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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch der Witwe Anna Brugger-Emch, Bahnwärterin in Zuchwil, Kanton Solothurn.

(Vom 4. März 1902.)

Tit.

Am 21. O k t o b e r 1901 wurde der Landwirt Gottfried Schnell von Zuchwil, als er mit drei Stuck Vieh einen Eisen'bahnübergang zwischen Derendingen und Neu-Solothurn passieren wollte, beim Herannahen eines Schnellzuges durch die sich herabsenkenden Barrieren auf dem Bahnkörper eingeschlossen. Es gelang ihm noch, mittelst Hebung der einen Barriere das Vieh unverletzt in Sicherheit zu bringen ; er selbst aber wurde von der Lokomotive des Schnellzuges erfaßt und beiseite geworfen, ohne dabei erheblich verletzt zu werden.

Die Bedienung der Barrieren war Sache der Witwe Anna Brugger, dieselbe sollte vollzogen werden mittelst Drahtzuges von einem cirka 400 m. entfernten Wärterposten aus, und zwar gemäß dienstlicher Vorschrift nach vorherigem Warnungssignal mit der Signalglocke. Die Barrierenwärterin hat in der Strafuntersuchung selbst zugegeben, daß sie das Glockenzeichen, welches den Schnell vor dem Betreten des Bahnkörpers gewarnt hätte, nicht gegeben. Sie wurde vom Amtsgericht Bucheggberg-Kriegstetten der fahrlässigen Gefährdung eines Eisenbahnzuges schuldig

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erklärt und mit drei Tagen Gefängnis und zehn Franken Buße bestraft unter Kostenfolge.

Witwe Brugger ersucht um Nachlaß der Gefängnisstrafe, indem sie behauptet, der Unfall sei ohne ihr Verschulden entstanden. Der Gemeindeammann von Zuchwil empfiehlt das Gesuch mit dem Beifügen, die Petentin sei eine brave, gewissenhafte Frau, Mutter von drei unerzogenen kleinen Kindern.

Durch das rechtskräftig gewordene Urteil des Amtsgerichtes Bucheggberg-Kriegsstetten ist die Schuld der Petentin an der Eisenbahngefährdung in solcher Weise festgestellt, daß auf diese Frage in der Begnadigungsinstanz nicht weiter eingetreten werden kann. Dagegen erscheint der Erlaß der Gefängnisstrafe im Wege der Begnadigung im vorliegenden Fall gerechtfertigt mit Rücksicht auf den geringen Grad des Verschuldens der Fehlbaren, den minimen Betrag des eingetretenen Schadens und die Praxis der Bundesbehörden in solchen Fällen bloß fahrlässiger Handlungsweise.

Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den Antrag: ' Es sei der Witwe Brugger die dreitägige in Gnaden zu erlassen.

Gefängnisstrafe

B e r n , den 4. März 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.



Bundesblatt. 54. Jahrg. Bd. I.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch der Witwe Anna Brugger-Emch, Bahnwärterin in Zuchwil, Kanton Solothurn. (Vom 4.

März 1902.)

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Jahr

1902

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10

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05.03.1902

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940-941

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