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Bericht einer

Fraktion der nationalräthlichen Kommission zum Beschlußentwurf über Ratifikation der am 16. März 1888 zwischen dem schweizerischen Bundesrathe und dem Heil.

Stuhle abgeschlossenen Uebereinkunft zu endgültiger Regelung der Kirchenverhältnisse des Kantons Tessin.

(Vom 26. Juni 1888.)

Tit.

Mit Botschaft vom 23. Mai 1888 hat der Bundesrath der Bundesversammlung die am 16. M ä r z 1888 in Bern zwischen dem Bundesrathe und dem Heiligen Stuhle abgeschlossene Uebereinkunft, welche bestimmt ist, die kirchlichen Beziehungen der katholischen Kirchgemeinden des Kantons Tessin endgültig zu ordnen, zur Genehmigung unterbreitet.

Nachdem Ihre Kommission sich in verschiedene Fraktionen gespaltet hat, beehren sich die Unterzeichneten, Ihnen die Gesichtspunkte auseinanderzusetzen, welche sie zu dem Antrage bestimmen, es sei die Uebereinkunft gemäß dem Vorschlage des Bundesrathes vorbehaltlos zu genehmigen.

Naoh Maßgabe des zwischen dem Bundesrathe, als Vertreter des Kantons Tessin, und Mgr. Ferrata, als Vertreter des Heiligen, Stuhls, zu Stande gekommenen Vertrages, soll der Kanton Tessin in Hinsicht auf seine katholisch-kirchlichen Angelegenheiten als gleichberechtigter Stand kanonisch dem Bisthum Basel zugetheilt werden, dessen Bischof künftighin den Titel eines Bischofs von Basel und

669 L u g a n o führen wird. Die zugetheilte Kathedralkirche soll von einem besondern Bischof verwaltet werden, welcher den Titel eines apostolischen Administrators trägt und vom Heiligen Stuhle im Binverständniß mit dem Diözesanbischof aus der Zahl der dem Kanton Tessin angehörenden Priester zu wählen ist. Mit Rücksieht auf den Umstand, daß der Kanton Tessin die Kosten seiner gesonderten Administration allein zu tragen hat, braucht derselbe weder an die Tafelgelder des Diözesanbischofs, noch an die übrigen Kosten der gemeinsamen Administration der Diözese einen Beitrag zu leisten. Insofern die übrigen Stände sich damit einverstanden erklären, kann der Kanton Tessin zur Mitwirkung an der Wahl des Bischofs von Basel zugelassen werden. Der dernialige Administrator, Mgr. Molo, der am 20. September 1887 zu dieser Würde erhoben worden ist, bleibt im Genüsse seiner Bestallung.

Das ist in großen Zügen der Inhalt der Uebereinkunft vom 16. März 1888, welche dermalen Ihrer Genehmigung unterliegt.

Dieselbe ist durch eia Schlußprotokoll ergänzt worden, kraft dessen Folgendes als vereinbart gilt: ,,1. Die zugetheilte Kathedralkirche hat an der Verwaltung der Diözese Basel keinen andern Antheil, als denjenigen, der in Art. 3 erwähnt ist.

2. Diese Uebereinkunft tritt in Kraft und soll zur Durchführung gelangen, gleichviel ob die in Art. 3 vorgesehene Ausdehnung der Uebereinkunft vom 26. März 1828 eintritt und von der daraus herfließenden Befugniß Gebrauch gemacht wird, oder nicht".

Wie Sie diesen nachträglichen Erläuterungen sowohl, als dem Wortlaute der Uebereinkunft selbst entnehmen können, bildet der Art. 3, welcher die Zulassung des Kantons Tessin durch die Basler Diözesanstände zur Mitwirkung an der Wahl des Bischofs von Basel vorsieht, keinen wesentlichen Beatandtheil des Vertrages; es kann derselbe in Kraft gesetzt oder außer Acht gelassen werden, ohne daß dies auf den übrigen Inhalt der Uebereinkunft von irgend welchem Einfluß wäre, und es kann besagter Artikel, wenn er auch heute nicht vollzogen wird, später einmal, je nach Wunsch der Parteien, in Kraft gesetzt werden. Dieser Punkt darf, weil von besonderem Belange, bei der Beurtheilung der ganzen Frage nicht übersehen werden.

Dieses Brgebniß, das wir als ein befriedigendes bezeichnen müssen, ist nicht mit einem Male erzielt worden. Es sind demselben zahlreiche und langwierige Verhandlungen vorausgegangen, aufweiche es gestattet sein mag, einen kurzen Rückblick zu werfen.

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Sofort, nachdem der Kanton Tessiti zum unabhängigen Kantou erhoben worden, d. h. seit 1803, richteten die tessiniseheu Behörden an die Tagsatzung den Wunsch nach einem eigenen Bischöfe und einem eigenen Bisthurn. Bekanntlich gehörten damals von den katholischen Kirchgemeinden Tessins 54 zum bischöflichen Sprengel von Mailand und die übrigen, 183 an der Zahl, zu demjenigen voi» Como. Der Wunsch blieb unerhört. Erst im Jahre 1855 wurde die Angelegenheit wieder ernstlich an die Hand genommen, und zwar durch den neuen Großen Rath, welcher in seiner ersten Sitzung den Willen kundgab, die Bisthumsfrage im Sinne des Anschlusses an ein bestehendes schweizerisches Bisthum zu ordnen.

In Folge dieses Beschlusses wandte sich der tessinisohe Staatsrath mit Schreiben vom 21. Dezember 1855 an den Buudesrath mit dem Ersuchen, er möchte ,,die gesammte Angelegenheit selbst in die Hand nehmen.1* Es wurden darauf zwischen dem Bundesrathe und dem Heiligen Stuhle Unterhandlungen angeknüpft, und am 31. Juli 1858 erklärte die Bundesversammlung in Form eiues Beschlusses, daß der Bundesrath, dessen bisheriges Verfahren genehmigt werde, eingeladen sei, die Biözesantrennung mit allem Nachdrucke zu betreiben.

Am 22. Juli 1859 endlich erließ die Bundesversammlung jenen Beschluß, welcher als der erste Schritt zur endgültigen Regelung der gegenwärtigen Frage betrachtet werden kann, dahin lautend, daß ,,jede auswärtige Episkopaljurisdiktion auf Schweizergebiet aufgehoben ist." Der Bundesrath wurde gleichzeitig mit den behufs Erzielung einer endgültigen Lösung nöthigen Unterhandlungen betraut.

Die von 1860 bis 1871 gepflogenen Unterhandlungen blieben für dea Kanton Tessin erfolglos ; nur mit Bezug auf die Tafolgilter des Bisthums Como kam durch die interkantonale Uebereinkuni't vom 30. November 1862, welcher die eidgenössischen Käthe ani 3. August 1863 ihre Genehmigung ertheilten, im Sinae der Theilung dieser Güter eine endgültige Einvernahme zu Stande. Im Jahre 1871 wurden in Folge einer Petition des tessinischen Klerus die Unterhandlungen neuerdings aufgenommen, doch auch diesmal ohne Resultat, indem die römische Kurie sich von vornherein der Zutheilung an ein bestehendes schweizerisches Bisthum widersetzte und die Errichtung eines besondern Bisthums oder eines apostolischen Vikariats forderte.

Nun trat bis zum Jahre 1883
abermals ein Slillstand ein, der angesichts der politischen und kirchlichen Ereignisse, die sich während dieser Zeit abspielten, leicht erklärlich ist. Diesmal aber führten die Unterhandlungen wenigstens zu einem positiven Resul-

671 tate, nämlich zur sogenannten ,,Berner Konvention" vom 1. September 1884, laut welcher Mgr. Lâchât, Bischof von Basel, zum apostolischen Administrator des Tessin ernannt wurde. Diese Organisation wurde indessen als provisorische bezeichnet und sollte bloß der endgültigen Regelung den Weg ebnen. Der Bundesbeschluß von 1859 nahm damit greifbare Gestalt an ; man kann füglich behaupten, daß erst damals die Lostrennung von den Bisthümern Mailand und Como t h a t s ä c h l i c h verwirklicht wurde.

Bei dem am 1. November 1886 erfolgten Hinscheide des genannten Würdenträgers beeilte sich die Tessiner Regierung, den Bundesrath zu ersuchen, er möge neue Unterhandlungen veranlaßen zum Zwecke der Verlängerung der im Jahre 1884 geschaffenen provisorischen Administration.

In Beantwortung dieser Zuschrift drückte der Bundesrath der Kantonsregierung seinen ,,lebhaften Wunsch aus, den provisorischen Zustand beendigt zu sehen durch eine definitive Regelung in dem Sinne, wie er der Eidgenossenschaft stets vorschwebte, d. h. durch den Anschluß an ein schweizerisches Bisthum."· Der Staatsrath antwortete am 15. Januar 1887, daß er an seinem Gesichtspunkte festhalten und verlangen müsse, daß die tessinischen Pfarreien einer eigenen Verwaltung unterstellt werden ; daß er aber in Ermangelung dessen sich mit der Verlängerung des Provisoriums begnügen würde, wobei er neuerdings den Wunsch ausspreche, die Unterhandlungen gemäß Artikel 3 der Berner-Konvention eröffnet zu sehen.

Eben diese Unterhandlungen sind es, welche, am 27. Februar 1888 zwischen dem Heiligen Stuhle, vertreten durch Mgr. Ferrata, Nuntius in Brüssel, und dem Bundesrathe, vertreten durch die Herren Droz und Ruchoanet, in Bern eröffnet, am 16. März in Gestalt der Uebereinkunft, welche dermalen Ihrer Genehmigung harrt und die Tessiner Bisthumsfrage endgültig lösen soll, zum Abschluß gelangten.

Besondere Hervorhebung verdient, daß gemäß dieser Uebereinkunft der Heilige Stuhl und der Kanton Tessin dem guten Einvernehmen zu Liebe den eigenen Standpunkt geopfert haben, den sie schon im Jahre 1803 eingenommen hatten ; sie haben, um dem Wunsche des Bundesrathes zu willfahren, auf die Erhebung des Kantons zum besondern Bisthum oder apostolischenVikariat verzichtet und in die Zutheilung desselben an ein bestehendes schweizerisches Bisthum, das Bisthum Basel, eingewilligt, allerdings untergewissen Bedingungen.

672 Die Bundesversammlung, vor die Präge gestellt, ob sie die verlangte Genehmigung ertheilen solle, hat in Ansehung des Artikels 50 der Bundesverfassung folgende Punkte zu untersuchen : 1) Ist die Uebereinkunft mit den eidgenössischen und kantonalen Verfassung«- und Gesetzesbestimmungen vereinbar? Verletzt dieselbe in keinerlei Weise die politischen und religiösen Interessen der Schweiz und ihrer Bürger im Allgemeinen und des Kantons Tessin im Besonder^?

2) Wird dieselbe von den Hauptbetheiligten, nämlich dem Kanton Tessin und den Basler Diözesanständen, gebilligt?

Die Antwort auf diese Fragen kann nicht zweifelhaft sein.

Nicht nur widerspricht die Uebereinkunft den eidgenössischen und kantonalen Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen nicht, sondern sie stellt sich geradezu dar als die nothwendige Folge und endgültige Vollziehung der Bundesbeschlüsse vom 22. Juli 1859 und 31. Juli 1858, sowie der am 1. September 1884 mit dem Heiligen Stuhle abgeschlossenen Uebereinkunft. Weit entfernt, die politischen Interessen der Schweiz und die religiösen Interessen der Bürger zu schädigen, läßt sie denselben volle Genugthuung angedeihen, indem sie der Ungewißheit eines Provisoriums ein Ende bereitet, das bei jedem Anlaße wieder Alles in Frage stellen könnte.

Inskünftig können Volk und Klerus von Tessin, mit einem bestimmten religiösen Mittelpunkte bleibend verknüpft, über die Zukunft der katholischen Religion im Kantone beruhigt sein, mag auch die angenommene Lösung nicht vollständig dem entsprechen, was sie gehofft haben mochten; zufrieden, endlich eine definitive Lösung erlangt zu haben, nehmen sie ohne Widerspruch an, was eine vollendete Thatsache ist.

Mit Bezug auf den zweiten Punkt kann die Antwort ebenfalls keinem Zweifel unterliegen. Wie nämlich aus den Akten hervorgeht, haben sämmtliche Diözesanstände des Bisthums Basel, mit Ausnahme von Bern, das jede Betheiligung an dieser Angelegenheit ablehnt, die Uebereinkunft gutgeheißen, den Artikel 3 allerdings ausgenommen. Allein, wie wir bereits gesehen haben, bildet besagter Artikel keinen wesentlichen Bestandteil der Uebereinkunft, indem sowohl die letztere selbst, als das Schlußprotokoll die Möglichkeit vorsehen, daß derselbe, je nach dem Entscheide der Betheiligten , entweder gar nicht, oder erst später zum Vollzuge gelange.

Der Große Rath des Kantons Tessin hat seinerseits, in seiner Sitzung vom 26. April 1888, mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Mehrheit von allen weniger zwei Stimmen und vier

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Enthaltungen, die Uebereinkunft vorbehaltlos gutgeheißen. Er hat damit auf unzweideutige Weise kundgegeben, daß er die getroffene Abmachung als eine den religiösen und politischen Interessen des Kantons durchaus förderliche betrachte.

Der Eidgenossenschaft hinwiederum bringt, wie wir schon hervorgehoben haben, die Uebereinkunft vom 16. März die endgültige t h a t s ä c h l i e h e und r e c h t ! i c h e Verwirklichung des im Bundesbeschlusse vom 22. Juli 1859 aufgestellten Hauptgrundsatzes, daß ·njede auswärtige Episkopaljurisdiktion auf Schweizergebiet aufgehoben" ist. Bis zum Jahre 1884 war in der That diese Forderung niemals vollständig erfüllt worden. Allerdings waren durch den am 3. August 1863 von den eidgenössischen Räthen genehmigten Vertrag vom 30. November 1862 die auf Tessiner Gebiet befindlichen bischöflichen Tafelgüter des Bisthums Como dem Kanton Tessin zugeschieden worden; allein der Klerus und die Katholiken Tessins waren nach wie vor, kraft der Gewalt der Thatsachen, in Ermanglung jeder bischöflichen Verbindung mit einem schweizerischen Bisthume, in geistlichen Dingen den Bischöfen von Mailand und Como unterthänig. Wir können uns in dieser Beziehung auf den Bundesrath selbst berufen. ,,Diese Verhältnisse", schreibt er in seiner Botschaft, ,,machten sich für die tessinisehen Pfarrgemeinden empfindlich fühlbar; trotz dem Bundesbeschlusse von 1859, welcher jede auswärtige Episkopaljurisdiktion aufhob, fuhren die tessinisehen Priester fort, mit ihren bisherigen Bischöfen Beziehungen zu unterhalten; der Geistlichkeit fehlte es an Disziplin; die Konfirmation der Kinder mußte gleichsam ersehmuggelt werden."

Nunmehr sind alle diese Fragen endgültig geregelt, und die Unzukömmlichkeiten , welche ein vom Standpunkte der Bundesgesetzgebung so regelwidriger Zustand unfehlbar mit sich bringen mußte, verschwinden vollständig.

Es ist ein angesichts der gegenwärtigen politischen Lage keineswegs zu unterschätzendes Moment, daß die Tossiner Bisthumsfrage in einer Weise ihre Erledigung finde, welche vom Hauptbetheiligten gutgeheißen werde. Es wird dadurch ein weiteres Band gewonnen, um das gewissermaßen jenseits der natürlichen Grenzen der Schweiz gelegene Tessiner Volk enger mit dem Vaterland und dessen demokratischen Institutionen zu verknüpfen. So hinge sie noch unerledigt war, konnte diese
Bisthumsfrage eines Tages zur Verschärfung gewisser Schwierigkeiten beitragen, welche man angesichts der exzentrischen Lage des Kantons Tessin als mögliche, wenn auch nicht als wahrscheinliche, in's Auge fassen muß.

Alle diese unbestreitbaren Vortheile müssen uns um so mehr bestimmen, uns darüber Rechenschaft abzulegen, welche Folgen ein

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Votum der Bundesversammlung nach sich zöge, das auf Verwerfung der Uebereinkunft lauten oder, was ungefähr auf dasselbe herauskäme, deren Annahme an Bedingungen knüpfen würde, welche für den Heiligen Stuhl oder für den Kanton Tessin unannehmbar wären.

Wir denken da in erster Linie an die Mißbilligung, welche durch einen solchen Beschluß dem Bundesrathe zu Theil würde.

Derselbe sähe sich in Folge dessen auf Jahre hiuaus außer Stund gesetzt, die Unterhandlungen mit dem Heiligen Stuhle auf diesem Gebiete wieder anzuknüpfen. Hätte doch der letztere alle Ursache von einem die Genehmigung verweigernden Beschlüsse der Räthe peinlich berührt zu werden, nachdem er seihst im Interesse des religiösen Friedens und der Herstellung eines guten Einvernehmens mit der eidgenössischen Regierung seinen hundertjährigen Standpunkt -- Errichtung eines besondern Bisthums oder eines apostolischen Vikariats -- preisgegeben hat.

Falls die Genehmigung von der Bundesversammlung versagt oder falls ein etwa beigefügter Vorbehalt hinterher vom Heiligen Stuhl oder vom Kanton Tessin abgelehnt würde, so wäre die unmittelbare Folge hievon offenbar die Rückkehr zum System der provisorischen Uebereinkunft von 1884 , es wäre denn , daß die Gegner, nm ihre eigene Logik auf die Spitze zu treiben, die Beseitigung auch dieses Vertrages, den sie als verfassungswidrig erklären , fordern sollten. Dann käme auch die provisorische apostolische Verwaltung zu Falle, und der Kanton würde einfach wieder zu jenem Zustande zurückkehren. welcher der Uebereinkunft von 1884 vorausging. Sollte die Bundesversammlung eia solches Ergebniß beabsichtigen? Es ist undenkbar. Die Aera der religiösen Streitigkeiten scheint abgeschlossen zu sein, und das mit Fug und Recht; denn es würde ungemein schwer halten, den Nachweis zu erbringen, worin diese religiösen Kämpfe der Nation von Nutzen gewesen sind, während es ein Leichtes wäre, zu beweisen, wie sehr dieselbeninu mancher Hinsicht der Schweiz im Innern »sowohl als nach Außen geschadet haben.

In diesem Augenblicke, da die Katholiken Tessins und der ganzen Schweiz dem Bundesrathe und dem Heiligen Stuhle ihre Genugthuung bezeugen für die Verständigung, welche dank der auf beiden Seiten vorhandenen Einsicht und Versöhnlichkeit zu Stande gebracht wurde, stünde es der Bundesversammlung schlecht un, die von ihr
verlangte Genehmigung direkt oder indirekt zu verweigern.

Wir wollen bei diesem Anlaße daran erinnern, daß es bei der Bundesversammlung zur ständigen Uebung gehört, internationale

675 Uebereinkünfte entweder einfach anzunehmen, oder sie in Bausch und Bogen abzulehnen.

Wir behaupten des Fernern, daß die Kantonsregieruna;en dus absolute Recht haben, in Sachen der innern religiösen Organisation ihres Kantons mit der kompetenten Stelle direkt zu unterhandeln, unter dem einzigen Vorbehalte, daß sie das Ergebniß ihrer Unterhandlungen , sofern dieselben zur Errichtung eines neuen Bisthuins führten, der Genehmigung der Bundesversammlung zu unterbreiten haben.

Wir begreifen darum auch nicht, wie man dem Bundesrathe vorwerfen kann, er habe durch seine Betheiligung an den jüngsten Abmachungen seine Kompetenzen überschritten und die Verfassung verletzt. Nach unserer Auffassung hat der Bundesrath im vorliegenden Falle in erster Linie kraft der Bestimmungen des Bundesbeschlusses vom 22. Juli 1859 gehandelt, welch' letzterer ihn ausdrücklich mit der Führung dei- zur Lösung der tessinisehen Bisthumsfrage zu pflegenden Unterhandlungen betraute. Im nämlichen Sinne beschloß wiederum am 31. Juli 1858 die Bundesversammlung, es werde das bisherige Verfahren des Bundesrathes genehmigt und derselbe eingeladen, die Diözesantrennung mit allem Nachdruck zu betreiben. Wenn daher von einer Verfassungsverletzung die Rede sein könnte, so fiele dieselbe in erster Linie der Bundesversammlung selbst zur Last.

Wir müssen aber im vorliegenden Falle den Bundesrath auch als den Mandatar der Tessiner Regierung ansehen, und zwar war er dies seit dem 21. Dezember 1855, an welchem Tage er von der genannten Regierung darum ersucht wurde, ,,die Angelegenheit in ihrer Gesammtheit selbst an die Hand zu nehmen"1, d. h. ,,in Bezug auf die Güter der bischöflichen Tafel sowohl beim Heiligen Stuhl als beim k. k. Hofe, und in Hinsicht auf den Anschluß Tessins : an ein Bisthum bei einem der schweizerisehen Bischöfe die nöthigen Schritte zu thun a .

Am 25. Juli 1856 wurde dann von der Bundesversammlung bei Prüfung des Geschäftsberichtes der Bundesrath eingeladen, die auf Lostrennung des Kantons Tessin gerichteten Bestrebungen der kantonalen Behörde, soweit an ihm, bestmöglich zu unterstützen.

(Botschaft des Bundesrathes, Seite 4.)

Ein gleiches dringendes Ersuchen richtete der Kanton Tessin am 1. November 1886 an den Bundesrath, um diesen zu ersuchen, für die durch den Tod von Mgr. Lâchât nothwendig gewordenen Unterhandlungen die Initiative zu ergreifen. Von diesem Zeitpunkte bis zum Abschluß der Uebereinkunft vom 16. März sehen wir, wie

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drei Behörden : der Bundesrath, der Heilige Stuhl und die Regierung von Tessin, zusammengehen und schließlich sich auf diejenige gemeinsame Verständigung einigen, um deren Genehmigung Sie nunmehr ersucht werden und welche im Ingresse folgendermaßen anhebt: ,, D e r s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h , i n s e i n e m e i g e n e n Namen und im Namen des K a n t o n s Tessili, u n d d e r H e i l i g e Stuhl."· Wie wir schon oben festgestellt haben, ist damit der wesentliche Endzweck, den der Bund in dieser Sache verfolgte, nämlich die Abschaffung jeglicher ausländischer geistlicher Jurisdiktion auf Schweizergebiet, vollständig verwirklicht, und das in einer Weise, von welcher die Betheiligten sich durchaus befriedigt erklären. Was will man da mehr verlangen, und was kann der Eidgenossenschaft daran liegen, ob dieses Ergebniß durch die Verbindung des Tessiu mit diesem statt mit einem andern schweizerischen Bisthume erreicht werde?! Es ist zu bemerken, duß Hungerbühler in seinem interessanten Berichte von 1859 als einzige Möglichkeit die Vereinigung des Kantons Tessin entweder mit dem Bisthum Basel oder mit demjenigen von Chur in's Auge faßte. Er selbst gab letzterem den Vorzug, mit Ernennung eines Generalvikars oder Auxiliarbisehofs für den Tessin, und zwar in Ansehung der exzentrischen Lage dieses Kantons und seiner Entfernung vorn Bischofssitze der Basler Diözese.

Allein wie sehr haben sich seitdem nicht die von Hungerbühler in's Auge gefaßten Verhältnisse geändert! Ueberall Schienenstränge, welche die Entfernungen aufheben. Thatsache ist, daß heute der apostolische Verwalter des Tessin von seinem Sitze näher hat nach Solothurn als nach Chur, wenigstens während der schlechtem Jahreszeit, weil da der Verkehr über das Gebirge vollständig abgeschnitten ist. Ueber die Gotthardroute ist die Entfernung zwischen Solothurn und Tessin kürzer, als zwischen Tessin und Chur.

Was kümmert es ferner den Bund, welcher Art die Beziehungen sein werden, welche sich zwischen dem Bisthum Basel und dem apostolischen Verwalter des Tessin entwickeln werden ; denn diese Beziehungen werden genau die nämlichen sein, welche gegenüber dem Bisthum Chur bestanden haben würden. Für den Bund ist das eine res i n t e r a l i o s acta. Wenn er sich darum bekümmerte, würde er aus seiner Rolle treten, gerade wie wenn
er sich in die Beziehungen einmischte, welche zwischen dem Bischof von Basel und den bischöflichen Kommissarien der verschiedenen Diözesankantone bestehen.

Wir glauben hiemit hinlänglich dargethan zu haben, daß, im Gegensätze zu dem von den Herren Carteret und Sulzer gestellten Antrage auf Nichtgenehmigung, die tessinische Diözesanübereinkunft

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sowie der bundesräthliche Entwurf eines Bundesbeschlusses gutzuheißen sind. Es erübrigt uns, nunmehr den Antrag der Herren Bezzola und Comtesse in's Auge zu fassen, laut welchem in deu Ratifikationsbeschluß nachfolgender Art. 2 einzuschalten wäre: ,,Art. 2. Von der im Laufe der Vertragsunterhundlungen im Namen des Heiligen Stuhls abgegebenen Erklärung, daß der zu wählende apostolische Administrator bei der Regierung des Kantons Tessin ,,persona grata" sein müsse, wird Akt genommen."

Diese dem Heiligen Stuhl und der Tessiner Regierung nachträglich auferlegte Bedingung fällt offenbar unter die Abänderungen, von denen wir oben erklärten, daß sie die andere Vertragspartei zu einer Ablehnung der Uebereinkunft veranlaßen könnten. Wir haben bereits hervorgehoben, welche große Uebelstände hieraus einwachsen würden, und wollen darauf nicht zurückkommen. Es genüge zu sagen, daß, um einer so geringen Genugthuung willen, welche der Kanton Tessin gar nicht begehrt, der der Bundesversammlung beantragte Beschluß uns außer allem Verhältniß zu dem verfolgten Zwecke zu stehen scheint. Die Behauptung, die Schweiz werde an der Wahl des tessinisehen apostolischen Administrators keinerlei Antheil haben, ist übrigens unrichtig, da laut Art. 2 der Uebereinkunft die Ernennung dieses Würdenträgers durch den Heiligen Stuhl ,,im Ein verstand niß mit dem Diözesanbischof* zu erfolgen hat und der gewählte Priester tessinischer Angehöriger sein muß. Wir dürfen doch nicht annehmen, es werde bei dieser Ernennung in der Regel weder der Metropolitanbischof, noch der Heilige Stuhl, sich bei den staatlichen und kirchlichen Behörden nach den persönlichen Eigenschaften des Kandidaten und nach der Aufnahme erkundigen, welche derselbe seitens der staatlichen Behörden und seitens des katholischen Klerus zu gewärtigen habe. Man wird auf diesem Wege eben so gut, wenn nicht besser, zum Ziele gelangen, als durch eine offizielle Erklärung. Wenn einmal später, was wir als wahrscheinlich voraussetzen, der Kanton Tessin in Anwendung des Artikels 3 der Uebereinkuuft zur Theilnahme an der Wahl des Bischofs von Basel zugelassen wird, so wird er damit indirekt auch an der Wahl des apostolischen Administrators mitwirken. Uebrigens ist es, wie gesagt, nicht denkbar, daß in der Kegel der Heilige Stuhl und der Bischof von Basel sich über die Person des
Administrators verständigen, ohne daß der Kanton Tessin dabei begrüßt werde.

Bei der gegenwärtigen Gestaltung der schweizerischen Diözesen wohnt dem Antrag der Herrn Bezzola und Comtesse offenbar eine allgemeine Tragweite inné, da nämlich das Präsentationsrecht der

(578 Kantone keineswegs überall besteht. So haben insbesondere dio Kautoue Freiburg, Waadt, Neuenburg und Genf, deren katholische Kirchgemeinden das vereinigte Bisthum von Lausanne und Genf bilden, weder ein Präsentatiousrecht, noch ein Recht auf Bezeichnung einer ,,persona gratatt. Wir betonen dies namentlich y.ur Widerlegung der Behauptung des Herrn Sulzer, als gewährleiste das öffentliehe Recht der Schweiz oder gar das gemeine Recht den Kautonen und dem Klerus das Wahlrecht oder zum mindesten das Präsentationsreeht. Wir glauben auch nicht, daß der gegenwärtige RechtsKustand jemals Mißstände hervorgerufen habe; wenigstens hat derselbe noch nie zu Klagen der Kantone Anlaß gegeben. Wir können hieraus mit Sicherheit schließen, daß dem fraglichen Privilegium durchaus nicht die Bedeutung zukommt, die man demselben beimißt, wenigstens in den Augen der Katholiken nicht, da dieselben niemals sich veranlaßt gefunden haben, dasselbe zu fordern.

Nichts berechtigt uns, entgegen allem Verfassungsrechte, dem Kanton Tessili ein Vorrecht aufzudrängen, das derselbe gar nicht beansprucht. Warum sollten wir ihn in dieser Beziehung nicht ebenso frei gewähren lassen, als wir dies den Diözesanständen des Bisthums Lausanne und Genf gegenüber thun?

Wir empfehlen Ihnen daher, über den Antrag der Herrn Bezzola und Comtesse zur Tagesordnung zu schreiten.

Die Herren Carteret und Sturnenegger beantragen ihrerseits, die Genehmigung des Vertrags an die Bedingung zu knüpfen, ,,es habe der Kandidat der apostolischen Administratur dem Bundesrathe nachzuweisen, daß die in der üblichen Formel des bischöflichen Eides enthaltenen Worte: ,,Htereticos, schismaticos et rebelles eidern Domino nostro vel suecessoribus proedictis pro posse persequar et impugnabo11 für dieselbe wegzubleiben haben."· Dieser Antrag scheint uns noch unannehmbarer als der vorhergehende. Wir glauben denselben aus folgenden Hauptgründen bekämpfen zu sollen: 1. Aus authentischen bischöflichen Erklärungen geht hervor, daß seit der im Jahre 1828 erfolgten Rekonstruktion dieses Bisthums die Bischöfe von Basel thatsächlich niemals den Eid mit der genannten Formel geleistet haben. Da nun der apostolische Administrator des Tessin vom Bischof von Basel unmittelbar abhängt und ein integrirendes Glied dieser Diözese bildet, so ist zu vermuthen, daß diese Formel ihm
ebenfalls nicht werde auferlegt werden.

2. Mgr. Molo, der am 20. September 1887 zum apostolischen Administrator erhoben wurde, hat bereits damals den Eid geleistet;

(579 wir stehen daher vor einer vollendeten Thatsaohe, auf welche zurückzukommen nun zu spät ist. Der Antrag ist somit, soweit er auf den gegenwärtigen Administrator und die in Frage stehende spezielle Uebereinkunft Bezug hat, gegenstandslos.

3. Der Antrag der Herren Carierei und Sturzenegger entbehrt auch an und für sich jeder praktischen Tragweite, nachdem kraft Artikel 58 der Bundesverfassung die geistliche Gerichtsbarkeit abgeschafft worden ist. Gesetzt daher der Fall , die fragliche Formel sei in irgend einem schweizerischen Bisthum üblich , was mehr als zweifelhaft ist, so kann aus derselben keinerlei materielle Folge erwachsen; sie vermag sich nur auf dem Gebiete der Diskussion geltend zu machen ; weder kann sie somit den Gesetzgeber ernstlich beschäftigen, noch braucht sie staatlicherseits verfolgt zu werden. Der einzige Fall, in welchem der Bund sich zu einem Einschreiten veranlaßt sehen müßte, wäre der, wenn ein Kanton seine öffentliche Gewalt oder seine Gerichte der Kirche zur Verfügung stellte, um die Ketzer und Abtrünnigen zu verfolgen. In einem solchen Falle läge einem etwaigen Rekurse ein konkreter Thatbestand zu Grunde; einer nur auf geistliche Verhältnisse anwendbaren Formel dagegen ist es unsinnig, den Krieg zu erklären. Sonst müßte man mit eben so viel Grund die öffentliche Lesung der Bibel und das Absingen von Psalmen in den Kirchen und Schulen verbieten, denn beide enthalten gegen die Feinde der Religion gerichtete Stellen, welche noch viel schärfer lauten.

Wir beehren uns daher, Ihnen zu beantragen, Sie mögen über die Anträge Nr. 3 (Bezzola und Comtesse), Nr. 4 (Carierei und Sturzenegger) und über den Antrag Sulzer zur Tagesordnung, schreiten und den bundesräthlichen Beschlussesentwurf vorbehaltlos genehmigen.

B e r n , den 26. Juni 1888.

Arnold.

Théraulaz^

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Bundesrathsbeschluß betreffend

die Ermäßigung der Expeditionsgebühren für Eilgüter im internen Eisenbahnverkehr.

(Vom 25. Juni 1888.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r ath, nach Einsicht 1) der an die Bundesversammlung gerichteten Eingabe des Vereins schweizerischer Geschäftsreisender, d. d. Basel, im Mai 1887, worin verlangt ist, daß die bei den Eisenbahnen zur Erhebung gelangenden Expéditions- und Einschreibegebühren überall da und soweit beseitigt werden, als sie die in den Konzessionen enthaltenen Schranken überschreiten; 2) des Beschlusses der schweizerischen Bundesversammlung vom 19. Dezember 1884, wodurch der Bundesrath u. A. (.lit. d, Amtl. Samml. VII, 780) eingeladen ist, dahin zu wirken, daß für Eilgut nicht mehr die doppelte Expeditionsgebühr berechnet und überhaupt die Expeditionsgebühren nicht schon bei 30, sondern erst bei 40 Kilometer voll bezogen werden ; 3) der Vernehmlassung der schweizerischen Reformtarifbahnen, vom 31. März 1885, dahin gehend, daß die Gesellschaften in erster Linie die von der Bundesversammlung bezeichneten Taxermäßigungen ablehnen und eventuell Kompensationen in anderer Richtung verlangen, sowie der am 7. September gleichen Jahres mit denselben gepflogenen Verhandlungen;

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30.06.1888

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