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Schweizerisches Bundesblatt.

38. Jahrgang. III.

Nr. 43.

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16. Oktober 1886.

Bericht der

Kommission des Nationalraths betreffend die Ausdehnung der Haftpflicht aus Fabrikbetrieb auf andere Gewerbe und Dienstverrichtungen.

(Vom 11. Oktober

1886

Tit.

In seiner Sommersession 1886 hat der Nationalrath den Entwurf des Bundesgesetzes betreffend die Ausdehnung der Haftpflicht und die Ergänzung des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1881 auf Grundlage der bundesräthlichen Vorlage artikelweise zu Ende berathen, gleichzeitig aber mit Rücksicht auf die Wünschbarkeit größerer Klarheit über einige wichtige Fragen, sowie der redaktionellen Bereinigung der Vorlage eine nochmalige Berathun derselben beschlossen, bevor zur Abstimmung über das Ganze geschritten wird.

Die in Folge dessen erfolgte Rückweisung an die Kommission war daher in dem Sinne zu verstehen, daß sich ihre Prüfung auf die bereits gefaßten Beschlüsse, sowie · auf die ihr ausdrücklieh zugewiesenen Fragen über die Ausdehnung der Haftpflicht beschränken und nur insoweit das Gebiet der Unfallversicherung berühren solle, als es zu einer richtigen Durchführung der Haftpflicht erforderlich sei.

Die Kommission hat ihre Aufgabe an drei Sitzungstagen (24., 25. und 26. August) in Zürich erledigt. Anwesend waren alle Mitglieder mit Ausnahme des Herrn Klein, der zu seinem und unserm Bedauern durch Krankheit an der Theilnahme an den Berathungen verhindert war. Leider war auch Hr. Bundesrath Droz durch seine Amtsgeschäfte verhindert, den Kommissionsberathungen beizuwohnen. Das bereits in der bundesräthlichen Botschaft erwähnte Material wurde vervollständigt durch Bundesblatt 38. Jahrg. Bd. III

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148 1) einen Bericht des Vorstandes des eidgenössischen statistischen . Bureau in Bern (Herrn Milliet), vom 15. Juli 1886; 2) zwei Berichte des Direktors des eidgenössischen Versicherungsamtes (Herrn Dr. Kummer), der erste vom 12. Juli und der zweite vom 17. August 1886, begleitet von den Tarifen mehrerer Unfallversieherungsgesellschaften ; 3) ein gedrucktes, vom Bundesrath im Bundesblatt Nr. 36 vom 28. August 1806 bereits veröffentlichtes Gutachten des Direktors des eidgenössischen Versicherungsamtes (Herrn Dr. Kummer), ; vom 6. August 1886, betreifend den an "die Rommission zurückgewiesenen Art. l*18 der Vorlage; 4) den Bericht des Direktors der Unfallversicherungsgesellschaft Zürich (Herrn Müller),- vorn 25. August. 1886, und 5) den Bericht des Vorstandes des statistischen Bureau in Zürich (Herrn Greulich), vom August 1886.

Die Kommission hat die Drucklegung und die Mittheilung der zwei letztgenannten Berichte an die Mitglieder der Bundesversammlung beschlossen.

Uebergehend zur Berichterstattung werden wir vorerst die Abänderungen und Ergänzungen, welche wir Ihnen zu den bereits gefaßten Beschlüssen der Art. l, 2, 3, 4, 5 und 6 vorschlagen., kurz begründen und sodann in einem zweiten Abschnitt die Frage der Unterstützung von Kollektivversieherungen durch den Bund (Art. lblB und das hierauf bezügliche Postulat) etwas einläßlicher erörtern.

i. ;

· "

Im ' Großen und Ganzen verblieb zwar' die Kommission in sachlicher Beziehung bei den vom Nationalrath gefaßten Beschlüssen und beschränkte sich auf eine redaktionelle Bereinigung. Immerhin schlägt sie Ihnen einige Abänderungen vor, die einer Begründung bedürfen.

A. In Betreff des Art. l ist zu bemerken : 1) Im Eingang der Ziffer 2 verbleibt es bei der Streichung der in der bundesräthlichen Vorlage enthaltenen Worte ,,elementare Kräfte verwendet odera. Im Nationalrath hat diese Streichung keinen Widerspruch erfahren, und mit Recht, weil sonst eine zu große Zahl kleinerer Gewerbe (Sägen u dgl.) unter die ausgedehnte Haftpflicht gefallen wären.

149 2) Was die Aufzählung der unter Ziffer 2 fallenden Gewerbe anbelangt, so betreffen die Abänderungsvorschläge der Kommission bei litt, a, c, d lediglich die Redaktion, bei litt, e dagegen wird der Fuhrhalterei beigefügt der Schiffsverkehr und die Flößerei, d. h. diejenigen größern Gewerbe, welche den Transport zu Wasser zum Gegenstand haben und nicht bereits unter einer andern Haftpflicht (wie die Dampfschifffahrt) stehen. Damit ist denn auch der Anregung des Herrn Zürcher, welche an die Kommission zur Begutachtung überwiesen wurde, ein" Genüge geleistet.

Die litt, f wurde hier fallen gelassen, um mit veränderter Redaktion unter einer besondera Ziffer aufgenommen zu werden.

(Vgl. Ziffer 3.)

Herr Baidinger hat eine Vervollständigung der in Ziffer 2 aufgezählten Gewerbe in dem Sinne gewünscht, daß die in der bundesräthlichen Vorlage flgurirenden ,,Erdarbeiten" wiederaufgenommen werden, da die Arbeiter in den tiefen, engen und gewöhnlich mit Rundholz und Brettern gesperrten Leitungseinschnitten und Schachten bei großem Trinkwasserversorgungen, bei Kloakenunternehmungen u. dgl. große Gefahren laufen. Die Kommission war prinzipiell mit Herrn Baidinger einverstanden, sie glaubte aber, die von ihm aufgezählten ,,Erdarbeiten" seien bereits theils im Wasserbau, theils im Bauhandwerk im weitesten Sinne Inbegriffen, so daß eine neue Rubrik des immerhin etwas vagen Begriffes ,,Erdarbeiter)'1 nicht nothwendig sei. Sollten Sie diesen Gedanken etwas genauer formuliren wollen, so wird sich die Kommission einer sachbezüglichen Redaktion nicht widersetzen.

3) Die Haftbarkeit des Unternehmers für seine Unterà kkordanten bei einem nach Ziffer 2 neu unter die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb fallenden Gewerbebetriebe glaubte die Kommission auch auf die in Ziffer l bezeichneten, besonders gefährlichen Gewerbe ausdehnen zu sollen, da der Grund dieser Ausdehnung der Haftpflicht hier in noch vermehrtem Maße zutrifft.

Wird daher bei Gewerben, in welchen explodirbare Stoffe gewerbsmäßig erzeugt oder verwendet werden , die Arbeit einem Dritten zur Ausführung übertragen, so haftet der Unternehmer des betreffenden Gewerbebetriebes direkt für die Unfälle der dabei beschäftigten Arbeiter.

4) Die Ziffer 3 enthält, wie schon oben bemerkt, keine Neuerung, sondern lediglich den zum Beschluß erhobenen Antrag des Herrn Fovrer
sub Jitt. f des uationalräthlichen Beschlusses, wonach die mit dem Fabrik betriebe im Zusammenhang stehenden Dienstverrichtungen i n d e n o f f e n e n R ä u m l i c h k e i t e n e i n e r

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F a b r i k unter das Haftpflichtgesetz aus Fabrikbetrieb fallen.

Diese Bestimmung gehört nämlich nach der Ansicht der Kommission nicht unter die Rubrik der in Ziffer 2 aufgezählten, von den Fabriken sich unterscheidenden, selbstständigen Gewerben, sondern sie steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem F a b r i k betrieb und paßt deßhalb besser unter eine besondere Ziffer. Sie ist auch nöthig, weil die Worte ,,in den Räumlichkeiten seiner Fabrik a in Art. 2 des Bundesgesetzes betreifend die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb bisher von den Gerichten häufig zu eng ausgelegt worden sind.

5) Die Ziffer 4 verdankt ihren Ursprung der bundesgerichtlichen Auslegung des Art. 2 des Haftpflichtgesetzes vom 1. Juli 1875 und des Art. 2 des Haftpflichtgesetzes vom 25. Juni 1881.

(Vergleiche das Urtheil vom 10. Oktober 1883 in Sachen Felber gegen Centralbahn und das Urtheil vom 2. Februar 1884 in Sachen Schmid gegen Jura-Bern-Luzern-Bahn.) Hiernach begreifen die Worte ,,beim Betriebe11 einer Eisenbahnunternehmung nur diejenigen Verrichtungen auf Eisenbahnen, welche zum Verkehr auf den Schienen selbst gehören, während diejenigen Unfälle, welche außerhalb des eigentlichen Schienenverkehres erfolgen, nicht als ',,beim Betriebe"1 erfolgt gelten und infolge dessen nur dann zu einer Entschädigungsklage berechtigen, wenn der Nachweis des Verschuldens der Verwaltung geführt werden kann. Das Nämliche gilt mutatis mutandis zufolge der citirten Gesetzesbestimmung auch für diejenigen Unfälle, welche bei der Dampfschifffahrt außerhalb des eigentlichen Betriebes sich ereignen, und endlich ist auch die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb in Art. 2 des Gesetzes auf diejenigen Unfälle beschränkt, welche ,,durch den Betrieb" in jenem engern Sinne des Wortes entstehen.

Hiernach fallen alle Unfälle, die aus Dienstvenichtungen, welche zwar mit dem Betriebe zusammenhängen, allein doch nicht ,,beim Betrieba oder ,,durch den Betrieb"1 entstanden sind, unter die Regel des gemeinen Rechts, wonach dem Geschädigten nur dann Schadensersatzklage gegen den Unternehmer zusteht, wenn er den Nachweis eines Verschuldens desselben erbringt.

Daß aber dieser Nachweis nur sehr selten geleistet werden kann, liegt auf der Hand. Der Arbeiter, der zum Reinigen einer Lokomotive in deren Inneres hineinschlupfen muß und beim Herauskriechen sich das Bein oder
einen andern Körpertheil so erheblich verletzt, daß er auf lange Zeit, vielleicht für immer arbeitsunfähig wird, ist in den seltensten Fällen in der Möglichkeit, der Verwaltung bei diesem Unfall ein Verschulden nachzuweisen, und steht daher faktisch rechtlos da. Diese Unbilligkeit soll durch die Ausdehnung der Haftpflicht des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1881

151 auf die in Art. 2 des Bundesgesetzes betreffend die Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschifffahrtuntevnehmungen und auf die in Art. 2 des Bundesgesetzes betreffend die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb unter dem Ausdruck ,,Betrieb" nicht inbegriffenen Dienstverrichtungen, soweit solche mit dem Betrieb zusammenhängen, beseitigt werden.

Die Kommission verhehlte sich dabei nicht, daß mit dieser Bestimmung für die Eisenbahn- und Dampfschifffahrtunternehmungen eine anscheinende Anomalie geschaffen wird. Während nämlich bei Unfällen ,,beim Betriebea dem Geschädigten gegenüber diesen Verwaltungen ein u n b e g r e n z t e s Entschädigungsrecht zusteht, kommt dagegen dem Geschädigten, wenn der Unfall außerhalb des Betriebes bei einer mit demselben bloß zusammenhängenden Dienstverrichtung sich ereignet, nur ein auf das Maximum von Fr. 6000 b e s c h r ä n k t e s Entschadigungsrecht zu.

Die Kommission glaubt indessen, es sei diese Anomalie im Grunde doch mehr eine bloß scheinbare, weil bei den Dienstverrichtungen außerhalb des Eisenbahn- oder Dampfschifffahrt-Betriebes der Angestellte sich in der Regel leichter selbst schützen kann, als beim Betriebe selbst, wo er vermöge der dafür verwendeten Naturkräfte viel häufiger in eine Nothlage versetzt wird. Es ist daher nichts Unbilliges, wenn die Ausdehnung der Haftpflicht für die Unfälle der Eisenbahn- und Dampfschiffarbeiter sich innerhalb der Schranken der Haftpflicht für den Fabrikbetrieb hält.

B. Die übrigen Artikel der Vorlage haben bloß redaktionelle Aenderungen erlitten, und auf eine neue Berathung der zwei Postulate betreffend die Sorge für die in Ausübung ihrer amtlichen Verpflichtungen durch Unfall geschädigten Bundesangestellten und betreffend die Verantwortlichkeit der Postverwaltung für Unfälle von Postreisenden und Postillonen ist die Kommission deßhalb nicht eingetreten, weil diese Postulate von Ihnen bereits am 25. Juli 1886 definitiv beschlossen worden sind und es dabei sein Verbleiben hat.

In Art. 2 waren im Nationalrath hauptsächlich die Worte ,,nach vorläufiger Prüfung"' angefochten worden , da man die Befürchtung aussprach, es könnte tiiese Prüfung leicht so gehandhabt werden, daß dem geschädigten unbemittelten Arbeiter der Zutritt vor die Gerichte faktisch verschlossen wird. Dieser Sinn liegt nicht in der Absicht der Kommission und
gegen ein solches Verfahren wäre der Rekurs unbedingt zuläßig. Die vorläufige Prüfung des Falles ist nur so zu verstehen, daß bei solchen Unfällen, die augenfällig mit dem betreffenden Gewerbe in gar keinem Zusammenhang stehen, nicht die unentgeltliche Prozeßführung gegen den betreffen-

152 den Unternehmer verlangt werden kann; es ist also diese Vorschrift nur gegen den Mißbrauch der Gerichte zu trolerischen Zwecken gerichtet; sie besteht in den meisten Kantonen für die Erlangung des sogen. Armenrechts und hat niemals Grund zu Beschwerden gegeben.

Herr Forrer hatte die Umstellung der Art. 2 und 4 beantragt, die Kommission konnte sich aber, vom logischen Standpunkte ausgehend, nicht dazu entschließen; nach ihrer Ansicht bilden nämlich die Art. l' und 2 di& allgemeine Regel, d. h. es wird zunächst jedem Geschadigten die Verfolgung seines Anspruchs selbst überlassen, und nur ausnahmsweise, wenn er die ihm gebührende Entschädigung entweder gar nicht oder doch nicht genugsam erhalten hat, tritt die in Art. 4 vorgesehene Intervention der Kantonsregierung ein. Nun gehört aber die Regel voran und die Ausnahme an den Schluß, wie dies der Bundesrath auch gethan hat.

Den Antrag des Herrn Paschou betrachtete die Kommission bloß als eine redaktionelle Umänderung des Art. 4 der bundesrathlichen Vorlage, da überall da, wo aus irgend welchem Grunde vom Unternehmer k e i n e Entschädigung gegeben werden will, auch der Fall der Verweigerung einer b i l l i g e n Entschädigung vorliegt und daher mit diesen Worten sowohl der Fall einer Verweigerung j e g l i c h e r Entschädigung als derjenige der Verweigerung einer g e n u g e n d e n Entschädigung betroffen wird.

II.

Der Wegfall des Art. 1bis steht mVerbindungg mit dem neuen Postulate, das Ihnen die Kommission nur Annahme empfiehlt. Der an die Kommission zurückgewiesene Art.1bis" unterscheidet sieh dadurch von dem an seine Stelle tretenden Postulat,'daß in jenem eine f i n a n z i e l l e Unterstützung vo'Kollektivversicherungenen seitens des Bundes vorgesehen war, wahrend das Postulat sich auf die Einladung an den Bundesrath beschrankt, die Bildung von Genossenschaften oder Vereinen zum Zwecke der Kollektivversicherung a n z u r e g e n und zu f o r d e r n .

Der Art. 1bis verdankte nämlich seine Aufnahme in den Gesetzesentwurf der Befürchtung, daß es den k l e i n e r n Unternehmer-von ge fa h r l i e h e n Gewerben, auf welche die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb ausgedehnt würde, der hohen Prämien wegen unmöglich oder doch finanziell sehr beschwerlich sein konnte, ihre Arbeiter zu versichern Für diesen Fall sollten sie sich zu Genossenschaften verbinden, um mittelst der Kollektiv Versicherung

153 möglichst günstige Bedingungen zu erzielen, und dabei sollte -- und hierin lag der Schwerpunkt -- der Bund auch zu finanziellen Unterstützungen herangezogen werden.

Es läßt sich nicht leugnen, daß mittelst einer solchen Bestimmung der Bund gezwungen würde, sich sofort in einer das Haftpflichtgeseta ergänzenden neuen Gesetzesvorlage über dea Umfang und die Art und Weise der Unfallversicherung schlüssig zu machen, wenn nicht .der Art. lbi8 eine "bloße Phrase .auf dem Papier bleiben sollte. Gegen diese Vermengung der Unfallversicherung mit dem Haftpflichtgesetz erhob sich jedoch eine lebhafte Opposition ; die aufrichtigen Anhänger des letzteren befürchteten --- und wie die Kommission glaubt mit Recht -- daß damit bei dem Mangel an nöthigen Vorarbeiten für die allgemeine obligatorische Unfallversicherung dag zunächst, in Frage stehende Gesetz gefährdet würde und daß es deßhalb bei der dermaligen Sachlage unklug wäre, wegen eines noch in der Ferne liegenden Besseren, das Gute, das in der Ausdehnung der Haftpflicht auf mehr als 30,000 Arbeiter, die bisher sich dieser Wohlthat nicht zu erfreuen hatten, liegt, au gefährden oder gar preiszugeben. Die Kömmission ist indessen keineswegs der Ansicht, ' daß "mit dem Erlaß des neuen Haftpflichtgesetzes die Aufgabe der Bundesbehörden, für den Schutz des Arbeiters zu sorgen, erfüllt sei; sie betrachtet, wie der Bundesrath, dasselbe nur als eine an die dermal bestehenden Verhältnisse angelehnte Vorstufe zu der allgemeinen obligatorischen Unfallversicherung und hat diesen Gedanken in dem von ihr schon bei der ersten Berathung im Nationalrath beantragten und auch heute von ihr festgehaltenen Postulat Ausdruck gegeben. Sie ist aber der Ansicht, daß, bei dem Fehlen einer schweizerischen Gewerbestatistik, der nothwendigen -Unterlage einer allgemeinen Unfallversicherung, dea praktischen Bedürfnissen ein besseres Genüge geleistet werde, mit denjenigen Maßnahmen au beginnen, welche einer Gewerbestatistik mit Notwendigkeit rufen und das Bedürfniß einer möglichst umfassenden Versicherung in den weitesten Kreisen fühlbar machen, und zu diesen Maßnahmen gehört vor Allem das Gesetz über die Ausdehnung der Haftpflicht.

Die Kommission will also nicht mißverstanden sein. Ihr E n d z i e l , auch bei der gegenwärtigen Vorlage, bleibt die allgemeine o b l i g a t o r i s c h
e U n f a l l v e r s i c h e r u n g , bei welcher Bund und Kantone, Arbeitgeber und Arbeiter in richtigem Verhältnisse zur Uebernahme des Riaiko's beizuziehen sind, und die Kommission ist nicht der Ansicht, daß für uns hiebei lediglich das deutsche Unfallversicherungsgesetz mit seinen von den unsrigen verschiedenen Voraussetzungen maßgebend sein müsse. Die Frage, ob Berufsgenossen-

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schaffen, wie ira deutschen Reich, oder territorial abgegrenzte Genossenschaften aller Arbeiter mit besondern Gefahr-Klassen als Grundlage der Versicherung anzunehmen seien, bleibt daher für uns eine offene und bedarf zu ihrer Lösung noch mehrfacher Vorarbeiten, aber d a m i t k o n n t e s i c h d i e K o m m i s s i o n n i c h t b e f r e u n d e n , daß i n z w i s c h e n , d. h. bis zur Durchführung der allgemeinen Unfallversicherung, in der schweizerischen Eidgenossenschaft A l l e s b e i m A l t e n b l e i b e n s o l l e , d. h. n i c h t s g e t h a n werde, was dasLoos de r A r b e i t e r b e i U n f ä l l e n zu v e r b e s s e r n g e e i g n e t ist.

Der Kernpunkt der ganzen Frage lag für die Kommission darin, wie dieß thun, ohne diejenigen Unternehmer übermäßig zu belasten, welche durch die projektirte Ausdehnung der Haftpflicht zu größern Leistungen herangezogen werden. In dieser Richtung konnte sich die Kommission auf Grundlage des Gutachtens der Herren Dr. Kummer und Müller, ganz besonders aber des Berichtes des Hrn. Greulich, vollkommen beruhigen.

Obschon uns eine Gewerbestatistik fehlt, so konnte doch an der Hand der deutschen Berufszählung vom 5. Juni 1882 mit genügender Wahrscheinlichkeit die Zahl der Unternehmer und Arbeiter, welche bei uns unter das neue Haftpflichtgesetz fallen würden, wenigstens annähernd festgestellt werden. Der Bericht des Hrn. Greulich und das Gutachten des Hrn. Kummer betonen, daß die Unfallversicherung der Arbeiter bei keinem Gewerbe von mehr als 5 Arbeitern so theuer zu stehen kommt, daß sie für die Unternehmer unmöglich wird, und aus dem Gutachten des Hrn. Müller ergibt sich, daß das gefährlichste unter das neue Gesetz fallende Gewerbe der Ziffer 2 des Art. l, das Bauhandwerk, mit mehr als 5 Arbeitern zu einem Prämiensatze von 25 bis.30°/oo des Jahreslohnes, also nicht zu unmöglichen Bedingungen, versichert werden kann. Dachdeckerunternehmungen mit regelmäßig mehr als fünf Arbeitern existiren in der Schweiz unseres Wissens nicht, so daß dieses allergefähvlichste Gewerbe ganz unberücksichtigt bleiben kann.

Aus diesen Gründen zog es die Kommission vor, in dem vorliegenden Gesetzentwurf von einer finanziellen Unterstützung des Bundes zu abstrahiren und sie glaubt mit dieser Beschränkung weiter zu kommen, auch auf dem Wege zur allgemeinen
Unfallversicherung, als wenn sie unvermittelt und ohne die nöthige Vorarbeit sofort diese selbst in Angriff nehmen würde.

Immerhin kann und soll der Bund schon jetzt die Anregung und Organisation genossenschaftlicher oder vereins weiser Kollektiv Versicherungen an die Hand nehmen. Es wird dieß zu einer einigeren Versicherung, d. h. zur Herabsetzung der Aufnahmegelder und Prämien,

155 führen. Urn Klienten zu gewinnen, müssen nämlich die Versicherungsgesellschaften, wie Hr. Greulich sehr richtig sagt, ganz bedeutende Ausgaben machen und an ihre Agenten hohe Provisionen zahlen ; bei Kollektivversicherungen könnten aber die Gesellschaften viel billigere Bedingungen machen, weil sie mehr Aussichten auf dauernde, regelmäßige Einnahmen hätten, als bei der separaten Versicherung einzelner Unternehmer, und dabei das Risiko für die Gesellschaft kein höheres, ja durch die Möglichkeit einer wenigstens theilweisen Rückversicherung ein geringeres würde.

Aus diesen Gründen schlägt Ihnen die Kommission am Platze des Art. lbis das Postulat vor, den Bundesrath einzuladen, die Bildung von Genossenschaften oder Vereinen zum Zwecke der Kollektivversicherung anzuregen und zu fördern.

Zum Schlüsse.noch die Bemerkung, daß die Kommission darauf beharrt, den landwirtschaftlichen Betrieb von dem vorliegenden Haftpflichtgesetz vollständig auszuschließen. Die Verhältnisse der Landwirtschaft sind so völlig andere als diejenigen der fabrikähnlichen Gewerbe, daß eine Verquickung derselben nicht richtig wäre.

Zunächst liegt auch für den landwirtschaftlichen Betrieb die Dringlichkeit nicht vor, welche für den fabrikähuliehen Gewerbebetrieb besteht. Wird, wie es die feste Ueberzeusuna; der Kommission ist, nicht neute und nicht morgen, aber doch in absehbarer Zeit die allgemeine obligatorische Unfallversicherung in richtiger Weise durchgeführt, so wird auch die Haftpflichtgesetzgebung ihre Bedeutung verloren haben und die Arbeit des landwirtschaftlichen Betriebes ohne solche geschützt sein.

B e r n , den 11. Oktober 1886.

Mit Hochachtung!

Namens der nationalräthlichen Kommission, Der B e r i c h t e r s t a t t e r : R. Brunner.

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7

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TV a e li t r a g'.

Die Kommission ist auf die nachträgliche Vorlage des Bundesrathes vom 28. September 1886 nicht eingetreten. Es handelte sich nämlich dabei um die Frage, ob die bestehenden Vorschriften, wonach der Bundesrath diejenigen Industrien zu bezeichnen hat,

156 welche gefährliche Krankheiten erzeugen und bei denen somit der Betriebsunternehmer auch -für den durch Krankheit eines Angestellten oder eines Arbeiters entstandenen Schaden, wenn die Erkrankung durch den Betrieb der Fabrik erfolgt ist, haftet (Art. 5, Litt, d des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken und Art. 3 des Bundesgesetzes betr effen die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb), in dem Sinne abzuändern seien, daß in der Regel nicht mehr der Bundesrath sondern in jedem Spezialfalle das urtheilend Gericht, sich darüber auszusprechen habe, ob die betreffende Industrie zu den gefahrliche Krankheiten erzeugenden gehöre, ob also diese erste Voraussetzung der Haftpflicht für die Berufskrankheit vorliege oder nicht.

Die Kommission konnte sich nicht mit dem Gedanken befreunden, daß diese Frage in jedem einzelnen Falle zum Gegenstand eines Prozesses gemacht werde, und sie ist der Ansicht, es lasse sich an der Hand der gemachten Beobachtungen das gesetzlich vorgeschriebene Verzeichniß der gefahrliche Krankheiten erzeugenden Industrien durch den Bundesrath leichter aufstellen und jeweilen vervollständigen, als dies durch die Gerichte möglich wäre.

B e r n , den 11. Oktober 1886. Namens der nationalrathlichen commission, Der Berichterstatter: , E. Brunner.

Die Mitglieder der Kommission: HH R. Brunner, "Berichterstatter.

Benziger.

,

Decurtins.

Klein.

KUnzli.

..Lachenal.

Vögelin.

N o t e . Es folgen. Gesetzesentwurf Bericht des zurcherischen statistischenBureaus" und Schreibendesä Direktors derUnfallversicherungsgesellschaft .Zürich".

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Bericht der Kommission des Nationalraths betreffend die Ausdehnung der Haftpflicht aus Fabrikbetrieb auf andere Gewerbe und Dienstverrichtungen. (Vom 11. Oktober 1886)

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16.10.1886

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