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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über den am 19. Januar 1886 in Santiago zwischen der Schweiz und Chile abgeschlossenen Schiedsgerichtsvertrag (Vom 23. Juni 1886.)

Tit.

Aus unsero Geschäftsberichten pro 1883, 1884 und 1885 haben Sie ersehen können, daß der Ersatz der Schädigungen, welche schweizerische Angehörige im letzten Kriege Chile's gegen Peru und Bolivia durch die Operationen der chilenischen Truppen erlitten haben, und die deßhalb von jenen hierseits eingelangten Reklamationen uns zu wiederholten und langwierigen Verhandlungen mit der Regierung von Chile veranlaßt haben, welche endlich durch den Abschluß einer zwischen beiden Staaten abgeschlossenen Schiedsgerichtskonvention ihre Erledigung gefunden haben.

Bevor wir zur Besprechung dieser Konvention übergehen, gestatten wir uns, Ihnen in einem gedrängten Resumé den Gang der Verhandlungen, welche vom Jahre 1883 bis heute gedauert haben, auseinanderzusetzen. Da Chile sich weigerte, unsern zuerst gestellten Verlangen zu entsprechen und die Vereinbarungen der von ihm mit mehreren Staaten, so mit Frankreich, Italien, dem Deutschen Reich abgeschlossenen Schiedsverträge auch auf die Schutzbefohlenen der mitkontrahirenden Staaten, zu denen auch die Schwein gehört, auszudehnen, es sei denn, daß förmliche Vereinbarungen vorliegen, so mußten wir Schritte thun, damit die Interessen der unter fremden Schutz gestellten Schweizer gleichwohl nach Möglichkeit gewahrt

861 würden. Zu diesem Zwecke beauftragten wir unsern Minister in Paris, mit seinem Kollegen, dem Minister von Chile bei der französischen Republik, in Unterhandlungen zu treten behufs Entwerfung der Grundlagen einer Uebereinkunft zur Regelung der Stellung der schweizerischen Entschädigungsberechtigten. Schon vorher hatte sich sowohl die französische Regierung als auch das auswärtige Amt des Deutschen Reiches bereit erklärt, auf hierseitigen Wunsch Namens der Schweiz mit Chile einen Vertrag abzuschließen, daß die Reklamationen der-unter französischem, resp. deutschem Schutz stehenden Schweizer dem Entscheide des Schiedsgerichtes unterstellt würden, welches die Ansprüche französischer, beziehungsweise deutscher Reichsangehöriger zu erledigen hat. Da indessen, wenn wir diese Vorschläge angenommen hätten, mit Chile seitens der Schweiz wenigstens zwei Verträge abgeschlossen werden mußten, einer für die unter französischem und einer für die unter deutschem Schutze stehenden Schweizer, und sich außerdem bald noch die Notwendigkeit herausgestellt hätte, daß auch für die unter amerikanischem oder italienischem Schutze befindlichen Schweizer in gleicher Weise vorgegangen würde, glaubten wir das freundschaftliche Anerbieten der betreffenden Staaten unter bester Verdankung ablehnen zu sollen.

Wir hielten es für angemessener, statt mit Chile verschiedene Verträge einzugehen, einen e i n z i g e n abzuschließen, und zwar in dem Sinne, daß die Schweiz und Chile, unter Vorbehalt der Zustimmung der betheiligten andern Staaten (Frankreich, Deutschland,. Vereinigte Staaten Amerika's etc.), sowie auch des als Schiedsrichter angerufenen Kaisers von Brasilien, dahin übereinkommen, daß die gemischten Kommissionen, welche infolge der von jenen Staaten abgeschlossenen Schiedsgerichtsverträge die Entschädigungsansprüche der Angehörigen der betreffenden Staaten zu bereinigen haben, in gleicher Weise zuständig sein sollen, über die EntschädigungHforderungen derjenigen Schweizer abzusprechen, welche unter dein Schutze der betreffenden Macht stehen. In diesem Sinne ertheilteu wir schon unterm 21. Oktober 1884 dem Hrn. Minister Lardy in Paris unsere Instruktionen, und derselbe versäumte nicht, sich sofort mit dem dortigen chilenischen Minister K u besprochen und denselben einzuladen, unsere Vorschläge seiner Regierung mitzutheilen
und die erforderliehen Vollmachten für die Weiterführung der Unterhandlungen zu verlangen.

Nachdem indessen die chilenische Regierung mit Depesche vom 18. März 1885 es ablehnte, in Paris zu unterhandeln, und erklärte, nur in Santiago verhandeln zu wollen, und demgemäß das Begehren stellte, der Bundesrath möchte den diplomatischen

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Vertreter eines dritten Staates daselbst bevollmächtigen: ,,a l'effet de rechercher la manière de donner une solution aux réclamations dont il s'agita, und gleichzeitig sich dahin ausgesprochen hatte, daß mau, ohne mit allen -Staaten, welche mit Chile bereits Schiedsgerichts verträge abgeschlossen haben, neue Verträge abzuschließen, dio Vergünstigung dieser Uebereinkommen nicht auf diejenigen Schweizer ausdehnen könne, welche unter dem Schulze dieser Staaten stehen, beauftragten wir unsere Gesandtschaft in Paris, den chilenischen Gesandten daselbst; zu ersuchen, bestimmte Angaben darüber MI machen, in welcher Weise die Angelegenheit ihre Erledigung finden könnte.

Im November vorigen Jahre erklärt sich sodann die chilenische Regierung bereit, mit uns eine ähnliche Uebereinkunft abzuschließen, wie die von ihr kürzlich mit sudern Staaten (Belgien und Oesterreich) abgeschlossenen, wonach sämmtliche schweizerische) Reklamationen nur e i n e r gemischten Kommission zur Prüfung zu unterbreiten wären , ohne Rücksicht darauf, öl) unsere Angehörigen dieser oder jeuer Macht als Schutzbefohlene sieh unterstellt haben, und unter der Bedingung, daß diese Uebereinkunft in Santiago verhandelt und unterzeichnet werde.

Da uns diese Verschlüge annehmbar erschienen und da die Regierung des deutsehen Reiches auf unsere Anfrage so gefällig war, ihren Minister in Santiago uns für diese Verhandlungen zur Verfügung zu stellen, so ließen wir an den Leistern die erforderlichen Vollmachten abgeben, um in unserm Namen eine Uebereinkunft auf Grundlage derjenigen, welche an; 11. Juli vorigen Jahres zwischen Oesterreieh und Chile zu Stande gekommen ist, zu verhandeln und zu unterzeichnen.

Als Resultat dieser Verhandlungen beehren wir uns, Ihnen die Schiedsgerichtskonvention zur vorbehaltenen Ratifikation vorzulegen, welch ü der deutsche Ministerresident in Santiago, Freiherr Sehend; zu Schweinsberg, aus hierseitigem Auftrag unterm 19. Januar «abhin mit der chilenischen Regierung abgeschlossen hat. InGemäßheit..dess ertheilten Auftrages schließt sich die fragliche Konvention wortgetreu dem Texte des österreichisch-chilenischenSchiedsgerichtvertragssvorm) 11. Juni 1885 au, besteht demnach aus einem einzigen Artikel, welcher das deutsehe Schiedsgericht und die deutscheSchiedsgerichtskonvention zur Entscheidung der schweizerischen
Reklamationen einsetzt. Die Bestimmungen bezüglich dieses »'Schiedsgerichtes, welch« zwischen demdeutschenu Reiche u n d d e r w Republik Chile unterm 23. August 1884vereinbartt wurden,sowieC dasReglement, des Verfahrens finden Sie bei den Akten.

863 Durch die Konvention werden folgende Verhältnisse geschaffen : Unsere Angehörigen, welche durch die Operationen der chilenischen Truppen geschädigt wurden, haben, unter welchem Schutz sie auch bisher gestanden, sämmtlich ihre Reklamationen durch die Vermittlung des deutschen Schiedsrichters einzugeben. Dieser Letztere wird für die Prüfung dieser Reklamationen geradezu zum Mandatar der Schweiz, welche ihn nach Maßgabe der Bestimmungen des Art. X vom chilenisch-deutschen Schiedsgerichtsvertrag zu honoriren, sowie ihren Antheil an den Kosten des Verfahrens überhaupt zu tragen hat. Innerhalb der Bestimmungen dieses Artikels kann sie sich auch an den Bezugsberechtigten schadlos halten. In diesem Sinne hat denn auch der deutsche Minister in Santiago den schweizerischen Reklamanten, wenigstens denjenigen, welche bisher unter deutschem Schutze standen, das nämliche Circulai1 behufs Anmeldung ihrer Forderungen zukommen lassen, welches den deutschen Interessenten bereits zugegangen war, und in welchem die Haftung der Interessenten für die Kosten des Verfahrens bereits in bestimmter Weise präzisirt ist. Die Reklamanten haben eine Erklärung nach dem bei den Akten liegenden Formulare, worin sie sich zur Deckung dieser Kosten verpflichten, zu unterzeichnen und nach Santiago einzusenden.

Nach Art. II des deutsch-chilenischen Schiedsgerichtsvertrages soll die Kommission aus drei Mitgliedern bestehen, von denen das eine von Seiner Majestät dem deutschen Kaiser, König von Preußen, ernannt werden wird, das zweite von Seiner Excellenz dem Präsidenten der Republik Chile und das dritte von Seiner Majestät dem Kaiser von Brasilien, und nach der schweizerisch-chilenischen Konvention übernimmt es dei1 schweizerische Bundesrath, die erforderliche Ermächtigung einzuholen, damit der deutsche und brasilianische Schiedsrichter der Entscheidung der schweizerischen Reklamationen sieh annehmen können. Diese Ermächtigung haben wir durch unsere Gesandtschaft in Berlin und unser Generalkonsulat in Rio de Janeiro bereits eingeholt, und es ist uns dieselbe in verdankenswerthester Weise ertheilt worden. Dabei bemerken wir, daß diejenige von Rio de Janeiro, nach der Natur der Verhältnisse, erst vor einigen Tagen eingelangt ist, worin auch der Grund liegt, warum diese Vorlage erst so spät an die eidgenössischen Räthe gelangen konnte.
Obsehon die Reklamationen schweizerischer Angehöriger nach der schweizerisch-chilenischen Konvention durch den deutschen Vertreter erst innerhalb der Frist .von neunzig Tagen, vom Tage der Auswechslung der Ratifikationen an gerechnet, vorgelegt werden müssen, haben wir dodi durch ein Inserat im Bundesblatt die scliwei-

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zerisch Interessenten jetzt schon, vom Abschluß der Konvention in Kenntniß gesetzt und dieselben eingeladen, ihre Forderungen an den deutschen Agenten bei dem Schiedsgerichte, Herrn Hermann Schmidt-Ern zu Valparaiso, oder an den kais. deutscheu Ministerresidenten in Santiago, Freiherrn Schenk zu Schweinsberg, entweder direkt oder durch die Vermittlung des schweizerischen Konsulates in Valparaiso, anmelden zu wollen. Außerdem haben wir, unter speziellem Hinweis auf die Publikation im Bundesblatt, den Gesandtschaften in Paris, Berlin und Washington, sowie den Konsulaten in Callao und Valparaiso vom Stande der Angelegenheit Kenntniß gegeben, mit dem Auftrag, den schweizerischen Reklamanten die nöthigen Weisungen zukommen zu lassen.

Indem wir Ihnen den mitfolgenden Beschlußentwurf zur Annahme empfehlen, versichern wir Sie, Tit., neuerdings unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 23. Juni 1886.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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(Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend

die am 19. Januar 1886 in Santiago zwischen der Schweiz und Chile abgeschlossene Schiedsgerichtskonvention.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht 1) der am 19. Januar 1886 in Santiago zwischen der Schweiz und Chile abgeschlossenen Schiedsgerichtskonvention ; 2) einer Botschaft des Bundesrathes, vom 23. Juni

1886,

beschließt: 1. Die genannte Schiedsgerichtskonvention wird in Form und Inhalt genehmigt.

2. Der Bundesrath wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

Bundesblatt 38. Jahrg. Bd. H.

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Schweizerisch-chilenische Schiedsgerichtskonvention.

(Vom 19. Januar 1886.)

Der Bundesrath der schweizerischen Eidgenossenschaft und Seine Excellenz der Präsident der Republik Chile, in dem Wunsch, das Erforderliche einzuleiten, um in freundschaftlicher Weise zu erledigen die Reklamationen, welche von schweizerischen Landesangehörigen gegen die chilenische Regierung aus Anlaß des letzten Krieges mit Peru und Bolivien geltend gemacht worden, haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt: · Der Bundesrath der schweizerischen Eidgenossenschaft: den Kaiserlich Deutschen Legationsrath und Minister-Residenten bei der Republik Chile, Freiherrn S c h e n e k zu Schweinsberg, Seine Excellenz der Präsident der Republik Chile: den Minister der auswärtigen Angelegenheiten der Republik, Herrn Anibal Z a H a r t u, welche, nachdem sie ihre Vollmachten geprüft und in guter und gehöriger Form befunden haben, über nachstehende Bestimmungen übereingekommen sind : Einziger Artikel.

Die Schweiz und Chile kommen tiberein, zur Kenntniß des in Gemäßheit der deutsch-chilenischen Konvention vom 23. August 1884 errichteten Schiedsgerichts zu bringen und dessen Entscheidung zu unterwerfen die Reklamationen, welche von schweizerischen Landesangehörigen gegen die

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chilenische Regierung geltend gemacht werden aus Anlaß der Akte und Operationen der Streitkräfte der Republik zu Wasser uad zu Land auf den Gebieten und an den Küsten Peru's und Bolivien's während des letzten Krieges.

Die Reklamationen sollen entschieden werden nach den nämlichen Grundsätzen und unter denselben Formalitäten und Bedingungen, welche für die Reklamationen deutscher Reichsangehöriger durch die gedachte Konvention vom 23. August 1884 aufgestellt worden sind. Sie müssen dem Schiedsgericht durch den deutschen Vertreter vorgelegt werden innerhalb der Frist von neunzig Tagen, vom Tage der Auswechslung der Ratifikationen der gegenwärtigen Konvention an gerechnet.

& Eine Reklamation, welche nach Ablauf dieser Frist vorgelegt würde, soll nicht mehr zugelassen und von vornherein als zurückgewiesen angesehen werden, derart, daß sie aus keinem Grunde oder Anlaß wiederum Gegenstand der Prüfung oder Erörterung sein kann.

Der schweizerische Bundesrath übernimmt es, die erforderliche Ermächtigung einzuholen, damit der deutsehe und brasilianische Schiedsrichter der Entscheidung der vorerwähnten Reklamationen sich annehmen können.

Die gegenwärtige Konvention wird von den hohen kontrahirenden Theilen ratifizirt, und es sollen die Ratifikationen zu Santiago sobald als möglich ausgewechselt werden.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten beider Länder sie in doppelter Ausfertigung in deutscher und spanischer Sprache unterzeichnet und mit ihren resp. Siegeln versehen.

Geschehen zu S a n t i a g o in Chile am neunzehnten Tag des Monats Januar im Jahre achtzehnhundert sechs und achtzig.

(L. S.) (Sig.) Frhr. G. Schenck zu Schweinsberg.

(L. S.) (Sig.) Amba! Zafiartu.

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26.06.1886

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