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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die gegenseitigen Hülfsgesellschaften und insbesondere die Eisenbahnpensionskassen.

(Vom 24. November 1888.)

Tit.

Veranlaßt durch eine Motion der Herren Curti, Scheuchzer und Grubenmann hat der Nationalrath am 15. Juni 1886 folgenden Beschluß gefaßt: ,,Der Bundesrath wird eingeladen, zu untersuchen, ob und auf welche Weise der Bund es erreichen könnte, die Grundlagen der gegenseitigen Hülfsgesellschaften zu prüfen, die Garantien festzustellen, welche für die Anlage ihrer Gelder zu verlangen wären, und, soweit möglieh, ihre engere Verbindung zu erleichtern.

,,Der Bundesrath wird ferner eingeladen, die Frage zu prüfen, ob der Bund es nicht dahin bringen könne, daß die Hülfskassen der Eisenbahngesellschaften wie folgt organisirt würden : 1) Falls bei einer Bahn ein Eigenthums- oder ein Betriebswechsel stattfindet, bleiben dem Dienstpersonal seine Antheilsrechte an der Hülfskasse, sowie alle mit einer gewissen Dienstdauer zusammenhängenden Rechte gewahrt.

2) In gleicher Weise bleiben die daherigen Rechte denjenigen Eisenbahnangestellten gewahrt, welche aus dem Dienste einer Gesellschaft in den Dienst einer andern übergehen. "

802 Nach der ursprünglichen Redaktion der Motion (,,Der Bundesrath wird eingeladen, zu untersuchen, ob und in welcher Weise sich zwischen den in der Eidgenossenschaft bestehenden Vereinen mit Kranken- und Sterbekassen Freizügigkeit erreichen lasse") war einzig der praktische Zweck der F r e i z ü g i g k e i t in's Auge gefaßt; in dem angeführten Beschlüsse des Nationalrathes dagegen haben noch einige andere praktische Zwecke Aufnahme gefunden, und als Mittel zu deren Verwirklichung wird eine Bundesaufsicht, wie sie gegenüber den Versicherungsgesellschaften besteht, in Anregung gebracht.

Die Fragen, ob eine solche Aufsicht ausführbar und ob durch diese oder auf anderm Wege die erwähnten Ziele erreichbar seien, werden freilich im Postulate nicht bejaht, sondern zu näherer Untersuchung empfohlen.

Diese Fragen sind in der That nicht so einfacher Natur, als sie auf den ersten Blick erscheinen. Wie schon aus der Fassung des Postulates hervorgeht, haben wir es mit zwei verschiedenen Gruppen von Hülfsgesellschaften au thun, erstlich mit den gegenseitigen Hülfsgesellschaften mit Ausschluß der Pensionskassen der Eisenbahnen, und zweitens mit diesen letztem. Die vorläufige Prüfung der Verhaltnisse der ersten Gruppe wiesen wir unserm Industrie- und Landwirthschaftsdepartement, diejenige der Verhältnisse der Eisenbahn-Pensionskassen dem Eisenbahndepartement zu.

Bezüglich der Krankenkassen durfte das erstgenannte Departement nicht ignoriren, daß die Kantone, welchen nach eidgenössischem Rechte die Sorge für ihre Armen obliegt, die Kompetenz besitzen und zum Theil auch ausüben, die Krankenversicherung zu überwachen und nötigenfalls zu reguliren ; es durfte daher dasselbe nicht wohl Anträge in dieser Materie Stelleu, ohne zuvor in den Kantonen die nöthigen Erhebungen über die gesetzliche Regelung der Krankenpflege zu machen. Die Beantwortung unseres bezüglichen Kreisschreibens vom 26. November 1886 zog sich trotz unserer Mahnungen bis in die letzten Monate hin*). Auf der andern Seite mußte auch unsern Eisenbahngesellschaften Gelegenheit geboten werden, sieh bezüglich der an sie gestellten Forderungen auszusprechen.

Indem wir uns vorbehalten, die uns gewordenen Antworten bei Besprechung der einzelnen Anregungen des Postulates anzuführen , gehen wir nunmehr zu der Behandlung des letztern über, wobei wir die durch das Postulat gegebene Ordnung des Stoffes soweit möglich beibehalten.

*) Von Appenzell I. Rh. liegt noch jetzt eine Antwort nicht vor.

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I. Die gegenseitigen Hülfsgesellschaften mit Ausschluß der Eisenbahn-Pensionskassen 1. Das Postulat wünscht zunächst die Frage untersucht, ,,ob and aufweiche Weise der Bund es erreichen könnte, die G r u n d lagen der gegenseitigen Hülfsgesellschaften .au p r ü f e n."

Was in diesem Satze angestrebt wird, das war seiner Zeit, insoweit als dies absolut nothwendig ist, auch vom Bundesrathe beabsichtigt, indem derselbe in seinem Entwurf eines ,,Bundesgesetzes betreffend den Geschäftsbetrieb von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens" grundsätzlich alle solchen Unternehmungen (große und kleine) der Bundesaufsicht zu unterwerfen vorschlug, jedoch mit der Einschränkung, daß ,,der Bundesrath Vereine mit beschränktem Geschäftsbetrieb, wie Krankenkassen u. s. w., auf ihr Begehren dieser Aufsicht entlassen kann".

{Art. l, Lemma 2, des bundesräthlichen Entwurfs.)

Die praktische Folge der Annahme dieses Antrages wäre wahrscheinlich die gewesen, daß von den sämmtlichen 1500 bis 2000 Vereinen dieser Art wenig Ober 100, und zwar hauptsächlich S t e r b e k a s s e n , der Bundesaufsicht unterstellt worden wären.

Dis Bundesversammlung von 1885 wollte nicht einmal so weit gehen. Das betreffende Lemma des nunmehr in Kraft befindlichen Aufsichtsgesetzes vom 25. Juni 1885 erhielt nämlich folgende Fassung: ,,Vereine mit ö r t l i c h b e s c h r ä n k t e m Geschäftsbetriebe, wie K r a n k e n k a s s e n , S t e r b e v e r e i n e u. s. w. fallen n i c h t unter dieses Gesetz."

Die Bundesversammlung hat also ausdrücklich die Bundesaufsicht nicht nur über die Krankenkassen, sondern auch über die S t e r b e v e r e i n e von örtlich beschränktem Geschäftsbetriebe abgelehnt, obgleich der Bundesrath in seiner Nachtragsbotschaft vorn 8. März 1885 (S. 5 ff.) die mangelhafte Organisation dieser Sterbevereine geschildert und vor deren Exemtion von der Bundesaufsicht abgerathen hatte.

Der Bundesrath könnte jetzt noch höchstens bezüglich dieser lokalen Sterbevereine eine Erweiterung des bestehenden Aufsichtsgesetzes befürworten.

Wenn er dies einstweilen nicht thut, so geschieht es in der Erwägung, daß die bestehenden Vereine dieser Art im besten Falle durch ihnen näher stehende Vertrauensmänner und belehrende Schriften, wie die soeben erschienene ,,die gegenseitigen Hülfs-

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gesellsohaften in der Schweiz im Jahre 1880" zu einem rationellem Betriebe veranlaßt werden können., sodann daß dem Entstehen neuer Vereine dieser Art schon dadurch vorgebeugt werden dürfte, daß die Kantonsregierungen sich enthielten, solchirrationellele Gründungen mit ihrer Genehmigung zu versehen.

Eine obligatorische Baundesaufsicht auch über diesämmtlichenu übrigen gegenseitigen Hülfsgesellschaften könnten wirnicht befürworten. Erst müßte wohl der Bundesversammlung der Nachweis erbracht werden, daß den Leitern dieser übrigen, nicht mit Lebensversicherung sich befassenden Vereine die nöthigen intellektuellen oder moralischen Eigenschaften zur Wahrung derVereinsinteressenu abgehen und daß überdieß auch die gegenwärtigen lokalen oder kantonalen Behörden, welche am Gedeihen dieser Vereine dus nächste Interesse haben, zu deren Beaufsichtigung ungeeignet seien, bevor sie dazu stimmen könnte, meist über nur unerhebliche Jahreseinnahmen verfügende, äußerst einfach organisirte Vereine einer einheitlichen Regelung durch ein ihnen ferne stehendes, mit den bezüglichen Verhältnissen und Personen nicht bekanntesCentraliamt zu unterwerfen und dieHülfsmittell zur Deckung der Kosten dieserbüreaukratischenu Organisation zu bewilligen.

Wenn von dem Ergebnisse einer solchen Prüfung durch eine centrale Bundesbehörde die Gründung oder die Verwaltung solcher Kassen abhängig gemacht werden sollte, so würde dies nicht bloß in der Mehrheit derjenigen Kantons befremden, welche sich auch in dieser Beziehung bisher einer absoluten Vereinsfreiheit erfreuten, sondern auch in denjenigen, in welchen der Gesetzgeber die Krankenversicherung obligatorisch gemacht und organisirt hat oder sich anschickt, es zu thun.

Wünschbar wäre freilich, daß von Zeit zu Zeit, wenn möglich alle Jahre, eine statistische Publikation über de« Stand der gegenseitigen Hülfsgesellschaften aller Art in der Schweiz veröffentlicht würde, in ähnlicher Weise, wie dies iu Frankreich bezüglich der Sociétés de secours mutuels geschieht, und von einer Amtsstelle ohne administrative Befugnisse würde man sieh dies schon gefallen lassen; es würde dies allerdings eine Vermehrung der jährlichen Hülfmittel für dio Statistik nothwendig machen.

2. Durch das Postulat wird ferner angeregt die F e s t s t e l lung von G a r a n t i e n , w e l c h e f ü r die Anlage
der G e l d e r d e r gegenseitigen Hülfsgesellschaften z u v e r l a n g e n wären.

Wie die französische Gesetzgebung über die gegenseitigen Hülfsgesellchaften vorschreibt, daß bei Gesellschaften von über

8115 100 Mitgliedern der Fr. 3000 überschreitende Kassabesland und bei Gesellschaften von unter 100 Mitgliedern der Ueberschuß über Fr. 1000 der staatlichen Depositenkasse anzuvertrauen sei, so könnte auch bei uns vorgeschrieben werden, daß die den voraussichtlichen gewöhnlichen Bedarf überschreitenden Geldmittel in einem staatlich garantirten Geldinstitute zinstragend anzulegen seien.

Die bis jetzt uns zur Kenntniß gekommenen Verluste der gegenseitigen Hülfsgesellschaften erscheinen indessen nicht von so gravirender Natur, daß es geboten wäre, von Seiten des Bundes, welcher selbst eine Depositenkasse nicht einmal besitzt, Vorschriften aufzustellen, welche solche Vereine in der zweckdienlichen Anlage und Verfügung über ihre Geldmittel sehr behindern würde.

Es ist möglich, daß das Postulat nicht eine solche, a l l e gegenseitigen Hülfskassen ohne Ausnahme treffende Vorschrift beabsichtigt hat,, sondern nur eine Norm für F a b r i k - K r a n k e n k a s s e n l.

O etwa in ähnlicher Weise, wie durch das Bundesgesetz vom 20. Dezember 1878 das Vermögen der Hülfskassen der Eisenbahnen sicher gestellt ist. Das Verlangen, daß beim Konkurs einer industriellen Unternehmung das Vermögen der Krankenkasse geschützt und nicht zur Befriedigung der Gläubiger verwendet werde, ist ein begründetes und wird auch voraussichtlich im Bundesgesetz über Schuldbetrieb und Konkurs erfüllt werden. (Art. 245 des Entwurfes vom 7. Januar 1888). Im Uebrigen steht indessen die Aufsieht über die Krankenkassen zunächst den Kantonen zu.

Wenn auch die Bundesverfassung in Art. 34 den Bund ermächtigt, ,,Vorschriften zum Schutze der Arbeiter gegen einen die Gesundheit und Sicherheit gefährdenden Gewerbebetrieb zu erlassen'', so hat sie ihm damit noch nicht die Kompetenz ertheilt, Alles dasjenige zu überwachen, was zu den Gesundheitsverhällnissen der Arbeiter überhaupt in irgend welcher Beziehuüg steht, wie z. B.

die Krankenkassen derselben. Die bundesräthliche Botschaft zum Gesetzesentwurf betreffend die Arbeit in, den Fabriken (Bundesbl.

1875, IV, 931) erklärt daher ausdrücklich : ,,Es herrschte bei der Bearbeitung und Berathung des Entwurfs in allen Stadien das Bestreben, sich strikt innerhalb des gegebenen Rahmens zu halten.

So wurde Alles bei Seite gelassen, was die allgemeine ökonomische Wohlfahrt der Arbeiter bezweckte;
so aneli manche naheliegende Bestimmung im Interesse ihrer sittlichen Förderung; so namentlich auch Alles, was auf das Versicherungswesen der Arbeiter, auf Kranken-, Alters- und Unterstützungskassen, deren Errichtung und Verwaltung Bezug hat" etc.

Auch hat von unserem, auf vorliegendes Postulat bezüglichen Kreisschreiben an die Kantonsregierungen, vom 26. November 1886,

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keine einzige derselben Veranlassung genommen, eine Oberaufsicht des Bundes über die Krankenkassen herbeizuwünschen, wohl aber haben zwei (Obwalden und St. Gallen) die Ansicht ausgesprochen, daß eine Einmischung des Bundes die Wirksamkeit dieser wohlthätigen Institute stören könnte.

3. Wir kommen nun zu dem die F r e i z ü g i g k e i t betreffenden Passus des Postulats: der Bundesrath wird eingeladen zu untersuchen, auf welche Weise der Bund es erreichen könnte, · ,,so weit möglich die e n g e r e V e r b i n d u n g der g e g e n seitigen H ü l f s g e s e l l s c h a f t e n zu e r l e i c h t e r n . " Beim Lesen dieser Worte darf man nicht etwa an äußerej z. B. konstitutionelle Hindernisse denken, durch welche die engere Verbindung der Hülfsgesellschaften erschwert würde; alle solchen Schlagbäume, welche früher die freie Bewegung des Arbeiters hindern mochten, siud ja beseitigt. Wenn noch irgend welche Schlagbäume vorhanden sind, welche die Mitglieder einer gegenseitigen Hülfsgesellschaft verhindern, bei Gelegenheit einer Wohnorts Veränderung einem andern ähnlichen Vereine beizutreten, so sind es durch diese Vereine selbst errichtete Schlagbäume, deren Beseitigung ihnen frei steht, wir meinen die Eintrittsbedinguugen.

Dieselben gegen den Willen der betreffenden Vereine beseitigen dürfte der Bundesrath selbst dann nicht, wenn ihm diesen gegenüber dasselbe Aufsichtsrecht ertheilt würde, welches er Versicherungsgesellschaften gegenüber besitzt.

Es ergibt sich dieses aus einer nähern Beleuchtung dieser Bedingungen. Wir sprechen hier zuerst von den K r a n k e n k a s s e n , welche das Postulat in erster Linie im Auge haben dürfte.

Die Krankenkassen, auch die auf liberalem Fuße organisirten, haben im Interesse der Selbsterhaltung verschiedene Eiritrittsbedingungen aufgestellt, von welchen sie entweder gar nicht oder nur unter bestimmten günstigen Verhältnissen abgehen können.

Die Kardinalbedingung ist die, daß der Eintretende zur Zeit des Eintritts g e s u n d sei. Würde eine Krankenkasse von dieser Bedingung abgehen, so wäre die Folge die, daß sehr viele Leute, welche sonst frühzeitig einer Krankenkasse beigetreten wären, es vortheilhafter fänden, den Eintritt bis zum Krankwerden zu verschieben und nach überstand euer Krankheit wieder auszutreten, um auf diese Weise in gesunden Tagen keine
Beiträge bezahlen zu müssen. Bei dieser Methode würde der Verein nur aus Kranken bestehen. Um das finanzielle Gleichgewicht zu erhalten, mußte der Verein von jedem Mitgliede wöchentlich soviel an Prämien

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verlangen, als er ihm an Krankengeldern oder sonstigen Leistungen zurückgibt: eine solche Versicherung hätte keinen Zweck. Kann man dagegen nur in gesundem Zustande dem Krankenvereine beitreten, so werden durchschnittlich kaum 3 bis 4 °/o aller Mitglieder gleichzeitig krank sein; in diesem Falle ist es der Gesammtheit ein Leichtes, die Kosten für die kranken Mitglieder zu tragen.

Wenn die Statuten der Krankenkassen ferner die Bestimmung enthalten, daß der Neueingetretene erst nach einer Mitgliedschaft von 6, 8 oder 13 Wochen genußberechtigt werde, so geschieht dies nur, um den entwickelten Kardinalgrundsate auch gegenüber Simulationen und unsicherm Gesundheitsnachweis zu schützen.

Die Statuten der Krankenkassen verlangen ferner, daß der Bewerber ein gewisses A l t e r (45 oder 50 Jahre) noch nicht überschritten habe. Wenn man aus der Morbiditätsstatistik ersieht, daß der 55jährige per Jahr durchschnittlich noch einmal so viele Tage krank ist als der 30jährige, und der 75jährige wieder noch einmal so viele als der 55jährige, daß also die Morbidität gleich wie die Mortalität mit dem Alter progressiv zunimmt, so wird man sich überzeugen, daß ein aus lauter altera Leuten bestehender Krankenverein durchschnittlich nicht bloß 3 bis 4 °/o der Mitglieder gleichzeitig krank haben wird, sondern 10 und mehr °/o und daß ein solcher Verein, dem wegen seiner nothvvendig hohen Prämie kein jüngeres Mitglied mehr beiträte, allgemach zu einem Verein von in der Mehrzahl Kranken werden und alsdann zusammenfallen müßte.

Die Krankenvereine verlangen ferner vom Neueintretenden ein unbedeutendes E i n t r i t t s g e l d , welches jedoch für ältere Bewerber in einer gewissen Proportion erhöht wird. Diese Erhöhung, wie bedeutend sie auch sei, ist auch bei Kassen ohne angesammeltes Vermögen berechtigt, und sie wird nie so hoch ausfallen, als sie eigentlich sollte, um das mit dem höhern Alter verbundene höhere Risiko auszugleichen, es sei dena, daß bei der Krankenversicherung gleich wie bei der Sterbeversicherung die Prämie mit dem Altersrisiko in Einklang gebracht wird.

Eine Krankenversicherung, welche auf diese Forderungen auchder primitivsten Versicherungstechnik verzichtete, ohne als Kompensation das Obligatorium gegenüber dem Berufskreise, für den siebestimmt ist, zu erhalten, würde ihr eigenes Todesurtheil
unterzeichnen. Selbst größere jetzt blühende freie Vereine würden bald in ihrer Mehrheit nur aus Kranken und Gebrechlichen bestehen; ein kleiner Verein könnte durch den Eintritt einiger wenigenSchwerkranken zum Untersinken gebracht werden.

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Von einer Verpflichtung der Krankenkasse, alle sich gerade meldenden in einer Ortschaft befindlichen Arbeiter aufzunehmen, könnte also keine Rede sein, es sei denn, daß mit diesem Rechte der Arbeiter auch die P f l i c h t zum Eintritt verbunden wird, damit den Krankenkassen nicht etwa bloß Alte und Gebrechliche beitreten.

Doch -- wird man uns einwenden -- es handelt sich ja nicht darum, für alle in einer Ortschaft ankommenden Arbeiter das Recht zum Eintritt zu sichern, sondern nur für solche, «'eiche schon Mitglieder einer andern Krankenkasse der Schweiz gewesen sind, mit andern Worten, es solle die F r e i z ü g i g k e i t , welche z. B.

zwischen den Sektionen der Krankenkasse des Schweizerischen Grütlivereins, des Schweizerischen Arbeiterunterstützungsvereins, der Bernischen kantonalen Krankenkasse, der Société vaudoise de secours mutuels bereits besteht, verallgemeinert, d. h. auf alle schweizerischen Krankenvereine unter sich ausgedehnt werden.

Dies ist eben unmöglich, wenn nicht für einzelne Krankenvereine jene fatalen Konsequenzen eintreten sollen, welche wir soeben als die Folge der Beseitigung aller Eintrittsbedingungen geschildert haben.

Bei den Sektionen der Krankenkasse des Schweizerischen Grütlivereins und der andern oben genannten Kollektivvereine können diese fatalen Konsequenzen nicht eintreten, weil in diesen Kollektivvereinen alle Sektionen zusammen ein solidarisches Ganzes bilden, d. h. einen einzigen Verein mit einheitlicher Kasse ausmachen. Mag der Zufall z. B. in der Sektion B. der Beruischen kantonalen Krankenkasse noch so viele kränkliche und ältere Mitglieder anhäufen, so wird diese Sektion gleichwohl durch ihren Ausgabenüberschuß nicht erdrückt, weil die Zentralkasse ergänzend eintritt; diese Sektion hat daher keinen Grund und kein Recht, den Uebertritt kranker Mitglieder von andern Sektionen her zu verhindern.

Wie frei aber auch, aus den genannten Gründen, in einem solchen Kollektivvereine der Uebertritt eines Mitgliedes aus einer Sektion in die andere ist, gegenüber andern Kraokenvereinen kann ein solcher Kollektivverein diese Liberalität nicht üben. Auch die Statuten der Krankenkasse des schweizerischen Grütlivereins schließen kranke Bewerber, ferner Bewerber im Alter von mehr als 45 Jahren aus; es besteht eine Karenzzeit von acht Wochen, und das Eintrittsgeld
beträgt je nach dem Alter des Betreffenden Fr. i--10. AehnTich die andern genannten Kollektivvereine; auch diese nehmen nicht kranke Bewerber auf; die Karenzzeit beträgt

809 bei denselben drei Monate; das Maximaleintrittsalter beträgt beim schweizerischen Arbeiterunterstützungsverein und bei der Société vaudoise de secours mutuels 50 Jahre, bei der bernischen kantonalen Krankenkasse 40 Jahre.

Der Grund dieser Abschließung ist leicht zu begreifen : da, wo die finanzielle Solidarität aufhört, hört auch der freie Eintritt auf.

Es ist nun allerdings -- im Sommer 1886 -- ein Versuch gemacht worden, mittelst eines F r e i z ü g i g k e i t s v e r b a n d e s den Mitgliedern schweizerischer Krankenvereine bei Wohnorts- oder Geschäftsveränderungen gegenseitige u n e n t g e l t l i c h e Aufnahme und s o f o r t i g e s Unterstützungsrecht zu sichern. Unser gleichzeitiges Postulat dürfte mit der Entstehung dieses Verbandes im Zusammenhang stehen.

Wenn dieser Verband, wie wir in Erfahrung gebracht haben, bisher nur minime Erfolge erzielt hat, so rührt dies wohl hauptsächlich daher, daß unsere Krankenvereine -- aus den bereits entwickelten Gründen -- auf ihre Eintrittsbedingungen nicht verzichten können.

Es liegt in der Natur der Sache, daß auch dieser Verband zwischen finanziell nicht solidarischen Vereinen von vorneherein die Freizügigkeit gewissen beschränkenden Bestimmungen unterwerfen mußte.

Vorerst besteht nach den Statuten des Verbandes die Freizügigkeit nicht für im Momente des Wohnortsweehsels k r a n k e Mitglieder von Verbandsvereinen; sodann haben obligatorische und Fabrikkrankenkassen nur solche Zuzüger aus Verbandsvereinen aufzunehmen, welche nach ihrem Anstellungsverhältniß zur betreffenden Kasse gehören, beziehungsweise welche in der betreffenden Fabrik Arbeit gefunden haben. Endlich verlieren Solche, welche von einem Verein Abschied genommen haben, ohne sich innert eines Vierteljahres bei einem andern Verein angemeldet zu haben, alle vertraglichen Anspruchsrechte.

Ob diese Einschränkungen den Krankenvereinen größerer Industriecentren, welche einen viel größern Zuzug als Wegzug von Arbeitern aufweisen, genügende Beruhigung gewähren, um sie zum Eintritt in den Verband zu bewegen, das hängt von Umständen ab, welche man im Einzelfalle in Betracht ziehen muß und nicht ignoriren darf. Gerade in solchen Centren beklagt man sich wegen Ueberladung der Krankenkassen mit altern und gebrechlichen Mitgliedern, während die Jüngern und gesunden Arbeiter wegbleiben.

Bundesblatt. 40. Jahrg. Bd. IV.

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Wenn nun in einem solchen industriellen Centrum mehrere Krankenkassen sich befinden, von welchen die eine kleine Prämien fordert, die andere höhere, dafür aber auch weitergehende Hülfe gewährt, so wäre es schon möglich, daß die schweren Risiken dem letztern Verein auffallen, während die anderwärts an niedrige Prämien gewöhnten jungen und gesunden Arbeiter sich ersterem Vereine oder auch gar keinem anschließen würden, sofern die neu zugezogenen Arbeiter vom Verbandsrecht freien Gebrauch machen dürften.

Die Verschiedenheiten in der Organisation und namentlich in den Leistungen der einzelnen Krankenkassen der Schweiz sind überhaupt so groß, daß auch in dein Falle, daß der am 1. September 1886 gegründete Freizügigkeitsverband sich einer großen Theilnahme erfreute, der Gewinn nicht ein so bedeutender wäre, als man sich vielleicht vorstellt. Aus der Schrift : ,,Die gegenseitigen Hülfsgesellschaften in der Schweiz im Jahre ISSO" ist zu ersehen, daß die wöchentliche Leistung der Krankenkassen an die Kranken bei den einzelnen Vereinen zwischen Fr. 2 und Fr. 24 J /a und die Dauer der zuläßigen Unterstützung für eine und dieselbe Krankheit zwischen vier Wochen und ebenso viel Jahren variirt. Eine solche Reziprozität wäre mehr eine nominelle als eine wirkliche. Und dann riskirt ein Arbeiter oder Dienstbote, der an seinem bisherigen Anstellungsort jahrelang hohe Krankenversicherungsprämien bezahlt hat, immer noch, durch seine Lebensverhältnisse an einen Ort geführt zu werden, wo überhaupt kein Krankenverein besteht.

Diese Verschiedenheiten in dem Stande der Krankenversicherung in den einzelneu Gemeinden beseitigen und Gleichförmigkeit -- gesetzt dieselbe wäre auch eine sachlich begründete Forderung -- herbeiführen könnte nur das Obligatorium.

Man kann nun das durch Art. 34 der Bundesverfassungö eingeführte Aufsichtsrecht des Bundes auf die Krankenkassen ausdehnen, aber damit erhielte er die Befugniß zur Einführung so tief eingreifender Reformen noch nicht.

Dieses Gebiet war bisher der B u n d e s g e s e t z g e b u n g ganz fremd.

Die Kranken- und Armenversorgung ist seit Jahrhunderten gemäß den Beschlüssen der Tagsatzungen Sache derjenigen Kantone (und Staaten) gewesen, in welchen die Betreffenden heimatberechtigt sind. Erst in den letzten Jahrzehnten haben die modernen Verkehrsverhältnisse dazu geführt,
daß der Bund im Namen von 17 Kantonen mit den Nachbarstaaten Verträge abschloß, nach welchen man sich gegenseitig unentgeltliche Verpflegung erkrankter und die Beerdigung verstorbener Angehöriger zusicherte.

811 Im Jahre 1865 kam auch zwischen 16 Kantonen ein Konkordat zu Stande, wonach sich dieselben gegenseitig die Verpflegung erkrankter und die Beerdigung verstorbener Angehöriger gegen Entschädigung nach einem billigen Tarif zusicherten.

Art. 48 der gegenwärtigen Bundesverfassung übertrug sodann einem Bundesgesetz die Aufgabe, über die Kosten der Verpflegung und Beerdigung armer Angehöriger eines Kantons, welche in einem andern Kanton krank werden oder sterben, die nöthigen Bestimmungen aufzustellen.

Hiemit ist, freilich in sehr eingeschränktem Umfange, das Prinzip der Territorialität in der Armenpflege zur Anerkennung gekommen.

Das Bundesgesetz vom 22. Juni 1875 führt diesen Verfassungsartikel in folgender Weise aus : ,,Art. 1. Die K a n t o n e haben dafür zu sorgen, daß unbemittelten Angehörigen anderer Kantone, welche erkranken und deren Rückkehr in den Heimatkanton ohne Nachtheil für ihre oder Anderer Gesundheit nicht geschehen kann, die erforderliche Pflege und ärztliche Behandlung und im Sterbefalle eine schickliche Beerdigung zu Theil werde.

,,Art. 2. Bin Ersatz der hiebei erwachsenen Kosten durch die öffentlichen Kassen der Heimatkantone findet nicht statt. Ein Ersatz kann nur in dem Falle beansprucht werden, wenn er vom Hilfsbedürftigen selbst oder von andern privatrechtlich Verpflichteten geleistet werden kann tt Hier ist ferner auch die Bestimmung in Art. 341 unseres Obligationenrechts zu erwähnen : ,,Der A r b e i t g e b e r hat den Dienstpflichtigen, welcher mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebt, bei vorübergehender unverschuldeter Krankheit auf eigene Kosten verpflegen und ärztlich behandeln zu lassen.tt Wenn der Gesetzgeber in den angeführten Vorschriften beider Gesetze die zahlreichen gegenseitigen Hülfsgesellschaften i^norirt, so thut er es ohne Zweifel deßhalb, weil er die allgemeine Verbreitung der Krankenversicherung weder voraussetzen noch anordnen kann. Er überläßt letzteres den Kantonen.

Unser Postulat hat uns Veranlassung geboten, bei den hohen Kantonsregierungen bezüglich der Ausführung dieser Gesetzesbestimmungen Nachfrage zu halten, indem wir eine Einwirkung derselben auf die Entwicklung der gegenseitigen Hülfsgesellschaften voraussetzten.

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Von der Ausführung der angeführten Bestimmung des Obligationenrechts konnten die Regierungen, wie es in der Natur der Sache liegt, aus eigener Wahrnehmung wenig berichten ; doch geht aus einigen Antworten hervor, daß dieselbe die Krankenversicherung der Arbeiter hat fördern helfen.

Das Bundesgesetz vom 22. Juni 1875 hat fast alle, jedoch nicht ganz alle Kantonsregierungen zu positiven Maßnahmen zu Gunsten der kantonsfremden, wegen Krankheit hilfsbedürftigen Personen veranlaßt. Nur fünf Kantone haben die durch das Bundesgesetz ihnen auferlegte Pflicht ganz der Armenpflege des Wohnorts oder zufälligen Aufenthaltsorts der betreffenden Hülfsbedürftigen zugewiesen; in der großen Mehrheit der Kantone wird diese Pflicht ganz oder theilweise durch den Fiskus, durch kantonale Armenfonds oder Anstalten getragen.

Einige Kantone ziehen mittelst der o b l i g a t o r i s c h e n K r a n k e n v e r s i c h e r u n g die kantonsfremden Aufenthalter herbei.

In einzelnen Kantonen und Gemeinden der Schweiz hatte die obligatorische Krankenversicherung schon vorher bestanden. Das Obligatorium wurde kantonsfremden Handwerksgesellen gegenüber aufgestellt im Kanton Z ü r i c h durch § 25--31 des Polizeigesetzes vom 16. Dezember 1844, im Kanton B e r n durch § 89 des Gewerbegesetzes vom 7. November 1849, und neu in Erinnerung gebracht durch § 49 des Armengesetzes vom 1. Juli 1857.

Wenn der Erfolg dieser Vorschriften zu wünschen übrig ließ, so ist dies theilweise auf die durch Art. 41 der Bundesverfassung von 1848 erweckten konstitutionellen Bedenken zurückzufuhren.

Im Jahre 1879 (17. November) ermächtigte sodann, im Hinblick auf das Bundesgesetz von 1875, der Kantonsrath des Standes A p p e n z e l l A. Rh. die Gemeinden, die kantonsfremden Aufenthalter zur Theilnahme an einem Krankenverbande anzuhalten, und es bestehen infolge dieser Vorschrift in sämmtlichen Gemeinden solche Vereine mit Freizügigkeit.

Im Kanton St. G a l l e n verordnete ein Gesetz vom 19. Januar 1885, daß in jeder Gemeinde eine für alle Aufenthalter obligatorische Krankenkasse eingeführt werde, von welcher nur .diejenigen wegbleiben dürfen, welche das Vorhandensein anderweitiger genügender Versicherung nachweisen.

Zum Erlasse ähnlicher Vorschriften ist im Kanton B a s e l 81 ad t durch Großrathsbeschluß vom 6. Dezember 1875 und im Kanton A a r g a u durch Art. 85 der Verfassung von 1885 die Einleitung getroffen.

813 Wir glaubten, diese Erlasse anführen zu sollen, weil sich in denselben die Befugniß der kantonalen Gesetzgebung geltend macht, diese Verhältnisse im Zusammenhange mit der Armenordnung im Allgemeinen zu regeln, und um zu zeigen, daß diese Gesetzgebung, insoweit sie sich mit Krankenkassen und den mit denselben in Verbindung stehenden öffentlichen Spitälern befaßt, gezwungen ist, Rechte und Pflichten der Mitglieder mit einander in Einklang zu bringen, damit die Krankenkassen, welche sie in's Leben ruft, auch bestehen können.

Daß die Krankenkassen nicht schwerere Verpflichtungen übernehmen, als sie zu tragen im Stande sind, ist so sehr eine Lebensbedingjing derselben, daß der Bund auch im Falle der Uebernahme eines' Aufsichtsreuhts diesen Grundsatz nicht verletzen, sondern im Gegentheil streng zur Geltung bringen müßte; er wird daher bei aller Anerkennung der löblichen Bestrebungen des erwähnten Freizügigkeitsverbandes e's den Erwägungen der einzelnen Krankenvereine überlassen müssen, ob es für sie rathsam sei, demselben beizutreten, und er darf dabei auch überzeugt sein, daß dieselben jeden für ihren Bestand nicht gefährdenden Zuwachs gerne fördern werden.

Noch weniger dürfen denjenigen Vereinen, welche mit der Krankenversicherung noch Aufgaben von finanziell größerer Tragweite, wie A l t e r s v e r s i c h e r u n g , S t e r b e v e r s i c h e r u n g verbinden, sowie namentlich den eigentlichen S t e r b e k a s s e n Zumuthungen bezüglich der Aufnahme kranker oder alter Mitglieder gemacht werden, welche den Bestand solcher Kassen gefährden könnten. Eine' richtig organisirte Alterskasse kann unmöglich Bewerbern im Alter von 40 bis 50 Jahren, welche nur noch eine kurze Reihe von Jahren Prämien zu bezahlen hätten, um denselben Preis wie Bewerbern von 20 Jahren eine ^Altersrente zusichern, sondern sie muß verlangen, daß die 40jährig Eintretenden mit ihren Einlagen (nebst deren Zinsen) bis zum rentenberechtigten Alter so viel beisteuern, daß damit die später zu entrichtenden Renten dieser Altersklasse bestritten werden können. In derselben Weise muß eine richtig organisirte Sterbekasse gleich den Lebensversicherungsgesellschaften darauf sehen, daß die Prämien der in einem bestimmten Altersjahr Eintretenden (nebst Zinsen) die derselben Gruppe von Versicherten zu bezahlenden Sterbesummen decken,
und überdieß einen Gesundheitsausweis verlangen. An die Stelle der Prämienerhöhung kann auch eine, den Ausfall deckende Einmaleinlage als Einkauf verlangt werden. Wenn der Bund die Aufsicht über die Kassen dieser Art übernehmen sollte, so dürfte er nicht bloß von solcher rationeller Berechnung nicht entbinden, er

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müßte vielmehr selbst darauf dringen, daß, wo es noch nicht der Fall wäre, die Leistungen der Versicherten mit den Leistungen der Kasse in Einklang gebracht werden.

Zwischen solchen Sterbe- und Alterskassen, welche in dieser rationellen Weise eingerichtet sind, braucht die Freizügigkeit nicht erst von oben herab eingeführt zu werden; sie besteht bereits, so weit sie in den Verhältnissen begründet ist. Die Sterbekasse sagt zum 45jährigen gesunden Bewerber, welcher von einer anderen Kasse zu ihr überzutreten durch äußere Verhältnisse gezwungen ist: du bezahlst entweder diejenige Jahresprämie, welche wir von jedem 45jährigen verlangen müssen, oder, wenn du nur diejenige Jahresprämie bezahlen willst, welche die im Alter von 30 Jahren bei uns Eingetretenen bezahlen, so mußt du als Einkauf diejenige Summe entrichten, welche diese 30jährigen seit ihrem Eintritt als Deckungskapital angesammelt haben. Diese selbe Summe oder annähernd dieselbe hat dieser Bewerber (bei gleicher Versicherungssumme) von seiner frühern Kasse, bei welcher er seit dem Alter von 30 Jahren versichert war, als Abgangsentschädigung zu fordern, wenn er durch äußere Umstände zum Austritte gezwungen ist. Eine andere Freizügigkeit, als diese durch die Technik begründete, ist nicht berechtigt.

Dieselbe Art von Freizügigkeit wäre freilich auch bei Krankenkassen möglich, wenn diese ihre Pi-ämien nach technischen Grundsätzen berechneten und aus den Ersparnissen nn jungen Mitgliedern, statt dieselben zu Gunsten anderer, älterer Mitglieder zu verbrauchen, eioe Reserve bildeten, welche Reserve -- wenn die Mitglieder bei der Kasse bleiben -- das höhere Risiko in den altern Jahren bestreiten hilft, -- wenn sie aber austreten, als Abgangsentschädigung den Uebergang in eine andere Kasse ermöglicht.

II. Die Pensionskassen der Eisenbahnen.

Unsere schweizerischen Eisenbahnen besitzen sogenannte Hü l fsk a s s e n , bald nur eine, meistens zwei, ausnahmsweise sogar drei verschiedene Hülfskassen, um damit durch Unfall oder Krankheit Betroffene zu unterstützen und altern Beamten und Angestellten Ruhegehalte und nach ihrem Tode deren Wittwen und Kindern Pensionen auszurichten. In der Regel sorgen für die eigentlichen Beamten und Angestellten und ihre Familien solche Pensionskasseu, welche eben unser Postulat im Äuge hat, während für die Arbeiter nur Krankenkassen bestehen, welche keine bleibenden Pensionen gewähren und somit hier nicht weiter in Betracht kommen.

815 1. Wir gehen nun zur Behandlung der beiden auf die Eisenbahn-Pensionskassen bezüglichen Forderungen unseres Postulates über.

Dabei erlauben wir uns, die zweite dieser Forderungen, in welcher der bereits behandelte Freizügigkeitsgedanke auf die Eisenbahn-Pensionskassen angewendet wird, des Zusammenhanges wegen voranzustellen: ,,In gleicher Weise bleiben die daherigen R e c h t e denjenigen Eisenbahnangestellten gewahrt, welche aus dem Dienste einer Gesellschaft i n d e n D i e n s t e i n e r a n d e r e n G e s e l l s c h a f t ü b e r g e h e n t t (d.h. die aus einer gewissen Dienstdauer entspringenden Rechte).

Vergegenwärtigen wir uns zunächst die praktische Bedeutung dieser Forderung gegenüber den bestehenden Statutenbestimmungen der fraglichen Pensionskassen. Diese letzteren stellen zunächst alle Mitglieder, welche vor zurückgelegtem 30. Altersjahre beitreten, -- einzelne Statuten sogar alle bis zum 35. oder 40. Altersjahre Beitretenden -- den bereits in jungem Jahren Eingetretenen in Beziehung auf die zu bezahlende Prämie gleich; einige Kassen verlangen von den nach zurückgelegtem 30., beziehungsweise 35. Altersjahre Eingetreten, daß sie bis zu diesem Altersjahre zurück die Prämien nachbezahlen. Vom zurückgelegten 40. Altersjahre an werden in der Regel keine Mitglieder mehr in die Pensionskasse aufgenommen (indem die Nachzahlungen ja doch nicht geleistet werden könnten); Bewerber von bedenklicher Gesundheit werden sogar schon vor dem 40. Altersjahre ausgeschlossen. Die Höhe der Pension des invalid gewordenen Angestellten, wie seiner Wittwe und Kinder, richtet sich nach der Zahl der Dienstjahre.

Darf nun der Bund verlangen, daß die Pensionskassen der Eisenbahnen bei der Aufnahme neuer Mitgli-iBer in noch höherem örade, als dies bereits geschieht, von den Forderungen der Versicherungstechnik absehen, nach welchen die nach dem Eintrittsalter zu erwartenden Prämien-Einnahmen nebst Zinsen im Gleichgewicht stehen müssen mit den später den Mitgliedern desselben Eintrittsalters auszurichtenden Pensionen? Solche Freizügigkeit ist, wie gesagt, nur erreichbar entweder durch Abstufung der Prämie nach dem Eintrittsalter oder -- wenn man die Prämien für älter Eintretende nicht erhöhen will -- durch eine den Ausfall ganz deckende Nachbezahlung als Einkauf. In dieser Beziehung kann der Bund Milderungen
der A u f n a h ms bedingungen nicht verTangen.

Unser Postulat verlangt dies auch eigentlich nicht, sondern sein Sinn ist wohl der, es sollte beim Uebertritt eines Beamten

816

von einer Eisenbahngesellsehaft zur andern die von der letzter» wegen des höhern Eintrittsalters geforderte Mehrleistung von der erstem Gesellschaft in Form einer A b g a n g s - E n t s c h ä d i g u n g übernommen werden, und es sollten nicht, wie dies fast ausnahmslos der Fall ist, die freiwillig Austretenden aller und jeder Rechte aus ihren Einzahlungen verlustig erklärt werden.

Was unsere Eisenbahngesellschaften (welchen unser Postulat zur Rückäußerung zugestellt worden ist) durch die ,,Präsidial-Verwaltung der schweizerischen Eisenbahnkonfere.nz"1 dem EisenbahnDepartement erwidert haben, kann als eine genügende Widerlegung eines derartigen Anspruches nicht angesehen werden.

Die Eisenbahnkonferenz behauptet und weist dies nachträglich auch mit Zahlen nach, daß zufolge der sehr verschiedenartigen Statutenbestimmungen der Pensionskassen die Rechte, welche in denselben ein z. B. im ersten Dienstjahre arbeitsunfähig gewordener Eisenbahnbeamter gegenüber seiner Gesellschaft besitze, so ungleich seien, daß man eine von diesen Verschiedenheiten absehende Freizügigkeit von einer Bahn zur andern nicht gestatten könnte. Zugegeben ! Folgt aber daraus, daß gar keine Abgangsentschädigung bezahlt werde?

Die Eisenbahnkonferenz behauptet ferner, daß bei der Entschädigung der in den Dienst einer andern Bahn Uebertretenden diese günstiger gestellt würden, als diejenigen, welche aus dem Bahndienst in eine andere Carrière übergehen. Hierauf würde nur folgen, daß alle Austretenden dasselbe Recht auf eine Abgangsentschädigung haben.

Die Eisenbahnkonferenz behauptet endlich, der zu einer andern Bahn Uebertretende würde nicht seine Rechte aufgeben, wenn er nicht aus irgend welchen Gründen seine neue Stellung trotz diese» Verlustes vorzöge. Hierauf könnten die betroffenen Eisenbahnbeamten wohl in manchen Fällen erwidern, daß nicht eine Kompensation durch materielle Vortheile, sondern zwingende Familienoder persönliche Verhältnisse sie zum Dienstwechsel veranlaßt hätten, und daß eine Eisenbahngesellschaft, welcher gegenüber sie ihre Pflicht erfüllt, sich solche Verhältnisse nicht zu Nutze machen sollte.

Auch der von der Eisenbahnkonferenz hervorgehobene Umstand, daß solche Dienstwechsel selten seien, wäre kein Grund gegen die Verabfolgung einer Abgangsentschädigung, sondern eher ein Grund, sie zu bewilligen.

Wir glauben indessen, daß, wenn unser Postulat ausdrücklich die Verabfolgung einer Abgangsentschädigung an freiwillig austretende

817 Angestellte verlangt hätte, es den Eisenbahngesellschaften an sehr schlagenden Argumenten zur Abweisung einer solchen Forderung; unter dermaligen Umständen nicht fehlen würde.

Die Eisenbahngesellschaften könnten mit Recht geltend machen^ die von Anfang an in den Statuten ihrer Pensionskassen stehende Bestimmung, daß freiwillig austretende Mitglieder auf alle Rechte aus ihren Einzahlungen Verzicht leisten, sei eine im Interesse stetigen Bahndienstes aufgestellte, von allen Augestellten angenommene Klausel des Anstellungsvertrages, deren Aufhebung erst dann verlangt werden dürfte, wenn die Hülfskassen überhaupt Einnahmenüberschüsse aufwiesen. Nun habe jedoch die Erfahrung aller schon längere Zeit funktionirenden Eisenbahnpensionskassen gezeigt, daß die anfänglichen Prämien viel zu niedrig angesetzt gewesen und daß auch durch die seitherigen Erhöhungen das entstandene Defizit noch nicht beseitigt sei, daß also eine jede Erweiterung der Rechte der Mitglieder weitere Erhöhungen der Prämien bedingen würde.

Freilich, wenn bei unsern Eisenbahnpensionskassen die Prämie von Anfang an in richtiger technischer Weise so berechnet gewesen wäre, daß auch für jeden Austretenden das Deckungskapital in der Kasse sich befände, dann wäre auch die Forderung der Verabfolgung einer Abgangsentschädigung eine gerechtfertigte, und dann wäre auch die durch das Postulat geforderte Freizügigkeit durch die Organisation dieser Kassen selbst eo ipso ermöglicht. Dies ist jedoch nicht nur dermalen noch nicht der Fall; es kann auch bei der im Gange befindlichen Rekonstruktion dieser Kassen die Verabfolgung einer solchen Abgangsentschädigung an freiwillig Austretende einstweilen noch nicht in Aussicht genommen werden, weil schon durch die Beschaffung der Hulfsmittel für die Erfüllung der durch die Statuten v e r s p r o c h e n e n Leistungen die Finanzen der Mitglieder und der Eisenbahngesellschaften in außerordentlicher Weise in Anspruch genommen werden. Die in den letzten Jahren hei den verschiedenen altern Pensionskassen stattgefundenen technischen Untersuchungen haben nämlich ergeben, daß die von denselben ihren gegenwärtigen Mitgliedern versprochenen Leistungen jeweilen um eine oder mehrere Millionen über die vorhandenen und nach eben denselben Statuten zu gewärtigenden Hulfsmittel hinausgehen. Nach Allem dürfen wir
voraussetzen, daß auch bei den andern, noch nicht untersuchten Pensionskassen infolge ähnlicher Ursachen analoge Mißverhältnisse zwischen Aktiven und Passiven sich herausstellen werden.

Unter solchen Umständen müssen wir zunächst froh sein, wenn wir es dahin bringen, daß die Hülfskassen wenigstens befähigt

«18 werden, zu erfüllen, was sie v e r s p r o c h e n haben. Bei diesem Anlaße darf übrigens daran erinnert werden, daß es auch kantonale obligatorische Pensiouskassen für Beamte und Angestellte verschiedener Berufsarten gibt, welche austretenden Mitgliedern keine Rückvergütung für bezahlte Beiträge entrichten.

Damit soll nun aber keineswegs gesagt sein, daß unter den bestehenden Verhältnissen kein Angestellter ein Recht auf eine Abgangsentschädigung besitze. Diese Frage ist flir jede einzelne Kasse besonders nach Recht und Billigkeit zu entscheiden, und was die neu zu kreirenden Kassen und die neu zu erlassenden Statuten derselben betrifft, so ist es selbstverständlich, daß diese Ansprüche für die Zukunft den Verhältnissen entsprechend festgestellt und gesichert werden müssen.

2. Unser Postulat ladet den Bundesrath ferner ein, die Frage zu prüfen, ob der Bund es nicht dahin bringen könne, daß die Hülfskassen der Eisenbahngesellscbaften wie folgt organisirt werden : ,,Falls bei einer Bahn ein E i g e n t h u m s - oder ein B e t r i e b s - w e c h s e l stattfindet, bleiben dem Dienstpersonal seine Antheilsrechte an der Hülfskasse, sowie alle mit einer gewissen Dienstdauer zusammenhängenden Hechle gewahrt."

Wenu auch, zufolge den von den einzelnen Eisen bahngesell.schaften uns zugekommenen Berichten, der Fall noch nicht vorgekommen zu sein scheint, daß beim Eigenthums- oder Betriebswechsel von schweizerischen Bahnen oder Bahnstücken die Beamten und Angestellten dadurch in ihren Rechten geschädigt worden wären, so darf gleichwohl eine Garantie gegen das Eintreten einer solchen Möglichkeit gewünscht werden.

Die schon genannte .,,Präsidialverwaltung der Schweizerischen Eisenbahnkonferenz"1 schreibt uns jedoch, namens der Schweizerischen Eisenbahngesellschaften, unterm 5. August 1887 über dieses Postulat Folgendes: ,,Was die unter Ziffer l gestellte Frage betrifft, ob sich Vorschriften treffen lassen, durch welche beim Eigenthums- oder Betriebswechsel einer Bahn die Rechte des Beamtenpersonals an die Hülfskasse gewahrt bleiben, so müssen wir dieselbe verneinen. Die Lösung dieser Frage hängt vorkommenden Falls von einer Verständigung der beiden Kontrahenten ab, und da der eventuelle Uebernehmer, beziehungsweise Käufer einer Bahnstrecke für uns «ine unbekannte Größe ist, so sind wir auch nicht in der Lage, demselben irgend etwas vorschreiben oder über seine Absichten

819 irgend etwas sagen zu können. Der Uebergang einer Bahn in das Eigenthum eines Dritten läßt sich denken unter der Voraussetzung, daß der neue Erwerber alle mit der Hülfskasse zusammenhängenden Rechte und Verpflichtungen mit übernimmt, in welchem Falle -- Solvabilität der letztern angenommen -- der übertretende Beamte in der gleichen Stellung bleiben wird, in welcher er sich uuter dem Verkäufer befand. Es läßt sich aber auch denken, daß der Erwerber einer Bahn -- sei es nun der Bund oder eine bereits bestehende oder neu zu bildende Gesellschaft -- sich auf den Standpunkt stellt, er kaufe nur unter der Bedingung, bezüglich der Entlassung oder Beibehaltung der Beamten und bezüglich Einrichtung einer neuen Hülfskasse vollständig freie Hand zu haben, und ohne Ueberuahme irgend einer mit der Hülfskasse zusammenhängenden Verpflichtung, wogegen auch der angesammelte Fonds dem bisherigen Eigenthümer verbleiben würde. Die Annahme solcher Verpflichtungen wird von dem Letztern kaum abgelehnt werden, insofern die Abtretungsmodalitäten im Uebrigen Konvenienz bieten, und es werden in diesem Falle die Rechte der Beamten an die Hülfskasse auf dem Wege einer sofortigen oder successive durchzuführenden Liquidation der Hülfskasse gewahrt werden müssen. Ueber den Modus einer solchen Liquidation läßt sich aber zum Voraus wieder nichts Bestimmtes festsetzen, da die besondern Verhältnisse jeder einzelnen Hülfskasse hiebei wesentlich in Betracht kommen. tt Hier erklären uns also die schweizerischen Eisenbahnverwaltungen durch ihr gemeinsames Organ, die Präsidial Verwaltung der Schweizerischen Bisenbahnkonferenz, daß bei einem Bigenthumsoder Betriebswechsel einer Bahn dem Dienstpersonal seine Antheilrechte an der Hülfskasse, sowie die mit der Dienstdauer verbundenen Rechte nicht gewahrt seien und nicht gewahrt werden können, erstens weil der neue Erwerber oder Pächter bezüglich der bestehenden Dienstverträge und der bestehenden Hülfskasse vielleicht sich seines freien Entscheidungsrechtes nicht begeben wolle, sodann ·weil auch der gegenwärtige Besitzer einer Bahn der Hülfskasse wegen einen Abtretungsvertrag nicht zurückweisen würde, sofern ,,die Abtretungsmodalitäten im Uebrigen Konvenienz bieten", und daß in diesem Falle die Rechte der Beamten an dieselbe auf dem Wege einer sofortigen oder successiven Liquidation gewahrt
werden müssen, über deren Modus nichts Bestimmtes zum Voraus festgesetzt werden könne.

Diese Erklärung der Eisenbahngesellschaften lautet sehr beunruhigend für ältere Beamte derselben, welche bisher der Meinung waren, in der Hülfskasse Vorsorge für ihre alten Tage und für ihren

820 Tod getroffen zu haben und in diesem Vertrauen jede andere Versicherung unterließen.

Der Verkauf der Bahn, bei welcher sie angestellt sind, kann also ihre Aussichten zertrümmern? Der Käufer der Bahn darf die Uebernahme der Hülfskasse ablehnen und der Verkäufer darf, statt auf diese Uebernahme zu dringen, nach seiner Konvenienz zur Liquidation schreiten?

Was könnte denn -- fragen wir -- den Käufer bewegen, die Uebernahme der Hülfskasse abzulehnen, und den Verkäufer, sich dies gefallen zu lassen? Ein Käufer, welcher eine Hülfskasse für die Beamten der zu kaufenden Bahn zu halten wünscht, wird doch unter allen Umständen lieber eine schon bestehende -- solvable -- Hülfskasse übernehmen, als erst eine neue gründen; ein solcher., welcher grundsätzlich dagegen ist, einen zeitlichen Dienstvertrag mit einem lebenslänglichen Versicherungsvertrag zu verbinden, kann eine solvable Hülfskasse gleichwohl übernehmen und alsdann gleichwohl entweder einfach die Verträge auslaufen lassen oder deren Abwicklung mittelst eines Rückversicherungsvertrages einer privaten Versicherungsgesellschaft überbinden. Er übernimmt freilich mit der Hülfskasse auch die Beamten der Bahn, aber unter nicht andern Bedingungen, als den bisher bestehenden, d. h. er kann trotz der Hülfskasse diejenigen, welche sich gegen die Dienstordnung vergehen, ohne Entschädigung entlassen.

Daher sind wir geneigt, nicht in dieser beschränkten Gebundenheit des Käufers an die Beamten der Bahn und an ihre Hülfskasse das Haupthinderniß ihres Uebergangs an denselben zu erblicken, sondern vielmehr in dem f i n a n z i e l l e n Z u s t a n d e der E i s e u b a h n p e n s i o n s k a s s e n . Jedenfalls aber ist wegen dieses finanziellen Zustandes derselben für ihre Mitglieder nichts bedrohlicher als -- die Liquidation. Eine ,,sofortige" Liquidation einer Kasse, welche die erforderlichen Deckungskapitalien nicht besitzt, kann für ihre Mitglieder nur verderblich sein; die Abgangsentschädigung, welche sie bei der sofortigen Liquidation erhalten, wird es ihnen in vorgerückterem Alter schwerlich ermöglichen, bei einer Versicherungsgesellschaft die dem Alter entsprechenden höhern Kosten der Versicherung zu bestreiten; wahrscheinlich kann auch der für eine neue Versicherung geforderte Gesundheitsnachweis nicht mehr geführt werden. Die ,, W a h r u n g der
Rechte an die Hülfskasse auf dem Wege einer sofortigen Liquidation"1 gestaltet sich also zu einem V e r l u s t e der Rechte an die Hülfskasse auf dem Wege einer sofortigen Liquidation, einem Wege, welcher bis zum Jahre 1888 unseres Wissens in den Statuten keiner einzigen Eisenbahnpensionskasse Erwähnung gefunden, während umgekehrt verschiedene Statuten gegen eine Vertheilung des Vermögens sich aussprechen.

821 Wir haben gesehen, daß die finanzielle Situation der Eisenbahnpensionskassen die Ausbezahlung einer Abgangsentschädigung und damit die einzig rationelle Form der Freizügigkeit des Eisenbahnpersonals verunmöglicht, daß dieselbe finanzielle Situation das Haupthindemiß für den Uebergang einer Hülfskasse auf den Käufer ·einer Bahn bildet, und daß sie endlich bei einer aus dieser Schwierigkeit resultirenden Liquidation die Versicherten mit einem schweren Schlage bedroht. Diese finanzielle Situation bildet aber auch ohne Bahnverkauf und Liquidation eine Gefahr für die Versicherten -- ·wie wir noch sehen werden -- und es ist nach all diesen Richtungen nur dadurch Hülfe zu schaffen, daß der Bund die Axt an die Wurzel des Uebels legt.

Es kann dieses jedoch nur geschehen, wenn die Ursache des Uebels und das Mittel zur Abhülfe zuvor erkannt sind.

Liegt etwa der Organisation der Eisenbahuhülfskassen, welche man noch vor wenigen Jahren dem Bunde als Vorbild der obligatorischen Beamtenversicherung empfohlen hat, ein unrichtiges Prinzip zu Grunde?

Unsere Eisenbahnpensionskassen sind nichts Anderes als eine Nachahmung der ausländischen, zunächst der deutschen Eisenbahnpensionskassen. Wie es aber mit diesen zu der Zeit, als sie von uns zum Vorbilde genommen wurden, stund, darüber belehrt uns eine in jener Zeit verfaßte Schrift eines deutschen Versicherungs.technikers (Dr. August Wiegand : Mathematische Grundlage für Eisenbahnpensionskassen, 1859). .«Die Eisenbahnpensionskassen, sagt derselbe, entbehren zur Zeit jeder mathematischen Grundlage.

.Die Gesellschaften haben Statuten entworfen, darin Pensionsprozente für die verschiedenen Dienstalter und zur Erlangung derselben den Beamten gewisse Gehaltsprozente als Beiträge auferlegt, dann ;aus eigenen Mitteln wieder eine gewisse Summe als Zuschuß angesetzt, ohne auch nur den geringsten technischen Anhalt zu haben, ·ob auch das Eine dem Andern entspricht; kurz, es sind alle diese Festsetzungen von Geldbeträgen willkürlich gegriffen worden. Auf die Höhe des Eintrittsalters hat man nun vollends gar keine Rücksicht genommen; man hat nicht daran gedacht, daß mit dem .höhern Alter auch eine größere Sterblichkeits- und Invaliditätsgefahr verbunden ist, vielmehr den 20jährigen Beamten mit dem 40jährigen gleich besteuert. Ferner hat man zwar Reservekapitalien gesammelt,
weiß aber nicht, ob diese wirklich auch die Schuld und Forderung des Instituts im technischen Sinne ausgleichen.

Ueber alles dies hat keine dieser Kassen auch nur annähernd ein Urtheil, eine hat ihr Statut der andern nachgebildet und geglaubt, was für andere passe, würde auch für sie passen."

822 Gerade so ist es auch bei uns gegangen. Dem von andern gegebenen Beispiel folgend, stellten die Gesellschaften für ihr Personal obligatorische Kassen auf, welche den Beamten für den Fall der Invalidität und für den Fall ihres Todes ihren Wittwen und Waisen bescheidene Pensionen zusicherten. Dafür wurde den Beamten ein Besoldungsabzug von durchschnittlich 2Va, ja sogar von nur 2 °/o der Besoldung gemacht, und die Gesellschaft fügte einen bescheidenen Jahresbeitrag oder auch gar keinen bei ; außerdem wurden der Kasse noch einige nicht in's Gewicht fallende Accidentien zugewiesen, wie Bußen, Erlös für gefundene und nicht reklamirte Gegenstände etc. Das ging eine Reihe von Jahren ganz schön; die Jahresrechnung konnte einen wachsenden Fonds aufweiseu, den man als eine ersparte Reserve, als eine wohlthätige Stiftung betrachtete, ohne eine Ahnung'davon zu haben, daß diesem Aktivutn ein vielleicht noch viel größeres Passivum gegenüber stehe, wenn auch die Statuten der Stiftung für den Fall, daß größere Hülfsmittel nothwendig werden, eine Revision zugaben. Und diese Eventualität trat ein in viel größerem Umfang, als man geahnt hatte;*) ein Jahrzehnt um das andere brachte Statutenrevisionen; bereits hat eine Gesellschaft, welche mit einer durchschnittlichen Prämie von 2 °/o begonnen hatte, dieselbe für alle Beamten auf 5 % erhöht, dagegen die Leistungen dei- Kasse, sogar die Renten bereits im Pensionsgenusse befindlicher Wittwen, ganz erheblieh redussirt und stellt in erster Linie weitere Reduktionen in Aussicht, wenn die nächste Prüfung der Kasse ergebe, daß das finanzielle Gleichgewicht noch nicht hergestellt sei. Gleichzeitig werden, freilich etwas spät, auch die Beiträge der Gesellschaften an die Pensionskassen successive *) In welcher "Weise sich die Zahl der Pensionirten bei diesen Hülfskassen successive erhöhte, zeigt folgendes Beispiel: Hitgl oder Mitglieder % % Betriebsjahr.

bezahlende.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

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13.

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575 694 769 870 879 907 866 884 874 882 900 905 924 994 1158

i.

der beunterstützte. zahlenden,

5 7 13 21 24 33 34 42 50 60 71 80 92 102 125

0.9 1.0 1.7 2.4 2.7 3.6 3.9 4.8 5.7 6.8 7.9 8.8 10.0 10.3 10.8

Betriebsjähr.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

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30.

bezahlende.

unterstützte.

1303 1399 1446 1475 1421 1357 1304 1287 1323 1382 1416 1427 1449 1485 1511

144 162 179 215 256 277 291 311 315 326 349 376 398 413 431

der bezahlenden.

11.1 11.« 12.4 14.6

18.0 20.4 22.8 24.9 23.8 23.0 24.7 26.3 27.6 27.8 28.6

823 erhöht, alles mehr oder weniger in Berücksichtigung eingeholter Expertengutachten.

Nur wenige Gesellschaften haben in annähernd ausreichender Weise die Einnahmen mit dea Ausgaben in's Gleichgewicht gebracht; die andern überlassen dies der Zukunft.

Daß bei diesem tastenden und pröbelnden Vorgehen auf dem Gebiete der Lebensversicherung die bei einer Eisenbahngesellschafl Versicherten sehr ungleich belastet werden, leuchtet sofort ein. Die erste Generation kommt ungemein billig weg, denn die Hauptlast, wird auf die Zukunft gewälzt; die zweite Generation dagegen, welche die Verpflichtungen der ersten Generation erbt, muß für sie büßen; die jetzt in jungen Jahren Beitretenden dürfen sich die Frage vorlegen, ob sie nicht, ungeachtet der hohen Zuschüsse der Gesellschaften, bei einer privaten Versicherungsgesellschaft dasselbe Resultat um billigern Preis erzielt hätten. Wenn nun aber gerade diese ihre Versicherung theuer genug erkaufenden Mitglieder noch befürchten müssen, daß bei Gelegenheit des Verkaufes ihrer Bahn ihre Hülfskasse aufgelöst werde, während diese nur unter der Voraussetzung ihres Fortbestandes und der fortdauernden erhöhten» Zuschüsse seitens der Bahngesellschaft ihren Verpflichtungen nachkommen kann : dann fragen sie wohl mit Recht, ob es für die bei einer schweizerischen Eisenbahngesellschaft Versicherten keinen Schutz gebe, -- ob der Bund, welcher seit einigen Jahren in seinen Konzessionen selbst die Errichtung von Hülfskassen verlangt und in den Rückkaufsbestimmungen der Konzessionen die Drittmannsrechte auf Hülfskassen vorbehält, den Mitgliedern dieser Kassen, nicht eine gesichertere Stellung zu verschaffen vermöge?

Da der Bund nach Maßgabe des Gesetzes vom 25. Juni 1885 die Aufsicht über die Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens ausübt, so scheint als der einfachste Weg der Abhülfe der: die Eisenbahngesellschaften, welche in der Schweiz gegen Prämie Versicherungen auf das menschliche Leben abschließen^ diesem Bundesgesetze zu unterstellen.

Durch ein solches Vorgehen würden wir jedoch über das Ziel hinausschießen. Bei Unterstellung der Eisenbahn-Pensionskassen unter dieses Bundesgesetz müßte diesen Hülfskassen einfach die Konzession zum Geschäftsbetriebe verweigert und der Abschluß neuer Versicherungsverträge untersagt werdetf ; mit dem Wegfall des Obligatoriums
gegenüber neuen Angestellten wären sie auf den Aussterbeetat gesetzt und würden infolge der schnellen Abnahme der bezahlenden Mitglieder gerade zu dem getrieben, wovor man sie schützen will, zur Liquidation.

824 So, wie diese Pensionskasseo beschaffen sind, würden sie in der Mehrzahl schon den technischen Anforderungen nicht genügen, welche nach dem Bundesgesetze an Lebensversicherungsgesellschaften gestellt werdeu müssen. Sie könnten aber auch in formeller Beziehung nicht genügen, weder als Aktiengesellschaften, noch als Gegenseitigkeitsgesellschaften.

Obschon von Aktiengesellschaften gegründet, entbehren sie eines eigenen, für die Lebensversicherung haftenden Aktienkapitals, welches wir von Lebensversicherungsgesellschaften auf Aktien verlangen ; als Genossenschaften zum Zwecke der gegenseitigen Versicherung können sie noch weniger angesehen werden, weil wir noch gar nicht wissen, ob die erst in's Leben zu rufende Generalversammlung der Versicherten durch ein selbstständig aufzustellendes Statut die zur soliden Führung des Versicherungsgeschäftes notwendigen Leistungen übernehmen wollte und könnte.

Doch wir haben es ja nicht mit privaten Versicherungsunternehmungen, überhaupt nicht mit reinen Privatunternehmungen zu Ihun, sondern mit öffentlichen Verkehrsanstalten, welche auf bestimmte Zeiten bereits konzessionirt sind, uach gewissen Fristen sogar vom Bund oder den Kantonen zurückgekauft werden können, mit Institutionen, welche bereits der Aufsicht des Bundes unterliegen, deren S t a t u t e n dem Bunde zur Genehmigung vorgelegt werden müssen und für deren B i l a n z e n durch das Obligationenrecht und ein Spezialgesetz bereits Bestimmungen aufgestellt sind.

Wir können die richtigen versicherungstechnischen Grundsätze bei den Hülfekassen der Bisenbahnen zur Geltung bringen, ohne den gesetzlichen Rahmen, in welchen dieselben eingefügt sind, zu verlassen und diese Hülfskassen als etwas uns Fremdes, als erst noch um Einlaß bittende eigene Unternehmungen zu behandeln.

Sie sind mit unserm Wissen und Willen da, und wenn wir in ihrer ·Organisation Mängel finden, so haben wir so gut als möglich Ordnung zu schaffen, ohne zu der Liquidation dieser Anstalten hinzutreiben.

Haben wir bisher irrthümlich die Fonds der Eisenbahnhülfsitassen als eine ersparte Reserve für Unvorhergesehenes, als ein für seine Zwecke reichlich genügendes Aktivum angesehen, so wissen wir jetzt, daß diesem Aktivum ein nicht mehr in Abrede zu stellendes, viel größeres"Passivum gegenübersteht, und es ist sogar möglich, mittelst der
seit bereits zwei Jahrzehnten von den .deutschen Eisenhahngesellschaften sorgfältig betriebenen Statistik über Invalidität und Mortalität der Eiseubahnbeamten dieses Passivum zu berechnen.

825 Also hätte es auch berechnet werden und nach den Grundsätzen des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 1883 über das Rechnungswesen der Eisenbahngesellschaften, sowie nach dem Bundesgesetz vom 20. Dezember 1878, betreffend Sicherstellung der Kranken-, Unterstützungs-, Pensions- etc. Kassen der Eisenbahnangestellten, in die Bilanz dieser Kassen eingestellt werden s o l l e n .

Dies ist allerdings in den angeführten Gesetzen nicht ausdrücklich .gesagt, indem der in der Sache nicht orientirte Gesetzgeber es nicht als nothwendig ansah. Nachdem wir jedoch die Bedeutung der Angelegenheit eingesehen haben, werden wir das Versäumte nachholen müssen. Sollen die von den Eisenbahngesellschaften veröffentlichten Bilanzen eine Bedeutung haben, so dürfen wir nicht Verpflichtungen, welche in die Millionen gehen, ignoriren. Kaum wird mau uns noch entgegnen dürfen, die Eisenbahngesellschaften hätten es vollständig in ihrer Gewalt, die laufenden Ausgaben dieser Kassen mit deren Einnahmen im Gleichgewicht zu halten dadurch, daß sie mittelst Statutenrevision die Leistungen der Versicherten beliebig erhöhen und deren Genüsse ebenso beliebig beschneiden.

Eine gegenseitige Versicherungsgesellschaft, welche durch ganz selbstständig aufgestellte Statuten die volle Verantwortlichkeit für die in denselben gegebenen Verheißungen übernommen hat, kann allerdings angehalten werden, der übernommenen Solidarität Genüge zu leisten. Hier ist der Fall ein anderer. Die Versicherten haben nur das Bruchstück einer Selbstverwaltung. Die Hülfskassen der Eisenbahnangestellten sind von den Eisenbangesellschaften gegründet; diese haben die ersten Statuten und alle folgenden erlassen und ihre Mitwirkung in Aussicht gestellt. Die den Versicherten als ein Bestandteil ihres Einkommens gemachten Versprechungen dürfen nicht auf ganz unzulängliche Leistungen herabgedrückt, der bescheidene Lohn der Versicherten darf nicht durch Abzüge zu Gunsten der Hülfskasse beliebig reduzirt werden; es kann aber namentlich nicht zugestanden werden, daß das Defizit der Hülfskasse auf eine nachfolgende Generation abgewälzt werde. Dem beständigen Wechsel der Versicherungsbedingungen, der Rechte und Pflichten der Mitglieder und der Unbestimmtheit in den Zusicherungen der Gesellschaft ist ein Ende zu machen.

Es ist ein auf versicherungstechnische Berechnungen basirtes
Statut aufzustellen, das man für neu Eintretende mit gutem Gewissen als verbindlich vorschreiben darf. Sie müssen dabei die Garantie haben, daß ihre Beiträge nicht zur Deckung des vorhandenen Defizits dienen, sondern daß sie oder ihre Angehörigen dadurch sichere Pensionen erwerben, deren Baarwerth wenigstens dem Baarwerth ihrer Einlagen entspricht, ja noch einen etwas hohem Bundesblatt. 40. Jahrg. Bd. IV.

56

826 Werth hat, indem ja die Gesellschaft regelmäßige Zuschüsse ak Erleichterung ihrer Versicherung in Aussicht stellt. Wie groß dieser regelmäßige Zuschuß zu ihren Gunsten, nicht behufs der Deckung des bisherigen Defizits, sei, muß ihnen gesagt werden.

Der für die Deckung des vorhandenen Defizits bestimmte Theil des Zuschusses muß also von dem regulären Zuschuß ausgeschieden, es muß für die Deckung des Defizites aus andern als den regulären künftigen Einnahmen gesorgt und zu diesem Zwecke dieses Defizit ausgemittelt werden.

Es darf freilich den Eisenbahngesellschaften nicht zugemuthet werden, daß das Defizit unter Zugrundelegung der frühern, zu geringen Prämien der Mitglieder berechnet werde, als ob diese Prämien nicht wenigstens für die Zukunft erhöht und die künftigen Pensionen nicht etwas niedriger angesetzt werden dürften. Es muß der Gesellschaft gestattet sein, diejenige Festsetzung der Rechte und Pflichten, welche für neu Eintretende nach ihrem durchschnittlichen Eintrittsalter als billig erscheint, sofort auch auf die bisherigen Mitglieder anzuwenden, indem ihnen dadurch immer noch erlassen wird, was bisher von ihnen zu wenig gefordert wurde. Das für neu Eintretende billige Normalstatut wird daher sofort auf die bisherigen Mitglieder angewendet. Die Summe, um welche nach diesem Statut die zukünftigen Ausgaben der Kasse deren zukünftige Einnahmen übersteigen, ist das D e c k u n g s k a p i t a l , welches sich von Rechts wegen in der Kasse befinden sollte. Die Summe, um welche das vorhandene Vermögen der Kasse hinter dem Deckungskapital oder dem Passivum der Kasse zurückbleibt, ist das Def i z i t , welches die Gesellschaft, als Urheberin desselben, zu decken hat mittelst außerordentlicher Zuschüsse.

Was nun, um einen soliden Rechtszustand herzustellen, zu verlangen ist, ist das, daß ein solches Statut, wie es für Eintretende von durchschnittlichem Alter billiger Weise verlangt werden darf, erstellt und nach diesem das Defizit berechnet und für dessen Tilgung gesorgt werde.

Diese Statuten sind wichtig genug, um sie gleich den Gesellschaftsstatuten , welche nach Art. 7 des Eisenbahngesetzes dem Bundesrathe zur Genehmigung vorzulegen sind, dieser bundesräthlichen Genehmigung zu unterwerfen. Die auf Grundlage derselben zu erstellenden Rechnungen und Bilanzen sind alsdann ebenfalls wie die
Hauptrechnungen und die Hauptbilanzen zu behandeln.

Wird, wie wir es Ihnen vorschlagen, das Bundesgesetz über das Rechnungswesen der Eisenbahngesellschaften in diesem Sinne ergänzt, so ist beim Uebergang einer Eisenbahn an einen andern

827 Besitzer das Schicksal der Pensionskasse nicht mehr ein unsicheres, auch wenn ein Defizit bei Letzterer vorhanden wäre, indem dieses gleich den andern Schulden der Bahn vorerst aus dem Erlös zu decken wäre und der neue Käufer nicht Anstand nehmen würde, ja sogar angehalten werden könnte, für die Abwickelung der bestehenden Verträge zu sorgen. Es ist aber nicht bloß für diesen einen Fall gesorgt, sondern es ist überhaupt die bisherige prekäre Stellung der Pensionskassen, welche bei der Besprechung jenes Falles zu Tage trat, beseitigt.

Die Frage der Abfindung der freiwillig austretenden Eisenbahnangestellten kann erst ernstlich in Erwägung kommen, wenn die Eisenbahnpensionskassen einmal stark genug sind, ihren bisherigen Verpflichtungen nachzukommen. Im gegenwärtigen Momente würde die Geltendmachung dieses Postulats nur das Defizit und die festzustellende Versicherungsprämie noch erhöhen und die ohnehin schwierige Sanirung dieser Pensionskassen noch mehr erschweren.

Indem wir uns der Hoffnung hingeben, mit unserm Antrage dem wichtigsten und dringendsten Theile des uns überwiesenen Postulates entsprochen zu haben, benutzen wir den Anlaß, um Sie, Tit., aufs Neue unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 24. November 1888.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Vizepräsident:

Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Ringier.

828 (Entwurf)

Bundesgesetz betreffend

das Rechnungswesen der Hülfskassen der Eisenbahngesellschaften.

Die Bundesversammlung der s c h w e i z e r i s e h e a E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 24. November 1888, beschließt: 1. Das Bundesgesetz vom 21. Dezember 1883 über das Rechnungswesen der Eisenbahngesellschaften erhält folgende Zusätze : Art. 4»i".

Die bestehenden Statuten oder Vorschriften für die Hulfskassen der Eisenbahngesellschaften sind dem Bundesrathe zur Genehmigung vorzulegen.

Die Statuten oder Vorschriften derjenigen Hülfskassen, welche die Invaliditäts-, Alters- oder Todesversicherung der Beamten und Angestellten der Eisenbahngesellschaften bezwecken, sollen die Leistungen der Kasse einerseits und die Beiträge der Versicherten und der Eisenbahngesellschaft anderseits in eine solche Uebereinstimmung bringen, daß den Versicherten nicht unbillige Lasten auferlegt werden.

829

Art. 4*«.

Die Jahresrechnungen und Bilanzen der Hülfskassen sind dem Bundesrathe zur Genehmigung vorzulegen, welcher darüber zu wachen hat, daß dieselben den Vorschriften des Art. 656 des Obligationenrechts und des Art. 6 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885 über die privaten Versioherungsunternehmungen entsprechen.

Die Bilanzen der für die Invaliditäts-, Alters- oder Todesversicherung des Eisenbahnpersonals aufgestellten Hülfskassen sind mindestens alle fünf Jahre und außerordentlicher Weise beim Uebergange der Kasse an einen andern Besitzer nach versicherungstechnischen Grundsätzen zu berechnen; bei den Rechnungen für die dazwischen liegenden Jahre wird diesem Gesetze ein Genüge geleistet, wenn die Reserve um den Betrag des Einnahmenüberschusses der Jahresrechnung vermehrt wird.

Ergibt die Bilanz ein Defizit, so fällt dasselbe der Eisenbahngesellschaft zur Last und ist beim Abschluß der Generalbilanz der Gesellschaft zu berücksichtigen. Der Bundesrath wird nach Einholung eines Amortisationsplanes bestimmen, in welcher Frist und in welchen Beträgen der Ersatz zu geschehen hat.

Rechnungsüberschüsse der Hülfskassen sind zunächst zur Begründung und Vermehrung von Speziaireserven, welche zur Deckung möglicher Defizite fnothwendig erscheinen, so.

dann auch in anderer Weise im Interesse der Versicherten zu verwenden.

Uebergangsbestinunungen.

Die Bestimmung 4 erhält folgenden Zusatz : 4bla. Die Statuten und Rechnungen der bestehenden Hülfskassen der Eisenbahngesellschaften sind bis spätestens den 1. Januar 1891 mit den Vorschriften dieses Gesetzes in Einklang zu bringen.

830

2. Der Bundesrath ist beauftragt, auf Grundlage Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 treffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze, die kanntmachung dieses Gesetzes zu veranstalten und den ginn der Wirksamkeit desselben festzusetzen.

# S T #

der beBeBe-

Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend die Abänderung des Art. 9 im Bundesgesetz über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen vom 23. Dezember 1872.

(Vom 28. November 1888).

Tit.

Der Bundesrath hat sich veranlaßt gesehen, im Geschäftsbericht vom Jahr 1887 über die dienstliche Beanspruchung des Personals der Eisenbahngesellschaften, sowohl in Ansehung der Frage der Ruhetage, als der täglichen Dienstzeiten, einige einläßliche Mittheilungen zu machen, welche dahin schlössen, daß die Grundlagen für eine erfolgreiche Kontrole unzulänglich seien und bezüglich der Ruhetage zum Mindesten wieder auf die Gesetzgebung von 1872 zurückgegangen werden sollte.

Nachdem die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrathes in ihrem Bericht vom 19. Mai 1888 sich der Auffassung des Bundesraths geneigt erklärt, aber definitive Vorschläge verlangt hat, sind wir in der Lage, solche hiemit vorzulegen und dieselben des Nähern zu begründen.

Zu diesem Zweck gestatten wir uns zunächst einen Rückblick auf die Entwickelung der Verhältnisse. In erster Linie war es die Frage der Sonntagsruhe, welche die Behörden in Anspruch nahm, sofern, als anläßlich der Berathung des Eisenbahngesetzes von 1872 bei der Bundesversammlung eine Reihe von Eingaben aus der ganzen.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die gegenseitigen Hülfsgesellschaften und insbesondere die Eisenbahnpensionskassen. (Vom 24. November 1888.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1888

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

53

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

08.12.1888

Date Data Seite

801-830

Page Pagina Ref. No

10 014 172

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