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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend die Fabrikkrankenkassen.

(Vom 2. Oktober 1888.)

Getreue liebe Eidgenossen!

Bei Anlaß der Berathung des Geschäftsberichtes des eidgenössischen Handels- und Landwirthschaftsdepartements pro 1887 in der Bundesversammlung äußerte Herr Nationalrath von Steiger den Wunsch, es möchte der Bundesrath von den Fabrikinspektoren Bericht über die Organisation der F a b r i k k r a n k e n k a s s e n und die Anlage der daherigen Gelder einholen, um eventuell eine gesetzgeberische Regelung dieser Angelegenheit, sei es durch den Bund, sei es durch die Kantone, zu veranlaßen.

Nachdem das zuständige Departement die Fabrikinspektoren mit der gewünschten Untersuchung beauftragt und angewiesen hatte, auch über etwaige andere mit diesen Kassen in Zusammenhang stehende Uebelstände einen gemeinschaftlichen Bericht zu erstatten, ist durch das uns so zugegangene Material erwiesen worden, daß in der That verschiedene diesbezügliche Mißverhältnisse bestehen, welche wir im Folgenden kurz andeuten.

Wenn es als selbstverständlich angesehen wird, daß Krankenkassen, die einzig vom Prinzipal unterhalten siud, an welche demnach die Arbeiterschaft keine Beiträge zu leisten hat, auch nur von diesem verwaltet werden, so ist dagegen ganz unstatthaft, daß da, wo der Arbeiter seinen Theil und vielleicht den größern Theil beiträgt, derselbe von der Verwaltung der Kasse gänzlich ausgeschlossen wird. Diese sollte offenbar nicht dermaßen in den Händen der Arbeitgeber liegen, daß der Arbeiter weder Einblick in den Stand der Kasse, resp. in die Größe der Ein- und Auslagen

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gewinnt, noch überhaupt irgendwie Rechnung entgegennimmt. Zwar muß konstatirt werden, daß diese Fälle nicht die Regel bilden, sondern viel öfter Arbeiter und Arbeitgeber gemeinsam den Vorstand der Kasse bestellen. Es geschieht dies namentlich in kleinern Ortschaften und jederzeit zum großen Vortheil der Kasse, zumal dann meist das Fabrikbüreau die Rechnungsführung übernimmt, wodurch allerdings die Fabrikleitung einen überwiegenden Einfluß auf die ganze Verwaltung gewinnt, auch wenn sie denselben nicht sucht. Immer häufiger endlich werden diejenigen Fälle, wo die ganze Verwaltung ausschließlich in den Händen der Arbeiter liegt.

Die Verwaltung ist fast ausnahmlos eine unentgeltliche.

Was das Vermögen der Krankenkassen betrifft, so wird dasselbe sehr häufig bei den Arbeitgebern angelegt und von diesen oft zu einem ziemlich hohen Zinsfuß, 4 Va, selbst 5 °;o verzinst.

Dagegen gab und gibt es Fälle, wo das Vermögen gar nicht verzinst wird, was selbstverständlich nicht vorkommen sollte. Ungleich wichtiger ist aber hiebei die Gefahr, daß bei eintretender Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers das Kapital verloren gehen könnte.

Solche Fälle sind beispielsweise noch im letzten Amtsbevicht der Fabrikinspektoren verzeichnet. Eine von der Regierung des Kantons Zürich veranstaltete Enquete ergab, daß 50 °/o des Krankenkassenvermögens bei den Arbeitgebern angelegt und weitere 30 °/o in Gestalt von Weithtiteln, zum Theil au porteur lautend, in deren Verwahrung gegeben sind. Infolge dessen wurde durch regierungsräthliche Verordnung die Verwaltung der Fonds der obligatorischen Fabrikkrankenkassen der staatlichen Aufsicht unterstellt und für dieselben gleiche Sicherheit, wie für vormundschaftliche Anlagen verlangt, sowie Deposition der Werthschriften in die Schirmlade der Gemeinde und Binsendung der Rechnungen an den Bezirksrath.

Wenn durch Obiges sowohl die vorhandenen Uebelstände bloßgelegt, als auch theilweise Mittel und Wege zur Abhülfe vorgezeichnet werden, so muß der Bund, so sehr sich ihm auch die Notwendigkeit der letztern aufdrängt, zur Zeit auf ein direktes Einschreiten doch aus dem Grunde verzichten, weil es nicht in seiner Befugniß liegt, vielmehr verfassungsgemäß Sache der Kantone ist, hier einzuschreiten. Wir möchten Ihnen daher warm empfehlen, die Verwaltung der Fonds der Fabrikkrankenkassen
staatlicher Aufsicht zu unterstellen und alljährliche Kenntnißgabe des Standes derselben an die versicherten Arbeiter, sowie vollständige Sicherstellung des daherigen Vermögens einzuführen.

Sie werden mit uns überzeugt sein, daß durch eine solche Vorsorge gewissen ungesunden und gefahrdrohenden Zuständen in unsertn Krankenkassenwessen ein Ende bereitet würde.

158 Wir benutzen diesen Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 2. Oktober 1888.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hertenstein.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

#ST#

Aus den Verhandlungen des Schweiz. Bundesrathes.

(Vom 5. Oktober 1888.)

Herr Minister Dr. Kern hat dem schweizerischen Polytechnikum in Zürich die Summe von Fr. 20,000 mit folgender Zweckbestimmung vermacht: ,,Es soll aus dem Zinsertrag dieses Kapitals jährlich eine Prämie oder höchstens zwei von 300 bis 400 Pranken abgereicht werden an schweizerische Zöglinge der obersten Klassen für Lösung von auf den Zweck der Anstalt sich beziehenden Aufgaben, mit Preismedaille und ermunternder Zuschrift. Der übrige Betrag der Zinsen ist zu verwenden, sei es zu Stipendien an wenig bemittelte Zöglinge, sei es zu Beiträgen für Erleichterung des Besuches auswärtiger polytechnischer Unterrichtsanstalten oder industrieller Etablissemente, nach bestem Ermessen der kompetenten Schulbehörden."

Der Bundesrath hat die Annahme des Vermächtnisses erklärt und letzteres bestens verdankt.

Gegen das Bundesgesetz betreffend die Erfindungspatente, vom 29. Juni 1888, welches unterm 4. Juli 1888 im Bundesblatt veröffentlicht worden ist, sind innert der mit dem 2. Oktober abgelaufenen Frist Referendumsbegehren nicht eingelangt. Der Bundesrath hat die Aufnahme dieses Gesetzes in die amtliche Gesetzessammlung angeordnet und den Beginn der Wirksamkeit desselben auf 15. November nächsthin festgesetzt.

Er hat zugleich beschlossen, es sei unter der Bezeichnung ,,Eidgenössisches Amt für geistiges Eigenthum" eine besondere Abtheilung des betreffenden Departements (vorläufig des Departements

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend die Fabrikkrankenkassen. (Vom 2. Oktober 1888.)

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1888

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06.10.1888

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156-158

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