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Bericht der

ständeräthlichen Kommission, über den Recurs des Gemeinderathes von Murten.

(Vom 12. November 1873.)

Tit.!

Der Kanton Freiburg besaß bis zum 30. November 1872 ein vom 7. Mai 1864 datirtes Gemeindegesez, welches die niedergelassenen Kantonsbürger bereits vollständig, die niedergelassenen Schweizerbürger gänzlich von jeder Theilnahme an der Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten ausschloß.

Die letzteren hatten auch in Fragen der Steuererhebung und daheriger Rechnungsablage gar keine, die ersteren nur berathende Stimme.

Eine Ausnahme hievon bestand thatsächlich nur in der Stadt Freiburg, in welcher ein von den eingesessenen Bürgern und den steuerpflichtigen Kantonsbürgern gewählter G e n e r a l r a t h bestand und die Interessen der Einwohnerschaft besorgte.

Am 30. November 1872 entschloß sich der Große Rath, den durch die Bundesrevision wachgerufenen treibenden Ideen "*RechnungO O tragend, an das Prinzip der Einwohnergemeinde einige Concessionen zu machen, indem er durch Gesez vom genannten Tage den niedergelassenen Kantons- und Schweizerbürgern das aktive Stimmrecht

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in allen Steuerangelegenheiten und Fragen des ,,öffentlichen Dienstes" einräumte, und dabei zugleich auf die Stadtgemeinden Bulle, M u r t e n , Stäfis und Remund und alle übrigen Gemeinden von über 1500 Seelen das erwähnte I n s t i t u t des G e n e r a l r a t h e s als obligatorisch ausdehnte.

Dieser Generalrath wird von der Einwohnerschaft je für 4 Jahre gewählt, tritt in allen nichtbürgerlichen Angelegenheiten an die Stelle der Bürgergemeinde, deren bisherige Competenzen er ausübt, und besieht in Gemeinden von 1500 bis 5000 Seelen, zu welchen die Gemeinde Murten zählt, aus 50 Mitgliedern und 8 Suppleanten.

Gegen dieses Institut des Generalrathes und die seit Erlassung des Gesezes daran geknüpften regiminellen Erlasse ist nun der Rekurs des Gemeinderathes von Murten gerichtet, welcher unterm 8. August 1. J. vom Bundesrathe bereits abschlägig beschieden worden ist.

Was vorab die erwähnten Regiminalerlasse betrifft,, so liefen O deren zwei in Frage, deren einer dem Generalrath die Competenz zuerkannte: das Gern ei n de-Budget, soweit es den ,,Stadtseckel (das zu allgemein-örtlichen Zwecken dienende Gut) und die Schulrechnung betrifft, zu behandeln, der andere einen Bügergemeindebeschluß cassîrte, womit die B ü r g e r s c h a f t über die dem BroyeThal-Eisenbahnunternehmen zugedachte Subvention in Rücksicht auf eine Fusion mit der Jurabahngesellschaft von sich aus zu disponiren versucht hatte.

Beide Beschlüsse des Staatsrathes basiren auf dem Geseze vom 30. November 1872 und s t e h e n o d e r f a l l e n m i t d i e s e m s e l b s t , -- und es fällt die Erörterung ihrer Rechtsbeständigkeit mit derjenigen über das Gesez selbst zusammen.

Was nun die gegen das letztere erhobenen Beschwerdepunkte anbelangt, so lassen sich dieselben dahin zusammenfassen: Ì. Die Verfassung garantire den Bürgergemeinden das Eigenthum an sämmtlichem Genieindevermögen, mit Ausschluß des Einwohnerelementes.

Indem das Gesez den Generalrath mit der Verwaltung eines Theiles dieses Vermögens betraue, verletze es den Art. 12 der Verfassung vom Jahre 1857, also lautend: ,,Das Eigenthum ist unverletzlich," und den A r t . 77 der Verfassung, welcher sagt: ,,Alle Gemeinden stehen unter der Oberaufsicht des Staates.

Bundesblatt. Jahrg. XXV. Bd. IV.

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682 ,,Es steht ihnen v o r b e h a l t l i c h dieser Aufsicht die ,, f r e i e V e r w a l t u n g i h r e s V e r m ö g e n s z u , w e l c h e s über,,dies u n t e r d i e G a r a n t i e d e s Art. 1 2 g e g e n w ä r t i g e r ,, V e r f a s s u n g g e s t e l l t ist. a Die Verfassung, so glaubt der Rekurrent, habe im Jahre 1857 nur die Bürgergemeinde als solche gekannt und vor Augen gehabt, und folglich auch nur d i e s e r in besagter Weise das ausschließliche Eigenthums- und Verfügungsrecht an allem Gemeindevermögen für alle Zeit garantirt.

Auch seien in der Verfassung (Art. 76) als Glieder des Gemeindeorganismus nur vorgesehen: a. Die Gemeindeversammlung, b. der Gemeinderath, c. der Gemeindeammann.

Das Institut des G e n e r a l r a t h e s dagegen sei der Verfassung; völlig fremd und demnach, weil in derselben nicht vorgesehen, ver fassungswidrig-.

2. Das den größeren Ortschaften oktroyrte Institut des Generalrathes enthalte überdies einen Verstoß gegen jede r e p u b l i k a nische Gemeindeordnung und eine förmliche Bevogtigung der dem Regimente mißbeliebigen städtischen Bevölkerungen, indem der Generalrath einerseits in die größte Abhängigkeit von der Regierung versetzt sei: derselbe werde von einem durch die Regierung gewählten Amtmann präsidirt, welchen die Verfassung selbst als den ,,Agenten11 der Regierung bezeichne ; auch seien die Beschlüsse des Generalrathes in den minutiösesten Dingen an die Genehmigung des Staatsrathes, oder aber des ebenfalls vorn Staatsrathe gewählten Ober-Amtmanns geknüpft. Anderseits absorbire der Generalrath so zu sagen vollständig alle C o m p e t e n z e n , welche bisanhin der Gemeindeversammlung zugestanden seien ; dieser verbleibe fortan nur das Recht, den Generalrath zu wählen, und es werde demzufolge die Gemeindeautonomie in unstatthafter Weise auf ein Minimum herabgemindert.

Trotz sorgfältiger Prüfung dieser Beschwerdepunkte vermochte jedoch Ihre Commission nicht zu dem Resultate zu gelangen, daß für die Bundesbehörden ein rechtlicher Grund vorhanden sei, die Novelle vom 30. November 1872 umzustoßen.

1. Was zuvörderst die Klage über die dem Generalrathe darin angewiesene A b h ä n g i g k e i t von der Regierungsgewalt anbelangt, so ist zu bemerken, daß ganz dasselbe Verhältniß bis zum

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Erlasse genannten Gesezes auch für die Gemeinde und ihren Gemeinderath bestanden hat und einzig in dem Ressort der Geschäfte eine T h ei l un g zwischen Bürgerschaft und Generalrath nach dem Gesichtspunkte der bürgerlichen und Einwohnerelemente eingetreten ist. Auch der früher ungeteilten Gemeinde gegenüber hatte der Staatsrath, resp. sein Oberamtmann, genau die gleichen Competenzen, welche demselben nun dem Generalrath gegenüber zustehen, sowie denn auch der gleiche ,,Agent" der Regierung als Präsident der Gemeinde und des Gemeinderathes funktionirte, welcher nun den Vorsiz im Generalrathe führt.

D a s V e r h ä l t n i ß d e s S t a a t s r a t h e s u n d^ s e i n e r Organe zu dem neugeschaffenen Generalrathe ist g e n a u d a s s e l b e g e b l i e b e n , wie es der u n g et h e i l t . e n G e m e i n d e u n d i h r e m O r g a n e , d e m Gemeinde rat he, gegenüber bestund.

Was dagegen die Stellung der G e m e i n d e zum G e n e r a l r a t h e und den dem letztern zugewiesenen C o m p e t e n t e nk r e i s anbelangt, so ist allerdings nicht zu verkennen, daß die daherige Einrichtung einen höchst ,,reprasenta ti vena Charakter an sich trägt, indem wirklich der Gemeinde von ihrer Souveränität lediglich das Wahlrecht verbleibt, während alle übrigen Befugnisse derselben an den Generalrath devolvili wurden.

Dies Alles kann jedoch zu einer Einmischung der Bundesgewalt keine Veranlaßung geben, weil hiefür eine Verletzung v e r f a s s u n g s m ä ß i g e r R e c h t e des Bürgers vorliegen müßte. Dies ist aber weder in der Stellung des Gemeinderathes zum Staatsrathe, noch in derjenigen zur Gemeinde . zu finden ; in der Stellung zürn Staatsrathe nicht, weil diesem im Art. 77 der Verfassung ganz allgemein die Aufsicht über die Gemeindeverwaltung zugewiesen und es somit Aufgabe der Gesezgebung ist, dieselbe in mehr oder minder stringenter Weise auszubilden; in der Stellung zur Gemeinde nicht, weil die Verfassung selbst keine Grundsätze darüber aufstellt, welche und wie viele Befugnisse die Gemeinde selbst auszuüben und wie viele derselben das Gesez an ihre Organe übertragen könne und solle.

2. Eben so wenig konnten wir die von uns ausgehobenen Beschwerden über Verletzung der §§ 12 und 76 der Verfassung als begründet erachten.

Mag der Verfassung vom Jahre 1857 auch das Prinzip der Einwohnergemeinde nicht speziell vorgeschwebt haben, so ist doch so viel gewiß, daß die Entwicklung desselben je nach dem Fort-

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schritte liberalerer Anschauungen durch die Verfassung selbst nicht ausgeschlossen ist, und dessen gesetzliche Entfaltung somit innert dem R a h m e n der Verfassung R a u m findet.

Wenn Art. 12 derselben im Allgemeinen das ,,Eigenthum gewährleistet" so ist damit vorab in Rücksicht über die Frage : wem dieses Eigenthum gewährleistet werde, und noch viel weniger über den Organismus der Gemeinden -- selbstverständlich Nichts gesagt.

Näher tritt uns die Frage in der Bestimmung des "A r t. 77 der Verfassung entgegen, indem derselbe allerdings sich dahin ausdrückt: ,,Den Gemeinden steht die freie Verwaltung ihres Vermögens unter der Aufsicht des Staates zu; d i e s e l b e n s i n d u n t e r die G a r a n t i e v o n A r t . 12 d e r V e r f a s s u n g gestellt."

Abgesehen aber davon, daß diese Garantie des Eigenthums nach dem ganzen Zusammenhang des Artikels eher als eine solche, welche dem Staate gegenüber ertheilt worden ist, sich darstellt,-- und mit der O r g a n i s a t i o n der G e m e i n d e n als solcher Nichts zu schaffen hat, so ist daran zu erinnern, daß die Novelle vom 30. November 1872 an dem Eigenthumsverhältniß der Gemeindegüter gar Nichts ändert, indem dieselbe keinen irgend w e l c h e n Thcil des Eigenthums am Gemeindevermögen als solchen auf eine Einwohnergemeinde überträgt; das Eigenthumsrecht verbleibt vielmehr auch nach dem Geseze vom 30. November 1872 vollständig bei der Bürgergemeinde, von welcher lediglich gewisse V e r waltungsBefugnisse abgetrennt und an ein neugeschaffenes Organ, den Generalrath, übertragen worden, in welchem, beiläufig gesagt, überdies die Elemente der Einwohnerschaft sehr mäßig und in der Art vertreten sind, daß die Mehrheit stets aus Ortsbürgern gebildet sein muß.

Ist nun anderseits dieses Institut auch in den von der Organisation der Gemeinde handelnden Verfassungsbestimmungen (Art. 76) n i c h t speziell aufgeführt, so ist er anderseits durch diese auch nicht a u s g e s c h l o s s e n , -- dies um so weniger, als der in unmittelbarer Verbindung damit stehende Art. 77 der Verfassung ausdrücklich die Bestimmung enthält: ,, D a s G e s e z t r i f f t a l l e ,,auf d i e p o l i t i s c h e u n d a d m i n i s t r a t i v e Organi,, s a t i o n d e r G e m e i n d e n b e z ü g l i c h e n A n o r d n u ngen", womit also ausdrücklich dem Gesezgeber die Einführung auch anderer und mehrerer, in der Verfassung selbst nicht ausdrücklich vorgesehener Verwaltungsorgane reservirt worden ist.

685 Dabei ist schließlich zu erinnern, daß, wie erwähnt, das Institut der Generalräthe schon durch das Gemeindegesez vom Jahre 1864, wenn auch in beschränkterem Umfange eingeführt worden ist und seit jener Zeit in der Hauptstadt des Kantons bestanden hat, ohne daß darin irgend eine Verletzung der Verfassung erblickt worden wäre.

Nach all' diesem gelangte Ihre Commission daher einstimmig zu der Ansicht, den Rekurs als unbegründet zu erklären, und stellt Ihnen den Antrag: den Rekurs abzuweisen.

B e r n , den 12. November

1873.

Namens der Kommission, Der B e r i c h t e r s t a t t er: Hoffmann^ Ständerath.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Konzession von Eisenbahnen von Ziegelbrücke bis Näfels und von Glarus nach Linththal.

(Vom 12. Dezember 1873.)

Tit.!

Die natürliche Folge des Umstandes, dass die linksufrige Zürichseebahn bei der Station Ziegelbrücke in die Vereinigten Schweizerbahnen einmündet, war der Plan, für den vom Zürichsee nach dem Glarnerlande und umgekehrt sich bewegenden Verkehr den Umweg über Weesen abzusehneiden. Sowohl die Vereinigten Schweizerbahnen als die schweizerische Nordostbahn bemächtigten sich dieser Idee und reichten Konzessionsgesuche für eine Eisenbahn von der Station Ziegelbrücke nach Näfels ein. In ähnlicher Weise konkurrirten die beiden Gesellschaften um Ausführung der Linie GlarusLinththal. Als jedoch der Kanton Glarus den für leztere von der Nordostbahn offerirten Bedingungen den Vorzug gegeben hatte, trat die Gesellschaft der Vereinigten Schweizerbahnen von der Konzessionsbewerbung zurük.

Von den zur Konzessionirung vorliegenden Linien zweigt die eine bei der Station Ziegelbrücke ab, führt oberhalb derselben über den Linthkanal, versieht die Ortschaften Nieder- und Oberurnen mit einer kleinen Station in ,,Espen" und mündet in den Bahnhof

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Bericht der ständeräthlichen Kommission, über den Recurs des Gemeinderathes von Murten. (Vom 12. November 1873.)

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1873

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27.12.1873

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