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Schweizerische Bundesversammlung,

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 1. April 1902 zur Fortsetzung der ordentlichen Wintersession zusammengetreten.

Neugewählte Mitglieder : Nationalrat : Herr H a u s e r , Heinrich, Gemeindeammann, von und in Stadel.

Herr O d i e r , Edouard, Staatsrat, von und in Cologny.

Nachdem die Mitglieder beider Räte und der Bundesrat sich in den bisherigen Sitzungssälen des Bundeshauses Westbau besammelt hatten, begaben sie sich in feierlichem Zuge unter Glockengeläute und Kanonendonner in das Bundeshaus Mittelbau zum Bezüge der neuen Sitzungssäle.

o Im Nationalratssaal wurden vor vereinigter Bundesversammlung folgende Ansprachen gehalten :

Bede des Herrn Bundespräsidenten Dr. Zemp.

Herren Präsidenten des Nationalrates und des Ständerates !

Herren Nationalräte und Ständeräte !

Sie haben die Räume des alten Bundeshauses, in denen die eidg. Räte während einem halben Jahrhundert getagt, und welche Ihnen, meine Herren, bei einfachen aber wohnlichen Verhältnissen lieb geworden sind, verlassen und sind in die prunkvollen Gemächer des neuen schweizerischen Bundeshauses eingezogen.

Die hochverehrten Herren im Namen des Bundesrates hier zu begrüßen, ist des Sprechenden ebenso ehrenvolle als angenehme Aufgabe.

Grundlegend für das Bauwerk war die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 2. Juni 1892. Es wurde vorgeschlagen: die Gewährung der erforderlichen Kredite für den Neubau nach einem vorgelegten Projekte und die Ermächtigung zur Erwerbung der Baustelle samt Umgebung. Der Nationalrat gab die Zustimmung am 24. März 1893, der Ständerat am 30. März

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1894. Der Bundesrat verfügte den Vollzug des Bundesbeschlusses am 10. April 1894.

Die Ausarbeitung der definitiven Baupläne und die Bauleitung wurden dem Professor Auer übertragen.

Noch in demselben Jahre, nämlich im September 1894, wurde mit den Grab- und Fundamentierungsarbeiten begonnen. Die Bauarbeiten folgten in ununterbrochener Reibenfolge und heute, nach einer Bauperiode von wenig mehr als sieben Jahren, steht, wie Sie sich, meine Herren, auf Ihrem Rundgange überzeugen werden, das Bauwerk in seiner Vollendung da.

Das neue schweizerische Bundeshaus erscheint als der dominierende Mittelbau der beiden symmetrisch angelegten, sich zuneigenden Verwaltungsgebäude, mit demselben durch Galerien verbunden. Die Gesamtanlage wirkt als Ausdruck des Großen und Imposanten, in kraftvoller Gestalt hervortretend auf der herrlichen Terrasse hoch über den grünen Fluten der Aare, mit freiem Ausblick auf die ausgedehnte malerische Landschaft, die gegen Morgen und Mittag abschließt mit dem unvergleichlichen Kranz des Hochgebirges.

Auf festem Grund ruht und fest gefügt ist das Bundeshaus.

Beleuchtung, Beheizung und Belüftung entsprechen den höchsten Anforderungen der modernen Technik. Die Räume für die Sitzungen der Räte und die Dependenzen sind groß, hell, wohnlich. Die Abteilungen für den Nationalrat und den Ständerat sind getrennt, aber unter sich wieder nahe verbunden.

Das Schweizervolk fühlt sich als eine Nation, die sich aber gliedert nach Ständen. Weder dürfen durch die nationalen Einheitsbestrebungen die historisch begründeten Ständegebilde in ihrer gesunden Entwicklung gehemmt werden, noch sollen die Ständeunterschiede den nationalen Ideen und Bestrebungen Eintrag thun.

Daher setzen sich die Vertreter der Nation und die Vertreter der Kantone zur Aufgabe, unter demselben schützenden Dache und wenn nötig in gemeinsamer Beratung zu tagen für das gemeinsame höchste Ziel, das da ist die Ehre and die Wohlfahrt des Vaterlandes.

Mit der ökonomischen Einrichtung war es aber nicht gethan.

Für das eidgenössische Rathaus durften außergewöhnliche Anforderungen an die Baukunst gestellt werden, im Äußern wie im Innern.

Mannigfaltig und reich sind die Mittel, die dem Architekten zu Gebote stehen. Die Baukunst selbst, die Kunst des Bildhauers und des Malers, das Kunsthandwerk und die technischen Werk-

697 statten stellen sich in seinen Dienst und wirken, jeder Teil nach seiner Art, zusammen zur Schöpfung eines harmonischen Ganzen.

Unsere Bauleitung hat in umfassender Weise disponiert.

Die vornehmsten Baumaterialien wurden ausgesucht, berufene schweizerische Künstler erhielten zahlreiche Aufträge, namhafte Firmen im Gebiete des Bau- und Kunstgewerbes und der industriellen Technik wurden zur Thätigkeit herangezogen. Und allen gegenüber stellte die Bauleitung die höchsten Anforderungen in Ansehung solider und kunstgerechter Arbeit.

Besichtigen Sie, meine Herren, diese Arbeitsleistungen wieder und wieder, und Sie werden uns willig und freudig zustimmen, wenn wir von dieser Stelle aus den schweizerischen Bau- und Kunstgewerben die Ehre er weisen und den Dank aussprechen.

Vor allem aber Dank und Ehre dem genialen Architekten und Bauleiter, dem der Ruhm gebührt, das herrliche nationale Werk entworfen und ausgeführt zu haben. Der Tag der Einweihung des Hauses ist auch der Ehrentag des Herrn Professor Auer.

Das Haus ist bestimmt, den eidg. Räten zu dienen.

So übergeben wir Ihnen, Herren Präsidenten und Mitglieder des Nationalrates und des Ständerates, das neue schweizerische Bundesrathaus.

Die weithin sichthare Kuppel mit dem eidg. Kreuz darüber soll auch den kommenden Geschlechtern das Wahrzeichen sein der Einheit und Einigkeit der schweizerischen Nation.

Und mögen in diesem Hause für und für und zu allen Zeiten walten: Gerechtigkeit, Weisheit, Treue und Liebe zum schönen freien Vaterlande.

Alles unter dem Machtschutze Gottes.

Rede 'des Herrn Nationalratsvizepräsidenten Meister.

Herr Bundespräsident!

Herren Biindesräte!

Hochgeehrte Herren Nationalräte und Ständeräte!

Als derzeitigem Vorsitzenden des Nationalrates wird mir die hohe Ehre zu teil, das uns vom Herrn Bundespräsidenten übergebene neue Bundeshaus zu Händen der Bundesversammlung und des Nationalrates insbesondere zu übernehmen.

698 Vor acht Jahren, es war am 30. März 1894, haben die eidgenössischen Räte der Exekutive Vollmacht und Auftrag erteilt zum Bau eines neuen Parlamentsgebäudes. Heute ist das Mandat erfüllt. Nach siebenjähriger, von keinem Unfall gestörter Bauarbeit haben wir unter dem weihevollen Klang der Glocken, begleitet von den Wünschen des Volkes, Einzug gehalten in den stolzen Bau. Der Saal, der ktinftig den Tagungen der schweizerischen Bundesversammlung dienen soll, empfängt zum erstenmal die obersten Kate des Landes. Zum erstenmal seit sechs Jahrhunderten betreten sie ein durch den Willen des gesamten Schweizervolkes, durch seine Kraft und Macht hervorgerufenen eigenes Haus. Wir ergreifen von ihm Besitz mit den Worten, die den Eingang unserer Bundesverfassung zieren: ,,Im Namen Gottes des Allmächtigen, in der Absicht, den Bund der Eidgenossen zu befestigen, die Einheit, Kraft und Ehre der schweizerischen Nation zu erhalten und zu fördern."· Hochgeehrte Versammlung! Dem Dienste des Herrn, der Arbeit für das Gemeinwesen, widmet das Schweizervolk in Dorf und Stadt, zu Berg und Thal, die schmuckste Heimstätte, die seine Kräfte ihm zu erstellen erlauben. Im Bau der Kirche wie im Bau des Rathauses giebt sich von altersher das volkstümliche Bedürfnis kund, durch Form von Ausstattung außen und innen die hohen Ziele, denen beide zu dienen haben, würdig zum Ausdruck zu bringen. Dasselbe, tief im Volke wurzelnde Gefühl, nicht unrepublikanische Prachtliebe, hat die eidgenössischen Behörden veranlaßt, das neue Bundeshaus, als reichsten und schönsten Bau des Schweizerlandes hinzustellen; ist es doch die Erfüllung einer durch die Jahrhunderte hindurch stets lebendig erhaltenen volkstümlichen Forderung. Auf der machtvollen Terrasse des alten Bern erhebt sich nun der stolze Bau, würdig seines Nachbarn, des hoch in die Lüfte emporragenden Münsters.

Unten rauscht die Aare und weithin über die Matten und grünenden Wälder einer herrlichen Landschaft hinaus, bis an den silbernen Kranz der Berge weisen das Kuppelkreuz des Bundeshauses und der gewaltige Dom dem Schweizervolk den Weg zu seiner Bundesstadt !

Das eidgenössische Rathaus mußte auch in seiner inneren Ausstattung das Beste bergen,\vas schweizerischer Kunstsinn, was die Meister im Bau- und Kunstgewerbe zu schaffen vermochten. Die Aufgabe ist glänzend gelöst. Der Bau steht heute da als stolzes Wahrzeichen der kulturellen Entwicklungsstufe, auf der das Schweizervolk zu Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahr-

699 hunderts steht, als ein vollgültiges Zeugnis dafür, daß die Kleinheit von Land und Volk weder den Sinn für Kunst und solide Pracht, noch das freudige Staatsbewußtsein ausschließt, das im Bau großartiger öffentlicher Gebäude sich ausprägt. Habt Dank dafür, ihr Männer alle, die ihr mitwirktet, ein solches Denkmal zu erstellen ! Dank dem hohen Bundesrat, Dank dem leitenden geistvollen Architekten, seinen Gehülfen, allen den Künstlern und Männern des Gewerbes, Dank auch denen, deren schwielige Hand mühsam Stein auf Stein gefügt hat.

Eidgenossen ! Das stolze Haus, indem sie fortan tagen, legt den Vertretern der schweizerischen Nation die Pflicht auf, ihre Aufgabe groß und vornehm zu erfassen. Nicht umsonst wird in diesem Saale das Bild des grünen Urnersees, der Wiege unserer Eidgenossenschaft, an den Wert der schönen Heimat erinnern, nicht umsonst wird das Standbild der edlen Stauffacherin, als Typus der klugen, patriotischen Schweizerfrau darauf hinweisen, welche Verpflichtungen wir gegenüber dem heimischen Herd zu erfüllen haben, nicht vergeblich wird uns der Schütze Teil immer und immer daran mahnen, was mutige Entschlossenheit und männliche Thatkraft zu vollbringen vermögen. Ich habe es schon gesagt, das neue Bundeshaus ist der Ausdruck des seit 1848 mächtig herangewachsenen nationalen Staatsbewußtseins.

Es stellt die sicher ruhende nationale Einheit in unserm nach Sprachen, Konfessionen, kantonalen und regionalen Interessen wundersam vielgestalteten Lande dar. Im Juli 1858, vor 44 Jahren, hat der damalige Präsident des Nationalrates, Augustin Keller, bei der Übernahme des heute von uns verlassenen Saales den Ausspruch gethan: ,,Mögen die Wünsche, Ansichten, Interessen, Anliegen und Lebensfragen aller Kantone, aller Stände und Bürger des Landes hier jederzeit ihre gerechte, und wo das Recht eine Härte wäre, ihre billige und bundesbrüderliche Würdigung finden."1 Ohne Überhebung, mit aufrichtigem Dank an die Vorsehung, dürfen wir sagen, im ganzen und großen und soweit die menschliche Schwäche es zuläßt, sind jene Worte in Erfüllung gegangen. Es hat ein guter Geist im alten Saale gewaltet, und wir sind des festen Willens, daß er auch im neuen Hause herrsche zum Segen für das Schweizerland.

Vielen von uns war ja das Tempo des Fortschrittes im schweizerischen Staatswesen zu langsam. Postulate,
deren Erfüllung wir als unerläßlich betrachtet haben, sind vom Volke verworfen worden. Von den Erwartungen, die der Präsident des Nationalrates im Juli 1858 an die Zukunft glaubte stellen zu

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dürfen, sind die Gedanken einer vom Vaterland getragenen Volksschule, der einheitlichen Armee, noch nicht in Erfüllung gegangen. Aber wenn die objektive Geschichtschreibung dereinst über die schweizerische Eidgenossenschaft in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ihr Urteil fällen wird, so wird es dahin lauten müssen, daß iu zwei fundamentalen Dingen Großes geleistet wurde : An Stelle der unglückseligen religiösen Spaltung früherer Zeit traten im Ratssaal und draußen mehr und mehr versöhnliche Gesinnung und Toleranz, und was nicht minder bedeutungsvoll ist, die Ausscheidung dessen, was nach der Zeiten Lauf Sache des Bundes und der Bundesgewalt sein und werden, und was Sache der Kantone bleiben muß, begegnet wachsendem Verständnis zum Frommen des schweizerischen Staatswesens. Die Geschichte wird daraus den Schluß ziehen, wenn unser demokratischer Staat auf dieser Grundlage fortbaue, so müsse seiuc Zukunft hell sein. Saat und Ernte liegen auf dem politischen Boden oft weit auseinander, aber unermüdliche Arbeit ist noch nie fruchtlos geblieben.

Im gewaltigen Ringkampf der Völker um den Vorrang in der geistigen und wirtschaftlichen Prosperität giebt es für das kleine Volk noch viel weniger ein Ausruhen, als für die großen Nationen. Wir können für das schweizerische Staatswesen nur wünschen, daß unser Volk die nüchterne Zähigkeit und Energie, die man nicht ohne Grund dem Schweizer in der Besorgung seiner privaten Geschäfte nachrühmt, stets auch in den öffentlichen Angelegenheiten walten lasse und damit seinen Anspruch auf Gleichwertigkeit mit den Nachbarnationen behaupte, endlich, daß es, dank seiner im Verlaufe der Jahrhunderte herausgestaltetcn Neutralitätspolitik, die Segnungen des Friedens auf weite Dauer hinaus genießen möge. Diese nüchterne Energie, gepaart mit wahrer Vaterlandsliebe, möge in diesem neuen Hause fruchtbringend wirken, sie möge das Schweizerland im unangetasteten Besitz seiner Freiheiten und seiner Rechte, in Glück und Wohlfahrt erhalten !

Das walte der Allmächtige !

Rede des Herrn Ständeratspräsidenteii Reichliii.

Es ist mir die Ehre geworden, namens des schweizerischen Ständerates die Übergabe des Parlamentsgebäudes durch den Herrn Präsidenten des Bundesrates entgegenzunehmen und zu verdanken.

701 Der Bau, dessen Ausführung die eidgenössischen Räte in den Jahren 1893 und 1894 beschlossen haben, steht in seiner Vollendung und seinem Glänze vor uns.

Wir verschmerzen heute die Opfer, welche dessen Erstellung gefordert hat, und denken an die hohen Aufgaben, welche den Vertretern des Volkes und der Stände zukommen, die berufen sind, in diesen Räumen zu tagen und in besten Treuen das Wohl des Landes zu fördern.

Gelingt es im Laufe der Zeiten, diese Aufgaben erfolgreich zu erfüllen, so wird der Tag der Eröffnung des neuen Bundeshauses ein bedeutungsvoller Markstein in der Geschichte der staatlichen Entwicklung der Eidgenossenschaft bleiben.

Groß und prunkvoll ist die Anlage des Baues, reich und sinnvoll die innere Ausstattung, geeignet, dem schweizerischen Ansehen nach außen Würde zu verleihen.

Unsere Anerkennung richtet sich daher heute vorab an den hohen Bundesrat, die bauleitenden Architekten, das schweizerische Gewerbe und alle Künstler, welche zum Gelingen des Baues und seiner Ausschmückung ihr Bestes geleistet haben.

Im äußern Aufbau werden wir durch zwei Relieftafeln an die Daten erinnert, welche für unsere Republik von hervorragendster Bedeutung sind.

In der einen ist das Jahr 1291 und in der ändern das Jahr 1848 eingegraben.

Am 1. August 1291 haben die drei Kantone Uri, Schwyz und Unterwaiden in Brunnen am Vierwaldstättersee den ersten Bund geschlossen und damit das Samenkorn gelegt, aus welchem im Laufe der Jahrhunderte der Baum der Eidgenossenschaft herausgewachsen ist.

Wir begrüßen daher den Gedanken, uns im Vordergrund des Nationalratssaales den Ort dieses wichtigen Ereignisses bildlich vor Augen zu führen, als einen äußerst glückliehen. Die Erinnerung an den Mut und Opfersinn, mit welchem unsere Ahnen mitten unter den größten Gefahren die Schweizerfreiheit begründet und behauptet haben, erfüllt unser Herz stets mit Ehrfurcht und Dankbarkeit.

Wir bewundern das Ansehen der Schweiz nach den glorreichen Schlachten des 14. und 15. Jahrhunderts, dürfen aber auch der verhängnisvollen Tage nicht vergessen, welche am Ende des vorigen Jahrhunderts über die Schweiz hereinbrachen.

Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. II.

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Das Tröstliche dabei war, daß ein heroischer Volksgeist auch in den schwächsten Tagen der Eidgenossenschaft dem P'einde Achtung abgerungen und die Wiedergeburt des Landes erleichtert hat. Die französische Invasion hatte die Helvetik und die Mediationsverfassung gebracht. Ein Sprung vom Boden des historischen Rechtes zum Einheitsstaate und eine Übergangsperiode mit schworen Enttäuschungen.

Aber auch die 12 Jahre später von außen aufgedrängte Buadesakte, welche die Schweiz in ihrer heutigen Ausdehnung gestaltete, konnte dem sich entwickelnden Staatsleben nicht genügen.

Die zweite Relieftafel am neuen Parlamontsgebau.de erinnert uns an die Umgestaltung des Staatenbundes in den Bundesstant im Jahre 1848 und seine weitere Entwicklung im Jahre 1874.

Für die Bundesversammlung wurde nach langer Beratung das Zweikammersystem eingeführt, welches die Ständevertretung neben der Volksvertretung als gleichberechtigt erklärt. Gewiß eine glückliche Lösung in den damaligen staatsrechtlichen Wirren, eine Organisation, welche zum Wohl des Landes von nachhaltigster Bedeutung geworden ist und bleiben wird.

Nach schweren Tagen erlebte die Schweiz unter der Verfassung von 1848 gluckliche Tage. Der Bundesstaat konsolidierte sich. Die kantonalen Verfassungen werden in demokratischem Sinne ausgebaut und große materielle Fortschritte erzielt.

Auch jene Teile der Schweiz, welche bei Einführung der Verfassung Gründe hatten, derselben mißtrauisch gegenüberzustehen, wußten sich allmählich mit den neuen Verhältnissen zu befreunden und anerkennen, daß unter dem Bundesstaate das Ansehen der Schweiz nach außen gekräftigt und im Innern zeitgemäße Institutionen und Werke des Friedens geschaffen wurden.

Die konfessionellen Kämpfe der 1870er Jahre reiften die Einsicht, daß nur ein gewissenhafter Schutz der gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit dem Staate zur Wohlfahrt goreichen kann.

Der Volks- und Ständevertretung werden durch die erweiterte Bundesverfassung von 1874 große Aufgaben zugeführt.

Sie haben die hohe Pflicht, die Entwicklung des Bundes mit der Wohlfahrt der Kantone in Harmonie zu erhalten und damit Segen und Gedeihen über das Gesamtvaterland zu bringen.

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Die Eröffnung des neuen Rathauses wird daher seine be·sondere Weihe erhalten, wenn damit eine Periode des Friedens, ·der Eintracht und ersprießlichen Arbeit gekommen ist.

Über den Erinnerungen von 1291 und 1848 wölbt sich die imponierende Kuppel mit dem eidgenössischen Kreuz.

Im Zeichen des Kreuzes wurde die Eidgenossenschaft ge.gründet, in diesem Zeichen schrieb der Heldenmut der Väter und die opferreiche Liebe des Schweizervolkes alle ehrenhaften Blätter der' Schweizergeschichte. Das Kreuz, das mit Recht die Zinne des Parlamentsgebäudes ziert, wird uns stets erinnern, daß es kein Völkerglück, keine wahre Volksfreiheit giebt ohne Glauben an eine höhere Weltleitung und ewige Vergeltung.

Opferwilligkeit, Einigkeit, Gerechtigkeit und Gottvertrauen 'war der Geist, welcher dem Schweizerbunde sein Ansehen gebracht und erhalten hat.

Dieser Geist begleite uns beim Einzug in das neue Bundeshaus und durchdringe fortan die Beratungen der Vertreter des Volkes und der Stände.

Indem ich namens des Ständerates Besitz nehme von den ihm zugewiesenen Räumen, bin ich durchdrungen von der Überzeugung, daß der Ständerat, als Repräsentant der Kantone, in ,'Seiner Gleichberechtigung neben dem Nationalrate seine Ehre und Stolz darin suchen werde, in gewissenhafter Arbeit dem Lande zu dienen, sein Ansehen und seine freien Institutionen zu wahren.

Gott schütze das Vaterland !

Hierauf begaben sich die Mitglieder des S t ä n d e r a t e s in ·ihren Sitzungssaal.

> Im N a t i o n a l r a t eröffnete sodann Herr Vizepräsident Meister die Session mit einer kurzen Ansprache. Er gedachte der Demission des Präsidenten Ador und des Hinschiedes der Ratsmitglieder Steinemann und Gisi. Letztere beide waren berufene Vertreter der Landwirtschaft, deren Interesse sie in vorzüglicher Weise im Rate verfochten haben. Auch in Zollfragen waren sie wohl bewandert. Zu Ehren des Andenkens der Verstorbenen erhoben sich die Ratsmitglieder von ihren Sitzen.

Im S t ä n d e rat eröffnete Herr Präsident Reichlin die Sitzung mit folgenden Worten :

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Seit unserer Tagung im Dezember des abgelaufenen Jahres hat der unerbittliche Tod zwei Opfer aus den Reihen der Bundesversammlung gefordert.

Am 18. Januar starb in Rümlang (Kt. Zürich) im 62. Altersjahre Herr Gerichtspräsident und Nationalrat Heinrich Steinemann, ein langjähriger Vertreter des Kantons Zürich im schweizerischen Nationalrate.

Geboren am 6. Februar 1840 in Rümlang, auferzogen in landwirtschaftlichen Kreisen und ausgerüstet mit der Schulbildung damaliger Zeit, erwarb sich derselbe durch seine Liebenswürdigkeit und Thatkraft frühzeitig das Zutrauen seiner Mitbürger.

Schon mit 25 Jahren war er Gemeindebeamter und wirkte jahrzehntelang als Gemeinderat und Gemeindepräsident. Später wurde er zum Richter und in kantonale Behörden gewählt und amtete als Gerichtspräsident von Dielsdorf und als Kantonsrat vom Jahre 1888 bis zum Tode.

Im Jahre 1890 rief ihn das Vertrauen seiner Mitbürger in den schweizerischen Nationalrat, in welchem er als bewährter Vertreter der Landwirtschaft bis zu seinem Tode wirkte. Im besten Mannesalter wurde Herr Steinemann aus seinem Wirkungskreise abberufen.

Während seine hühnenhafte Gestalt und sein gesundes Aussehen auf eine lange Lebenszeit schließen ließen, hatte eine heimtückische Krankheit die Eiche am Marke angegriffen und fällte sie vor der Zeit.

Mit Herrn Steinemann ist ein Mann dahingegangen, der wegen seiner erquickenden Ursprünglichkeit, praktischen Lebensanschauung, Arbeitskraft und goldlauterem Charakter seinem Volke ans Herz gewachsen war. Auch wir wollen dem liebenswürdigen Kollegen ein freundliches Andenken bewahren.

Am 28. Februar gelangte die Trauerkunde an uns, daß Herr Nationalrat Gysi auf Bleichenberg bei Solothurn einer seit geraumer Zeit andauernden Krankeit erlegen sei. Herr Gysi war im Jahre 1848 als einziger Sohn eines waekern Landwirtes geboren, erhielt die erste Erziehung an den Stadtschulen in Solothurn und seine weitere Ausbildung in landwirtschaftlichen Schulen anderer Kantone, namentlich im Strickhof.

Ausgerüstet mit theoretischen und praktischen Kenntnissen für sein Berufsleben folgte er seinem Vater in der Bewirtschaftung eines großen landwirtschaftlichen Gutes.

705 Die Landwirtschaft blieb ihm für die Lebensdauer sein Ideal.

Er wirkte bahnbrechend auf diesem Gebiete in seinem Heimatkanton und erwarb sich die Hochachtung und hohes Ansehen unter seinen Mitbürgern.

Im .Jahre 1887 beteiligte sich der Verstorbene lebhaft an ·den politischen Kämpfen seines Heimatkantons und wurde in der Folge in den Kantonsrat und Nationalrat gewählt, welchen Behörden er bis zum Tode angehörte.

In seinem Heimatkanton wurde er' zum Präsidenten der .Staatswirtschaftskommission und des KantonSfates gewählt und .gelangte als Mitglied dieser Behörde zu maßgebendem Einfluß in landwirtschaftlichen und Verwaltungsfragen.

Im Nationalrate gehörte er zu der Gruppe, welche in landwirtschaftlichen Fragen als Autorität galt und wurde im Verlauf der Jahre ein einflußreiches Mitglied zahlreicher Kommissionen.

Mit großem Geschick wußte er als Mitglied der Alkohol- und Zollkommission die Interessen seines Standes und seines Heimatkantons zu vertreten.

Auch Herr Nationalrat Gysi ist allzu früh aus seinem Wirkungskreis abberufen worden. Kräftig gebaut und von Gesundheit strotzend, schien demselben ein langes Leben beschieden zu sein.

Ein hartnäckiges Nierenleiden knickte den sonst so starken Mann im Momente, wo er berufen war, in wichtigen Tagesfragen dem Vaterlande seine guten Dienste zu leisten.

Volk und Behörden des Kantons Solothurn beklagen den Hinscheid ihres hervorragenden Mitbürgers und auch wir wollen seinem Leben und Wirken in Ehren gedenken. Meine Herren, ich lade sie ein, sich zur Ehrung der verstorbenen Herren Nationalräte Steinemann und Gysi von ihren Sitzen zu erheben.

-·^o-ej.-

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