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Schweizerisches Bundesblatt

38. Jahrgang. II.

Nr. 26.

19. Juni 1886.

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Druck und Expedition der StämpflischenBuchdruckereii in Bern.

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d e s

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Ausdehnung der Haftpflicht auf andere Gewerbe und die Ergänzung des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1881.

(Vom 7. Juni 1886.)

Tit.

Am 25. März 1885 hat der Nationalrath folgende, den Anträgen der HH. Nationalräthe Decurtins, Klein und Konsorten entsprungene M o t i o n K l e i n angenommen: "Der Bundesrath wird eingeladen: ~ 1) Die Gesetze über die Haffpflicht vom 1. Juli 1875 und vom 25. Juni 1881 im Sinne der Ausdehnung der Haftpflicht und zum Zweck der Erleichterung der Geltendmachung der Entschädigungsansprüche einer Revision zu unterstellen; 2) die Frage zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten, ob nicht eine allgemeine, obligatorische Arbeiterunfallversicherung anzustreben sei."

"

Anknüpfend an unsere Erörterungen im Geschäftsbericht pro (Bundesbl. 1886, I, 282) konstatiren wir, daß dieser Beschluß Bundesrath eine dreifache Aufgabe stellt, welche betrifft: die Verbesserung der bestehenden Haftpflichtgesetzgebung; die Ausdehnung derselben auf andere Industrien und Gewerbe; 3) die obligatorische Versicherung.

1885 dem 1) 2)

Bundesblatt. 38. Jahrg. Bd. II.

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690 Die ersterc schien in Anbetracht dcv anerkannten Uiuollkommenheiten des Buudesgesetees betreffend die Hal'tpilicht ans Fabrikbetrieb die dringendste /u sein u.id wurde sofort, an die Hand genommen.

An der Hand der Gesetze und Gesetzesprojekte der umliegenden Länder, immerhin unter Berücksichtigung der schweizerischen Verhältnisse, und mit Hülfe der schon seit geraumer Zeit gemachten Vorarbeiten und Studien, arbeitete unser Handels- und Laudwirthschaftsdeparteineul den E n t w u r f ßu e i n e m B u n d e s g e s e t z o über die Haftpflicht der Fabrikanten im Falle von Verletzungen oder E r k r a n k u n g e n der Arbeiter aus und legte denselben einer Kommission vor, welche am 21. und 22. April 188,5 in Bern sich versammelte. Deren Mitglieder vvaien die Herren : Bundesrath R u c h o n n e t , als Vorsteher des schweizerischen Juslizdepartements, Bundesrichter R o gui n, in Lausanne, Nationalrath H e i t z , .(, Münchweilen, ,, Klein, ,, Basel, ,, L a c h e n al, ,, Genf.

Stäuderath R i e t er, ,, Wintorthur, Redaktor V o g e l s a n g e r , ,, Chur, Dr. W e l t i - E s c h e r , ,, Zürich.

Es fnnd eine eingehende Beralhuug über den Entwurf statt, und es wurde mit Majorität Eintreten auf denselben beschlossen.

Ein endgültiges Urtheil wurde von der Kommission indeß nicht abgegeben, sondern der Wunsch ausgesprochen, es möchten die Akten in der einen und andern Richtung noch ergänzt werden.

Das Departement suchte demselben sofort nachzukommen, indem es folgende Anordnungen traf: 1. Die D o k u m e n t e , auf welche sein Gesetzesentwurf sich gründete, wurden in einem gedruckten Bande von 102 Seiten z u s a m m e n g e s t e l l t und der Kommission am 9. Juni 1885 mitgetheilt ; derselbe steht auch den Mitgliedern der Käthe zur Verfügung.

2. Für die Umwandlung des gegenwärtigen Systems der Entschädigungen aus Haftpflicht (Zahlung eines Kapitals) in dasjenige der Rentenzahlung hatte das Departement dia in Deutschland und Oesterveieh aufgestellte amtliche Berechnung, wonach die für die Sicherung einer Rente zu bezahlende Versicherungsprämie l Va °/o

691 vom Lohne des Arbeiters beträgt, als richtig angenommen. Dieselbe wurde indeß iii der Kommission bestritten, und das Departement beauftragte daher am 27. April 1885 Herrn Prof. K i n k e l i n in Basel mit der Untersuchung dieser Frage, indem es ihm folgende Fragen vorlegte: 1) Sind Sie im Allgemeinen der Ansicht, daß die statistischen Angaben, aufweiche K a a n (der österreichische Versicherungsbeamte) seine Berechnungen gestützt hat, sowie die Resultate, zu denen er, hierin mit dem deutschen Statistiker Beh me übereinstimmend, bezüglich der zu bezahlenden Prämiensätze gelangt, auf die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen in den schweizerischen Fabriken anwendbar seien? Welche größere oder kleinere Abweichungen können jene Angaben und Resultate für unser Land ungefähr aufweisen?

2) Sind Sie der Ansieht, daß unter den gegenwärtigen Versicherungsverhältnissen in der Schweiz, d. h. bei dem Fehlen einer offiziellen Organisation der Versicherung (Berufsgenossenschaften , vom Staat gegründete Kassen), das System der Rente ohne bedeutendere Schwierigkeiten eingeführt werden könnte?

3) Sind Sie für den Fall, daß das im Gesetzesentwurf vorgesehene System der Rente eingeführt würde, der Ansicht, daß es möglich wäre, mit genügender Annäherung auf Grund der vorhandenen schweizerischen Statistiken die Differenz zwischen den Durehsehnittsprämien, welche unsere Fabrikanten zu bezahlen haben, um sich gegen die Unfälle nach Maßgabe des bestehenden Gesetzes zu versichern, und denjenigen, welche nach dem Gesetzesentwurf erforderlich wären, zu berechnen ?

Welches wäre eventuell die Maximalsumme, welche in den Art. 7, letztes Alinea, des Entwurfes aufgenommen werden müßte, damit die Prämie durchschnittlich l Va % der Löhne nicht überschritte?

4) Ist es möglich, eine mathematische Vergleichung zwischen der gegenwärtigen Belastung des schweizerischen Fabrikanten und derjenigen, welche für den deutschen aus dem Gesetze vom 6. Juli 1884 entspringen wird, aufzustellen?

5} Welches wären für den Fall, daß es Ihnen nicht möglich wäre, mit genügender Annäherung die sub 3 und 4 verlangten Berechnungen zu liefern, die statistischen Angaben, welche wir uns zu diesem Zweck verschaffen müßten? Welches wäre eventuell die mehr oder weniger große Möglichkeit, sie zu erhalten, und welches die hiefür nöthige Zeit?

(592 Leider war es dem Experten bis jetzt nicht möglich, die schwierige und zeitraubende Arbeit auszuführen, da er durch seine Berufsgeschäfte allzusehr in Anspruch genommen war. Auch wenn dieselbe eventuell, da man in Verlegenheit wäre, einen anderen Fachmann zu finden, dem neu kreirten eidgen. Versicherungsamt übertragen werden müßte, so wäre an eine schnellere Erledigung derselben nicht zu denken, da dieses Amt noch für längere Zeit mit der Prüfung der dringenden Konzessionsgesuche der Versicherungsgesellschaften mehr als genug 2,11 thun hat.

3) Das Departement suchte auch über die S i t u a t i o n der Ind u s t r i e l l e n anderer Länder, namentlich Deutschlands, welches bekanntlich eine umfangreiche soziale Gesetzgebung auf dem uns beschäftigenden Gebiete inaugurirt hat, im Verhältniß zu derjenigen der schweizerischen, authentische Aufschlüsse zu erlangen, und es gewann dabei den Nachweis, daß der deutsche Industrielle bedeutend besser gestellt ist, als der schweizerische, namentlich in Folge der Zoll Verhältnisse. Wenn man mit dieser Thatsache die andere vergleicht, daß die schweizerischen Industriellen sich nicht nur relativ gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten schlechter stellen, sondern, wie die Erfahrungen der letzten Jahre lehren (vergl.

auch die Berichte des Schweiz. Handels- und Industrievereins, des Schweiz. Spinner- und Webervereins, des kaufmännischen Direktoriums St. Gallen, der kaufmännischen Gesellschaft Zürich), sich überhaupt im Allgemeinen in einer schwierigen Krisis befinden, so muß man zu dem Schlüsse kommen, daß sie gegenwärtig nicht nur nicht gleich belastet werden dürfen, wie z. B. die deutscheu -- wenn letztere überhaupt mehr belastet; sind -- sondern daß es gegenwärtig unbedingt vermieden werden muß, ihnen mehr aufzubürden, als sie nach dem bestehenden Haftpflichtgesetze bereits zu tragen haben.

4) Im Weitern glaubte das Departement billigerweise auch den V o r o r t des Schweiz. H a n d e l s - u n d I n d u s t r i e v e r e i n s als Organ der verschiedenen Interessentenkreise um seine Mitwirkung bei der Lösung seiner Aufgabe angehen zu sollen (24. April 1885). Derselbe übernahm den Auftrag bereitwilligst, nachdem auch die Schweiz. Handelskammer die Angelegenheit besprochen, und richtete Anfangs Dezember 1885 ein ausführliches Exposé über die Fragen der Haftpflicht und der obligatorischen Versicherung der Arbeiter gegen Unfall an die zum Verband gehörenden Organe, welches mit folgenden Fragen schließt :

693 lj Sind alle Ihre Arbeiter bei Krankenkassen versichert; wie sind diese organisirt ; wer bezahlt die Prämien ; wie hoch sind letztere und die Gegenleistungen der Kasse?

2) Sind alle Ihre Arbeiter gegen Unfälle versichert; gegen alle oder nur gegen haftpflichtige Unfälle; seit wann; bei wem; wer bezahlt die Prämien ; wie hoch waren und sind diese und die Gegenleistungen der Gesellschaften?

3) Waren Sie schon genöthigt, gegen die betreffenden Versicherungsgesellschaften das Gericht anrufen zu müssen?

4) Sind Sie Anhänger oder Gegner einer obligatorischen Versicherung der Arbeiter gegen Unfälle; wenn letzteres, aus welchen allgemeinen oder besondern Gründen?

5) Wenn Sie Anhänger sind : a. In welcher Form sollte Ihres Erachtens die Versicherung ihren Ausdruck finden; soll z. B. eine schweizerische, sich selbst verwaltende Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit mit Gefahrenklassen-Gemeinschaften geschaffen werden; sollen Berufsgenossenschaften nach deutschem Muster geformt werden; soll eine eidgenössische, unter Staatsverwaltung stehende Versicherungskasse ins Leben treten ; halten Sie derartige kantonale Kassen für möglich ; soll eine Verbindung staatlicher und privater Versicherung gesucht werden, oder soll schließlich von einer besonderen Organisation überhaupt Umgang genommen und den Versicherungspflichtigen frei gestellt bleiben, wie sie den Vorschriften eines eventuellen Gesetzes gerecht werden wollen ?

b. Wie würden Sie sich die Organisation und Verwaltung des von Ihnen vorgeschlagenen Institutes etwa vorstellen?

c. Auf welchem Wege wären die EntschädigungsbetreÖDisse zu heschafien ; hätte sie der Arbeitgeber allein, oder mit ihm der Arbeiter, oder eventuell gar der Staat, zu tragen und zu welchen Theilen?

d. Hätte bei jedem Unfall sofort die Unfallversicherungskasse mit ihren Gegenleistungen einzugreifen, oder sollten Unfälle mit nachfolgender kurzer Erwerbsunfähigkeit den Krankenkassen zugewiesen werden; wenn ja, wo würden Sie die zeitliche Grenze ziehen; wie wären in diesem Falle die Beiträge zur Krankenkasse zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu vertheilen?

694 e. Würden Sie bei dem Zusiaudekorumen einer obligatorischen Unfallversicherung für Beschaffung der erforderlichen Entschädigungen das Anlege- oder das Dockungsverfahren vorziehen ?

f. Wie hoch wären Ihres Erachtens die Renten zu bemessen: 1. im Falle gänzlicher Erwerbsunfähigkeit, 2. im Falle theihveiser Erwerbsunfähigkeit, 3. im Falle der Tödtung?

Es scheint, daß die vom Vorort uuterno mnene Enquête groß« Dimensionen angenommen hat ; wenigstens schreibt der Voi'ftand in dem Jahresberichte vom April ISSfi, daß noch bei keiner vom Verein behandelten Frage ein so umfangreiches Material sich aufgestapelt habe. Ein Bericht wird daher kaum vor Ende dieses Jahres zu erwarten sein.

Es ist aus dem Vorhergehenden ersichtlich, daß die Bundesbehürde die ihr durch das Eingangs erwähn:e Postulat übertragenen großen Aufgaben mit größtmöglicher Beförderung xu lösen gesucht hat, aber hiebei auf Schwierigkeiten gestoßen ist, deren Beseitigung nicht in ihrer Macht lag. Und je tiefer man in das Studium jener eindringt, desto verwickelte: erscheint die Lösung.

Namentlich die Frage der o b l i g a t o r i s c h e n V e r s i c h e r u n g erfordert noch lauge Vorarbeiten, um in dem einen oder andern Sinne, entschieden werden zu können, da man dia Grundlagen suchen muß, auf welehe diese Enlscheidung zu basiren
Es kommt hinzu, daß, wenn nach Vollendung der uöthigen Studien das eine oder andere System der obligatorischen Versicherung für die Schweiz gewählt würde, eine R e v i s i o n der B u n d e s v e r f a s s u n g unvermeidlich wäre. Diese Operation erfordert für sieh allein sehon, wie bekannt (mit den Berdthuageu in der Bundesversammlung und der Volksabstimmung). e:;nen langem Zeitraum;

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dami würde erst die Ausarbeitung und der Erlaß eines Gesetzes und die Organisation des gesammten Dienstzweiges folgen.

Alles zusammengenommen, ist es also offenbar, daß in der Versicherungsfrage in nächster Zeit keine Entscheidung getroffen werden kann ; wir haben die Verhältnisse weitläufiger auseinandergesetzt, um mit gutem Grund mit dem Ansuchen an die Bundesversammlung zu gelangen, uns eine etwas längere als die ursprünglich vielleicht angenommene Frist für die Vorbereitung unserer Anträge bezüglich Ziffer 2 der Motion Klein bewilligen zu wollen.

Bezüglich der R e v i s i o n des b e s t e h e n d e n H a f t p f l i c h t g e a e t z e s haben wir schon bemerkt, daß eine solche k e i n e M e h r b e l a s t u n g der ihm bisher unterstellten Gewerbetreibenden involviren darf, weil die gegenwärtige Geschäftslage eine solche nicht zuläßt. Soll aber eine grundsätzliche Revision in der Weise stattfinden , daß eine solche Mehrbelastung nicht eintreten würde, so kann dies nur auf Grundlage sicherer mathematischer und statistischer Nachweise geschehen ; wir haben angedeutet, daß wir diese zu beschaffen suchen, daß es aber noch nicht möglich war, in deren Besitz zu gelangen. Die Frage der Einführung eines andern HaftpflichtSystems ist übrigens in so engem, natürlichem Zusammenhang mit derjenigen der Versicherung, daß eine rationelle Lösung der einen ohne Rücksicht auf die andere vorläufig nicht denkbar ist. Wir sind daher auch in dieser Richtung zur Ueberzeugung gelangt, daß bezüglich der Revision unseres Haftpflichtgesetzes, insofern es sich um Abänderung seiner Grundlagen handelt, ebenfalls mit der äußersten Umsicht vorgegangen werden muß, was nur unter Inanspruchnahme der für die keineswegs leichte Untersuchung n-ithigen Zeit denkbar ist.

Es bleiben nun noch zwei im Nationalrathsbeschluss vom 25. März 1885 enthaltene Punkte zu erledigen übrig, nämlich : 1) Die Ausdehnung der Haftpflicht auf andere Gewerbe; .2) Die Ergänzung des bestehenden Haftpflichtgesetzes im Sinne der Sicherung einer korrekteren Ausführung desselben.

A d i. D i e A u s d e h n u n g d e r H a f t p f l i c h t a u f a n d e r e G e w e r b e ist unserer Ansicht nach in der Kompetenz des Bundes gelegen. Wir haben diese Frage anläßlich einer Berathung über den modus procedendi bei der durch verschiedene Motionen augeregten
Revision der Bundesverfassung geprüft (26. Mai 1885) und gefunden, daß der Bund zur gesetzlichen Ausdehnung der Haftpflicht auf andere Gewerbe als Fabriken auf Grund der Art. 64 und 34 der Verfassung kompetent sei.

696 Wir haben übrigens diesen Grundsatz schon in unserer Botschaft zum Gesetze betreffend Haftpflicht aus Fabrikbetrieb, vom 26. November 1880, ausgesprochen und uns damals schon prinzipiell für die Unterstellung sämmtlicher Gewerbe unter die Haftpflicht erklärt (die Ausführung war damals jedoch noch nicht thunlich) ; die betreffende Stelle lautet (Bunde blatt 1880, IV, 546): ,,Eine weitere Frage, die aufgeworfen werden muß und bereits von mehreren Seiten, unter andern auch von den Regierungen der Kantone Bern und Basel-Landschaft, aufgeworfen worden ist (siehe deren Schreiben vom 25. August, resp. 22. September, betreffend die Revision des Fabrikgesetzes), ist, die, ob eia zu erlassendes Haftpflichtgesetz nicht die verschiedenen gefährlichen und ge. undheitsschädlichen Industrien oder sogar sämmtliche Gewerbe Überhaupt umfassen sollte. Die Kompetenz des Bundes wäre nicht zu l>estreiten, sie ist in Art. 64 der Bundesverfassung, wo von dein Obligationenrecht die Rede ist, enthalten. Ohne Zweifel würde eine solche Ausdehnung viele Vortheile haben; sie würde dein Vorwurf der Inkonsequenz und der Ungerechtigkeit, den man einem Ausnahmegesetze, wie das Fabrikgesetz, immer machen wird, die Spitze abbrechen. Man muß zugeben, dass cer natürliche juristische Sinn sich an der Thatsache stößt, daß Arbeiter, welche sehr großen Gefahren ausgesetzt sind, wie z. B. die im Bauhandwerk und in der Ausbeutung von Bergwerken und Steinbrüchen beschäftigten, nicht unter den speziellen Schutz des Gesetzes gestellt werden, während andere zu weniger gefährlichen Verrichtungen verwendete Arbeiter einen solchen Schutz genießen, weil ihre Beschäftigung zufallig in einer Fabrik stattfindet."

Bezüglich der materiellen Seite der Frage muß in der That zugegeben werden, daß das Bundesgesetz betreffend die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb ein Klassengesetz ist, weil es nur die dein Fabrikgesetze unterstellten Betriebsunternehmer trifft und über diese einen Ausnahmezustand verhängt. Man wird unter den gegenwärtigen Verhältnissen kaum dazu gelangen, den letztem einfach zu beseitigen und die Fabrikanten unter das gemeine Recht »u stellen, und das einzige Mittel, um die Gleichheit herzustellen, wäre daher die Ausdehnung des Haftpflichtgesetzes auf alle gefährlichen Gewerbe. Es wäre diese Maßregel um so gerechter, als die Fabriken im
Grunde genommen nicht die gefährlichsten Betriebe sind, wie u. A. die im Band 63 der schweizerischen Statistik (Bewegung der Bevölkerung im Jahre 1884) enthaltenen Angaben beweisen.

Nach denselben weisen an tödtlichen Verunglückungen 15- und mehrjähriger Männer, auf 10,000 Berufsgenossen per Jahr (im Zeilraum 1879/84) berechnet, auf:

697 Textilindustrie 5.i ; Chemische Gewerbe 7.6 ; Maschinen- und Werkzeugfabrikation 7.s; Bergbau, Steinbruch etc. 34.7 ; Landwirtschaft und Viehzucht 9.9 ; Forstwirtschaft 27.4 ; Jagd und Fischerei 13.5 ; Industrie für Bau und Einrichtung der Wohnungen 14.B ; Straßen-, Wasser-, Eisenbahnbau und -Betrieb 20.i ; Spedition, Fuhrleute 37.3 ; Persönliche Dienstlei tungen und Hausgesinde 26.5.

Wenn wir aber auch das Prinzip der Ausdehnung als ein durchaus gerechtes und logisches anerkennen, so glauben wir doch, daß es noch nicht in seinem vollen Umfang durchgeführt werden kann, schon aus Opportunirätsrücksichten nicht, denn es wäre höchst unwahrscheinlich, daß ein solcher umfassender Vorschlag vom Volke angenommen würde" Man dürfte viel eher zum Ziel gelangen, wenn man stufenweise und in Anlehnung an die jeweileu obwaltenden Verhältnisse die auf Beseitigung jenes Mißverhältnisses abzielenden Blaßregeln durchzuführen sucht. Auf die Details werden wir in unserer Begründung des Art. l des Entwurfes eintreten.

Ad 2. Es ist eine oft wiederkehrende Klage, daß das Gesetz vom 25. Juni 1881 v i e l e r o r t s gar k e i n e o d e r nur m a n g e l h a f t e A n w e n d u n g findet. Die Beschwerden der Arbeiter, dio Berichte der Fabrikinspektoren und der Kantonsregierungen werfen auf die herrschenden Zustände ein grelles Licht. Eine der letztern mußte sogar an die Bundesbehörde um Wegleitung gelangen, ob und wie sie auf administrativem Wege etwas zu deren Besserung thun könne. Beziiglich der Details verweisen wir auf die gedruckten Amtsberichte unserer Inspektoren, sowie auf die bereits erwähnte Zusammenstellung der vom Departemente gesammelten Dokumente.

Wir erwähnen nur kurz folgende H a u p t ü b e l s t ä n d e : die vorgeschriebenen Unfallsanzeigen (Art. 4 des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken) werden oft entweder gar nicht oder verspätet und unvollständig gemacht; in amtlichen Berichten über die Unfälle wird nicht der Grundsatz der Objektivität bewahrt, sondern sie enthalten einseitige Darstellungen, namentlich bezüglich der Frage des Verschuldens; die Haftpflicht wird theilweise auf die Arbeiter abgewälzt, indem man deren Krankenkassen in Mitleidenschaft zieht, oder dem

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Arbeiter mehr als die in Art. 9 des Gesetzes vom 23. Juni 1881 gestatteten 50 % für Versicherungsprämien abzieht; die Entschädigung aus Haftpflicht findet gar nicht oder nur in sehr ungenügender Weise statt, weil der Arbeiter sich mit der gebotenen Summe begnügt, aus Furcht, seine Stelle zu verlieren, aus Maugel an Mitteln, um auf dem Prozeßwege zu seinem Rechte zu gelangen, aus Unkenntnis, etc.

Wir mußten im Hinblick auf diese "Verhältnisse, aus denen sich ergibt, daß das Haftpflichtgesetz in seiner bisherigen Fassung seinen Zweck nicht in allen Beziehungen erreichte, zu der Ueberzeugung gelangen, daß eine Remedur nothwendig ist. Mau ist sie den oft bitteres Unrecht leidenden Arbeitern schuldig, wenn wir auch nicht umhin können, auf der andern Seite zu konstatiren, daß eine sehr große Zahl unserer Fabrikanten den Forderungen des Gesetzes in der gewissenhaftesten und uneigennützigsten Weise nachkommen. Aber um so mehr ist es auch die Pflicht der Behörden diesen Männern gegenüber, dafür zu sorgen, daß nicht Andere dio Last abwälzen und sich so indirekt günstigere Produktionsbedingungen schuften ; es muß auch die Unzufriedenheit der geschädigten Arbeiter schüren, wenn sie die bestehenden Ungleich!leiten und Ungerechtigkeiten wahrnehmen und zur Erkenntniß gelangen, daß sie das Opfer eigennütziger Machinationen und zur Verfolgung gerechter Ansprüche ohnmächtig sind.

Es muß in dieser Beziehung um so eher etwas gethan werden, als dies sofort und ohne nennenswerthe Belustigung der ihre Pflicht: erfüllenden Betriebsunternehmer geschehen kann, indem man das bestehende Gesetz auf Grund der gemachten Erfahrungen in denjenigen Beziehungen, in welchen es siel:, als unzulänglich erwiesen hat (Sicherung seiner richtigen Vollziehung), verbessert.

Wir kommen also zum Schlüsse, es sei in Bezug auf die beiden letztbesprochen Funkte : 1) A u s d e h n u n g des II a f t p f l i e h t g 3 s e t z e s auf e i n i g e andere Gewerbe, 2) V e r b e s s e r u n g d e s s e l b e n bezüglich E r z i e l u n g einer bessern und gleichmäßigem Vollziehung, eine Revision des Gesetzes von 1881 wünschenswerth und geeignet, den dringendsten Uebelständen abzuhelfen, ohne der Lösung dor Hauptfragen zu präjudiziren.

Das Handels- und Landwirthschaftsdepartement hielt es für zweckmäßig, vor definitiver Antragstellung noch seine Eingangs

699 erwähnte Expertenkommission zu konsultiren. Dieselbe wurde Angesichts der Wichtigkeit des Traktandums noch wesentlich verstärkt und bestand aus den HH. Bundesrath R u c h o n n e t , Chef des eidg. Justiz- und Polizeidepartements, Bern; Bundesrichtev R o g u i n , Lausanne; Nationalrath G r a m e r - F r e y , Präsident des schweizerischen Handels- und Industrievereins, Zürich; Nationalrath D e c u r t i n s , Truns; ,, H e i t z , Münch weilen ; ,, K l e i n , Basel; Dr. K u m m e r , Direktor des eidg. Versicherung-Samtes, Bern ; Nalionalrath K ü n z l i , Ryken; ,, L a c h e n al, Genf; Ständerath R i e t e r , Winterthur; Fabrikiuspektor Dr. S c h u l e r , Mollis; Nationalrath Dr. S t o s s e i , Präsident des schweizerischen Gewerbevereins, Zürich; Nationalrath Su t er, St. Gallen; Redaktor V o g e l s a n g e r , Chur; Dr. W e l t i - E s c h e r , Zürich.

Die Kommission versammelte sich am 12. und 13. Mai in Bern; das gesammte durch die Motion Klein umschriebene Gebiet wurde allseitig und gründlich diskutirt, und das Resultat war, daß sie den oben entwickelten Anschauungen im Allgemeinen beipflichtete und namentlich auch für eine vorläufige Lösung im Sinne der letztgenannten Vorschläge (sub l und 2) sich aussprach ; besonders wurde von allen Seiten die Notwendigkeit der Ausdehnung der Haftpflicht auf andere Gewerbe betont. Man einigte sich über die Grundzüge eines den obwaltenden Anschauungen Ausdruck verleihenden kurzen Gesetzes. Wir haben ein solches im Sinne der Kommissionsbeschliisse aufgestellt und beehren uns hiemit, dasselbe den gesetzgebenden Behörden vorzulegen.

Zu den einzelnen Artikeln haben wir Folgendes zu bemerken.

Ad Art. 1. In der Kollektiveingabe des schweizerischen Grütlivereins, des Aktionskomite des schweizerischen Arbeitertages und des schweizerischen Gewerkschaftsbundes au den Bundesrath zu Händen der Bundesversammlung vom März 1885 ist das Begehren gestellt : ,,Die Haftpflicht mit Zufallshaft soll ausgedehnt werden:

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a.

b.

c.

d.

auf den Eisenbahn-, Tunnel- und Straßenbau; auf das Bauhandwerk; auf Steinbrüche, Bergwerke und Gräbereien ; auf Handwerks-, Geschäfts-und landwirtschaftliche Betriebe, soweit Maschinen in denselben zur Anwendung kommen ; e. auf die eidgenössische Post und den größern Fuhrwerks- und Fahrverkehr."

Was zunächst die Haftpflicht der Po «t betrifft, so hat sieh der Nationalrath darüber schon ausgesprochen. In der Sitzung vom 25. März 1885 wurde nämlich von Herrn Nationalrath Brunner zu der Motion Decurtins vom 24. März 1885 derZusatzantragg gestellt, die Haftpflicht auch auf denPostbetriebb auszudehnen, vom ßathe aber mit 66 gegen 38 Stimmen verworfen. Es liegt um so weniger ein Grund vor, auf die Angelegenheit zurückzukommen, als die Entschädigung für Unfälle in derPostverwaltungg schon besteht.

Im Weitem muß dermalen von einer Einbeziehung unter die Haftpflicht bei allen denjenigen Betrieben Umgang genommen werden, deren Verhältnisse nicht genügend bekannt oder derart sind, daß sie die Haftpflicht nicht zu ertragen vermochten. Es gilt dies in erster Linie vom H a n d w e r k und K l e i n g e w e r b e ; ohne eine organisirte Versicherung müßton diese Geschäfte, in welchen der Meister sieh oft schlechter stellt als der Geselle, unfehlbar den Anforderungen der Haftbarkeit unterliegen ; die Versicherungsfrage aber ist, wie wir oben dargethan, noch nicht spruchreif. Es bleibt also nichts anderes übrig, als jene Gewerbebetriebe noch sich selbst zu überlassen; die Gefahr des Verzugs i-t um so weniger groß, als dieselben, sobald sie einen gewissen Umfang angenommen haben, unter das Fabrikgesetz und damit unter das Haftpflichtgesetz fallen.

Auch mit der L a n d w i r th sch a f t ist die Versicherung verknüpft, und die Haftpflicht aus landwirtschaftlichem Betrieb ganz besonders eine höchst schwierige und komp izirte. Aber abgesehen von den materiellen, kann schon aus Gründen der Opportunität von der Unterstellung der Landwirtschaft gegenwärtig keine Rede sein, indem das Volk eine solche entschieden zurückweisen würde. Es ist jedenfalls nützlicher, einen geringern Fortschritt zu sichern, als das Ganze zu gefährden, was auch die auf Seite des Grütlivereins stehenden Mitglieder der oben erwähnten Kommission ausdrücklich anerkannt haben.

Es verbleiben noch in der Aufzählung der Kollektiveingabe der Eisenbahn-, T u n n e l - und S t r a ß e n b a u , das B a u h a n d -

701 w e r k , die S t e i n b v ü c h e , B e r g w e r k e und Gräbereien, und der F u h r w e r k - und F a h r v e r k e h r . In Uebereinstimraung mit der Expertenkommission halten wir dafür, daß diese Aufzählung diejenigen Betriebe repräsentirt, für welche die Unterstellung unter das Haftpflichtgesetz am dringlichsten ist, weil sie zu den gefährlichsten gehören, jedenfalls gefährlicher sind, als die bereits unter dem Gesetze stehenden Fabriken (wir verweisen zum Beweis auf die oben mitgetheilten statistischen Vergleichungen). Außer den genannten haben wir noch die Gewerbe, in welchen e x p l o d i r b a r e S t o f f e gewerbsmäßig erzeugt oder verwendet werden, sowie den B r ü c k e n b a u , die mit dem Bauhandwerk, resp. der Aufführung von Bauten in Zusammenhang stehenden W e r k s t ä t t e n und P l ä t z e (Schreiner-, Schlosser-, Spenglerwerkstätten, Steinhauerund Zimmerplätze etc.), die E r d - und W a s s e r a r b e i t e n auf die Liste genommen; diese Unternehmungen sind den erstem konsequenterweise gleichzustellen, sie stehen theils mit denselben im Zusammenhang, theils weisen sie analoge Betriebsverhältnisse und Gefährlichkeit auf.

Man könnte versucht sein, die Gewerbe (z. B. das Bauhandwerk) durch die Aufzählung der unter den Schutz der Haftpflicht zu stellenden Arbeiterkategorien derselben (z. B. Maurer, Zimmerleute, Steinhauer, Spengler, Schlosser, Gypser, Bodenleger) präziser zu definiren. In Wirklichkeit aber würden durch diese Methode nur Komplikationen geschaffen, indem die Aufzählung kaum alle Fälle voraussehen könnte, namentlich aber sophistische Uebertreibungen sowohl zu Gunsten als zu Ungunsten der Betriebsunternehmer zulassen würde. In Wirklichkeit genügt es übrigens vollständig, das Gewerbe zu nennen und dessen Unternehmer als haftpflichtig zu bezeichnen, und im streitigen Einzelfall den Richter entscheiden zu lassen, ob Haftpflicht einzutreten habe oder nicht.

Bei den Bergwerken sind die S a l i n e n nicht aufgeführt, weil 4iese schon unter dem Fabrikgesetze stehen.

Bezüglich des E i s e n b a h n b a u e s ist zu bemerken, daß das Bundesgesetz vom 1. Juli 1875 in Art. l die konzessionirten Gesellschaften im Schadenersatzfall für den Bauunternehmer verantwortlich erklärt, im Uebrigen aber das gemeine Recht bestehen läßt. Nach unserm Vorschlag würde auf die beim
Eisenbahnbau entstehenden Unfälle das Spezialgesetz vom 25. Juni 1881 angewandt werden, gleichzeitig aber die im Gesetze von 1875 ausgesprochene Verantwortlichkeit der Gesellschaften aufrecht erhalten bleiben.

Wir haben im Weitern zu begründen, warum wir das der Haftpflicht zu unterwerfende Gebiet noch mehr begrenzen, indem

702 wir für die sub Ziffer 2 des Artikels l genannten Gewerbe dio Bedingung beifügen : ,,wenn der Gewerbeunternehmer elementare Kräfte verwendet oder in der Regel mehr als 5 Arbeiter beschäftigt."

Es hat uns zu diesem Vorschlag der gleiche Grund bestimmt, welcher die radikale Ausdehnung der Haftpflicht auf a l l e Gewerbe gegenwärtig als unthunlich, ja verderblich erscheinen läßt. In der That wäre es für dea kleinen Unternehmer von Erdarbeiten, Wegbauten etc. ebenso verhängnißvoll, wie für den Handwerker und Gewerbsmann, wenn ihm die Haftpflicht aufgebürdet würde, und es schien uns daher unerläßlich, auch bei denjenigen Betriobon, deren Unterstellung wir grundsätzlich empfehlen, eine Grenze zu ziehen und Minimalbetriebe von der Haft zu befreien.

Für eine solche Unterscheidung bietet zunächst ein bequemes Mittel das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein von Motoren. Es ist einleuchtend, daß, wenn e l e m e n t a r e K r a f t (Wasser, Dampf, Gas, heiße Luft, Elektrizität etc.) zum Betrieb verwendet wird, dieser nicht zu den kleinsten gehört und jedenfalls das Vorhandensein etwelcher Hülfsmittel voraussetzt. Sind keine Motoren da, so ergibt sich als zunächst liegendes, wenn auch nicht aller Willkür entbehrendes Kriterium die Z a h l der in der Regel von dem betreffenden Unternehmer beschäftigten A r b e i t e r . Dieselbe durfte nicht hoch angenommen werden, da sie in der Praxis doch nicht häufig erreicht würde und die Tragweite des Gesetzes daher allzu sehr abgeschwächt worden wäre. In der Praxis der Vollziehung des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken gilt als Regel, daß, wenn ein Etablissement nicht mehr als 5 Arbeiter beschäftigt, dasselbe diesem Gesetze nicht zu unterstellen sei. Wir halten dafür, es sei zweckmäßig und den Verhältnissen angemessen, für die Unterscheidung der haftpflichtigen und nichthaftpflichtigen Gewerbeunternehmer die nämliche Grenzzahl zu adoptiren.

Keine solche Unterscheidung machen wir für diejenigen Gewerbe, in welchen e x p l o d i r b a r e S t o f f e im Sinne von Ziffer,l des Art. l vorkommen, weil sie das Maximum von Gefährlichkeit repräsentiren und übrigens eo ipso stets in einem gewissen Umfang betrieben werden. Auch von den sub Ziffer 2 aufgezählten Unternehmungen können einzelne unter diese Kategorie fallen, so z. B. die Steinbrüche, was wegen
ihrer Gefährlichkeit angemessen erscheint und um so notwendiger ist, als in einem einzelnen häufig nicht über fünf Arbeiter beschäftigt werden ; es genießt daher nach dem Vorschlag auch die geringere Arbeiterzahl die Wohlthat des Gesetzes, wenn der explosive Stoff beim Unfall eine Rolle gespielt.

In unserm Vorschlag wird der Gewerbeunternehmer verantwortlich erklärt; es versteht sich von selbst,, daß er gegebenen

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Falls das in Art. 4 des Gesetzes vom 25. Juni 1881 ausgesprochene Recht (,,Der Betriebsunternebmer hat das Rückgriffsrecht auf diejenigen Personen, für deren Verschulden er haftbar ist") in Anspruch nehmen kann.

Die Vorschrift, daß Art. 4 (Verpflichtung zur Anzeige der Unfälle) und 19 (Strafbestimmungen) des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken auf die haftpflichtig erklärten Gewerbe anwendbar seien, bedarf keiner Begründung. Selbstverständlich und im eigenen Interesse der Unternehmer ist auch die Forderung, daß so gut wie möglich für Verhinderung von Unfällen Obsorge getroffen werde.

Ad Art. 2. Dieser Artikel hat den Zweck, dem Arbeiter, welcher in der Regel unbemittelt ist, die Verfolgung von Entschädigungsansprüchen, für welche eine Erledigung auf gütlichem Weg nicht zu Stande kommt, vor Gericht zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern. Eine von unserm Justiz- und Polizeidepartement unternommene Enquete, deren Resultate ebenfalls in der mehrfach erwähnten Sammlung von Dokumenten zusammengestellt sind, hat allerdings ergeben, daß in weitaus den meisten Kantonen vorsorgliehe Vorschriften über Armenrecht und unentgeltlichen Rechtsbeistand schon bestehen, aber es kommt doch zuweilen vor, daß Arbeiter, welche zu Entschädigung berechtigt wären, dieselbe nicht erlangen können, weil sie die Prozeßkosten scheuen, für sie unerschwingliche Kautionen (als Garantie für die Bezahlung der eigenen Gerichtskosten und eventuell derjenigen der Gegenpartei) hinterlegen sollten, etc. Die Erleichterung der gerichtlichen Verfolgung von Entschädigungsforderungen ist denn auch ein Hauptpostulat der Arbeiter und ebenfalls in der oben erwähnten Kollektiveingabe der Arbeitervereine aufgestellt; wir halten dasselbe für ein billiges und es dürfte ihm um so unbedenklicher entsprochen werden, als, wie bemerkt, die meisten Kantone schon einschlägige Gesetzesvorschriften besitzen.

Ad Art. 3 und 4. Ein Hauptzweck unserer Vorlage besteht darin, eine vollständigere und gleichmäßigere Vollziehung des Gesetzes von 1881 zu sichern. Wir haben oben schon dargethan, daß in dieser Richtung wirklich viel Grund zu Klagen vorliegt, welche ebenfalls in jener Kollektiveingabe lebhaften Ausdruck finden, und daß Abhülfe dringend nöthig ist. Eine solche dürfte in der in den Art. 3 und 4 -vorgeschlagenen Kontrole gefunden
werden; nach derselben würden sowohl die kantonalen Behörden als die eidg. Inspektoren darüber wachen können, daß entschädigungsberechtigte Arbeiter nicht von Seite der Betriebsunternehmer oder

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der Versicherungsgesellschaften, was auch oft vorkommt, mit, lächerlich geringen Summen abgefunden werden oder gar nichts erhalten.

Man kann wohl einwenden, der Geschädigte könne sich selbst helfen, wenn man aber weiß, daß sich Mancher, aus Furcht vor Entlassung, durch augenblickliche Nothlage etc., gezwungen sieht, von einer Forderung abzustehen oder das angebotene Minus einem unsichern und erst noch zu erringenden Plus vorzuziehen, so wird man jenen zwar bequemen Grundsatz nicht billigen können.

Nur durch die vorgeschlagene, von Air. tes wegen stattfindende Aufsicht kann eine Korrektur begangener Unbilligkeiten erreicht werden, wobei nach unserm System gleichzeitig die Entscheidung durch die richterliche Behörde gewahrt bleibt.

Die in dem bisherigen Gesetze vorgesehene V e r j ä h r u n g s f r i s t von einem Jahr ist grundsätzlich beibehalten worden; eine Verlängerung derselben tritt nur bedingungsweise ein, nämlich dann, wenn die Unfallsanzeige verspätet einläuft, möglicherweise so spät, daß die Frist eines Jahres bereits überschritten oder doch keine Möglichkeit mehr vorhanden wäre, die in Art. 4 des Entwurfes vorgesehene Untersuchung rechtzeitig vorzunehmen. In solchen Fällen (verspätete Anzeigen) würde nach dem Entwurf die Verjährungsfrist erst 3 Monate naeh Eingang der Anzeige ablaufen.

Während im Fabrikgesetz das B u ß e n m i n i m u m 5 Fr. beträgt, haben wir dasselbe in Art. 3 auf 20 Fr. erhöht, weil die Erfahrung gezeigt hat, daß von den Gerichten oft in schweren und sogar in Wiederholungsfällen bloß jenes Minimum ausgesprochen worden ist, was die Gesetzesübertretungen erst noch herausforderte. Wir haben die Ausfällung der Bußen nach den kantonalen Gesetzen vorgesehen, um denjenigen Kantonen, welche es für zweckmäßig halten, zu ermöglichen, die Bußen durch die administrative statt richterliche Behörde aussprechen zu lassen; manche Gewerbeunternehmer würden dieses System der richterlichen Verurtheilung, welche für sie etwas Peinliches hat, vorziehen.

Ad Art. 5. Vollziehungsbestimmungen.

Wir beantragen, unserm Projekt Ihre Zustimmung zu ertheilen, und benutzen den Anlaß, Sie unserer vollkommensten Hochachtung au versichern.

B e r n , den 7. Juni 1886.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes.

D e r Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler dei Eidgenossenschaft : Ringier.

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(Entwurf)

Bundesgesetz betreffend

die Ausdehnung der Haffpflicht und die Ergänzung des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1881.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 7. Juni 1886, beschließt: Art. 1. Das Bundesgesetz vom 25. Juni 1881, betreffend die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb, wird in seinem ganzen Umfang auf folgende Gewerbe ausgedehnt: l ) auf die Gewerbe, in welchen explodirbare Stoffe gewerbsmäßig erzeugt oder verwendet werden; 2) auf die nachstehend verzeichneten Gewerbe, soweit sie nicht schon unter vorstehende Ziffer l fallen , wenn der Gewerbeunternehmer elementare Kräfte verwendet oder in der Regel mehr als fünf Arbeiter beschäftigt: a. Eisenbahn-, Tunnel-, Straßen- und Brückenbau; b. Bauhandwerk, in begriffen die Werkstätten und Plätze, welche mit demselben im Zusammenhang stehen ; c. Steinbrüehe, Gruben und Bergwerke; d. Erd- und Wasserarbeiten ; e. Fuhrwerk- und Fahrverkehr.

Bondesblatt. 38. Jahrg. Bd. II.

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Betreffend den Bau der Eisenbahnen bleibt Artikel l des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1875 bezüglich der Haftbarkeit der konzessionirten Unternehmung in Kraft.

Die Bestimmungen der Artikel 4 und 19 des Bundesgesetzes vom 23. März 1877 , betreffend die Arbeit in den Fabriken, sind auf die im gegenwärtigen Artikel bezeichneten Gewerbeunternehmer ebenfalls anwendbar.

Ebenso soll, nach Maßgabe von Artikel 2 des letztgenannten Gesetzes, dafür gesorgt werden, daß die in den Gewerben, auf welche sich gegenwärt ger Artikel bezieht, verwendeten Geräthschaften und Einrichtungen für Gesundheit und Sicherheit der Arbeiter den möglichsten Schutz bieten.

Art. 2. Die Kantone sollen den Personen, welche nach Maßgabe des gegenwärtigen oder des Gesetzes vom 25. Juni 1881 Klage erheben, auf ihr Verlangen die Wohlthat des unentgeltlichen Rechtsbeistandes gewähren, und Kaution, Gerichtsgebühren und Stempeltaxen erlassen.

Art. 3. Die Betriebsunternehmer, auf welche sich das gegenwärtige und das Gesetz vom 25. Juni 1881 bezieht, haben ein Verzeichnis der bei ihrem Geschäftsbetrieb vorgekommenen Unfälle und der durch denselben entstandenen spezifischen Berufskrankheiten (Art. 3 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1881) zu führen. Hie sied verpflichtet, den Tag des Unfalls oder der Erkrankung und deren Ausgang genau einzutragen und dabei ausdrücklich anzugeben : 1) wann und welcher Behörde sie die vorgeschriebene Anzeige der erwähnten Unfälle und Erkrankungen gemacht, haben; 2) welche Entschädigungen dafür bezahlt worden seien, und zwar speziell : a. für entgangenen Erwerb, b. für Arzt- und Verpflegungskosten, e. als Entschädigung für bleibenden Nachtheil;

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3) ob die bezahlten Entschädigungen von der Geschäftskasse, von einer Unfallversicherungsanstalt, von einer Krankenkasse oder aus irgend einer andern Quelle bestritten worden seien; 4) ob der Unfall oder die Erkrankung als eine haftpflichtige betrachtet worden sei oder nicht.

Diese Angaben sind spätestens 3 Monate vor Ablauf der Verjährungsfrist (Art. 12 und 13 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1881) der kantonalen Behörde einzusenden und von dieser auch dem Fabrikinspektor des betreffenden Kreises mitzutheilen.

Unterlassung der Mittheilung ist mit einer Buße von Fr. 20 bis Fr. 500 zu belegen, welche nach Maßgabe der kantonalen Gesetze ausgesprochen wird und dem betreffenden Kanton zufällt. Im Fall verspäteter Anzeige läuft die Verjährungsfrist erst drei Monate nach Eingang der Anzeige ab.

Art. 4. Wenn die eidgenössischen oder kantonalen Aufsichtsorgane konstatiren, daß das Opfer eines Unfalls oder einer Krankheit, für welche Haftpflicht besteht, oder dessen Rechtsnachfolger eine billige Entschädigung, wie sie das gegenwärtige oder das Gesetz vom 25. Juni 1881 vorschreibt, auf außergerichtlichem Wege nicht erhalten haben, so haben sie sofort der Kantonsregierung Bericht zu erstatten.

Diese wird eine Untersuchung anordnen, deren Resultat gegebenen Falles dem Interessenten mittheilen und ihn darauf aufmerksam machen, daß er im Sinne von Art. 2 vorgehen könne.

Art. 5. Die Kantonsregierungen sind beauftragt, für die Vollziehung der gegenwärtigen \irorschriften besorgt zu sein.

Der Bundesrath übt die Kontrole über diese Vollziehung aus.

Art. 6. Der Bundesrath ist beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbesehlüsse, das gegenwärtige Gesetz bekannt zu machen und den Zeitpunkt seines Inkrafttretens zu bestimmen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Ausdehnung der Haftpflicht auf andere Gewerbe und die Ergänzung des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1881.

(Vom 7. Juni 1886.)

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1886

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2

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26

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19.06.1886

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689-707

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