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Kreisschreiben des

Bundesrathes an die Kantonsregierungen, betreffend Wassergas.

(Vom 13. Juli 1888.)

Getreue, liehe Eidgenossen!

Veranlaßt durch die, Wahrnehmung, daß das sogenannte Wassergas in der Schweiz Eingang zu finden scheint, und gestützt auf das Gutachten einer von unserm Industrie- und Landwirthschaftsdepartement aus den Herren Prof. Dr. Lunge in Zürich, Prof. Dr.

Oskar Wyß in Zürich und Direktor Rothenbach in Bern bestellten Expertenkommission, welche auch die Herren Fabrikinspektoren Dr. Schuler und Nüsperli zuzog, haben wir die Ehre, Ihnen nachfolgende Mittheilungen zukommen zu lassen.

Vorab muß festgestellt werden, daß unter dem Worte ,,Wassergas" von den Industriellen zwei ganz verschiedene Gasarten verstanden werden.

Das eigentliche W a s s e r gas wird erzeugt, indem man überhitzten Wasserdampf ohne Luftbeimengung durch glühenden Coak oder dergleichen durchleitet. Dieses Gas wird in der Schweiz bis jetzt erst in einem Etablissement (in Winterthur) dargestellt.

Was im Uebrigen in der Schweiz unter dem Namen ,,Wassergas" angewendet wird, ist ein Gas, welches dadurch erhalten wird, daß man in einen gewöhnlichen, mit natürlicher Zugluft oder Gebläse betriebenen Gasgenerator Wasser oder Wasserdampf zutreten läßt, wobei ein Gasgemenge entsteht, welches als H a l b w a s s e r gas, Mischgas oder Generatorwassergas bezeichnet wird. Eines

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der zur Erzeugung solchen Gases verwendeten Systeme ist dasjenige von Dowson, weßhalb auch der Name D o w s o n g a s gebraucht wird.

Sowohl das Wassergas als das Halbwassergas sind im höchsten Grade gesundheitsgefährlich. Die genannte Kommission hat in analytischer und hygieinischer Richtung experimentelle Untersuchungen angestellt, welche dies zur Genüge beweisen.

Beide Gase verdanken nämlich ihre Giftigkeit ihrem reichlichen Gehalte an Kohlenoxyd. Das gewöhnliche Leuchtgas enthält im Durchschnitt circa 8 % Kohlenoxyd, das eigentliche Wassergas aber 39--42 % und das Halbwassergas 22--25 %.

Eine Luft, welche 10 %o Wassergas oder 15 °/oo Dowsongas enthält, ist für Warmblüter tödtlich, und Krankheitserscheinungen treten schon bei l °/oo Wassergas oder 3 %o Dowsongas ein. Die aus einem offenen Gashahn (von der für Leuchtbrenner gewöhnlichen Größe) in einer Stunde ausströmende Menge Wassergas genügt bei einem Zimmer von beiläufig 43 m 3 Inhalt, um die Insassen desselben komatös zu machen oder selbst zu tödten. Dabei wird schon sehr frühzeitig das Bewußtsein gestört und dann aufgehoben, und es werden die schützenden Reflexe vernichtet, sodaß der Mensch bei der Geruchlosigkeit jener Gase seiner natürlichen Hülfsmittel zur Wahrnehmung und Abwehrung der Gefahr beraubt wird.

Dem Wassergase kommt somit etwa die fünffache, dem Dowsongase oder andern Halb wassergasen etwa die dreifache Giftigkeit des Leuchtgases zu, und den beiden erstem Gasen wohnt wegen ihres unbedeutenden Geruches eine um so größere Gefährlichkeit bei.

Es ist demgemäß durchaus nothwendig, rechtzeitig Vorsichtsmaßregel n zu treffen, und wir stellen diesbezüglich folgende Vorschriften auf, welche für alle unter dem Bundesgesetze betreffend die Arbeit in den Fabriken stehenden Etablissemente Anwendung zu finden haben.

1) Wo Wassergas, Dowsongas oder ähnliche kohlenoxydreiche Gase in Leitungen verwendet werden, ist streng darauf zu achten, daß das Röhrensystem wirklich dicht sei, und daß nach Abstellung des Haupthahnes keine Hähne offen bleiben. Zur Kontrole des Entweichens von solchem Gas aus undichten Stellen der Leitung oder offen gelassenen Hähnen wird die Anbringung von sogenannten Gras-Koutroleuren oder ähnlichen Apparaten allgemein verbindlich gemacht: die Kontroiapparate sind so anzubringen, daß sie schon Undichtheiten der Hauptleitung, namentlich auch der unterirdischen Theile derselben, anzeigen.

85(5 2) Es ist dafür zu sorgen, daß die Verbrennungsprodukte der genannten Gase, sowie das sehr häutig mitkommende, durch Zufall unverbrannte Gas sich der zum Athmen bestimmten Luft der Fabriklokale nicht beimengen können. In welcher Weise dies geschehen soll, kann naturgemäß nicht allgemein, sondern nur nach den speziellen Umständen jedes Einzelfalles bestimmt werden. Die betreffenden Einrichtungen sind durch Prüfung der umgebenden Luft auf die etwaige Anwesenheit von Kohlenoxyd, z. B. vermittelst des Palladiumpapieres, zu kontroliren. Zu empfehlen ist, dem Wassergas und Halbwassergas auf künstlichem Wege einen penetranten Geruch zu ertheilen, durch den ein Entweichen sich sofort verrathen würde.

"Wir haben die Ehre, Sie einzuladen, vorstehenden Anordnungen gemäß Art. 17, Abs. l, des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken gehörigen Vollzug zu verschaffen, und hoffen, daß Sie von Seite der Fabrikanten, die es angeht, um so bereitwilligeres Entgegenkommen finden, als es auch in deren finanziellem Interesse liegt, Kohlenoxyd-Vergiftungen durch Wassergas und Halbwassergas zu verhüten, indem sie bezüglich solcher gemäß Art. l, Ziff. (i, unseres Beschlusses vom 19. Dezember 1887 unter der Haftpflicht stehen.

Unsere Fabrikinspektoren sind angewiesen, Ihnen bei der Vollziehung gegenwärtiger Vorschriften auf Wunsch mit ihrem Rath an die Hand zu gehen.

Im Uebrigen benutzen wir diesen Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, stimmt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 13. Juli 1888.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Für den Bundespräsidenten:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an die Kantonsregierungen, betreffend Wassergas. (Vom 13. Juli 1888.)

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