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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung von vier Verfassungsgesetzen des Kantons Genf.

(Vom 10. Dezember 1886.)

Tit.

Mit Schreiben vom 3. Dezember d. J. übermachte uns der Staatsrath des Kantons Genf vier Verfassungsgesetze, nämlich : 1) Verfassungsgesetz betreffend die Einführung von gewerblichen Schiedsgerichten, vom 29. Oktober 1882; 2) Verfassungsgesetz über die Abändernng der Art. 32 und 33 der Kantonsverfassung vom 24. Mai 1847 betreffend die Zahl der Mitglieder des Großen Rathes, vom gleichen Tage; 3) Verfassungsgesetz betreffend die Abänderung der Art. 27, 30 und 30Ma der Verfassung, vom 26. September 1886, und 4) Veri'assungsgesetz betreffend die Abänderung der Art. 4 und 5 des Verfassungsgesetzes vom 26. August 1868 über die Errichtung eines allgemeinen Spitals, vom 28. November 1886, mit dem Ersuchen, behufs Einholung der eidgenössischen Gewährleistung im Sinne von Art. 6 der Bundesverfassung das Erforderliche veranlassen zu wollen.

Wir haben unserm bezüglichen Antrage nur wenige Bemerkungen vorauszuschicken :

1226 I. Das Ve r f as s u n g s g e s e t z b e t r e f f e n d d i e E i n f ü h r u n g g e w e r b l i c h e r S c h i e d s g e r i c h t e , vom Volke angenommen den 29. Oktober 1882, regelt zunächst die Kompetenz dieser Gerichte und enthält sodann die wesentlichsten Grundsätze über die Wahl der Schiedsrichter (prud' hommes). Die nähere Organisation der gewerblichen Schiedsgeriche (Gewerbegerichte) wurde einem spätem Erlasse vorbehalten.

Der Inhalt des Gesetzes lautet wörtlich, wie folgt: ,,Art. 1. Streitigkeiten, welche auf dem Gebiete des Handels und der Industrie zwischen Arbeitgebern, Fabrikanten oder Handelsleuten und ihren Arbeitern, Angestellten oder Lehrlingen m Betreff des Dienstverhältnisses entstehen, unterliegen der Beurtheilung von gewerblichen Schiedsgerichten (tribunaux de prud'hommes)."

,, Art. 2 Die Mitglieder der gewerblichen Schiedsgerichte (les prud'hommes) werden von den Arbeitgebern, sowie von dea Arbeitern und Angestellten in Separat-Versammlungen und in Gruppen, die aus verwandten Industriezweigen und Berufsarten bestehen, gewählt."

,,Art. 3. In jeder Gruppe wählen die Arbeitgeber, die Arbeiter und Angestellten je gleich viel Mitglieder."

,,Art. 4. Stimmberechtigt und wählbar sind die schweizerischen Arbeitgeber, Arbeiter und Angestellten, sofern sie im Besitze der politischen Rechte sich befinden."

,,Art. 5. Die Art der Wahl, die Zahl der Gruppen und die Organisation der gewerblichen Schiedsgerichte wird durch das Gesetz bestimmt."

A u f h e 1> u n g s b e s t i m in u n g.

,,Es sind aufgehoben : ,,1) Das Gesetz vom 17. September 1879 betreffend die Abänderung von Artikel 10 des Gesetzes vom 21. Oktober 1874 über die Friedensrichterämter.

,,2) Die Artikel 10 und 11 des erwähnten Gesetzes vorn 21. Oktober 1874".

Uebergangsbestimmung.

,,Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über die Organisation der gewerblichen Schiedsgerichte bleibt das Schiedsgericht (tribunal arbitral) in Thätigkeit."

1227 II. Nach Vorschrift von Art. 32 und 33 der Verfassung des Kantons Genf vom 24. Mai 1847 hat die Bezirkswahlversammlung (collège électoral d'arrondissement) auf je 666 Einwohner, resp.

einen Bruchtheil von über 333 Einwohnern, einen Abgeordneten in den Großen Rath zu wählen ; falls jedoch die letztere Behörde auf dieser Grundlage mehr als 100 Mitglieder erhalten würde, soll die Verhältnißzahl, welche zur Wahl eines Abgeordneten berechtigt, auf 800, bezw. einen Bruchtheil über 400, erhöht werden.

In Abänderung dieser beiden Artikel stellt das neue V e r fassungsgesetz betreffend die Zahl der Großrathsm i t g l i e d e r , welches ebenfalls am 29. Oktober 1882 vom Volke angenommen worden ist, folgende Bestimmungen auf: ,,Art. 32 (abgeändert). Die Wahlversammlung eines jeden Bezirkes (collège électoral de chaque arrondissement) wählt auf je 1000 Einwohner einen Abgeordneten in den Großen Rath.

Ein Bruchtheil über 500 berechtigt zur Wahl eines weitern Abgeordneten a ,,Art. 33 (abgeändert). So oft in Zukunft nach einer eidg.

Volkszählung der Große Rath gemäß der Gesammtzahl der Bevölkerung über 100 Mitglieder zählen würde, soll die Verhältnißzahl, welche zur Wahl eines Abgeordneten berechtigt, durch Gesetzesbeschluss um so viele Hundert erhöht werden, als dies unbedingt nothwendig ist, um die obgenannte Mitgliederzahl nicht zu überschreiten."

III. Am 26. September 1886 hat das Volk des Kantons Genf einer weitern Modifikation der kantonalen Verfassung vom Jahre 1847 durch Annahme des V e r f a s s u n g s g e s e t z e s b e t r e f f e n d A b ä n d e r u n g d e r A r t . 2 7 , 3 0 u n d 30bis d e r V e r f a s s u n g seine Genehmigung ertheilt.

Dieses neue Gesetz lautet, wie folgt: Einziger Artikel.

,,Die Artikel 27, 30 und 30bis der Verfassung werden durch folgende Artikel ersetzt: ,,Art. 27. Bei allen Abstimmungen übt der Wähler sein Stimmrecht in derjenigen Gemeinde aus, in deren Stimmregister er eingetragen ist."

,,Die kantonalen Wahlen finden mittelst geheimen Listenskrutiniums statt."

1228 ,,Die Bestimmungen des Art. 37*) finden auf die Wahl des Staatsrathes Anwendung."

,,Die Bureaux, welche die Wahlverhandlung geleitet nahen, versammeln sich am Tage nach der Wahl in öffentlicher Sitzung, um zur Zusammenstellung der Stimmen zu schreiten, die Gültigkeit der Wahlverhandlungen auszusprechen und das Wahlresultat festzustellen."

,,Art. 30. Die weitern Vorschriften betreffend die Abstimmungen werden durch das Gesetz aufgestellt."

U e b e r g a n g s - u n d Zusatzbestimmungen.

,,Der Staatsrath wird die nöthigen Maßnahmen treffen, damit bei der Volksabstimmung don Wählern folgende zwei Fragen vorgelegt we.rden : 1) Wollt Ihr den Gesetzesentwurf annehmen, soweit er die Wahl des Staatsrathes betrifft?

2) Wollt Ihr den Gesetzesentwurf annehmen, soweit er die übrigen Wahlen und Abstimmungen betrifft?

Der Staatsrath ist beauftragt, dem Großen Rathe einen Gesetzesentwurf, der die Wahlgesetzgebung mit den vorerwähnten Bestimmungen in Einklang bringt, vorzulegen."

Gemäß den bisher geltenden Verfassungsbestimmungen hatten die Bürger bei allen eidgenössischen und kantonalen Wahlen und Abstimmungen (mit Ausnahme derjenigen für den Staatsrath) in dem Wahlkreise, in dem sie domizilirt waren (Art. 31 bis), an dem durch das Vollziehungsgesetz zu Art. 31bis bezeichneten Hauptorte des Kreises ihre Stimme abzugeben; die Wahl des Staatsrathes dagegen wurde von der Gesammtheit der Wähler des ganzen Kantons in einer General-Wahlversammlung (conseil général) in der Stadt Genf vorgenommen. Nach der vorliegenden Verfassungsänderung soll nun in Zukunft der Wähler bei allen Wahlen und Abstimmungen, die Wahl des Staatsrathes inbegriffen, sein Stimmrecht in derjenigen Gemeinde, auf deren Stimmregister er figurirt, ausüben.

*) Art. 37 der Verfassung des Kantons Genf vom 14. Mai 1847 lautet folgendermaßen: ,,Als Abgeordneter in den Großen Rath ist gewählt, wer bei der Listen wähl die relative Stimmenmehrheit erhalten hat, vorausgesetzt, daß diese Mehrheit nicht unter einem Dritttheil der Stimmenden bleibt" ,,Ist ein zweiter Wahlgang nöthig, so entscheidet bei demselben das relative Stimmenmehr."

,,Im Falle der Stimmengleichheit gilt der Aelteste als gewählt."

1220 IV. Das vierte Verfassungsgesetz endlieh betrifft die A b ä n d e r u n g der Ar t. 4 und 5 des V e r f a s s u n g s g e s e t z es vom 26. A u g u s t l 8 6 8 ü b e r d i e E r r i c h t u n g e i n e s a l l g e m e i n e n S pitales.

Ueber Bedeutung und Tragweite des zuletzt erwähnten Gesetzes vom 26. August 1868 haben wir seiner Zeit in unserer Botschaft vom 2. Dezember 1868 (Bundesblatt 1868, III, 942) in ausführlicher Weise uns ausgesprochen. Die vorliegende Modifikation dieses Gesetzes, welche unterm 28. November d. J. vom Volke sanktionirt worden ist, .bezweckt die Ausscheidung des Vermögens der protestantischen Nationalkirche aus dem Fonds der genferischen Hypothekarkasse, mit dem es bis anher vereinigt war, sowie die Aushingabe dieses Vermögens an das Konsistorium.

Bezüglich der nähern Details verweisen wir auf den Inhalt des Gesetzes selbst, desaen Wortlaut nachstehend angeführt wird : Einziger Artikel.

,,Der Art. 4 des Gesetzes vom 26. August 1868 wird abgeändert, wie folgt: ,,Das Vermögen der protestantischenNationalkirche im Betrage von Fr. 800,000, welches bisher mit dem Kapital der Hypothekarkasse vereinigt war, wird diesem Fonds entnommen und dem Konsistorium übermittelt in der Form von unveräußerlichen Titeln jener Kasse. Diese Titel tragen einen festen Zins von 5°/o. Die alljährliche Zinszuwendung von Fr. 40,000 an dus Konsistorium fällt daher für die Zukunft weg."

,,Dagegen wird das Kapital der Hypothekarkasse mittelst Vorschüssen seitens des Staates um Fr. 897,020 erhöht, nämlich um Fr. 533,556 für Rechnung der Gemeinden Aire-la-Ville, Anières, Avusy, Bardonnex, Bellevue, Bernex, Carouge, Chêne-Bourg, Choulex, Collex-Bossy, Collonge-Bellerive, Confignon, Corsier, Hermance, Laconnex, Lancy, Meinier, Meyrin, Onex,Perly-Certoux, Plan-les-Ouates, Pregny, Presinge, Puplinge, Grand-Sacconnex, Sorai, Thônex, Troinex, Vernier, Versoix und Veyrier, und um Fr. 363.464 für Rechnung der Gemeinden Eaux-Vives. Plainpalais und Petit-Saconncex."

,,Die dieser Kapitalvermehrung entsprechenden Antheile der vorgenannten Gemeinden am Vermögen der Hypothekarkasse werden in unveräußerlichen Titeln von gleichem Werthe wie die frühem ausgewiesen.a ,,Diese Zutheilung geschieht durch das Gesetz nach Maßgabe der Bevölkerung jeder einzelnen dieser Gemeinden, wobei jedoch

1230 die Antheilsrechte am Vermögen der Hypothekarkasse, welche die Gemeinden schon besitzen, in Anschlag gebracht werden."

,,An Zinsen und Dividenden der Kusse sind die Gemeinden nach Verhältniß der von ihnen eingezahlten Summen antheilberechtigt."

,,Die behufs Erhöhung des Kapitals vom Staat gemachten Vorschüsse werden in der Art an denselben bis zu deren Tilgung zurückerstattet, daß zwei Drittel der jährlichen Erträgnisse der Titel, die sich im Besitze der in gegenwärtigem Artikel aufgezählten Gemeinden befinden, von ihnen einzufühlen sind."

,,Die Gemeinden bleiben mit der Unterhaltung der für den Kultus und den öffentlichen Unterricht bestimmten, ihnen gehörenden Gebäude belastet."

,,Artikel 5 des Gesetzes vom 26. August 1868 wird aufgehoben und durch folgenden Artikel 5 ersetzt: ,,Art. 5. Durch das Gesetz wird die Art der Ernennung der Verwaltung der Hypothekarkasse, sowie der Modus der Revision ihrer Statuten festgesetzt werden."

Uebergangsbestimmungen ,,Die zur Zeit der Promulgation dieses Gesetzes bestehenden Reserve- und Tilgungsfonds verbleiben den bisherigen Titelinhabern. Die Reserve, welche alle 5 Jahre zu vertheilen ist, wird sofort den betreffenden Eigentümern ausgehändigt. Deifeste Reservefonds und der Amortisationsfonds werden unter sie, einschließlich der Zinsen, nach Maßgabe der Wiederherstellung dieser Fonds vertheilt."

Da die oben mitgetheilten Verfassungsgesetze des Kantons Genf nichts enthalten, was mit der Bundesverfassung im Widersprüche stände, und außerdem auch die formellen Erfordernisse zu ihrer bundesmäßigen Garantie vorhanden sind, so glauben wir ohne weitere Erörterungen den Antrag stellen zu können, es sei diesen Verfassungsgesetzen mittelst nachfolgender Schlußnahme die Gewährleistung des Bundes zu ertheilen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 10. Dezember 1886.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

1231 (Entwurf)

Bundesbeschluß betreffend

die Garantie von vier Verfassungsgesetzen des Kantons Genf.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht eines Berichtes und Antrages des Bundesrathes vom 10. Dezember 1886 über vier Verfassungsgesetze des Kantons Genf, nämlich: a. Verfassungsgesetz betreffend die Einführung von gewerblichen Schiedsgerichten, vom 29. Oktober 1882.

b. Verfussungsgesetz über die Abänderung der Art. 32 und 33 der Kantonsverfassung vom 24. Mai 1847 betreffend die Zahl der Mitglieder des Großen Rathes, vom 29. Oktober 1882; c. Verfassungsgesetz vom 26. September 1886 behufs Abänderung der Art. 27, 30 und 30bis der Verfassung, und d. Verfassungsgesetz betreffend die Abänderung der Art. 4 und 5 des Verfassungsgesetzes vom 26. August 1868 über die Errichtung eines allgemeinen Spitales, vom 28. November 1886, in B e t r a c h t : daß diese vier Verfassungsgesetze in keiner Weise mit der Bundesverfassung im Widerspruche stehen; Bundesblatt. 38. Jahrg. Bd. III.

86

1232 daß dieselben von der Mehrheit des Volkes des Kantons Genf angenommen sind, beschließt: 1. Den oben erwähnten vier Verfassungsgesetzen des Kantons Genf wird die bundesgemäße Garantie ertheilt.

2. Der Bundesvath wird mit der weiteren Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

1233

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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend Konzession einer Rhonebahn von Brig nach Airolo.

(Vorn 10. Dezember 1886.)

Tit.

Unterm 18. März 1886 überreichte Herr Ingenieur Roman Abt in Bünzen dem Bundesrathe, als Beitrag zur Lösung der Simplonfrage, eine Druckschrift über eine Rhonebahn von Brig nach Airolo zur Verbindung der bestehenden Simplonlinie mit der Gotthardbahn und ließ dieser Eingabe für den Fall, daß die Initiative zur Verwirklichung des Projektes der Privatthätigkeit überlassen werden sollte, zu Händen einer zu bildenden Aktiengesellschaft ein förmliches Konzessionsgesuch für Bau und Betrieb einer normalspurigen Eisenbahn zwischen Brig und Airolo, nebst den hiefür gesetzlich vorgeschriebeneu Vorlagen, folgen.

Wir entnehmen denselben nachstehende Angaben.

Der Konzessionspetent geht davon aus, daß die Westbahn, um die Rentabilität ihres bestehenden Netzes zu erhöhen, nothwendig der Verbindung mit Italien bedürfe, zu diesem Zwecke aber keine übermäßigen Opfer bringen dürfe, und daß die seit Langem angestrebte Verbindung über den Simplon entweder ein zu großes und daher unaufbringliches Baukapital oder bei Annahme eines Spezialsystems zu große Betriebskosten erfordere, als daß die Realisirung in absehbarer Zeit wahrscheinlich sei. Als ein anderer Weg, zum Ziele zu gelangen, soll die Verbindung mit der Gott-

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung von vier Verfassungsgesetzen des Kantons Genf. (Vom 10. Dezember 1886.)

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1886

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52

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18.12.1886

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1225-1233

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