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Bericht der

nationalräthlichen Kommission, betreffend das Gesuch des Bundesraths um einen Nachtragskredit zum Zwecke einer bessern Organisation der politischen Polizei.

(Vom 20. März 1888.)

Tit.

Vorkommnisse aus jüngster Zeit haben den Bundesrath veranlaßt, einer von Herrn Oberst Müller vor zwei Jahren gemachten Anregung, betreffend die bessere Organisation der politischen Polizei, Folge zu geben, und zu diesem Zweck einen Nachtragskredit von Fr.20,000 pro 1888 zu verlangen.

Der Mangel an einer einheitlich geleiteten Polizei trägt wenigstens theihweise die Schuld an diplomatischen Schwierigkeiten, die entstanden sind, und welche kurz zu berühren wir für nothwendig erachten. Unsere Beziehungen zu Deutschland, die früher immer sehr gute waren, haben in den letzten Monaten einen weniger freundlichen Charakter angenommen. Von beiden Seiten wurden Beschwerden erhoben. Die hauptsächlichsten Beschwerden des deutschen Reiches bezogen sich auf den ,,Rothen Teufel", den ,,SozialDemokrat", die Haltung des Polizeihauptmanns Fischer, die Sehmähschrift von Basel und andere öffentliche Manifestationen. Die Angelegenheit Fischer wurde vom Bundesrath mit Recht als eine innere Frage behandelt. Ihre Kommission gewann aus den Akten die Ueberzeugung, daß die scharfe Mißbilligung des Vorgehens des

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Heim Fischer durch den Bundesrath eine durchaus gerechtfertigte war. Die Indiskretionen scheinen sich leider in unsertn Lande zu einer chronischen Krankheit ausbilden'zu wollen. In ausschließlich innern Angelegenheiten mag das Uebel zu ertragen sein, allein da, wo unsere Beziehungen zum Ausland in Frage kommen, muß dasselbe aufhören, wenn schlimme Folgen vermieden werden wollen.

Es muß beklagt werden, daß die Sucht, das Neueste zu bringen, ·öfter den Rücksichten auf die Landesinteressen vorgeht, und man bedauert, daß so vielfach übersehen wird, wie schwierig die Stellung ·des Bundesraths bei der gegenwärtigen politischen Lage Europa's ist und wie es patriotische Pflicht jedes einsichtigen Schweizers ·wäre, in internationalen Fragen die größte Zurückhaltung zu be-obachten und die Landesregierung in ihrer schweren Aufgabe zu unterstützen.

Der ,,Rothe Teufel", welcher vor einem Jahr in der Offizin ·des ,,Sozialdemokraten1-1 erschien, war ein Schmähblatt niedrigster Sorte. Die Untersuchung verzögerte sich und führte bisher zu nichts. Die Frage, ob die Offizin des ,,Sozialdemokrat" hätte verantwortlieh gemacht werden können, scheint nicht erörtert worden zu sein.

Der ^Sozialdemokrat" ist ein in der Schweiz wenig verbreitetes Blatt. Er ist von Deutschen geleitet, für Deutschland geschrieben und berechnet. In den uns vorgelegeuen Nummern des vorigen Jahres kommen da und dort injuriöse Angriffe auf deutsche Staatsmänner, Behörden und Einrichtungen vor. Viele Artikel bewegen sich haarscharf auf der als zuläßig erachteten Grenze. Was endlich die an der Fastnacht in Basel verbreitete Schmähschrift betrifft, so ist die administrative Untersuchung geschlossen und die Schuldigen werden unzweifelhaft die verdiente Strafe erhalten, sofern der vom Gesetz geforderte Strafantrag gestellt wird.

Ihre Kommission nimmt mit Befriedigung Notiz von der in der Botschaft ertheilten Zusicherung, daß der Bundesrath sein Möglichstes thun werde, um die guten Beziehungen mit andern Staaten aufrecht zu erhalten und berechtigten Beschwerden Rücksicht zu tragen, ohne dabei unsere verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten preiszugeben. Das Recht der objektiven Diskussion soll gewahrt bleiben; jeder friedliche Ausdruck einer Meinung soll erlaubt, aber unser Land darf kein Herd von Provokationen sein. Wir wollen auch das Asylrecht
aufrecht erhalten, so wie wir es seit 1848 immer geübt. Wir gewähren den Fremden das Asyl, so lauge sie sich dessen würdig erzeigen. Dagegen hegen wir das Vertrauen zum Bundesrath, daß er rücksichtslos allen Umtrieben entgegentreten werde, die geeignet sein könnten, die Sicherheit des

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Landes, die guten Beziehungen zum Ausland oder die öffentliche Ordnung zu gefährden. Das Schweizervolk wird immer bereit sein, einzustehen für seine Freiheit und Unabhängigkeit, für die Integrität der Eidgenossenschaft; aber es will sich nicht in Konflikte mit dem Ausland verwickeln lassen durch Interessen, die nicht die seinigen, die nicht schweizerische sind.

Der schweizerische Bundesrath war in der Lage, bei der Regierung des deutschen Reiches Beschwerde zu führen über die bezahlten agents provocateurs. Diese Agenten sind eine wirkliche Gefahr für Frieden und Ruhe unseres Landes. Als eine eigenthümliche Erscheinung kann hervorgehoben werden, daß die extremsten, lautesten und rührigsten Anarchisten sich sehr häufig als agents provocateurs entpuppten, daß sogar der bekannte Kaufmann, der Berather und Beeinflusser Stellmachers, im Dienst der deutschen Polizei stand. Das macht mißtrauisch, läßt befilrehten, daß die Liste dei1 Agenten noch nicht vollständig sei und daß weitere Ueberraschungen eintreten könnten. Da indessen nach einer von Herrn von Puttkamer im deutsehen Reichstag abgegebenen Erklärung die deutsche Regierung von dem provokatorischen Treiben der Polizeiagenten keine Kenntniß hatte, so steht denn doch zu erwarten, daß Abhülfe geschafft werde. Wir könnten noch von zahlreichen, in Deutschland erschienenen Broschüren sprechen, die der Schweiz genügend Anlaß zu Beschwerden gäben, und von den systematischen Hetzereien einiger deutscher Blätter. Doch wir unterlassen es, einmal deßhalb, weil wir in solchen Dingen einen rauheren Luftzug ertragen, und im Fernern aus dem Grunde, weil wir uns der zuversichtliehen Hoffnung hingeben, daß das gute Einvernehmen, der frühere freundliche Verkehr zwischen den beiden Regierungen bald wiederkehren werden.

Schon anläßlich der Untersuchung über das Verhalten der anarchistischen Partei und neuerdings wieder iu der Angelegenheit der bezahlten Polizeiagenten machten sich zwei Lücken in der schweizerischen Gesetzgebung und Administration fühlbar: die Unvollständigkeit des Bundesstrafrechts und der Mangel einer einheitlichen Leitung der Polizei. Das gegenwärtige Bundesstrafrecht enthält keine Vorschriften, welche ein gerichtliches Vorgehen gegen das verbrecherische Treiben von Anarchisten und agents provocateurs ermöglichen würden.

Deßhalb ist dasselbe nicht
anwendbar gegen Schröder, der als naturalisirter Schweizer auch nicht ausgewiesen werden kann.

Ein glücklicher Zufall gestattet, daß Schröder auf Grund eines züreherischen Gesetzes seine Vergehen zu verantworten haben wird.

Die beförderliche Vorlage der vom Bundesrath angekündigten Vor-

691 schlage für Erweiterung des Bundesstrafrechts ist also eine Nothwendigkeit. Was sodann die bessere Organisation der Polizei betrifft, so ist dieselbe in der Botschaft hinlänglich begründet. Wir fügen nur noch bei, daß der Bundesrath der Art mit Arbeit überbürdet und auch die höhern Beamten durch die Departementsgeschäfte so sehr in Anspruch genommen sind, daß sie unmöglich noch allen Vorgängen genau folgen können, welche in das Gebiet der Polizei einschlagen, während gerade hier stetige und aufmerksame Ueberwachung dringendes Bedürfnis wäre. Die Schaffung einer centralen Polizeistelle, bei welcher alle Fäden aus den Kantonen zusammenlaufen, von der alle erforderlichen Anordnungen und Direktiven ausgehen, welche die Verantwortlichkeit für ihre Amtsführung trägt, darf nicht länger verschoben werden.

Der Bundesrath spricht in seiner Botschaft nicht davon, wie er den verlangten Kredit zu verwenden gedenke. Er sagt, die ganze Organisation werde den Gegenstand besonderer Prüfung und Anordnung bilden. Laut mündlichen Mittheilungen der Herren Bundesräthe Ruchonnet und Droz würde es sich nicht um ein zahlreiches eidgenössisches Personal handeln. Man werde sich voraussichtlich mit der Errichtung einer eidgenössischen Centralstelle begnügen und im Weitern eine Anzahl kantonaler Polizeibeamten gegen besondere Bezahlung in Anspruch nehmen.

Wenn auch in dieser Richtung keine bestimmten Vorschläge vorliegen, so darf das nicht den Grund bilden zur Verschiebung einer Kreditbewilligung, die vom Bundesrath ausdrücklich zur Wahrung der Landesinteressen, der innern und äußern Sicherheit verlangt wird. Der einstimmige Antrag der Kommission lautet: ,,Der vom Bundesrath pro. 1888 verlangte Nachtragskredit von Fr. 20,000 zu dem in seiner Botschaft und im Berieht der Kommission bezeichneten Zweck wird bewilligt und im Budget des Justizund Polizeidepartements, litt. C 3, ,,Fremdenpolizei", eingestellt."

B e r n , den 20. März 1888.

Der Berichterstatter: Künzli.

Mitglieder der Kommission: Künzli.

Keel.

Brenner.

Favon.

Häberlin.

Holdener.

,

Müller, Ed. (Bern).

Ruffy-

Theraulaz.

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