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Schweizerisches Bundesblatt.

38. Jahrgang. I.

Nr. 7.

20. Februar 1886.

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Beschluß des

Bundesrathes über den Rekurs der Herren Molo, Bruni und Curti in Bellinzona, betreffend das tessinische Kirchengesetz.

(Vom 17. Februar

1886.

Der schweizerische B u n d e s r a t h hat nach Einsicht des Rekurses, welcher am 10. dies von Valentino M o l o , Germano B r u n i und Curzio C u r t i , alle in Bellinzona, gegen den Beschluß der Regierung von Tessin vom 9. dies erhoben wurde : der Vernehmlassung der Regierung von Tessin vom 12./13. dies; sowie des Berichtes des eidg. Justiz- und Polizeidepartements, nebst Akten, woraus sich ergibt: 1. Anläßlich der gegenwärtig im Kanton Tessili stattfindenden Unterzeichnung des Begehrens, daß das Kirchengesetz vom 28. Januar abhin dem Volke zur Abstimmung vorgelegt werden solle, hat der Staatsrath von Tessin unterm 9. dies beschlossen, die Gemeindevorsteher seien angewiesen, die Bescheinigung der Stimmberechtigung bei solchen Bürgern zu verweigern, welche auf den Referendumsbogen nicht eigenhändig Namen, Taufnarnen und den Namen des Vaters einschreiben. Dieser Beschluß wurde auf Verlangen eines Gemeinderathes gefaßt, welcher wissen wollte, ob die Liste auch die Namen Solcher enthalten dürfe, welche nicht schreiben können, sondern nur mit einem Kreuze unterzeichnen.

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2. Die Herren Valentino Molo, Advokat Germano Bruni uni) Doktor Curzio Curti, Mitglieder des tessinischen Kantonalkomite für die Volksabstimmung über das tessinische Kirchengesetz, rekurrirten gegen diesen Beschluß an den Bundesrath, da derselbe im Widerspruch stehe mit Art. 7 destessinischenn Verfassungsgesetzes v o m 10. Februar 1883 und mit Art. 4 destessinischenn Gesetzes v o m 16. Mai 1883 über das Referendum, indem jener Beschluß di e Wirkung habe, die des Schreibens Unkundigen eines ihrer bürgerlichen Rechte zu berauben, d. h. des Rechtes, die Volksabstimmung über die Gesetze zu verlangen.

3. In ihrer Vernehmlassung auf diesen Rekurs sucht die tessinische Regierung darzuthun, daß, entgegen dein Rekurse, ihr Be Schluß vom 9. dies den Vorschriften des Gesetzes vom 16. Mai 1883 entspreche, laut welchem die Bürger, welche das Referendumsbegehren stellen oder unterstützen wollen, dies persönlich erklären müssen, indem sie dem Munizipalamt der Gemeinde, wo sie ihr politisches Domizil haben, ihren Namen, Taufnamen und den Namen des Vaters anzugeben haben.

4. Aus dem tessinischen Gesetze vom 16. Mai 1883 über ,,Anwendung des Referendums" erhellt, daß der Staatsrath, als letzte kantonale Instanz, darüber zu entscheiden hat, welche Unterschriften unter den Referendumsbegehren gültig erscheinen und welche dagegen als ungültig zu annulieren sind ; in Erwägung: Die angefochtene Schlußnahme hätte, wenn sie aufrecht bliebe, zur Folge, daß den Schreibunkundigen das Recht auf Anbegehrung des Referendums einfach entzogen würde. Nun räumt aber das tessinische Verfassungsgesetz vom 10. Februar 1883 allen stimmberechtigten Bürgern das Recht ein, an dem Referendumsbegehren Theil zu nehmen, und der Art. 4 der Bundesverfassung gewährleistet ebenso allen Bürgern die Gleichheit vor dem Gesetze» Demnach ist der Beschluß der Tesainer Regierung vom 9. dies im Widerspruche mit Art. 7 des tessinischen Verfassungsgesetzes von 1883 und mit Art. 4 der Bundesverfassung.

Allerdings steht es der tessinischen Regierung zu, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Person und die Identität derjenigen Bürger gehörig festzustellen, welche ihren Anschluß an ein Referendumsbegehren nur durch ein Kreuz zu bezeugen im Falle sind; allein diese Maßnahmen dürfen nicht derart sein, daß sie diese Bürger eines ihrer Rechte gänzlich berauben.

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Es ist übrigens zu konstatiren, daß nach den Formularen für das Begehren um Volksabstimmung über das Kirchengesetz die Kreuze wie die Unterschriften in Gegenwart des Gemeindevorstehers oder seines Stellvertreters anzubringen sind, welcher sodann beseheinigt, daß das Kreuz in seiner Gegenwart beigesetzt wurde und daß der betreffende Bürger in der Gemeinde stimmberechtigt ist.

Auch ist zu bemerken, daß beim Referendumsbegehren, welches im Jahr 1885 in Bezug auf die Tessinkorrektion stattfand, 642 Bürger das Referendumshegehren nur mit einem Kreuze unterzeichneten und daß deren Namen gleichwohl unter der Gesammtziffer der an jenem Begehren in gültiger Weise theilnehmenden Bürger mitgezählt wurden.

Es darf sodann noch erwähnt werden, daß bei Ausübung des eidgenössischen Referendums, in Vollziehung von Art. 89 der Bundesverfassung und Art. 5 des eidgenössischen Referendumsgesetzes vom 17. Juni 1874, welche Artikel gleichartige Bestimmungen wie diejenigen der tessinischen Gesetze enthalten, die Kreuze stets als gültige Unterschriften anerkannt wurden, wenn sie gehörig beglaubigt waren ; beschlossen: 1. Der Beschluß der Tessiner Regierung vom 9. Februar 1886, betreffend die Theilnahme der schreibunkundigen Bürger am Begehren um Volksabstimmung über das Kirchengesetz, wird aufgehoben.

2. Dieser Beschluß ist der Regierung von Tessin und (leu Rekurrenten mitzutheilen.

B e r n , den 17. Februar 1886.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes.

Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Ringier.

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Beschluß des Bundesrathes über den Rekurs der Herren Molo, Bruni und Curti in Bellinzona, betreffend das tessinische Kirchengesetz. (Vom 17. Februar 1886.)

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20.02.1886

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