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IT. Kreisschreiben des

Bundesrates an die Regierungen der Kantone betreffend das Haager Übereinkommen vom 12. Juni 1902 zur Regelung des Geltungsbereiches der Gesetze und der Gerichtsbarkeit auf dem Gebiete der Ehescheidung und der Trennung von Tisch und Bett, und in bezug auf schwedische Staatsangehörige.

(Vom 2. Juni 1919.)

Getreue, liebe Eidgenossen !

Mit Kreisschreiben vom 5. März 1907 (Bundesbl. 1907,1, 908) haben wir Ihnen u. a. die Grundsätze mitgeteilt, die für die Anwendung des im Titel erwähnten Abkommens in bezug auf Angehörige S c h w e d e n s von Bedeutung sind. Seither hat die Gesetzgebung dieses Landes durch Gesetz vom 12. November 1915, in Kraft seit 1. Januar 1916, die Scheidung und Trennung einer Ehe neu geordnet. Im Folgenden bringen wir Ihnen, auf Grund eines uns von der schwedischen Regierung übermittelten Memorials die neuen Grundsätze zur Kenntnis, wobei wir uns an die schon im eingangs erwähnten Kreisschreiben beobachtete Fragestellung halten.

1. F r a g e : Ist Ehescheidung zulässig (Art. l, Abs. l, des Abkommens) ?

A n t w o r t : Ja.

2. F r a g e : Scheidungsgründe (Art. 2, Abs. l, des Abkommens) ?

A n t w o r t : 1. Hat die (gerichtliche) Trennung ein Jahr gedauert, so kann jeder der Ehegatten, gestützt auf das Trennungsurteil die Ehescheidung anbegehren, sofern im Dispositiv des Urteiles nicht . die eheliche Gemeinschaft wieder hergestellt worden ist (Kap. 6, § 3).

2. Ißt infolge Zerwürfnisses der Ehegatten die eheliche Gemeinschaft auch ohne Trennungsurteil seit wenigstens drei Jahren aufgehoben, kann jeder der Ehegatten die Ehescheidung

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anbegehren ; indessen wird die Scheidung nicht auggesprochen, wenn nur einer der Ehegatten sie verlangt und das Gericht mit Rücksicht auf das Betragen des klägerischen Ehegatten und andere von ihm zu vertretenden Umstände die Scheidung nicht für angebracht hält (Kap. 6, § 4).

3. Böswillige Verlassung : Hat einer der Ehegatten grundlos die Ehegemeinschaft aufgehoben, und ist letztere nicht wieder hergestellt worden, so kann der andere Ehegatte die Scheidung verlangen (Kap. 6, § 5).

4. Ist ein Ehegatte verschollen, so kann die Ehescheidung ausgesprochen werden, sofern es unbekannt ist, ob er die letzten drei Jahre noch am Leben war (Kap. 6, § 6).

5. Hat ein Ehegatte entgegen den Bestimmungen des Kap. 2, § 10, eine neue Ehe geschlossen, kann der andere Ehegatte die Scheidung verlangen, sofern die Scheidungsklage innert 6 Monaten vom Tage, an welchem der Kläger Kenntnis der neuen Ehe erhalten, angebracht wird (Kap. 6, § 7).

6. Ehebruch oder strafbare Ausschweifung eines der Ehegatten, sofern der klägerische Ehegatte nicht mitschuldig ist oder dazu eingewilligt hat. Die Scheidungsklage muss innert 6 Monaten vom Tage, an welchem der Kläger Kenntnis der die Klage begründenden Tatsachen erhalten hat, und spätestens innert 3 Jahren seit dem Tage, an dem diese vorgefallen sind, erhoben werden (Kap. 6, § 8).

7. Wenn ein Ehegatte mit einer in ihrer ansteckungsfähigen Periode befindlichen Geschlechtskrankheit behaftet ist und den ändern Ehegatten wissentlich oder fahrlässig der Ansteckungsgefahr aussetzt, kann die Scheidung anbegehrt werden, es sei denn, dass der klägerische Ehegatte die Gefahr gekannt und sich ihr gleichwohl ausgesetzt hat. Immerhin erlischt das Recht auf Scheidung, wenn die Klage nicht innerhalb 6 Monaten vom Tage hinweg, wo der klägerische Ehegatte Kenntnis erhielt von der Gefahr, der er ausgesetzt war, angebracht wird und wenn er nicht angesteckt wurde, oder die Krankheit bei der Klageerhebung sich nicht in ihrer ansteckungsfähigen Periode befand (Kap. 6, § 9).

8. Wenn einer der Ehegatten dem ändern nach dem Leben trachtet, oder ihn schwer misshandelt, so kann der verletzte Ehegatte die Scheidung anbegehren ; die Klage ist innerhalb 6 Monaten vom Zeitpunkte, an dem der Kläger Kenntnis des Scheidungsgrundes erhalten, spätestens innert 3 Jahren seitdem dieser sich ereignete, anzuheben (Kap. 6, § 10).

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9. Die _ Scheidung kann ausgesprochen werden, wenn der eine der Ehegatten zu Zuchthaus von 3 Jahren oder zu einer schwereren Strafe verurteilt worden ist (Kap. 6, § 11).

10. Ist der eine der Ehegatten zu einer Zuchthausstrafe von weniger als 3 Jahren, aber mehr als 6 Monaten, oder zu einer korrektionellcn oder Gefängnisstrafe von mehr als einem Jahre verurteilt worden, so entscheidet das Gericht, falls der andere Ehegatte die Scheidung anbegehrt, ob mit Rücksicht auf die Vergehen, deren sich der Beklagte schuldig machte und andere von ihm zu vertretenden Umstände, dem Scheidungsbegehren zu entsprechen ist. Ebenso, wenn der eine der Ehegatteu von einem fremden Gerichte zu einer Freiheitsstrafe von wenigstens einem Jahre verurteilt worden und der andere Ehegatte die Scheidung anbegehrt.

Das Recht auf Scheidung erlischt, wenn der andere Ehegatte beim Verbrechen mitgewirkt oder dazu eingewilligt hat.

Die Scheidungsklage ist in den von diesem Artikel vorgesehenen Fällen innert 6 Monaten vom Tage hinweg anzubringen, an dem der Kläger Kenntnis des Urteiles erhalten hat und spätestens innert 3 Jahren seit der Ausfallung des Urteiles (Kap. 6, §- 11).

11. Wenn einer der Ehegatten sich des Missbrauches alkoholischer Getränke schuldig macht, so kann das Gericht auf das Begehren des ändern Ehegatten und wenn ausserordentliche Umstände vorliegen, die Scheidung aussprechen (Kap. 6, § 12).

12. Die Scheidung kann erlangt werden, wenn einer der Ehegatten mit Geisteskrankheit behaftet ist, vorausgesetzt, dass diese schon drei Jahre während der Ehe gedauert hat und Hoffnung auf Heilung ausgeschlossen ist (Kap. 6, § 13).

3. F r a g e : Ist Trennung von Tisch und Bett zulässig (Art. l, Abs. 2, des Abkommens)?

A n t w o r t : Ja.

4. F r a g e : Trennungsgründe (Art. 2, Abs. 2, des Abkommens) ?

A n t w o r t : 1. Wenn die Eheleute wegen tiefer und dauernder Meinungsverschiedenheit die Ehegemeinschaft nicht weiterführen können, so kann die Trennung im gegenseitigen Einverständnis ausgesprochen werden (Kap. 6, § 1).

2. Die Trennung kann ausgesprochen werden bei schwerer Verletzung der Unterhaltungspflicht oder ändern Pflichten des einen Ehegatten gegen den ändern oder gegen die Kinder, bei Aus-

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Schweifung oder Trunksucht des einen Ehegatten, wenn nicht das Gericht mit Rücksicht auf das Betragen des klägerischen Ehegatten oder andere von ihm zu vertretenden ausserordentlichen Verumständungen die Trennung der Ehegemeinschaft nicht für angebracht hält.

Im Falle tiefer und dauernder Meinungsverschiedenheit, hervorgerufen durch Unvereinbarkeit der Charaktere oder Ansichten, oder andere Gründe kann jeder der Ehegatten die Trennung anbegehren, wenn nicht das Gericht mit Rücksicht auf das Betragen des Klägers die Fortsetzung der Ehegemeinschaft verfügt.

S . F r a g e : Ist die Gerichtsbarkeit des Heimatstaates ausschliesslich zuständig ) für Seheidungs- oder Trennungsklagen (Art. 5, Ziff. 2, des Abkommens) ?

A n t w o r t : Bin fremdes Urteil über Scheidung oder Trennung wird in Schweden nur anerkannt, wenn das urteilende Gericht nach seinen Landesgesetzen zuständig, die Scheidung oder Trennung gemäss den schwedischen Gesetzen begründet war und das Urteil vom Appellationsgericht von Svea bestätigt worden ist (Exequatur). Diese Bestätigung ist erforderlich, damit die geschiedenen Ehegatten in Schweden sich wieder verehelichen können (Gesetz vom 7. Juli 1904, Kap. 3, §§ 6, 7 und 18).

6. F r a g e : Welches sind die Vorschriften über die Ladung eines Beklagten, die beobachtet werden müssen, damit das in einem ändern Vertragsstaate ergangene Versäumnisurteil vom Heimatstaat anerkannt wird (Art. 7 des Abkommens)?

A n t w o r t : Keine besonderen Bestimmungen.

Indem wir Sie ersuchen, Vorstehendes den Gerichtsbehörden Ihres Kantons zur Kenntnis zu bringen, benützen wir auch diesen Anlass, Sie, getreue liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

Bern, den 2. Juni 1919.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräside.nt:

Ador.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Steiger*

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

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11.06.1919

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