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Aus den Verhandlungen des Schweiz. Bundesrathes.

(Vom 23. November 1888.)

Der Bundesrath hat in Sachen einer Beschwerde des Herrn Thierarzt M. Grob in Rapperswyl, Kantons St. Gallen, betreffend die Besetzung der Fleischschauerstelle in der Gemeinde Jona, in Erwägung: 1) Art. 80, Alinea 2 der eidg. Vollziehungsverordnung vom 14. Oktober 1887 zu den Bundesgesetzen betreffend polizeiliche Maßregeln gegen Viehseuchen bestimmt, daß die Viehschaukontrole wo möglich nicht bloß für die öffentlichen Schlachthäuser, sondern für alles zum Verkauf geschlachtete Vieh einzuführen und in allen Fällen diplomirten Thierärzten zu übertragen ist, sofern sich solche zur Besetzung vakanter Fleischschauerstellen anmelden; 2) Art. 101 der nämlichen Verordnung weist deren Vollziehung den Kantonen zu und Art. 10 der zugehörigen st. gallischen Verordnung, vom 16. Juni 1888, überträgt die Wahl der Fleischschauer den Gemeinden mit der Verpflichtung, hiebei nach Maßgilbe der eidg. Vorschrift zu verfahren; 3) Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß mit der Aufnahme des citirten Art. 80, Alinea 2 in die eidg. Verordnung nicht bezweckt werden wollte, unter Außerachtlassung aller politischen Grenzen dem Thierarzte ein Anrecht auf jede von einem Laien besetzte Fleischschauerstelle zu schaffen. Eine derart weitgehende Interpretation müßte notwendigerweise zu Unzukömmlichkeiten und erheblichen Verkehrsstörungen führen und muß demnach schon aus diesem Grunde als nicht zuläßig erklärt werden; 4) Der Bundesrath hat vielmehr in einem analogen Falle (Rekurs Hübscher) unterm 17. März 1888 dahin entschieden, daß durch Berücksichtigung der fraglichen Bestimmung des Art. 80 innerhalb der Gemeindegrenzen den gestellten Anforderungen entsprochen werde, somit auch immer dann, wenn in denjenigen Gemeinden, in welchen Thierarzte domizilirt sind, solche in erster Linie zur Besorgung der Fleischschau herbeigezogen werden; 5) In gleichem Sinne interpretirt die Regierung des Kantons St. Gallen Art. 11) ihres Erlasses betreffend die Vollziehung der eidg. Verordnung;

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6") Herr Thierarzt Grob müßte somit in der Gemeinde Joua domizilirt sein, um Anspruch auf die Stelle des dortigen Fleischschauers erheben zu können. Dies war zur Zeit der Wiederwahl des bisherigen Inhabers nicht der Fall und es bestand somit für den Gemeinderath von Joua keine Verpflichtung, die Anmeldung des Rekurrenten zu berücksichtigen, beschlossen: Der Rekurs des Herrn Thierarzt Grob ist als unbegründet erklärt.

(Vom 24. November 1888.)

Der Bundesrath hat den Rekurs des Herrn Adolf Guyer-Zeller in Zürich, welchen dieser gegen den Beschluß der Regierung des Kantons Zürich vom 7. April 1888 betreffend die Zwangsenteignung der Bürgliterrasse zu Gunsten des Kirchenbaues in Enge bei Zürich unter Berufung auf Art. 50, Absatz 2, der Bundesverfassung erhoben hat, als unbegründet abgewiesen.

Die Erwägungen lauten : 1) Das dem Bunde durch Art. 50, Absatz 2, der Bundesverfassung vorbehaltene Recht, "gegen Eingriffe kirchlicher Behörden in die Rechte der Bürger und des Staates geeignete Maßnahmen zu treffen", kann im Rekursfalle nicht zur Anwendung kommen.

Mag die Kirchgemeinde im Kanton Zürich öffentlichrechtlichen oder bloß privatrechtlichen Charakter tragen: die Frage, um die es sieh in casu handelt, bleibt sich gleich, sie lautet im einen wie im andern Palle: Ist ein vom Staate anerkanntes Recht eines Bürgers durch eine kirchliche Behörde gefährdet? Diese Frage muß verneint werden.

2) Wenn die Kirchgemeinde Enge mit Bezug auf das Eigenthum des Herrn Guyer-Zeller auf gesetzlichem Wege ein Zwangsabtretungsbegehren stellt, so macht sie von einem Rechte Gebrauch, das nach Verfassung und Gesetz des Kantons Zürich von jedem Rechtssubjekte ausgeübt werden kann, und wenn der zürcherische Regierungsrath den Einspruch des Eigentümers gegen das Abtretungsbegehren nicht schützt, sondern die Zwangsenteignung gestattet, ,,weil das öffentliche Wohl sie erheische (Art. 4 der Verfassung des Kantons Zürich), so wird das bürgerliche Recht des Herrn Guyer-Zeller dadurch in einer vom Staate als zuläßig erklärten Weise betroffen. Der Eingriff in das Eigenthum des Re-

781 kurrenten ist vom bürgerlichen Rechte selbst vorgesehen und gebilligt und wird nicht von einem kirchlichen Organe gegen die Vorschrift des bürgerlichen Rechts unternommen.

3) Ob das Expropriationsbegehren der Kirchgemeinde Enge als solches begründet sei und ob die dasselbe schützenden Beschlüsse der Zürcher Behörden, insbesondere der Beschluß des Regierungsrathes vom 7. April 1888, nach Maßgabe des kantonalen Rechts materiell gerechtfertigt seien, ist eine Frage, welche nicht an die Beurtheilung des Bundesrathes fällt. Dieselbe kann bejaht oder verneint werden, ohne daß Art. 50, Absatz 2, der Bundesverfassung zur Erörterung und Anwendung käme. Ihre Entscheidung hängt prinzipiell von der im Staate anerkannten Fülle und Ausdehnung des Eigentumsrechts und in jedem konkreten Falle von der Würdigung der Saehverhältoisse ab.

4) Damit soll nicht in Abrede gestellt sein, daß auch gegenüber einer von den kantonalen Staatsbehörden bei formell ganz richtigem Verfahren ertheilten Expropriationsbewilligung bundesrechtlicher Schutz nachgesucht werden kann, wenn dieselbe materiell anfechtbar erscheint, indem sie kantonales oder eidgenössisches Verfassungsrecht verletzt. Nur wird selbstverständlich ganz außer BetrHcht fallen, ob der zur Zwangsabtretung angehaltene Bürger den Zweck der Unternehmung, für welche die Abtretung verlangt wird, persönlich billige oder nicht, und die Anrufung des bundesrechtlichen Schutzes wird nicht, wie es im Rekursfalle versucht worden ist, auf Art. 50, Absatz 2, der Bundesverfassung gegründet "werden können.

Sofern eine solche Beschwerde geradezu den Schutz des durch die kantonale Verfassung gewährleisteten Eigentumsrechtes bezweckt, ist gemäß Art. 59, litt, a, des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege das Bundesgerieht die zum Entscheid kompetente Behörde.

Herr Komain de Weck in Rosières bei Freiburg, Präsident des freiburgischen Jägervereins ,,Diana", beschwerte sieh beim Buodesrath über eine Verfügung des Staatsrathes der Waadt, nach welcher dieses Jahr für Angehörige des Kantons Freiburg, die nicht gleichzeitig Grundbesitzer im Kanton Waadt sind, seitens dieses Kantons Jagdpateute ertheiJt wurden, die nur bis zum 25. November Gültigkeit haben, während den Angehörigen des Kantons Waadt die Jagd bis zum 15. Dezember gestattet werde. Diese Verfügung wird von der waadtländischen Behörde damit motivirt, daß gemäß Konkordat vom Jahre 1864 zwischen den beiden Kantonen ReziBundesblatt. 40. Jahrg. Bd. IV.

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prozität in Jagdsachen bestehe; da nun Freiburg eine bedeutend kürzere Jagdzeit habe als Waadt, so habe letzterer Kantern es für angezeigt gefunden, den Jägern aus dem Kanton Freiburg die Patente nur für eine so lange Dauer auszustellen, als die waadtländischen Jäger im Kanton Freiburg jagen dürfen.

Der Bundesrath hat befunden, daß in dieser Frage der Art. 2 des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz, vom 17. Herbstmonat 1875, maßgebend sei, wonach jeder Schweizer, welcher sine kantonale Jagdbewilligung gelöst hat, zur Ausübung der Jagd auf dem betreffenden Kantonsgebiete befugt ist, es somit den Kantonen nicht zusteht, einen Unterschied zwischen den eigenen Angehörigen und denjenigen anderer Kantone zu machen, so wenig als die Patenterteilung von der Niederlassung im Kanton abhängig wäre. Er hat daher den Rekurs als begründet erklärt.

Der Burgergemeinde P i e t e r l e n wird an die Kosten der Anpflanzung von Waldstreifen, Hecken und Obstbäumen im Leugenenmoos ein Bundesbeitrag von 25 °,o , im Maximum von Fr. 1400, unter der Bedingung in Aussicht gestellt, daß der Kanton Bern an das gleiche Unternehmen einen mindestens ebenso hohen ,,Beitrag verabfolge und daß dasselbe spätestens innerhalb 5 Jahren von heute an gerechnet durchgeführt werde.

Der Bundesrath hat an das Kadettenfest in Aarau, welches zur Erinnerung an die vor 100 Jahren daselbst stattgefuudene Gründung des ersten Schweiz. Kadettenkorps stattfinden wird, und an welchem Theil zu nehmen sätnmtliche Kadettenkorps der Schweiz eingeladen werden, einen Bundesbeitrag von Fr. 3000 bewilligt.

Der Bundesrath 'hat den Beschlüssen der internationalen Konferenz betreffend die Herstellung einer Bodenseekarte die Genehmigung ertheilt.

(Vom 28. November 1888.)

Den eidg. Käthen wird der Entwurf zu einem Nachtragsgesetz betreffend die Abänderung des im Gesetz vom 18. Februar 1878 ergänzten Art. 9 des Bundesgesetzes über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen vom 23. Dezember 1872 vorgelegt. Art. l lautet wie folgt:

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,,Der neunte Artikel des Bundesgesetzes über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen auf dem Gebiet der schweizerischen Eidgenossenschaft, vom 23. Dezember 1872, erhält folgende Fassung: ,,Den Bahnbeamten und Angestellten, einschließlich der im Taglohn dauernd beschäftigten Arbeiter, ist wenigstens je der 3. Sonntag frei zu geben.

.,, Die Tage der Sonntagsruhe sollen nicht als Ersatz für die im Bahndienst üblichen freien Werktage gelten: Ö O ? ilieder Bahnbeamte, Angestellte und Taglöhner hat mindestens Anspruch auch auf 14 dienstfreie Werktage im Jahr.

,,Den Bahnbeamten, Angestellten und Taglöhnern soll auf je 24 Stunden eine wenigstens achtstündige zusammenhängende Ruhepause gewährt sein, mit einer Stunde Zuschlag für Zuund Abgang für diejenigen, denen nicht in den Gebäulichkeiten auf den Bahnhöfen oder an der Bahnlinie Wohnungen angewiesen sind.

,,Ueberdem ist etwa um die Mitte der Arbeitszeit täglich eine Hauptruhepause von mindestens einer Stunde zu gewähren und sind daneben wenigstens weitere zwei Stunden, sei es durch Einlegung von Zwischenpausen, sei es durch Kürzung der Arbeitszeit am Morgen und Abend, freizugeben.

,,Hinsichtlich der Eintheilung der täglichen Dienstzeiten kann der Bundesrath Ausnahmen gestatten.

,,Mit Bezug auf die Arbeitszeit der Frauen, welche im Bahndienst beschäftigt sind, wird der Buudesrath die allenfalls erforderlich werdenden Vorschriften aufstellen.

,,Die vorstehenden Bestimmungen sollen auch Anwendung finden auf andere, vom Bunde konzessionirte Transportanstalten.

Dagegen haben sie keine Geltung für diejenigen im Dienst der EisenbahnverwaUungen und Dampfschiffunternehmungen befindlichen Angestellten und Taglöhner, welche unter der Fabrikgesetzgebung stehen.

,,Zuwiderhandlungen sind mit Bußen von 5--500 Fr.

durch die Gerichte zu belegen. Im Wiederholungsfall darf das Gericht außer angemessener Geldbuße auch Gefängniß bis auf drei Monate verhängen."

Das Postdepartement ist vom Bundesrathe ermächtigt worden, auf einen von ihm zu bestimmenden Zeitpunkt einen Postwagenkurs zwischen I s o n e und B i r o n i c o - R i v e r a (Tessin) zu errichten.

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In Ersetzung des verstorbenen Herrn Dr. K a p p e i e r wählte der Bundesrath zum Präsidenten des schweizerischen Schulrathes Herrn Oberst-Divisionär Hermann B l e u l er, von Riesbach (Zürich)., bisher Vizepräsident der gedachten Behörde.

Vom Bundesrathe sind gewählt worden : (am 24. November 1888) als Zolleinnehmer in Jüppen : Hr. Jakob Speckert, von Koblenz.

(Aargau) ; ,, Postkommis in Genf: ,, Eduard Renevey, von Fétigny (Freiburg), derzeit Postkommis in Chaux-de-Fonds j (am 28. November 1888) als Telegraphist in Langwies : ,, Johann Florian Pellizari, von und in Langwies (Graubünden), Posthalter daselbst.

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01.12.1888

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