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Schweizerisches Bundesblatt.

XXV. Jahrgang. III

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Nr, 39.

30. August

1873.

Kommissionalberichte in RekurssacheMermillod.

a. Bericht and Antrag der

Mehrheit der nationalräthlichen Kommission betreffend den Rekurs Mermillod.

(Vom 19. Juli 1873.)

Tit. !

In einer Eingabe, datirt Fern ex, im französischen Departement de l'Ain vom 9. Juli 1. .)., beschwert sich der Bischof von Hebron in Partibus infideliu -- Hr. Kaspar Mermillod, Bürger von Carouge -- darüber, daß er am 17. Februar d. J. in seiner Residenz zu Genf ergriffen und, ohne, daß er irgend einen Verfassungs- oder Gesetzesartikel des Landes verletzt hätte, gewaltsam außer die Grenzen der Schweiz geführt worden sei.

Die ihm als a p o s t o l i s c h e n V i car von Genf übertragenen geistlichen Funktionen hätten weder die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört, noch die Rechte des Bundes in seinen internationalen Beziehungen verletzt.

Der Beweis, daß der Bundesrath insbesondere kein Recht gehabt habe, den Rekurrenten des Landes zu verweisen, liege schon in der von ihm in den neuen Bundesrevisions-Entwurf aufgenommenen Bestimmung, wornach der Bundesexecutive die Kompetenz erst eingeräumt werden soll, über Schweizerbürger unter gewissen Voraussetzungen die Landesverweisung zu erkennen.

Bundesblatt. Jahrg. XXV. Bd. III.

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Die 42 katholischen Geistlichen des Kantons Genf, an ihrer Spitze Herr General-Vicar Dunoyer, sind mit einer Beschwerdeschrift dd. 5. Juli 1. J. gegen die Beschlüsse des Bundesrathes vom 11.

und 17. Februar, betreffend die Errichtung eines apostolischen Vicariats in Genf und die Ausweisung Msr. Mermillods, der Eingabe des Hrn. Bischof von Hebron vorangegangen. Die geistlichen Beschwerdeführer behaupten, durch diese bundesräthlichen Beschlüsse seien das Protokoll des Wiener Congresses vom 25. März 1815, Art. HI, § 71, die Art. III § 3 des Pariser und Art. 12 des Turiner Vertrags von 1815 und 1816, welche noch immer einen Bestandteil des öffentlichen Rechts der Eidgenossenschaft bilden, verletzt worden. Auf diese Behauptung gestützt, verlangen sie Zurücknahmedes Beschlusses vom 11. Februar und der verfassungs- und gesetzwidrigen Ausweisung des Bischofs und apostolischen Vicars Msr..

Mermillod.

Endlich wenden sich 180 katholische Laien aus dem Kanton Genf, mit wesentlich gleichen Beschwerden und gleichen Begründung, derselben, an die Bundesversammlung. Ihre Recursschriften datiren vom 25. Juni 1. J. und sind alle wörtlich gleichen Inhalts.

Der Nationalrath hat diese Eingaben alle an, eine Fünferkommission zur Vorprüfung und Begutachtung gewiesen.

Ihre Kommission hat dieselben sammt den reichhaltigen Akten sorgfältig geprüft, den gutachtlichen Antrag in wiederholten Sitzungen berathen, und gibt sich nun die Ehre, Ihnen, Tit., den Bericht darüber vorzulegen.

Gegenwärtiger Bericht, dessen Form eine für die Abfassung karg zugemessene Zeit entschuldigen möge, wird zuerst das G eschicht tliche welches den beschwerdeten Beschlüssen des Bundesrathes vom 11. und 17. Februar 1. J. zu Grunde liegt, in einigen Hauptzügen berühren, hernach die wesentlichsten Gründe hervorheben, welche den Beschluß vom 11. Februar, nach der Ansicht der Mehrheit Ihrer Kommission, rechtfertigen, und endlich die Frage erörtern, ob der Bundesrath zur Ausweisung des Herrn Mermillod aus der Schweiz befugt gewesen sei oder nicht.

I. Geschichtliches.

Nach Einführung der Reformation in Genf durch ein Dekret der Räthe vom 29. August 1535 siedelten sich der Bischof von " Genf und sein Kapitel in dem benachbarten Annecy an. Bischof und Diocese von Annecy trugen fortan den Titel, dieses ,,Bisthum Genf jener ,,Bischof von Genf".

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Nachdem Stadt und Gebiet von Genf 1798 der französischen Republik einverleibt worden war, wurde am 15. J u l i 1801 zwischen der französischen Consular-Regierung und Papst Pius VII das bekannte Concordat abgeschlossen. Kraft dieses Concordats und der nachfolgenden Bulle vom 29. November gleichen Jahres ward eine ganz neue Eintheilung und Circiunscription der Diöcesen aufgestellt, in Folge dessen viele französische Bisthümer eingiengen und manche Bischöfe auf ihre Bischofsstuhle verzichten mußten. Im Verzeichnis der aufgehobenen Bisthümer befand sich das Erzbisthum von Vienne mit seinen Suffraganen und unter letztern das Bis t h u m von Genf O > (Annecy). Es wurden 50 neue Bisthümer und mehrere Erzbisthümer geschaffen. Unter diesen figurirte das Erzbisthum von Chambéry.

Dasselbe umfaßte die Departemente Montblanc und Leman, und folglich auch den größern Theil des Bisthums Genf. Der letzte Bischof von Genf, Msr. Paget, reichte am 26. Dezember 1801 zu Händen des päpstlichen Stuhles seine Resignation ein.

Das Dekret vom 9. April 1802, behufs Ausführung obiger Bulle, von dem Cardinallegaten Caprara, enthält ein Verzeichniß von einigen neu konstituirten Bisthümern, deren Bischöfen das Recht eingeräumt wurde, dern Titel ihrer Kirchen denjenigen von unterdrückten Kirchen, die in ihrem Sprengel gelegen waren, beizufügen. In diesem Verzeichnis findet sich das Bisthum Chambéry, dessen Titular seinem Titel noch denjenigen von Genf beifügen durfte, jedoch nur so, daß man aus dieser Vereinigung und diesem Gebrauch des Titels, ,,lediglich zur Ehre und zürn Andenken dieser unterdrückten Kirchen ,, gestattet, keineswegs den Schluß ziehen dürfe, als ob diese Kirchen noch fortbeständen und nicht wirklich aufgehoben worden seien."

Als nach der Restauration im Jahre 1814 Genf, dem die Kongressacten und Staatsverträge von Paris, Wien und Turin von 1814, 1.815 und 1816 mehrere katholische Gemeinden von S a v o i e n und einige f r a n z ö s i s c h e Gemeinden einverleibt hatten, als Kanton der Schweiz. Eidgenossenschaft einverleibt worden war, trat auf dringliches Begehren der Regierung von Genf der eidg. Vorort zum Zweck derPurifikationn des Kantons Genf von auswärtiger geistlicher Gerichtsbarkeit und des Anschlusses der katholischen Pfarreien Genfs an ein Schweiz. Bisthum, mit dem päpstlichen Stuhl in Unterhandlungen.
Nach langen und zähen Negociationen, während welcher schon der päpstliche" Stuhl die E r r i c h t u n g eines B i s t h u m s Genf mit der R e s i d e n z Gar o uge in Vorschlag gebracht hatte*), entsprach *) Als Motiv wurde im Memorial von 1818 angegeben, daß die Communikation des Hirten mit der Herde und v. v. durch die Schifffahrt auf dem tiefen Genfersee durch einen Anschluß an die Freiburger Diocèse erschwert würde.

412 endlich Papst Pius VII dem Begehren Genfs und erließ das Breve ,,inter multipliées" vom 30. S e p t e m b e r 1819. Dasselbe wurde durch B e s c h l u ß des hiezu vorn Repräsentanten-Rathe ausdrücklich ermächtigten Staatsraths unterm 1. N o v e m b e r gleichen Jahres a n g e n o m m e n , und im Receptionsacte versprochen, ,,die katholische ,, Religion zu schützen und zu handhaben, wie das Protokoll von ,, Wien und unsere wohlverstandenen Interessen es uns zur Pflicht ,, machen."

Das päpstliche Breve vom 30. September 1819 besagt nun im Speziellen : daß alle dem Kanton Genf einverleibten katholischen Pfarreien von der geistlichen Gerichtsbarkeit des Erzbischofs von Chambéry und von der Circumscription seiner Diocèse a b g e l ö s t und g e t r e n n t und auf ewig Dioecesi Lausanensi in Helvetia perpetuo adj ungi mus) mit der schweizerischen Diocèse von Lausanne v e r b u n d e n und derselben e i n v e r l e i b t (incorporamus), sowie der Leitung und der Gerichtsbarkeit des gegenwärtigen Bischofs von Lausanne unterworfen sein sollen.*) Als der Erzbischof von Chambéry gemäß dem oben erwähnten Dekret vom 9. April 1802 fortfuhr, den Titel eines B i s c h o f s v o n G e n f zu führen, erließ Papst Pius VII am 30. Januar 1821 ein weiteres Breve, durch welches er den ,, E h r e n t i t e l Bischof von Genf" dem Bischof von Lausanne übertrug.**) Der Wortlaut dieses Breve muß hier besonders hervorgehoben werden : ,,Wir setzen fest, heißt es darin wörtlich, und verordnen, daß der Titel Bischof von Genf, so wie er ist, d. h. lediglich als Ehrentitel (meri ni mi ru m honoris) fortan weder von dem Erzbischof von Chambéry noch von dessen Nachfolgern geführt werde, -- und daß damit die Bischöfe von Lausanne und -zwar sowohl derjenige, der zur Zeit diese Kirche leitet, als jene, welche ihm nachfolgen, in Zukunft geschmückt soin sollen, in der Weise, daß sie sich zugleich Bischöfe von Lausanne und von Genf nennen und von diesem doppelten Titel öffentlich und privat Gebrauch machen werden.

Das alles jedoch in dem Sinne, ,,daß durch diesen Zusatz zum Titel ,,den Bischöfen von Lausanne mit Nichten ausgedehntere Rechte ,,(non ampliora jura) oder größere Einkünfte, als jene, welche sie ,,üben , beziehungsweise bis jetzt genossen haben, verliehen sein ,,sollen."

Der Repräsentantenrath von Genf gab seine
Zustimmung auch zu diesem Breve und beauftragte unterm 9. März 1821 den Staats*) Vide Recueil des lois clé Genève vom Jahre 1819, pag. 296 ff.

**) Vide Recueil des lois etc. Vol. VII, pag. 31 ff.

413 rath, dasselbe drucken, öffentlich anschlagen und im ganzen Kanton verkünden zu lassen.

Wer mit dem Erzbischof von Chamberv^ Msr. de Solle, gegen die Inkorporation der mit Genf vereinigten katholischen Gemeinden in eine Schweiz. Diocèse mit allen diplomatischen Künsten von 1814 bis 1819 am Hartnäckigsten angekämpft hatte, das war der damalige viel und weit berühmte, mit den bedeutendsten europäischen Höfen und Staatsmännern in Verbindung stehende, einflußreiche katholische Pfarrer zu St. Germain in Genf, Herr V u a r i n . Cardinal Consalvi zeigte sich jedoch von Anfang an dieser Purifikatioii der Grenzen und der Inkorporirung Genfs in die Schweiz. Diocèse Lausanne günstig und Hr. Vuarin mit seinen Freunden vermochte, trotz aller Gegenanstrengungen, die Erlassung der Bulle ,,inter multipliées1' nicht zu hintertreiben.

Als dann aber Pius VII im Jahre 1823 gestorben und der Cardinal della Genga, der Freund und Protektor des Pfarrers von Genf, unter dem Namen Leo XII dessen Nachfolger geworden war, suchte Hr. Vuarin den schon früher von ihm gefaßten Plan eines eignen von Lausanne getrennten G e n f e r B i s t h u m s auszuführen. Hr.

Vuarin beglückwünschte Leo XII. zu seiner Thronbesteigung, legte dem Gratulationsschreiben einen Aktenfaszikel, betreffend die ,,traurige11 Lage der Katholiken im Kanton Genf bei, und ließ letztern durch Msr. Mazio, Sekretär des h. Kollegiums, überreichen. Diese Akten wurden vom h. Vater sehr beifällig aufgenommen, einer Congrégation von Cardinälen zur Prüfung übergeben und Hr. Vuarin, der Berichterstatter, durch ein päpstliches Breve persönlich nach Rom berufen.

Hier, so lesen wir in der Geschichte des Hrn. Vuarin, war es, wo dem nach Rom Berufenen der ,,kühne Gedanke"1 (pensée audacieuse) der E r r i c h t u n g e i n e s B i s t h u m s Genf in den Kopf gestiegen.

,,Wie wäre es, habe Hr. Vuarin gedacht, wenn er dem Papst erklärte : ,,Heiliger Vater, baue mit kräftiger Haud und ohne Menschenfurcht den bischöflichen Stuhl des hl. Franciscus Salesius in Genf wieder auf; die ganze katholische Welt wird dir Beifall klatschen und der Calvinismus im Herzen getroffen sein."

Am 28. Juni 1824 in der h. Stadt angekommen, legte Hr.

Vuarin dem Papste schon in der Audienz vom 13. Juli ein Memorial über den kläglichen Zustand der katholischen Kirche in Gent, mit Beschwerden
gegen die dortige Regierung vor. Dem Memorial war ein ,,document secret réservé au souverain Pontife seulu beigelegt. Papst Leo nahm Alles mit dem höchsten Interesse auf, versprach von dem Mitgetheilten nähere Kenntniß zu nehmen und demselben möglichst beförderliche Folge zu geben.

414 Der Plan, den Hr. Vuarin S. Heiligkeit vorlegte, war folgender: *) Es soll Genf von der Diocèse Freiburg abgetrennt und zu einem eignen, unabhängigen Bisthmn erhoben werden. Um zu diesem Zwecke zu gelangen, müsse mit dem Bischof in Freiburg, Msr. Yenni, eine Verständigung getroffen, bez. dessen Verzifihtleistung auf den Genfer Theil seiner Diocèse ausgewirkt werden. Da Msgr. Ycnni wahrscheinlich einer solchen Verzichtleistuhg sich widersetzen werde, so möge der Papst nur in einem väterlichen Breve dem Hrn. Bischof insinuiren, daß, um den Plackereien und Verfolgungen, welchen die Katholiken Genfs von Seiten der dortigen Regierung seit vier Jahren ausgesetzt seien, wirksam zu begegnen, sein Verzicht auf Genf ihm -- dem hl. Vater -- unumgänglich nothwendig sei. ,,Msgr. Ycnni, fügte Hr. Vuarin hinzu, sei ein frommer, dem h. Stuhl ergebener Bischof, welcher der Stimme des Oberhaupts der Kirche ein geneigtes Gehör leihen werde." Habe einmal Msgr. Yenni die verlaogte Resignation in guter Form abgegeben, so sei S e i t e n s des G e n f e r S t a a t s r a t h s k e i n W i d e r s t a n d m e h r z u f ü r c h t e n . D ad i e geistliche Gerichtsbarkeit über die Katholiken in Genf durch Schuld der Regierung ohnehin in der Auflösung begriffen sei, so werde letztere noch überglücklich sein, wenn Genf nur keinen Franzosen oder Savoyarde« zum Bischof erhalte. Geldmittel für die Sustentation des neuen Bischofs müsse man von der Genfer Regierung nicht verlangen, wenn man die Ausführung nicht verschwierigen und kompliciren wolle; die Geldmittel wolle er, Vuarin, provisorisch schon herbeischaffen, sowie er auch für Erwerbung einer bischöflichen Wohnung (maison episcopale) Sorge tragen werde.

Dieser Vuarinsche Plan wurde in Rom mit Freuden angenommen und das päpstliche Breve an Msgr. Yenny erlassen. Man legte diesem durch den Vertrauensmann, der ihm das Breve einhändigte, gleichzeitig das Formular der Demission vor. Breve und Formular sollten dann aber sofort wieder zurückgenommen werden unter der nachdrucksamst eingeschärften Ermahnung, das G a n z e g e h e i m zu halten, b i s d i e A n g e l e g e n h e i t i h r e E n d s c h a f t e r r e i c h t haben werde.

Man setze, heißt es in der Geschichte des Hrn. Vuarin, von Seiten des Bischofs Yeuny eine günstige Antwort voraus. Sei diese in Rom angelangt,
so.werde der h. Vater, durch eine Note des L Staatssekretärs der Regieruns; 'o von Genf einfach von der Errichtung *) Hr. Vnarin schlug dein Papste eventuell auch vor, die kath. Genfer Pfarreien wieder von der Diözese Freiburg zu trennen und entweder dem savoyischen Bisthum von A n n e c y oder dem französischen Bisthum von Bellay einzuverleiben. Histoire de M. Vuarin, T. II, p. 350.

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des Bisthums in Genf Anzeige machen. Würde die Installation des neuen Bischofs auf Schwierigkeiten stoßen, so könnte in diesem Falle Hr. Vuarin mit den Funktionen eines Delegirten des heil.

Stuhls ad intérim betraut werden. Der Gedanke der Errichtung eines a p o s t o l i s c h e n V i c a r i a t s ward mit klugem Vorbedacht beseitigt, damit der Zustand der kath. Kirche in Genf nicht demjenigen in solchen Ländern, wo der Katholizismus blos g e d u l d e t ist, gleichgestellt werde. *) Auf der Heimkehr von Rom machte Hr. Vuarin einen Halt in Genua, wo sich der fromme König von Sardinien aufhielt. Von diesem empfieng er ohne Mühe die nothwendigen Fonds zur Erwerbung einer bischöflichen Residenz in Genf.

Alles gieng bisher nach Wunsch. Allein noch war von Msr.

Yenni die Demission auszuwirken. ,,C'était le point délicat -- schreiben die Biographen Vuarin's Letztem ist auch unbekannt, wer als geheimer Bote auserkohre war, dem Bischof von Lausann und Genf das päpstliche Breve sammt Resignationsformular zu übergeben. Dieselben vermuthen es sei entweder dar damalige bayersche Gesandte in der Schweiz, Hr. v. ·Orly, oder Hr. Oberst v. Horrer, Sekretär der französischen Gesandtschaft, oder Pater Drach, Superior des Jesuitenkollegium in Freiburg, mit dieser zarten Mission betraut gewesen.

Msgr. Yenni erhielt am 13. Oktober (1824) das Brève des h. Vaters, Er war erstaunt über dessen Inhalt und die Zumuthung die ihm gemacht wurde. Er verlangte einige Tage Bedenkzeit, erklärte sich dann zu allen Opfern bereit und begehrte schließlich, daß das Demissionsbegehren ostensibel (ostensibilibus litteris) an ihn gestellt werde. Das brachte das ganze Project ins Stocken, weil die römische Curia den Schein vermeiden wollte, als sei dasselbe von jemand anderm als von dem Bischof in Freiburg selbst ausgegangen. Bei einem letzten Beredungsversuch des Sekretärs der französischen Gesandtschaft, Oberst v. Horrer, zeigte Msgr. Yenni etwas mehr Neigung zum Nachgeben, so daß v. Horrer nach Rom berichtete, die Angelegenheit sei in Ordnung.- Dem war aber nicht also, Msgr. Yenni verweigerte definitiv die Resignation.

Das Project der Gründung eines Bisthums Genf war für einmal in die Brüche gegangen. Der (1842) verstorbene Pfarrer Vuarin *) On avait écarté avec soin l'idée d'un vicariat apostolique, afin de ne pas assimiler la
condition du catholicisme à Génève à colle des pays où il n'est pas toléré. Vid. Histoire de Mr. Vuarin et du rétablissement du Catholicisme à Genève par Mr. l'abbé Fleury et Mr. l'abbé Martin. T. 2., Ch. XII., 1861.

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».

hinterließ aber das Project der Errichtung 'eines Bisthums Genf dem apostolischen Stuhl als eine Art Testament. Dieser müsse, äußerte der Testator, ,,die Gelegenheit, welche politische Ereignisse h e r b e i f ü h r e n k ö n n t e n , erspähen, um ,,dieses Bisthumsprojekt zu r e a l i s i r e n und w ä r e es erst ,,in zehn, in z w a n z i g Jahren. C'est un procès qui reste ,,pendant! 1 '*) Dieses ist der erste, in den Jahren 1824 und 1825 unternommene Versuch, um hinter dem Rücken der Regierung des Kantons Genf und der Eidgenossenschaft ein Bisthum Genf zu errichten.,, Der z w e i t e Versuch, beziehungsweise die Vollziehung des Vuarin'schen Testaments wurde von dem, an die Stelle des am 30. März resignirenden Hrn. Victor Dunoyer, im Juni 1864 zum Pfarrer und Generalvikar in' Genf ernannten Hrn. K a s p a r Merm i l l o d von Carouge begonnen. Derselbe hatte die Ausführung des Plans bei einer persönlichen Anwesenheit in Rom in einer ihm von Pius IX. ertheilten Audienz eingeleitet. Hier ließ er sich, wie man sagt, unter dem Vorgeben, der Bischof von Lausanne sei alt, sehwach und unvermögend geworden, die ganze Diocèse zu regieren, unterm 22. September des gleichen Jahres zum Bischof von Hebron i. p. i. consekriren und mit außerordentlichen Vollmachten zur Verwaltung der Kirche Genfs ausstatten. Msgr. Marilley zeigte das folgenreiche, auffallende Ereigniß dem Staatsrath von Genf durch Sehreiben vom 22/29. Dezember mit der Erklärung an: Msgr. Mermillod werde sich als sein Auxiliarbischof mit der Residenz in Genf inner den Grenzen derjenigen Vollmachten geriren, welche er ihm zu übertragen für gut finde; dem zu Folge werde er nach dem klar ausgesprochenen Willen des Papstes : 1]) als Ordinarius, wie bisher mit der kirchlichen Verwaltung der beiden vereinigten Diöccsen (sie!) von Lausanne und - 'Genf beladen bleiben, unter Vorbehalt, Msgr. Mermillod einen Theil der Jurisdiction, den er für gut finde, zu delegiren ; 2) werde er Msgr. Mermillod mit denjenigen Vollmachten eines Generalvikars ausstatten, wie sie vordem Hr. Dunoyer besessen habe.

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é *) Kann main hier nicht mit dem h. Thomas von Canterbury ausrufen : ,,L'église ne doit pas être gouvernée par de moyens voilés on par la ruse, mais par la justice et par la vérité." Vid- lettre pastorale de Mr.Mermillod d. d. 31. Janvier 1873

417 Der Staatsrath von Genf gab hierauf dem Bischof von Lau sänne unterm 28. M ä r z , beziehungsweise 1. April 1865 in Antwort : Gegen die Wahl des Hrn. Mermillod zum General vikar mit den Vollmachten, wie solche Hr. D u n o y e r besessen, habe er nichts einzuwenden. In den ersten Theil seiner Erklärung lasse er sich dagegen gar nicht ein. ,,Wir werden, so schloß das ,,Antwortschreiben, fortan nicht ermangeln, den H e r r n General,,vikar als Ihren Repräsentanten anzuerkennen, in allen ,,Fällen, in d e n e n er in Ihrem N a m e n und nach Ihren An,, l e i t u n g e n i n Detailsachen d e r k i r c h l i c h e n V e r w a l t u n g ,,sich an uns wenden wird. a Am 5. J u l i 1865 gieng das nachfolgende Schreiben, denkwürdigen Inhalts, an den Staatsrath von Genf Seitens des Bischofs von Freiburg ein: ,,Montags den 9. Jenner 1865 hätten -- heißt es in diesem Schreiben -- Hr. General vikar Dunoyer und die Erzpriester von Carougc und Chêne dem Staatsrathspräsidenten eine Visite gemacht und denselben angefragt, ob Schwierigkeiten vorliegen, daß, wenn Msgr. Marilley sich der ganzen geistlichen Verwaltung des Kantons Genf begebe, ihm (dem Ordinarius) Msgr. von Hebron mit voller bischöflicher Gewalt (pleins pouvoirs) substituirt werde. Der Präsident des Staatsraths habe hierauf erklärt, daß, was ihn betreffe, er nicht nur keine Schwierigkeit darin erblicke, sondern daß er ein solches Vorhaben gern sehen würde. Er (der Präsident) habe hinzugefügt., daß auch seine Collegeii im Staatsrathe dagegen keine Einwendungo machen werden,i indem alle Glieder dieser Behörde wohl wissen, daß Solches im Wunsch des Klerus und der Katholiken des Kantons Genf liege. Es sei dieses eine "Maßnahme, gegen welche sie nichts einwenden, dieselbe vielmehr für die Katholiken billig finden, weil die Protestanten auch ihren Kirchenvorstand und ihr Consistorium in Genf besitzen. Der Präsident habe hierauf mit den Worten geschlossen: Wenn diese Angelegenheit geregelt und vollendet erscheine, so sei es dann allerdings schicklich, daß der Staatsrath mit Rücksicht auf das Verhältniß zwischen Kirche und Staat davon benachrichtigt werde. So geschehen, Genf den 9. Jenner 1865.

(Gez.) D u n o y e r , Generalvikar ecc.tt Nachdem er, also fährt Msgr. Marilley in seinem Schreiben fort, die Sache bei sich erwogen, habe er ein Project, das man
ihm als im Wunsche der Executivgewalt, des Klerus und der Katholiken von Genf liegend, geschildert, in reifliche Erwägung gezogen. In Folge dessen mache er anmit dem Staatsrath die

418 Anzeige, daß er die in Frage liegenden vollen G e w a l t e n an Msgr. von Hîbron, seinen Auxiliär im Kanton Genf, wirklich übertragen und sich seinerseits jeder Verantwortung entlastet habe in der Weise, daß Msgr. Mermillocl unter seiner eigenen, persönlichen Verantwortlichkeit alle b i s c h ö f l i c h e n P u n k t i o n e n , sowie alle Detailsachen der k i r c h l i c h e n und p a s t o r a l e n V e r w a l t u n g im Kanton Genf fortan besorgen werde. Er glaube schließlich beifügen zu sollen, daß, wenn es, um den Wünschen seiner katholischen Kantonsangehörigen Rechnung zu tragen, in der Ansicht des Staatsraths läge, mit dem heil. Stuhl Unterhandlungen zu dem Zwecke anzuknüpfen, daß der durch Brève S. H. Pius VIL, d. d.

20. September 1819, der Diocèse Lausanne inkorporirte Kanton Genf von derselben losgetrennt werde, er (Marilley) der Erhörung der Wünsche des Staatsraths und der Katholiken in Genf keine Hindernisse in den Weg legen werde.

Unter dem gleichen 5. Juli 1865 erließ der Bischof von Freiburg ein C ir k u la r an die katholische Geistlichkeit und die Pfarrgemeinden in Genf, in welchem er dieselben von dem Geschehenen in Kenntniß setzte.

Durch diese Erlasse und Verfügungen ward Msgr. Mcrmillod, es läßt sich nicht leugnen, via facti zum Bischof von Genf erklärt.

Man wird begreifen, daß der Staatsrath auf diese Mittheilungen den Ausdruck seines Erstaunens nicht schuldig blieb. Er antwortete hierauf mit Schreiben vom 25. Juli 1865 im Wesentlichen, was folgt: Er berufe sich in Sachen auf den klaren und unzweideutigen Inhalt seines Missivs vom 1. A p r i l 1. J. Sinn, Absicht und Tragweite der Aeußerungen, welche der Präsident des Staatsrathes bei Anlaß der Aufwartungs-Visite der Ogeistlichen Herren am 9. Januar O habe fallen lassen, seien von denselben des gänzlichen mißverstanden und unrichtig aufgefaßt worden. Der Präsident habe das Gespräch jener Herren lediglich als einen Commentar zum bischöflichen Schreiben vom 22. Dezember betrachtet. Hätte er dasselbe so aufgefaßt, wie das bischöfliche Sehreiben vom 5. Juli es besage, so würde er sich dagegen sofort ausgesprochen haben. Wenn sie, habe der Präsident bemerkt,l irgend welches weitere Begehren an den Staatsrath bringen wollten, so sollen sie sich auf dem Wege der Korrespondenz an die Behörde wenden. Jedenfalls könne aus
einem officiösen Visiten-Gespräch zwischen drei Geistlichen -- ohne Mission und Vollmacht -- und dem Präsidenten des Staatsraths keinerlei rechtliche Consequenz für die Entscheidung einer hochwichtigen Angelegenheit gezogen werden, welche das bestehende O

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419

legale Verhältniß zwischen Staat und Kirche berühre und der aufmerksamsten, eingehendsten Erwägung bedürfe.

Was die Hauptsache anbelange, so habe das bischöfliche Missiv vom 5. Juli drei wesentliche Punkte mißkannt und übersehen: 1. Vor Allem den bestehenden, legalen Zustand, wie er aus früheren päpstlichen Erlassen und den Beschlüssen der Staatsbehörden hervorgehe und zwar: a. aus der A u f h e b u n g des B i s t h u m s Genf seit dem Conkordat von i 801 ; b. aus der nach Maßgabe der beiden Breve Pius Vu. von 1819 und 1821 stattgehabten Uebertragung des bloßen Ehrentitels ^Bischof von Genfa auf den in Freiburg residirenden Bischof von Lausanne, eines Ehrentitels, der zuerst dem Erzbischof von Chambeiy und 1821 dem Bischof Yenni in Freiburg und seinen Nachfolgern im Bisthum beigelegt worden sei; c. aus der Thatsache, daß nur eine Diocèse für die Kantone 'Freiburg, Waadt, Neuenburg und Genf mit nur einem, in Freiburg residirenden, Bischof bestehe.

Mißkenne das bischöfliche Missiv : 2. Die Competenz, welche der Staatshoheit bei jeder V e r ä n d e r u n g der bestehenden Diöcesanverhältnisse zustehe, -- eine Competenz, welche in dem Genfer Gesetz vom 17. April Ì820 und im § 10 des Art. 90 der Bundesverfassung ihre Begründung finde.

Es handle sich demnach um,eine Frage, welche nur zwischen dem heil. Stuhl einerseits, und der Staatshoheit von Genf, beziehungsweise der Bundesbehörde anderseits, erledigt werden könne. Endlich lege 3. der Staatsrath einen Werth darauf, den amtlichen Verkehr mit dem gegenwärtigen Vorstand und Ordinarius der Diocèse, der bisher ein ganz befriedigender gewesen sei, beizubehalten. Dabei wolle uud werde sich die Staatsbehörde nicht in das Verhältniß des Ordinarius zu seinem Auxiliarbischof I. P. I. bezüglich der Vollmachten in mere spiritualibus, irgendwie einmischen.

Schließlich berief sich der Staatsrath wiederholt auf sein Missiv vom 1. A p r i l und erklärte, daß er die in der bischöflichen Zuschrift vom 5. Juli erwähnten Entscheidungen und Verfügungen O O o ablehne, und namentlich den vom Bischof ausgesprochenen Wünschen urn Errichtung eines Bisthums Genf iu keiner Weise Folge geben könne.

420 Bei diesen Erklärungen verblieb es dann in der Hauptsache.

Es wurden zwar in der Angelegenheit während der darauf folgenden Monate August, Oktober und November (1865) noch weitere Correspondenzen zwischen dem Bischof und dem Staatsrath gewechselt, allein der Stand der Sache und der Ansichten ward durch diese im Wesentlichen durchaus nicht verändert. Wir heben nur noch hervor, daß Msgr. Marilley (am 10. August und 7. Oktober) die Erklärung abgab, er habe immer anerkannt und anerkenne aufrichtig den legalen Diöcesanbcstand, wie solcher d u r c h die p ä p s t l i c h e n Breve und die E n t s c h e i d u n g e n der Staatsb e h ö r d e n festgesetzt, der Kanton Genf dem Bisthum Lausanne inkorporirt und der Jurisdietion des in Freiburg residirenden Bischofs unterworfen worden sei . . . ' Er habe nie verlangt und verlange nicht, daß dieser legale Bestand geändert werde. Die Wahl des Hrn. Mermillod zum Bischof von Hebron und zu seinem Auxiliar mit der Residenz in Genf, und mit besonder!) päpstlichen Vollmachten ausgestattet, h a b e er w e d e r v e r a n l a ß t , n o c h gew ü n s c h t , noch b e g ü n s t i g t . Seien von seiner Seite dem Auxüiarbischof auch in der Folge illimitirte Vollmachten ertheilt worden, so seien diese doch nur delegirt. Bei dem Gebrauch dieser, dem Hrn. Mermillod delegirten Gewalt müsse dieser allerdings zugleich R ü c k s i c h t n e h m e n a u f d i e Mission u n d d i e a u ß e r o r d e n t lichen Vollmachten, welche er vom heil. Stuhle empfangen habe. Der Papst könne, also schloß Hr. Marilley, -- seine eigene bischöfliche Jurisdietion beschränken und ihm diejenige über die Genfer Kirche ganz wegnehmen; geschehe es, so müsse er sich .gehorsamst unterwerfen.

» Der Staatsrath erwiderte schließlich (6. November) auf alle8 das, daß er eine, mit dem legalen Bestand der Diöcesanverhältniss(i im W i d e r s p r u c h s t e h e n d e b e s o n d e r e Mission des HrnGeneralvikars Mermillod vollständig ignorire und dessen außerordentliche Instructionen der r ö m i s c h e n Curia nicht anerkenne; er anerkenne lediglich jene Instructionen, die der Generalvikar von seinem Ordinarius empfange, und amter des letztem Verantwortlichkeit befolge und vollziehe.

Vom 13. November 1865 bis zum 11. September 1871 finden sich keine Correspondenzen mehr zwischen dem Bischof und dem
Staatsrath über diese Angelegenheit in den Akten vor. In Genf war nachgerade ein Regierungswechsel eingetreten. Andere öffentliche kantonale B'ragen und Interessen beschäftigten hier fortan die Behörden, und die kirchen-politischen Angelegenheiten traten in den Hintergrund. Neue, große, auf Staat und Kirche rückwirkende Ereignisse weltgeschichtlichen Belangs folgten Sehlag auf Schlag nach.

421

In Genf war 1870 / 71 ein Staatsrath ans Ruder gelangt, welcher die 1865 eingehaltene Politik in kirchen - politischen Dingen -- angesichts diesfälliger Erfahrungen und Erlebnisse -- fortzusetzen sich verpflichtet fühlte. Als in Folge dessen der Staatsrath, behufs Erledigung kirchlicher Angelegenheiten gemischter Natur, z. B. für nothwendige Veränderungen, Trennung und neue Circumscription katholischer Kirchgemeinden, ferner bei Wiederbcsetzung vakant gewordener Pfründen und Benefizi.cn u. dgl., die direkte Intervention des Bischofs in Anspruch nehmen wollte, lehnte dieser jede Mitwirkung von seiner Seite schlechthin ab, wies dia Regierung (15. September 1871) unter Bestätigung seines Missiva vom 5. Juli 1865 an den Auxiliarbischof, dessen bischöfliche Administration man seit dem Jahre 1865 stillschweigend habe gewähren lassen. Der Staatsrath brachte dagegen (27. September) seine Missive vorn 1. April und 25. Juli 1865 in Erinnerung, beharrte auf deren Inhalt, und gab am 7. Oktober 1871 die Erklärung ab, daß er den Hrn. Mermillod auch nicht mehr als den Generalvikar des Bischofs anerkenne und zwar so lauge, bis der O r d i n a r i u s versichere, daß der G e n e r a l v i k a r alle seine Akte unter der Verantwortlichkeit und im Namen des Bischofs, des alleinigen V o r s t a n d s d e r Diocèse L a u s a n n e u n d Genf, v e r r i c h t e .

Unterm 9. August verlangte der Staatsrath vom Bischof eine authentische Abschrift des Akts, kraft welchem dem Pfarrer von Genf die ausschließliche, geistliche Administration und Jurisdiction daselbst vom heil. Stuhl übertragen worden sei.

Msgr. Marilley buharrte .«einerseits in den Missiven vom 27.

und 29. November und 10. Dezember 1871, 22. März und 10. April 1872 in seiner Ansicht und Stellung, erneuerte beinebcn» die Versicherung, daß er an der gegenwärtigen Situation keine Schuld trage, und man sich deshalb an diejenigen halten möge, welche eine, von seiner Autorität unabhängige, kirchliche Verwaltung für Genf gewünscht haben. Was endlich die verlangte Abschrift der, dem Hrn. Mermillod von Rom aus zugekommenen Vollmachtsurkunde, die er nie empfangen und nie gesehen habe, anbetreffe, so habe er das diesfiillige Begehren an den päpstlichen Geschäftsträger nach Luzern abgehen lassen.

Nachdem alle und jede Vorstellung nichts gefruchtet, Msgr.

Marilley
jeglicher weitern bischöflichen Verwaltung im Kanton Genf sich beharrlich cntschlug, und Hr. Mermillod seinerseits fortfuhr, unabhängig von dem Ordinarius, sich als Bischof von Genf zu geriren, brach endlich dem Staatsrath der Faden der Geduld.

422 Er ließ unterm 30. A u g u s t 1872 dem Hrn. Mermillod die Einladung zugehen: sich aller A k t e , w e l c h e a u s s c h l i e ß l i c h dem Bischof, als O r d i n a r i u s der Diocèse, z u k o m m e n , und demselben r e s e r v i r t seien, fortan zu e n t h a l t e n .

Hr. Mermillod fand für gut, der Einladung der Staatsbehörde keine Folge zu leisten. Er wurde daher unterm 5. September zu einer Conferenz mit einer Abordnung des Staatsraths auf das Rathhaus beschieden und ihm hier die Frage zur Beantwortung vorgelegt : ob er der Einladung des Staatsraths vom 30. August Folge leisten wolle oder nicht?

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Hr. Mermillod bestritt in seiner Vernehmlassung jede Competenz des Staatsraths zur Einmischung in seine Vollmachten als Generalvikar und Auxiliarbischof von Genf. Mit diesen Vollmachten sei er von dem heil. Stuhl und dem Bischof von Lausanne betraut worden und habe darnach seit sieben Jahren die bischöflichen Funktionen und die bischöfliche Jurisdiction im Kanton Genf ohne Einsprache ausgeübt. Er könne bei seiner Ehre und seinem Gewissen den Befehlen und Drohungen (aux ordres et aux menaces) der Regierung keinen Gehorsam leisten und werde in seinen diesfälligen Verrichtungen so lange fortfahren, bis die geistliche Oberbehörde, welche ihm solche anvertraut habe, ihm selbe zurückziehe.

Auf die Erklärung dieser offenen Renitenz des Pfarrers von Genf und Generalvikars des Bischofs von Lausanne erließ der Staatsrath unterm 30. September 1872 folgenden Beschluß: ,,Der Staatsrath, ,, E r w ä g e n d , daß im Laufe des Jahres 1864 die Wahl des Hrn. Caspar Mermillod zum katholischen Pfarrer in Genf auf den Vorschlag des Diöeesanbischofs hoheitlich genehmigt wurde; daß derselbe in dieser Eigenschaft vor dem Staatsrath den Eid geschworen hat, der bestehenden Ordnung und Obrigkeit Gehorsam zu leisten und die Unterwerfung unter die Landesgcselze zu predigen ; ,, E r w ä g e n d , daß derselbe im gleichen Jahre ohne Genehmigung des Staates, und ohne Anregung oder Begehren des Diöeesanbischofs, vom apostolischen Stuhl den Titel und die Würde eines Bischofs von Hebron und eines Auxiliarbischofs von Genf erhalten und angenommen hat; ,,Erwägend, daß dem Staatsrath von dem diesfälligen päpstlichen Dekret&niemals Mittheilung gemacht worden ist;

423 ,,Daß vermöge dieses Umstandes und der Thatsache, daß Hr. Mermillod zugleich Generalvikar war, der Staatsrath zu einer irrigen Ansicht über die neue Stellung dieses Geistlichen verleitet wurde; ,,Daß wirklich in seinen Augen Herr Mermillod nur der Mandatar S. G. des Bischofs Marilley war, welcher denselben unter den gleichen Umständen, wie jeder andere schweizerische oder ausländische Bischof, für Specialfälle und unter seiner Verantwortlichkeit bevollmächtigen konnte; ,, E r w ä g e n d , daß aus amtlichen Akten und Thatsachen, welche zur Kenntniß des Staatsraths gelangt sind, hervorgeht, die vom apostolischen Stuhl, ohne Wunsch und Zuthun des Bischofs Marilley, getroffene Verfügung enthalte in der That eine schwere Verletzung der Bestimmungen, auf welchen der gesetzliche Bestand der katholischen Kirche im Kanton beruht, namentlich eine Verletzung des Brèves vom 30. September 1819 und des Dekrets des Staatsraths vom 1. November gleichen Jahres; ,,Daß wirklich nach dem Wortlaute des erwähnten Brèves und Dekrets die katholischen Pfarreien des Kantons Genf auf immer der Diocèse Lausanne einverleibt und der Jurisdiction des Bischofs von Lausanne unterstellt Worden sind ; ,,Daß der römische Stuhl unter Mißachtung der erwähnten Bestimmungen factisch eine Dismembrirung der Diocèse vorgenommen, die Katholiken des Kantons der Pastoralleitung des Bischofs von Lausanne entzogen und der Gerichtsbarkeit des, 'die volle bischöfliche Gewalt in bleibender und fortdauernder Weise ausübenden, Hrn. Mermillod unterworfen hat; ,, E r w ä g e n d , daß der Staatsrath,. nachdem er Hrn. Mermillod angezeigt, er anei'kenne dessen bischöfliche Competenz auf dem Genfer Gebiete nicht, von demselben die Antwort erhalten hat, daß er die Gewalt vom heil. Stuhle empfangen habe und, trotz des obrigkeitlichen Verbots, die bischöfliche Gewalt auszuüben fortfahren werde; ,, E r w ä g e n d , daß ein solches Verfahren von Seiten einesangestellten Geistlichen, der seine Amtsverrichtungen nur ausübt unter Genehmigung und Autorisation der Staatsbehörde, von der er den Amtsgehalt empfängt, nicht geduldet werden kann, ,,beschließt: ,,1. Dem Hrn. Mermillod ist das obrigkeitliche Placet- als Pfarrer der katholischen Pfarrei Genf anmit entzogen.

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,,Es soll von heute an, bis zur Wiederherstellung des regelmäßigen Zustandes in der genannten Pfarrei, der ihm zugeschicdene Pfarrgehalfc'-nicht .mehr verabfolgt werden.

,,2. Der Diöoesanbehörde ist von gegenwärtigem Beschluß Anzeige zu machen und dieselbe einzuladen, inner den Schranken ihrer Competenz für einstweilige Pastoration der katholischen Pfarrei Genf Vorsorge zu treffen.a Ö1

Unter dem gleichen Datum beschloß der Staatsrath, dem Hrn.

Mermillod a l l e A m t s V e r r i c h t u n g e n a l s General v i k a r ' u n d P f a r r e r in Genf zu untersagen. Dieser Beschluß lautet: ,,Der S t a a t s r a t h , ,, E r w ä g e n d , daß durch Missiv vom 23. Dezember 1864, S. G. der Bischof der Diocèse dem Staatsrath die Anzeige machte, er habs dem Hrn. Abbé Mermillod, Pfarrer von Genf, welcher zur Würde eines Bischofs mit dem Titel von Hebron und eines Auxiliarbischofs von Genf erhoben worden sei, zu seinem Generalvikar ernannt ; ,, E r w ä g e n d , daß der Staatsrath die Eigenschaft des dem Hrn. Mermillod verliehenen Titels eines Auxiliarbischofs von Genf nicht anerkannt und S. G. dem Bischof Marilley angezeigt hat,, er werde die Amtshandlungen des Pfarrers von Genf, welche er inner den Schranken der bischöflichen Befugnisse verrichte, nur insoweit anerkennen, als jene Akte im Namen des Diocesanbischofs und gemäß dessen persönlichen und besondern Aufträgen, verrichtet werden; ,, E r w ä g e n d , daß, ungeachtet dieser Erklärung, die Ernennung eines Bischofs mit der Eigenschaft eines Generalvikars des Ordinarius der Diocèse, einen Zustand der Dinge veranlaßt hat, welcher die Entstehung eines factischen Bisthums im Kanton Genf herbeiführte ; ,, E r w ä g e n d , daß der Staatsrath am 7. Oktober 1871, S. G.

dem Bischof Marilley die Anzeige machte, daß, weil er die Verantwortlichkeit der Akte kirchlicher Verwaltung, welche Hr. Mermillod verrichte, nicht übernehmen wolle, letzterer provisorisch aufhöre, als Generalvikar anerkannt zu werden; ,, E r w ä g e n d , daß dem Staatsrath das unbestreitbare Recht zusteht, einem Geistlichen, der sich in die ausnahmsweise Stellung begeben hat, in welcher sich Hr. Mermillod befindet, die Anerkennung als Mandatar des Diocesanbischofs zu versagen;

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,, E r w ä g e n d , daß überdies Hr. Mermillod behauptet, in seinem eigenen Namen zu funktioniren; ,,Nach Ansicht des Schreibens, welches der Staatsrath unterm 30. August abhin an denselben erlassen hat; ,,Mit Bezugnahme übrigens auf die in erwähntem Briefe, sowie in unserm, betreffend die katholische Pfarrei von Genf, erlassenen Beschluß, enthaltenen Erwägungen, ,,beschließt: ,,1. Jede in den Kreis der Verrichtungen des bischöflichen Ordinariats einschlagende Amtshandlung, geschehe solche direct oder im Auftrage, ist Hrn. Mermillod untersagt.

,,Es ist demselben gleichfalls verboten, solche Akte in der Eigenschaft als Generalvikar, oder als Bevollmächtigter des Diöcesanbischofs oder als Vollmachtträger der Verwaltung der katholischen Kirchgemeinden des Kantons, unter welchem Titel immer, zu verrichten.

,,2. Gegenwärtiger Beschluß soll den katholischen Pfarrherren des Kantons zur Nachachtung mitgetheilt werden.

,,3. Mittheilung des Beschlusses auch an den Bundesrath.1'Hr. Mermillod ließ auf diese beiden Dekrete das Protestschreiben vom 28. September an den Staatsrath folgen, dem wir nachstehende Behauptungen entheben: Seine Stellung in Genf fuße sich nicht auf ein k o n k o r d a t liches Rechtsverhältniß (régime concordataire). Die wenigen sachbezüglichen Verhandlungen, welche das zarte Verhältniß zwischen Kirche und Staat berühren, beschränken sich auf die Erklärungen : a. Daß die Religion, wie solche in den katholischen Pfarreien der Republik vor der Vereinigung mit Genf bestanden, gehandhabt und geschützt werde; b. daß es allein dem heil. Stuhle zukommen soll, ,,diesfalls in anderer Weise zu verfügen"-, sei es bezüglich neuer Diöcesanabgrenzungen, sei es bezüglich der Aufhebung oder Abänderung von bestehenden Gesetzen und hergebrachten Hebungen und Gewohnheiten (Turiner-Vertrag, Art, 12, Congreß-Protokoll von Wien, Art. III, § 7 u. s. w.).

Diese, durch obige Bestimmungen dem heil. Stuhle eingeräumte, unbedingte Gewalt sei von der Staatshoheit des Kantons Bundesblatt. Jahrg. XXV. Bd.; III.

29

426 Genf seiner Zeit einfach acceptirt worden mit dem ausdrücklichen Versprechen, solche als ,,die Grundlage der Rechte und Verpflichtungen in katholischen Kirchenangelegenheiten" anzusehen (le fondement de leurs droits et la règle de leurs devoirs).

Was die von ihm seit sieben Jahren als Auxiliarbischof und Generalvikar ausgeübte Amtsgewalt betreffe, so fuße sich letztere auf die von Msgr. Marilley an die Geistlichkeit Genfs gerichteten und der Regierung mitgetheilten Rundschreiben vom Oktober 1864 und vom Juli 1865. Hier sei ausdrücklich gesagt: ,,daß ihm von Pius IX alle von der päpstlichen Macht abhängenden Gewalten, behufs Ausübung der bischöflichen Verrichtungen, sowie aller Detailsachen der kirchlichen Verwaltung in Genf, übertragen worden sei en.a Diesem Protestschreiben des Hrn. Mermillod folgte am 4. Oktober (1872) eine im Wesentlichen gleichlautende Eingabe der katholischen Geistlichkeit des Kantcns Genf nach.

Herr Mermillod ließ es aber bei diesen Protestationen nicht bewenden ; es sollte weiter ausgeholt und ein entscheidender Schlag eführt werden ! Der Bischof von Hebron wandte, des endlichen ieges gewiß, seine Blicke nach Rom. Das half. Der Bischof von Lausanne und von Genf erhielt nun vom Papste die Aufforderung, auf den Genfer Antheil seiner Diocèse zu verzichten und die bischöfliche Administration und Jurisdiktion darüber ganz in die Hände seines bisherigen sogenannten Auxiliarbischofs zu legen. Der dem alten Prälaten anbefohlene Schritt mußte ihm weniger schwer fallen, nachdem man ihm den Genfer Antheil der Diocèse, deren Juris.diktion und Pastoration bereits früher weggenommen hatte. Msgr.

Marilley übersandte unterm 22. O k t o b e r 1872 das verlangte Resignationsschreiben und verzichtete auch noch" auf den Rest, d. h.

auf den ,,Ehrentitel" 1 eines Bischofs yon Genf. Im ,,Directorium Dicecesis Lausanensis" für das Jahr 1873, das den ,,Status Cleri secularisu enthält, wurden ,,Clerus et Parochise in Cantone Genevensiu einfach gestrichen.

Worin man zu Rom im Jahre 1873 den Vorgang des Jahres 1824 nicht nachahmte, das war in der Errichtung eines a p o s t o lischen V i k a r i a t s in Genf. Wir haben oben schon berührt, daß der römische Stuhl 1824 und 1825 eine solche Schöpfung darum nicht in Aussicht nahm, weil man den Kanton Genf nicht in den Missionszustand erklären und
mit Indien, China, Japan etc.

auf die gleiche Stufe stellen wollte. 1873 hatte man diesen Skrupel nicht mehr, denn mittels B r e v e vom 16. J a n u a r dieses Jahres wurde ohne alle Begrüßung der zuständigen Kantonsregierung und

f

427 der eidgenössischen Bundesbehörde proprio motu für den Kanton Genf ein apostolisches V i k a r i a t errichtet, Herr Mermillod zum apostolischen Vikar ernannt und hievon dem Buudespräsidenten durch den päpstlichen Geschäftsträger bei der Eidgenossenschaft, Msgr. Agnozzi, unterm 3. Februar Kenntniß gegeben.

Eh' und bevor das Breve vom 16. Jänner dem Bundesrath und der Regierung von Genf mitgetheilt war, ließ Mr. Mermillod durch einen Hirtenbrief an den ,,seiner Jurisdiction unterworfenen Clerus und die Gläubigen des Vicariatssprengelstt den Inhalt jenes Brèves von der Kanzel verkünden. In dem bezüglichen Rundschreiben bemerkte er unter Anderm ironisch: Der h. Vater hätte die Kirche von Genf wieder, wie vor 1819, der Diocèse von Chambéry inkorporiren oder ein eigenes Bisthum Genf errichten können; er habe sich aber um so eher darauf beschränkt, ein apostolisches Vicariat in der freien Republik (!) zu errichten, als gerade diese ausnahmsweise, für einen ,,Missionszustanda berechnete Kirchenverwaltung, für die, a u ß e r den Genuß des g e m e i n e n R e c h t e s g e s t e l l t e , katholische Kirche Genfs, ganz angemessen sei.a Kaum hatte die Regierung von Genf von dem päpstlichen Breve d. d. 16. Januar 1873 Kunde erhalten, so erließ dieselbe unterm 12. Februar folgenden B e s c h l u ß : ,,Der S t a a t s r a th, nach Ansicht des Breve vom 16. Jänner 1873, durch welches im Kanton Genf ein apostolisches Vicariat errichtet wird, beschließt: Die päpstliche Entscheidung, kraft · welcher ein apostolisches Vicariat i'ür den Kanton Genf errichtet worden ist, wird obrigkeitlich nicht anerkannt und als nichtig uud nicht geschehen erklärt.

Gegenwärtiger Beschluß soll in allen Gemeinden des Kantons angeschlagen und der Sammlung der Gesetze einverleibt werden.* Mit Missiv vom 11. Februar ließ der Bundesrath an den päpstlichen Geschäftsträger bei der Schweiz. Eidgenossenschaft, betreffend die Errichtung dieses apostolischen Vicariats, die motivirte Erklärung zugehen : ,,Der Bundesrath gestehe der obersten kirchlichen Behörde nicht zu : die Katholiken des Kantons Genf von der Diocèse, der sie gesetzlich angehören, einseitig zu trennen. Er beehre sich demnach, Msgr. Agnozzi zu ersuchen, dem h. Stuhl zur Kenntniß zu bringen : daß die Eidgenossenschaft auch künftighin, wie sie es bisher gethan, nur die Diocèse Lausanne und Genf anerkennen werde, wie solche seit 1820 bestanden habe ; daß er dem

428 apostolischen Vicar, welchen das Breve vom 16. Januar 1873 designirt habe, jeden officiellen Character abspreche; daß er sich nöthigenfalls dem entgegensetzen werde, daß dieser in der Schweiz Funktionen ausübe, welche der h. Stuhl, ohne vorgängige Zustimmung der staatlichen Behörde, nicht das Recht gehabt habe, ihm zu übertragen."

In einem unterm gleichen 11. Februar an den Staatsrath in Genf gerichteten Schreiben belobte der Bundesrath dessen energisches Vorgehen bezüglich der Nichtanerkennung des päpstlichen Brèves vom 16. Januar. Zugleich theilte er ihm zu Händen des Hrn. Mermillod das an Msgr. Agnozzi erlassene Missiv vom 11.

Februar unter der Einladung mit: Hrn. Mermillod einen Termin festzusetzen, inner welchem er sich zu erklären habe, ob er Angesichts des Widerstandes, welchen die Kantonal- und Bundesbehörden der Zerstückelung der Diözese Lausanne entgegensetzen, die Functionen eines apostolischen Vicars übernehmen wolle oder nicht. Ertheile der Angefragte keinen oder einen bejahenden Bescheid, so sei der Bundesrath, im Einverständniß mit dem Staatsrath und in Anwendung der §§ 8 und 10 des Art. 90 der Bundesverfassung entschlossen, die geeigneten Maßregeln zu ergreifen, um einen Repräsentanten des römischen Stuhls zu verhindern, daß er gegen den Willen der Landesbehörden eine Mission erfülle, welche den legalen Bestand der Diocèse Lausanne verletze.

Der Staatsrath von Genf lud hierauf Hm. Mermillod ein, bis S a m s t a g M i t t a g den 15. F e b r u a r die Erklärung abzugeben, ob er die Funktion eines apostolischen Vicars übernehmen wolle oder nicht. Derselbe gab dann in einem einläßlichen Schreiben vom 15. Februar zu Händen des Bundesraths eine a f f i r m a t i v e Erklärung ab, mit der Bemerkung, daß man Gott mehr gehorchen müsse, als den Menschen.

Der Bundesrath faßte hierauf nachstehenden von den'Rekurrenten beschwerdeten Ausweisungsbeschluß vom 17. Februar und beauftragte den Staatsrath von Genf mit dem geeigneten Vollzug desselben : ,,Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h , ,,nach Einsichtnahme eines Brèves des.hl. Stuhles vom 16. Januar 1873, welches Hrn. Kaspar Mermillod, Bürger von Genf, zum apostolischen Vikar des Kantons Genf ernennt; ,,in Erwägung, daß diese Ernennung zur Folge hat, die katholische Kirche des Kantons Genf von der schweizerischen Diocèse, welcher sie seit 1820 angehört, zu trennen und diese Diocèse zu zerstückeln;, .

.

429 *

,,in Erwägung, daß eine solche Maßnahme, gefaßt entgegen dem Willen der bürgerlichen Behörden, zufolge der vom Bundesrathe an den Geschäftsträger des heil. Stuhls mit Note vom 11. Februar 1873 abgegebenen Erklärung null und nichtig ist; ,,in Erwägung, daß der Titularinhaber des apostolischen Vikariats, zur Vernehtnlassung aufgefordert, ob er seine Funktionen trotz der Beschlüsse des Bundesrathes und des Staatsrathes von Genf auszuüben gedenke, erklärt hat, dieselben ausüben zu wollen ; ,,in Erwägung, daß somit Herr Kaspar · Mermillod, obschon Schweizerbürger, eine Mission des hl. Stuhls unter Mißachtung eines rechtsgültigen Beschlusses, welchen die Behörden seines Landes u im Interesse der Eidgenossenschaft und behufs Aufrechthaltung der o Ruhe und Ordnung haben fassen müssen, annimmt; ,,mit Rücksicht Uicksic auf die Ziffern 8 und 10 des Art. 90 der BundesVerfassung, besch ließt: ,,Art. 1. So lange Herr Kaspar Mermillod, Bürger von Carouge, Kantons Genf, nicht ausdrücklich auf die Ausübung der ihm durch den heil. Stuhl, zuwider den Schlußnahmen der eidgenössischen und kantonalen Behörden, übertragenen Funktionen in der Schweiz verzichten wird, ist ihm der Aufenthalt auf dem Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft untersagt.

,,Art. 2. Diese Untersagung wird vom Tage an aufhören, wo Herr Mermillod dem Bundesrath oder dem Staatsrath des Kantons Genf erklären wird, auf jede ihm vom heil. Stuhl zuwider den Beschlüssen der eidgenössischen und kantonalen Behörden übertragenen Funktionen zu verzichten.

,,Art. 3. Der Staatsrath des Kantons Genf ist mit der Vollziehung des gegenwärtigen Beschlusses beauftragt. "· Die Vollziehung dieses Beschlusses fand am gleichen Tage in der Weise statt, daß Hr. Mermillod nach Abgabe einer Protestation . in einer Kutsche unter Begleitung des Genferschen Polizeikommissärs seinem Wunsche gemäß an die französische Grenze in der Richtung gegen Pernez abgeführt wurde.

Dieses ist der actengetreue, g e s c h i c h t l i c h e Verhalt der Angelegenheit.

430

II.

Prüfung des Beschlusses, beziehungsweise der Note des Bundesrathes vom 11. Februar 1. J. betreffend Errichtung eines apostolischen Yicariats für den Kanton Genf.

Die Rekurrenten halten dafür, daß dieser, dem hl. Stuhl durch seinen Geschäftsträger bei der Schweiz. Eidgenossenschaft durch Note vom 11. Februar mitgetheilte Beschluß, die Grundlage und der Vorläufer des 'Ausweisungsbeschlusses vom 17. Februar, bestehende Staatsverträge, die Verfassung und Gesetze des Kantons Genf und die Bundesverfassung verletze.

Vergegenwärtigen wir uns die Erwägungen, die dem Beschlüsse, beziehungsweise der an den hl. Stuhl gerichteten Note des Bundesraths vom 11. Februar, zu Grunde liegen. Sie lauten: ,,Die schweizerischen Staatsbehörden haben zu allen Zeiten den Grundsatz festgehalten, daß die Fragen über die Organisation der Bisthümer nur mit ihrer Zustimmung erledigt werden können.

,,Die Bundesbehörden insbesondere halten an der Ansicht fest, daß die Maßnahmen des hl. Stuhles, welche die Zahl, die Umschreibung und die Trennung von schweizerischen Bisthümern zum Gegenstand haben, ihrem Wesen nach zugleich konfessionelle und politische Bedeutung haben und der ausdrücklichen Zustimmung des Bundes bedürfen.

,,Dieser Grundsatz stützt sich auf das alte und neue Staatsrecht der Eidgenossenschaft, sowie auf eine ganze Reihe von Vorgängen. Die Bundesversammlung hat denselben in ihrem Beschlüsse vom 22. Juli 1859 bestimmt ausgesprochen, und in Uebereinstimmung mit diesem Rechtsgrundsatz hat das europäische Staatsrecht in der Wienerakte vom 20. März 1815 das Recht der Tagsatzung ausdrücklich anerkannt, über den Fortbestand oder die Aufhebung eines schweizerischen Bisthums zu entscheiden.

,,Weil der heil. Stuhl selbst bisanhin den Grundsatz der Mitbetheiligung der Staatsgewalt bei den schweizerischen Diözesan-' fragen anerkannt hat, wurden von ihm in neuester Zeit mit dem Bundesrathe die Unterhandlungen über die Organisation der katholischen Kirche im Kanton Tessin begonnen und fortgeführt.

' ,,Zufolge desselben Prinzips sind auch in den letzten Monaten des verflossenen Jahres die Unterhandlungen zwischen dem eidgenössischen politischen Departement und Msgr. Agnozzi in Betreff der Organisation des katholischen Kultus im Kanton Genf gepflogen worden.

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,,Von Seite des Bundesrathes waren diese Unterhandlungen nicht abgebrochen, als der heilige Stuhl sein Breve vom 16. Januar 1873 erließ.

,,·Durch dieses Breve wird der Bestand der katholischen Kirche von Genf, wie er rechtlich seit länger als 50 Jahren fortdauerte, und wie er unter Anderm durch das. Breve vom 20. September 1819 und den Beschluß des Staatsrathes von G-enf vom 1. November gì. J. begründet war, durchaus verändert. Die Bundesbehörden haben sich bei diesen Verkommnissen in den Grenzen ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse betheiligt, und damit war die Zutheilung .der katholischen Kirche von Genf an die Diocèse von Lausanne und Genf rechtsgültig und definitiv vollzogen.

,,Dieser Rechtszustand wird nun durch das Breve vom 16. Januar 1873 von Grund aus alterirt, ohne daß die Landesbehörden selbst auch nur darüber berathen worden wären.

,,Unter diesen Umständen muß der Bundesrath die Rechte des Staates feierlich verwahren. Er erklärt also, daß jede durch den bloßen Willen des heiligen Stuhls einseitig und ohne ausdrückliche Zustimmung der staatlichen Behörden in der Organisation einer schweizerischen Diocèse eingeführte Abänderung von ihm jetzt und fürderhin als null und nichtig angesehen wird.a Ihre Kommission unterschreibt Satz für Satz die Richtigkeit und Begründetheit dieser Erwägungen. Was stellt nun diesen faktischen und rechtlichen Erwägungen Hr. Mermillod mit seinen Klaggenossen für Einreden entgegen?

Die Recurrenten bekämpfen hauptsächlich die Behauptung des Bundesrathe, daß die Organisation und Ordnung der Diocèse von Lausanne und Genf auf con v en t io ne 11 en V e r h ä l t n i s s e n zwischen dem päpstlichen Stuhl und- der Staatsregierung von Genf beziehungsweise der Bundeshoheit beruhen. Sie sagen, diese Behauptung sei nicht wahr ; denn die Diocèse von Lausanne und Genf sei 1819 nicht auf ein concordatäres Rechtsverhältniß (régime concordataire), sondern einseitig proprio motu des Papstes reconstituirt worden. Sie stützen sich diesfalls auf den Art. III, § 7 des Wiener Congreßprotokolls vom 29. März 1815, wo es ausdrücklich heiße: ,,Die katholischen Pfarreien und die Pfarrei von Genf werden fortfahren, einen Theil derjenigen Diocèse zu bilden, welcher die Provinzen Chablais und Faucigny angehören, -- es w ä r e denii, daß darüber vom heil. S t u h l a n d e r s v e r f u g t w e r d e (sauf, qu'il en soit réglé autrement par l'autorité du St. Siège). In diesem Nachsatz, sagen sie, habe der Wiener Congreß die Regelung der

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zukünftigen kirchlichen Verhältnisse der katholischen Pfarreien imi Kanton Genf ganz in die Gewalt des päpstlichen Stuhls gelegt und dabei implicite jede staatliche Mitwirkung ausgeschlossen. Der heil.

Stuhl habe dann von diesem ausschließlichen Recht Gebrauch gemacht und durch das Breve vom 30. September 1819 jene Verhältnisse geregelt, ohne daß dieser Regelung ein Konkordat zwischen ihm und der Regierung von Genf, bezw.der Tagsatzung, vorangegangen oder nachgefolgt wäre. Was aber der heil. Stuhl im Jahre 1819 aus eigener Machtvollkommenheit durch das Breve ,,inter multipliées"' sachbezüglich angeordnet habe, das habe er im Jahre 1864 vermöge der außerordentlichen Vollmachten an Hrn. Mermillod, beziehungsweise durch -sein Breve ,,summi apostolatusa vom 16. Januar 1873 auch proprio motu wieder abändern, namentlich also auch ein apostolisches V i c a r i a t für den Kanton Genf aufstellen können. Das letztere sei, meint Hr. Mermillod, um so mehr rechtlich möglich gewesen, als die Diocèse Lausanne eigentlich aus z w e i Diöcesen bestanden habe, der Diocèse Lausanne und der Diocèse Genf, vereinigt unter e i n e m Bischöfe.*) Dieses ist das wesentlichste Argument, mit welchem die Rekurrenten den bundesräthlichen Beschluß vom 11. Februar bekämpfen. Der allgemeine Vorwurf, als seien durch denselben die Verfassung und Gesetze von Genf, bezw. die Bundesverfassung verletzt worden, ist, da die Anwendung der angeblich verletzten Artikel mit Haaren herbeigezogen und auf falsche faktische Voraussetzungen gemacht wird, einer eingehenden Widerlegung nicht werth.

Jenes Hauptargument aber ist von gar keinem Gewicht, weil es mit den historischen T h a t s a c h e n und den von jeher geltenden s t a a t s r e c h t l i c h e n G r u n d s ä t z e n der Eidgenossenschaftim Widerspruch steht.

Ganz abgesehen von der Frage, ob die Wiener Congreßakte und der einschlägige Turiner Vertrag für die Katholiken in Genf noch in Kraft bestehen, so schließt der von den Rekurrenten angerufene Nachsatz im Wiener Congreßprotokoll die Mitwirkung der Staatshoheit bei Organisation und Circumskription von Bisthümern keineswegs aus. Auch der Papst selbst kann sich nicht im Sinn des Hrn. Mermillod auf den fraglichen Nachsatz berufen, da der römische Stuhl bei Abschluß der Wiener Staatsverträge selber nicht *) Hr. Mermillod schrieb
wirklich unterm 25. August 1865 an den Staatsrathspräsidenten von Genf wörtlich: ,,Le Diocèse de Lausanne et de Genève est composé de deux Diocèses mais sous un seul évêqtte titulaire."

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nur kein Mitkontrahent -war, sondern bekanntlich die Wiener Congreßacte gar nicht anerkannt, dagegen vielmehr feierliche Verwahrung eingelegt hat.

Was nun aber die h i s t o r i s c h e n T h a t s a c h e n betrifft, so hat die Reconstituirung der Diocèse Lausanne in den Jahren 1815 bis 1820 einen ganz andern geschichtlichen Verlauf genommen, ala die Recurrenten behaupten.

Es ergibt sich nämlich aus den oben (I) angeführten geschichtlichen Daten unwiderleglich : 1) daß der Staatsrath des Kantons Genf, bezw. der Vorort, Namens der Eidgenossenschaft, vom päpstlichen Stuhl die Abtrennung der katholischen Kirche in Genf und der mit Genf 1815 und 1816 vereinigten savoyschen und französischen Pfarrgemeinden vom Erzbisthum Chambéry und deren Einverleibung in das Bisthum Lausanne ausdrücklich b e g e h r t , deswegen mit dem heil. Stuhl nego zur t, ein dem Begehren entsprechendes Breve erhalten, letzteres mit der, an die Vereinigung jener Kirchgemeinden mit Genf und an ihre Einverleibung in die Diocèse Lausanne geknüpften Bedingung, vermöge eines Dekrets des Staatsraths vota 1. November 1819, feierlich acceptirt, einregistrirt und das Brève mit dem letztern in die G e s e t z e s s a m m l u n g a u f g e n o m m e n hat. In diesen Thatsachen Iregt kein schlechtweg unilaterales, sondern in Wahrheit ein bilateral abgeschlossenes Rechtsverhältniß, wenn auch keine förmliche Concordatsurkunde darüber vorhanden ist.

Es geht aus den oben angeführten geschichtlichen Thatsachen 2) hervor, daß das Bisthum Genf durch das Concordat vom 15. Juli 1801 und durch das Vollzugsdekret vom 9. April 1802 f ö r m l i c h a u f g e h o b e n wurde, -- daß der Titel ,,Bischof von Genf" -- von dem Erzbischof von Chambéry bis in das Jahr 1821 blos noch als Ehrentitel getragen -- durch das Breve vom 30. Januar gì. J. ihm abgenommen wurde.

3) Daß dieser Titel auch nur als Ehrentitel dem Bischof von Lausanne und dessen Nachfolgern in dem Sinn übertragen wurde, daß daraus keine mehreren Rechte oder Einkünfte, andere, als jene, welche sie bisher geübt, bez. gehabt haben, abgeleitet werden können.

4) Daß es also ganz unrichtig ist, wenn der Rekurrent, HrMermillod, in seiner Zuschrift an den Staats rathspräsidenten von Genf vom 25. August 1865 erklärt: ,,Die Diocèse Lausanne sei aus z w e i Diöcesen zusammengesetzt, vereinigt unter einem .Bischof."

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Die Argumentation der Rekurrenten widerlegt aber auch das alte u n d n e u e S t a a t s r e c h t der Eidgenossenschaft. Die gleiche Wiener Congreßacte vom 20. März 1815, welche die Rekurrenten für sich anrufen, anerkannte das Recht der Tagsatzung, über den Fortbestand, die Abänderung oder Aufhebung eines schweizerischen Bisthums zu entscheiden. Der Bestand der schweizerischen Bisthümer von Chur, Basel, St. G-allen u. s. w. beruht auf Concordaten, vereinbart in dieser oder jener Form -- zwischen den Staatshoheiten und dem römischen Stuhl.

Der Beschluß der Bundesversammlung vom 22. Juli 1859 betreffend die Aufhebung jeder auswärtigen Episcopaljurisdiction auf Schweizergebiet, und die Uebereinkunft, welche am 11. Juni 1864 unter den Auspizien des Bundesrathes zwischen der, Regierung von Bern und dem heil. Stuhl über die Einverleibung der Stadt Bern in das Bisthum Basel-Solothurn abgeschlossen wurde, -- sind neuere Bestätigungen des althergebrachten Grundsatzes.

Der gleiche Grundsatz gilt in F r a n k r e i c h , O e s t e r r e ï c h , S p a n i e n u. s. w.

B eIgieni

Auch in Deutschland ist die Errichtung, Trennung und Verwandlung etc. der Diöcesen Sache der Kirche im Einverständniß mit den Staatsbehörden. Wir sehen hier ab von dem Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 , von der Bundesacte vom 8.

Juni 1815 (Art. VII, X V , XVI), dem Art. XIII der Wiener Congreßacte, und verweisen auf die Concordate von Bayern d. d.

5. Juni 1817, von Preußen d. d. 16. Juli 1821, der oberrheinischen Kirchenprovinz d. d. 16. August 1821 und 11. April 1827 etc.

Hr. Mermillod wagt auch die Behauptung, ^die elende und traurige Lage, der Missionszustand und die unaufhörliche Verfolgung der katholischen Kirche in Genf"1 habe der römischen Curie jedenfalls das Recht zur einseitigen Errichtung eines apostolischen Vicariats, beziehungsweise eines Bisthums Genf gegeben, weil die Staatsbehörden von Genf die Bedingungen nicht erfüllt haben, unter welchen seiner Zeit die französischen und savoyschen Pfarreien mit dem Kanton vereinigt und der Diocèse von Lausanne incorporirt worden seien. Wir haben oben vernommen, daß die ganz gleiche Klage, die Hr. Mermillod im Jahr 1873 erhebt, von Hrn. Vuarin schon im Jahr 1824 erhoben worden ist.

Wer sich min aber erinnert, in welchem physischen, moralischen und ökonomischen Zustand die erwähnten katholischen Gemeinden im Jahre 1816 in die Republik traten, wie seither im Allgemeinen ihre Wohlfahrt zugenommen, welche Fortschritte zum

435 Bessern ihre Communalverwaltung, die Polizei, das Schul- und Kirchenwesen etc. gemacht haben, der weiß, was von obiger Behauptung zu halten ist.

Wir führen nur zwei statistische Thatsachen an : Im Jahre 1822 hatte der Kanton Genf eine B e v ö l k e r u n g von 51,113 Seelen, davon waren 19,700 Katholiken, d. h. 38,66 °/o.

Die Kantonsbevölkerung stieg bis 1870 auf 93,232 Seelen, davon waren Katholiken 47,868 = 51,si?/o.

Vermehrung der Gesammtbevölkerung des Kantons von 1827 bis 1870 = 42,126 oder 82,42 °/o.

Vermehrung der Gesammtbevölkerung der Stadt allein = 21,904 oder 88,G* °/o.

Vermehrung der Katholiken im Kanton von 1822--1870 = 28,108 oder 142,25 °/o.

Vermehrung der Katholiken in der Stadt Genf von 1822 bis 1870 = 16,672 oder 461,5? °/o.

Im Jahre 1820 figurirten die aus der Staatskasse bezahlten A m t s g e h a l t e der G e i s t l i c h e n .mit Fr. 27,200 auf dem Budget. Im Voranschlag von 1873 wurde für die Amtsgehalte der katholischen Geistlichkeit die Summe von Fr. 50,000 ausgeworfen.

Für Kirchen-, Pfarrhofbauten etc. wurden vom Staat Grundstücke von bedeutendem Werth gratis abgetreten.

Für die bischöfliche Mensa in Freiburg leistet der Kanton Genf alljährlich circa Fr. 2400, an den Unterricht im Klerikalseminar Fr. 1442, für den Unterhalt des Seminars Fr. 500 u. s. »-.

Beweist nun das Alles, daß die Genfer Katholiken von 1820 bis 1873 unter dem Drucke einer unaufhörlichen Verfolgung seufzten und daß es deßhalb nothwendig erscheine, Genf von der Diocèse Lausanne abzutrennen und vor aller Welt den Missionszustand der katholischen Kirche des Kantons Genf zu proklamiren ?

Durch diese Betrachtungen alle mußte Ihre Commission zu der Ueberzeugung gelangen, daß der Bundesrath nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet war, dem Breve vom 16. Januar die Anerkennung zu versagen, dasselbe zurückzuweisen, und dessen Vollzug im Kanton Genf mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern.

Das Breve vom 16. Januar 1873 ist nur der jüngste Ring einer langen Kette von geheimen und offenen Attentaten und Rechtsver-

436

letzungen zum Zweck einer endlichen Auflösung des legalen Bestandes der Diöcesanverhältnisse im Bisthum Lausanne und Genf.

Wir haben geschichtlich nachgewiesen, wie die römische Curie schon in den Jahren 1818 und 1824 die Errichtung eines Bisthums Genf tendirte und falls die Installation des neuen Bischofs auf Schwierigkeiten stoßen sollte, die Aufstellung eines apostolischen Vicariats wenigstens in eventuelle Aussicht genommen hat.

Das 1825 gescheiterte Projekt wurde 1864 wieder aufgegriffen und dessen endliche Ausführung mit Energie angestrebt. Mit dem Vollzug ward der zum Generalvicar des Bischofs von Lausanne ernannte Pfarrer und Erzpriester von Genf, Hr. Caspar Mermillod, betraut, -- oder vielmehr, er betraute sich selbst mit diesem Vollzug. Zu diesem Zwecke wurde er A u x i l i a r b i s c h o f von Genf mit geheimen päpstlichen Vollmachten. Zu gleichem Zweck mußte ihn der Bischof von Lausanne zuerst mit limiürter, dann mit illimitirter Gewalt für die kirchliche Leitung der sog. Diocèse Genf ausstatten, bis derselbe als f a k t i s c h e r Bischof von Genf das ausschließliche geistliche Regiment daselbst übernahm.

Als die Regierung von Genf diesem kühnen Vorgehen beharrlichen Widerstand entgegensetzte und keine Hand zur Errichtung eines Bisthums Genf bieten wollte, wurde das Ordinariat von Lausanne zur Verzichtleistung auf die sog. Diocèse Genf veranlaßt und endlich o h n e B e g r ü ß u n g d e r z u s t ä n d i g e n K a n t o n s - u n d B u n d e s b e h ö r d e ein a p o s t o l i s c h e s V i c a r i a t für Genf geschaffen , dessen Titular, nach kanonischem Recht, in n o c h u n mittelbarerer Abhängigkeit von der römischen Curia s t e h t , als der Vorstand eines, Rom immédiat unterworfenen, Bisthums.

m.

Prüfung des bundesräthlichen Ausweisungsbeschlusses vom 17. Februar 1873.

Die Ernennung des Hrn. Mermillod zu dem Kirchenamte eines apostolischen Vicars für den Kanton Genf ward, wie wir (I) vernommen haben, durch den päpstlichen Geschäftsträger bei der Schweiz.

Eidgenossenschaft dem Bundesrath unterm 3. Februar 1. J. angezeigt.

Diese Anzeige war nothwendig, um dem Gewählten den offiziellen Character zu verleihen. Allein -- allem diplomatischem Herkommen zum Trotz -- war diesem Schritte die E x e k u t i o n v o r a n g e g a n g e n .

In einem vom 31. Januar datirten und von den Kanzeln verlesenen Hirtenbriefe hatte nämlich Hr. Caspar Mermillod dem ,,seiner Juris-

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diction unterworfenen Clerus und Volk des Kantons Genf bereits verkünden lassen, daß ihm der heil. Stuhl die ,,gefährliche und zarte Mission"1 (mission périlleuse et délicate) eines apostolischen Vicars übertragen und daß er das Amt angetreten habe.

Durch ein solches auffallendes Vorgehen war der Bundesrath schlechterdings in die Unmöglichkeit versetzt, seine Willensmeinung kund zu geben, in demselben Augenblick, in welchem er glaubte, mit dem heil. Stuhl noch u n t e r h a n d e l n zu können. So blieb der Bundesbehorde jetzt nichts anderes übrig, als das verletzte Recht und die Ehre der Nation zu wahren und gegen den Repräsentanten der Macht, die sich ein solches Verfahren zu Schulden kommen ließ, "einzuschreiten.

Als Hr. Mermillod auf die an ihn gestellte Anfrage, ob er auf die Funktionen eines apostolischen Vicars verzichte oder nicht, die Erklärung abgegeben, daß er seinem Mandanten, dem Papste, und nicht den Weisungen der Kantons- und Bundesregierung Gehorsam leisten werde, beschloß der Bundesrath, wirksame Mittel zu ergreifen, um Hrn. Mermillod an der Erfüllung seiner Funktionen zu hindern. Es lag in der P f l i c h t des Bundesraths, zur Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung, der Ruhe und Sicherheit im Innern, die erforderliche Maßnahme gegen denjenigen zu beschließen, der, unter Mißachtung der schweizerischen Nationalsouvcranetdt, der gesetzlichen Ordnung entgegen handelte und kategorisch erklärte, daß er sich nicht an die Weisungen der Landesobrigkeit halten, sondern den Befehlen seines auswärtigen Obern folgen werde.

Das Recht zu Erfüllung dieser P f l i c h t lag für den Bundesrath in den §§ 8 und 10 des Art. 90 der Bundesverfassung klar ausgesprochen.

Niemand, so glaubt die Mehrheit Ihrer Kommission, wird in Abrede stellen, daß die Frage der Dismembrirung des Bisthums Lausanne und die Aufstellung eines apostolischen Vicariats in Genf als eine wichtige politische und quasi internationale betrachtet werden muß. Es handelt sich hier um einen C o n f l i k t z w i s c h e n zwei A u t o r i t ä t e n : der weltlichen Landesautoritat und e i n e r a u s w ä r t i g e n , k i r c h l i c h e n M a c h t . Man wird nun zugeben müssen, daß in dem beharrlichen Widerstand gegen die Befehle der Landesobrigkeit von Seite eines Prälaten, der sich als der Mandatar und Repräsentant der
auswärtigen kirchlichen Gewalt gerirt, eine wirkliche Gefährde für die öffentliche Ordnung und Sicherheit liegt und zwar für so lange, als dieser Prälat im Lande verbleibt, seine offene Auflehnung gegen die Landesautoritaten uud ihre Anordnungen fortsetzt, und dagegen, letztern zum Trotz, das Mandat des auswärtigen Obern zu erfüllen fortfahrt.

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Das exekutive Einschreiten der Bundeshoheit gegen den renitenten apostolischen Vicar in Genf lag demnach in dem durch die Bundesverfassung sanctionirten Recht und in der Pflicht des Bundesrathes.

Welches war nun aber Schritt für Schritt das Verfahren, das vom Bundesrath eingeschlagen worden» war ? Er forderte zuerst den Hrn. Mermillod auf, seine Funktionen einzustellen. Dabei mußte er auf den Fall beharrlichen Ungehorsams die Androhung weiterer geeigneter Maßnahmen beifugen, um dei Aufforderung Achtung zu verschaffen. Der Beschluß der Landesau&weisung des M a n d a t a r s des a u s w ä r t i g e n K i r c h e n o b e r n folgte hierauf nach; diese A u s w e i s u n g s o l l t e a b e r nur so l a n g e a n d a u e r n , bis der Renitent auf die Funktionen eines apostolischen Vicars verzichte.

Die Verfugung des Bundesrathes war kein den Caspar Mermillod, Burger von Genf, treffendes strafrechtliches V e r b a n n u n g s u r t h e i l ; es war eine administrative, politische Maßnahme gegen den Repräsentanten der auswärtigen Macht, beziehungsweise gegen seinen Mandanten, den Papst, mit andern Worten : es handelte sich hier nicht um die Bestrafung eines Delicts, sondern um die Losung eines Conflikts des öffentlichen und quasi internationalen Rechts.

Man sagt aber, die Ausweisung eines Schweizerburgers aus der Eidgenossenschaft sei unter allen Umstanden eine unzulaßige, verfassungswidrige Maßregel. Ihre Kommission kann diese Ansicht nicht theilen. Nach derselben konnte der Gesandte, Consul etc.

einer auswärtigen Macht, den sich diese in der P e r s o n eines S c h w e i z e r s auserlesen wurde, unter keinen Umstanden die Passe erhalten, beziehungsweise ausgewiesen werden.

Einem Schweizerburger steht es naturlich frei, Legations-, Consulats- etc. Funktionen von einer auswärtigen Macht in der Eidgenossenschaft zu übernehmen. Er kann solches jedoch nur unter der Bedingung thun, daß er das bundesrathliche E x e q u a t u r nachsuche und sich denjenigen Regeln unterwerfe, welche die internationalen Beziehungen vorschreiben. Wurde ihm das Exequatur verweigert, derselbe aber gegen den Willen des Bundesrathe fortfahren, den fremden Staat zu vertreten, so beginge er kein Delict, welches strafrechtlich verfolgt werden konnte. Da aber sein Verbleiben und Amtiren im Lande Namens und im Auftrag einer
auswärtigen Macht offenbar ein Eingriff in die schweizerische Nationalsouveranetat wäre, so konnte und durfte derselbe ohne allen Zweifel für so lange aus dem Lande gewiesen werden, bis er auf seine unzulaßbare Stellung Verzicht geleistet.

439 Soll nun ein Schweizerbürger, welcher die Funktionen eines, vom Bundesrath nicht anerkannten a p o s t o l i s c h e n Vicars übernimmt, vorn Staate salarirte Pfarrer und Beamte ernennt und absetzt, wichtige, kirchliche Jurisdictions- und Pastorations-Akte, unabhängig von jeder einheimischen bischöflichen Aufsicht und Gewalt ausübt, besseren Rechtens sein, als Schweizerbürger, die ohne Bewilligung, ohne das E x e q u a t u r der Bundesbehörde, Gesandtschafts- oder Consulatsfunktionen in der Eidgenossenschaft übernehmen? Soll man die Berechtigung haben, den letztem die Pässe zu geben, es dagegen nicht erlaubt, ja barbarisch und verfassungswidrig sein, jenen in einer Kutsche an die Grenze zu führen?

Oder meint man überhaupt und im Ernst, die E i g e n s c h a f t des S c h w e i z e r b ü r g e r s hätte dem Hrn. Mermillod als Sturmdach dienen sollen, unter welchem er die Souveränetätsrechte der Eidgenossenschaft verletzen und den Befehlen der Bundesregierung ungescheut Trotz bieten könne? Es ist allerdings wahr, weder die Bundesverfassung, noch ein Bundesgesetz enthält einen Artikel, der eine s o l c h e Ausweisung gegenüber einem Schweizerbürger expressis verbis gestattet. Damit ist aber keineswegs gesagt, daß der bundesräthliche Ausweisungsbeschluß nicht r e c h t und n o t h w e n dig gewesen und nach allen Richtungen wohlbegründet sei. Der Bundesrath mußte freilich, eben weil eine positive Bestimmung über die Materie in der Bundesverfassung mangelt, den Entscheid in dieser Frage rein politischer und diplomatischer Natur, auf s e i n e V e r a n t w o r t l i c h k e i t hin fassen. Er hat ihn gefaßt in der vollen Zuversicht, daß, wenn Hr. Mermillod oder Andere gegen den Ausweisungsbeschluß den Rekurs an die Bundesversammlung ergreifen, er wohl im Stande sein werde, denselben vor den gesetzgebenden Räthen der Nation zu rechtfertigen. Wenn der Bundesrath, um die Entscheidung ähnlicher Fragen für die Zukunft klar und positiv gesetzlich festzustellen, eine sachbezügliche Bestimmung in der zu revidirenden Bundesverfassung vorschlägt, so involvirt ein solcher Vorschlag mit Nichten, wie Hr. Mermillod meint, die Annahme, daß er zu dem Ausweisungsbeschluß vom 17. Februar nicht befugt gewesen sei.

Doch lassen Sie uns den Gegenstand auch noch von einem andern Gesichtspunkte aus beleuchten. Man sagt,
-- und diese Ansicht wird in der Kommission durch eine M i n d e r h e i t vertreten -- der Bundesrath hätte den renitirenden Repräsentanten des heil.

Stuhls vor die eidgenössischen oder genferischen Assisen stellen sollen. Die Mehrheit Ihrer Commission ist entschieden anderer Ansicht und hat ihre Haupteinwendung dagegen bereits oben angegeben. Bei einer r i c h t e r l i c h e n Behandlung der politisch-

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diplomatischen Frage hätte .der Bundesrath die Gefahr laufen müssen, daß das Verdict der Jury den Vorgestellten von Schuld und Strafe freispreche, dadurch indirekte den zwischen der Kantons- und Bundeshoheit und der auswärtigen Kirchengewalt schwebenden Conflikt zu Gunsten der letztern entscheide und die Frage des legalen Fortbestandes der Diocèse Lausanne mittelbar präjudicire? Das Gesagte beweist auch ganz durchschlagend, daß es sich in Sachen nicht um Hrn. Mermillod, sondern um den Papst i als Oberhaupt der katholischen Kirche, welchen er repräsentirt, handelte. Durch Ueberweisung der Angelegenheit an den Strafrichter würde dieser zum Richter- und Entscheider eines folgenreichen Conflilcts politischer und quasi internationaler Natur aufgestellt worden sein.

Aber angenommen, die Sache wäre, wie nicht, richterlichen Ressorts gewesen, auf welche Artikel des eidg. Strafgesetzes gestützt, hätte der Bundesrath den renitirenden Mandatar des römischen Stuhls zur Bestrafung an die Assisen leiten sollen ? Etwa unter Hinweisung auf die Art. 36 und 37 des Strafgesetzes, weil der zur Strafe Eingeleitete sich habe zu Schulden kommen lassen, die Eidgenossenschaft in die Gewalt und Abhängigkeit einer auswärtigen Macht zu bringen? Auf dieses Verbrechen ist eine Gefängnißstrafe von 10 Jahren Minimum bis zur Lebenswierigkeit festgesetzt.

Das ist in der That die einzige Bestimmung im eidgenössischen Strafgesetzbuch, welche einen Fall voraussieht, mit dem die Handlungen, denen man Hrn. Mermillod etwa beziehten könnte, einige Analogie hat. Oder hätte der Bundesrath dem Hrn. Mermillod wegen Usurpirung öffentlicher Funktionen oder wegen Widerstands gegen obrigkeitliche Befehle zur Bestrafung einleiten sollen? Welches sind die Artikel im eidgenössischen Strafgesetz, die diese Delicte voraussehen und mit Strafe bedrohen? Auch der Genfer Codex enthält keinen auf den v o r l i e g e n d e n S p e c i a l fa 11 anwendbaren Strafartikel. Als im Jahre 1843 Hr. Stephan Marilley vom Hrn. Bischof Jenni in Freiburg zum katholischen Pfarrer in Genf ernannt wurde und derselbe ohne das hoheitliche Wahlplacet beharrlich seine pfarramtlichen Funktionen ausüben wollte, ist der Renitent dort nicht vor das Strafgericht gestellt, sondern polizeilich aus dem Kanton gewiesen worden.

Es ist noch nicht lange her, daß der Präsident der
benachbarten französischen Republik einen Bürger ,,par cela seul que son nom était un crirnett -- aus dem Lande gewiesen hatte. Der Ausgewiesene rekurrirte an den Richter und der oberste Gerichtshof wies den Rekurs von der Hand mit der Erwägung, daß es sich in concreto um eine Frage des öffentlichen Rechts und politischer Natur handle, über welche die politischen Behörden allein zu entscheiden haben.

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Wir könnten hier eine schöne Anzahl ähnlicher, obrigkeitlicher Ausweisungen von Schweizerbürgern altern und neuern Datums aus der vaterländischen Geschichte anführen, -- wir wollen es unterlassen und zum Schlüsse eilen.

Die Mehrheit der Kommission reasumirt ihr Gutachten in die Sätze: 1) Der Bundesrath hatte das Recht und die Pflicht, die, ohne die Zustimmung der Bundes- und der zuständigen Kantonsbehörden vorgenommene Auflösung und Dismembrirung der Diocèse Lausanne und Genf, deren Rekonstituirung im Jahre 1819 der Kanton Genf und die Eidgenossenschaft verlangt, negoziili und gewährleistet haben, -- zu verhindern.

2) Hatte der Bundesrath hiezu das Recht und die Pflicht, so mußte ihm auch die Befugniß zuerkannt werden, dem durch die römische Curia erwählten, aber von der Bundesbehörde und der Kantonsregierung von Genf nicht anerkannten a p o s t o l i s c h e n Vi car den Aufenthalt auf schweizerischem Gebiete so lange zu o untersagen, bis hinsichtlich dieser Ernennung, ein Einverständniß zwischen der Eidgenossenschaft und dem päpstlichen Stuhl zu Stande gekommen sein wird.

3) Diese unbestreitbare Befugniß der eidgenössischen Staatshoheit konnte und kann nicht durch, den Umstand annullirt und wirkungslos gemacht werden, daß man römischer Seits die Klugheit hatte, den Versuch der Verletzung der eidgenössischen und kantonalen Souveränetätsrechte durch die Eigenschaft des Schweizerbürgerrechts zu decken.

Die Majorität der Kommission stellt daher den A n t r a g : * ) Der Nationalrat h, Nach Einsichtnahme von dem Beschluss des Bundesraths d. d.

11. Februar 1873, betreffend die Errichtung eines apostolischen Vicariats für den Kanton Genf, sowie des bundesräthlichen Beschlusses vom 17. Februar 1. J., betreffend die Ausweisung des Hrn.

Caspar Mermillod aus der Schweiz; nach. Einsicht und Prüfung der, gegen die eben erwähnten bundesräthlichen Beschlüsse an die Bundesversammlung gerichteten .Rekurseingaben : a. von 180 katholischen Laien des Kantons Genf, d. d. 27. Juli L J., b. der katholischen Geistlichkeit des gleichen Kantons, d. d.

5. Juli, und *) Vom Nationalrath angenommen am 26. Juli 1873.

Bnndesblatt Jahrg.XXV. Bd. III.

30

442 c. des Hrn. Caspar Mermillod, Bischof von Hebron I. P. I., d. d.

9. Juli 1. J., b es c h l i e ß t : Der Rekurs des Hrn. Caspar Mermillod recurrenten ist als nicht begründet abgewiesen.

und seiner Mit-

Hochachtungsvoll !

B e r n , den 23. Juli 1873.

Für die nationalräthliche Commission r Der Berichterstatter: *)

Hungerbühler *) Die Commission bestand ans den Herren Hungerbühler A r n o l d , F a h r l ä n d e r , Philippin und Dr. Z ü r c h e r .

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fo. Bericht der

Minderheit der nationalräthlichen Kommission in Sachen der Ausweisung Mermillod.

(Vom 26. Juli 1873.)

Herr Präsident!

Herren Nationalräthe !

Der Bischof von Hebron und bestrittene apostolische Vikar Msgr. Mermillod von Genf, die katholischen Priester und eine Anzahl katholischer Bürger von Genf rekuriren mittelst drei verschiedenen Eingaben bei den gesetzgebenden Käthen schweizerischer Eidgenossenschaft gegen die sub 17. Februar d. J. vom h. Bundesrathe beschlossene und gleichen Tags von der Genferpolizei vollzogene Landesverweisung des Erstem.

Die Mehrheit der Commission, welche Sie zur Prüfung dieses Rekursfalles bestellt haben, hat Ihnen in einem längeren Berichte die Aktenlage vor Augen geführt, deren Wiederholung man sich begiebt, und ist zu Anschauungen und Schlüssen gelangt, die eine Minderheit unmöglich theilen kann.

Es war der ,,Gazette de Lausanne11 vorbehalten, mit der Nachricht Sensation zu machen, ,,daß der hl. Stuhl den Kanton Genf durch einen neuerlichen Spruch vom Bisthum Lausanne abgetrennt und Herrn Mermillod zum Haupte des neuen Bisthums ernannt habe". Hierauf nun große kirchen-staatsrechtliche Erörterung:

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ob und inwieweit Rom das Recht zustehe, schweizerische Bisthümer ohne Mitwirkung der staatlichen Behörden umzugestalten oder gar neue zu kreiren? Zur Beleuchtung dieser Frage könnten wir in erster Linie doch auf das katholische kirchenrechtlich anerkannte päpstliche Primatrecht, sowie auf die Geschichte verweisen, die uns zeigt, daß Rom während fünfzehnhundert Jahren unbelästigt und unbestritten Bisthümer errichtete, beliebig gestaltete und die Bischöfe ernannte und bestellte. Es ist nicht lange seither, daß Papst Pius der IX. das katholische England in Diözesen eintheilte und denselben Bischöfe gab, ohne daß, abgesehen .von etwelchen formellen Bedenken und Vorbehalten Lord RusselFs, die englische Staatsregierung irgendwie hindernd in den Weg getreten wäre. Wir könnten in Erinnerung rufen, daß in den Niederlanden das Gleiche geschah, daß ferner Pius der IX. in den Vereinigten Staaten eine große Zahl Bisthümer errichtete, andere neugestaltete, ohne die Staatsregierung darüber zu befragen, oder von ihr in dieser Organisation irgendwie belästigt zu werden ; und wenn in Frankreich und einigen anderen Staaten es etwas anders gehalten wird, so ist dies eben lediglich dem Umstände beizumessen, daß der Concordatsweg andere Verhältnisse herbeigeführt hat, so in Frankreich seit mehr denn 300 Jahren und neuerdings durch das Concordat von 1801, welches übrigens wesentlich nur auf das Vorschlagsrecht abstellt. Alle diese Concordate, so auch dasjenige mit dem Großherzogthum Baden von 1817, mit Preußen vom Jahr 1821, mit Hannover und noch andern Staaten zu verschiedenen Zeitpunkten, immer auf Gesuch der Staatsregierungen und auf dem Wege gegenseitiger Verständigung abgeschlossen, traten erst mit ihrem Abschluß ergänzend oder beschränkend an die Stelle historischer Anschauung und des allgemeinen Rechts, so stets auch von unseren Altvordern, trotz ihrer angestammten Liebe zur Freiheit und Unabhängigkeit und trotzdem sie auch nicht immer gerade Passimi waren, Beachtung fanden. Wir könnten unsere protestantischen Mitbürger daran erinnern, daß noch keine Intervention von irgend welcher Seite erfolgte, wenn sie ein neues Consistorium errichteten oder die Zahl ihrer Autistes oder Dechane vermehrten. Wir könnten endlich erwähnen, daß der Kanton Aargau ganz einseitig, ohne Mitwirkung der übrigen Betheiligten und des Bundes,
seinen Rüktritt vom Bisthum Basel erklärt hat.

Wir sagen also, wir könnten zur Rechtfertigung oder doch mindestens zur Entschuldigung manchen Gewichtstein einlegen. Wir lassen nun anderseits nicht außer Acht die Motive der Genfcrregieruug und des Bundesrathes, die im Vereiniguugsakt, dem Breve von 1819, und in der sorgfältigsten Wahrung der Staatshoheit für die Regelung materieller und bürgerlicher Verhältnisse mit den örtlichen und staatlichen Behörden liegen. Aber wir behaupten :

445 die Frage der Umgestaltung oder der Neuschaffung eines schweizerischen Bisthums lag und liegt im Genferfalle auch jetzt abschließKch gar nicht vor. Wir haben es daher im obschwebenden Rekursfalle mit einem Faktum zu thun, das mit der heraufbeschworenen Wahrung der Staatshoheit gegenüber sogenannter eigenmächtiger Gestaltung von Bisthumsangelegenheiten ab Seite Roms in keiner unmittelbaren Beziehung steht, abgesehen davon, daß letztere nicht nachgewiesen wird, sich das Zeitungsgerücht nicht erwahret hat, die sogenannte ,,eigenmächtige oder willkürliche Umgestaltung oder Kreirung von Bisthümerna also gar nicht existirt; denn auch die mittlerweilige Demission des Bischofs von Lausanne und Genf ändert nichts an dieser Grundarischauung.

Wir haben es also lediglich mit dem ,, a p o s t o l i s c h e n V i k a r i a t " eines Pfarrers von Genf zu thun, der zufällig durch das besondere Vertrauen seines ' kirchlichen Obern auch den Titel eines ,,Bischofs von Hebrontt führt, was für Genf, wie für den Bund keine andere Bedeutung als die eines Ehrentitels hat. Seit dem 23. December 1864 war .dies der Regierung von Genf bekannt und genehm, indem ihr damals schon der Bischof von LausanneGenf hievon in optima forma Anzeige machte, mit Beifügen, daß Msgr. Mermillod Amt und Befugnisse eines Generalvikars für die im Kanton Genf gelegenen katholischen Pfarreien verliehen seien.

Wenn wir es gewohnt sind, Personen mit höhern Titeln und Auszeichnungen auch an untergeordnetem Stellen im Staate funktioniren zu sehen, so sollten wir auch keinen Anstand nehmen, den Obern von Glaubensgenossenschaften und in concreto dem Vorstande einer durch die Verfassung gewährleisteten christlichen Confession die Zumessung von Titeln und Funktionen anheimzugeben, solange dieselben den staatlichen Rechten keinen Eintrag thun.

Wir wissen auch, daß Ermächtigung zu gewissen Funktionen ab Seite des Höhern an den Niederem, Vollmachtsübertragungen und dergleichen in Staat und Kirche nichts Ungewohntes und nichts Anstößiges äst. Entfernung und Verhältnisse des Bischofssitzes in Freiburg zu der anwachse-.iden katholischen Bevölkerung Genfs mochten hier noch zu besonderer Begründung dienen. Wir sehen auch, daß die nicht seltenem Wechsel unterworfenen Behörden Genfs während 7 Jahren und 9 Monaten das Mermillod'sehe Generalvikariat unbeanstandet
hinnahmen.

Allerdings beruft man sich nun darauf, daß mit der seitherigen Demission Msgr. Marilley's für den Genferischen Sprengel und der Ernennung Msgr. Mermillod's zum apostolischen Vikar Genfs die Angelegenheit in ein ganz anderes Stadium getreten sei. Dies auch angenommen, so kann doch kein crimen darin liegen, daß während

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der Sedisvakanz und auf so lange, als die neue Administration zwischen Staat und katholischer Kirche nicht definitiv geregelt sein wird, provisorisch eine Mittelsperson, wenn auch nur einseitig bestellt, auftrat, die die kirchlichen und geistigen Interessen einstweilen wahrte und vermittelte. Zur Abschwächung der vom h. Bundesrathe und der Commissionsmehrheit heraufgeschraubten Bedeutung eines apostolischen Vikariats wird an der Ansicht festgehalten, daß dies die bescheidenste Administration ist, deren sich die Kirche in Ländern bedient, in denen sie kaum tolefirt wird und nicht einmal die Wohlthat des gemeinen Rechts genießt. Der apostolische Vikar Mermillod erklärt daher selbst in seiner Zuschrift an die Regierung von Genf, daß er sich weder als diplomatischer Delegirter des Papstes, noch als Inhaber des Bisthums, sondern nur als eine rein geistliche Autorität, jeden Augenblick revozirbar, ' betrachte. Wenn offen und loyal .dessen Erhebung zum provisorischen apostolischen Vikar Genfs kundgethan wurde, während -- dann aber ohne Wissen der Staatsbehörde -- persönlich und sachlich das Gleiche durch den ,,Pfarrer von Genf" hätte erreicht werden können, was muthmaßlich jetzt von französischem Gebiete aus geschieht; so hätte, nach unserer Meinung, die Staatsbehörde dies eher anerkennen, als zürnen und nicht w ä h r e n d der Verhandl u n g e n mit der p ä p s t l i c h e n N u n t i a t u r , die zur Stunde noch nicht erschöpft und abgebrochen sind, zur E x p u l s i o n eines S c h w e i z e r b ü r g e r s aus seinem V a t e r l a n d e die Zuflucht nehmen sollen, einzig und allein, weil derselbe nicht von einem Tag auf den andern ihm .von seinen geistlichen Obern übertragene Titel und Funktionen preisgeben wollte. Und daß hier -- nach blos mündlicher Verabredung und Austausch weniger Telegramme -- der Bundesrath direkte auftritt, ohne vorherigen unpopulären Beschluß der Genferregierung, seheint uns ebenfalls aller Praxis zuwider.

Trotz der heutigen Tages so beliebten Gemeinde-Collaturrechte, Recht der Entlassung oder Wiederwahl durch die Collaturg e m e i n d e n , setzt mittelst Dekret vom 20. September 1872 die Genferregierung, entgegen dem Willen der Pfarrgemeinde, einen Pfarrer ab, den sie nicht ernannt und zu ernennen auch nicht das Recht hatte. Art. 131 der Verfassung gibt nur das Recht,
die von der kirchlichen Behörde gemachte Ernennung zu genehmigen oder nicht und das neueste Cultusgesetz ist eben spätem Datums, als die Absetzung des Pfarrers von Genf. Der h. Bundesrath geht viel weiter und verweist mittelst Dekret vom 17. Februar 1873 den Genfer Bürger aus seinem schweizerischen Vaterl a n d e . Dies ist nun der C a r d i n a l p u n k t , mit dein wir uns heute zu beschäftigen haben.

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Die dem. Ausweisungsdekrete vorangestellte Erwägung: ^daß die Ernennung Msgr. Mermillod's zum apostolischen Vikar zur Folge habe, die katholische Kirche des Kantons Genf von der schweizerischen Diözese, welcher sie seit 1820 angehört, zu trennen «nd diese Diözese zu zerstückelna, ist nicht zutreffend, aus dem einfachen Grunde, weil dasjenige, worüber Unterhandlungen noch schwebend sind und worin nur noch ein Provisorium existirte, nicht als vollendete Thatsache hingestellt werden kann. Aber sei dem, wie ihm wolle, die Regierung von Genf und der h. Bundesrath verlangen von Msgr. Mermillod, daß er als Titularinhaber des apostolischen Vikariats resignire, und derselbe weigert sich, eine ihm von seinem geistlichen Obern übertragene Funktion preiszugeben.

Angenommen nun, es habe sich der Renitente damit der Nichtachtung oder Mißachtung eines amtlichen Befehls, der Widersetzlichkeit oder gar unbefugter Amtsanmaßung schuldig gemacht, und das Eine oder Andere involvire ein Vergehen, dessen zwar im Bundesrathsbeschlusse mit keinem Worte Erwähnung gethan wird; so mochte dieses Vergehen in gesetzlicher Weise geahndet werden. Die Genfer Strafgesetzgebung so wenig, als die irgend eines andern Kantons ermangelt der Anhaltspunkte, um die eine oder die andere der oben aufgezählten Vergehens-Categorien gebührend zu ahnden. Es war also hier, ein Vergehen überhaupt angenommen -- und wenn keines, wäre die eingeschlagene Handlungsweise doppelt verwerflich -- das ordentliche Strafrechtsverl'ahren indizirt.

Wenn es auch für Behörden sehr bequem sein mag, einen unbequemen Bürger oder Angeklagten einfach in einen bereitgehaltenen Wagen zu verpacken und ihn über die Grenze zu spediren, statt ihn einem neutralen ordentlichen oder auch außerordentlichen, kantonalen oder eidgenössischen Richter zu überweisen, so muß doch dieses erschreckende neue Recht einer s u m m a r i s c h e n A d m i n i s t r a t i v - J u s t i z und polizeilichen Landesverweisung auch anderen Schweizerbürgern, die weder mit dem Titel eines ,,Bischofs von Hebron" geschmückt, noch mit dem Amte eines ,,apostolischen Vikarsa ausgerüstet sind, ernstlich zu denken geben. Beispiele finden bekanntlich leicht Nachahmung und es ist sehr zu befürchten, daß auch Kantone in die Fußstapfen dieser Bundespraxis treten könnten. Oder ist etwa das Umgekehrte bereits
eingetreten? Ein -- aber auch einziges -- Beispiel liefert uns die Schallerische Freiburger Regierung im Jahr 1848 mit Bischof Marilley ; aber die allgemeine Verurtheilung jenes Aktes, die politisch weniger aufgeregte Zeit, in der wir leben, auch die Suprematie der hier handelnden Behörde, ließen erwarten, daß man die heutigen Rechtsbegriffe nicht aus dem damaligen Freiburgerkodex schöpfe.

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Auch damit soll man sich nicht behelfen, daß die Sache zur Zeit des Bundesrathsbeschlusses vorn 17. Februar 1873 eine Tragweite von höherer politischer oder staatsrechtlicher Bedeutung erhalten habe, die eine ausnahmsweise Handlungsweise rechtfertigte,, oder daß der Genfer- und Schweizerbürger Mermillod durch Uebernahme des Vikariats eine Art Exterritorialität erlangt habe, welcher man ein schnelles Ende machen mußte. Man beruft sich auf Art. 90, Ziffer 8 und 10 der Bundesverfassung, Ziffer 8, die der Wahrung der schweizerischen Interessen in völkerrechtlicher Beziehung ruft, Ziffer 10, welche von der Sorge für die innere Sicherheit, für Handhabung von Ruhe und Ordnung spricht, Verfassungsbestimmungeu, deren Applikation nichts weniger als auf diesen Ausweisungsfall passen. Und geradezu unerhört und ohne Präzedenz ist der Fall, daß unsere oberste Exekutive unter dem Titel ,,staatsrechtlicher Einmischung" für sich auch das Amt des Strafrichters vindizirte und dabei zu einer Strafart gelangte, die höchstens noch in einem veralteten kantonalen Codex figuriren mag, die aber seit 1850 Niemand mehr wagte, zur Geltung zu bringen, insoweit sie einen Schweizerb u r g e r und die Schweizerg r en z e betrifft.

Und mußte es gerade Genf sein, von dem die Geschichte sagt, daß dort die Flüchtlinge der ganzen Welt das gastlichste Asyl finden, das zu Derartigem im 19. Jahrhundert seinen polizeilichen Arm lieh, sich dabei aber in den Großrathsverhandlungen darüber weislich mit dem Deckmantel des Bundesbefehls umhüllte. Daß das Gefühl der Schwäche seiner Argumentation den h. Bundesrath selbst beschleicht, liegt auch in seinem Antrage im neuen Verfassungsprojekte, wonach die Verfassung mit einem Artikel bereichert werden soll, des Inhalts: ,,Wer ohne Zustimmung des Bundes auf dem Gebiete der Eidgenossenschaft, im Auftrage eines fremden Staates oder einer fremden Behörde, amtliche Handlungen verrichtet, kann vom Bundesrathe des Landes verwiesen werden.11 Ob das Volk, im Widerspruch mit unserer dermaligen Verfassung, einer Administrativbehörde die Anwendung einer derartigen neuen Strafart, zumal auch gegen die eigenen Landeskinder, in die Hand legen wird, muß erst noch abgewartet werden.

. Aber inzwischen und bis ein solcher neuer Verfassungsartikel Geltung bekommt, beruft sich die Commissionsminderheit 'auf die
bestehende Verfassung und namentlich auf die Art. 3 und 5, sodann auf Art. 41, der das Recht freier Niederlassung und den Entzug nur durch gerichtliches Urtheil oder nach wiederholter Bestrafung feststellt, auf Art. 44, handelnd von der freien Ausübung des Gottesdienstes, endlich wesentlich auf Art 53, welcher besagt: N i e m a n d darf seinem verfassungsmäßigen Gerichtsstand entzogen

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und es dürfen keine Ausnahmegerichte eingeführt werden, und auf Art. 57, der dem Bunde nur das Recht gibt, F r e m d e , (also nicht Schweizerbürger) welche die innere oder äußere Sicherheit der Eidgenossenschaft gefährden, aus dem schweizerischen Gebiete wegzuweisen. Also auch F r e m d e nur unter den gravirendsten Umständen. Und der Polizeidienst thuenden, vor dem Großen Rathe und dem Volke die Hände in Unschuld waschenden h. Regierung von Genf bringen wir von den vielen kantona.len Gesetzen, die wir verletzt betrachten, nur einige in Erinnerung, so'die Verfassungsbestimmungen sub Art. 3, 4, 5, 9 und 10, das Gesetz über die persönliche Freiheit und Unverletzlichkeit des Domizils, GerichtsOrganisationsgesetz, Gesetz über die Verantwortlichkeit des Staatsrathes.

Zum Schlüsse nur noch eine kurze allgemeine ErörterungWir huldigen alle dem Prinzip der Glaubensfreiheit. Diese kann aber nicht bestehen ohne unbedingte Cultusfreiheit. Wenn nun der Bundesrath an dem Grundsatze festhält, daß die Fragen über die allgemeine Organisation der Bisthümer nur mit Zustimmung der Staatsbehörden erledigt werden können, daß also Maßnahmen des hl. Stuhles, welche die Zahl, die Umschreibung und die Trennung von schweizerischen Bisthümern zum Gegenstand haben, als von konfessioneller und politischer Bedeutung, der Zustimmung des Bundes bedürfen; so sollte man in der Einmischung wenigstens nicht weiter gehen, den Begriff dieser Einmischung nicht auf Personen und Titel, nicht auf die Organisation von Behörden und Vorständen der Religionsgenossenschaften ausdehnen. Wir sind der Meinung, es sollte getrachtet werden, auf dem Wege fortgesetzter Verhandlungen den Organismus des katholischen Cultus in Genf und namentlich die Frage der geistlichen Oberleitung in einem dem Rechte, den humanen Begriffen und der Religionsfreiheit entsprechenden Sinne zu regeln.

Man kann in gewissem Sinne doch zwei Herren ^jenen, d. h.

die Rechte der Kirche und die des Staates zugleich betüksichtigen.

Die Wechselbeziehungen der beiden Gewalten haben in dieser Beziehung schon verschiedene Phasen dargeboten. Es war eine Zeit, wo der junge Staat Mühe hatte, neben den vielen Immunitäten und Privilegien der Kirche aufzukommen, dennoch ist unsere Freiheit aufgeblüht und erstarkt. Jetzt, da sich das Blättchen etwas gewendet, ist es nichts weniger als
eine unehrenvolle Stellung, sich auch zum Vertheidiger von Bedrängten aufzuwerfen.

Und wenn wir hier noch der vielangerufenen Verträge und Uebergangsakten, Bezug habend auf die ehemalig savoyischen Ka-

450 iholiken Genfs, gedenken, so thun wir dies nur in dem Sinne, um wenigstens hierorts einer rücksichtsvollem, d a m a l i g e r Auff a s s u n g etwas näher kommenden Behandlung das Wort zureden.

Und wenn man uns oft auch etwas hart anfährt, so sind wir doch weit entfernt, einen Viktor Emanuel, einen Russifizirer der Polen oder irgend einen andern Potentaten je ins Recht zu rufen und Mermillod möchten wir lediglich mit der Genfer- und der Bundesverfassung schützen.

Die Minderheit Ihrer Commission tritt also auf die Frage der allgemeinen Organisation des Bisthutns Lausanne-Genf, worüber die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind, nicht ein; beantragt dagegen dem h. Nationalrathe, die Ausweisung Msgr.

Mermillod's aus seiner schweizerischen Heimath als weder durch ein Gesetz noch durch kantonale oder die Bun'desverfassung begründet zu erklären, folglich den Rekurs hiegegen gutzuheißen.

Arnold.

«·o*s*------

&

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c. Bericht der

Mehrheit der ständeräthlichen Kommission, betreffend den Rekurs Mermillod.

(Vom 30. Juli 1873.)

Tit.

Die thatsächlichen Verhältnisse, die den drei Rekursen zu Grunde liegen, mit deren Prüfung Sie uns beauftragt haben, sind Jedem von Ihnen allzu bekannt und haben in der Welt zu viel Lärm gemacht, als daß wir uns lange dabei aufzuhalten brauchten.

Wir werden daher hier weder von der Lage der genferischen katholischen Pfarreien vor ihrer Annexion an die Schweiz, d. h.

vor den Verträgen von Wien und Turin, noch von ihrer Einverleibung in das Bisthum Lausanne im Jahr 1819, noch von den spätem Versuchen, aus dem Kanton Genf ein eigenes Bisthum zu machen, sprechen. Diese Dinge haben zwar vom Gesichtspunkte des historischen Rechtes aus ihr Interesse und ihre große Wichtigkeit, sie bestätigen aber doch nur einen Grundsaz, der von Niemanden ernstlieh bestritten ist, nämlich das feststehende Recht der schweizerischen Civilbehörde zur Intervention in die Organisation der Bisthümer und in alle Diözesanfragen, welche, sei es von der Kirche, sei es von den Kantonen oder vom Bunde erhoben werden können.

Was die kürzlich stattgehabten Ereignisse betrifft, die zu der Maßnahme geführt haben, gegen welche die Rekurse gerichtet sind, so genügt es, dieselben sehr kurz anzuführen. Sie wissen, daß die

452 öffentliche Aufmerksamkeit leztes Jahr plözlich -- durch ein waadtländisches Journal -- auf die neuen Intriguen hingelenkt wurde, welche in Genf und Rom ausgesponnen wurden, und daß auf diese Enthüllung hin die Regierung von Genf erklärte, sie widerseze sich jeder Modifikation der Diözesanorganisation, in welche sie nicht einwillige. Sie wissen, welche rasch aufeinander folgende Phasen diese Angelegenheit durchmachte, wie der durch die Schweiz anerkannte regelmäßige Bischof veranlaßt wurde, die Funktionen, die er im Kanton Genf ausübte, niederzulegen, und wie, gegen alle diplomatischen Gebräuche und nachdem vom Bundespräsidenten der Eidgenossenschaft förmliche Einsprache erhoben worden, Seine Heiligkeit glaubte, willkürlich, einseitig, zur Zerstükelung des Bisthums Lausanne schreiten zu sollen, indem selbe den Herrn Mermillod zum apostolischen Vikar in Genf ernannte und dabei dem Bundesrathe das diesfällige Ernennungsbreve erst mittheilte, nachdem dasselbe von allen katholischen Kanzeln Genfs verlesen worden war.

Ein anderer Grund für uns, in die betreffenden thatsächlichen Hergänge uns nicht zu vertiefen, liegt in der Erklärung der Minderheit der Kommission, sie werde sich ebenfalls damit nicht befassen, sondern sich darauf beschränken, die Frage zu prüfen, ob der Bundesrath dadurch, daß er durch Beschluß vom 17. Februar Herrn Mermillod wegen seines Antheüs an den sachbezüglichen Ereignissen aus dem Gebiete der Schweiz wegwies, inner den Schranken seiner verfassungsmäßigen Kompetenz gehandelt habe oder nicht.

Nur von diesem Gesichtspunkte aus werden wir also die drei der Bundesversammlung unterbreiteten Rekurse prüfen; es sind dieß: 1. ein Rekurs von 180 Katholiken des Kantons Genf, vom 27. Juni; 2. ein Rekurs von 43 Geistlichen dieses Kantons, vom 5. Juli; 3. ein Rekurs des Herrn Kaspar Mermillod, Bischof von Hebron in partibus infidelium, vom 9. Juli.

Die Gründe, auf welche die Rekurrenten ihr Begehren stüzen, lassen sich wesentlich dahin resümiren: Erstens: Der heilige Vater hatte, in ihren Augen, in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der Kirche und kraft der internationalen Verträge sowie des alten und neuen schweizerischen Rechtes, das Recht und die Pflicht, so wie er es gethan hat, von sich aus vorzusorgen, daß bei der Umgestaltung des Bisthums Lausanne die bischöflichen Funktionen durch den provisorischen Chef versehen werden, den er zu bezeichnen für gut fand.

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Zweitens: Nach ihnen hatte der Bundesrath nicht das Recht^ sich dieser Ernennung zu widersezen, noch weniger dasjenige, aus dem Gebiete der Eidgenossenschaft den Schweizerbürger auszuweisen, dem diese hohen Funktionen übertragen worden waren.

Wir können weder den einen noch den andern dieser Gründe zugeben.

Ueber einen Punkt, und wir halten darauf, diesen Punkt zu betonen, sind Mehrheit und Minderheit der Kommission vollständig einig; darin nämlich, daß es nicht dem heiligen Stuhle zukommt, Diözesanfragen einseitig in definitiver Weise zu regeln.

Wenn dem nun aber so ist, so halten wir dafür, der heilige Vater habe auch nicht das Recht, die Frage der Umgestaltung eines Bisthums zu präjudiziren, durch ein Vorgehen ohne Einholung der Zustimmung der andern Partei. Und doch hat er eben dieß gethan, ungeachtet der förmlichen Opposition der genferischen Kantons- und der Bundesbehörde. Und indem der heilige Vater Msgr.

Marilley zur Demission veranlaßte, ungeachtet lezterer erklärt, .,,diese Maßregel weder provozirt noch gewünscht zu haben1'-, hat er nicht nur von sich allein aus, einseitig, das Bisthum Lausanne umgestaltet, sondern er hat sich auch herausgenommen, dem Kanton Genf, an der Stelle des regelmäßig anerkannten geistlichen Hauptes, ein anderes Haupt aufzudrängen (gleichviel ob nur provisorisch), von dem die kompetenten Civilbehördcn durchaus nichts wollten.

Die Rekurrenteu sind also nicht berechtigt, die durch die Verträge und das alte wie moderne schweizerische Recht ertheilten Garantien für sich in Anspruch zu nehmen, da ja gerade der heilige Stuhl selbst und allein es ist, der durch sein Verfahren dieses Recht und diese Verträge verlezt hat. Als die vollendete Thatsache vorlag, wurde sie der Genfer Regierung und dem Bundesrathe zur Kenntniß gebracht. Es liegt hier die schroffste Rükaichtslosigkeit und die offenbarste Absicht, die neuem Verträge und das weltliche Recht mit Füßen zu treten, eine von der auswärtigen geistlichen Gewalt der politischen Gewalt der schweizerischen Eidgenossenschaft kek in's Gesicht geschleuderte Herausforderung vor.

Welcher auf die Achtung und die Würde seines Vaterlandes eifersüchtige Bürger dürfte behaupten, eine solche Verhöhnung hätte unbeantwortet bleiben können?

Die Vertreter der von uns angefochtenen Meinung erwidern uns hier: Ganz gut; wir sind wie
Sie nicht ohne Empfindung für das, was wir als eine Rüksichtslosigkeit von Seite des heiligen Stuhles halten; wir halten dafür, «daß die Dinge diesfalls nicht korrekt zugingen, glauben aber anderseits, daß der Bundesrath seine

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Kompetenz und seine verfassungsmäßigen Befugnisse durch Ausweisung des Herrn Kaspar Mermillod überschritten hat und daß zur Wahrung der Würde der Bundesgewalt Anderes zu thun war.

Wir haben nach diesen angeblich verfassungsmäßigeren Formen, diesen gesezlichen Mitteln gefragt, deren sich zu bedienen der Bundesrath versäumt haben soll; allein wir müssen erklären, daß man uns keine befriedigende Antwort ertheilt hat.

· Man hat gesagt: man hätte mit Milde, auf dem Wege der Ueberzeugung vorgehen sollen. Auf die Einladung aber, die der Bundesrath an ihn richtete, die von der ersten Behörde seines Vaterlandes nicht anerkannten Funktionen niederzulegen, hat Herr Kasper Mermillod mit dem schon oft in traurigster Weise mißbrauchten Worte der Schrift geantwortet: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen. Zwar sagt die Schrift auch: Seid gehorsam der Obrigkeit, denn alle Gewalt kommt von Gott. Aber Herr Mermillod hält ohne Zweifel dafür, er habe diese Pflicht der Unterwerfung nur gegenüber einer fremden Macht zu üben, und er sei als Schweizerbürger nicht gehalten, die Institutionen seines Vaterlandes zu respektiren. Und doch -- beachten Sie diesen Widerspruch -- pocht er auf, diese Eigenschaft eines Schweizerbürgers, um denjenigen zu trozen, welche dieser Eigenschaft in Allem und überall Nachachtung verschaffen müssen.

Weiter hat man gesagt : Der Bundesrath hätte neue ernstliche Verhandlungen mit dem heiligen Stuhle eröffnen sollen, um diese dornige Angelegenheit zu regeln. Es läuft dieß da hinaus: Die schweizerische politische Gewalt hätte, nachdem man ihr auf die eine Wange einen Schlag versezt, auch noch die andere gutmüthrg herhalten sollen. Wir fragen: wer hätte den Bundesrath zu diesem Grade von Demüthigung herabsteigen sehen mögen?

Drittens hat man gesagt: Man hätte alle diplomatischen Beziehungen zum heiligen Stuhle abbrechen sollen. Wohl ! allein von zwei Dingen eins : entweder hätte dieser Bruch Wirkungen gehabt mit Rüksicht auf alle vom heiligen Stuhle abhängigen geistlichen Beamten in der Schweiz, und wie wären alsdann unsere katholischen Miteidgenossen daran gewesen? Oder aber, wenn die betreffende Maßnahme keine praktische Folge gehabt hätte, wozu wäre sie denn gut gewesen? Hätte Herr Mermillod nicht minder fortgefahren, seinen von den Civilbehörden nicht acceptirten Titel eines apostolischen
Vikars geltend zu machen?

Auch sagte man : Man hätte den Herrn Mermillod der Gerichtsbehörde, sei es den eidgenössischen oder den kantonalen Assisen, überweisen sollen, da es allen Rechtsbegriffen widerstreite, daß eine

455 Strafe wie diejenige der Ausweisung ohne Urtheil eines gehörig konstituirten und angerufenen Gerichts ausgesprochen werde.

Wir fordern diejenigen, welche mit solchen Einwürfen kommen, auf, uns eine gesezliche oder Verfassungs-Textstelle anzuführen, auf welche der Bundesrath sich für diese Ueberweisung des Herrn Mermillod an die Gerichte hätte stüzen können. Es gibt, wir wiederholen es, keine solche, und man konnte uns nichts anführen, was auch nur als entfernte Analogie auf den Spezialfall angewendet werden könnte.

So präsentirt sich die Sachlage. Der Repräsentant einer auswärtigen Macht (wir sagen Macht, da die Schweiz mit dem heiligen Stuhle diplomatische Beziehungen unterhält) nimmt sich heraus, in der Schweiz die ihm von dieser Macht übertragenen Funktionen auszuüben, ohne das Exequatur und gegen den Willen der Bundesbehörde; und weil nun dieser Repräsentant Schweizerbürger ist, sollte er ungestraft unseren Verfassungen und unseren Gesezen, die einen solchen Fall nicht vorgesehen haben, trozen können !

Nein, meine Herren, .es muß für eine solche Situation einen Ausgang geben, und nach unserer Ansicht hat der Bundesrath den einzigen Weg gewählt, den er einschlagen konnte. Von der Bundesverfassung beauftragt, über die innere Sicherheit der Schweiz und die Beziehungen mit dem Auslande zu wachen, hatte er das Recht und die Pflicht, dem Herrn Mermillod den Aufenthalt der Schweiz so lange zu untersagen, als dieser Bürger es sich herausnehmen würde, daselbst Funktionen auszuüben, die von einer auswärtigen Macht abhangen. Diese Strafe ist, was man auch sagen möge, keine sehr harte. Der Verbannte von Fernex hat den ganzen Vortheil der Kondolationen gewisser Kreise für diejenigen, in denen man Glaubensmärtyrer erblikt, und doch hat ev anderseits keinen der Uebelstände zu erdulden, welche mit dem wahren Martyrium verbunden sind. Uebrigens hängt es von ihm ab, daß das Exil aufhöre: er braucht nur auf die Funktionen zu verzichten, die er auszuüben prätendirt.

Es scheint uns demnach, daß der ^eiii rechtliche Gesichtspunkt mit dieser Ausweisung nichts zu thun habe, daß es sich vielmehr lediglich um eine politische Frage handle, die man ausschließlich vom politischen Gesichtspunkte aus zu behandeln hat. Wir gehen selbst noch weiter und sagen, daß wenn das Recht, in einem solchen Falle die Ausweisung
zu verfügen, nicht in der Bundesverfassung implicite begründet läge, wenn dasselbe nicht mit Evidenz aus zahlreichen Vorgängen und politischen Rüksicbten ersten Ranges herflösse, -- man dasselbe schaffen müßte.

456 Allein selbst vom politischen Gesichtspunkte aus bestreitet man dem Bundesrathe das Recht, so zu handeln, wie er es gethan hat.

Man sagt, und die Rekurrenten insbesondere sagen: Sie sehen wohl, daß dieses Recht ein sehr bestreitbares ist, da ja der Bundesrath selbst beantragt, es durch die neue Bundesverfassung zu schaffen; es muß sich also dabei um etwas ganz Neues handeln, das nur insofern es in unsern Grundvertrag niedergelegt wird zuläßig erscheint.

Dieses Argument erinnert uns an einen Zug aus der alten Geschichte, den Sie uns erlauben werden, zu citiren. Warum, fragte man einen griechischen Gesezgeber, habt ihr in euern Gesezen keine Strafe gegen den Vatermord vorgesehen? Weil es uns, antwortete der Gesezgeber, unmöglich schien, daß sich in unserer Republik ein Wesen vorfände, das unnatürlich genug wäre, demjenigen, der ihm das Leben gegeben, nach dem Leben zu stellen.

Wohlan, nieine Herren, wenn bisanhin unsere Verfassung und unsere Geseze keine auf den Fall des Herrn Mermillod anwendbare Strafe vorschrieben, so geschah dies eben, weil es Niemanden in den Sinn gekommen war, daß ein Schweizerbürger sich dieser Eigenschaft bedienen könnte, um -- auf unserm Boden selbst -- als Vertreter einer auswärtigen Macht ein Attentat auf die Achtung und die Würde des Vaterlandes zu begehen.

Soll dies nun aber deswegen immer so bleiben? Gewiß nicht.

Da nun einmal so ausnahmsweise Fälle vorkommen können, so muß man auch, um ihnen vorzubeugen, ausnahmsweise Gegenmaßnahmen ausdrüklich vorschreiben.

Aus diesen Gründen, meine Herren, beantragt *) Ihnen die Kommissionsmehrheit, die ich zu vertreten die Ehre habe, der vom Nationalrath in seiner Sizung vom 26. dieß über diesen Gegenstand gefaßten Schlußnahme beizutreten und demi.ach die drei Rekurse als unbegründet abzuweisen.

B e r n , den 30. Juli 1873.

Namens der Mehrheit der ständeräthliehen Kommission, Der Berichterstatter : Numa Droz.

*) Vom Ständerath angenommen am 30. Juli 1873.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Kommissionalberichte in Rekurssache Mermillod.

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1873

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3

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39

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30.08.1873

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409-456

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