffen die internationale Sanktionspolitik (Wirtschaftsembargo, Blockierung von Guthaben, Nichtgewährung von Visa), die ebenfalls heikle Fragen aufwerfen.

305

Menschenrechte bilden eine juristische und eine bedeutsame ethische Grundlage der schweizerischen Aussenpolitik. Traditionell verfolgt unser Land das Ziel, die Menschenrechtssituation für so viele Menschen wie möglich zu verbessern. Dabei geht der Bundesrat von einem umfassenden Menschenrechtsbegriff aus, der wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ebenso einschliesst, wie bürgerliche und politische Rechte. Auf internationaler Ebene haben Menschenrechte im weitesten Sinne in allen Teilbereichen der Beziehungen sowohl zwischen Staaten als auch zwischen Staaten und Privatpersonen sowie direkt zwischen Privatpersonen grössere Bedeutung gewonnen.

Unser Land hat die dargestellte internationale Entwicklung aktiv gefördert und wird sich auf bilateraler und multilateraler Ebene weiterhin für den Ausbau der Menschenrechte sowie für deren universelle Anerkennung und Durchsetzung einsetzen.

Zu diesem Zweck stehen der Schweiz verschiedenste Instrumente zur Verfügung, die im «Bericht über die Menschenrechtspolitik der Schweiz» vom 16. Februar 2000 im Einzelnen beschrieben werden. Die Durchsetzung einer kohärenten schweizerischen Menschenrechtspolitik bedingt eine verstärkte Koordination aller Bemühungen und eine enge Partnerschaft mit der Zivilgesellschaft und mit der Wirtschaft.

3.2.3

Wirtschaftliche Interessenwahrung

Schwerpunkte: Der Bundesrat will der schweizerischen Wirtschaft die bestmöglichen Rahmenbedingungen im Inland und damit die Voraussetzungen für ihren Erfolg auf internationaler Ebene sichern. Thematische Schwerpunkte bilden die KMU-Exportförderung, die aussenpolitische Unterstützung des Forschungsund Lehrplatzes Schweiz sowie der multilaterale und bilaterale Einsatz für weltweit gute Rahmenbedingungen. Der Förderung eines leistungs- und wettbewerbsfähigen Finanzplatzes und dessen Interessenwahrung im Ausland kommt besondere Bedeutung zu.

3.2.3.1

Aussenpolitische Abstützung des Standorts Schweiz

Die Schweiz soll weiterhin zu den attraktivsten Wirtschaftsstandorten zählen. Zu diesem Zweck will der Bundesrat das Netz der bilateralen Freihandels-, Investitionsschutz- und Doppelbesteuerungsabkommen weiter ausbauen sowie dem dynamischen Sektor der kleinen und mittleren Unternehmungen (KMU) der Schweiz noch bessere Voraussetzungen schaffen, um im weltweiten Wettbewerb mithalten zu können. Das neue Exportförderungsgesetz führt zu einer Neuausrichtung der schweizerischen Politik im KMU-Bereich: Die Exportförderungsmittel sollen auf rund 20 Schwerpunktländer konzentriert werden, deren Märkte für schweizerische Unternehmungen besonders wichtig oder zukunftsträchtig sind. Im Vordergrund stehen vorerst die Nachbarländer sowie Grossbritannien, die USA, Japan, China, Brasilien und Indien. Der Bundesrat wird selbstverständlich weiterhin bestrebt sein, angemessene Dienstleistungen der Exportförderung in sämtlichen Ländern mit schweize-

306

rischen Vertretungen sicherzustellen. Auch der grenzüberschreitende Tourismus soll weiter gefördert werden.

In Zentraleuropa will sich der Bundesrat in den kommenden Jahren darauf konzentrieren, Export- und Investitionsförderung zu betreiben sowie ein Programm zur Förderung lokaler Finanzmärkte in Gang zu bringen.

Im Bereich wirtschaftliche Entwicklung dürften die neu geschaffenen Instrumente für langfristige Partnerschaften zwischen schweizerischen Firmen und solchen in Entwicklungs- und Schwellenländern (z.B. SDFC und SOFI) besonders interessant sein.

Die Stärken der schweizerischen Wirtschaft liegen bei hochwertigen Produkten und Dienstleistungen, die ein hohes Bildungs-, Forschungs- und Technologieniveau voraussetzen. Die künftige Wettbewerbsfähigkeit schweizerischer Unternehmungen wird deshalb in entscheidendem Masse davon abhängen, dass Massnahmen der öffentlichen Hand diese Stärken unterstützen. Innen- und Aussenpolitik sind in diesem Bereich besonders gefordert, wenn die Schweiz den Anschluss an ihre wichtigsten Wirtschaftspartner nicht verlieren will. Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität des Forschungsplatzes Schweiz bilden einen zentralen Standortfaktor. Bildung, Forschung und Technologie sind auch durch eine intensive internationale Zusammenarbeit geprägt. Deshalb kommt der aussenpolitischen Abstützung der innenpolitischen Bemühungen hohe Bedeutung zu. Neben der Verstärkung der Zusammenarbeit mit der EU, insbesondere in den Bereichen Ausbildung, Forschung, Infrastrukturen, Telekommunikation, Verkehr und Energie, gilt es, auch über Europa hinaus den ausgezeichneten Ruf der Schweiz zu halten. Der Bundesrat sieht deshalb vor, mehr Wissenschaftsräte an schweizerischen Vertretungen einzusetzen, um die internationalen Beziehungsnetze im Forschungsbereich auszubauen.

3.2.3.2

Förderung eines stabilen Weltwirtschafts- und Finanzsystems

Der Bundesrat wird im weltweiten Rahmen daran mitarbeiten, jene nationalen und internationalen Rahmenbedingungen zu stärken, die einen Rückfall in den Protektionismus verhindern helfen. Er unterstützt deshalb mit Nachdruck entsprechende Aktivitäten der Welthandelsorganisation. Zudem wird der Bundesrat seine Politik des Abschlusses von Freihandelsabkommen insbesondere auch mit aussereuropäischen Ländern fortsetzen.

Die Weltwirtschaft hat in der jüngeren Vergangenheit einen grossen Liberalisierungsschub nicht nur des Waren- und Dienstleistungshandels, sondern vor allem auch des Kapitalverkehrs erlebt. Als Folge davon hat die Integration der Weltwirtschaft zugenommen. Deshalb können Wirtschaftsverhandlungen der internationalen Gemeinschaft nicht mehr ausschliesslich dem Thema «freier Marktzugang» gelten, sondern müssen das weiter gefasste Ziel verfolgen, die erweiterten und intensivierten Wirtschaftsbeziehungen vor Verwerfungen zu bewahren. Die internationale Gemeinschaft muss hierfür jene nationalen und internationalen Regelwerke und Institutionen aufbauen, die langfristig funktionsfähige Märkte gewährleisten. Marktkräfte mit Hilfe von Liberalisierungsmassnahmen zu entfesseln ist das eine; sie auch ordnungspolitisch sinnvoll einzubinden, das andere.

307

Über ihre grosse Aussenhandelsverflechtung hinaus ist die Schweiz mehr als jedes andere Land an funktionsfähigen Märkten interessiert. Diese machen die guten Standortbedingungen aus, auf die unser Land auch in den Gaststaaten seiner zahlreichen und teils bedeutenden international tätigen Unternehmungen angewiesen ist.

Im Vordergrund stehen Massnahmen des nationalen Wirtschaftsrechts, die jedoch auf internationaler Ebene aufeinander abzustimmen sind, beispielsweise bei der «Guten Regierungsführung», der «corporate governance», der Wettbewerbs- und Umweltpolitik. Für die Industriestaaten fällt eine entsprechende Koordinationsaufgabe seit langem der OECD zu. Die entsprechenden Anstrengungen müssen jedoch geografisch ausgedehnt und in einzelnen Bereichen intensiviert werden. Auch die Welthandelsorganisation, der Währungsfonds und die Weltbank sowie die Internationale Arbeitsorganisation sind in Zukunft vermehrt gefordert. Die Schweiz unterstützt und fördert tatkräftig die fraglichen Anstrengungen internationaler Wirtschaftsorganisationen. Ihr Leitbild funktionsfähiger Märkte umfasst insbesondere auch die Grundsätze sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit.

Weil die Schweiz auf ein stabiles und offenes internationales Finanzsystem angewiesen ist, hat sie auch ein grosses Interesse daran, die Politik der internationalen Finanzinstitutionen weiterhin aktiv mitzugestalten. Der Bundesrat hat im Jahr 1999 seine grundsätzliche Haltung zur Reform des internationalen Finanzsystems dargelegt17. Als Mitglied der Institutionen von Bretton Woods will er folgende schweizerischen Ziele verfolgen: ­

Die Schweiz unterstützt den Währungsfonds bei der Förderung eines stabilen und funktionsfähigen internationalen Finanz- und Währungssystems, setzt sich für einen effizienten und effektiven Einsatz der Fondsmittel ein und legt grossen Wert auf eine konsequente Anwendung der wirtschaftspolitischen Konditionalität bei der Kreditvergabe.

­

Sie ist bestrebt, den Privatsektor besser in die Mechanismen der Krisenbewältigung einzubinden, legt Gewicht auf die Sozial- und Umweltverträglichkeit der Wirtschaftsentwicklung und unterstützt eine verstärkte Ausrichtung der Programme von Währungsfonds und Weltbank auf die Armutsbekämpfung.

­

Sie befürwortet eine effiziente Arbeitsteilung zwischen den internationalen Wirtschaftsorganisationen bei gleichzeitiger Intensivierung der Koordination und setzt sich für vermehrte Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit ein.

Insgesamt will der Bundesrat darauf hinwirken, dass die massgebenden internationalen Organisationen in den Bereichen Weltwirtschaft und Finanzen entwicklungs-, umwelt- und sozialpolitische Anliegen besser berücksichtigen. Diesen Bestrebungen liegt die Überzeugung zu Grunde, dass nur ein Weltwirtschafts- und Finanzsystem, das die Interessen der Grossen und der Kleinen, der Armen und der Reichen berücksichtigt, auf Dauer Bestand haben kann und der nachhaltigen Entwicklung dient.

17

308

Vgl. Bericht des Bundesrates vom 4.10.99: «Das internationale Finanzsystem und die Position der Schweiz»

3.2.3.3

Förderung des Finanzplatzes Schweiz

Die Förderung und internationale Absicherung eines leistungs- und wettbewerbsfähigen Finanzplatzes Schweiz wird wegen dessen Bedeutung für die schweizerische Volkswirtschaft auch in den kommenden Jahren Priorität des Bundesrates bleiben.

Der Bundesrat geht davon aus, dass sich der Finanzplatz Schweiz einem verstärkten weltweiten Wettbewerb wird stellen müssen. Dazu kommen die Herausforderungen durch den technologischen Fortschritt sowie der Globalisierungsprozess und der Strukturwandel im Finanzdienstleistungsbereich. Die Öffnung neuer Geschäftsfelder (z.B. «e-commerce») dürfte auch die Anforderungen an die internationale Zusammenarbeit erhöhen und neue Lösungen erfordern. Der Bundesrat will daher auch in Zukunft die notwendigen Rahmenbedingungen für die Erhaltung eines starken Finanzplatzes bereitstellen.

Die vom Ausland immer wieder geübte Kritik am Schweizer Finanzplatz dürfte auch in Zukunft nicht verstummen und bisweilen in politischen Druck ausmünden. Das hat verschiedene Gründe: ­

Wettstreit um Marktanteile angesichts der weltweit führenden Position der Schweizer Banken in der Vermögensverwaltung,

­

Besorgnis, dass infolge der hohen Mobilität des Kapitals das Steuersubstrat stark abnehmen könnte,

­

Verstärkte Forderung nach der Integrität von Finanzplätzen, insbesondere nach einem konsequenten Vorgehen gegen Geldwäscherei und kriminelle Steuerwiderhandlungen sowie zur Abwehr von Potentatengeldern.

Die hohe Mobilität des Kapitals erfordert in Zukunft noch verstärkte Bestrebungen für eine wirksame Abwehr illegaler Gelder, namentlich im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen. Die Schweiz hat in diesem Bereich in den vergangenen Jahren grosse Anstrengungen unternommen. Die Wahrung der Integrität des Finanzplatzes stellt für den Bundesrat nicht nur aus ethischen Gründen eine Notwendigkeit dar. Sie ist auch zu einem wichtigen Standortfaktor für einen international erfolgreichen Finanzplatz geworden.

Das Problem der Bekämpfung illegaler Gelder und des organisierten Verbrechens betrifft jedoch nicht nur die Schweiz, sondern alle internationalen Finanzplätze.

Antworten auf diese Entwicklungen grenzüberschreitender Natur sind nicht im Alleingang, sondern nur in Zusammenarbeit mit anderen Staaten zu finden. So wird die Verhinderung des Zuflusses illegaler Gelder sowohl Massnahmen auf nationaler Ebene wie auch die verstärkte internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung der Finanzkriminalität in all ihren Ausprägungen erfordern. Beispielsweise wird es nur mit der entschlossenen Umsetzung des Geldwäschereigesetzes, mit einer rigorosen Verfolgung von Vergehen, mit einer strikten Einhaltung der Sorgfaltsverpflichtungen der Geldinstitute sowie mit der Ausschöpfung aller Rechtshilfevorschriften gelingen, den schwer kontrollierbaren Zufluss illegaler und deshalb unerwünschter Gelder zu vermindern und die von der Schweiz in den letzten Jahren getroffenen Massnahmen international abzustützen. Auf internationaler Ebene wird sich die Schweiz weiterhin dafür einsetzen, dass die Beurteilung der Anstrengungen der Länder zur Bekämpfung der Finanzkriminalität dem Prinzip der Gleichbehandlung folgt und sich nach objektiven Kriterien richtet.

309

Mit Blick auf die geplante Harmonisierung der Zinsbesteuerung in der EU teilt der Bundesrat die Ansicht, dass Kapitalerträge angemessen zu besteuern sind. Er geht davon aus, dass es nicht im Interesse der Schweiz liegen kann, Geschäfte anzuziehen, die darauf ausgerichtet sind, eine allfällige EU-Regelung zu umgehen. Sofern sich die EU konkret auf eine gemeinsame Regelung zur umfassenden Zinsbesteuerung einigen wird, wäre die Schweiz bereit, unter Wahrung ihres Bankgeheimnisses nach Wegen zu suchen, um Umgehungsgeschäfte möglichst unattraktiv zu machen.

Diese Suche nach Lösungen ist in den Rahmen der Gesamtbeziehungen Schweiz­ EU zu stellen (vgl. Ziff. 3.3.2).

Das Bankgeheimnis ist die Schweigepflicht der Banken, ihrer Vertreter und Mitarbeiter betreffend der geschäftlichen Angelegenheiten ihrer Kunden, von denen sie bei der Ausübung ihres Berufes Kenntnis erhalten haben. Es gewährleistet somit im Finanzbereich das Recht des Einzelnen auf die Wahrung seiner Privatsphäre. Diese Funktion des Bankgeheimnisses wird auch in Zukunft nicht zur Disposition stehen.

Bereits nach geltendem Recht ist der Schutz des privaten Charakters der Beziehungen jedoch nicht grenzenlos. Er hört dort auf, wo das Bankgeheimnis für kriminelle Aktivitäten missbraucht wird.

3.2.4

Linderung von Not und Armut in der Welt

Schwerpunkte: Der Bundesrat will die Armutsbekämpfung ins Zentrum seiner Entwicklungszusammenarbeit stellen. Dabei will er folgende Schwerpunkte setzen: Einkommensförderung und Beschäftigung, «Gute Regierungsführung», Förderung des Privatsektors, nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, Integration in den Welthandel, Entschuldung, sozialer Ausgleich, Krisenverhütung und Krisenbewältigung.

Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit und Osthilfe Auch künftig stellt die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz die Armutsbekämpfung ins Zentrum ihrer Aktivitäten. Damit reihen sich die Bemühungen der Schweiz nahtlos in die internationalen Bestrebungen der übrigen Industrieländer ein und entsprechen dem Leitbild, das die OECD-Staaten im Jahre 1996 für die Nord­ Süd-Zusammenarbeit in der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts verabschiedet haben18.

Allerdings wird es nur mit einer erhöhten finanziellen Unterstützung möglich sein, die Ziele der schweizerischen Entwicklungspolitik bilateral und multilateral verstärkt umzusetzen. Der Bundesrat ist deshalb bestrebt, das Ziel, öffentliche Entwicklungszusammenarbeit im Umfang von 0,4 Prozent des schweizerischen Bruttosozialprodukts zu leisten, innerhalb des nächsten Jahrzehnts zu erreichen.

18

310

Vgl. OECD: «Shaping the 21st Century»: The Contribution of Development Co-operation, Paris 1996

Die Zusammenarbeit mit den Ländern Osteuropas wird weitergeführt. Die verschiedenen Krisen in Südosteuropa haben gezeigt, dass das hohe schweizerische Engagement auch weiterhin gerechtfertigt ist.

Im kommenden Jahrzehnt werden sich Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit auf folgende thematische Schwerpunkte konzentrieren: Einkommensförderung und Beschäftigung, «Gute Regierungsführung», Förderung des Privatsektors, nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, Integration in den Welthandel, sozialer Ausgleich, Entschuldung sowie Krisenverhütung und Krisenbewältigung. Im multilateralen Rahmen wird die Schweiz die massgebenden internationalen Organisationen deshalb vor allem in diesen Schwerpunktbereichen sowie bei der Sozial- und Umweltverträglichkeit von Programmen unterstützen.

Dabei lässt sich der Bundesrat von folgenden Grundsätzen leiten: ­

Im Zentrum jeder erfolgreichen Entwicklungszusammenarbeit müssen Bedürfnisse und Potenziale der Partner und der Bevölkerung stehen. Sie müssen die Verantwortung für ihre eigene Entwicklung tragen. Dies setzt eine auf bestehende Bedürfnisse und Probleme ausgerichtete Partnerwahl voraus.

Je nach Zielsetzung wird die Schweiz mit staatlichen Akteuren oder Partnern der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten.

­

Entwicklungschancen stehen meist in engem Zusammenhang mit dem Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen, zu Bildungsstätten sowie zur politischen Mitbestimmung. Ein zentrales Anliegen der Schweiz besteht darin, benachteiligten Gruppen zu ermöglichen, ihre Interessen und Rechte in politischen, sozialen und wirtschaftlichen Prozessen wahrnehmen zu können.

Dies gilt insbesondere für Frauen und die Unterstützung von Frauengruppen.

­

Die Anwendung wirtschaftlicher Instrumente muss auf der Reformbereitschaft der Partnerländer sowie auf Massnahmen für ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum und eine effektive Verminderung der Armut basieren.

Zur weiteren Wirkungssteigerung wird der Bundesrat die bisherigen multilateralen und bilateralen Aktivitäten thematisch und geografisch noch besser bündeln. Kleineinsätze werden überprüft und abgebaut.

Als geografische Schwerpunkte des nächsten Jahrzehnts stehen in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit Afrika südlich der Sahara im Vordergrund, in Lateinamerika die Andenländer und Zentralamerika, in Asien der indische Subkontinent und die Mekong-Region. Für die Ostzusammenarbeit werden Schwerpunkte bilden: Südosteuropa, Russland, die Ukraine und ­ in einer schrittweisen Vorgehensweise ­ die Partnerländer der schweizerischen Stimmrechtsgruppe der Institutionen von Bretton Woods19. Wo dies auf Grund aktueller Ereignisse und Bedürfnisse geboten ist, werden weiterhin Sonderprogramme durchgeführt.

Bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wird wie bisher die Schwerpunktbildung nach der Art der einzusetzenden Instrumente erfolgen: Entsprechend dem Entwicklungsstand kommen Entschuldungsmassnahmen, Zahlungsbilanz- und Budgethilfen, Projektfinanzierung sowie Massnahmen der Handels- und Investitionsförderung zur Anwendung. Zudem wird sich unser Land weiterhin in vorderster Linie dafür einset19

Die schweizerische Stimmrechtsgruppe umfasst folgende Staaten Aserbaidschan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan.

Zentralasiens:

311

zen, dass die Schulden von hochverschuldeten, reformbereiten Entwicklungs- und Transitionsländern vermindert werden.

Von besonderer Bedeutung wird die Verstärkung der multilateralen Politik im Entwicklungsbereich sein. Der Bundesrat wird der Abstimmung von multilateraler und bilateraler Entwicklungszusammenarbeit ein besonderes Augenmerk schenken, weil er überzeugt ist, dass die Entwicklungsziele der internationalen Gemeinschaft, bis 2015 «eine bessere Welt für alle» zu schaffen, nur erreicht werden können, wenn die internationale Zusammenarbeit weiter verstärkt wird. Der Bundesrat wird sich deshalb im multilateralen Rahmen insbesondere für folgende Ansätze einsetzen: ­

Die internationalen Organisationen sollen sich jeweils auf jene Tätigkeitsgebiete konzentrieren, in denen sie über besondere Stärken verfügen, damit ein effizienter Mitteleinsatz sichergestellt wird.

­

Der Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen den massgebenden Organisationen sowie zwischen diesen Organisationen und bilateralen Gebern müssen intensiviert werden.

­

Die besonderen Bedürfnisse der einzelnen Entwicklungsländer müssen besser berücksichtigt werden.

­

Die Vertretung der Entwicklungsländer in den Leitungsausschüssen der massgebenden Organisationen ist angemessen zu verstärken.

3.2.5

Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen

Schwerpunkt: In seiner internationalen Umweltpolitik will sich der Bundesrat für die Weiterentwicklung und Durchsetzung von Rechtsinstrumenten einsetzen, die ein starkes internationales Umweltsystem schaffen. Der Ausbau der bestehenden Abkommen, insbesondere in den Bereichen Klima, biologische Vielfalt und Chemikalien, sowie die Schaffung internationaler Regeln über den Schutz der Wälder und des Wassers bilden seine wichtigsten Anliegen.

Einsatz für eine nachhaltige internationale Umweltpolitik Die Umweltpolitik ist ein tragender Pfeiler jeder Strategie der nachhaltigen Entwicklung. Zur Lösung der globalen Umweltprobleme wird weiterhin die Entwicklung von internationalen Strategien und Massnahmen erforderlich sein. Gleichzeitig wird sich der Bundesrat auf Grund der Schwierigkeiten bei der globalen Konsensfindung vermehrt an regionalen Ansätzen zur Umsetzung der umweltpolitischen Ziele beteiligen.

Die globalen Umweltprobleme beschlagen insbesondere die Auswirkungen der Klimaveränderung, den Verlust an biologischer Vielfalt und den Umgang mit toxischen Substanzen. Auch die sich verschärfende Wasserkrise in zahlreichen Ländern dieser Welt wird in Zukunft ein ernstes Problem sowohl für die Umwelt als auch für Sicherheit und Frieden in den betroffenen Regionen bilden. Schätzungsweise ein Drittel der Weltbevölkerung lebt in Ländern mit abnehmenden Wasserreserven.

312

Im nächsten Jahrzehnt wird unser Land ­ wie andere Industrieländer mit hohem Ressourcenverbrauch ­ die Anstrengungen auf der Suche nach einem nachhaltigeren Konsumverhalten fortführen müssen. Der Ausbau der Konventionen in den Bereichen Klima, biologische Vielfalt und Chemikalien, insbesondere die Ratifikation des Kyoto-Protokolls sowie des Protokolls über die biologische Sicherheit, und die Berücksichtigung umweltpolitischer Belange in den internationalen Handelsregeln der WTO werden im Mittelpunkt stehen.

Die im Jahre 2002, zehn Jahre nach dem Erdgipfel stattfindende Rio-Folgekonferenz wird Möglichkeiten eröffnen, Weichen für die weitere Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen zu stellen. Der Bundesrat wird sich an der Konferenz dafür einsetzen, dass die internationalen Umweltinstrumente konsequent umgesetzt werden.

Daneben strebt er den Ausbau des internationalen Regelwerks zur nachhaltigen Nutzung der Wälder und des Wassers an.

Diese Bestrebungen liegen im eigenen Interesse. Es reicht nicht aus, auf nationaler Ebene eine Spitzenposition im weltweiten Vergleich zu bekleiden. Umweltprobleme machen vor der Landesgrenze bekanntlich nicht halt. Unser Land ist auch aus Gründen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit daran interessiert, dass international geltende Umweltstandards und Haftungsregeln vereinbart werden, welche gleiche Rahmenbedingungen für alle setzen.

3.3

Institutionelle Mittel zur Durchsetzung der Schwerpunkte

3.3.1

Multilaterale Politik

Schwerpunkte: Der Bundesrat will künftig den multilateralen Aktivitäten der Schweiz eine Schlüsselrolle einräumen. Er strebt zu diesem Zwecke in der laufenden Legislaturperiode den UNO-Beitritt an. Zudem will der Bundesrat den Begegnungsort Schweiz, traditionelles Instrument seiner multilateralen Politik, weiter stärken.

3.3.1.1

Zunehmende Wichtigkeit der multilateralen Zusammenarbeit

Die Schweiz verfolgt ihre Interessen und Schwerpunkte im Rahmen ihrer bilateralen Beziehungen sowie in multilateralen Foren und Institutionen. In beiden Bereichen gibt es Regeln, Mechanismen und Traditionen der Zusammenarbeit. Im Gefolge wachsender Globalisierung hat sich gerade die multilaterale Politik besonders stark entwickelt; angesichts grenzüberschreitender Probleme ist auf globaler, regionaler und lokaler Ebene ein dichtes Netz von internationalen Organisationen unterschiedlichster Ausrichtungen entstanden, in denen Staaten um Lösungen für globale und regionale Fragen ringen. Internationale Organisationen haben dank ihrer bedeutenden Mittel finanzieller und auch intellektueller Natur einen massgeblichen Einfluss auf die Lösung globaler Probleme; in der Regel sind sie es, die von der Staatenge313

meinschaft als Diskussionsplattform benützt und in denen Lösungsvorschläge skizziert und umgesetzt werden.

Neben den traditionellen bilateralen Beziehungen hat sich so eine weitere und sehr dynamische Ebene, nämlich die multilaterale Politik, stark entwickelt. Eine wirksame Interessenwahrung auf dieser Ebene muss deren Eigenheiten und Besonderheiten Rechnung tragen. Dazu gehören: ­

Erfahrungen im Zusammenspiel der Strukturen und Organe internationaler Organisationen sowie Erfahrungen mit der Zusammensetzung und mit den Kompetenzen dieser Organisationen.

­

Kenntnisse der formellen und informellen Prozesse sowie der im Entscheidungsprozess massgebenden Länder und Ländergruppen; daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit, bilaterale und multilaterale Interessenwahrung verstärkt aufeinander abzustimmen.

­

Vertiefung der Beziehungen zu Koalitionspartnern, mit denen man gestützt auf gleiche oder komplementäre Interessen mehrheitsfähige Beschlüsse erlangt.

Die multilaterale Politik muss auch berücksichtigen, dass internationale Organisationen in erster Linie eine Plattform bieten, um Interessen zu verfolgen. Selten gelingt es, die eigenen Interessen gänzlich durchzusetzen. Multilaterale Politik lebt daher ganz entscheidend von Koalitionenbildung, Kompromissfähigkeit und der Bereitschaft zum konkreten Engagement. Sie unterscheidet sich damit von den bilateralen Beziehungen, in denen die Struktur der beteiligten Länder sowie objektive Machtverhältnisse bestimmend sind. Multilaterale Politik ist sodann viel stärker öffentlich und zieht vermehrt auch die Zivilgesellschaft in ihre Tätigkeiten ein.

Es wird in Zukunft nötig sein, der multilateralen Interessenwahrung erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken und diese in den Arbeitsstrukturen der schweizerischen Aussenpolitik besser zu verankern. Diese Aufwertung der multilateralen Politik der Schweiz muss und kann im Rahmen jener Foren geschehen, in denen die Schweiz Mitglied ist, beispielsweise im Europarat, wo die Schweiz weiterhin besonders aktiv sein wird, oder in der Internationalen Frankophonie-Organisation. Dort, wo es der Schweiz gelungen ist, in den Leitungsorganen von internationalen Organisationen vertreten zu sein, beispielsweise bei den Institutionen von Bretton Woods oder bei einigen UNO-Spezialorganisationen, kann sie deren Tätigkeit mitbestimmen und mitgestalten. Mit dieser Beeinflussung der Geschäftspolitik im schweizerischen Sinne kann eine deutlich stärkere Wirkung erzielt werden als auf bilateralem Wege.

Eine wirklich nachhaltige multilaterale Interessenvertretung wird allerdings nur möglich sein, wenn die Schweiz beim entscheidenden Treffpunkt der multilateralen Politik, nämlich den Hauptorganen der UNO, gleichberechtigt vertreten ist.

3.3.1.2

Beitritt zur UNO

Die Rolle der UNO in der Welt ist im letzten Jahrzehnt gestärkt worden. Zudem konnte sie die internationale Zusammenarbeit im Rahmen von thematischen Weltkonferenzen mit regelmässigen Folgekonferenzen zur Überprüfung der erreichten Ergebnisse verbessern. Allerdings widerspiegelt die UNO nach wie vor die unter-

314

schiedlichen Interessen und das ungleiche Gewicht ihrer Mitgliedstaaten und Staatengruppen.

Die Nichtmitgliedschaft in der UNO beraubt die Schweiz eines wichtigen Instruments zur Wahrung ihrer Interessen. Unser Land ist zwar Vertragspartei der meisten UNO-Übereinkommen, wirkt in allen UNO-Spezialorganisationen und in den wichtigsten UNO-Programmen vollberechtigt mit und unterstützt das UNO-System sowie die Weltbankgruppe jedes Jahr mit fast 500 Millionen Franken; trotzdem hat die Schweiz den letzten Schritt zur Mitgliedschaft in der Dachorganisation der UNO bisher nicht vollzogen.

Das muss sich ändern. Der Bundesrat hat deshalb den Beitritt unseres Landes zur UNO zum aussenpolitischen Ziel der laufenden Legislatur erklärt. In diesem Ziel wird der Bundesrat durch die am 6. März 2000 eingereichte Volksinitiative «für einen Beitritt der Schweiz zur UNO» bestärkt. Auch das Parlament geht in dieselbe Richtung: Mit der Überweisung einer Motion von Nationalrat Remo Gysin wurde der Bundesrat beauftragt, die Vorbereitungen des UNO-Beitritts an die Hand zu nehmen.

Nur ein UNO-Mitglied kann das Forum systematisch für die Darstellung seiner Wertvorstellungen und die Verfolgung seiner Interessen nutzen. Bisher ist dies der Schweiz auf Grund des beschränkten Rederechts an der UNO-Generalversammlung nur vereinzelt möglich gewesen.

­

Die Arbeit in der UNO wird der Schweiz vermehrte aussenpolitische Kontaktmöglichkeiten schaffen; gerade bei der Vermittlungstätigkeit und bei den Guten Diensten ist die UNO zum zentralen Akteur der Staatengemeinschaft geworden.

­

Der UNO-Beitritt wird das Image der Schweiz stärken; als UNO-Mitglied kann das Bild einer solidarischen und humanitären Schweiz besser vermittelt werden.

­

Besonderes Augenmerk wird der Weiterentwicklung des Völkerrechts geschenkt werden. Die UNO spielt in diesem Bereich eine zentrale Rolle. Unter ihrem Dach sind über 150 Verträge entstanden. Diese rechtssetzende Funktion der UNO entspricht einem ureigenen Interesse der Schweiz. Als Land mit mittlerem Einfluss kann die Schweiz den Vorrang des Rechts nur im Verbund mit Gleichgesinnten durchsetzen.

­

Durch das Netzwerk der UNO wird unser Land die bisherigen Bestrebungen zum vermehrten Einsatz von Schweizerinnen und Schweizern in internationalen Organisationen effizienter gestalten können.

­

Die Schweiz wird weiterhin aktiv an den operationellen Tätigkeiten der UNO teilnehmen. Diese sind weit gespannt und decken Menschenrechte, Umwelt, Sicherheit und Frieden sowie Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe ab. Die UNO hat in diesen Bereichen als einzige weltumspannende Organisation eine überragende Stellung inne.

­

Die UNO nimmt bei der Schaffung internationaler Rahmenbedingungen eine zentrale Rolle ein; solche Rahmenbedingungen kommen der global ausgerichteten schweizerischen Wirtschaft zugute.

315

­

Schliesslich wird die Schweiz mit dem UNO-Beitritt die Interessen des internationalen Genfs durch die Einsitznahme in UNO-Komitees besser vertreten können.

Im Rahmen der in diesem Bericht dargelegten Schwerpunkte würde die Schweiz als UNO-Mitglied besonders in den Bereichen Friedens- und Sicherheitspolitik, Menschenrechte, Entwicklungszusammenarbeit, Humanitäre Hilfe und Umweltpolitik in der UNO tätig werden. Sie könnte in der Generalversammlung und gegebenenfalls in anderen Hauptorganen der Organisation stimmen und wählen, damit ihren aussenpolitischen Gestaltungswillen zum Tragen bringen und dadurch einen grösseren aussenpolitischen Handlungsspielraum gewinnen. Die Schweiz würde diese vergrösserten Mitwirkungsmöglichkeiten vor allem zur Stärkung des Völkerrechts und insbesondere dessen humanitären Dimension nutzen. Das UNO-Mitglied Schweiz würde in Zukunft ein klares politisches Profil zeigen. Das gilt vor allem im Menschenrechtsbereich und bei der humanitären Dimension.

3.3.1.3

Erhaltung des Begegnungsortes Schweiz

Weiterhin gilt der Erhaltung des Begegnungsorts Schweiz und der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des internationalen Genfs die volle Aufmerksamkeit des Bundesrates. Im Vordergrund der entsprechenden Anstrengungen stehen einerseits die Stärkung der verschiedenen schweizerischen Begegnungsstätten, beispielsweise des Weltwirtschaftsforums in Davos. Andererseits werden die Bemühungen fortgesetzt, im internationalen Vergleich beste Rahmenbedingungen für die Ansiedlung von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen anzubieten. Neue Gesetzesvorschriften zu diesem Zweck sind in Ausarbeitung.

Der Bundesrat hat allerdings nicht die Absicht, sich an einem kostenintensiven internationalen Wettbewerb um möglichst günstige Rahmenbedingungen für die Ansiedlung internationaler Organisationen zu beteiligen. Hingegen wird er im kommenden Jahrzehnt ein Schwergewicht auf die pragmatische Verbesserung der Beziehungen zwischen den in der Schweiz niedergelassenen Organisationen sowie auf die Verbindungen zur Zivilgesellschaft legen.

3.3.2

Supranationale Politik: Beitritt zur EU

Schwerpunkt: Der EU-Beitritt ist das Ziel des Bundesrates. Er wird deshalb den EU-Beitritt so weit vorbereiten, dass er spätestens in der nächsten Legislaturperiode über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen entscheiden kann. Zu diesem Zweck wird er die Auswirkungen eines EU-Beitritts auf einige zentrale Politikbereiche prüfen, wozu insbesondere der Föderalismus, die Volksrechte, die Finanzordnung sowie die Wirtschafts- und Währungspolitik gehören. Zudem will der Bundesrat das zwischen der Schweiz und der EU bestehende Vertragsnetz erweitern und modernisieren.

316

Neben der erhöhten Bedeutung der weltweiten multilateralen Politik haben regionale Formen der Zusammenarbeit an Gewicht gewonnen. Die intensivste Form einer solchen Zusammenarbeit ist die Europäische Union, in welcher die Mitgliedstaaten erhebliche Bereiche ihrer nationalen Politiken an supranationale Entscheidungsorgane delegiert haben, im Gegenzug aber bei allen politisch bedeutsamen Entscheidungen voll beteiligt sind.

3.3.2.1

Entwicklungen in der EU und Auswirkungen auf die Schweiz

Der EU-Beitritt bleibt das Ziel des Bundesrates, weil die Interessen unseres Landes längerfristig besser innerhalb als ausserhalb der EU gewahrt werden können. Die europäischen Entwicklungen der Neunzigerjahre haben die Berechtigung dieses Ziels bestätigt und lassen den Beitritt zur Union als wichtiger erscheinen denn je zuvor.

Der Einigungsgedanke, der in den Nachkriegsjahren zur Versöhnung der ehemaligen europäischen Kriegsgegner geführt hat, bleibt die wichtigste politische Kraft in Europa, wie die Beitrittsverhandlungen der EU mit zahlreichen europäischen Staaten zeigen.

Grundsätzlich erhöht sich die Bedeutung der EU für unser Land, je mehr sich die Union verfestigt und ausdehnt und je effizienter sie ihre Interessen gegenüber Drittstaaten durchsetzt. Die mittelfristige politische Agenda der EU und damit die Möglichkeiten der Schweiz, in künftigen bilateralen Verhandlungen gegenseitige Interessen zu regeln, werden sich auf Grund der Prioritäten der Union bestimmen.

Diese liegen beim Erweiterungsprozess und beinhalten daneben die Stärkung der Institutionen und die Straffung der Entscheidungsverfahren. Im Rahmen der von der EU verfolgten Aussen- und Wirtschaftspolitik bildet die Schweiz mit ihrer besonderen Interessenlage keine Priorität. Wenn die EU allerdings gegenüber unserem Land konkrete Anliegen hat, wie dies beispielsweise in den Bereichen Rechts- und Amtshilfe im Warenverkehr oder Zinsbesteuerung der Fall ist, wird sie diese im Sinne einer Interessenpolitik mit Nachdruck durchzusetzen versuchen.

Die EU hat sich im letzten Jahrzehnt von rein wirtschaftlichen Fragestellungen gelöst. Sie befasst sich heute mit so vielen und so unterschiedlichen Bereichen, dass es nicht übertrieben ist, die Gesamtheit ihrer Politik als eine «europäische Innenpolitik im Werden» zu bezeichnen. Unser Land kann an den Entscheidungen und Haltungen der EU nicht vorbeisehen. Ob die Schweiz es will oder nicht, sie ist in den meisten Fällen mitbetroffen. Schon zur Wahrung seiner Interessen wird unser Land deshalb viele Entwicklungen der EU «autonom» nachvollziehen müssen. Dies betrifft insbesondere das Binnenmarktrecht, aber auch die Bereiche innere Sicherheit sowie Aussen- und Sicherheitspolitik. Als Beispiele seien wichtige Infrastruktur- und Regelungsvorhaben in den Bereichen Telekommunikation, Bahn, Post,
Energie erwähnt, ebenso Massnahmen zum Aufbau eines einheitlichen Asylraums oder Sanktionen gegen Staaten, die in flagranter Weise gegen das Völkerrecht verstossen.

Die sich durch die immer engere Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten für unser Land ergebenden Nachteile können mit dem Ansatz des autonomen Nachvollzugs, der uns keine Mitwirkungsrechte einräumt, nur teilweise beseitigt werden. Er stellt nämlich in keiner Weise sicher, dass die EU ihn im Gegenzug honoriert; solange die Schweiz der EU nicht beitritt, sind hierzu Abkommen nötig.

317

Der EU-Beitritt kann und darf nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten diskutiert werden. Er ist mehr als die Summe der wirtschaftlichen Vor- und Nachteile.

Nur mittels Teilnahme am Entscheidungsprozess der EU kann unser Land wirksamer als bisher die Ziele seiner Aussenpolitik verfolgen. Keine der grossen Zukunftsfragen, welche sich heute Europa und auch der Schweiz stellen, lassen sich im Alleingang lösen. Die Stellung der EU in Europa ist heute so stark und umfassend, dass ein Land wie die Schweiz mit seiner Abhängigkeit von der Union im Fall eines weiteren Fernbleibens das Risiko wachsender Fremdbestimmung auf sich nimmt und letztlich erpressbar wird. So betrachtet, bedeutet der Beitritt zur Europäischen Union neue Chancen und Dynamik, mehr Einflussnahme, mehr Mitgestaltung und damit einen Souveränitätsgewinn.

Wie bereits im Integrationsbericht 1999 ausgeführt worden ist, wäre deshalb ein weiterer schweizerischer Versuch, mit der EU ein verbessertes EWR-Abkommen auszuhandeln, aus Sicht des Bundesrates wenig sinnvoll und mit geringem Zusatznutzen verbunden. Die Substanz einzelner bestehender Abkommen wie dasjenige über die Personenfreizügigkeit führt die Schweiz bereits sehr nahe an den EWRRechtsbestand heran. Darüber hinaus schafft der EWR für die beteiligten Nicht-EUMitgliedstaaten zwar binnenmarktähnliche Verhältnisse. Zentrale Hürden, beispielsweise Grenzkontrollen, bleiben aber bestehen. Zudem ist für die Nicht-EUMitgliedstaaten im EWR auf Grund seiner besonderen institutionellen Ausgestaltung nie gleichwertige Mitbestimmung zu erreichen. Darüber hinaus gibt das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum den Vertragspartnern der EU keine Möglichkeit, die grossen Zukunftsfragen Europas mitzugestalten.

3.3.2.2

Die nächsten schweizerischen Schritte

Die nächsten Schritte auf dem Weg zum schweizerischen EU-Beitritt bestehen in der Vorbereitung der Verhandlungen, in der Reaktivierung des Beitrittsgesuchs und in der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen. Der genaue Fahrplan solcher Verhandlungen bleibt noch zu bestimmen. In der Parlamentsdebatte zur Stellung unseres Landes in Europa, die anlässlich der Beschlussfassung über die Volksinitiative «Ja zu Europa!» stattfand, hat der Bundesrat folgende Bedingungen für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen formuliert: ­

Erstens müssen erste Erfahrungen mit der Umsetzung der sieben bilateralen Abkommen vorliegen.

­

Zweitens gilt es, die Auswirkungen eines EU-Beitritts auf die Bereiche Föderalismus, Volksrechte, Regierungsorganisation, Finanzordnung, Wirtschafts- und Währungspolitik, Ausländer- und Migrationspolitik, Landwirtschaft sowie Aussen- und Sicherheitspolitik zu prüfen. Der Bundesrat beabsichtigt, die erforderlichen Abklärungen in der laufenden Legislaturperiode vorzunehmen. Er behält sich vor, wenn nötig entsprechende Reformvorschläge zu unterbreiten. Im Hinblick auf den Beitrittsprozess will der Bundesrat sodann die notwendigen Vorarbeiten einleiten, um die umfassende Integration der Schweiz in die EU durch geeignete Massnahmen zu erleichtern. Der Integrationsbericht 1999 weist auf verschiedene Hürden hin, die bei einzelnen Politikbereichen nach wie vor bestehen. Der Bundesrat ist bestrebt, in nächster Zeit die wirtschaftlichen Anpassungskosten zu minimieren, noch bestehende Spielräume zur Erweiterung und Modernisierung des

318

Vertragsnetzes Schweiz­EU zu nutzen und ­ wo nötig ­ die Eurokompatibilität des schweizerischen Rechts und der schweizerischen Politik weiter zu stärken. Gleichzeitig gilt es auch zu verdeutlichen, welche Vorteile sich für die Schweiz als EU-Mitgliedstaat ergeben und welche Politiken unser Land als Mitglied der Union besser durchsetzen könnte.

­

Drittens schliesslich muss eine breite innenpolitische Unterstützung der bundesrätlichen Integrationspolitik vorhanden sein.

Diese drei Bedingungen führen den Bundesrat zum Schluss, dass EU-Beitrittsverhandlungen aller Voraussicht nach noch nicht in der laufenden Legislaturperiode aufgenommen werden. Der Bundesrat wird seinen Teil dazu beitragen, dass unser Land zu gegebener Zeit bereit sein wird, den Beitrittsentscheid zur Europäischen Union in Kenntnis aller Folgen zu treffen. Eine breite innenpolitische Vorbereitung soll es dem Bundesrat ermöglichen, spätestens in der nächsten Legislaturperiode die Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU zu treffen.

Dieses Vorgehen bedeutet keineswegs, dass im Verhältnis zur EU ein Stillstand eintritt. Bei der erwähnten Erweiterung und Modernisierung des bilateralen Vertragsnetzes ist insbesondere an zwei Bereiche zu denken: ­

Erstens haben sich die Schweiz und die EU beim Abschluss der sieben bilateralen Abkommen darauf geeinigt, auf ausgewählten Gebieten zusätzliche Vereinbarungen anzustreben 20.

­

Zweitens haben beide Seiten weitere Wünsche nach einem Ausbau der Zusammenarbeit. Ein wichtiges Anliegen der Schweiz betrifft die innere Sicherheit: Die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und die wirksame Zusammenarbeit im Asyl- und Polizeibereich erfordern zusätzlich zu den vertraglichen Vereinbarungen mit den Nachbarstaaten die direkte, vertraglich abgesicherte Zusammenarbeit mit dem Hauptakteur, nämlich der EU.

Die Union ihrerseits hat ihr Interesse an Verhandlungen über die Betrugsbekämpfung im Warenverkehr und über die Harmonisierung der Besteuerung von Kapitalerträgen (Zinsen) signalisiert.

3.3.2.3

Bedeutung der EU für die innere Sicherheit der Schweiz

Die Schweiz gehört wegen ihres bedeutenden Finanzplatzes, des föderalistischen Strafverfolgungssystems, der knappen Polizeimittel und des Abseitsstehens von wichtigen europäischen Institutionen zu den durch das organisierte Verbrechen besonders gefährdeten Staaten. Drittstaaten ausserhalb der EU werden vom Aufbau eines europäischen Raums der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts bisher weitgehend ausgeschlossen, was die Position unseres Landes in diesem wichtigen Bereich deutlich schwächt. Vor allem die fehlende Teilnahme am europaweit wirksamen so genannten «Schengener Informationssystem» erweist sich zunehmend als problematisch. Die Schweiz läuft dadurch Gefahr, zur Drehscheibe für die illegale Migration, 20

Im Vordergrund steht eine verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Statistik, Medien, Jugend, Bildung und Umwelt, die allgemeine Liberalisierung der Dienstleistungen, eine Verbesserung des Marktzugangs für verarbeitete Landwirtschaftsprodukte sowie die Regelung der Besteuerung von Pensionen ehemaliger EU-Bediensteter mit Wohnsitz in der Schweiz.

319

das organisierte Verbrechen und den internationalen Terrorismus zu werden. Aus diesen Gründen besteht der aussenpolitische Schwerpunkt im Bereich der inneren Sicherheit im Ausbau und in der Vertiefung der Sicherheitskooperation mit den Nachbarstaaten, mit der Europäischen Union sowie im weiter gefassten europäischen beziehungsweise europanahen Interessenraum.

Die Annäherung der Schweiz an den entstehenden europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist das aussenpolitische Hauptziel im Bereich der inneren Sicherheit. Im Zentrum stehen eine umfassende Beteiligung der Schweiz am Schengener Recht, insbesondere der Zugang zum Schengener Informationssystem, sowie am Dubliner Erstasylabkommen und komplementär dazu die Mitwirkung am neu geschaffenen Fingerabdrucksystem «Eurodac».

Verhandlungen über diese und andere Interessengebiete werden aber nur dann erfolgversprechend an die Hand genommen werden können, wenn ein ausgewogenes und gegenseitiges Interesse besteht.

3.4

Geografische Schwerpunkte der bilateralen Politik

Schwerpunkte: Der Bundesrat will in seiner bilateralen Aussenpolitik unter Wahrung der Universalität vermehrt geografische Schwerpunkte setzen. Diese umfassen insbesondere Südosteuropa und den Mittelmeerraum. Das Setzen weiterer Prioritäten durch die einzelnen Politikbereiche wird damit nicht ausgeschlossen.

3.4.1

Bilaterale Beziehungspflege in Europa und weltweit

3.4.1.1

Universalität der schweizerischen Aussenbeziehungen

Der Schweiz ist es ein wichtiges Anliegen, Beziehungen zu praktisch allen Staaten dieser Welt zu pflegen. Die Universalität der schweizerischen Aussenpolitik ist ein traditioneller Grundsatz, der nicht in Frage gestellt wird. Im Sinn einer bewussteren Interessenpolitik und angesichts der zur Verfügung stehenden Mittel wird der Bundesrat in Zukunft allerdings auch im geografischen Bereich nicht um eine Schwerpunktbildung herumkommen. Nicht alle Problemzonen dieser Welt können von der Schweiz mit der gleichen Intensität beobachtet und gepflegt werden. Die Konzentration auf Schwerpunktstaaten und -regionen bedeutet indessen nicht, dass deswegen die Beziehungen zu allen andern Ländern vernachlässigt oder gering geachtet würden.

Beziehungen mit den europäischen Staaten Dem Dialog und der vertraglichen Absicherung der Beziehungen mit den 15 EUMitgliedstaaten, unseren wichtigsten Partnern, kommt eine ausschlaggebende Bedeutung zu. Die Beziehungen sind trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten ausgezeichnet, vor allem zu den Nachbarstaaten Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich. Mit den Nachbarstaaten will der Bundesrat insbesondere den Aus320

bau der bilateralen Polizeizusammenarbeit fortführen. Da zwei Drittel aller Fälle der grenzüberschreitenden Polizeizusammenarbeit mit diesen Ländern abgewickelt werden, ist ein gut ausgebautes bilaterales Vertragsnetz von zentraler Bedeutung. Die in den letzten Jahren abgeschlossenen Verträge stehen jedoch auf unterschiedlichem Niveau. Der Bundesrat strebt deshalb an, die Verträge einander bestmöglich anzugleichen. Darüber hinaus soll auch die Sicherheitspartnerschaft der Alpenländer vertieft werden. Dieser Prozess wurde am informellen Treffen der Innenminister Deutschlands, Frankreichs, Österreichs, Italiens, Liechtensteins und der Schweiz 1999 auf dem Bürgenstock in Gang gesetzt und 2000 in Konstanz konkretisiert.

Ein besonderes Augenmerk wird dem regelmässigen bilateralen Dialog mit den Europäischen Institutionen in Brüssel geschenkt. Schliesslich wird die Zusammenarbeit mit den gegenwärtig 13 EU-Beitrittskandidaten verstärkt. Diese Intensivierung der Beziehungen zu möglichen zukünftigen EU-Mitgliedstaaten schliesst auch die Türkei ein, mit der unser Land nach einer Phase stagnierender Beziehungen einen aktiveren Dialog aufgenommen hat.

Beziehungen mit den aussereuropäischen Staaten Ausserhalb Europas will der Bundesrat die folgenden geografischen Schwerpunkte bilateraler Politik setzen: ­

Beziehungen zu den Grossmächten Dem Dialog und der Zusammenarbeit mit den USA misst er grosse Bedeutung zu. Die wirtschaftliche, politische, militärische Stellung der Supermacht USA in der Welt ist einzigartig (vgl. Ziff. 2.1.3.1). Die Intensität der wirtschaftlichen, politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Staaten macht die Pflege guter Beziehungen zu den USA zu einer Priorität des Bundesrates. Daneben strebt der Bundesrat an, auch die Beziehungen zu den anderen G-8-Staaten und zu China auf hohem Niveau weiter zu pflegen

­

Beziehungen im Rahmen der thematischen Schwerpunkte Neben Südosteuropa und dem Mittelmeerraum werden die friedenspolitischen Bemühungen insbesondere auf jene Länder konzentriert, mit denen ein Schwerpunktprogramm der Entwicklungszusammenarbeit besteht oder dort, wo die Schweiz bereits in Vermittlungsaktivitäten engagiert ist.

Unser Land wird die bilateralen aussenwirtschaftspolitischen Bestrebungen vor allem auf jene Staaten konzentrieren, wo wir über rege Wirtschaftsbeziehungen verfügen oder wo Potenzial für den weiteren Ausbau der wirtschaftlichen Interessen zu erkennen ist.

Im Rahmen der internationalen Forschungs- und Bildungspolitik geht es darum, in ausgewählten Schwerpunktländern und unter Berücksichtigung der sich rasch verändernden internationalen Rahmenbedingungen bedürfnisorientierte Massnahmen für den Auf- und Ausbau der bilateralen wissenschaftlichen Zusammenarbeit zu ergreifen.

Die geografischen Schwerpunkte der Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit sowie der humanitären Hilfe ergeben sich aus den gesetzlichen Aufträgen.

Zum einen sind es die Voraussetzungen in den Partnerländern, beispielsweise die Zugehörigkeit zur Gruppe der ärmeren Entwicklungsländer, die Entwicklungsanstrengungen und die Art der Regierungsführung des Landes so321

wie eine gewisse politische Stabilität. Zum anderen gibt es aber auch Anforderungen praktischer Art wie Dialogbereitschaft, thematische Schwerpunktsetzung, Wirksamkeit, Ressourcen.

3.4.1.2

Aufbau von «Präsenz Schweiz»

Die Landeswerbung wird immer mehr zu einem eigenen Bereich der Aussenpolitik.

Der Bundesrat hat sich deshalb entschlossen, die bisherigen Anstrengungen («Koordinationskommission für die Präsenz der Schweiz im Ausland», KoKo) neu zu bündeln und die Mittel dafür deutlich zu erhöhen. Es hat sich gezeigt, dass das lange Zeit bewährte Instrument der KoKo heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht wird. Die weltweit verstärkte Konkurrenz bei der staatlichen Selbstdarstellung hat den Bundesrat in diesem Schritt bestärkt.

Mit der neu gegründeten Organisation «Präsenz Schweiz» soll die Kommunikation der Schweiz im Ausland verbessert werden. Präsenz Schweiz bezweckt, im Ausland ein zeitgemässes, positives und attraktives Erscheinungsbild unseres Landes zu vermitteln. Die Organisation wird auch dazu dienen, in Zusammenarbeit mit anderen Stellen ein Frühwarnsystem für mögliche Probleme im Imagebereich zu entwickeln, damit Chancen und Risiken für das Ansehen der Schweiz im Ausland frühzeitig erkannt werden.

Präsenz Schweiz soll insbesondere folgende schweizerische Werte im Ausland vermitteln: Vielfalt, humanitäre Tradition, Bürgernähe, Qualitätsbewusstsein und Innovation. Zu diesem Zwecke wird die Organisation eine moderne Informationsplattform, das so genannte SwissInfo, und Aktionsprogramme für ausgewählte Zielländer entwickeln. Als erstes Schwerpunktland wurde die USA ausgewählt, weil in diesem Land auf Grund der Auseinandersetzungen um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg Nachholbedarf besteht. Weitere Länder werden folgen.

3.4.1.3

Vertretungsnetz der Schweiz

Bilaterale Beziehungspflege stützt sich auf ausgebaute Beziehungsnetze. Der Bundesrat hat deshalb im vergangenen Jahrzehnt beträchtliche Anstrengungen unternommen, die schweizerische Präsenz vor Ort zu verstärken. Er hat in den letzten zehn Jahren schrittweise dort Botschaften oder Generalkonsulate eröffnet, wo schweizerische Interessen eine solche kostenintensive Massnahme rechtfertigten21.

Bestandteil des Beziehungsnetzes sind ferner die Koordinationsbüros der schweizerischen Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit und der humanitären Hilfe, die Antennen von Pro Helvetia sowie die Missionen bei internationalen Organisationen.

Auf Grund der beschränkten Finanzen müssen in der Regel Mittel für neue Vertretungen durch Rationalisierungen aufgefangen werden. In den letzten zehn Jahren wurden deshalb 18 Vertretungen mit versetzbaren Beamtinnen und Beamten geschlossen und durch Honorarkonsulate mit nebenamtlichen Honorarkonsulen ersetzt.

21

322

Kuwait, Riga, Tirana, Kiew, Taschkent, Schanghai, Skopje, St. Petersburg, Bratislava, Sarajewo, Verbindungsbüro in Pristina. In Ljubljana und Tiflis werden ab 2001 schweizerische Vertretungen ihre Arbeit aufnehmen.

In den nächsten Jahren wird der Bundesrat besonders auf die Vertretungsbedürfnisse im Osten Europas sowie im Mittelmeerraum achten, weil er davon überzeugt ist, dass unser Land durch die Probleme in diesen beiden Regionen besonders herausgefordert wird.

3.4.2

Südost- und Osteuropa

Südosteuropa Mit dem Eintritt in den Stabilitätspakt für Südosteuropa hat die Schweiz die Möglichkeit erhalten, ihre Erfahrungen aus der jahrelangen bilateralen Projektarbeit in die internationale Gemeinschaft einzubringen. In den nächsten Jahren soll der überwiegende Teil der im Rahmen der Osthilfe für Osteuropa vorgesehenen technischen und finanziellen Hilfe im Balkan eingesetzt werden.

Thematische Schwerpunkte werden vor allem in den Bereichen Schutz von Minderheiten und von Menschenrechten, Dezentralisierung, Reform der Polizei und der Justiz, Hilfe beim Aufbau unabhängiger Medien, Wiederaufbau der Infrastruktur, Förderung der Privatwirtschaft, Aufbau eines funktionierenden Kreditsystems und schliesslich Förderung eines modernen Gesundheitswesens liegen. Darüber hinaus wird sich die Schweiz weiterhin an länderübergreifenden Projekten des Stabilitätspaktes beteiligen.

Das Spezialprogramm für den Kosovo wird fortgesetzt. Im Vordergrund stehen die Bemühungen bei der Rückkehrhilfe und beim Aufbau von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, welche die Migration vermindern helfen.

Zu diesem Zweck wird der Bundesrat ­ falls es die politischen Bedingungen erlauben ­ auch Montenegro und Serbien mit Spezialprogrammen unterstützen, um beizutragen, die Region langfristig zu stabilisieren. Sodann wird er die Zusammenarbeit mit der serbischen Zivilgesellschaft weiterführen, um die Demokratisierung dieses Landes zu unterstützen.

Die Staaten Südosteuropas bilden zudem ein Schwergewicht für die Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit. In diesem weiteren Interessenraum soll die Sicherheitskooperation durch den Abschluss von bilateralen Rückübernahmeabkommen, durch die Stationierung von Verbindungsbeamten im Rahmen der Möglichkeiten sowie durch die Unterstützung beim Aufbau des Justiz- und Polizeiwesens verstärkt werden.

Osteuropa Der Bundesrat wird Russland weiterhin in seinen Bemühungen unterstützen, die notwendigen politischen, rechtsstaatlichen, wirtschaftlichen und sozialen Reformen weiterzuführen. Die Unterstützung umfasst insbesondere Massnahmen in den Bereichen Menschenrechte, nukleare Sicherheit und Umwelt. Darüber hinaus ist die Schweiz an einer engen Zusammenarbeit im Bereich Rechtsanwendung und Strafverfolgung interessiert, weil das organisierte Verbrechen gerade
auch aus diesem Land für die Schweiz eine potenzielle Gefahrenquelle darstellt und insbesondere den schweizerischen Finanzplatz für seine Machenschaften missbraucht.

Für die Ukraine sind ähnliche Programme geplant, wie sie schon mit Russland durchgeführt werden. Dies geschieht aus der Überzeugung heraus, dass dieses Land

323

in Zukunft eine wesentliche Rolle bei der Stabilisierung des Ostens Europas spielen wird.

Die Mitglieder der schweizerischen Stimmrechtsgruppe im Währungsfonds und in der Weltbank, in einer schrittweisen Vorgehensweise vorerst insbesondere Kirgisistan und Tadschikistan, werden weiterhin Schwerpunktländer unserer Zusammenarbeit bilden. Diese Partnerländer ermöglichen es der Schweiz, einen Sitz in den Exekutivräten dieser beiden globalen Finanzinstitutionen zu beanspruchen und somit auf finanz- und entwicklungspolitische Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Die Zusammenarbeit mit diesen Ländern konzentriert sich zurzeit auf die Bereiche Gesundheit, Rechtsstaat und Menschenrechte, KMU-Förderung sowie Land- und Forstwirtschaft.

3.4.3

Mittelmeerraum

Die Entwicklungen im südlichen und östlichen Mittelmeerraum erfordern die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der schweizerischen Aussen- und Sicherheitspolitik.

Die Schweiz hat allen Anlass, sich in Zukunft der Bedeutung dieser Region, die Teil ihrer weiteren Nachbarschaft bildet, bewusster zu werden. Sie hat ein strategisches Interesse an politischer Stabilität, an wirtschaftlicher Entwicklung und am gesellschaftlichen Ausgleich in diesen Staaten. Nur durch eine Verbesserung der Wirtschaftsaussichten und durch gesellschaftliche Anpassungen im Süden des Mittelmeers kann die Region langfristig stabilisiert werden, was auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage und die Zuwanderung aus dem südlichen Mittelmeerraum haben wird.

Unser Land verfügt über einige Stärken, welche der Bundesrat in den nächsten Jahren vermehrt zur Geltung bringen will. Die Schweiz unterhält traditionell sowohl auf bilateraler wie auf multilateraler Ebene gute Beziehungen zu den meisten Staaten der Region und ist wirtschaftlich im südlichen Mittelmeerraum aktiv. Angesichts der bedeutenden Herausforderungen, welche die ungelösten Fragen dieser Region für unser Land darstellen, muss die Schweiz allerdings vor Ort aktiver werden und ihre regionale Politik besser koordinieren. Zudem will sich der Bundesrat mit einer Verstärkung des Informationsaustausches und mit dem Abschluss von Rückübernahmeabkommen in dieser Region auch im Bereich innere Sicherheit einsetzen.

Der Bundesrat ist daran, eine Strategie für den Mittelmeerraum umzusetzen, die unser Land in die Lage versetzen wird, schweizerische Interessen besser zu fördern, wozu die Abstimmung der bilateralen und multilateralen Massnahmen und Instrumente gehört. Damit sollte es auch gelingen, die fehlende Mitgliedschaft beim so genannten Barcelona-Prozess der EU auszugleichen.

324

4

Schlusswort

Die Aussenpolitik jedes Landes bedarf eines konzeptionellen Rahmens. Sie muss sich an langfristigen Zielen ausrichten, und gleichzeitig muss sie operationelle Schwerpunkte setzen, wenn sie wirksame Interessenwahrung sein will. Anderseits kennzeichnen sich aber internationale Entwicklungen stets auch durch Unberechenbarkeit und Unvorhersehbarkeit. Mit diesem Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis nach einem konzeptionellen Rahmen und klaren Zielsetzungen einerseits und der Unberechenbarkeit aussenpolitischer Entwicklungen anderseits muss auch die schweizerische Aussenpolitik fertig werden.

Spannungsverhältnisse zwischen konzeptionellem Anspruch und aussenpolitischer Realität treten an verschiedenen Stellen der Aussenpolitik auf. Beispielsweise will sie die Aussenbeziehungen nach dem Grundsatz der Universalität gestalten; doch gleichzeitig kommt sie mit Rücksicht auf die Interessen und Mittel der Schweiz nicht darum herum, auch in geografischer Hinsicht Schwerpunkte zu setzen. Derartige Spannungen sind nicht nur eine Eigenschaft der schweizerischen Aussenpolitik.

So besteht weltweit ein Bedürfnis nach der Steuerung globaler Entwicklungen; und doch scheinen die Möglichkeiten der Aussenpolitik und der internationalen Diplomatie, gemessen an diesem Anspruch, beschränkt und unzulänglich. Dem Machbarkeitsdenken sind in der Aussenpolitik oft enge Grenzen gesetzt.

Nirgends kommt dies so deutlich zum Ausdruck wie in der Friedenspolitik. Wer dem Ausbruch latenter Konflikte vorbeugen oder wer in konfliktuellen Situationen vermitteln will, bedarf eines langen Atems, bedarf angemessener Mittel und fast immer der engen Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Das Scheitern langjähriger Anstrengungen ist in Kauf zu nehmen. Die Schweiz leistet heute weltweit namhafte Beiträge an die Förderung und Sicherung des Friedens. Bedeutete die Politik der Guten Dienste während Jahrzehnten eine Haltung des Zuwartens, bis von Seiten Dritter die Bitte um ein Aktivwerden an die Schweiz herangetragen wurde, so hat sie seit längerer Zeit einer Politik des aktiven Engagements für den Frieden Platz gemacht. Wer jedoch rasche und blendende Erfolge solcher Anstrengungen erwartet, verkennt die komplexen und oft strukturellen Ursachen von konfliktuellen Situationen. Trotzdem will der Bundesrat sein Engagement für den Frieden und den
Respekt der Menschenwürde im kommenden Jahrzehnt fortführen und ausbauen. Die Wertebezogenheit der schweizerischen Aussenpolitik muss sichtbarer werden.

Der Befund, wonach die Wirksamkeit und Durchschlagskraft der Aussenpolitik mehr denn je von der Fähigkeit eines Staates abhängt, seine Interessen im multilateralen oder, auf Europa bezogen, im supranationalen Rahmen zu wahren, findet sich schon im Aussenpolitischen Bericht aus dem Jahr 1993. Heute ist diese Einsicht so aktuell wie damals. Die Mitgliedschaft bei der UNO und der im nächsten Jahrzehnt anzustrebende Beitritt zur Europäischen Union bilden deshalb keinen aussenpolitischen Selbstwert, sondern stehen im Zeichen einer umfassenden Wahrung der Landesinteressen und einer stärkeren Wirksamkeit unseres aussenpolitischen Handelns.

325

Anhang

Die schweizerische Aussenpolitik der Neunzigerjahre im Rückblick 1

Stellung und Ansehen der Schweiz in der Welt

Die Stellung eines Staates in der modernen Welt bestimmt sich immer weniger durch die Grösse seiner Streitkräfte oder seines Territoriums. Wichtige Faktoren für den Einfluss, die Stellung und das Ansehen eines Staates in der heutigen Welt sind: ­

wirtschaftliche Leistungsfähigkeit,

­

gesellschaftliche Dynamik, die es erlaubt, auf Veränderungen des internationalen Umfelds rasch und angemessen zu reagieren,

­

Integrationskraft des Gesellschaftsmodells, die es ermöglicht, innerstaatliche Spannungen zu vermindern,

­

demokratische Stabilität,

­

Qualität des Bildungssystems, insbesondere die Beherrschung moderner Technologien und der sachgerechte Einsatz von Wissen,

­

kulturelle Ausstrahlung (so genannte «soft power»).

Bezüglich einiger wirtschaftlicher Kennziffern wie Wettbewerbsfähigkeit22, Ausgaben für Forschung und Entwicklung23 und Internetnutzer24 befindet sich die Schweiz in der Spitzengruppe; bei den grenzüberschreitenden Direktinvestitionen nimmt die schweizerische Wirtschaft eine Spitzenstellung ein. Allerdings zeigen sich auch Schatten über diesem positiven Bild: Bezüglich Wirtschaftswachstum ist die Schweiz auf keinem der vorderen Plätze zu finden, bezüglich Staats- und Fiskalquote sowie öffentlicher Verschuldung hat unser Land im letzten Jahrzehnt einen Teil seines ursprünglichen Vorsprungs eingebüsst.

Von der wirtschaftlichen Bedeutung her dürfte die Schweiz einen Platz unter den ersten 20 Staaten im Konzert der 190 Nationen dieser Welt einnehmen, mit anderen Worten eine mittelgrosse Macht sein. In einigen wirtschaftlichen Teilbereichen, beispielsweise den Finanzdienstleistungen oder den Direktinvestitionen, kann sich unser Land mit den Grossen messen, sowohl in Europa als auch weltweit.

Wird der aussenpolitische Einfluss eines Landes an seiner Fähigkeit gemessen, auf Entwicklungen in der Welt über die multilaterale Zusammenarbeit Einfluss zu nehmen, so ist festzustellen, dass die Schweiz eine geringere Stellung einnimmt, als es ihrem wirtschaftlichen Gewicht entspricht. Der aussenpolitische Einfluss unseres Landes hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ohne Zweifel verringert. Die traditionelle bilaterale Zusammenarbeit kann diesen Mangel an Einfluss nicht mehr wettmachen. Dafür braucht es eine verstärkte Mitwirkung im multilateralen und supranationalen Bereich, insbesondere im Rahmen von UNO und EU.

22 23

Nach «The World Competitiveness Yearbook 2000»: Rang 5 von 47 Ländern.

Nach «The World Competitiveness Yearbook 2000»: Pro-Kopf-Ausgaben: Rang 1 von 47 Ländern; in Prozenten des BSP: Rang 4 von 47 Ländern.

24 Nach Computer Industry Almanac: USA: 29% der Gesamtbevölkerung, EU: 9%, Schweiz: 19%.

326

Im Ausland verfügte unser Land während vieler Jahre über ein gutes, wenn auch von Klischeevorstellungen geprägtes Ansehen: Berge, Schokolade oder Uhren prägten das Bild der Schweiz ebenso wie politische Stabilität, Wohlstand und Arbeitsfrieden. Zunehmend rücken aber andere schweizerische Eigenheiten ins Zentrum des öffentlichen Interesses: Die im Verhältnis zur Grösse unseres Landes überdurchschnittliche Bedeutung des Finanzplatzes und das schweizerische Bankgeheimnis oder eine der Öffnung des Landes ablehnend gegenüberstehende Bevölkerungsmehrheit, beispielsweise bei der EWR- oder der Blauhelm-Abstimmung, werden im Ausland kritisch wahrgenommen. Andererseits werden der direktdemokratische und föderalistische Staatsaufbau der Schweiz, die Rechtssicherheit und die Effizienz staatlicher Leistungserbringung sowie die innovative Kraft ihrer kulturellen Vielfalt immer wieder bewundert.

Die teilweise heftigen Auseinandersetzungen über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg haben dem Ansehen unseres Landes geschadet. Mit dem Vergleich zwischen den schweizerischen Grossbanken, Anwälten und jüdischen Organisationen und mit der Gemeinsamen Erklärung der Regierung der USA und des Bundesrates von 1999 konnte ein Interessenausgleich erzielt werden. Die weitreichenden Massnahmen, die unser Land im Zusammenhang mit dieser Problematik getroffen hat (Einsetzung der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg und Publikation verschiedener Berichte, Ankündigung der Stiftung solidarische Schweiz usw.), finden auch im Ausland Anerkennung. Die tief gehende Auseinandersetzung mit der schweizerischen Vergangenheit hat national und international zu einer Entspannung der Lage beigetragen.

Allerdings bedurfte es grösster schweizerischer Anstrengungen, um die Turbulenzen mit den USA beizulegen. Die ganze Problematik hat einmal mehr gezeigt, dass die heutige Aussenpolitik nicht mehr nur eine Sache von Regierungen ist. Verschiedenste Akteure mit starkem Einfluss auf Politik und internationale Medien müssen berücksichtigt werden. Diese Auseinandersetzung hat deutlich gemacht, dass auch langjährige freundschaftliche Beziehungen einen Staat nicht daran hindern, innenpolitische Interessen mit grossem Nachdruck zu verfolgen. Der Bundesrat hat aus diesen Ereignissen die Erkenntnis gewonnen, dass die internationale
Verletzlichkeit der Schweiz erheblich ist und in den letzten Jahren zugenommen hat.

Das Bild eines Landes entsteht nicht von einem Tag auf den anderen. Es spiegelt vielmehr Werte wider, seine Geschichte, die Erfahrungen, die Ausländer im jeweiligen Land machen, die Berichterstattung in den Medien und so fort. Es wäre verfehlt zu glauben, das Ansehen eines Landes lasse sich lediglich durch Werbekampagnen dauerhaft verbessern. Der Eindruck von Egoismus wird nur durch eine solidarische, auf ethischen Grundsätzen beruhende Politik widerlegt, dem Eindruck der Isolation kann nur durch Offenheit und Übernahme von Verantwortung entgegengetreten werden. Wichtig ist demnach, welche Politik ein Staat konkret umsetzt. Diese Politik muss in der heutigen Welt aber auch nach aussen kommuniziert und dargestellt werden. Der Bundesrat hat deshalb die Gründung einer neuen Organisation, der so genannten «Präsenz Schweiz», beschlossen, um in diesem Bereich aktiver zu werden.

327

2

Aktivitäten der schweizerischen Aussenpolitik in den Neunzigerjahren

Die nachfolgende Beschreibung der einzelnen Politiken und Aktionen der schweizerischen Aussenpolitik in den Neunzigerjahren orientiert sich an den fünf aussenpolitischen Zielen der Schweiz, wie sie im Aussenpolitischen Bericht von 1993 definiert wurden (vgl. Ziff. 1.1).

2.1

Wahrung und Förderung von Sicherheit und Frieden

Ziel: «Aussenpolitik trägt zur Erhöhung einer umfassend verstandenen Sicherheit bei, insbesondere durch eine aktive und präventive Friedensförderung, durch die Stärkung der internationalen Rechtsordnung sowie durch die Mitarbeit am Auf- und Ausbau kollektiver Sicherheitsbemühungen.» (Aussenpolitischer Bericht 93)

2.1.1

Sicherheitspolitik

Die Schweiz ist weder Mitglied der UNO noch der EU. Auch deshalb nutzt unser Land die Teilnahme an der OSZE und an der Partnerschaft für den Frieden (PfP) sowie die Mitgliedschaft im Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat (EAPC) und im Europarat für seine zahlreichen Bestrebungen in den Bereichen Konfliktverhütung und Wiederaufbau nach Konflikten.

Die Beteiligung an der von der NATO lancierten Partnerschaft für den Frieden (1996) und am Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat (1997) sind Marksteine der Entwicklung der schweizerischen Sicherheitspolitik gewesen. Die Schweiz profitiert von der Teilnahme am regelmässigen sicherheitspolitischen Meinungsaustausch auf Ebene der Aussen- und Verteidigungsminister im Rahmen des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrates. Bei der Partnerschaft für den Frieden und im EAPC bestimmt unser Land selber Art und Umfang der Mitwirkung.

Beispiele: 1999 hat die Schweiz an rund 250 PfP-Aktivitäten teilgenommen und selbst 25 Angebote offeriert, insbesondere in den Bereichen Stärkung des humanitären Völkerrechts, zivil-militärische Zusammenarbeit, Katastrophenhilfe und moderne Informationstechnologien. Zudem hat sich unser Land an PfPProgrammen zur Mithilfe bei der Stabilisierung der Streitkräfte von Albanien und Mazedonien beteiligt.

Die Schweiz stellt der Staatengemeinschaft drei Zentren in Genf zur Verfügung: das in der sicherheitspolitischen Ausbildung tätige Genfer Zentrum für Sicherheitspoli-

328

tik, dasjenige für humanitäre Minenräumung sowie dasjenige für die demokratische Kontrolle der Streitkräfte.

Die gezielte Nutzung von PfP-Instrumenten befähigt die Schweizer Armee, an internationalen friedenserhaltenden Aktionen oder bei der Unterstützung humanitärer Operationen im Rahmen eines UNO- oder OSZE-Mandats mitzuwirken.

Beispiele: Die Schweiz hat anlässlich der Kosovo-Krise dem UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) während dreier Monate Militärhelikopter zur Verfügung gestellt. Sodann hat sich der Bundesrat im Oktober 1999 zur schweizerischen Teilnahme an einer NATO-geführten PfP-Operation unter UNOMandat («Kosovo Force», KFOR) entschlossen und der KFOR eine schweizerische Logistikeinheit zur Verfügung gestellt.

Unser Land wirkt weiterhin tatkräftig in der OSZE mit, die eine der wichtigsten Organisationen für die friedliche Streitbeilegung ist und eine zentrale Rolle bei der Frühwarnung, der Konfliktverhütung und der Normalisierung der Lage nach Konflikten spielt. Die OSZE hat ihre operationellen Fähigkeiten in den letzten Jahren wesentlich ausgebaut. 1996 übernahm die Schweiz den OSZE-Vorsitz. In jener Zeit sah sich die OSZE mit grossen Herausforderungen vor allem in BosnienHerzegowina und in Tschetschenien konfrontiert. Im Dayton-Abkommen war die OSZE mit einem gewichtigen Mandat, namentlich mit der Durchführung von Wahlen, beauftragt worden. Der Entscheid des Schweizer Vorsitzes, diese auch tatsächlich im September 1996 durchzuführen, war nicht einfach, erwies sich aber in der Rückschau als richtig.

Beispiele: Von 1996 bis 2000 stellte die Schweiz der OSZE-Mission in BosnienHerzegowina eine Logistikeinheit von ungefähr 50 Personen zur Verfügung (Gelbmützen). 40 Schweizerinnen und Schweizer waren von Dezember 1998 bis März 1999 in der «Kosovo Verification Mission» (KVM) engagiert. Im 2000 entsandte die Schweiz rund 40 zivile Experten in OSZE-Missionen sowie Wahlbeobachter in verschiedene Länder Südosteuropas und Zentralasiens. Zudem werden oder wurden OSZE-Missionen in Tschetschenien, Kroatien und der Ukraine von Schweizern geleitet: Seit 1997 wird die Leitung des OSZE-Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau von einem Schweizer wahrgenommen. Ende 1999 wurde eine Schweizerin zur Persönlichen Vertreterin der Amtierenden Vorsitzenden der OSZE für
Missionen im Kaukasus ernannt.

Im Bereich innere Sicherheit sind für unser Land vor allem die zunehmenden Aktivitäten der Europäischen Union von massgebender Bedeutung. Diese hat über mehrere Etappen (Personenfreizügigkeit, Schengener Abkommen, Dubliner Erstasylkonvention, Europol, Amsterdamer Vertrag) einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts herausgebildet, der die Bewohner der Union vor den Auswirkungen des organisierten Verbrechens und unerwünschter Migration schützen soll. Die 329

Schweiz ist somit seit Mitte der Neunzigerjahre von einem gemeinsamen europäischen Sicherheitsraum umgeben, an dem sie nicht teilnimmt. Dies hat spürbare Auswirkungen, die von zusätzlichen Asylanfragen von Personen, deren Asylgesuche in der EU abgewiesen wurden, über Benachteiligungen der Tourismusbranche durch die EU-Visapolitik bis hin zur Erschwerung der praktischen polizeilichen Zusammenarbeit reichen können.

Weil die Schweiz ein überragendes Interesse daran hat, ihre innere Sicherheit auf die Bestrebungen der EU abzustimmen, um nicht zu einer Insel der Unsicherheit zu werden, hat sie seit Beginn der Neunzigerjahre ihr Interesse an einer verstärkten Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten und der EU bekannt gegeben. Die EU hat sich bisher nicht zu einer Zusammenarbeit mit unserem Land im fraglichen Bereich entschliessen können.

Deshalb sah sich der Bundesrat gezwungen, mittels einer engeren Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten der Schweiz zu einer Stärkung der inneren Sicherheit unseres Landes beizutragen. Als erste Etappe sind mit den Nachbarstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Liechtenstein Verträge über Rechtshilfe, polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit sowie Rückübernahme von Ausländern abgeschlossen worden. Diese Abkommen ermöglichen nicht nur die Weiterführung und Stärkung der historisch gewachsenen nachbarlichen Zusammenarbeit. Sie bilden ­ als zumindest teilweiser Ersatz für die Nichtteilnahme am europäischen Sicherheitssystem ­ eine im beiderseitigen Interesse stehende Vertiefung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der inneren Sicherheit.

Beispiel: Die bilateralen Abkommen mit den Nachbarstaaten beschlagen ­ in je unterschiedlicher Intensität ­ folgende Bereiche: direkte Zusammenarbeit unter den zuständigen Behörden, Hilfeleistungen bei sicherheitspolitischen Grossereignissen, Katastrophen und schweren Unglücksfällen, Informationsübermittlung im automatisierten Verfahren, direkte Zustellung gerichtlicher und behördlicher Schriftstücke sowie kontrollierte Lieferung, Nacheile und Observation.

Zudem konnte mit der Einführung der so genannten «Effizienzvorlage» (Art. 340bis StGB), welche die Strafgerichtsbarkeit des Bundes unter gewissen Voraussetzungen auf Delikte in den Bereichen der organisierten Kriminalität und der Wirtschaftskriminalität erweitert, eine
Zentralisierung der Ressourcen erreicht werden, was in der Folge eine effizientere Bekämpfung von komplexen, grenzüberschreitenden Fällen der organisierten Kriminalität gewährleistet.

Sodann wird mit der Umsetzung der bilateralen Abkommen über polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit mit unseren Nachbarstaaten unter anderem eine umfassende Kooperation und ein schnellerer Informationsaustausch ermöglicht.

Demgegenüber ist die vertragliche Regelung der Beziehungen mit der EU im Bereich innere Sicherheit nicht gelungen. Das Abseitsstehen der Schweiz vom sich festigenden europäischen Sicherheitsraum ist für die tägliche Polizeiarbeit nachteilig.

So ist weder eine weit gefasste Kriminalitätsanalyse möglich, noch kann unser Land am EU-weiten Informationsaustausch teilnehmen. Immerhin gehört die Schweiz zu den Drittstaaten, mit denen Europol in erster Priorität ein Zusammenarbeitsabkommen abschliessen will. Auch im Asylbereich ist unser Land nur mittels der Zusam330

menarbeit mit der EU in der Lage, langfristig zu einer Stabilisierung der Zuwanderung zu gelangen.

2.1.2

Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik

Die Schweiz ist sämtlichen multilateralen Abkommen im Bereich Rüstungskontrolle und Abrüstung beigetreten, die ihr heute offen stehen. Ausserdem beteiligt sich unser Land an allen informellen multilateralen Vereinbarungen, die der Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen dienen.

Dank des Endes des Ost­West-Gegensatzes sind in den herkömmlichen Verhandlungsgremien bedeutende Erfolge gelungen: Im Bereich der Nuklearwaffen konnten die Verhandlungen über den Vertrag für ein umfassendes Verbot der Kernversuche abgeschlossen werden. Im Bereich der chemischen Waffen ist ein besonders wichtiger Schritt erfolgt. Mit dem Übereinkommen über das Verbot chemischer Waffen wird eine ganze Klasse von Massenvernichtungswaffen umfassend und überprüfbar verboten.

Beispiel: Mit ihrer chemischen Fachkompetenz von Weltrang und dem traditionellen Ruf der Unabhängigkeit und Zuverlässigkeit kann die Schweiz bei der Bekämpfung der Proliferation von chemischen Waffen eine wichtige Rolle spielen. Davon zeugen beispielsweise die weltweiten Aktivitäten des ACLaboratoriums Spiez. Zudem hat unser Land bei der Ausgestaltung des Inspektorats der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) massgeblich mitgewirkt. Über 100 internationale Inspektoren wurden in der Schweiz ausgebildet, wobei auch die schweizerische Chemieindustrie aktiv Unterstützung leistete.

Nicht zuletzt auf Grund der Fortschritte in der Biotechnologie gelten heute die biologischen Waffen als besonders unberechenbare Gefahr. In Genf wird zurzeit ein Zusatzprotokoll über die Stärkung und Überprüfbarkeit der Biologiewaffenkonvention verhandelt.

Neben den traditionellen Gremien ist in den letzten Jahren eine neue Form der Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik entstanden, welche die Verbesserung der «menschlichen Sicherheit» zum Ziel hat. Sie spielt sich in informellen multilateralen Kontaktnetzen ausserhalb etablierter internationaler Organisationen ab.

Beispiel: Eine weltweite Koalition von gleich gesinnten Staaten, zu deren Kerngruppe die Schweiz gehört, hat zusammen mit dem IKRK und Nichtregierungsorganisationen in kurzer Zeit die Konvention über das vollständige Verbot der Personenminen ausarbeiten und verabschieden können.

331

Seit der Verabschiedung der Minenverbotskonvention engagiert sich die Schweiz zudem in einem neuen Netzwerk von rund einem Dutzend Staaten («Human Security Network»), das unter anderem die komplexe Problematik der Kleinwaffen behandelt.

Im Bereich der konventionellen Waffen setzt sich unser Land im Rahmen der OSZE und der UNO für eine erhöhte Transparenz der Exporte und Importe von Kriegsmaterial ein. Unsere Kriegsmaterialexporte waren während längerer Zeit auch Gegenstand von innenpolitischen Auseinandersetzungen. Zwischen der Sicherung schweizerischer Arbeitsplätze sowie der Wahrung einer nationalen Rüstungsindustrie einerseits und der Förderung von Menschenrechten, Frieden und Sicherheit andererseits können bei dieser Art von Exporten Interessenkonflikte entstehen. Die Problematik konnte mit dem neuen Kriegsmaterialgesetz von 1996 wesentlich entschärft werden; ein strenges Kontrollregime garantiert, dass keine schweizerischen Waffen in konfliktgefährdete Gebiete exportiert werden.

2.1.3

Friedensförderung

Der Aussenpolitische Bericht 93 hatte Lücken im schweizerischen Instrumentarium der Friedenspolitik festgestellt und sich die Verbesserung und Ausweitung der operationellen Möglichkeiten im multilateralen und bilateralen Bereich zum Ziel gesetzt. Im letzten Jahrzehnt sind folgende Entwicklungen festzuhalten: ­

Der «Kredit Friedensfördernde Massnahmen» ist von 14 Millionen Franken im Jahre 1993 auf 38 Millionen Franken im Jahr 2000 aufgestockt worden. 1993 wurden 85 Prozent der Mittel für Finanzbeiträge vorwiegend an die UNO und 15 Prozent für Personaleinsätze und Projekte verwendet. 1999 war das Verhältnis umgekehrt: 85 Prozent wurden für Personaleinsätze und Projekte eingesetzt. 1999 nahmen 235 zivile Experten und Expertinnen an internationalen friedenserhaltenden Missionen teil. Aufs Jahr umgerechnet, entspricht dies 70 Fachleuten, die in 19 Ländern ständig im Einsatz standen. Für knapp 20 Millionen Franken wurden grössere und kleinere Projekte in 29 Ländern finanziert, von Friedensgesprächen bis zur Entminung, von der Ausarbeitung von Gesetzen bis zur Abklärung von Kriegsverbrechen. Die mit diesen Einsätzen gesammelten Erfahrungen ermöglichen es unserem Land, das entsprechende Instrumentarium weiter zu verfeinern und auszubauen.

Beispiel: Im so genannten «Interlaken-Prozess» (1997­1999) hat sich unser Land gemeinsam mit dem UNO-Sekretariat der Frage angenommen, wie unerwünschte Nebenwirkungen gewisser UNO-Sanktionen auf Zivilbevölkerung und Wirtschaft verringert werden können. Es wurde eine Musterresolution sowie ein Mustergesetz erarbeitet, welche die UNO in die Lage versetzen sollen, in Zukunft differenziertere Sanktionen zu verhängen (so genannte «smart sanctions»).

­

332

Die Förderung bestimmter Aspekte der «menschlichen Sicherheit» hat sich eine Gruppe von 13 Staaten im so genannten «Human Security Network»

(Lysöen-Prozess) zum Ziele gesetzt. Die Gruppe nimmt sich insbesondere der besseren Durchsetzung des humanitären Völkerrechts, der besseren Kontrolle des Kleinwaffenhandels, des Verbots des Einsatzes von so genannten Kindersoldaten, der Rolle der verschiedenen nichtstaatlichen Akteure in Konfliktsituationen sowie der Umsetzung des Personenminenverbots an, fördert gemeinsam die Behandlung dieser Themen im Rahmen der UNO oder übernimmt selbst die Initiative.

Beispiel: Die Schweiz hat im Mai 2000 in Luzern das zweite Ministertreffen der Gruppe «Human Security Network» durchgeführt, von dem wichtige Impulse für die UNO-Konferenz über Kleinwaffen, die 2001 stattfindet, sowie für die weitere Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Akteuren ausgingen.

­

Bilaterale Initiativen, die zum Ziel haben, zur Lösung von Konflikten beizutragen, bleiben trotz der Multilateralisierung der Friedensbemühungen unentbehrlich. Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass in diesem Bereich auch kleinere und mittlere Staaten eine erfolgreiche Rolle spielen können. Angesichts der Komplexität heutiger interner Konflikte können solche Initiativen ungenutzte Handlungsspielräume nutzen sowie Verhandlungsbereitschaft und Dialogfähigkeit bestimmter Zielgruppen stärken. Die Schweiz kann hier an ihre Tradition der Guten Dienste anknüpfen.

Der innerstaatliche Charakter der meisten heutigen Konflikte erfordert jedoch neue Methoden. Insbesondere ist eine langfristig angelegte, systematische Bearbeitung eines Konfliktes und der Aufbau von Kontaktnetzen zu den unterschiedlichen Akteuren unumgänglich. Verschiedene Formen der «Facilitation» und der Vermittlung sind die Instrumente, mit denen Konfliktparteien für eine gewaltlose Austragung des Konfliktes gewonnen werden sollen.

Beispiel: Die Schweiz misst der kulturellen Komponente der Friedensförderung grosse Wichtigkeit zu; dazu gehört die «Revitalisierung» lokaler Kulturszenen, die von Konflikten betroffen oder davon bedroht sind. So hat Pro Helvetia 1999 den Auftrag angenommen, Kulturantennen in Mazedonien, Albanien, Rumänien, der Ukraine und Bulgarien zu eröffnen.

In den letzten Jahren ist der Aufbau von Kapazitäten in diesem Bereich an die Hand genommen worden. Grundlage dazu bildet das Konzept Friedensförderung, das der Bundesrat 1999 gutgeheissen hat. Erste Erfahrungen mit der neuen Konfliktbearbeitung konnte die Schweiz namentlich in Burundi, Kolumbien und in Afghanistan sammeln.

Während die humanitäre Hilfe der Schweiz schon lange auf die Verhütung und Bewältigung von gewaltsamen Konflikten ausgerichtet ist, sind Friedensfragen im engeren Sinne in der Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit erst in den Neunzigerjah333

ren zu einem wichtigen Thema geworden. Mit ihren Zielen wie Armutsbekämpfung, Förderung der Guten Regierungsführung und Wiederaufbauarbeit nach Konflikten stellen die Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit sowie die humanitäre Hilfe wichtige Instrumente einer langfristig und auf Konfliktvermeidung angelegten Friedenspolitik dar.

Beispiele: Konfliktbezogene Aktivitäten der Entwicklungszusammenarbeit in Mosambik: ­ Wahlunterstützung, ­ Beratung/Unterstützung bei Landkonflikten/-rechtsfragen, ­ Beratung und Unterstützung bei Demobilisierungsmassnahmen, ­ Wiederaufbau physischer Infrastrukturen, ­ Menschenrechte, Wiederaufbau Justiz/Sicherheit.

Diese und ähnliche Aktivitäten in sechs anderen Ländern (Angola, Bosnien, Nicaragua, Niger, Ruanda, Sri Lanka) entsprechen einem finanziellen Engagement von rund 240 Millionen Franken, verteilt über 10 Jahre.

2.1.4

Gute Dienste

Die Guten Dienste unseres Landes sind seit langer Zeit fester Bestandteil der schweizerischen Aussenpolitik. Es herrscht in der Schweiz noch vielfach die Meinung vor, unser Land sei gleichsam automatisch in der Lage, einen geschätzten Einsatz als Vermittler oder Friedensförderer zu leisten. Die Wirklichkeit sieht indessen anders aus: Heutige Konflikte sind in der Regel innerstaatlicher Natur. Vielfach lehnt die an einer solchen Auseinandersetzung beteiligte Regierungsseite eine Vermittlung Dritter als Einmischung in die inneren Angelegenheiten ab. Gute Dienste werden deshalb häufig einer internationalen Organisation wie der UNO oder der OSZE übertragen, die auf Mandatsbasis Einzelpersonen oder Mitgliedstaaten beauftragt, in einem bestimmten Konflikt zu vermitteln. Auf diesem Weg können Regierungen, die an einem innerstaatlichen Konflikt beteiligt sind, leichter zur Mitarbeit gebracht werden. Oft ist auch zu beobachten, dass Grossmächte wie die USA oder die EU Vermittlungsdienste übernehmen, weil nur sie über die notwendigen Mittel, auch solche militärischer Natur, verfügen, um die Streitparteien kompromissbereit zu stimmen.

Zudem hat unser Neutralitätsstatus auf Grund des Verschwindens des Ost­WestGegensatzes auch bei den Guten Diensten seine frühere Bedeutung eingebüsst.

Beispiel: Der Kosovo-Konflikt bestätigte, dass die Leistung Guter Dienste längst nicht mehr neutralen Staaten vorbehalten ist. Die in der Kosovo-Krise von der Schweiz unternommenen Tätigkeiten zeigen, dass die klassischen Guten Dienste im Rahmen der Suche nach Lösungen für schwer wiegende politische

334

Konflikte oder im Rahmen der Friedensförderung nur noch selten eine Rolle spielen und nur noch einen geringen Teil des aussen- und sicherheitspolitischen Engagements der Schweiz ausmachen. Sie machen mehr und mehr einer aktiven Friedenspolitik Platz.

2.1.5

Ostzusammenarbeit

Die vertiefte Zusammenarbeit mit dem Osten Europas zählt erst seit wenigen Jahren zu den Schwerpunkten der schweizerischen Aussenpolitik. Im vergangenen Jahrzehnt hat unser Land vor allem Polen, die Tschechische Republik, Ungarn und die baltischen Staaten unterstützt. Der Reformprozess in diesen Staaten ist mittlerweile gefestigt; sie sind samt und sonders EU-Beitrittskandidaten geworden und kommen damit in den Genuss einer erheblichen finanziellen Unterstützung der EU. Deshalb konzentrieren sich die Aktivitäten der schweizerischen Ostzusammenarbeit nunmehr auf jene Länder, in denen der Reformprozess erst anfängt, ins Stocken geraten ist oder wegen eines Bürgerkriegs nie eine Chance hatte, überhaupt in Fahrt zu kommen.

Südosteuropa Auf Grund der verschiedenen Krisen und der andauernden Unsicherheit in der Region steht Südosteuropa seit geraumer Zeit im Zentrum der aussenpolitischen Aktivitäten der Schweiz. Schon seit 1995 ist das Gebiet Ex-Jugoslawiens ein Schwerpunkt für die humanitäre Hilfe der Schweiz. Unser Land hat eine grosse Zahl Kriegsvertriebener aufgenommen, deren Rückkehr aktiv unterstützt und beim Wiederaufbau Hilfe geleistet. 1996 nahm die Schweiz die OSZE-Präsidentschaft wahr und war deshalb in der Lage, Wesentliches zur Hilfe beizutragen. Nach wie vor ist unser Land in Bosnien-Herzegowina in einem umfassenden Programm stark engagiert.

Beispiel: Freies Radio Bosnien und Herzegowina (FERN) Das Projekt wird von der Schweiz finanziert und zusammen mit der OSZE als Partner durchgeführt. Der Betrieb eines unabhängigen Radios trägt zur Verständigung unter den drei Volksgruppen bei. Seit dem 15. Juli 1996 sendet Radio FERN täglich rund um die Uhr ein Vollprogramm, das von einem multiethnischen bosnischen Redaktionsteam gestaltet wird. Zurzeit wird Radio FERN an eine lokale Trägerschaft übertragen, welche das Radio fortführen wird.

Kürzlich wurde Radio FERN durch den Journalistenverband von BosnienHerzegowina die Auszeichnung als Radiosender des Jahres 1999 verliehen Die Schweiz hat einen umfangreichen Katalog von Massnahmen entwickelt, um in Südosteuropa effektive Hilfe und Unterstützung bei der Stabilisierung der Lage leisten zu können. Unser Land ist mit Botschaften mittlerweile in allen Ländern der Region vertreten und hat in allen Schwerpunktländern der Ostzusammenarbeit Koordinationsbüros eröffnet, die zusammen mit lokalen Partnern den Einsatz der

335

umfangreichen finanziellen und personellen Hilfe sowohl bilateraler als auch multilateraler Natur überwachen.

Die Schweiz arbeitet in allen internationalen Strukturen und Organisationen mit, welche in dieser Region tätig sind, und pflegt regen Kontakt mit den vielen Nichtregierungsorganisationen. Ein Schwerpunkt besteht in der Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien; dem Gericht wurde eine schweizerische Generalstaatsanwältin zur Verfügung gestellt. Zudem unterstützt eine Kompanie unbewaffneter Schweizer Soldaten («Swisscoy») die NATO-Mission im Kosovo.

Beispiel: Förderung von Landwirtschaft und KMUs in Rumänien Durch den Aufbau und die Weiterentwicklung der privaten Landwirtschaft sowie von kleinen und mittleren Unternehmen in den Kreisen Covasna und Mures werden ca. 5000 Arbeitsplätze geschaffen und erhalten. Firmen und Bauernfamilien kommen in den Genuss von betrieblicher Beratung und erhalten Investitionskredite. Bisher wurden rund 1'200 Kredite vergeben, die zum Aufbau von Gewerbe- oder Dienstleistungsbetrieben oder dem Kauf von Investitionsgütern, Tieren, Saatgut usw. dienen. Pro Jahr werden rund 20 bis 25 Prozent der gesamten Kreditsumme (1999: 4,2 Millionen US-Dollar) zurückbezahlt und neu vergeben.

Nachfolgestaaten der Sowjetunion Russland stellt auf Grund seiner wenig konsolidierten inneren Lage eine Herausforderung für Sicherheit und Frieden in Europa dar. Deshalb hat auch die Schweiz ein grosses Interesse daran, dass dieses Land den Weg zu einer modernen, marktwirtschaftlich organisierten Demokratie in geordneter Weise zurücklegen kann. Unser Land leistet da einen Beitrag, wo es über spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, beispielsweise im Bereich wirtschaftlicher Reformen, oder bei der Stärkung des Rechtsstaates und des Justizsystems sowie bei der Verringerung von Kompetenzverlusten in Wissenschaft und Forschung. Ähnliche Überlegungen gelten für die Ukraine und den Kaukasusraum, wo die Präsenz der Schweiz verstärkt wurde.

Ein weiterer Schwerpunkt der Zusammenarbeit liegt in der Region Zentralasien, die auf Grund der ungleichen Verteilung natürlicher Ressourcen und willkürlicher Grenzen einen potenziellen Krisenherd darstellt. Die Schweiz hat hier ihre Strukturen ebenfalls ausgebaut, namentlich in Kirgisistan und in Tadschikistan. Als Mitglieder der schweizerischen Stimmrechtsgruppe in den Institutionen von Bretton Woods sind diese Staaten für unser Land nicht bloss als Partner der Entwicklungszusammenarbeit von Bedeutung.

2.1.6

Humanitäre Hilfe

Die humanitäre Hilfe der Schweiz sieht sich seit Beginn der Neunzigerjahre durch neu aufbrechende Krisen und Konflikte schwierigen Herausforderungen gegenüber.

Durch die Konzentration auf bestimmte geografische Regionen und auf einzelne Konflikte wurde ein wirkungsvoller Einsatz der beschränkten Mittel angestrebt. Im 336

Vordergrund standen Bosnien-Herzegowina, der Kosovo und Serbien sowie die Region der Grossen Seen in Afrika, insbesondere Ruanda. Weitere Schwerpunkte der humanitären Hilfe unseres Landes bildeten der Kaukasus, Sudan, Eritrea und Angola.

Beispiele: Im Sudan wurde trotz Bürgerkrieg eine Trinkwasserversorgung aufgebaut, in Ruanda wurde die Rückkehr von Flüchtlingen durch die Unterstützung der medizinischen Ausbildung erleichtert, in Liberia wurden Strassen saniert.

Die Wirksamkeit der humanitären Aktionen konnte erhöht werden, indem diese verstärkt in die schweizerische Aussenpolitik eingebunden und mit anderen Aktionen vernetzt wurden. Zudem wurde die Abstimmung mit anderen humanitären Hilfsorganisationen verbessert und eine engere Zusammenarbeit mit schweizerischen Nichtregierungsorganisationen und internationalen humanitären Organisationen, beispielsweise mit dem IKRK, dem UNO-Büro für humanitäre Angelegenheiten, dem UNHCR oder dem UNO-Welternährungsprogramm, in die Wege geleitet.

Beispiele: Die humanitäre Hilfe der Schweiz erbringt ihre Leistungen unter anderem auch durch Einsätze des Schweizerischen Katastrophenhilfekorps; diesem gehören heute rund 1500 Freiwillige an. 1999 gelangten 547 Korpsangehörige zum Einsatz, die rund 40 500 Einsatztage geleistet haben.

2.1.7

Migrationspolitik

Arbeitsmarkt In unserem Land stammt die Mehrheit der ausländischen Wohnbevölkerung, nämlich 58,3 Prozent (Zahlen 1999), aus Mitgliedstaaten der EU beziehungsweise des EWR. Die kontingentierten Neuzulassungen für Arbeitskräfte aus diesem Raum machen gegen 80 Prozent aus. Allerdings hält die Tendenz zur Einwanderung aus Ländern ausserhalb der EU unvermindert an, was hauptsächlich auf den Familiennachzug und auf andere Gründe wie Kadertransfer, Studienaufenthalte, humanitäre Gründe usw. zurückzuführen ist. Die schweizerische Migrationspolitik wurde deshalb Ende der Neunzigerjahre auf ein duales Zulassungsmodell ausgerichtet.

Nach den Inländern (Schweizer Bürgerinnen und Bürger sowie berechtigte Ausländer) geniessen heute Arbeitskräfte aus den EU- und EFTA-Staaten einen Vorrang bei der Rekrutierung. Gestützt auf die bilateralen Abkommen mit der EU wird der Personenverkehr zwischen der Schweiz und der EU nach einigen Jahren Übergangszeit vollständig liberalisiert. Aus den übrigen Staaten ist eine Zulassung zum schweizerischen Arbeitsmarkt grundsätzlich nur für gut qualifizierte Personen vorgesehen.

337

Asyl Häufig beauftragen Migranten organisierte Schlepperbanden damit, sie an den Zielort zu bringen. Migranten und Flüchtlinge müssen die Dienste solcher Schlepperbanden teuer erkaufen. Je strenger die Zulassungsbestimmungen in einem Land sind und je umfassender es seine Grenzen überwacht, desto besser organisiert und teurer werden die Schlepper. Der weltweite jährliche Umsatz der Schlepperbanden im Migrationsbereich wird auf über fünf Milliarden US-Dollar geschätzt; häufig sind solche Banden Bestandteil mafiöser Gruppen.

Beispiel: Die Situation in der Schweiz folgt dem internationalen Trend: Das Schweizerische Grenzwachtkorps fasste letztes Jahr über 1000 Schlepper; 1999 sind 84 Prozent der Personen, die versuchten, in der Schweiz Asyl zu finden, illegal in unser Land gelangt.

Im schweizerischen Asylbereich waren im vergangenen Jahrzehnt zweimal Rekordzahlen zu verzeichnen, das erste Mal in der Anfangsphase des Balkankonflikts mit über 41 000 Gesuchen, das zweite Mal anlässlich des Kosovo-Konflikts. Mit 6,5 Asylgesuchen auf 1000 Einwohner nahm die Schweiz 1999 den Spitzenrang unter den traditionellen westeuropäischen Aufnahmeländern ein; nur Liechtenstein und Luxemburg lagen noch vor unserem Land. Die Schweiz stand 1999, allerdings einem Rekordjahr, mit 46 100 Gesuchen an dritter Stelle aller europäischen Länder, nach Deutschland und Grossbritannien mit je doppelt so vielen Anträgen. Inzwischen ist die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz wieder auf den Mitte der Neunzigerjahre üblichen Stand zurückgegangen.

Gegenüber den kriegsbedingten überdurchschnittlichen Zuwanderungen aus Bosnien-Herzegowina und aus dem Kosovo wurde der Grundsatz der kollektiven vorläufigen Aufnahme zur Anwendung gebracht; dieser Grundsatz ist für Schutzbedürftige nun auch im neuen Asylgesetz verankert worden. Ferner wurden das Asylverfahren beschleunigt, die Anreize für die Stellung eines Asylgesuchs vermindert und der Wegweisungsvollzug verstärkt.

Besonders besorgniserregend ist der von international tätigen kriminellen Organisationen betriebene Frauenhandel. Der Menschenhandel kann neben der Verstärkung der strafrechtlichen Verfolgung der Täter und der Aufklärung über die Gefahren in den Herkunftsländern nur durch einen besseren Schutz der Opfer wirksam eingedämmt werden.

Beispiel Die Schweiz hat neue, innovative
Zusammenarbeitsformen erprobt: Für die vorläufig Aufgenommenen wurde sowohl für Bosnien-Herzegowina als auch für den Kosovo Rückkehrhilfeprogramme durchgeführt, welche grosse Erfolge verzeichnen. Die Rückkehrhilfe wird mit Anstrengungen der humanitären Hilfe und der Ostzusammenarbeit kombiniert, die bezwecken, den Wiederaufbau und die Wiedereingliederung der Rückwanderer zu unterstützen.

338

2.2

Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat

Ziel: «Sicherheit und Frieden können letztlich nur in einer Gemeinschaft von Staaten garantiert werden, die auch im Innern die Menschenrechte und Grundfreiheiten achten, den Vorrang des Rechtes vor politischer Willkür anerkennen und politische Macht der demokratischen Kontrolle unterstellen.» (Aussenpolitischer Bericht 93)

2.2.1

Gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie

Die Schweiz hat in den letzten Jahren sowohl in den entsprechenden Organisationen als auch in ihrer bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mannigfaltige Aktivitäten in der Unterstützung rechtsstaatlicher Verhältnisse in Partnerländern entwickelt, namentlich in den Bereichen Staats-, Regierungs- und Verwaltungsorganisation, mit einem Schwerpunkt auf Dezentralisierungsbestrebungen. Besonders eingesetzt hat sich unser Land auch bei der Organisation und Ausbildung von Justiz und Polizei und der Förderung des Zugangs benachteiligter Gruppen zu Justiz und Verwaltung.

Beispiel: Die Schweiz unterstützte Bestrebungen zur Reform des Justizsystems in Bolivien (kostenloser Zugang für Bedürftige, Verbesserung der Ausbildung der Richter, Unterstützung der öffentlichen Verteidigung im ländlichen Raum, technische Beratung für ein neues Geldwäschereigesetz).

Die Schweiz hilft bei Bemühungen zur Stärkung demokratischer Strukturen und Prozesse in zahlreichen Ländern, beispielsweise bei der Vorbereitung und Durchführung von Wahlen. Die Entsendung von Wahlbeobachtern gehört zu den traditionellen Instrumenten in diesem Bereich; dazu kommt die Unterstützung von Organisationen der Zivilgesellschaft, die eine wirksamere Beteiligung der Bevölkerung an der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsfindung in ihren Ländern anstreben.

2.2.2

Menschenrechtspolitik

Die Schweiz ist im vergangenen Jahrzehnt zahlreichen internationalen Abkommen im Menschenrechtsbereich beigetreten, beispielsweise den UNO-Pakten über bürgerliche und politische Rechte (1992), über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1992), der Kinderrechtskonvention (1993), den Konventionen gegen Rassendiskriminierung (1994) und gegen die Diskriminierung der Frau (1997) sowie dem Rahmenübereinkommen des Europarates über den Schutz der nationalen Minderheiten (1998).

339

Die multilateralen Aktivitäten unseres Landes sind breit angelegt. Ein besonderes Engagement gilt der Abschaffung der Folter, dem Schutz von Minderheiten sowie der Verbesserung des Loses von Kindern in bewaffneten Konflikten.

Beispiele: Die Schweiz hat im Rahmen der UNO einen Vorschlag für ein Protokoll zur Vorbeugung gegen Folter eingebracht und sich wesentlich für die Verabschiedung eines Zusatzprotokolls über das Verbot von Kindersoldaten eingesetzt.

Das «Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe» geht auf eine Initiative der Schweiz zurück und wurde nach intensiven Diskussionen vom Europarat Ende 1987 angenommen. Es sieht zum ersten Mal einen besonderen Überwachungsmechanismus vor: Ein Ausschuss kann jeglichen Ort in Mitgliedsländern besuchen, in dem Personen festgehalten werden, und Berichte veröffentlichen. Dieser Mechanismus diente denn auch als Vorlage für ein ähnliches Instrument im Rahmen der UNO, für welches sich die Schweiz ebenfalls tatkräftig einsetzt.

Beim Minderheitenschutz werden vor allem die Aktivitäten des Europarates und der OSZE unterstützt. Zu erwähnen sind auch die schweizerischen Aktivitäten in der UNO-Menschenrechtskommission sowie jene in der Internationalen Arbeitsorganisation, welche zur Übernahme eines umfangreichen Rechtsbestandes geführt haben.

Beispiel: «Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte» Die Schweiz brachte am Europarat-Ministertreffen 1985 die Idee ein, das Überwachungssystem der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu vereinfachen. Die beiden Organe (Kommission und Gerichtshof) sollten zu einem einheitlichen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zusammengenommen werden. Nach zähen Verhandlungen trat das entsprechende Zusatzprotokoll zur EMRK Ende 1998 in Kraft. Der Gerichtshof wird vom Schweizer Luzius Wildhaber präsidiert.

Das bilaterale schweizerische Engagement wurde ausgebaut: Neben den traditionellen Interventionen auf Regierungsebene mittels Demarchen wurde das schweizerische Instrumentarium um positive Massnahmen erweitert, die im bilateralen Verhältnis zur Verbesserung der Menschenrechtssituation in einem bestimmten Staat beitragen können. Der diesem Vorgehen zu Grunde liegende Ansatz stützt sich auf die Überlegung, dass es immer darum geht, konkrete
Verbesserungen in einem bestimmten Staat herbeizuführen, nicht darum, einen Staat zu verurteilen. Auch in der Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit wurde das Menschenrechtselement verstärkt.

Von besonderer Bedeutung sind sodann die institutionalisierten Menschenrechtsdialoge, die unser Land mit Staaten wie China, Pakistan oder Vietnam führt. Die Si340

cherung eines dauerhaften Dialogs über bestimmte Themen und Programme, beispielsweise Rechte der Frau oder Haftbedingungen, steht im Vordergrund.

2.2.3

Humanitäres Völkerrecht

Das humanitäre Völkerrecht umfasst die internationalen Regeln, welche die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf Menschen und Güter lindern und insbesondere die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft schützen. Diesen Bestrebungen liegt die Einsicht zu Grunde, dass das Verhalten der Streitkräfte bei Ausbruch eines bewaffneten Konflikts Regeln unterworfen sein muss, die den minimalen Respekt des menschlichen Lebens garantieren und unnötiges Leiden verhindern.

Das humanitäre Völkerrecht ist heute Gegenstand intensiver Diskussionen auf multilateraler Ebene, insbesondere im Rahmen der Internationalen Konferenzen des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes sowie der UNO. Während der Bundesrat der Weiterentwicklung des «Genfer Rechtes» stets höchste Priorität beigemessen hat, zeigen die Entwicklungen der letzten Jahre, dass auch der UNO-Rahmen für die Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechtes an Bedeutung gewonnen hat.

Der Rückblick auf die letzten Jahre führt zum Schluss, dass die schweren Verletzungen der internationalen Abkommen im Bereich des humanitären Völkerrechts, insbesondere die rücksichtslose und gezielte Gefährdung der Zivilbevölkerung, massiv zugenommen haben. Ursachen für diese beunruhigende Entwicklung sind die Änderungen im Konfliktverhalten (vgl. Ziff. 2.1.2.2).

Es ist international anerkannt, dass die Schweiz, auch als Depositarstaat der Genfer Abkommen, zusammen mit anderen Staaten eine führende Rolle bei der Stärkung und Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts einnimmt. Die Schweiz leistete in den letzten Jahren namhafte konkrete Beiträge an die Umsetzung und Entwicklung des humanitären Völkerrechts.

Beispiel: Die Schweiz hat sich angesichts der verheerenden Wirkung von Personenminen auf die Zivilbevölkerung erfolgreich für ein umfassendes Verbot des Einsatzes, der Herstellung, der Lagerung und der Weitergabe von Personenminen auf internationaler Ebene eingesetzt. Mit der Errichtung des internationalen Zentrums für humanitäre Minenräumung in Genf unterstrich die Schweiz in wirkungsvoller Weise ihr Engagement, die Auswirkungen dieser heimtückischen Waffe zu vermindern.

Der Bundesrat setzt sich auch ein für die Eindämmung der illegalen und unkontrollierten Weiterverbreitung von Kleinwaffen und leichten Waffen und die Einbindung von nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen
in das internationale Rechtssystem.

Handlungsbedarf sieht der Bundesrat beispielsweise im Zusammenhang mit Streubomben, die ­ aus der Luft abgeworfen ­ beim Aufprall auf dem Boden nicht explodieren und eine vergleichbare Wirkung wie Personenminen haben können.

Ungeachtet der bereits bestehenden einschlägigen Strafrechtsnormen sind auch in jüngerer Geschichte Millionen Kinder, Frauen und Männer Opfer von Greueltaten

341

geworden. Zu bemängeln ist nicht so sehr die Lückenhaftigkeit der entsprechenden Rechtsvorschriften im humanitären Völkerrecht, sondern vielmehr deren mangelhafte Durchsetzung. Durch die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes will die internationale Gemeinschaft dem Völkerstrafrecht nun zu einer grösseren universalen Respektierung verhelfen. Die Schweiz war an der Ausarbeitung des Statuts für den Strafgerichtshof massgeblich beteiligt. Seine Zuständigkeiten für die Beurteilung von besonders schweren Verbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen werden in Zukunft dazu beitragen, dass die dafür Verantwortlichen nicht länger straffrei ausgehen. Der Gerichtshof wird allerdings nur eine nachgelagerte Befugnis für solche Verurteilungen haben; nach wie vor werden in erster Linie die Staaten für die Verfolgung solcher Täter verantwortlich bleiben.

Eng ist die Zusammenarbeit namentlich mit dem IKRK, selbstverständlich unter voller Respektierung seiner Unabhängigkeit. Das IKRK hat von der internationalen Gemeinschaft den Auftrag erhalten, die Anwendung des humanitären Völkerrechts zu überwachen. Im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten, in einem bestimmten Staat Einfluss zu nehmen, können sich die Instrumente des IKRK, der Schweiz und der anderen Vertragsstaaten der Genfer Abkommen gegenseitig ergänzen und unterstützen.

2.3

Förderung der Wohlfahrt

Ziel: «Wohlfahrtsförderung bezweckt, die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung multilateral und bilateral abzusichern. Die eigene Wohlfahrt ist massgeblich von der Wohlfahrt anderer abhängig. Das Engagement zu Gunsten des Abbaus sozialer Ungleichheiten ist daher eine wichtige Dimension der Wohlfahrt.» (Aussenpolitischer Bericht 93)

2.3.1

Standort Schweiz

Die Neunzigerjahre waren gekennzeichnet durch eine Welle weltweiter Deregulierungen und Privatisierungen. Der Liberalisierungsdruck hat bereits zur weitgehenden Öffnung von Dienstleistungs- und Infrastrukturmärkten (Bank- und Versicherungswesen, Telekommunikation, Energie usw.) geführt und auch vor den vormals stark geschützten Agrarmärkten nicht Halt gemacht. Diese weltwirtschaftlichen Strukturveränderungen haben zwar den schweizerischen Unternehmungen neue Märkte geöffnet, aber auch zu einem erhöhten Konkurrenzdruck geführt. Insbesondere erwiesen sich unsere im Vergleich zum Ausland hohen Produktionskosten als nicht mehr wettbewerbsfähig.

342

Beispiel: Die Schweiz hat zwischen 1990 und 1997 kein Wirtschaftswachstum verbuchen können, was unter anderem verbunden war mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, der Verschlechterung des Staatshaushalts nebst Verdoppelung der Staatsverschuldung und mit einer Rezession, vor allem in der Bauwirtschaft.

Im Sinne des Leitsatzes «Wettbewerbsfähigkeit nach aussen durch mehr Wettbewerb im Innern» hat der Bundesrat eine Neuausrichtung seiner Binnen- und Aussenwirtschaftspolitik eingeleitet25.

Beispiele: Der schweizerische Produktions-, Dienstleistungs- und Finanzstandort wurde durch folgende binnenwirtschaftliche Massnahmen gestärkt: Kartellgesetz, Binnenmarktgesetz, Gesetz über technische Handelshemmnisse und Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen. Eine weitere Steigerung der Attraktivität des Standorts Schweiz brachte die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes, die Sanierung der Bundesfinanzen sowie die Neuregelung des öffentlichen Transportwesens und der Berufsbildung. Von grosser Bedeutung für die schweizerische Volkswirtschaft bleibt sodann die Wettbewerbsfähigkeit des Bildungs-, Forschungs- und Technologiestandortes sowie insbesondere auch des Finanzplatzes. Neue Bestimmungen gegen den Missbrauch des Bankgeheimnisses und die Verschärfung der Regelungen zur Geldwäschereibekämpfung sind in diesem Zusammenhang als positive Standortfaktoren zu werten.

Der Finanzplatz Schweiz nimmt in der Welt einen wichtigen Platz ein. Gemäss einer Erhebung der Schweizerischen Nationalbank verwalteten schweizerische Banken per Ende April 2000 Wertpapiere von fast 3400 Milliarden Franken, von denen mehr als die Hälfte im Besitz ausländischer Kunden waren. Dazu kamen weitere Guthaben von mehr als 1200 Milliarden Franken, welche auf schweizerischen Bankkonten lagen.

Unser Land wird durch die verstärkte Wahrnehmung von Geldanlagen zweifelhaften Ursprungs besonders herausgefordert. Wie andere Finanzplätze der Welt zieht auch der schweizerische sowohl legale als auch deliktisch erworbene Gelder an. Diese Tatsache sowie die im Verhältnis zur Grösse unseres Landes überdurchschnittliche Bedeutung des Finanzplatzes und das schweizerische Bankgeheimnis geben Anlass für Kritik aus dem Ausland. Als Reaktion auf diese Entwicklung hat die Schweiz in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, um den
Missbrauch des Finanzplatzes zu verhindern (Geldwäschereigesetz, Strafnormen betreffend das organisierte Verbrechen und Korruption). Unser Land hat heute im Bereich der Finanzmarktregulierung und bei der Missbrauchsbekämpfung weltweit gesehen eine führende Rolle inne und beteiligt sich im internationalen Rahmen aktiv an der Bekämpfung der Geldwäscherei und anderer Delikte.

25

Vgl. Aussenwirtschaftsbericht 91 1+2

343

1999 haben die eidgenössischen Räte eine Finanzhilfe an Schweiz Tourismus von insgesamt 190 Millionen Franken für fünf Jahre beschlossen. Mit diesen Mitteln wird ein internationales Netz von Agenturen aufrechterhalten, das zur Verstärkung der Präsenz der Schweiz im Ausland beiträgt.

Zu den komparativen Vorteilen der schweizerischen Wirtschaft gehören zweifellos auch das qualitativ hochstehende Bildungs- und Forschungssystem sowie die Entwicklung von Spitzentechnologien. Der gute Ruf und die internationale Wettbewerbsfähigkeit sind jedoch zunehmend gefährdet, wenn nach Jahren stagnierender Investitionen in der Schweiz und stetig wachsenden Ausgaben in anderen Ländern der Bildungs- Forschungs- und Technologiestandort nicht kontinuierlich gestärkt wird.

2.3.2

Europäische Integrationspolitik

Nach der Ablehnung des EWR-Abkommens am 6. Dezember 1992 nahm der Bundesrat eine integrationspolitische Standortbestimmung vor. Eine Weiterführung des Beitrittsprozesses wie dies die EFTA-Staaten Österreich, Finnland, Schweden und Norwegen beschlossen, war für den Bundesrat nicht zu vertreten. Die Hände in den Schoss zu legen, war jedoch ebenso wenig denkbar, weil zu viele drängende Probleme im Verhältnis zur EU, unserem wichtigsten Wirtschafts- und Handelspartner, rasch gelöst werden mussten. Die Beibehaltung des Status quo hätte zu einer kontinuierlichen Verschlechterung der Standortqualität des Werk- und Denkplatzes Schweiz geführt. So entschied der Bundesrat Anfang 1993, die vertraglichen Beziehungen mit der EU vorerst auf bilateralem Wege zu vertiefen.

Ende 1993 erklärte sich die EU bereit, Verhandlungen mit der Schweiz in sieben Bereichen aufzunehmen26. Sie knüpfte ihre Verhandlungsbereitschaft an zwei Grundsätze: ­

Einerseits sollten die Verhandlungen in den verschiedenen Bereichen parallel und gleichzeitig beginnen und abgeschlossen werden. Damit wollte sie sicherstellen, dass ein Gleichgewicht der Interessen in diesem bilateralen Ansatz gewahrt bleibt und es nicht zum «Rosinenpicken» der Schweiz kommt.

­

Andererseits sollten, wo immer möglich, eurokompatible Lösungen gesucht werden, die sich am «acquis communautaire», dem Rechtsbestand der EU, orientieren.

­

Zwischen der Schweiz und der EU herrschte darüber hinaus Einigkeit, dass mit den bilateralen Verhandlungen keine indirekte Neuauflage des EWRAbkommens beabsichtigt werde.

Die Annahme der Alpeninitiative verzögerte die Aufnahme der Verhandlungen, die schliesslich im Dezember 1994 erfolgte. Nach dem Durchbruch im sensiblen Bereich der Personenfreizügigkeit 1996 gelang es in schwierigen Verhandlungen, Ende 1998 die letzten Hindernisse in den Verkehrsdossiers und im Landwirtschaftsbereich aus dem Weg zu räumen.

Mit Genugtuung konnte der Bundesrat am Abend des 21. Mai 2000 feststellen, dass seine positive Einschätzung des Verhandlungsergebnisses von einer breiten Mehr26

344

Land- und Luftverkehr, Personenfreizügigkeit, Forschung, Landwirtschaftsprodukte, technische Handelshemmnisse, öffentliches Beschaffungswesen.

heit von Volk und Ständen geteilt wurde. Über 67 Prozent der Stimmenden und 24 Kantone oder Halbkantone befürworteten die bilateralen Abkommen. Dies bedeutete in zweierlei Hinsicht einen Erfolg für die bundesrätliche Europapolitik: ­

Einerseits verbessern diese Abkommen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz erheblich und nähern uns auf verschiedenen Ebenen Europa an.

­

Andererseits gelang es, in innenpolitisch sensiblen Bereichen wie der Personenfreizügigkeit und dem Landverkehr eurokompatible, aber auf schweizerische Bedürfnisse zugeschnittene Lösungen zu finden.

Beispiel: Im Personenverkehr besteht eine 12-jährige Übergangsfrist für die Einführung der Personenfreizügigkeit. Zudem hat die Schweiz eine Reihe von so genannten flankierenden innerstaatlichen Massnahmen, beispielsweise die erleichterte Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Gesamtarbeitsverträgen oder das Entsandtengesetz, erlassen, welche die möglichen Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf das Lohnniveau dämpfen.

Die sieben Abkommen umfassen jedoch weder die Gesamtheit der vier EU-Freiheiten (Waren-, Personen-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr) noch die flankierenden Politikbereiche des EU-Wirtschaftsrechts (beispielsweise Sozialpolitik, Gesellschaftsrecht, Umweltpolitik, Wettbewerbsrecht, Energie-, Aussenwirtschafts-, Währungspolitik). Zudem lassen sie Zukunftsfragen, welche für die Schweiz von Bedeutung sind, unberührt: gleichberechtigte Mitwirkung am europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, an der europäischen Verteidigungspolitik sowie an Wirtschaftsabkommen der EU mit anderen Weltregionen in Lateinamerika, in Asien oder im Mittelmeerraum.

2.3.3

Weltwirtschaftssystem

Die moderne Aussenwirtschaftspolitik nimmt zunehmend den Charakter einer globalen Ordnungspolitik an. Im Rahmen einer hochgradig vernetzten Weltwirtschaft gilt es, auf den ausländischen Märkten durch bilaterale oder multilaterale Abkommen geeignete Rahmenbedingungen für dort tätige schweizerische Unternehmungen zu schaffen und dazu beizutragen, dass die Märkte ihre Funktionsfähigkeit langfristig behalten27. Dem sich aus diesen neuen Aufgaben ergebenden erhöhten Koordinationsbedarf hat der Bundesrat mit der Schaffung neuer Verwaltungsstrukturen Rechnung getragen.

Mit dem erfolgreichen Abschluss der Uruguay-Runde des GATT und dem Beitritt der Schweiz zur Welthandelsorganisation WTO (1995) konnte ein wichtiges wohlfahrtspolitisches Anliegen der Schweiz erfüllt werden. Erreicht wurde namentlich eine Stärkung der multilateralen Handelsregeln unter Einschluss der Dienstleistungen sowie des Streitbeilegungsverfahrens. Letzteres ist für die Schweiz von besonderer Bedeutung, weil sie infolge der starken Abhängigkeit vom internationalen 27

Vgl. Aussenwirtschaftsbericht 98 1+2

345

Handel auf die Einhaltung der vereinbarten Handelsregeln durch ihre Partner angewiesen ist. Ferner ist für unser Land wesentlich, dass die Grundsätze der WTO von allen ihren Mitgliedern, also auch von den Entwicklungsländern, mitgetragen werden und dass diese als gleichberechtigte Mitglieder im Rahmen der WTO nicht übergangen werden. Zudem anerkennt die WTO die Legitimität nichthandelsbezogener Ziele wie Umwelt, Gesundheit, Wahrung grundlegender Arbeitsnormen und Konsumentenschutz.

Diese Zielsetzungen sind Teil der Bestrebungen des Bundesrates für einen globalen Ordnungsrahmen. Ein wichtiges, im vergangenen Jahrzehnt teilweise verwirklichtes Element dieser Rahmenordnung sind Normen und Richtlinien, welche das staatliche Verhalten («Gute Regierungsführung») zum Gegenstand haben. Internationale Organisationen wie die OECD, die WTO oder der IMF haben hier, unterstützt durch die Schweiz, Arbeiten in die Wege geleitet. Besonderes Gewicht kommt der OECDKonvention über Korruptionsbekämpfung zu, welche die Vertragsstaaten verpflichtet, ihre Staatsangehörigen, die ausländische Amtsträger bestechen, strafrechtlich zu verfolgen. Aber auch das in den Neunzigerjahren angewachsene Netz schweizerischer Investitionsschutz- und Doppelbesteuerungsabkommen trägt in einer Vielzahl von Märkten zu Gleichbehandlung, Schutz vor Willkür, Eigentumsgarantie, Vermeidung der Doppelbesteuerung und Bereitstellung von Streitschlichtungsverfahren bei. So werden Wettbewerbsverzerrungen vermindert, was zu Produktionsstrukturen führt, die letztlich der Weltwirtschaft als Ganzes nützen.

Neben der multilateralen Ebene bleibt die bilaterale oder regionale Aussenwirtschaftspolitik nach wie vor wichtig. Allerdings erhalten regionale Freihandelsabkommen zunehmend den Charakter einer die multilaterale Ebene unterstützenden Strategie; sie helfen mit, Diskriminierungen der schweizerischen Wirtschaft im Verhältnis zum grössten Handelspartner, der EU, zu vermeiden.

Die Schweiz strebt dort den Abschluss von Freihandelsabkommen an, wo die EU bereits ein Netz solcher Abkommen geknüpft hat oder die Absicht hat, Freihandelsverhandlungen aufzunehmen. So ist es unserem Land zusammen mit den EFTAPartnern gelungen, mit allen EU-Beitrittskandidaten Freihandelsabkommen abzuschliessen. Die entsprechenden Abkommen deckten im Jahre 1999 3,8 Prozent der
schweizerischen Exporte und 1,7 Prozent der Importe ab.

Nicht nur die Staaten im Osten Europas, sondern auch aussereuropäische Staaten und Staatengruppen, beispielsweise die Länder des südlichen Mittelmeers, Südafrika oder der Mercosur, messen Wirtschaftsverhandlungen mit der EU eine grössere Bedeutung bei als Verhandlungen mit anderen Partnern, wie beispielsweise der Schweiz. Allerdings zeigen sich im Rahmen der EFTA-Verhandlungen über den Abschluss von Freihandelsabkommen mit Drittstaaten ermutigende Entwicklungen ab.

Beispiele: Verhandlungen über EFTA-Freihandelsabkommen erstrecken sich im Fall der bereits fortgeschrittenen Verhandlungen mit Kanada erstmals auf ein Land ausserhalb Europas. Zudem hat die EFTA Verhandlungen mit Mexiko eingeleitet und wird in Kürze solche mit Chile aufnehmen.

346

Derselben Zielsetzung folgen die seit Mitte der Neunzigerjahre verstärkten Bestrebungen zur Förderung des privaten Unternehmertums in Entwicklungsländern sowie in den Staaten Osteuropas und Zentralasiens, die zur Gründung der Schweizerischen Gesellschaft für Entwicklungsfinanzierung (SDFC) und der Swiss Organization for Facilitating Investments (SOFI) führten.

Beispiel: Aus Anlass des 700-Jahr-Jubiläums hat die Schweiz 1991 einen Rahmenkredit von 700 Millionen Franken gesprochen, von dem 400 Millionen Franken für Entschuldungsmassnahmen zu Gunsten der ärmsten Entwicklungsländer und 300 Millionen Franken für Umweltprogramme von globaler Bedeutung in Entwicklungsländern bestimmt sind.

2.3.4

Internationales Finanzsystem

Als Mitglied der Institutionen von Bretton Woods hat die Schweiz an den internationalen Bestrebungen zur Erhöhung der Stabilität des internationalen Finanzsystems mitgewirkt. Insbesondere die Asienkrise von 1997/98 zeigte, dass regionale Verwerfungen die Weltwirtschaft als Ganzes oder in Teilen bedrohen können. Ursache dieser Krise war nicht die Liberalisierung des Kapitalverkehrs, sondern der leichtfertige und durch schwer wiegende regulatorische Mängel begünstigte Umgang mit diesen Mitteln. Es besteht ein erhebliches Interesse an der Beseitigung dieser Ursachen, wozu die Bemühungen des Währungsfonds für eine bessere Transparenz gehören, welche realistischere Risikoeinschätzungen erlaubt und damit plötzlichen Vertrauenskrisen und entsprechenden Kapitalabflüssen vorbeugen hilft.

Der Bundesrat hat diese Massnahmen begrüsst, weil sie die Ursachen bekämpfen und von der Einführung protektionistischer Instrumente wie Kapitalverkehrskontrollen absehen. Indessen sind Krisen wie diejenige in Südostasien, in Russland oder Mexiko nur dann zu vermeiden, wenn die Finanzaufsicht angepasst und das staatliche Verhalten im Sinne einer Stärkung der Guten Regierungsführung verbessert wird.

Darüber hinaus ist der Währungsfonds, in enger Zusammenarbeit mit der Weltbank und mit regionalen Entwicklungsbanken bestrebt, die Entwicklungsländer besser in das weltweite Finanzsystem einzubinden. Anreize und Ansätze zur Verringerung der Volatilität der Finanzmärkte und spekulativer Kapitaltransaktionen müssen noch weiterentwickelt werden. Die Schweiz hat ihren Beitrag dazu geleistet, weil ein stabiles, weltweites Finanzsystem für geregelte weltwirtschaftliche Beziehungen und damit insbesondere auch für unser Land besonders wichtig ist.

Beispiele: Die Schweiz hat 1997/98 den von der Asienkrise erfassten Staaten im Rahmen des Währungsfonds und der G 10 Kredite zur Verfügung gestellt und einer Aufstockung des IMF-Kreditvolumens zugestimmt. Unser Land hat auch eine wesentliche Rolle bei der Verwirklichung der so genannten HIPC-Initiative gespielt (Schuldenabbau für die höchstverschuldeten Entwicklungsländer).

347

2.4

Abbau sozialer Gegensätze

Ziel: «Der Abbau sozialer Gegensätze wurzelt in der Einsicht, dass wirtschaftliche, ökologische, politische und gesellschaftliche Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten immer auch Ursachen von Spannungen sind, welche den Frieden und die Sicherheit zwischen Staaten bedrohen.» (Aussenpolitischer Bericht 93) Die Ziele der schweizerischen Zusammenarbeit mit den Benachteiligten dieser Welt sind bereits vor einem Vierteljahrhundert festgelegt worden. Unsere Hilfe «... unterstützt die Entwicklungsländer im Bestreben, die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung zu verbessern. Sie soll dazu beitragen, dass diese Länder ihre Entwicklung aus eigener Kraft vorantreiben. Langfristig erstrebt sie besser ausgewogene Verhältnisse in der Völkergemeinschaft. Dabei unterstützt sie in erster Linie die ärmeren Entwicklungsländer, Regionen und Bevölkerungsgruppen.» 28 Zum finanziellen Umfang der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit hielt der Bundesrat in der «Botschaft über den Beitritt der Schweiz zu den Institutionen von Bretton Woods» vom 15. Mai 1991 fest: «Der Beitritt der Schweiz zur Weltbankgruppe erfolgt im Rahmen der Politik des Bundesrats, die Beteiligung der Schweiz an der internationalen Entwicklungszusammenarbeit auszubauen und die Mittel der öffentlichen Entwicklungshilfe entsprechend anzupassen. Der Bundesrat beabsichtigt deshalb, bis in die zweite Hälfte der Neunzigerjahre die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit auf mindestens 0,4% des Bruttosozialprodukts zu erhöhen.» In der Folge konnte das Ziel auf Grund der ungünstigen Finanzlage der Neunzigerjahre nicht wie geplant erreicht werden. Dank den erfolgreichen Sparbemühungen im Rahmen des «Haushaltziels 2001» können nunmehr die nötigen Schritte im Bereich Entwicklungszusammenarbeit eingeleitet werden.

1999 belegte die Schweiz mit einer öffentliche Entwicklungshilfe in der Höhe von 0,35 Prozent des BSP Rang 7 der OECD-Staaten nach Dänemark (1% BSP), Norwegen (0,91% BSP), Niederlande (0,79% BSP), Schweden (0,7% BSP), Luxemburg (0,64 % BSP) und Frankreich (0,38% BSP).

Die Ziele, Inhalte und Mittel der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit werden in den regelmässigen Botschaften zu den entsprechenden Rahmenkrediten beschrieben. An dieser Stelle sei nur auf das Wesentlichste hingewiesen.

Auf Grund begrenzter Mittel ist das Setzen von geografischen und thematischen Schwerpunkten auch für die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit unerlässlich.

28

348

Entwicklungshilfegesetz von 1976, SR 974.0

Beispiele: 1999 führten folgende Schwerpunktländer die Rangliste der Empfänger schweizerischer Entwicklungshilfe an: 1. Jugoslawien (inklusive Kosovo): 41 Millionen US-Dollar, 2. Bangladesch: 20 Millionen US-Dollar, 3. Mosambik: 20 Millionen US-Dollar, 4. Indien: 20 Millionen US-Dollar, 5. Tansania: 18 Millionen US-Dollar.

Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit ist von der früher im Mittelpunkt stehenden Ausrüstungs- und Infrastrukturfinanzierung weggerückt und stellt die Schaffung institutioneller Voraussetzungen sowie Lern- und Veränderungsprozesse von Gesellschaften und Menschen in den Vordergrund. Gleichzeitig hat sie auch die Armutsorientierung zu einer zentralen Aufgabe gemacht.

Die multilateralen entwicklungspolitischen Aktivitäten der Schweiz im letzten Jahrzehnt waren darauf ausgerichtet, die Bestrebungen der UNO und ihrer Spezialorganisationen, der Institutionen von Bretton Woods sowie der zahlreichen Entwicklungsbanken besser auf den Abbau sozialer Gegensätze zu konzentrieren. Als Nichtmitglied der UNO stehen unserem Land beschränkte Mitwirkungsmöglichkeiten in der UNO-Generalversammlung und dem Wirtschafts- und Sozialrat, der unter anderem für Entwicklungsfragen zuständig ist, zur Verfügung. Da immer mehr entwicklungspolitisch wichtige Fragen in diesen Organen behandelt werden, ist diese Beschränkung nicht länger zu rechtfertigen.

In den letzten Jahren hat die Schweiz rund 30 Prozent der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit über multilaterale Organisationen eingesetzt. Davon wurden 1999 fast 200 Millionen Franken den Organen und Programmen der UNO zur Verfügung gestellt. Damit reiht sich unser Land unter die zwölf wichtigsten Geldgeber der gesamten UNO-Entwicklungsaktivitäten ein.

Aus schweizerischer Sicht bilden bilaterale und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit zwei sich ergänzende Bereiche derselben Politik. Über die multilaterale Zusammenarbeit sucht unser Land zur Lösung internationaler Entwicklungsprobleme beizutragen, die infolge ihrer Komplexität, ihrer politischen Sensibilität oder auf Grund des erforderlichen Finanzvolumens die Möglichkeiten der bilateralen Zusammenarbeit übersteigen.

Mit der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit ergibt sich auf Grund der geografischen und thematischen Schwerpunktbildung und der langfristigen Ausrichtung die Möglichkeit, mit einigen Ländern ein besonderes Zusammenarbeitsverhältnis aufzubauen.

349

Beispiele: 1999 teilte sich die öffentliche Entwicklungshilfe unseres Landes in der Grössenordnung von 997 Millionen US-Dollar (0,35 Prozent des schweizerischen BSP) im Verhältnis 25,7 Prozent (257 Millionen US-Dollar) multilaterale Hilfe und 74,3 Prozent (740 Millionen US-Dollar) bilaterale Hilfe auf.

Die beiden grössten multilateralen Organisationen, mit denen unser Land zusammenarbeitete, waren 1999 die UNO (88 Millionen US-Dollar) und die Institutionen von Bretton Woods (95 Millionen US-Dollar).

Die finanziellen Mittel der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit verteilten sich wie folgt: ­ 34 Prozent (162 Millionen US-Dollar) auf Afrika, ­ 31 Prozent (116 Millionen US-Dollar) auf Asien, ­ 14 Prozent (66 Millionen US-Dollar) auf Zentral- und Lateinamerika, ­ 3 Prozent (14 Millionen US-Dollar) auf den Nahen Os ten, ­ 26 Prozent (126 Millionen US-Dollar) auf Südosteuropa.

Die in solchen Schwerpunktländern erworbenen Erfahrungen und neuen Ansätze bilden wichtige Grundlagen für die schweizerische Politik im multilateralen Bereich.

Beispiele: Die Schweiz konnte der internationalen Diskussion über die Entschuldung von Entwicklungsländern wesentliche Impulse geben. Vom Rahmenkredit von 700 Millionen Franken, der anlässlich der 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft 1991 eröffnet wurde, waren 400 Millionen Franken für Entschuldungsmassnahmen bestimmt. Als Bedingung zur Schuldentilgung müssen die entsprechenden Partner Gegenwertsfonds in lokaler Währung eröffnen, welche ­ gemeinsam verwaltet ­ für weitere Entwicklungsaktivitäten benützt werden.

2.5

Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen

Ziel: «Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Raubbaus an der Natur schaffen Spannungen, deren Entladung über staatliche Grenzen hinaus wirken kann. Der Schutz natürlicher Lebensgrundlagen dient daher wesentlich der Konfliktverhütung, der Stabilität und der Sicherheit.» (Aussenpolitischer Bericht 93)

350

Im letzten Jahrzehnt hat die Schweiz bei der Aushandlung und Weiterentwicklung von internationalen Rechtsinstrumenten im Umweltbereich eine Vorreiterrolle einnehmen können. Dazu gehören beispielsweise die Klimakonvention, die Konvention zum Schutz der Biodiversität, das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung sowie Abkommen im Chemikalienbereich. Unser Land konnte die internationale Umweltpolitik in allen wichtigen internationalen Institutionen und Konferenzen für Umwelt und nachhaltige Entwicklung mitgestalten, beispielsweise im UNOUmweltprogramm (UNEP) oder im Programm «Umwelt für Europa». Das Ziel des schweizerischen Vorgehens besteht darin, das internationale Umweltsystem insgesamt zu stärken und insbesondere dem UNEP vermehrt die Rolle einer zentralen Instanz im System zuzuweisen.

Einiges ist bereits erreicht worden: Die Umsetzung des Protokolls zum Schutz der Ozonschicht dürfte dazu führen, dass in 50 Jahren der Gehalt an ozonschädigenden Substanzen auf den Stand von vor 1980 sinken wird; bei der Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs mit gefährlichen Abfällen (Basler Konvention) konnte das internationale Regelwerk durch die Verankerung des Haftpflichtgedankens genauso verstärkt werden wie im Bereich der Kontrolle des Verkehrs mit genveränderten Organismen (Konvention über biologische Vielfalt). Vorteilhafte Entwicklungen bestehen im Klimabereich (Kyoto-Protokoll) und bei der Kontrolle toxischer Chemikalien sowie bei der Klärung des künftigen Verhältnisses zwischen multilateralen Umweltabkommen und der Welthandelsorganisation.

Beispiele: Als Verhandlungserfolg der Schweiz darf der Abschluss des Zusatzprotokolls über die biologische Sicherheit im Rahmen der Biodiversitätskonvention erwähnt werden. Unser Land führte dabei eine Gruppe gleichgesinnter Staaten an («Compromise Group»), die entscheidend am Zustandekommen des wegweisenden Abkommens im Grenzbereich zwischen Umwelt- und Wirtschaftspolitik beteiligt war. Der unter schweizerischer Präsidentschaft erzielte Abschluss eines Haftpflichtprotokolls im Rahmen der Basler Konvention über grenzüberschreitende Abfälle kann als weiterer Erfolg verbucht werden. Erstmals gelang es, den wichtigen Haftpflichtgedanken in einem multilateralen Umweltabkommen zu verankern.
Ausserhalb des engeren Umweltbereichs bemüht sich die Schweiz multilateral um eine stärkere Betonung der Umweltproblematik in verschiedenen internationalen Organisationen und Foren, insbesondere im Globalen Umweltfonds, in der Weltgesundheitsorganisation, in den Institutionen von Bretton Woods sowie in der Welthandelsorganisation. Ziel ist es, einerseits die einzelnen schweizerischen Politikbereiche besser aufeinander abzustimmen, andererseits die zahlreichen multilateralen Abkommen so zu nutzen, dass ein starkes internationales Umweltsystem geschaffen werden kann. Dies erfolgt beispielsweise durch Vorstösse in sich überlappenden Bereichen der internationalen Klimapolitik (Montreal-Protokoll für Ozon und Klimakonvention).

351

Daneben ist unser Land im Umweltbereich nach wie vor bilateral mittels zahlreicher Projekte im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Entwicklungszusammenarbeit tätig.

3

Besondere Instrumente der schweizerischen Aussenpolitik

3.1

Neutralität

Der Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung hat auf alle Staaten der Welt fundamentale Auswirkungen gehabt. Insbesondere die neutralen Staaten Europas stehen vor der Frage, wie sie in Zukunft die Neutralitätspolitik als aussenpolitisches Mittel noch einsetzen können. Schweden und Finnland haben im letzten Jahrzehnt eine den neuen Verhältnissen entsprechende Neutralitätspolitik umgesetzt; sie betrachten sich als «nicht paktgebundene Staaten», die jedoch vollwertige Mitglieder der EUAussen- und Sicherheitspolitik sein wollen. In Österreich misst ein beträchtlicher Teil der politischen Entscheidungsträger einem NATO-Beitritt mehr Bedeutung bei als der Aufrechterhaltung der Neutralität.

Die zunehmende Kluft zwischen sicherheitspolitischer Wirklichkeit und Neutralitätsstatus ist für unser Land von grosser Bedeutung. Selbst in den Zeiten des Kalten Krieges wurde die Neutralität der Schweiz nicht als Selbstzweck oder gar als Ziel der Aussen- und Sicherheitspolitik verstanden. Vielmehr ist die Neutralität seit jeher ein Mittel unter anderen zur Gewährleistung der äusseren Sicherheit unseres Landes.

Bis 1989 war ihr Zweck klar vorgegeben: Es galt angesichts der bestehenden Gefahr eines bewaffneten Grosskonflikts in Europa alle politischen oder militärischen Aktionen zu vermeiden, die in den Augen des Auslandes als Parteinahme für die eine oder andere Seite hätten aufgefasst werden können. Dieser Zweck hat angesichts der räumlichen Ausdehnung der EU stark an Bedeutung eingebüsst.

Die weitreichenden Änderungen im aussen- und sicherheitspolitischen Umfeld der Schweiz führten deshalb in den Neunzigerjahren den Bundesrat zu einer bedeutsamen Neuausrichtung der schweizerischen Neutralität.

­

Zum einen erfolgte eine Rückbesinnung auf den rechtlichen Kern der Neutralität, der besagt: Der neutrale Staat darf im Kriegsfall keine Konfliktpartei militärisch unterstützen sowie in Friedenszeiten keine Massnahmen treffen (beispielsweise Anschluss an ein Bündnis, Beistandsverpflichtungen), welche ihm in Zeiten eines bewaffneten Konfliktes die Einhaltung seiner neutralitätsrechtlichen Pflichten verunmöglichen.

­

Zum anderen schloss sich die Schweiz der Auffassung an, wonach das Neutralitätsrecht im Fall von Zwangsmassnahmen im Rahmen der kollektiven Sicherheit der Vereinten Nationen nicht zur Anwendung kommt. Dieser Schritt erfolgte auf Grund der von der Völkerrechtslehre gestützten Überlegung, dass es zwischen der geschlossen auftretenden internationalen Gemeinschaft und einem Staat, der gegen die internationale Friedensordnung und das ihr zu Grunde liegende Gewaltverbot verstösst, Neutralität nicht geben kann.

352

Das Neutralitätsrecht findet seine Anwendung ausschliesslich bei bewaffneten Konflikten zwischen Staaten; solche sind in den Hintergrund getreten. Das Neutralitätsrecht war im vergangenen Jahrzehnt faktisch nur auf Kriege in Entwicklungsländern anwendbar, beispielsweise jenen zwischen Äthiopien und Eritrea. Über 90 Konflikte des vergangenen Jahrzehntes berühren das Neutralitätsrecht nicht, da es sich um Auseinandersetzungen innerstaatlicher Natur handelte.

Ebenso wenig schränkt die Neutralität den politischen Handlungsspielraum der Schweiz ein, wenn sie im Rahmen von UNO-Missionen und auf Grund eines Mandates des UNO-Sicherheitsrates tätig wird. Die UNO geht in einem solchen Fall im Auftrag der Völkergemeinschaft gegen jene vor, die gemäss UNO-Charta «den Weltfrieden gefährden». Damit kann keine Situation entstehen, in der unser Land wegen des Neutralitätsstatus keine Partei ergreifen dürfte; wer sich nicht hinter die Ordnungsmacht stellt, steht auf Seiten des Friedensbrechers.

Beispiele: Die Schweiz hat konsequent auf autonomer Basis nichtmilitärische Sanktionen der UNO mitgetragen. Erinnert sei an die Beschlüsse des Bundesrates über die schweizerische Beteiligung an UNO-Sanktionen bei den verschiedenen Konflikten in Ex-Jugoslawien oder im Irak.

In der Kosovo-Krise nahm unser Land an Wirtschaftssanktionen teil, welche nicht von der UNO beschlossen wurden, nämlich diejenigen der EU gegen die Bundesrepublik Jugoslawien.

Wie bereits im Neutralitätsbericht von 1993 angekündigt und im Sicherheitspolitischen Bericht 2000 bestätigt worden war, stellte die Schweiz damit ihre grundsätzliche Bereitschaft unter Beweis, auch an Wirtschaftssanktionen ausserhalb des UNORahmens teilzunehmen, sofern diese Massnahmen gegen einen Rechts- oder Friedensbrecher gerichtet sind und der Achtung oder Wiederherstellung von Frieden, Sicherheit und Menschenrechten dienen.

3.2

Internationales Genf

Genf nimmt in den internationalen Beziehungen eine besondere Stellung ein: 19 internationale Organisationen, mehr als 180 ständige Vertretungen der Staatengemeinschaft, fast 200 Nichtregierungsorganisationen sowie eine ständige internationale Gemeinschaft von 33 000 Personen, zu denen sich jährlich ungefähr 100 000 Delegierte gesellen, welche für einige Zeit in Genf weilen, machen aus dieser Stadt ­ zusammen mit New York, dem Hauptsitz der UNO ­ das wichtigste internationale Begegnungszentrum der Welt.

353

Beispiele: Im Jahre 1999 wurden im Rahmen der internationalen Organisationen29 13 300 Sitzungstage in Genf abgehalten, mehr noch als in New York. Das Gesamtbudget der internationalen Organisationen betrug im selben Jahr rund 8 Milliarden Franken, wovon rund 3 Milliarden Franken in Genf selbst ausgegeben wurden (für Gehälter, Investitionen usw.). Jeder zehnte Genfer Arbeitsplatz hängt damit von den Aktivitäten der internationalen Organisationen ab.

Das internationale Genf ist ein einzigartiges Instrument, um das Ansehen unseres Landes zu stärken. In enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Kantonen und der Stadt Genf ist der Bundesrat deshalb bei der Unterstützung des Standorts Genf aktiv und schenkt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Genfs seit längerer Zeit ein besonderes Augenmerk.

Beispiele: Die Schweiz bietet Genf als Sitz der künftigen Organisation für den Vollzug des Biologiewaffenübereinkommens an. Diese Organisation würde die bereits in Genf ansässigen Institutionen der Abrüstungsdiplomatie sinnvoll ergänzen.

Der Bundesrat setzt sich auch dafür ein, dass die Stellung Genfs als Zentrum der internationalen Umweltpolitik gewahrt wird. Zurzeit ist die Kandidatur Genfs für die Ansiedlung von zwei Umweltsekretariaten im Chemiebereich hängig. Darüber hinaus hat die Schweiz zahlreiche konkrete Aktionen unternommen, diese Wettbewerbsfähigkeit auszubauen. So wurde den Organisationen im Umweltbereich ein «Internationales Haus der Umwelt» zur Verfügung gestellt.

Der materielle und finanzielle Einsatz der Schweiz ist bedeutend und braucht international keinen Vergleich zu scheuen. Zwar ist der internationale Standortwettbewerb deutlich härter geworden und hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass einige Organisationen, die der Bundesrat gerne in Genf gesehen hätte, andere Städte 29

Unter den wichtigsten internationalen Organisationen in Genf befinden sich:

CERN EFTA HCHR HCR ILO IOM ITC ITU UNCTAD UNECE UNEP UNOG WHO WIPO WMO WTO

354

European Organisation for Nuclear Research European Free Trade Association UN High Commissioner for Human Rights UN High Commissioner for Refugees International Labour Organisation International Organisation for Migrations International Trade Centre International Telecommunication Union United Nations Conference on Trade and Development United Nations Economic Commission for Europe UN Environment Programme United Nations Office at Geneva World Health Organisation World Intellectual Property Organisation World Meteorological Organisation World Trade Organisation

vorgezogen haben; trotzdem verfügt Genf nach wie vor über gute Karten, wenn es darum geht, neu gegründete internationale Organisationen aufzunehmen.

4

Interessenwahrungsaufgaben und Dienstleistungen

Hauptaufgabe der schweizerischen Vertretungen ist die Interessenwahrung vor Ort.

Es geht dabei in erster Linie um Aufbau und Pflege eines umfassenden Kontaktnetzes, Verbesserung des Bildes unseres Landes im Gastland sowie um die Durchsetzung schweizerischer Anliegen bei ausländischen Entscheidungsträgern. Dazu kommt die allgemeine Informationsbeschaffung über innenpolitische Veränderungen und aussenpolitische Strategien und Aktivitäten sowie über wirtschaftliche, technologische, soziale, umweltpolitische und kulturelle Entwicklungen des Gastlandes. Die vielfältigen Projekte und Programme der bilateralen Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit und der humanitären Hilfe werden organisatorisch über die schweizerischen Koordinationsbüros abgewickelt.

Die schweizerische Aussenpolitik verfolgt nicht nur das Ziel, die Interessen unseres Landes gegen aussen bestmöglich zu wahren. Die Schweiz hat auch den Auftrag, Schweizer Bürgerinnen und Bürger, die im Ausland wohnen, administrativ zu betreuen, deren Bindungen zur Schweiz zu stärken und jenen beizustehen, die in Not geraten. Zurzeit sind rund 580 000 Personen, nahezu 10 Prozent aller Schweizer Bürger, bei unseren Vertretungen gemeldet. Diese Zahl entspricht einer virtuellen Stadt, die Zürich an Grösse bei weitem übertrifft.

Unsere Botschaften, Generalkonsulate, Konsulate und Honorarvertretungen erfüllen in diesem Zusammenhang ähnliche Aufgaben wie eine Gemeindeverwaltung in der Schweiz.

Beispiele: Die schweizerischen Vertretungen sind für Zivilstands- und Bürgerrechtsfragen, Fürsorge für Auslandschweizer (mehr als 500 Fälle pro Jahr) und Ausstellung von Reisedokumenten zuständig. Sie übernehmen wesentliche Aufgaben in der freiwilligen AHV und haben eine Aufsichtsfunktion über die 17 Schweizer Schulen im Ausland. Sie sind zuständig für die Erteilung von Visa sowie für Abklärungen im Asylwesen. Schliesslich gewähren sie, wo dies notwendig und möglich ist, diplomatischen und konsularischen Schutz.

Das Departement für auswärtige Angelegenheiten ist mit einer zunehmenden Zahl von konsularischen Schutzfällen konfrontiert; es sei an die vielen Todesfälle, Unfälle, Verhaftungen, Entführungen und Gerichtsfälle erinnert. Im Jahre 1999 wurden insgesamt 800 konsularische Fälle betreut.

Konsularische Dienstleistungen sind oft Routineangelegenheiten, doch binden sie
einen erheblichen Teil des im Ausland eingesetzten Personals. Nicht zuletzt auf Grund von Personalengpässen wurde in den letzten Jahren eine umfangreiche Reorganisation der Arbeitsabläufe vorgenommen; der Einsatz moderner Informatik- und Telekommunikationsmittel nimmt dabei einen wichtigen Platz ein.

355

Interessenwahrung und Dienstleistungen der schweizerischen Aussenvertretungen haben zum Ziel, die Beziehungen zu den ausländischen Entscheidungsträgern so zu pflegen, dass die politische, wirtschaftliche und kulturelle Präsenz der Schweiz weltweit möglich bleibt und dass unser Land auf Verständnis für seine Anliegen stösst. Dazu gehören namentlich Wahrung und Förderung der Interessen der schweizerischen Wirtschaft. Besonders wichtig bleibt die Aufgabe, Schweizerinnen und Schweizern im Ausland effizient zur Seite zu stehen. Das umfasst auch Bemühungen, den zahlreichen im Ausland tätigen Forschern die Rückkehr in die Schweiz zu erleichtern und den so genannten «Brain Drain» zu verringern. Der Bundesrat ist davon überzeugt, dass die Gesamtheit der entsprechenden Bemühungen dazu beiträgt, dem aussenpolitischen Interesse und den Ansprüchen und Wünschen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger gerecht zu werden.

356

Abkürzungsverzeichnis Art.

Artikel

Abs.

Absatz

AHV

Alters- und Hinterbliebenen Versicherung

APEC

Asian Pacific Economic Co-operation Wirtschaftskooperation der Anrainerstaaten des pazifischen Beckens

ASEAN

Association of South East Asian Nations Verband südostasiatischer Nationen

ASEM

Asia Europe Meeting Asiatisch-europäischer Dialog

BIP

Bruttoinlandprodukt

BSP

Bruttosozialprodukt

Bst.

Buchstabe

BV

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft

EAPC

Euro-Atlantic Partnership Council Euro-Atlantischer Partnerschaftsrat

EDA

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten

EFTA

European Free Trade Association Europäische Freihandelsassoziation

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EU

Europäische Union

Euro

Europäische Währungseinheit

Eurodac

Europäisches Fingerabdrucksystem

Europol

Europäisches Polizeiamt

EWR

Europäischer Wirtschaftsraum

G8

Gruppe der 8 wichtigsten Industriestaaten (USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien, Vereinigtes Königreich, Kanada und Russland)

G 10

Gruppe der 11 wichtigsten Geberländer des Internationalen Währungsfonds, darunter die Schweiz

G 20

Gruppe der G 8 und einiger wichtiger Schwellenländer (ohne Beteiligung der Schweiz)

GATT

General Agreement on Tariffs and Trade Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen

GUS

Gemeinschaft Unabhängiger Staaten

HIPC

Heavily Indebted Poor Countries Initiative des Währungsfonds und der Weltbank zur Entschuldung hoch verschuldeter armer Länder

IKRK

Internationales Komitee vom Roten Kreuz

357

ILO

International Labour Organization Internationale Arbeitsorganisation

IMF

International Monetary Fund Internationaler Währungsfonds

KFOR

Kosovo Force

KMU

Kleine und mittlere Unternehmungen

KoKo

Koordinationskommission für die Präsenz der Schweiz im Ausland

LSVA

Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe

Mercosur

Mercado Común del Sur Gemeinsamer Markt Lateinamerikas

NAFTA

North American Free Trade Agreement Nordamerikanisches Freihandelsabkommen

NATO

North Atlantic Treaty Organization Nordatlantikpakt

OAU

Organization of African Unity Organisation der Afrikanischen Einheit

OECD

Organization for Economic Co-operation and Development Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

OSZE

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

PfP

Partnership for Peace Partnerschaft für den Frieden

SADC

Southern Africa Development Community Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika

SDFC

Swiss Development Finance Corporation

SOFI

Swiss Organization for Facilitating Investments

UNHCR

UN High Commissioner for Refugees UNO Hochkommissariat für Flüchtlinge

UNEP

UN Environment Programme UNO Umweltprogramm

UNO

Organisation der Vereinten Nationen

WTO

World Trade Organization Welthandelsorganisation

358