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Aus den Verhandlungen des Schweiz. Bundesrathes.

(Vom 21. Juni 1888.)

Im Konkurse der A. W. in Herdern (Thurgau) vindizirte H. K., aus dem Großherzogthum Baden, zwei Kühe, resp. den an der Konkursgant erzielten Erlös, gestützt auf einen schriftlichen Kaufvertrag, nach welchem K. der Cridarin die Kühe unter Vorbehalt des Eigenthums bis zur gänzlichen Bezahlung des Kaufpreises verkauft hatte, und auf die Thatsache, daß an den Kaufpreis noch nichts bezahlt worden war. Diese Vindikation wurde von der Notariatskanzlei Namens der Konkursmasse bestritten. Die erste Instanz schützte das Rechtsbegehren des K. das Obergericht des Kantons Thurgau entschied jedoch mit Urtheil vom 3. März 1888 gegen ihn.

,, Gegen dieses Urtheil ist, unter Berufung auf Art. 31 der Bundesverfassung, resp. Art. l des Niederlassungsvertrages zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche, vom 27. April 1876, laut welchem die Freiheit des Handels und der Gewerbe gewährleistet ist, der staatsrechtliche Rekurs an den Bundesrath ergriffen worden. Dieser hat aber den Rekurs als unbegründet abgewiesen, und zwar gestützt auf folgende Erwägungen: 1) Der staatsrechtliche Charakter des vorliegenden Rekurses und die Zuständigkeit des Bundesrathes zur Beurtheilung will von dem Rekurskläger mit der Behauptung begründet werden, daß die Zuläßigkeit des Eigenthumsvorbehalts seitens des Verkäufers bei Kredit-Kaufgeschäften betreffend Mobilien mit der Handelsfreiheit zusammenhänge, weßhalb das Urtheil des thurgauischen Obergerichts, vom 3. März 1888, das einen solchen Vorbehalt nicht anerkennt, einen Verstoß gegen den in Art. 31 der Bundesverfassung aufgestellten Grundsatz und implicite gegen den Art. l des schweizerisch-deutschen Niederlassungsvertrages vom 27. April 1876 enthalte.

2) Diese Anschauungsweise ist aber eine offenbar irrthümliche.

Die Handelsfreiheit kann bestehen, oh nun ein Eigenthumsvorbehalt im Sinne des Rekurrenten civilrechtlich anerkannt werde oder nicht.

697 3) Die Frage, ob das schweizerische Obligationenrecht (Art. 264) durch das angefochtene Urtheil des thurgauisehen Obergerichts richtig ausgelegt und angewendet sei, hat der Bundesrath nicht zu untersuchen.

Das allgemeine Bauprojekt (Situationsplan, Längenprofil und Querprofile) fiir die Straßenbahn St. Grauen - Gais auf dem Gebiet des Kantons St. Gallen wird unter gewissen Bedingungen genehmigt.

Der Steuereinnehmer des Bezirks Sitten hat der Lebensversicherungsgesellschaft New-York eröffnet, daß sie pro 1886 mit einer Taxe industrielle von Fr. 100 belegt sei, ebenso ihr Agent mit Fr. 20, wozu ohne nähere Angabe, wahrscheinlich als Einzugsgebühr, 40 Rappen hinzukommen. Hiegegen beschweren sich die schweizerischen Bevollmächtigten der Gesellschaft, Herren CuénodChurchill & fils in Vivis, unterm 9. März 1887 beim Bundesrath, indem diese Steuer mit Art. 15 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885 im Widerspruch stehe. Der Staatsrath des Kantons Wallis, welchem die Rekursbeschwerde zur Vernehmlassung mitgetheilt wurde, bestreitet, daß die geforderte Steuer eine ,,Taxe spéciale" sei und dem in Art. 15, Lemma c, enthaltenen Verbot von ,,besonderu Bedingungen, Kautionen oder b e s o n d e r n T a x e n " widerspreche; der geforderte impôt industriel sei, vorn Stempel abgesehen, die e i n z i g e durch die Gesetzgebung des Kantons den Versicherungsgesellschaften auferlegte Steuer und falle untor die vom Gesetze zugelassenen ,,ordentliehen Steuern und Abgaben1*..

Der Bundesrath hat die Beschwerde der ,,New-York", soweit sie die von der Gesellschaft selbst verlangte Steuer betrifft, als begründet erklärt, in Bezug auf die Besteuerung ihres Agenten dagegen abgewiesen. Aus den bezüglichen Erwägungen heben ·wir hervor: Wie sich aus der Antwort der Regierung von Wallis und aus der Gesetzgebung dieses Kantons ergibt, ist die geforderte taxe industrielle nicht eine Spezialsteuer auf dem Versicherungsgeschäfte, sondern die nach Berufsarten und Klassen geordnete allgemeine Gewerbesteuer, neben ·welcher -- von der auch andere Wertpapiere treffenden Stempelsteuer abgesehen -- eine andere Steuer auf dem Versicherungsgewerbe nicht besteht. Es kann daher der in Sitten wohnende und daselbst seinen Beruf ausübende Agent der Lebensversicherungsgesellschaft New-York für sein Einkommen gemäß diesem Gesetze zur Besteuerung herangezogen werden.

Bundesblatt. 40. Jahrg. Bd. III.

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698 Dagegen muß die Frage, ob die Gesellschaft ein i n d u s t r i e l l e s E i n k o m m e n besitze, verneint werden, da die ,,NewYorka nach ihrem Konstituirungsakt vom 13. April 1843 eine Gesellschaft auf G e g e n s e i t i g k e i t ist. Eine Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit hat zwar von den Versicherten selbst gewählte Direktoren und denselben unterstehende Beamte, welche aber mit Recht ihr berufliches Einkommen, ihre fixe oder in Provisionen bestehende Besoldung persönlich da versteuern, wo sie ihren Wohnsitz haben ; aber eine Geld verdienende, Dividenden oder sonstige Gewinne vertheilende Gesellschaft besteht hier außerhalb der Versicherten nicht, indem diese ihre eigenen Versicherer sind, ob diese Versicherten zu gemeinsamer Aufbringung von Sterbesummen beim Tode des einzelnen Mitgliedes oder zu gemeinsamer Tragung von Feuer-, Vieh- oder Hagelschäden zusammentreten.

In allea diesen Fällen bestehen zwar Angestellte der Gesellschaft, welche als solche Einkommen haben und versteuern müssen, jedoch keine industrielle Gesellschaft, welche als Gesellschaft und neben ihren Mitgliedern noch ein Kollektiveinkommen zu versteuern hätte.

Diese Behandlung der Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit als uicht Erwerb suchende Gesellschaften ist in Deutschland und in der Schweiz bereits eine so allgemeine, daß die Nichtbeachtung dieses ihres Charakters durch die Steuerbehörden nur noch als ganz vereinzelte Ausnahme vorkommt.

(Vom 25. Juni 1888.)

Der Bundesrath hat an die Regierung des Kantons Solothurn folgendes Schreiben gerichtet: ,,Mit Zuschrift vom 15. dies theilen Sie uns als Vorort des Basler-Bisthums mit, daß die Diözesankonferenz sich in zwei Sitzungen, vom 8. Mai und 14. Juni, mit der am 16. März abgeschlossenen Uebereinkunft mit dem Heil. Stuhle zur endgültigen Regelung der Kirchenverhältnisse des Kantons Tessin befaßt habe, wobei sich in formeller Beziehung die Ansicht geltend gemacht habe, daß offizielle Mittheilungen an die Stände des Bisthums Basel, soweit dieselben Diözesanangelegenheiten betreffen, an den Vorort Solothurn zuhanden der Diözesankonferenz zu richten seien.

,,In materieller Beziehung habe die Konferenz mit Mehrheit folgenden Beschluß gefaßt: ,,Die Diözesankonferenz des Bisthums ,,Basel, in Anbetracht, daß der Bundesrath ein Abkommen mit ,,dem päpstlichen Stuhle getroffen hat, das bestimmt ist, sowohl ,,den äußern Bestand als die innere Organisation des auf Vertrag

(599 ,,vom Jahre 1828 beruhenden Bisthurns Basel zu verändern, ohne ,,die Diözesankonferenz als solche von Anfang an und nachträglich ,,bezüglich Ratifikation zu befragen, wahrt sich, ohne Rücksicht ,,auf den Inhalt der vereinzelten Antworten der Karitone, für jetzt ,,und in Zukunft alle ihre Rechte und spricht die Hoffnung aus, ,,daß fürderhin das korrekte, der bisherigen Uebung entsprechende ,,Verfahren innegehalten werde."

,,lu Antwort auf diese Mittheilung haben wir die Ehre, das Kreisschreiben vom 3. April zu bestätigen, in welchem den Diozesanständen die Gründe mitgetheilt wurden, warum wir geglaubt haben, ohne förmliche Ermächtigung seitens derselben dem Bischof von Basel die Wahl des apostolischen Verwalters von Tessin anheimgeben zu können, wobei wir aber ausdrücklich Ihre Zustimmung vorbehielten für das Inkrafttreten von Art. 3. Die Zeit drängte, und wir zweifelten keinen Augenblick, daß ihre Anschauung in Bezug auf den ersten, uns selbstverständlich scheinenden Punkt der unsrigen entsprechen werde. In der That, wir konstatiren es mit Befriedigung, die Antworten der Diözesanstände sind der abgeschlossenen Vereinbarung günslig, außer in Bezug auf Art. 3, welchem die Mehrheit nicht Folge geben will, von dem aber das Inkrafttreten der Uebereinkunft nicht abhängt, wie (Jas Schlußprotokoll es ausdrücklich vorsieht.

,,Uebrigens nehmen wir, nachdem Sie in Bezug auf unser Verfahren Vorbehalte gemacht haben, keinen Anstand, Ihnen die Versicherung zu geben, daß wir künftig nicht ermangeln werden, Sie in solchen Fällen zu begrüßen, wie wir das bei frühern Anlässen, insbesondere im Jahr 1884, gethan haben.tt Der Regierungsrath des Kantons Zug hat den Bundesrath davon in Kenntniß gesetzt, daß Handel- und Gewerbetreibende des dortigen Kantons gegen die Postanstalten und Eisenbahnverwaltungen Beschwerde führen, weil diese sich weigern, höhere Summen als Fr. 100, beziehungsweise Fr. 50 in Silberscheidemünzen an Zahlung zu nehmen. Durch die nur beschränkte Annahme genannter gesetzlichen Geldsorte würde der Verkehr erschwert, und daraus entständen dem handel- und gewerbetreibenden Publikum mancherlei Verlegenheiten u. s. w.

Hierauf hat der Bundesrath Folgendes erwidert: Nach Art. 5 des internationalen Münzvertrages vom 6. November 1885 haben die Schweiz. Silberscheidemünzen (2-, l- und Yz-Frankenstücke) im Privatverkehr gesetzlichen Kurs auf jeder Zahlung bis auf den Betrag von Fr. 50 und die öffentlichen Kassen der Eidgenossenschaft,

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nämlich die Bundeskasse, die Hauptzoll- und Kreispostkassen, sowie die Zoll-, Post- und Telegraphenbüreaux seien verpflichtet, diese Geldsorten in unbeschränktem Maße anzunehmen ; nach Art. 6 des genannten Vertrages dagegen erstrecke sich die Annahmsverpflichtung genannter Kassen für belgische, französische, italienische und griechische Silberscheidemünzen nicht über Fr. 100 auf jeder Zahlung; es müsse daher die Voraussetzung der Regierung, daß diesfalls eine unrichtige Verfügung erlassen worden sei, als eine irrthümliche erachtet werden.

Es sei dem Bundesrath wohl bekannt, daß die italienischen Silberscheidemünzen seit einiger Zeit übermäßig importirt werden, und es werde, um den daraus entstehenden mannigfaltigen Uebelständen entgegenzuarbeiten, ihre Abschiebung nach Italien fortwährend eifrig betrieben. Allein dieses Mittel könne unmöglich zum Ziele führen, so lange der Einfuhr dieser Geldsorten von handel- und gewerbetreibender Seite, wie dies namentlich in der Ostschweiz der Fall zu sein scheine, aus geschäftlichen Interessen Vorschub geleistet werde.

Der Bundesrath hat den zwischen dem eidg. Zolldepartement und dem Direktorium der schweizerischen Centralbahn auf 6 Jahre neu abgeschlossenen Mietvertrag für das eidg. Niederlagshaus in Basel genehmigt.

Herr W. van Wickevoort-Crommelin, welcher von Sr. Majestät dem König der Niederlande zum dortseitigen Generalkonsul in der Schweiz, an der Stelle des demissionirenden Hrn. B. L. Vervey ernannt wurde, hat in dieser Eigenschaft das Exequatur vom Bundesrathe erhalten.

Der Bundesrath hat beschlossen, den offiziellen Verkehr mit der Hülfsgesellschaft in B u k a r e s t von heute an abzubrechen und dieselbe aus der Liste der schweizerischen Hülfsgesellschaften zu streichen.

Die Hülfsgelder werden an den Schweiz. Generalkonsul in Bukarest, Hrn. S t a u b , gesandt, der sie zu Wohlthätigkeitszwecken verwenden wird.

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Der Bundesrath wählte: (am 25. Juni 1888) zum Postkommis in Basel: Hrn. Karl Oftinger, von Zurzach, derzeit Postkommis in Genf; ,, Kontrolgehülfen bei der Telegraphendirektion : ,, Rudolf Liechti, von Landiswjl (Bern), derzeit provisorischer Gehülfe bei der gedachten Direktion; ,, Kanzleigehülfen der Telegraphendirektion : ,, Karl Ranschert, von Pizy (/Waadt), Telegraphist in Basel ; zur Telegraphistin in Lutry (provisorisch) : Frau Wittwe Julie Mégroz, von und in Lutry (Waadt), Posthalterin daselbst ; (am 29. Juni 1888) als Postverwalter in Saignelégier : Hrn. Emile Fromaigeat, v. Vicqucs (Bern), derzeit Postkommis in Zürich ; ,, Fritz Hsunzi, von Meinisberg ,, Postbüreauchef in Biel: (Bern), Postkommis in ßiel ; ,, Postkommis in Luzern : Jgfr. Josephine Moser, Postaspirantin, von Hitzkirch (Luzern), in Luzern ; ,, Chef des Telegraphennetzes Zürich : Hrn. Xaver Olirti, von Rapperschwjl, derzeit Adjunkt der Telegraphen-Inspektion Lausanne.

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30.06.1888

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