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Aus den Verhandlungen des Schweiz. Bundesrathes.

(Vom 14. September 1888.)

Laut Anzeige der Kursinspektion der Vereinigten Schweizerbahnen an das Präsidium des Polizeigerichts Glarus, d. d. St. Gallen 28. Mai 1888, haben drei Radfahrer aus dem Kanton St. Gallen am 20. Mai Î888 aus dem Zuge Nr. 85 der Vereinigten Schweizerbahnen in den Tunnels zwischen Weesen und Mühlehorn, also auf glarnerischem Gebiete, wiederholt Revolverschüsse abgefeuert oder Knallpatronen aus den Fenstern geworfen.

Das erwähnte Kursinspektorat stützte seine Anzeige auf Art. 6 des eidgenössischen Bahnpolizeigesetzes.

Die Beklagten bestritten den Gerichtsstand in Glarus, worauf das Polizeigericht Glarus die Angelegenheit an das Bezirksgericht St. Gallen überwies.

Nun lehnte aber die Staatsanwaltschaft St. Gallen die Anhandnahme ab, weil die St. Galler Gerichte nicht kompetent seien.

Das Polizeigericht Glarus beharrte auf seinem Entscheide, worauf die Direktion der Vereinigten Schweizerbahnen bei der Regierung des Kantons Glarus Beschwerde führte, davon ausgehend, daß eine Uebertretung von Art. 5 des Bundesgesetzes über die Bahnpolizei vorliege, die nicht ungeahndet bleiben dürfe. Zur Begründung führte sie Folgendes an : ,,Was die eingeklagte Uebertretung anbetrifft, so ist dieselbe wegen der möglichen Verwechslung der Schüsse mit dem Knallkapselsignal, welche das in Tunnels nicht unbedenkliche und stets mit Beängstigung der Reisenden verbundene Anhalten des Zuges hätte zur Folge haben müssen, der Art, daß wir die Sache nicht auf sich beruhen lassen können, sondern durchaus auf Bestrafung der Fehlbaren dringen müssen."

Die Regierung von Glarus überwies die Angelegenheit dem Obergerichte, welches am 6. August die Beschwerde der Direktion der Vereinigten Schweizerbahnen als begründet erklärte und die Akten an das Polizeigericht zurücksandte, mit der Einladung, unter Beachtung von Art. 16 des Bundesgesetzes betreffend das Verfahren bei Uebertretungen fiskalischer und polizeilicher Bundesgesetze vom 23. Juli 1849 in Verbindung mit Art. l und 7 des Bundesgesetzes

116 betreffend Handhabung der Bahnpolizei, vom 13. Februar 1878, einen neuen Beschluß zu fassen.

Inzwischen ist das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement durch die Presse auf den Fall aufmerksam gemacht worden und der Bundesrath hat nun, nach Einsichtnahme und Prüfung der bezüglichen Akten, auf Antrag des Departements, in E r w ä g u n g : 1) daß gemäß litt, b, kombinirt mit litt, a, von Art. 67 des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht Derjenige der fahrläßigeu Gefahrdung eines Eisenbahnzuges sich schuldig macht, welcher durch irgend eine Handlung leichtsinniger Weise die auf einer Eisenbahn befindlichen Personen oder Waaren einer erheblichen Gefahr aussetzt; 2) daß diese Vorschrift auf die Handlungsweise der Beklagten Anwendung zu finden scheint, weil das Abfeuern von Waffen uud das Werfen von Knallpatronen in einem Tunnel leicht geeignet ist, das Bahnpersonal irre zu leiten und Verwirrung im Dienste herbeizuführen, sowie die Mitreisenden in Angst und Schrecken zu versetzen, insbesondere, wenn der leicht mögliche Fall gedacht wird, daß das Geschoß von der Tunnelwandung in den Wagen zurückgeschleudert werden könnte (vergleiche ähnlichen Fall Bundesblatt 1885, II, 715, Ziffer 17); 3) daß der Umstand, daß die ursprüngliche Anzeige bloß auf das Bundesgesetz über die Bahnpolizei sich stützt, der Subsumirung der fraglichen Handlungen unter das richtige Strafgesetz nicht entgegensteht, zumal bei der Einleitung des Verfahrens die Vorschriften der bezüglichen Kreisschreiben des Bundesrathes nicht beobachtet worden (Bundesblatt 1873, III, 377, und 1886, III, 581) und überdies gemäß Art. 10 des erwähnten Gesetzes über die Bahnpolizei schwerere Polizeiübertretungen, sobald sie als absichtliche oder fahrläßige Gefährdung von Eisenbahnzügen erscheinen, im Sinne von Art. 67 des Bundesstrafrechtes zu verfolgen sind; 4) daß nach Vorschrift von Art. 74 des Bundesstrafrechtes der Entscheid über den Gerichtsstand bezüglich der gemäß Art. 67 des gleichen Gesetzes strafbaren Handlungen oder Unterlassungen dem Bundesrathe zusteht und daß dieser Entscheid auch im jetzigen Stadium nachgeholt werden kana (Amtliche Sammlung der bundesgerichtlichen Entscheide, Band I, Seite 290); o) daß, nachdem die eingeklagten Handlungen auf dem Gebiete des Kantons Glarus stattgefunden haben, nach allgemeinen Grund-

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Sätzen des Strafrechts die Gerichte dieses Kantons zunächst als kompetent anerkannt werden müssen, zumal sie auch die Praveiitiou für sich haben; 6) daß endlich, da es sich um die Anwendung und Vollziehung eines für die ganze Schweiz gleichmäßig verbindlichen Gesetzes handelt, gemäß verschiedenen Entscheiden des Bundesrathes alle andern Kantone zur Rechtshülfe, also eventuell auch zur Auslieferung der Angeschuldigten verpflichtet sind (Bundesblatt 1873, II, 59, litt, d; -- 1877, II, 545, Ziff. 11; -- 1886, I, 982, Ziff. 25; -- 1887, II, 728, Ziff. 34), beschlossen: Es sei gemäß Art. 74 des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht, vom 4. Februar 1853, die Untersuchung betreffend die am 20. Mai 1888 in den Tunnels zwischen Weesen und Mühlehom vorgefallene Gefährdung des Eisenbahnbetriebes und die Beurtheilung des oder der Urheber und Gehülfen den Gerichten des Kantons Glarus zu übertragen.

(Vom 18. September 1888.)

Der Bundesi-ath hat den ihm vorgelegten Entwurf zu einer Organisation des schweizerischen Auswanderungsbureau genehmigt und das Departement des Auswärtigen beauftragt, die Stelle eines Chefs der zweiten Abtheilung provisorisch zu besetzen.

Nach der neuen Organisation zerfällt das dem Departement beigegebene Bureau in zwei Abtheilungen, von denen die eine die Aufsicht über den Geschäftsbetrieb der Agenten, Unteragenten und Passagebilletsverkäufer führt (administrative Abtheilung), die andere die Vertretung der Interessen der schweizerischen Auswanderung im Allgemeinen bei den betreffenden Stellen in andern Staaten uud die Ertheilung von Auskünften, Käthen und Empfehlungen an Auswanderer zur Aufgabe hat (kommissarische Abtheilung).

Herr Huber, in Amrisweil, Kts. Thurgau, Besitzer eines im Jahr 1885 für die Ausübung der zahnärztlichen Praxis im Kanton Solothurn ertheilten Patentes, hat unter Berufung auf Art. l des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 1886, welches die Bestimmungen desjenigen vom 19. Dezember 1877 auch auf die Zahnärzte ausdehnt, an den Buudesrath das Gesuch gestellt, als zur Ausübung des Be-

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Der Bundesrath hat dieses Begehren abgewiesen, weil er gefunden : Der Text der vom Petenten angerufenen Stelle in Art. l, litt, b, des Gesetzes vom 19. Dezember 1877 laute dahin, daß zur freien Ausübung ihres Berufes im Gebiete der ganzen Eidgenossenschaft befugt seien ,,diejenigen Personen der genannten Berufsarten, welche vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes ein Diplom des Konkordates vom 2. August 1867 oder auf eine kantonale Prüfung hin ein Patent erworben haben, das zur unbedingten Praxis in demjenigen Kanton berechtigt, welcher dasselbe ausgestellt hat".

Das vom Petenten vorgewiesene zahnärztliche Patent für den Kanton Solothurn vom 12. Mai 1885 laute nun hloß dahin, daß ihm ,,auf Vorweis ausreichender Ausweise die Bewilligung zur Aus ühung der zahnärztlichen Praxis im Kanton Solothurn ertheilt" werde, lasse aber die nothwendige und entscheidende Angabe, daß sich diese Bewilligung zur Berufsausübung auf eine von ihm bestandene Prüfung stütze, vermissen. Das vorgelegte sogenannte Patent zur Ausübung des Zahnarztberufes im Kanton Solothurn könne daher nicht als ein genügender Ausweis für die Inanspruchnahme der in Art. l, litt, b, des Gesetzes vom 19. Dezember 1877 liegenden Vergünstigung betrachtet werden.

An die Stelle des verstorbenen Hrn. Dr. Challand, Direktors des Krankenhauses in Céry, ist Hr. Dr. Emil D i n d , Chef des Sanitätsdienstes des Kantons Waadt, in Lausanne, zum Mitglied des leitenden Ausschusses für die eidgenössischen Medizinalprüfungen und damit zum Ortspräsidenten der medizinischen Prüfungskommissionen von Lausanne gewählt worden.

Die Damen Anna und Martha de Geslin, Mitglieder des ,,Institut des Franciscaines Missionnaires de Marie" haben mit Eingabe vom 15. August vom Bundesrath die Bewilligung nachgesucht,- in Freiliurg ein Haus zu erwerben, das. den durch ihre Thätigkeit in heißen Ländern erschöpften Missionären, Mitgliedern des Instituts, als Absteigequartier und Erholungsort dienen könnte.

119 Das Begehren ist der Regierung des Kantons Freiburg zur Vernehmlassung mitgetheilt worden. Die Regierung hat erwidert, so viel ihr bekannt, stehe nichts im Wege, daß diese Damen französischer Nationalität von der Wohlthat des schweizerischfranzösischen Niederlassungsvertrages Gebrauch machen. Uebrigens sei sie nicht im Falle, über den Zweck des fraglichen Instituts Auskunft zu ertheilen.

Der Bundesrath hat beschlossen, es sei die Regierung von Freiburg zu ersuchen, den Gesuchstellerinnen mitzutheilen, daß es, um der Wohlthat des schweizerisch-französischen Niederlassungsvertrags theilhaftig zu sein, genüge, sich über die französische Nationalität auszuweisen, und daß sie der hierseitigen Bewilligung nicht bedürfen, um ein Grundstück in Freiburg zu dem Zwecke zu erwerben, um den Mitgliedern der Vereinigung die zur Erhaltung ihrer Gesundheit nöthige Pflege zu sichern.

Gleichzeitig möge sie ihnen aber eröffnen, daß der Bundesrath, wenn sie später versuchen sollten, ihr Haus in ein Kloster umzuwandeln oder in der Schweiz als religiöser Orden thätig zu sein, sich genöthigt sähe, den Art. 52 der Bundesverfassung gegen sie zur Anwendung zu bringen.

Zum Schlüsse wird bemerkt, der Bundesrath rechne darauf, die Regierung werde, sollte ein solcher Versuch gemacht werden, den Bundesrath in Kenntniß setzen und mit ihm darüber wachen, daß die Bundesverfassung nicht verletzt werde.

(Vom 21. September 1888.)

Der Bundesrath hat nach Anhörung der betheiligten Kantonsregierungen das Reglement für den Schleusendienst in Nidau genehmigt.

An das auf den 30. September nächsthin in Bern angesetzte Pferderennen hat der Bundesrath für Preise im Trabfahren und Trabreiten (Zuehtrennen) einen Bundesbeitrag von Fr. 800 zu geben beschlossen.

Der Bundesrath- hat die Frage, ob eine bezahlte MilitäTpflichtersatzsteuer sofort zurückzuerstatten sei; wenn der Wiederholungskurs, für dessen Versäumnis die Steuer bezahlt wurde, nachgeholt worden ist, oder aber erst dann, wenn der Wehrpflichtige alle 4,

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resp. 5 Wiederholungskurse bestanden hat, im Sinne der sofortigen Rückerstattung entschieden.

Die in Locarno erscheinende Zeitung ,,Dovere" macht in ihrer Nr. 139 die eidgen. Behörden auf das Verhalten aufmerksam, welches immer mehr seitens der katholischen Geistlichkeit gegenüber den Civilbegräbnissen eingeschlagen werde. Sie erwähnt namentlich einen Fall, der sich in der tessinischen Gemeinde Claro zugetragen habe. Dort habe der Priester Berrini, von Schignano (Italien), arn Sonntag den 30. August von der Kanzel herab verkündigt, daß der durch das Civilbegräbniß des Großrathes Antonio Dellamonica entweihte Kirchhof im Laufe des Tages wieder werde eingeweiht werden, was dann auch wirklich geschehen sei.

Der Bundesrath hat die Regierung des Kantons Tessin eingeladen, über die in jener Zeitung erwähnten Vorgänge eine Untersuchung zu veranstalten und eventuell von sich aus die nöthigen Anordnungen zu treffen, daß dieselben sich nicht wiederholen und daß die Bundesverfassung nicht verletzt werde.

Der Bundesrath hält dafür, daß in der dem Priester Berrini zur Last gelegten Handlung wirklich eine Verletzung der Bundesverfassung vorliege. Solche Handlungen seien mit Art. 53, Abs. 2, der Bundesverfassung, welcher jedem Verstorbenen auf eine schickliche Beerdigung Anspruch gebe, im Widerspruch, sie verstoßen gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit und können den öffentlichen Frieden unter den Angehörigen der verschiedenen Roligionsgenossenschaften stören.

Der Bundesrath hat beschlossen, es seien beim Hauptpostbüreau Zürich auf den 15. Oktober d. J. vier neue Postkommisstellen zu errichten.

Vom Bundesrathe sind gewählt worden: (am 18. September 1888) als Posthalter und Telegraphist in Acquarossa: Hrn. Giacomo Gianella, von und iü Sottigna (Tessin).

(am 21. September 1888) zum Grenzwachtchef in Basel : Hr. Meinrad Meier, von Wohlen, bisheriger Chef der Grenzg wachtmannschaft ;

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als Postkommis in St. Gallen: ,,

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Hr. Jak. Haselbach, Postaspira ut, von Altstädten, in St. Gallen; ,, Job. Joseph Klaus, Postaspirant, von Niederhelfenschwyl (St. Gallen), in Thusis (Graubünden).

Bekanntmachungen von

Departementen und andern Vewaltungsstellen des Bundes.

Sterbefälle infolge der nachgenannten Infektionskrankheiten in den Städten Zürich, Genf, Basel, Bern, Lausanne, Chaux-de-Fonds, St. Gallen, Luzern, Neuenburg, Winterthur, Biel, Schaffhausen, Freiburg, Herisau und Lode, gemeldet vom 9. bis 15. September 1888.

(Bei Zürich sind immer auch die Fälle der neun Ausgemeinden, bei Genf diejenigen von Plainpalais und Eaux-Vives mitbegriffen.)

Pocken. -- Masern. -- Scharlach. -- Diphteritis und Croup. Zürich l, Bern 1.

Keuchhusten. Zürich l, Basel l, Chaux-de-Fonds l, Luzern 1.

Rothlauf. St. Gallen 1.

Typhus. Zürich l, Bern l, Chaux-de-Fonds l, Herisau 1.

Infektiöse Kindbettkrankheiten. Bern 1.

Eidg. statistisches BUreau.

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22.09.1888

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