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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung zu einem Beschlussesentwurf betreffend die Zusammenstellung der in Versicherungsstreitsachen in der Schweiz ergehenden Civilurtheile.

(Vom 24. November 1888.)

Tit.

Art. 34, Alinea 2, der Bundesverfassung unterwirft den Geschäftsbetrieb von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens der Aufsicht und Gesetzgebung des Bundes und Art. 64 ertheilt dem Bunde die Kompetenz, auch die privatrechtlichen Beziehungen zwischen Versicherungsgesellschaften und Versicherten als Theil des Obligationen- und Handelsrechtes gesetzlich zu ordnen.

In den Entwürfen zu einem schweizerischen Handelsrecht und in den ersten Entwürfen des schweizerischen Obligationenrechtes waren dem entsprechend Bestimmungen über den Versicherungsvertrag enthalten. Sie wurden jedoch in den spätem Entwürfen weggelassen und der Spezialgesetzgebung zugewiesen. In der Botschaft vom 27. November 1879 gaben wir dem Gedanken Ausdruck, daß das in Ausführung von Art. 34, Alinea 2, zu erlassende Gesetz die Vorschriften über die Staatsaufsicht und über die civilrechtlichen Verhältnisse im Zusammenhange behandeln werde. Seither ist zur Aufstellung dieses Gesetzes geschritten worden ; es ergab sich aber schon bei Beginn der Vorberathung, daß eine Zusammenfassung des publizistischen und privatrechtlichen Stoffes nicht zutreffend wäre, vielmehr zuerst ein besonderes Gesetz über die Aufsicht erlassen werden müsse. Man konnte sich des Eindruckes nicht erwehren, daß die bisherigen Versuche zur Herstellung von privat-

765 rechtlichen Normen in diesem Gebiete nicht gelungen seien und es vor weitern Schritten in dieser Richtung noth wendig sei, durch die Organisation und Anhandnahme der Aufsicht sachverständige Behörden und einen tiefern Einblick in die zu ordnenden Verhältnisse '/M erhalten. Von diesem Gesichtspunkte aus ist das Buudesgesetz vom 25. Juni 1885 betreffend Beaufsichtigung von Privatunteinehmungeu im Gebiete des Versicherungswesens durchberathen und in Kraft gesetzt worden. Es soll dasselbe sogar nicht einmal die gesetzliche Regelung der Aufsicht erschöpfen, sondern auch in dieser Beziehung nur die Grundlage bilden, auf welcher weiter gebaut werden k»no, Das angeführte Gesetz verpflichtet die Versicherungsunternehmungen, der ßundesaufsichtsbehörde über alle Theile ihrer Verwaltung Auskunft zu geben. Es ist dadurch möglich geworden, einen sichern Einblick zu gewinnen in die technischen und rechtlichen Grundlagen der in der Schweiz thätigen Gesellschaften, ihre Organisation, Garantien, Geschäftsergebnisse, Versicherungsbedingungen u. dgl. Zur Erläuterung verweisen wir auf den ,,Bericht des eidgenössischen Versicheruogsaintes über die privaten Versicherungsunternehmungen in der Schweiz im Jahre 1886"1. In einer Beziehung macht sich aber eine Lücke in diesen Wahrnehmungen fühlbar.

Der Bundesrath und das Versicherungsamt erhalten keine regelmäßigen Mittheilungen über die vor den kantonalen Gerichten sich abspielenden Anstände zwischen Versicherungsgesellschaften und Versicherungsnehmern oder Versicherten. Nur zufällig, und in der Kegel lange hintendrein, erlangen sie durch Einsichtnahme von Rechenschaftsberichten, Zeitschriften, Urtheilssammlungen etc, Kenntniß von einzelnen 'der vorkommenden Konflikte. Hieraus ergeben sich verschiedene Mißstände: Den Aufsichtsbehörden fehlt ein wichtiges Mittel zur Beurtheilung des Geschäftsgebahrens der Gesellschaften ; sie sind nicht, wie es von ihnen erwartet wird, in der Lage, dich auszusprechen über die im Publikum von Zeit zu Zeit auftauchenden Vorwürfe gegen einzelne oder ganze Kalegorien von Versicherungsunternehmungen. Die Anwendung und die praktischen Wirkungen der Versichernngsbedingungen in den einzelnen Fällen entziehen sich zum Theil ihrer Beobachtung. Endlirh sind sie nicht im Stande, festzustellen, wo und wie die künftige Versicherungsgesetzgebung
hauptsächlich einzusetzen hat.

Dem vorhandenen Uebelstande kann nicht dadurch abgeholfen werden, daß den Versicherungsgesellschaften die Verpflichtung auferlegt wird, über die vorkommenden Streitfälle Bericht zu erstatten; sie sind in denselben Partei und es könnte ihnen eine objektive und erschöpfende Darstellung nicht zugemuthet werden. Besser sind die Bnndeablatt. 40. Jahrg. Bd. IV.

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Gerichtsbehörden in der Lage, uns in dieser Beziehung durch Einsendung der von ihnen ausgefällten Urtheile an die Hand zu gehen.

Aehnliche Mittheiluugen au die Bundesbehörden werden von denselben schon jetzt in Ehescheidungs- und Nichtigkeitssachen gemacht, und es haben sich die bezüglichen Zusammenstellungen für die Beurtheilung der Civilstands- und Ehegesetzgebung und deren Weiterbildung als werthvoll erwiesen. Wird den kantonalen Gerichtssekretariaten für den Auszug und die Einsendung der Urtheile eine angemessene Vergütung gewährt, so werden sie sich der damit verbundenen geringen Vermehrung ihrer Arbeitslast zweifellos bereitwillig unterziehen. Die Zusammenstellung würde nur die Fälle umfassen, in welchen eine Versicherungsgesellschaft als Partei erscheint, und nicht auch solche, in welchen zwischen anderweitigen Interessenten über die Berechtigung an den ausbezahlten Summen auf Grundlage des Erb-, ehelichen Güter-. Sachen- oder KonkursRechtes gestritten wird. Zum Theil fehlt dem Bunde die Kompetenz zum Eintreten auf diese Gebiete, zum Theil liegen über die einschlägigen Streitfragen bereits vollständigere Publikationen als über die eigentlichen Versicherungsstreitsachen vor.

Die finanzielle Tragweite der angeregten Maßnahme ist keim; bedeutende. Werden jährlich 1000 Seiten Urtheilsausfertigungen eingesandt, was wohl viel zu hoch gegriffen ist, so würde die Ausgabe Fr. 500 kaum übersteigen. Die Erhebungen würden selbstverständlich nur so lange fortgesetzt, als ein Bedürfniß dafür vorhanden und ein Nutzen derselben ersichtlich ist.

Wir beantragen Ihnen Eintreten auf den nachstehenden Be» schlussentwurf.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 24. November 1888.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Vizepräsident:

Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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(Entwurf)

Bnndesbeschluß betreffend

die Zusammenstellung der in Versicherungsstreitsachen in der Schweiz ergehenden Civilurtheiie.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Art. 34, Absatz 2, der Bundesverfassung; und nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes, vom 24. November 1888, beschließt: Art. 1. Von allen Civilurtheilen, welche durch schweizerische Gerichte in Streitsachen zwischen privaten Versicherungsunternehmungen und Versicherten oder aus Versicherungsverträgen Berechtigten ausgefällt werden, sind nach Eintritt der Rechtskraft vollständige Abschriften (ohne Verwendung von Stempelpapier) an das eidgenössische Versicherungsamt in Bern einzusenden.

Für diese Abschriften ist eine vom Bundesrath festzusetzende Vergütung aus der Bundeskasse zu entrichten.

Art. 2.

Kraft.

Dieser Beschluß tritt auf 1. Januar 1889 in

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung zu einem Beschlussesentwurf betreffend die Zusammenstellung der in Versicherungsstreitsachen in der Schweiz ergehenden Civilurtheile. (Vom 24. November 1888.)

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1888

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01.12.1888

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764-767

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