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Bericht der

ständeräthlichen Kommissionsmehrheit in der Rekurssache des Salomon Bloch, betreffend Gerichtsstand.

(Vom 18. September 1873.)

Tit. !

Joseph Dreifuß, wohnhaft in Reinach, Kantons Aargau, wurde von Pferdehändler Salomon Bloch, wohnhaft in Avenches, Kantons "Waadt, bei dem Bezirksgericht Kulm wegen einer Injurie belangt, welche Jener in einem Wirthshause zu Luzern sich habe zu Schulden kommen lassen. Der Beklagte stellte eine forideclinatorische Einrede, weil er beim forum delicti zu belangen sei. Das Bezirksgericht Kulm erklärte, gestützt auf das aargauische Zuchtpolizeigesetz, diese Einrede als begründet, allein das Obergericht hob das erstinstanzliche Urtheil auf, indem es dahin reassumirte, es handle sich um eine interkantonale Angelegenheit, und es dürfen sonach die kantonalen Gesetze nicht zur Anwendung gelangen, soweit Bundesvorschriften entgegenstehen. Da die Klage auf Genugthuung wegen Ehrbeleidigung ihrer Natur nach einen persönlichen Zivilanspruch zum Gegenstande habe, so müsse diese Klage gemäß Art. 50 der Bundesverfassung beim Wohnorte des Beklagten, somit im Spezialfall vor dem aargauischen Richter geltend gemacht werden. Gegen dieses Urtheil beschwerte sich Herr Fürsprecher Strähl in Zofingen, Namens des Dreifuß, beim Bundes-

175 rathe, und der Bundesrath erklärte unterm 24. Heumonat abhin unter Motivirung den Rekurs begründet.

Gegen diesen Bescheid rekurrirt Salomon Bloch an die Bundesversammlung. -- Ihre Kommission theilt sich in eine Mehrheit und Minderheit. Die Mehrheit beantragt Ihnen, dem Bundesrathe beizupflichten.

Wir erlauben uns, Ihnen, Tit., entgegen dem von der verehrlichen Minderheit bei der Kommissionalberathung eingenommenen Standpunkte, in Kürze vorzuführen: 1) daß die voi'vvürfige causa in die Kompetenz der Bundesbehörden einschlage, und 2} daß Bundesrecht und Bundespraxis, sowie kantonales Verfassungsrecht für das forum delicti sprechen.

Es handelt sich darum, ob ein Schweizerbürger sich einer kantonalen Justizhoheit zu unterwerfen habe, welche er in concreto nicht anerkennt. Die Frage präsentirt sich uns dergestalt: muß im Kanton Luzern Recht gesucht werden, oder k a n n dieses Recht auch im Kanton Aargau gefunden werden, und i n s o w e i t hat das Obergericht des Kantons Aargau ganz korrekt geurtheilt, daß in dieser über die Kantonsgrenze hinauszielenden Kompetenzfrage zu allererst das B lindesrecht in Betracht zu ziehen ist, während allerdings auch schon aargauisches Verfassungsrecht fiir unsere Kompetenz ganz entscheidend wäre. Es handelt sich um den Gerichtsstand in zwei verschiedenen Kantonen, und in diesem Falle m u ß der Bund entscheiden, sonst dürfte in naher Perspektive eine sehr verderbliche Rechtsverwirrung liegen. Es kommt auch gar nicht darauf an, ob ein Gericht oder eine Behörde eines andern Kantons einen Fall requiriren (es kann ja auch negative Kompetenzkonflikte geben), und es ist insoweit irrelevant, ob unser Fall in dieser oder jener Beschwerdeform zur Kognition der Eidgenossenschaft gelange.

Es rekurrirt ein Schweizerbürger dagegen, daß er vor das forum eines Kantons gezogen werden will, während er behauptet, daß er lediglich vor dem forum eines andern Kantons Rede zu stehen habe. Und der Schweizerbürger ist nach den dießbezüglich voluminös gewordenen Quellen des Bundesrechtes nicht bloß beim forum domicilii zu schützen, sondern er ist bei seinem konstitutionellen Grundrecht zu schützen, daß er in keiner Frage vor das Gericht eines Kantons gezogen werde, während er lediglich in einem andern Kanton Rede zu stehen hat, daß zumal die Souveränetät und Justizhoheit eines Kantons
nicht zuwider dessen eigener Gesetzgebung, d e r e n G r e n z e n in dem A u s d r u c k e ,,gesetzlicher Richter" 1 implicite Verfasssungsnorm geworden sind, sich nicht auf dem Wege

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eines inkorrekten Gerichtsurtheils wider Willen und auf Unkosten des Schweizerbürgers ausdehnen. Ebenso gut aber wie Wahrerin des Bundesrechtes ist die Bundesversammlung zu Gunsten jedes impetrirenden Schweizerbürgers Wahrerin des aargauischen Verfassungsrechtes (Art. 5, 74, Ziff. 7. Art. 90, Ziff. 3 der B. V.), und schon an der Hand dieses hier überaus klar sprechenden Verfassungsrechtes muß die vorwürfige causa unserer materiellen Würdigung sich unterstellen. Während wir in Art. 53 der Bundesverfassung von einem ,,verfassungsmäßigen"1 Gerichtsstand lesen, und während wir in den meisten übrigen Kantonsverfassungen diesen nämlichen terminus oder dann den Ausdruck: ,,ordentlicher11 oder ,,natürlicher" Richter treffen, so sagt, wie bereits angedeutet, die aargauische Verfassung noch prägnanter: ,,Memaud darf seinem g e s e t z l i c h e n Richter entzogen werden." (Art. 16.) Nach Anweis dieses eidgenössisch garantirten Passus müssen deßuahen für unsere Würdigung die kantonalen Gesetze den Untersatz hergeben, während der Obersatz im Bundesrechte und überhaupt im Verfassungsrechte liegt. -- Aber auch vom bundesrechtlichen Standpunkt aus finden wir in bezüglichen Sammlungen ein reiches System von Fällen nicht nur bezüglich des forum domicilii, sondern bezüglich sämmtlicher Gerichtsstände und zumal auch der Gerichtsstände für Injurien. Und als prinzipiellen Ausgangspunkt für diese Masse von Entscheiden finden wir eine bundesräthliche Considération vom 10. October 1849, welcher in unserm Quellenwerke eine hervorragende Stelle angewiesen ist, und welche folgende präzise Fassung hat- ,,Ueber die Zuständigkeit eines Gerichtes kann dieses selbst nach seinen heimatlichen Gesetzen nur urtheilen in Prozessen zwischen Einwohnern desselben Kantons, wenn es sich aber um einen Gerichtsstand zwischen Angehörigen verschiedener Kautone handelt, so sind die kantonalen Gesetzgebungen durch Concordate oder Bundesgesetze beschränkt, und nur diese sind maßgebend, sowie auch hier die B u n d e s b e h ö r d e n k o m p e t e n t w e r d e n , unter deren Schutz die Verfassung, Gesetze und Concordate des Bundes gestellt sind."

(Ullmer, Nr. 247.)

Um nun von der Kompetenzfrage aufs materielle Gebiet überzugehen, so wollen wir, dem Gedankengange in der bundesräthlichen Motivirung folgend, zunächst in beregter -Bundespraxis
Umschau halten, welche eben die Ausbildung, die Krystallisirung des Bundesrechtes ist, und auch nach Bewußtsein und Willen der eidgenössischen Legislative, zumal in Gerichtsstandsfra'gen, die mangelnden gesetzlichen Bestimmungen zu ersetzen hat. Diese Praxis war für unsern Fall bis im Jahre 1863 mehr eine fließende, oder sie hat sich zu einem Electivforum, wenn nicht gar zum Vorzug

177 des forum domicilii hingeneigt. Uebrigens finden wir in dieser Periode Entscheide des Bundesrathes und nicht Entscheide der Bundesversammlung. Im Jahre 1863 ist nun aber diese Praxis von der Bundesversammlung fixirt und in bewußtem Gegensatze zu einem vorliegenden Entscheide des Bundesrathes fixirt worden. Und mit Recht scheint uns sonach der Bundesrath in seinen heutigen Erwägungen auf den Fall Bise, als auf diesen Wendepunkt hinzuweisen. Da war es die ständeräthliche Kommissionsmehrheit -- beziehungsweise deren Berichterstatter Dr. Rüttimann -- welche ein.

feststehendes, seither von Bundesrath und Bundesversammlung immer beachtetes Präcedens in's Leben rief. Das Bezirksgericht Payerne, Kantons Waadt, kontumazirte den in St. Aubin, Kantons Freiburg, wohnhaften Alex. Bise wegen in Payerne begangener Verleumdung zu Buße und Entschädigung. Das strafende Gericht inotivirte dahin, daß der waadtländische Code pénal Verleumdungen als strafbare Vergehen erkläre, und daß somit das forum delicti commissi zuständig sei. Der Bundesrath hob das Urtheil auf, indem er erachtete, die Injurienklage habe zunächst einen civilprozessualischen Charakter und die Straffolge sei lediglich ein Accessoriurn, deßnahen subsumire sich der Fall unter Art. 50 der Bundesverfassung. Die ständeräthliche Kommissionsmehrheit sagte in ihrem oppositionellen und siegreichen Referate: ,,Wenn früher bezüglich des Kantons Solothurn der Fall Häuser anders entschieden worden, so faßte eben die solothurnische Gesetzgebung die Injurie ganz anders auf, als diejenige des Kantons Waadt. In Solothurn bildet die Strafe bloß einen Theil der Genugthuung, und es trägt die Genugthuungsforderung einen rein civilrechtlichen Charakter an sich, sie erscheint als eine persönliche Civilansprache. Man war damals von allen Seiten einverstanden, daß eine Verletzung des Art. 50 der Bundesverfassung stattgefunden habe, wofern nicht eine freiwillige Unterwerfung des Beklagten unter die solothurnischen Gerichte vorliege.

Wir tragen Bedenken, die Grundsätze, welche aus Art. 55 der Bundesverfassung und aus dem Bundesgesetz'e betreffend Auslieferung von Verbrechern herfließen, auf Fälle anzuwenden, in denen ein Auslieferungsgesuch nicht zuläßig ist." Auf den Sieg des Rüttimannschen Referates weist auch Dr. Blumer in der Vorrede zum zweiten Band seines
Bundesstaatsrechtes als auf einen maßgebenden Wendepunkt im Gange der Dinge hin, indem er dahin reassumirt: ,,die Bundesversammlung habe für das forum delicti sich ausgesprochen, sofern überhaupt nach der Gesetzgebung des betreffenden Kantons Injurien vorherrschend als Straffälle behandelt werden.'-' Wir weisen Aarauf hin, daß in letzterm Satze kategorisch und ausschließlich doni forum delicti, lediglich von diesem die Rede ist.

178 Man spitzte die These so zu: Es kommt darauf an, ob nach der Gesetzgebung des betreffenden Kantons · die Injurie grundsätzlich und primär als Strafsache oder als Civilsache behandelt wird. In ersterm Falle entscheidet das forum delicti commissi, in letzterm Falle das forum domicilii. Und an diesem Entscheide der beiden Räthe bildete sich eine konstante undnmwandelbare bundesrechtliche Praxis aus. Wir untersuchen heute nicht, ob dieser Entscheid die rationellste Lösung der schwebenden Frage war, aber für irrationell und geradezu gefährlich würden wir es halten, alle Consequenz aus dem Bundesrechte zu verbannen, heute so, morgen anders zu entscheiden und dergestalt sowohl dem Bundesrathe als den kantonalen Gerichten jede feste Richtschnur zu benehmen. Wir stoßen in den Annalen des Bundesrechtes nicht nur auf den Fall Olgiati contra Streiff, sondern auch im Jahre 1864 auf den Fall Müller contra Bryner, wo ganz mit gleicher Motivirung und mit Hinweis auf den Fall Bise entschieden, worden. Wenn übrigens auch in bisherigen Fällen die Frage so lag: ist das forum delicti unter Umständen kompetent? und'heute so: ist dieses forum delicti unter Umständen einzig kompetent? so sind wir der Ansicht, daß gemäß jeweiligen Motiviruugen die letztere Frage implicite und bewußt mitentschieden wurde. Wir weisen da weniger noch auf die nachstehenden bundesräthlichen Motive hin, welche zwar auch nicht das Gegentheil besagen, wenn immerhin der Bundesrath seiner eigenen frühern Anschauung entgegentreten mußte, wohl aber u. A. auf'unser Citât aus Dr. Blumer's Bundesstaatsrecht und auf die beiden Referate im Falle Curti contra Müller. Wir finden da keineswegs den Satz: das forum delicti ist a u c h kompetent, oder: es ist a l t e r n a t i v kompetent, sondern pure, nackt: das forum delicti ist als das zuständige forum zu betrachten. -- Im Falle Curti contra Müller von Uri lesen wir in dei- bundesräthlichen Motivirung: ,,Anbelangend die Frage, ob die st. gallischen Gerichte zur Beurtheilung der Klage des Herrn Curii kompetent gewesen seien, so kommt es nach der jetzigen bundesräthlichen Praxis wesentlich auf den Umstand an, ob derselbe eine Straf- oder Civilklage erhoben habe, indem im erstem Falle der Beurtheilung derselben am Orte des begangenen Deliktes keine Bundesvorschrift im Wege steht. Hierüber gibt einerseits
die Anbringung der Klage Aufschluß, welche als Hauptzweck Schutz der gekränkten Ehre und Bestrafung des Beklagten anstrebte, und andererseits das Strafgesetzbuch von St. Gallen, welches die Ehrverletzungen unter die Delikte aufgenommen hat, zuerst die darauf gesetzten Strafen aufzählt und erst als Accessorium beifügt, daß in allen Fällen durch das gerichtliche Urtheil auch die Ehr Verletzungen als aufgehoben erklärt werden sollen. Auf die strafrechtliche Substanz der Klage kann nicht alterirend einwirken

179 die formale Vorschrift, welche das Verfahren des Civilprozesses vorschreibt, noch der Umstand, daß das ordentliche Bezirksgericht, welches übrigens durch das Strafurtheil sich als korrektionelles Gericht darstellt, urtheilt." Wir legen auf letztern Satz Betonung, einerseits, weil die aargauische Gesetzgebung, im Gegensatze zuist, gallischen, für die Behandlung der Injurienklage die strafprozessualische Form vorschreibt, anderntheils, weil eben auch im Kanton Aargau selbstverständlich das civile Bezirksgericht zum korrektionellen Gerichte sich umgestaltet, sobald es Strafurtheile fällt, und weil es eben auch in letzterer Eigenschaft seine verfassung'sgemäß (Art. 16) nicht zu überschreitende Kompetenzumschreibung hat. Schärfer noch, als der Bundesrath, sprach sich im Falle MüllerCurticder deutsche Berichterstatter der nationalräthlichen Kommission, Herr Bünzli, aus: ^Als m a ß g e b e n d e s , die kantonalen Gesetzgebungen dorninirendes B u n d e s r e c h t steht dermalen, nach Ausgleichung früherer Schwankungen (also im Gegensatze zu diesen Schwankungen) für Ehrverletzungen f e s t . Wird nur das civilrechtliclie Moment festgehalten und richtet sich die Klage nur auf Gutmachung der Verletzung und Schadenersatz, oder liegt, dieses Prinzip der Gesetzgebung des betreffenden Kantons, in welchem die Ehrverletzung vorgefallen, zu Grunde, wenn auch mit allfälliger accessorischer Bußandrohung, so ist die Klage beim Richter des Wohnorts des aufrechtstehenden Beklagten anzubringen und kann (in diesem Falle) jedenfalls da angebracht werden. Werden hingegen in einem betreffenden Kanton die daselbst vorgekommenen Ehrverletzungen als Gegenstand des Strafrechtes, d. h. als Vergehen behandelt, wo die Strafe die Hauptfolge und Restitution der Ehre und Entschädigung als Civillblgen accessorisch sind, wie in St. Gallen, so ist für daselbst begangene Ehrverletzungen, wenn die Straf klage intentionirtt wird, der dortige R i c h t e r kompetent." Wenn möglich kategorischer noch und ganz präzis gipfelt sich der sehr einläßliche, alle Präcedentien erörternde, französische Bericht von Herrn Ceresole in folgendem sublinirtem Hauptsatze : ,,Dans les cantons où les atteintes à l'honneur sont reprimées par voie pénale, cette répression d o i t être poursuivie au lieu où l'acte attentoire a été commis.'1 Das lautet über
alle Maßen bestimmt: ^elle d o i t être poursuivie au lieu etc.11 und läßt überall keine Auswahl zu.

Niemand widersprach», wie denn schon die Kommission mit Einmuth zu ihren Referenten stund. Also weder im Fall Bise, noch in letzterm Falle, ist vcn einem Electivforum die Rede, sondern die Conclusion ging überall dahin: aut-aut, entweder ist die Injurie civilrechtlichen Charakters, dann ist der Injuriant bei Feuer und Licht zu suchen, oder der Delikts-Charakter überwiegt nach dem positiven kantonalen Rechte, dann gilt der Gerichtsstand des be-

180 gangenen Vergehens. Wenn Ullmer an einem Orte sagt: bei Strafsachen gelten in der Schweiz das forum domicilii und das forum delicti, so ist dieser Satz, entnommen einer bundesräthlichen Motivirung aus dem Jahre 1858 anläßlich eines ganz andern Spezialfalles, eben ein allgemein lautender Satz, welcher wie fast alle derartigen Sätze eine gewisse Berechtigung, aber immerhin unter gewissen Beschränkungen aufzuweisen hat. Gesetzgeberisch ist dieser Satz von' Eidgenossenschafts wegen nirgends hingestellt, und die Ausbildung des Bundesrechtes, wie auch kantonales Recht, ordnen die Grenzlinien seiner Berechtigung; es gilt eben auch hier: exceptio firmat regulam und nulla régula sine exceptione. Uebrigens sind die Injurienklagen an sich schon eigenthümlicher Natur und erleiden darum auch im schweizerischen Rechte eine eigenthümliche Behandlung. Auch das Auslieferungsgesetz fußt nicht -- wobei wir uns auf eine Diskussion aus dem Jähre 1872 berufen können -- auf dem Boden eines prinzipiell ebenbürtig konkurrirenden Gerichtsstandes, sondern im Grundsatze ist in ihm, wie Hauptartikel l besagt, das forum delicti hingestellt, und subsidiär nur, mehr aus politischen als aus juristischen Motiven, ließ man dann das forum domicilii suppliren. Der konkurrirende Gerichtsstand, mit dem konsekutiven Jagen nach der Priorität, dürfte überhaupt bei den zeitgenössischen Strebungen und Anschauungen mehr und mehr als antiquirt erscheinen. Auch in den Compendien des gemeinen Rechtes finden wir für'Vergehen dem forum delicti kaum weniger eine bevorzugte Stelle eingeräumt, als dem forum domicilii für persönliche Ansprachen.

Wir finden da hervorgehoben, daß nach römischem Rechte der Gerichtsstand des begangenen Vergehens, wo nicht der ausschließlich gültige, doch wenigstens der vorherrschende gewesen ist. Und wir begegnen da der Betrachtung, daß dieser Gerichtsstand als der zweckmäßigste erscheine, weil er die Untersuchung erleichtere und den Eindruck erhöhe.

Nun ist aber konstatirt, daß im Kanton Aargau die Injurienklage durchaus einen strafrechtlichen und strafpvozessualischen Charakter hat. § l des aargauischen Zuchtpolizeigesetzes zählt unter den z u c h t p o l i z e i l i c h zu bestrafenden V e r g e h e n die Ehrv e r l e t z u n g auf. Die Klage war aber auch ganz prinzipiell eine Straf klage, und 1. a. des klägerischen
Petitums forderte: ^der Beklagte sei zu einer der Klage angemessenen S t r a f e zu verurtheilen", und die Klage m u ß t e diese Form haben, denn nach aargauischer Gesetzgebung kann eine Injurie n u r Stoff zu rechtlichem Auftreten bieten, sofern sie Deliktscharakter an sich trägt, es entscheidet daher der Zuchtpolizeirichter und zwar nach den durch das Gesetz über das Z u c h t p o l i z e i v e r f a h r e n vorgeschriebenen P r o z e ß O

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181 formen. Wenn in zweiter Linie Genugthuung und Entschädigung verlangt wurde, so alterirt das den durch das Gesetz besiegelten Hauptcharakter der Klage nicht, es ist diese Genugthuungsforderung so gut ein berechtigtes Accessorium, als eine Schadenersatzforderung bei anderweiten Deliktsklagen, und es ist diese accessorische Behandlung eben das Specifikum des Adhäsionsprozesses, während der Charakter der Hauptklage entscheidend für das forum ist.

Und bezüglich des forum spricht das aargauische Zuchtpolizeigesetz über die Maßen klar. § 21 setzt fest, daß die Beurtheilung eines Vergehens demjenigen Gerichte zusteht, in dessen Gerichtss p r e n g e l dasselbe begangen worden. § 29 statuirt, daß ein Einwohner des Kantons, wenn er in einem andern Staatsgebiete ein Vergehen begangen hat, an seinem Wohnorte belangt werden kann., j e d o c h lediglich unter der V o r a u s s e t z u n g , daß er sich der strafrechtlichen Verfolgung d u r c h die B e h ö r d e n des Ortes der Begehung e n t z o g e n hat. Nun wollte sich Beklagter Dreifuß nicht nur der strafrechtlichen Verfolgung vor den luzernischen Gerichten auf keine Art entziehen, sondern er verlangte ausdrücklich, und das ist der ganze Streit, daß er in Luzern angegriffen werde.

Das sagt das aargauische G e s e t z , und die aargauische V e rf a s s u n g sagt: ^Niemand darf seinem g e s e t z l i c h e n Richter entzogen werden." Also liegt offenbar eine zu reparirende Läsion der unter Bundesgarantie stehenden aargauischen Kantonsverfassung vor. Die aargauische Verfassung legt gegenüber dortiger kantonaler Behörde den Schutz jedee gesetzlichen Gerichtsstandes in die Kompetenz und Pflicht der Eidgenossenschaft.

Wir erlauben uns nur noch, den Schlußsatz der Beschwerdeschrift des Dreifuß einzuschalten: ,,Wir hätten, falls das aargauische Urtheil aufrecht erhalten werden wollte, die eigenthümliche Erscheinung, daß in einem Falle, wo die Klage als eine Strafklage sich darstellt, ein Aargauer, der einen Waadtländer in Luzern beschimpft haben soll, seinem natürlichen Strafrichter entzogen und vor einem Richter belangt werden könnte, der nicht nur nach der übereinstimmenden Ansicht sämmtlicher drei, möglicherweise in Betracht fallenden Kantone, sondern auch gemäß bundesrechtlicher Praxis der inkompetente ist, und zudem, dem Klagschlusse nach zu urtheilen,
das materielle aargauische Strafrecht anwenden soll, was allen Rechtsbegriffen Hohn spräche." Die Beschwerdeschrift hätte beifügen können, daß das aargauische Urtheil mindestens ebenso frappant als gegen die bundesrechtliche Praxis und gegen das aargauische Verfassungsrecht sich verstößt.

182 Tit. ! Weil, selbst nach Ansicht des aargauischen Obergerichtes, die vorliegende Frage, als über die Kantonsgrenze hinauszielend, sich unter eidgenössisches Recht stellt und analoge Fälle stetig auch vom Bunde behandelt wurden, wie auch, weil es sich um ein konstitutionell gewährleistetes Recht eines Schweizerbürgers handelt; weil das Bundesrecht die Ehrverletzungsklage vor das forum delicti weist, sofern der Ehrverletzung durch die betreffende kantonale Gesetzgebung strafrechtlicher Charakter zugemessen wird; weil das aargauische Recht ihr diesen Charakter gibt, wie hinwieder die Klage, nach Gesetzesvorschrift, formell und materiell eine Klage auf Strafe ist; weil dieses aargauische Recht grundsätzlich und in erster Linie einzig den .Gerichtsstand des begangenen Vergehens als zur Abwandlung kompetent hinstellt, und hievon eine Ausnahme nur unter Umständen zuläßt, welche hier entschieden nicht eintreffen, weil die aargauische Verfassung den gesetzlichen Richter für alle Fälle gewährleistet, so schließen wir dahin : Der Rekurs des Salonion Bloch gegen den Entscheid des Bundesrathes vom 24. Juli 1873 wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 18. September 1873.

Mit vollkommener Hochachtung!

Für die Kommissionsmehrheit: Theodor Wirz.

Note. Der Mekrheitsantrag wurde vom Ständerathe angenommen am 19. September 1873.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Kreirung der Stelle eines Adjunkten des eidg. Oberbauinspektors.

(Vom 1. Oktober 1873.)

Tit.!

Wir finden uns im Falle, bei der hohen Bundesversammlung den Vorschlag einzubringen, dieselbe möchte genehmigen, daß im Departement des Innern, Abtheilung Bauwesen, die Stelle eines Adjunkten des Oberbauinspektors mit einem Gehalte von Fr. 4500 bis Fr. 5500 errichtet werde.

Für die Begründung dieses Vorschlages findet sich der Ausgangspunkt in dem Bundesbeschlusse vom 15. Christmonat 1870 über Errichtung der Oberbauinspektorsstelle selbst, indem derselbe dieser Beamtung ausdrüklich auch die Leitung und Beaufsichtigung der Arbeiten der hydrometrischen Kommission übertrug.

Wie bekannt, leistete der Bund für diese Arbeiten an die Schweiz, naturforschende Gesellschaft, beziehungsweise die von dieser hiefür bestellten Kom mission, einen jährlichen Beitrag von Fr 10,000.

Die Arbeiten wurden aber direkt von einem unter jener Kommission stehenden hydrometrischen Zentralbüreau besorgt und, weil daher die Stellung der erstem die einer Aufsichtsbehörde war, fand sie

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1873

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08.11.1873

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174-183

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10 007 923

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