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Bericht der

Mehrheit der nationalräthlichen Commission über den Recurs der Pfarrgeistlichkeit des Kantons Solothurn gegen das Wiederwahl-Gesez vom 28. November 1872 und den Entscheid des h. Bundesrathes vom 4. April 1873.

(Vom 18. Juli 1873.)

Tit.

Der Sachverhalt und die Rechtsfrage dieses Rekurses sind kurz folgende: Am 28. November 1872 hat der Kantonsrath von Solothurn ein Gesez über die Wiederwahl der Geistlichen erlassen, welches besonders zwei hier in Betracht kommende Bestimmungen enthält: 1. ,,Die Konfessionsgenossen einer Kirchgemeinde haben jeweilen ,,einen doppelten Vorschlag aus den Bewerbern zu Händen ,,der wählenden Behörde zu machen und diese wählt dann ,,auf die Dauer von 6 Jahren."

2. ,,Für Geistliche, welche bei Erlaß dieses Gesezes bereits defi,,nitiv angestellt sind, beginnt die Amtsdauer von 6 Jahren ,,vom Tage an zu laufen, an dem dieses Gesez in Rechtskraft tritt."

604.

Gegen dieses Solothurn beim h.

verlangt, und vom die eidgenössischen

Gesez hat sich nun die Pfarrgeistlichkeit von Bundesrathe beschwert und dessen Aufhebung Bundesrathe abgewiesen, wendet sie sich jezt an Räthe und stellt das

Rechtsgesuch: ,,Es möge die h. Bundesversammlung in Aufhebung des bun,,desräthlichen Entscheides das solothurnische Gesez über die Wie,,derwahl der Pfarrgeistlichen vom 28. November 1872 von Bundes,, wegen aufheben und den frühern Staats- und kirchenrechtlich, .,,durch Vertrag und Verfassung sanktionirten Rechtszustand hin,,sichtlich der auf Lebenszeit der Benefiziaten ertheilten geistlichen ,,Benefizien aufrecht erhalten."

Indem wir über dieses Gesuch Bericht erstatten, sollen wir folgende allgemeine Bemerkung vorausschiken : Seit dem vatikanischen Konzil sind die kirchlichen Fragen in allen Staaten Europas und auch fast in allen Kantonen der Schweiz in den Vordergrund getreten und haben einen Umfang und eine Bedeutung gewonnen, daß nicht nur das Gedeihen und der Friede der Kantone gefährdet, sondern auch die Eidgenossenschaft selbst in den Kreis ähnlicher Gefahren hineingezogen zu werden bedroht ist.

Es ist deßwegen gut, daß über so schwere Konflikte ein Richter besteht, und daß die im Kanton Solothurn so heftig streitenden und verbitterten Parteien nicht nur die Bundesbehörden angerufen und ihren Entscheid nachgesucht, sondern auch durch den richtigen Saz, welchen sie auf p. 8 ihrer Rekursbeschwerde aufstellen, daß nur die Kirche und der Polizeistaat nebengeordnet seien, daß aber beide gleichmäßig unter dem h ö h er n Staatsbegriffe, der sowohl das Rechts- als Kultur-Leben des Volkes umfaßt, stehen, die K o m p e t e n z der B u n d e s b e h ö r d e n anerkannt haben.

Es steht daher zu erwarten, daß die Parteien, welche den Entscheid des Bundes angerufen haben, ihn auch anerkennen und in guten Treuen halten werden und so Ruhe und Frieden wiederhehren werde.

Die Rekursbeschwerde selbst betreffend, so wird vorerst ein formeller Einwand erhoben und deßwegen noch mehr betont, weil der Bundesrath in seinem Beschlüsse gar nicht darauf eingetreten ist.

Die Verfassung des Kantons -Solothurn enthält nämlich die Bestimmung, daß die Volksabstimmungen über die Geseze in d e r

605 R e g e l im Frühling und Herbst stattfinden sollen. Das Wiederwahlgesez über die Geistlichen ist nun am 28. N o v e m b e r erlassen, durch Regierungsverordnung vom 12. December auf den 22. D e c e m b e r 1872zur Volksabstimmung gebracht und vom Volk mit 7585 Stimmen gegen 6083 Stimmen, also mit 1502 Stimmen Mehrheit angenommen worden.

Wenn nun die Beschwerde diese Abstimmung deßwegen angreift, weil sie nicht im Frühling oder Herbst stattgefunden habe und weil die Kürze der Zeit nicht die nöthig Prüfung gestattet habe, so ist darauf zu erwidern, daß die Abstimmung im Winter jedenfalls keine Verfassungsverlezung enthält, indem die Verfassung die Volksabstimmung nur in der R e g e l auf Frühling und Herbst beschränkt und somit eine A u s n a h m e ausdrüklich gestattet und diese hier auch durch die Umstände gerechtfertigt scheint. Allein auch in Bezug auf die Kürze der Zeit scheint nicht einmal ein begründeter Vorwurf zu liegen, indem das Gesez sehr einfach ist, schon vorher auch öffentlich besprochen wurde und die Parteistellung fest und bestimmt war, so daß eine längere Zeit statt zu einer ruhigen Prüfung nur zu unnöthigen Agitationen geführt hätte.

Dieser formelle Einwand hat also offenbar nichts auf sich.

Die sachlichen Gründe betreffend, so behauptet die Rekursbeschwerde daß das Wiederwahlgesez im Widerspruch stehe: 1. mit dem § 3 der Verfassung des Kantons Solothurn vom 19. Januar 1851 und dem § 44 der B u n d e s v e r f a s s u n g vom 12. September 1848; II. mit der G e s e z g e b u n g des Kantons Solothurn; III mit dem D i ö z e s a n v e r t r a g vom Jahre 1828; IV. mit dem G e w o h n h e i t s r e c h t des Kantons Solothurn; V. mit dem K i r c h e n r e c h t .

Prüfen wir nun diese fünf Gründe und beginnen wir bei dem lezten oder mit der Behauptung, daß das Gesez dem Kirchenr e c h t widerspreche. Denn wenn die Wiederwahl der Geistlichen selbst dem Kirchenrecht n i c h t widerspricht, so fallen alle andern Argumente deßwegen dahin, weil der Widerspruch mit V erfassung, G e s e z g e b u n g , D i ö z e s a n v e r t r a g und Gewohnh e i t s r e c h t nur d a v o n abgeleitet wird, daß d o r t das kanon i s c h e R e c h t anerkannt und garantirt sei.

Wir bemerken nun aber ad V.

Die Rekursbeschwerde behauptet gar nicht, daß das kanonische Recht und insbesondere das fridentinische Konzil eine Bestimmung

606 für die Lebenslänglichkeit der geistlichen Pfründen enthalte, sondern sie beruft sich nur auf Rechtslehrer, welche die Behauptung selbst wieder aus allgemeinen Grundsäzen ableiten, so daß hienach die Lebenslänglichkeit der geistlichen Pfründen nur als eine Schulansichfc dasteht.

Ja die Rekursbeschwerde anerkennt selbst, daß auch nach dem Kirchenrecht nur das B e n e fi c i u m , nicht aber die Comm e n d a lebenslänglich sei, und dieser richtigen Bemerkung darf man auch noch die Thatsache beifügen, daß nach dem praktischen Kirchenrecht es eigentlich gar keine lebenslängliche Stelle gibt, sondern der Geistliche einfach dem Willen des Bischofs unterworfen und von ihm abhängig ist -- ad nutum episcopi amovibilis.

Diesem Zustand gegenüber muß man daher vielmehr sagen, daß der Geistliche durch dieses Wiederwahlgesez eher gewinnt als verliert.

ad I.

Hier behauptet die Rekursbeschwerde, daß das Wiederwahlgesez deßwegen der V e r f a s s u n g des Kantons Solothurn sowie der B u n d e s v e r f a s s u n g in ihren §§ 3 und 44 widerspreche, weil der ,,besondere Schuz des Staates, welcher der Ausübung der christ,,lichen Religion nach dem römisch-katholischen und evangelisch,,reformirten Glaubensbekenntniß zugesichert ist,u oder ,,die freie ,,Ausübung des Gottesdienstes den anerkannten christlichen Konfessionen gewährleistet ist,u auch die Verfassung der katholischen Kirche in sich schließe und anerkenne, und zwar nicht nur den dogmatischen, sondern auch den organisatorischen Theil derselben.

Darauf ist aber zu erwidern: Die Behauptung, es sei durch die angerufenen Bestimmungen der Kantons- und Bundesverfassung auch das ganze Kirchenrecht anerkannt worden, erscheint so exorbitant, daß man sie bloß zu nennen braucht, um sie auch zu widerlegen. Denn da der § 3 der Kantonsverfassung nicht bloß das römisch-katholische, sondern auch das evangelisch-reformirte Glaubensbekenntniß unter den besondern Schuz des Staates selbst und der § 44 der Bundesverfassung alle anerkannten christlichen Konfessionen gewährleistet, so müßte man konsequent mit der Rekursbeschwerde sagen, daß dadurch nicht nur das k a t h o l i s c h e , sondern, auch das refornrirte, ja das Kirchenrecht aller anerkannten christlichen Konfessionen garantirt sei.

Wenn unter der Gewährleistung der Konfessionen kirchenrechtliche Bestimmungen verstanden sind, so können es gewiß nur Bestimmungen dogmatischer Natur, nur solche sein, welche den

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Kern und das Wesen der Konfession betreffen, niemals aber auch organische Vorschriften und am allerwenigsten die Frage über die Lebenslänglichkeit geistlicher Beamtungen.

Wenn wir nun oben zudem noch nachgewiesen haben, daß sich im kanonischen Recht auch ganz und gar keine Vorschrift findet, welche die Lebenslänglichkeit enthält, sondern vielmehr das Gegentheil anerkannt ist und praktisch gehandhabt wird; so fällt damit auch der lezte Grund der ganzen Argumentation, welche ja nur gegen die W i e d e r w ä h l b a r k e i t der Geistlichen gerichtet ist, in sich selbst zusammen.

«<· Man darf di'eses noch urn so mehr sagen, als sich die Gesezgebungen der Kantone sowie anderer Staaten seit langer Zeit auf Dinge ausgedehnt haben und immer mehr ausdehnen, welche ungleich wichtiger sind als die Wiederwählbarkeit der Geistlichen, und welche zum Theil den Vorschriften des kanonischen Rechts bestimmt widersprechen, wobei wir nur die jezt allgemein anerkannte Steuerp f l i c h t der Geistlichen, die in so vielen, auch gut katholischen Staaten eingeführte Civilehe, die K l ö s t e r a u f h e b u n g etc. berühren wollen.

Schließlich wollen wir nur noch auf das Leben und die Thatsachen in der Schweiz selbst hinweisen. Die Regierung von Solothurn hat in ihrer Erwiderung auf die Rekursbeschwerde die Behauptung aufgestellt und urkundlich nachgewiesen, daß die Geistlichen in den Urkantonen sowie in Appenzell I. Rh. alljährlich um ihre Pfründen vor der öffentlichen Gemeinde anhalten mußten, und diesem Nachweise dürfen wir auch noch die Thatsache anreihen, daß das gleiche Recht auch in den katholischen Gemeinden des Kantons Glavus bis zu deren Eintritt in das Bisthum Chur bestanden hat.

Wenn in den aristokratischen Kantonen und namentlich auch im Kanton Solothurn die Lebenslänglichkeit der geistlichen Beamtungen bestanden hat, so ist dieses durchaus nicht dem kanonischen Recht zuzuschreiben, sondern vielmehr der S t a b i l i t ä t aller Dinge, namentlich auch im politischen Leben, und es erscheint daher nicht nur erklärlich, sondern es ergibt sich als eine nothwendige Folge, --daß, sowie das politische Leben des Volkes mehr in Fluß gekommen und die Lebenslänglichkeit der weltlichen Beamten aufgehoben worden ist, auch die der Geistlichen dem gleichen Schiksale gefolgt ist .und folgen mußte.

ad II.

Wenn sich die Rekursbeschwerde auch auf die Gesezgebung des Kantons Solothurn beruft und eine Verlezung derselben durch

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das Wiederwahlgesez deßwegen behauptet, weil dasselbe r ü k w i r k e n d sei, indem es auch die bereits angestellten Geistlichen betreffe und auch mit den Stiftungsbriefen im Widerspruch stehe; so hat die Rekursbeschwerde hiebei folgende zwei entscheidende Grundsäze übersehen: Vorerst garantirt die Bundesverfassung nur die V e r f a s s u n g e n der Kantone, nicht aber auch deren G e s e z g e b u n g e n , und sodann ist das Wiederwahlgesez der Geistlichen gar nicht Sache des C i v i l r e c h t s , sondern des öffentlichen R e c h t s .

Der Beamtete, sei er geistlich oder weltlich, hat z. B. wohl Anspruch auf die gesezliche Besoldung, so lange das Gesez besteht, ebenso auch auf seine A m t s d a u e r ; aber in beiden Fällen besteht kein V e r t r a g , sondern die Festsezung der B e s o l d u n g und der Amtsdauer ist ein einseitiger Ausfluß der Saatsgewalt, der Staatshoheit.

Dieser Staatshoheit kann denn auch der Privatwille, der Einzelne durchaus keinen Eintrag thun und die Berufung auf Stift u n g s b r i e f e der F u n d a t o r e n und D o n a t o r e n , welche die Kirchensäze der einzelnen Pfarreien gestiftet und die Güter für ein Benefizium auf Lebenszeit verwendet haben sollen, müßte daher auch in Bezug auf den lezten Punkt dahin fallen; zudem ist auch eine Bestimmung in einem Stiftungsbriefe, welche die Lebenslänglichkeit einer Pfründe festsezte, ganz und gar nicht nachgewiesen.

Anbei wollen wir gerne anerkennen, daß es sehr gut und sehr recht wäre, wenn die Stiftungsbriefe treu und gewissenhaft beobachtet und gehandhabt und so die reichen K i r c h e n s ä z e , welche durch die I n k o r p o r a t i o n e n an die Klöster etc. abhanden gekommen sind, den Kirchgemeinden wieder z u r ü k g e g e b e n würden !

Nur einen Punkt kann man in Betreff der Frage über den c i v i l r e c h t l i c h e n Charakter der Pfründen anerkennen, und dieser Punkt besteht darin, rlaß, wenn ihre Regulirung in Bezug auf die Amtsdauer auch unbedingt dem ö f f e n t l i c h e n Rechte angehört, doch noch einzelne civilrechtliche Momente dabei vorkommen können. Diese gehören dann aber auch nicht vor die Bundesbehörden, sondern lediglich vor den Civilrichter.

ad ni.

Die Berufung auf den Diözesanvertrag, welcher durch das Wahlges'ez der Geistlichen verlezt worden sein soll, können wir mit

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wenigen Worten berühren. Dieser Vertrag der Bisthums-Kantone vom Jahre 1828 berührt den Bund gar nicht, steht gar nicht unter seiner Garantie, und der Bund kann daher auch auf diesen Beschwerdepunkt gar nicht eintreten.

Zudem ist aber auch gar nicht nachgewiesen, daß irgend eine Bestimmung dieses Vertrages verlebt worden sei, welcher Nachweis freilich auch gar nicht möglich wäre, indem sich jener Vertrag ja nur mit der Bildung des Bisthums Basel befaßte und dabei die Frage über die lebenslängliche A n s t e l l u n g der G-eistliehen im Kanton Solothurn auch nicht von ferne weder berühren wollte, noch konnte.

Die Beweisführung der Rekursbeschwerde beruht daher auch nur auf allgemeinen Säzen oder oft untergeordneten Punkten, aus welchen dann etwas gewaltsame oder überkühne bloße Folgerungen abgeleitet werden.

ad IV.

Was die Berufung auf das G e w o h n h e i t s r e c h t im Kanton Solothurn anbelangt, so gelten auch hier die gleichen ad II. und III. oben vorgetragenen Bemerkungen, und wir fügen denselben nur noch folgende zwei Punkte bei: Das Gewohnheitsrecht kann die Entwikelung der Gesezgebung auch nach keiner Richtung beschränken, sondern es liegt darin vielmehr eine Einladung an eine gute und erleuchtete Gesezgebung, dieses immerhin Ungewisse und unsichere Recht nicht nur zu kodifiziren, sondern es auch mit den Anschauungen und Bedürfnissen der Gegenwart in Uebereinstimmung zu bringen und daher vielfach zu ändern, zu erweitern und neu zu gestalten.

Dieses Recht der freien Entwikelung der Gesezgebung kann am allerwenigsten die Rekursbeschwerde irgend einem Staate und auch dem Kanton Solothurn deßwegen nicht bestreiten, weil sie auch für die Kirche die gleiche Freiheit in umfassender Weise in Anspruch nimmt, ansonsten sie nur eine todte, s t a g n i r e n d e Kirche sein und der A n a r c h i e und A u f l ö s u n g entgegengehen müßte, und weil die Rekursbeschwerde dieses Recht und diese Entwikelung auch für das vatikanische Konzil in Anspruch nimmt und selbst das dort proklamirte Unfehlbarkeitsdogma des Pabstes mit diesem Schilde dekt!

Was nun nach der Ansicht der Rekursbeschwerde der katholischen Kirche und jedem Konzil in so ganz absoluter, schrankenloser Weise zustehen soll, kann doch gewiß die Rekursbeschwerde

610 dem Staate, den Kantonen nicht versagen und sie nach i h r e n eigenen W o r t e n , auf diese Weise nicht s t a g n i r e n d und todt erklären und nicht der A n a r c h i e und der A u f l ö s u n g entgegenführcn wollen ? !

Wir glauben, hiemit die Rekursbeschwerde in allen ihren Hauptpunkten beantwortet und widerlegt zu haben und könnten also unsere Aufgabe als geschlossen betrachten. Wir halten uns aber bei der Wichtigkeit der Sache, welche weit über die Grenzen des Kantons Solothurn hinausgeht, verpflichtet, diesem Berichte noch einige selbständige Bemerkungen anzureihen und dabei nicht nur r ü k w ä r t s zu schauen und nur die V e r g a n g e n h e i t bis in's zwölfte Jahrhundert zurük anzurufen, wie es die Rekursbeschwerde thut, sondern v o r w ä r t s zu schauen und der G e g e n w a r t und Z u k u n f t auch ihr g u t e s R e c h t zu vindiziren.

Wenn es auch in allen Dingen gut ist, die Vergangenheit zu Rathe zu ziehen, so soll man es dagegen allseitig und unparteiisch thun, und das hat, wie uns seheint, die Rekursbeschwerde nicht gethan.

Wenn · vielleicht der geschichts- und rechtskundige Verfasser der Re.chtsschriften für die Pastoral-Konferenz des Kantons Solothurn gefragt hätte, nicht nur d a ß , sondern auch w i e die angerufenen Vorgänge aus der Vergangenheit zu Stande gekommen sind, so hätte er vielleicht gefunden, daß jene Vorgänge sich nur nach langen Kämpfen und nach Besiegung widerstrebender Parteien Geltung verschafft und einen neuen Zustand der Dinge herbeigeführt haben, und1 daß hiebei vielleicht auch über manchen Rekurs, zwar nicht der Pastoral-Konfcrenz Solothurn, aber vielleicht anderer, ebfenso berechtigter Korporationen zur Tagesordnung geschritten worden ist. Und so wäre "dann der Verfasser zu dem Schlüsse gekommen, daß er für die Gegenwart bestreitet, was er für die Vergangenheit vertheidigt.

Wenn es nun aber richtig ist und die Pastoral-Konferenz nach ihren eignen ausgesprochenen Grundsäzen anerkennen muß, daß auch die Lebenslänglichkeit der Anstellung der Geistlichen von der Vergangenheit jedenfalls nicht unabänderlich und auf ewige Zeiten festgesezt worden ist und festgesezt werden wollte und konnte; so hätte dieselbe auf die Sache selbst eintreten und sich vielleicht folgende Fragen beantworten sollen: Ob die Aufhebung der Lebenslänglichkeit und die Einführung der Wiederwahl der Geistlichen in ihren Wirkungen nicht gut und wohlthätig sein werde?

611 Ob die Theilnahme der Laien, der ganzen Kirchgemeinde bei dieser Wahl nicht ein geeignetes Mittel sei, das Vertrauen und die Anhänglichkeit zu dem Geistlichen, als dem Manne ihrer eignen Wahl, zu erhöhen und das religiöse Leben zu befördern?

Ob die Unterscheidung zwischen der l e h r e n d e n und hörenden Kirche schon deßwegen mit der heutigen Anschauung und Volksbildung nicht mehr vereinbar sei, weil auch die Laien nicht bloß Ohren, sondern auch Augen und Mund haben und s e l b s t schauen, selbst prüfen und reden können und d a z u berechtigt sind?

Ob die Lehre von der Heerde und dem Hirten, nicht im Sinne des Richters der katholischen Kirche und dieser Kirche selbst, welche auch den Saz aufstellt: P r ü f e t A l l e s und das Gute behaltet, sondern im Sinne einer extremen, lichtscheuen Partei, welche s t u m m e und b l i n d e U n t e r w e r f u n g und die V e r l e u g n u n g des g e s u n d e n M e n s c h e n v e r s t a n d e s verlangt, nicht im Widerspruch stehe mit der angebornen Menschenwürde, mit den ewigen und unveräußerlichen Menschcnrechten?

nicht im Widerspruch stehe mit der gleichen Abstammung aller Menschen von E i n e m himmlischen wie irdischen Vater?

Diese und ähnliche Fragen hätte sich die Pastoral-Konferenz um so mehr stellen sollen, als es ihrer Einsicht gewiß nicht entgehen konnte, mit welchen unheilvollen und unabsehbaren Folgen die Entsprechung ihres Gesuches begleitet sein würde oder nothvvendig nach sich ziehen müßte. Die Wiederwahl der Geistlichen ist gegenwärtig schon in vielen Kantonen eingeführt und besteht dort zu Recht; andere Kantone sind im Begriffe nachzufolgen.

Würde nun dem Gesuche entsprochen, so liegen als nothwendige Folge zwei Dinge auf der Hand, daß dieser ganze bestehende Rechtszustand über den Haufen geworfen und allen Kantonen Halt geboten werden müßte, und daß eine solche Reaktion nicht nur mit Schwierigkeiten, sondern nur mit Bürgerkrieg oder gar nicht durchgeführt werden könnte.

Einen solchen Ausgang können aber doch die Boten des Friedens und der christlichen Liebe gewiß nicht wünschen und müßten daher der Entsprechung ihres Gesuches nur mit schwerem Herzen entgegensehen.

Die Geistlichen berufen sich bei allen ihren Handlungen gar gerne auf das Volk und seine Rechte und Gefühle ; auch die PastoralKonferenz von Solothurn thut es. Nun ist allerdings richtig, daß bei der Volksabstimmung über dieses Wahlgesez 7500 d a f ü r gegen

.612 6000 Stimmen mit Nein gestanden sind. Aber jezt n a c h der Abstimmung schweigen diese 6000 Stimmen und unterziehen sich als gute Bürger und Republikaner der Mehrheit, dem verfassungsmäßigen Volksentscheide?

Ware es nun nicht angezeigt, daß auch die Pastoral'Konferenz ein Gleiches thun sollte? und wenn sie es n i c h t thut, sezt sie sich nicht der Gefahr und der Anklage aus, daß sie eigentlich die Volksstimme und den Volkswillen in Wirklichkeit doch nicht gar hoch achtet und respektirt?

Schließlich kann die Mehrheit Ihrer Kommission ihr Bedauern darüber nicht unterdrüken, daß auch die Pastoral-Konferenz von Solothurn die heutige Zeit und ihre Anschauungen und Bedürfnisse so wenig zu würdigen und zu achten weiß, ja den modernen Ideen fast noch schroffer und feindlicher gegenüber zu stehen scheint als anderwärts. Die Kommission darf dieses Bedauern um so offener und freimüthiger aussprechen, als sie überzeugt ist, daß ein solcher Widerstand nicht nur grundlos ist- und gewiß auch erfolglos sein wird, sondern schließlich der Geistlichkeit selbst zum Schaden und Nachtheil gereichen muß.

Gestüzt auf diese Erwägungen, stellt nun die Mehrheit der Kommission den Antrag: Der h. Nationalrath wolle in Zustimmung zu dem Beschlüsse des Bundesraths sowie des Ständeraths den Rekurs der Pfarrgeistlichkeit des Kantons Solothurn als unbegründet abweisen.

Bern, am 18. Juli 1873.

Namens der Mehrheit der Commission, Der Berichterstatter : Suter von Horben, Nationalrath.

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Bericht der Mehrheit der nationalräthlichen Commission über den Recurs der Pfarrgeistlichkeit des Kantons Solothurn gegen das Wiederwahl-Gesez vom 28. November 1872 und den Entscheid des h. Bundesrathes vom 4. April 1873. (Vom 18. Juli 1873.)

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13.09.1873

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