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4479 Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die verfassungsmässigen Grundlagen der künftigen landwirtschaftlichen Gesetzgebung und über die Revision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung.

(Vom 9. März 1944.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen einen Bericht über die verfassungsmässigen Grundlagen der künftigen landwirtschaftlichen Gesetzgebung und über dieEevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung vorzulegen.

L

1. Am 27. November 1942 unterbreitete der grosse Vorstand des schweizerischen Bauernverbandes dem Bundesrat «Bichtlinien für die Erhaltung und Förderung des Bauernstandes in der Nachkriegszeit», in welchen er hauptsächlich das Preisproblem für die landwirtschaftlichen Produkte berührte und die Massnahmen angab, die nach der im Bauernverband herrschenden Auffassung künftig ergriffen werden sollten.

Im Anschluss an diese Richtlinien hat der Bundesrat in seiner Sitzung vom 26. Februar 1943 beschlossen, das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement im Einvernehmen mit dem eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement zu beauftragen, die erforderlichen gesetzgeberischen Massnahmen für die Landwirtschaft in der Nachkriegszeit vorzubereiten.

2. Am 26. März 1943 hat die Abteilung für Landwirtschaft des Volkswirtschaftsdepartements dem Justizdepartement einen ersten Bericht eingereicht.

Dieser gibt einleitend eine Übersicht über die frühern und die heute geltenden Vorschriften des Bundesrechts auf dem Gebiete der Landwirtschaft und führt dann aus, dass diese Gesetzgebung als künftige Grundlage für eine zeitgemässe Agrarpolitik nicht mehr genügen kann. Die Verwirklichung der von der Landwirtschaft zu stellenden berechtigten Postulate setzt eine wesentliche Verbreiterung der bestehenden rechtlichen Grundlagen und ihre Anpassung an.

die zeitgemässen Erfordernisse voraus. Wenn sich die Landwirtschaft irrt

159 Interesse der Landesversorgung zum Ziel setzt, auch, nach dem Kriege nach Möglichkeit 300 000 ha offenes Ackerland zu erhalten, dann muss damit eine grundlegende Wandlung der Struktur der schweizerischen Landwirtschaft und eine Anpassung der gesetzlichen Grundlagen verbunden sein. Die Erfüllung des Programmes erheischt, dass der Bundesrat die nötigen Produktions- und Anbauverpflichtungen und überdies die erforderlichen Bestimmungen über die Verwendung der Produktion innerhalb der Landwirtschaftsbetriebe und ihrer Nebengewerbe sowie auf dem übrigen in- und ausländischen Markt erlassen kann. Damit muss ferner eine staatlich geleitete, planvolle Lenkung von Produktion und Absatz nach der Qualitäts- und Quantitätsseite Hand in Hand gehen. Der Gedanke der geleiteten Produktion stammt schon aus der Vorkriegszeit, und seine Richtigkeit hat durch das kriegswirtschaftliche Anbauwerk seine überzeugende Bestätigung erhalten. Auch die Nachkriegszeit wird ohne diese Lenkungsmassnahmen nicht auskommen.

Der Bericht setzt dann die betriebswirtschaftlichen und agronomischen Konsequenzen dieser Zielsetzung auseinander, die hier nicht näher zur Sprache gebracht werden, weil sie im wesentlichen fachlicher Natur sind.

8. Für den Schutz der Landwirtschaft in der Nachkriegszeit stellt die Abteilung für Landwirtschaft folgende Forderungen auf: Die Preise für viehwirtschaftliche Erzeugnisse und für Ackerfrüchte müssen so angesetzt werden können, dass sie bei sachgemässer Betriebsführung auch unter Würdigung der technischen Errungenschaften die Produktionskosten zu decken vermögen. Ein gewisser Schutz vor der fremden Konkurrenz ist deshalb unerlässlich. Die Einfuhr der Konkurrenzprodukte muss von Staats wegen geleitet und überwacht werden. Ein ungerechtfertigter und für die Inlandproduktion ruinöser Preisabbau soll verhindert werden, nicht in der Absicht einer unnatürlichen Hochhaltung der Preise, sondern im Sinne einer angemessenen sowohl den Produktionskosten der inländischen Erzeugung wie andererseits der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der nicht bäuerlichen Bevölkerungsschichten entsprechenden Stabilisierung.

Dieser anzustrebende Schutz setzt planvolle Vorkehren zur Lenkung von Produktion und Absatz sowie die Ausrichtung der landwirtschaftlichen Erzeugung nach der Mengen- und Qualitätsseite hin voraus.

Zur rationellen
Verteilung und zur Regelung des Absatzes werden die bestehenden landwirtschaftlichen Fachorganisationen in Anspruch zu nehmen sein.

Das während des Krieges begonnene Meliorationswerk muss planmässig fortgesetzt werden, insbesondere auch in den Berggebieten. Für die Beanspruchung landwirtschaftlichen Kulturbodens für andere Zwecke muss, wie im Forstgesetz, das Prinzip des Realersatzes nach Möglichkeit aufgestellt werden.

Auch die Güterzusammenlegungen sind besonders zu fördern.

Die einzig aussichtsreiche Art, das Minimum an bodenständigen bäuerlichen Elementen zu erhalten, liegt, abgesehen von der Erreichung einer intensiven Kultur, in der Neulandgewinnung, der Urbarisierung und einer grosszügigen landwirtschaftlichen Siedelungspolitik.

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Die Lösung des Bergbauernproblems muss nicht nach dem hergebrachten Subventionssystem, sondern durch planmässige Hebung und Förderung der Produktion, durch rationelle Verbesserung der Betriebsmittel und durch besser organisierten Absatz angestrebt werden; auch müssen den Verhältnissen angepasste Spezialkulturen angelegt, die Kleintierzucht entwickelt und für den Absatz der Produktion inklusive der Veredlungsprodukte durch Heimarbeit gesorgt werden.

4. Die Ziele der künftigen Gesetzgebung lassen sich nach dem Bericht der Landwirtschaftsabteilung wie folgt kurz umschreiben: a. Hauptziel der Gesetzesrevision muss die Erhaltung des Bauernstandes in bisherigem Umfang sein.

b. Die landwirtschaftliche Produktion muss derart geleitet werden, dass sie nach qualitativen Höchstleistungen strebt und mengenmässig der Aufnahmefähigkeit des in- und ausländischen Marktes angepasst wird.

c. Durch rationellen Betrieb mit den dazu gehörigen technischen Massnahmen soll die landwirtschaftliche Erzeugung nach den geringsten Gestehungskosten orientiert werden.

d. Endlich sind die unerlässlichen Wohlfahrtsvorkehren zur Sesshaftmachung der landwirtschaftlichen Dienstboten und zur Verhütung der Landflucht zu ergreifen.

5. Was nun die Methoden zur Erreichung dieser Ziele betrifft, schlägt die Abteilung für Landwirtschaft in Zusammenfassung der Ausführungen ihres Berichtes vor, die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 22. Dezember 1893 betreffend die Förderung der Landwirtschaft durch den Bund mit den Abänderungen vom 5. Oktober 1929, soweit sie sich bewährt haben, zu übernehmen.

Ferner sind die Vorschriften des Bundesratsbeschlusses vom 19. Januar 1940 und 7. November 1941 über Massnahmen gegen die Bodenspekulation und die Überschuldung sowie zum Schutze der Pächter unter Weglassung der rein kriegsbedingten Vorkehren in die ordentliche Gesetzgebung überzuführen.

Auf dem Gebiete der Tierzucht muss die Gesetzgebung eine nach Berg- und Talgebieten differenzierte Bundeshilfe in Betracht ziehen. Eine Marktregelung ist notwendig, die direkte und indirekte Massnahmen zur Produktionslenkung enthält. Im Meliorationswesen stellt sich die Vereinheitlichung der Durchführung der Bodenverbesserungen und die Angleichung der kantonalen Gesetzesbestimmungen als dringliches Postulat. Ferner sollte in der neuen Gesetzgebung die durch
das Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen vom 29. Januar 1943 über die Bundeshilfe für das landwirtschaftliche Siedelungswesen aus dem ordentlichen Kredit für Bodenverbesserungen festgelegte Mithilfe für landwirtschaftliche Siedelungsbauten sowie berufsbäuerliche Siedelungen, landwirtschaftliche Feldscheunen und Geräteschuppen und insbesondere Wohnungen für das landwirtschaftliche Dienstpersonal anerkannt werden. Bei den Massnahmen gegen die Schäden, welche die landwirtschaftliche Produktion bedrohen, ist eine Ergänzung im Hinblick auf die Über-

161 wachung der landwirtschaftlichen Hilfsstoffe unerlässlich, wie der Bundesratsbeschluss betreffend Herstellung und Vertrieb von landwirtschaftlichen Hilfsstoffen vom 10. Januar 1941 sie gebracht hat.

Ganz besonders wird sich die Gesetzgebung dann mit der Produktionsund Absatzlenkung und der Marktsicherung zu befassen haben. Die grundsätzlichen Bestimmungen des Bundesbeschlusses vom 6. April 1939 über Massnahmen zur weitern Förderung des Ackerbaues müssen gesetzlich verankert werden. Eine Eevision und Ergänzung des Getreidegesetzes ist unerlässlich.

Auch das Futtergetreide rrmss in die Absatz- und Preisgarantien eingeschlossen werden. Der Zuckerrübenbau muss ausgedehnt und der Absatz gesichert werden. Die Selbstversorgungspflicht des Bauernbetriebs und ihre organische Verbindung mit den Massnahmen zur Sicherstellung der Verwertung von Vieh, Milch und Milchprodukten sind gesetzlich festzulegen. Von diesen Massnahmen hängt die gesamte Produktionslenkung in der Landwirtschaft ab.

Die Einfuhr fremder Kraftfuttermittel ist der staatlichen Kontrolle zu unterstellen. Der schweizerische Viehbestand muss in Zukunft der landeseigenen Futterbasis angeglichen werden. Die grundsätzlichen Vorschriften des Bundesratsbeschhisses vom. 13. Oktober 1942 über die Beschränkung der Einfuhr müssen aufgenommen werden, um eine angemessene Marktregelung für den Absatz yon Nutz- und. Schlachtvieh zu erreichen. Ebenso sind die behördlichen Erlasse über die Eegelung der Milchproduktion vom 13. April 1933 und vom 23. und 30. April 1937 in die Gesetzgebung zu übernehmen.

Die Marktregelung für den Weinabsatz ist durch das sogenannte Weinstatut geregelt; daran ist festzuhalten.

Im Hinblick auf die Sicherung des Absatzes der Inlandproduktion einerseits und auf die Stabilisierung der Preise andererseits sollte der Bund in der neuen landwirtschaftlichen Gesetzgebung ermächtigt werden, die Einfuhr von Konkurrenzerzeugnissen wie Speiseöle, Speisefette, Vieh, Wein, Kartoffeln, Obst, Gemüse, Gespinstpflanzen und andere Inlandprodukte in den Dienst der Inland Verwertung zu stellen. Dies kann durch Importauflagen oder Belastungen der Preise geschehen. Überdies muss der Bund ermächtigt werden, die Durchführung der Verwertungsmassnahmen den geeigneten landwirtschaftlichen und gemischtwirtschaftlichen Organisationen zu übertragen,
deren Geschäftsgebarung seiner Kontrolle unterstellt werden muss. Schliesslich ist der Bund zu ermächtigen, die zweckdienlichen Bestimmungen zur Förderung der bergbäuerlichen Produktion und zur Sicherung ihres Absatzes im Eahmen des neuen Landwirtschaftsgesetzes zu erlassen.

Diese Grundsätze bilden nach Auffassung der Abteilung für Landwirtschaft die nötigen Unterlagen für die Neugestaltung der schweizerischen Landwirtschaftsgesetzgebung.

6. Die Ausarbeitung konkreter Vorschläge für die einzelnen Gesetzesabschnitte wird im Bericht der Landwirtschaftsabteilung in Aussicht gestellt.

Bundesblatt.

96. Jahrg.

Bd. I.

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162 II.

Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat zur Vorbereitung der grossen und für unser Land so wichtigen Gesetzgebungsarbeit eine Kommission von Experten aus allen beteiligten Kreisen eingesetzt, die unter dem Vorsitz des Departementsvorstehers Bundesrat von Steiger steht.

Als Sonderbeauftragten für die Landwirtschaftsgesetzgebung hat das Departement Prof. Dr. W. Oswald in Freiburg beigezogen, der in dieser Eigenschaft der Expertenkommission ebenfalls angehört. An ihren Sitzungen nehmen ferner teil der Direktor der Abteilung für Landwirtschaft, Dr. E. Feisst, sowie der Chef der Justizabteilung, Dr. H. Kühn, Das Sekretariat wird besorgt von Dr. E. Göschke, Thun, und Dr. M. de Eiedmatten, Bern.

Zur Behandlung der einzelnen Teilgebiete sind aus dem Schosse der Expertenkommission eine Eeihe von Unterausschüssen gebildet worden. Ein ständiges engeres Bureau sorgt für die Kontinuität der Arbeiten und für die Einordnung der Beschlüsse der Unterausschüsse in den Eahmen des ganzen Gesetzgebungswerkes.

Auf den 18. Juni 1943 wurde die Expertenkommission zu einer ersten Sitzung einberufen, die dem Zweck diente, sie über Sinn und Tragweite der Aufgabe zu orientieren. Dabei fand eine erste allgemeine Aussprache statt, die sich vornehmlich auf die Präge der verfassungsmässigen Grundlage der zu schaffenden Gesetzgebung bezog.

III.

In der Tat wurde sogleich bei Beginn der Arbeiten die Verfassungsfrage als das dringendste Problem anerkannt und behandelt; die ganze Aufgabe lässt sich nur unter der Voraussetzung befriedigend lösen, dass der Bund über die erforderliche Kompetenz verfügt oder dass sie ihm, soweit dies nicht der Fall ist, neu übertragen wird. Mit dieser Frage hatte sich der erste der Unterausschüsse (Ausschuss A) zu befassen. Schon am 12. Juli 1943 nahm er zur Frage Stellung. Über seine Verhandlungen hat er am 19. Juli der Expertenkommission Bericht erstattet und darin zuhanden des Bundesrates und der eidgenössischen Eäte folgende Anträge gestellt: 1. Das Parlament ist einzuladen, auf seinen Beschluss vom 30. September 1942 zurückzukommen und die am 21. September 1939 angenommenen revidierten Wirtschaftsartikel ungesäumt der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterwerfen.

2. Sollte das Parlament diesem Antrag nicht zustimmen können, so wird es ersucht, die revidierten Wirtschaftsartikel zurückzuziehen.

3. In diesem Fall ist unverzüglich eine besondere Verfassungsvorlage zur Sicherung der Lebensmittelversorgung und zum Schutze der Landwirtschaft auszuarbeiten und diese Eevision möglichst rasch durchzuführen.

163 4. Für diesen Verfassungsartikel wird folgender Text vorgeschlagen: «Der Bund trifft die erforderlichen Massnahmen zur Sicherung der dauernden Lebensmittelversorgung des Landes.

Er ist befugt, Vorschriften zur Erhaltung eines gesunden Bauernstandes, einer leistungsfähigen Landwirtschaft und der in ihr tätigen Arbeitskräfte sowie zur Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes zu erlassen.

Soweit die Erfüllung dieser Aufgaben es erfordert, kann der Bund dabei vom Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen.» Die grosse Expertenkommission hat ihrerseits in ihrer Sitzung vom 28. Juli 1943 diesen Antragen zugestimmt und sie an das Justizdepartement zuhanden des Bundesrates und der eidgenössischen Räte weitergeleitet.

IV.

Die Beratungen im Schosse des Ausschusses A über die Frage der Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung im Gebiete der Landwirtschaft ergaben folgendes Bild: Die geltende Bundesverfassung enthält keine Bestimmungen, die dem Bunde allgemein die Kompetenz zur Gesetzgebung in der Landwirtschaft erteilen würden. Nur folgende Bestimmungen berühren die Landwirtschaft direkt: Art. 23bls (Getreideordnung), Art. 29, Ziff. l a und b (Grundsätze bei der Erhebung der Zölle), Art. 32ws (Alkoholordnung), Art. 69 (Bekämpfung der Tierseuchen) und Art. 69bls (Verkehr mit Nahrungs- und Genussmitteln, soweit sie das Leben oder die Gesundheit gefährden). Art. 2 BV wird im allgemeinen nur als allgemeiner Programmartikel aufgefasst, der die Zwecke umreisst, die man bei der Gründung des Bundesstaates im Auge hatte, nicht aber dem Bund bestimmte Kompetenzen überträgt.

Die Bundesverfassung von 1874 hat das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft in der Weise geordnet, dass sie in Art. 31 die Handels- und Gewerbefreiheit zum Prinzip erhoben und sich im übrigen jeder Einmischung in die private Wirtschaft enthalten hat. Die Art. 23Ws über das Brotgetreide, Art. 32*>is über die gebrannten Wasser und Art. 34ter über das Gewerbewesen entspringen spätem Revisionen der Verfassung. Der Bund war vorher nicht zuständig, irgendein Wirtschaftsgebiet durch Gesetz zu ordnen; es hätte dies den damaligen Anschauungen über die Freiheit des Bürgers in seiner wirtschaftlichen Betätigung widersprochen. Ganz besonders dachte man nicht daran, dem Bunde die Kompetenz auf dem Gebiete der Landwirtschaft einzuräumen.

Gestützt auf das Bundesgesetz betreffend die Förderung der Landwirtschaft durch den Bund vom 22. Dezember 1893, abgeändert am 5. Oktober 1929, gewährte der Bund Subventionen; er konnte aber nicht die Befugnis zu einer gesetzlichen Ordnung der Landwirtschaft beanspruchen. Diese Auffassung ist vom Bundesrat bereits früher wiederholt vertreten worden; erwähnt sei die Botschaft zur Revision des Bundesgesetzes betreffend die Förderung der Landwirtschaft durch den Bund, vom 1. März 1929 (Bundesbl. 1929, I, 221)

164 und die Botschaft über eine Partialrevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung vom 10. September 1937 (Bundesbl. 1937, II, 859).

Eine verfassungsmässige Zuständigkeit des Bundes würde also heute nur insoweit unzweifelhaft bestehen, als eine Eevision der gestützt auf die zitierten Bestimmungen der Bundesverfassung ergangenen Gesetze verlangt wird. Die Postulate der Landwirtschaft für die Nachkriegszeit gehen aber bedeutend weiter, wie aus den Darlegungen im Eingang dieses Berichts (Z. I) hervorgeht.

Es handelt sich hauptsächlich darum, die heute für die Kriegszeit geltenden Bestimmungen in die ordentliche Gesetzgebung überzuführen. Darunter fallen hauptsächlich die Beschränkungen des landwirtschaftlichen Liegenschaftsverkehrs mit ihren Preisbestimmungen und den Massnahmen gegen eine Überschuldung, die Ordnung der Viehhaltung mit Marktregelung, die Anbaupflicht mit Umstellung der landwirtschaftlichen Produktion, die Produktionslenkung und Absatzsicherung, die Eegelung der Verwertung der Milch und der Milchprodukte. Dazu kommt die Förderung der bergbäuerlichen Produktion und die Sicherung des Absatzes, die einheitliche Eegelung der Bodenverbesserungen und die Hebung der in der Landwirtschaft tätigen Personen. Damit sind nur die Hauptziele bezeichnet. Die Landwirtschaft benötigt eine eingehende Ordnung des gesamten Wirtschaftsbetriebes mit Produktions- und Absatzlenkung und eine soziale Besserstellung der in ihr beschäftigten Personen. Zu einer solchen planmässigen Wirtschaftslenkung in der Landwirtschaft fehlt dem Bunde die Zuständigkeit; sie bedeutet, abgesehen von der bestehenden, als vorübergehend gedachten Ordnung etwas Neues.

Überdies steht aber der in Art. 31 BV aufgestellte Grundsatz der Handelsund Gewerbefreiheit gewissen Postulaten der Landwirtschaft entgegen. Nicht alles, was in der Kriegszeit auf Grund der ausserordentlichen Vollmachten angeordnet werden durfte, kann für die Nachkriegszeit ohne Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit festgesetzt werden; es sei nur an die Beschränkungen des Liegenschaftsverkehrs und in der Viehhaltung, an die Anbaupflicht und an die Produktions- und Absatzlenkung erinnert.

Nun wird allerdings die Frage, ob die Landwirtschaft überhaupt der Handels- und Gewerbefreiheit teilhaftig sei. nicht gleichmässig beurteilt.

In der Wissenschaft
finden sich darüber widersprechende Auffassungen; so verneint Meiner (Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 377, Anm. 1) die Frage, während Burckhardt (Kommentar zur Bundesverfassung, 3. Aufl., S. 233) sie bejaht. Die Praxis, insbesondere diejenige des Bundesgerichts, scheint bisher nicht Gelegenheit gehabt zu haben, die Frage eindeutig zu entscheiden. Im allgemeinen wird man unter einem Gewerbe im Sinne des Art. 31 BV jede berufsmässig ausgeübte, auf Erwerb gerichtete Tätigkeit zu verstehen haben. Dieses Merkmal erfüllt die Tätigkeit des Landwirtes insofern, als er aus ihr einen Erlös zu erzielen sucht, also die land- und milchwirtschaftlichen Produkte oder das Vieh selbst verkauft. Dennoch bleibt das Primäre der Arbeit des Bauern, was ihr die besondere Eigenart verleiht, die Bearbeitung des Grundes und Bodens, die Urproduktion. Auch wenn zu ihr das Element des

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Erwerbes hinzutritt, wird man also die Landwirtschaft nicht in jeder Hinsicht dem Handel oder dem Gewerbe im engern Sinne, noch auch den industriellen Unternehmungen oder den liberalen Berufen gleichstellen wollen, auf welche die Praxis den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit anwendbar erklärt hat.

Die Bedürfnisse unserer Landwirtschaft in der Nachkriegszeit erfordern aber gebieterisch die Möglichkeit eines Abweichens von diesem Grundsatz.

Ohne diese Möglichkeit wäre eine wirksame gesetzliche Ordnung der Landwirtschaft für die Zukunft von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Vorkriegszeit hat gezeigt, dass ohne Zwangsvorschriften in der Produktion, im Absatz der Produkte und im landwirtschaftlichen Liegenschaftsverkehr nicht auszukommen ist. Will die Landwirtschaft ihre Anstrengungen zur Versorgung des Landes mit Lebensrnitteln aufrecht erhalten, so müssen Bestimmungen über die Anbaupflicht und die Selbstversorgung erlassen, mit andern Worten eine planmässige Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Bodens angeordnet werden können. Sie bedingt weitgehend eine Befreiung von der Handels- und Gewerbefreiheit.

Auch aus diesem Grunde erweist sich daher eine Verfassungsrevision als dringend wünschbar. Der Gesetzgeber darf es nicht auf die Unsicherheit ankommen lassen, wie weit seine Befugnisse überhaupt gehen. Er muss auch in dieser Hinsicht eine klare Grundlage besitzen, soll nicht die künftige Gesetzgebung mit steten Schwierigkeiten in der Abgrenzung der ihr zugänglichen Massnahmen und mit Zweifeln über die Tragweite ihrer Vorschriften zu kämpfen haben.

V.

Am 21. September 1939 haben die eidgenössischen Räte den «Bundesbeschluss über eine Eevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung» angenommen, der die heute geltenden Wirtschaftsartikel durch 7 neue Artikel ersetzen sollte. Die neuen Bestimmungen lauten, soweit sie speziell für die Landwirtschaft in Betracht fallen, folgendermassen:

Art. Siws.

(Abs. 1.) Der Bund kann im Bahmen der dauernden Interessen der schweizerischen Gesamtwirtschaft Vorschriften erlassen über die Ausübung von Handel und Gewerbe und Massnahmen treffen zur Förderung einzelner Wirtschaftszweige und Berufsgruppen. Er ist dabei an den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit gebunden.

(Abs. 2.) Wenn das Gesamtinteresse es rechtfertigt, ist der Bund befugt, nötigenfalls in Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit, Vorschriften zu erlassen: b. zur Erhaltung eines gesunden Bauernstandes und einer leistungsfähigen Landwirtschaft sowie zur Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes.

166 Art. 32.

Die in Art. 81bls ... genannten Bestimmungen dürfen "nur durch Bundesgesetze oder Bundesbeschlüsse eingeführt werden, für welche die Volksabstimmung verlangt werden kann. Pur Fälle dringlicher Art in Zeiten gestörter Wirtschaft bleibt Art. 89, Abs. 3, vorbehalten.

Der Vollzug der Bundesvorschriften wird in der Eegel den Kantonen übertragen. Diese sind vor Erlass der Ausführungsgesetze anzuhören.

Die Organisationen, welche die einzelnen Wirtschaftszweige in Landesverbände zusammenfassen, sind vor Erlass der Ausführungsgesetze anzuhören.

Die zuständigen Organisationen der Wirtschaft können beim Vollzug der Ausführungsvorschriften zur Mitwirkung herangezogen werden.

Bekanntlich hat die Abstimmung des Volkes und der Stände über diese Verfassungsrevision bis heute nicht stattgefunden. Der Kriegsausbruch im September 1939 liess den Zeitpunkt für die Vornahme der Abstimmung sehr ungünstig erscheinen. Der Bundesrat glaubte immerhin, die Verantwortung für die Verschiebung der Abstimmung nicht auf unbegrenzte Dauer übernehmen zu können; überdies wurde er durch ein Postulat des Nationalrates vom 19. März 1942 eingeladen, Bericht und Antrag über die Frage einzubringen. Diesem Auftrag kam er nach durch den Bericht vom 14. Juli 1942 (Bundesbl. 1942, S. 485). Er wies darauf hin, das Verständnis weiter Volkskreise für den Sinn und Zweck der Verfassungsrevision gehe immer mehr verloren, je länger mit dem Volksentscheid zugewartet werde ; diese Überlegung spreche für die baldige Durchführung der Abstimmung. Andererseits könne es aber nicht im Interesse des Landes liegen, während des Krieges einen Abstimmungskampf über eine Frage von grösster Tragweite zu entfesseln, der heftige Formen annehmen und im Auslande den Eindruck tiefgehender innerer Zerwürfnisse erwecken könnte.

Dazu komme die Unsicherheit, ob die Wirtschaftsartikel in der beschlossenen Gestalt noch zutreffen und genügen, da aller Wahrscheinlichkeit nach die Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit auf eine neue Grundlage gestellt werden müsse.

Diese Gründe führten den Bundesrat dazu, die Verschiebung der Abstimmung zu beantragen, und die eidgenössischen Kate beschlossen am 30. September 1942 in diesem Sinne.

Es ist kaum ein Zweifel darüber möglich, dass die hier wiedergegebenen Bestimmungen der revidierten Wirtschaftsartikel ausreichen
würden, um die Gesetzgebung des Bundes für die Landwirtschaft in der Nachkriegszeit auf verfassungsrechtlichem Boden aufzubauen. Die Expertenkommission war einstimmig dieser Auffassung, und der Bundesrat schliesst sich ihr an. Eine Nachprüfung der gestellten Postulate hat ergeben, dass sie auf Grund dieser Bestimmungen verwirklicht werden können. Treten die revidierten Wirtschaftsartikel in Kraft, dann kann ohne weiteres zur landwirtschaftlichen Gesetzgebung geschritten werden.

Nach dem Beschluss der Bundesversammlung vom 30. September 1942 besteht heute die eigentümliche Situation, dass der Landwirtschaft die zur Gesetzgebung erforderliche Verfassungsgrundlage fehlt oder doch ungenügend

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ist, während eine von der Bundesversammlung angenommene Vorlage sie bieten würde, diese Vorlage aber nicht zur Abstimmung gebracht worden ist und nicht zur Abstimmung kommen kann, solange der genannte Bundesbeschluss besteht. Bei diesem Stand der Dinge kann sich die Landwirtschaft aber nicht beruhigen. Sie hat ein dringendes Bedürfnis, dass schon jetzt die gesetzlichen Bestimmungen für die Nachkriegszeit ausgearbeitet werden. Sie kann nicht bis nach Beendigung des Kriegs zuwarten, um sich einzurichten, sondern muss es heute schon tun. Die Landwirtschaft muss rechtzeitig Vorsorge treffen, dass eine ihren Erfordernissen entsprechende Bewirtschaftung des Bodens gleich mit Kriegsende und auf jeden Fall vor dein Dahinfallen der Vollmachtenbeschlüsse einsetzen kann. Umstellungen in der Landwirtschaft brauchen immer einige Jahre. Es muss für eine plamnassige Fortsetzung der während des Krieges mit so grossen Anstrengungen, aber auch mit so grossem Erfolg begonnenen Arbeiten gesorgt werden. Im Gegensatz zu andern Wirtschaftszweigen sind sich auf dem Gebiete der Landwirtschaft die Fachleute über die Bedürfnisse für die Nachkriegszeit im klaren. Die Abteilung für Landwirtschaft hat schon vor dem Kriege und erst recht während der Kriegszeit ein wohlfundiertes Programm für die Nachkriegszeit aufgestellt, welches auf agrarpolitischen Notwendigkeiten und Massnahmen der Vorkriegszeit, wie sie der Getreideartikel und der Alkoholartikel mit ihrer Produktions- und Absatzlenkung boten, fusst und die während des Krieges durch eine nach allgemein wirtschaftlichen und agronomischen Gesichtspunkten ausgerichtete Erzeugungs- und Verwertungspolitik erhärtet worden ist. Die Abteilung für Landwirtschaft hat die unter I dargestellten landwirtschaftlichen Postulate bearbeitet und entsprechende Entwürfe vorgelegt; auch die Unterausschüsse der Kominission haben ihre Arbeit aufgenommen. Gerade wegen dieser Bereitschaft auf dem Gebiete der Landwirtschaft konnte der Bundesrat aus guten Gründen den Auftrag zur Vorbereitung der gesetzgeberischen Massnahmen in der Landwirtschaft für die Nachkriegszeit erteilen.

Dieser Sachlage muss Eechnung getragen und der Landwirtschaft alle erforderliche Unterstützung geleistet werden. Dazu gehört ganz besonders auch die Abklärung der Verfassungsfrage.

Diese Gründe veranlassten die Expertenkommission,
an den Bundesrat das Gesuch zu Stellen, er mochte die Bundesversammlung einladen, auf den Beschluss vom 30. September 1942 zurückzukommen und die Frage der Abstimmung über die Wirtschaftsartikel erneut zu prüfen.

Die Entscheidung hierüber liegt axtsschliesslich bei den eidgenössischen Katen, wie der Bundesrat schon in seinem Bericht vom 14. Juli 1942 dargetan hat. Die eidgenössischen Räte können in Abänderung des Beschlusses vom 30. September 1942 den Bundesrat einladen, den Bundesbeschluss vom 21. September 1939 ohne Verzug der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterbreiten. Sie können aber auch die Vorlage als nicht abstimmungsreif erklären und den Bundesbeschluss vom 21. September 1939 zurückziehen und aufheben.

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Für den Fall, dass die revidierten Wirtschaftsartikel in der Abstimmung verworfen werden oder dass sich die Bundesversammlung dahin entscheiden sollte, die Vorlage über die revidierten Wirtschaftsartikel zurückzuziehen, hat die Kommission beschlossen, dem Bundesrat den Vorschlag eines besondern Verfassungsartikels für die Landwirtschaft einzureichen, und sie hat bereits den Wortlaut eines solchen Artikels festgestellt. Je nach dem Entscheid der eidgenössischen Bäte oder gegebenenfalls dem Ergebnis der Abstimmung des Volkes und der Stände über die revidierten Wirtschaftsartikel ist also ein geeigneter Vorschlag bereit, um die unzweifelhafte Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiete der Landwirtschaft zu schaffen.

Die Expertenkommission hat, um keine Zeit zu verlieren, ihre Arbeit fortgesetzt, ohne die Bereinigung der Verfassungsfrage abzuwarten. Sie gibt sich dabei der bestimmten Hoffnung hin, dass auf die eine oder andere Weise eine Lösung getroffen werden und dass es nicht beim gegenwärtigen Schwebezustand hinsichtlich der revidierten Wirtschaftsartikel bleiben wird.

Die wenigen zutreffenden Bestimmungen der heutigen Verfassung würden schliesslich die Möglichkeit offen lassen, eine Gesetzgebung auf diesen beschränkten Gebieten vorzubereiten. Nur soll nicht verschwiegen werden, dass eine solche halbe Arbeit bedauerlich wäre und die beständige Nachprüfung erfordern würde, ob die Zuständigkeit des Bundes weit genug reichen würde, um die erforderlichen Änderungen in der Gesetzgebung zu verwirklichen.

VI.

Nachdem das Justiz- und Polizeidepartement am 18. September 1948 dem Bundesrat die unter Ziff. III hievor wiedergegebenen Anträge der Expertenkommission unterbreitet hatte, ordnete der Bundesrat, bevor er in der Sache Beschluss fasste, die Konsultierung der Spitzenverbände der Wirtschaf t an, die bei Schaffung der Wirtschaftsartikel mitgewirkt und sich auch zur Frage der Verschiebung der Abstimmung über dieselben ausgesprochen hatten; es sind dies der Vorort des schweizerischen Handels- und Industrievereins, der Zentralverband schweizerischer Arbeitgeberorganisationen, der schweizerische Bauernverband, der schweizerische Gewerbeverband, die schweizerische Bankiervereinigung, der schweizerische Gewerkschaftsbuod, die Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände, der christlich-soziaie Arbeiterbund,
der schweizerische Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter und der Landesverband freier Schweizer Arbeiter. Das Ergebnis dieser Befragung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Mit Ausnahme der Bankiervereinigung und des Gewerkschaftsbundes haben sämtliche Verbände einer baldigen Durchführung der Volksbefragung zugestimmt. Die Arbeitgeberverbände vertreten zwar die Auffassung, dass die Gründe, die zur Verschiebung der Volksabstimmung geführt haben, in der Hauptsache heute noch bestehen. Sie anerkennen jedoch, dass in absehbarer Zeit ohnehin eine Volksabstimmung über die künftige Gestaltung der Be-

169 Ziehungen zwischen Staat und "Wirtschaft stattfinden müsse: ebenso erachten sie die Schaffung einer ausreichenden verfassungsrechtlichen Grundlage für die gesamte Wirtschafts- und Sozialpolitik nach dem Dahinfallen der bundesrätlichen Vollmachten als wünschenswert. Mit der Zustimmung zur Vornahme der Abstimmung verbinden aber die Arbeitgeberverbände den Wunsch, es möchten die revidierten Wirtschaftsartikel durch die Eäte nochmals überprüft und dabei Art. 31ter gestrichen werden, da die Bundesbeschlüsse vom ]. Oktober 1941 und 23. Juni 1943 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen inzwischen gestützt auf Art. 34ter und 64 der geltenden Verfassung einen der Hauptpunkte des neuen Art. 31ter verwirklicht haben und eine Opposition mancher Kreise gegen die Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsbeschlüssen festzustellen sei.

Der Bauernverband befürwortet für den Fall, dass die Abstimmung über die Wirtschaftsartikel nicht stattfinde, den von der Expertenkommission vorgeschlagenen besondern Landwirtschaftsartikel, der den Bedürfnissen der Landwirtschaft ebenso gut wie die revidierten Wirtschaftsartikel entspreche und übrigens im Hinblick auf die Leistungen des Bauernstandes für die Landesversorgung gute Aussichten auf Annahme in der Volksabstimmung haben werde.

Die Bankiervereinigung hält ein Zurückkommen auf den Bundesbeschluss vom SO. September 1942 nicht für gerechtfertigt. Kach ihrer Auffassung bestehen die Gründe für die Verschiebung der Abstimmung unverändert fort und sollte überhaupt angesichts der Ungewissheit über die wirtschaftliche Entwicklung mit der Neuordnung der Wirtschaftsverfassung bis nach Friedensschluss zugewartet werden. Von der Annahme eines besondern Landwirtschaftsartikels befürchtet die Bankiervereinigung eine Störung der Einheit der Wirtschaftsgesetzgebung und des notwendigen Gleichgewichts zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen, die schliesslich für ihr Gedeihen gegenseitig aufeinander angewiesen seien.

Auch die Arbeitnehmerverbande wenden sich gegen einen besondern Landwirtschaftsartikel, stimmen jedoch der baldigen Vornahme der Abstimmung über die Wirtschaftsartikel zu, mit Ausnahme des Gewerkschaftsbundes, der keinen Grund zu einer Änderung semer früher bekundeten Stellungnahme findet.

Unser Justiz- und Polizeidepartement hat nicht ermangelt,
den AusschussA und anschliessend die grosse Expertenkommission von diesem Ergebnis der Befragung der Wirtschaftsverbände in Kenntnis zu setzen. In ihrer Sitzung vom 21. Februar nahm die Expertenkommission neuerdings zur Frage Stellung. Sie verhehlt sich die Gefahr nicht, dass ein Ztirückkommen auf den Beschluss vom 30. September 1942 im Parlament zu Weiterungen führen und dass insbesondere die von einem Teil der Wirtschaftsverbände heute zum Art. 31ter eingenommene Stellung gewisse Schwierigkeiten bereiten kann. Die Expertenkommission würde es aber unter den obwaltenden Umständen nicht für richtig erachten, mit Rücksicht auf diese Gefahr der Abstimmung länger auszuweichen: sie

170 legt das Hauptgewicht auf die baldige Abklärung der verfassungsmässigen Grundlage für die Landwirtschaftsgesetzgebung, möge sie in den revidierten Wirtschaftsartikeln (mit oder ohne Änderung) oder in einem besondern Verfassungsartikel liegen. So gelangte die Kommission ohne Gegenstimmen bei einer Enthaltung zu folgender Schlussnahme : Die Kommission hält an ihrem Antrag zuhanden des Justiz- und Polizeidepartements, des Bundesrates und der eidgenössischen Bäte fest, das Parlament sei einzuladen, auf seinen Beschluss vom 30. September 1942 zurückzukommen und die am 21. September 1939 angenommenen revidierten Wirtschaftsartikel möglichst bald der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterwerfen.

Auch die Möglichkeit, dass die Behandlung eines dahingehenden Antrages im Parlament dazu führen sollte, auf den Inhalt der Wirtschaftsartikel selbst zurückzukommen, sei es im Sinne der Einschränkung oder Streichung des Art. 31ter, sei es hinsichtlich anderer Bestimmungen, veranlasst die Kommission nicht zu einer andern Stellungnahme.

Als Eventuallösung hält die Kommission an dem früher formulierten besondern Verfassungsartikel zur Sicherung der Lebensmittelversorgung des Landes und zum Schutze der Landwirtschaft fest.

VII.

Auf Grund dieser Vernehmlassungen erachten wir es zum mindesten als nicht sehr wahrscheinlich, wenn nicht als ausgeschlossen, dass die neuen Wirtschaftsartikel, so wie sie von der Bundesversammlung am 21. September 1939 gutgeheissen wurden, heute im Falle einer Abstimmung die Billigung des Volkes erhalten würden. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Umstände, die zu einer solchen Beurteilung der Aussichten einer Volksabstimmung Veranlassung gegeben haben, in nächster oder sogar weiterer Zukunft sich so ändern werden, dass einer andern Beurteilung Eaum gegeben wäre. Es ist aus der Stellungnahme der Spitzenverbände der Wirtschaft überdies der weitere Schluss zu ziehen, dass zurzeit auch ein Volksentscheid über die Annahme oder Verwerfung eines besonderen Verfassungsartikels, der nur die Interessen der Landwirtschaft im Auge hätte, ablehnend ausfallen würde.

Bei dieser Sachlage wird es am zweckmässigsten sein, dass die Bundesversammlung den Bundesrat beauftragt, den eidgenössischen Bäten so bald als möglich einen abgeänderten, den neuesten Bestrebungen Bechnung tragenden Entwurf zu einer Vorlage über die Bevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung zur Beratung zu unterbreiten. Es ist dies nach unserer Auffassung bei den gegebenen Umständen wohl der einzige Weg, um am raschesten zu einer verfassungsmässigen Grundlage für die künftige landwirtschaftliche Gesetzgebung zu gelangen. Dieses Vorgehen empfiehlt sich um so mehr, als zurzeit zwei Volksinitiativen hängig sind, welche die gänzliche oder teilweise Bevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung bezwecken. Die Erage drängt

ni sich auf, ob nicht versucht werden soll, die Anregungen der beiden Initiativen, soweit sie realisierbar erscheinen, in geeigneter Form in die revidierten Wirtschaftsartikel aufzunehmen, um den Rückzug der beiden Initiativen zu ermöglichen oder, sofern eine Verständigung hierüber nicht erreicht werden kann, die abgeänderten Wirtschaftsartikel den Initiativen als Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Ferner ist daran zu erinnern, dass weitere Vorschläge über die Ordnung der Wirtschaft in der Nachkriegszeit vorliegen, deren Berücksichtigung eine Überprüfung der revidierten Wirtschaftsartikel notwendig macht. Es wird zweckdienlich sein, wenn über diese Fragen rechtzeitig eine Abklärung der Meinungen stattfinden kann, damit für den Erlass der für die Nachkriegszeit, nach Wegfall der bundesrätlichen Vollmachten, erforderlichen Gesetzgebung die verfassungsmässigen Grundlagen innert nutzlicher Frist geschaffen werden können.

Aus diesen Erwägungen stellt der Bundesrat den Antrag: Die Bundesversammlung wolle 1. auf ihren Beschluss vom 21. September 1939 über die Bevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung zurückkommen, 2. den Bundesrat einladen, den eidgenössischen Bäten so bald als möglich einen abgeänderten Entwurf zu einer Bevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung zur Beratung zu unterbreiten.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, den Ausdruck unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 9. März 1944.

Im Namen des Schweiz. Bundesratee, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Stampili.

4218

Der Bundeskanzler:

Leimgruber.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die verfassungsmässigen Grundlagen der künftigen landwirtschaftlichen Gesetzgebung und über die Revision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung. (Vom 9. März 1944.)

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Bundesblatt

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Feuille fédérale

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Jahr

1944

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

06

Cahier Numero Geschäftsnummer

4479

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

16.03.1944

Date Data Seite

158-171

Page Pagina Ref. No

10 035 043

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