391

# S T #

Bericht des

Schweiz. Konsuls in Hamburg von (Hrn. Emil Mercier von Lausanne) über das Jahr 1872.

(Vom 9. Mai 1873.)

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

E r s t e r T h e i 1.

Ad 1. Auch dies lezt verflossene Jahr kann, wie das demselben vorangegangene, als ein günstiges bezeichnet werden und als eine Periode des Aufschwungs und der Blüthe für den hamburgischen Handel.

Das Gefühl der Sicherheit nach dem -Friedensschlüsse des Jahres 1871 steigerte bekanntlich den Unternehmungsgeist und die producirte Thätigkeit in ganz Deutschland außerordentlich, und die Folgen hiervon sind auch besonders dem hiesigen Plaze zu Gute gekommen, indem der Gesammt-Import wie Export Hamburgs sehr hohe Ziffern erreicht hat.

Diese gesteigerte Waarenverbindung hat wiederum eine sehr bedeutende Vermehrung der regelmäßigen Dampfschiffsverbindungen herbeigeführt und es steht zu erwarten, daß in nicht langer Zeit direkte Dampfschifffahrts-Linien mit allen für den hamburgischen

392 Handel wichtigeren überseeischen Pläzen in Thätigkeit sein werden.

Die Hamburg-Nordamerikanische Paketfahrt-Aktiengesellschaft hat ihrer New-Yorker-Linie regelmäßige Linien nach New-Orléans und West-Indien hinzugefügt und die Fahrten der ersten Linie vermehrt.

Direkte Fahrten sind in's Leben gerufen nach der Ostküste, wie nach der Westküste von Süd-Amerika und nach Ost-Indien. Die Gründung dieser Unternehmungen ist von verschiedenen Gesellschaften ausgegangen. -- Die im vorjährigen Berichte bereits erwähnten neuen Hafen-Anlagen sind seither ansehnlich erweitert worden und ist ein neuer Quai, der Kaiserquai, im vorigen Sommer dem Betrieb übergeben worden. Aber auch hiermit ist der großartige Plan bezüglich dieser ausgedehnten Werke noch nicht vollendet; neue Quais, sowie großartige Speicherbauten für Rechnung des Staats sind beschlossen und bereits in der Ausführung begriffen.

Auch der Verbesserung des Fahrwassers der Elbe, dieser Lebensader des hiesigen Handels, wird die gehörige Aufmerksamkeit gewidmet und auf die Vertiefung des .Stromes bedeutende Summen verwendet. Aber nicht allein der Staat trägt in diesen Beziehungen Fürsorge, auch Privatleute wenden derartigen Unternehmungen ihr Interesse und ihre Kapitalien zu.

So hat sich eine Gesellschaft gebildet zur Herstellung großartiger Hafen- und Dock-Anlagen bei dem am Ausfluß der Elbe gelegenen hamburgischen Orte Cuxhaven, und eine andere zur Errichtung von Docks und Lagerhäusern mit Einrichtungen zum direkten Löschen und Laden der Seeschiffe auf der Hamburg gerade gegenüber liegenden Elbirisel Steinverder. Ferner ist ein in sehr großem Maaßstabe neuerdings angelegtes allgemeines Mahagoniholz-Lager zu erwähnen, welches als Centralplaz zur sichern Lagerung fremder Nuzhölzer dienen soll. -- In der Handelsgesezgebung hat keine Veränderung stattgefunden. Dieser Gegenstand unterliegt jezt der Competenz des deutschen Reichs und da diesem wichtige gesezgeberische Aufgaben in großer Zahl obliegen, wird an eine übrigens bereits in Anregung eebrachte Revision des allgemeinen deutschen Handelso O Ìv o gesezbuches vor der Hand schwerlich zu denken sein.

Ad 2, (a und b) ist nur zu bemerken, daß die Industrie nicht die hervorragende Seite der hiesigen Geschäftsthätigkeit bildet, mit Ausnahme einiger besonderer, seit langer Zeit für den Export fabricirter
Waaren, als Mobilien, Pianos, Liqueure'und Spirituosen, Stöke und Fischbein, gesalzenes Fleisch und Schiffsbrod. Neuerdings hat sich hier die Fabrikation von Nähmaschinen bedeutend entwikelt und besteht außer mehreren Privatgeschäften der Art auch eine zu diesem Zwek gebildete Aktiengesellschaft. Die landwirthschaftliche Produktion des hamburgischen Gebiets ist haupt-

393 sächlich darauf gerichtet, die große Stadt mit Milch, Gemüsen und Früchten zu versehen. Die fruchtbaren Marschdistrikte, namentlich die sog. Vierlande, liefern aber nicht allein für den hiesigen Markt, sondern große Quantitäten auch für England, wodurch der Preis dieser Artikel in den lezten Jahren außerordentlich gestiegen ist, wie nebenbei bemerkt, die Kosten des hiesigen Lebens überhaupt Ganz erheblich sind in den lezten Jahren die Preise der Baumaterialen, sowie die Löhne der Bauarbeiter in die Höhe gegangen und damit sind die Preise der Grundstüke und die Miethepreise im Verhältniß gestiegen, so daß die Miethen durchschnittlich mindestens 25% theurer sind als bisher. Auch eine Art Wohnungsnoth hat sich hier schon gezeigt, indem durch Veränderungen im städtischen Anbau und Wegräumung alter Gebäude, Mangel an passenden Lokalitäten namentlich für die arbeitenden Klassen entstanden ist.

Ad 3, (a und b) liegen die officiellen statistischen Aufmachungen über die Einfuhr und Ausfuhr des verflossenen Jahres noch nicht vor und muß daher ein desfallsiger Nachtrag zu diesem Be. richte vorbehalten bleiben. Diese Ein- und Ausfuhr-Statistiken geben übrigens keinen Ausweis über die Einfuhr und resp. Ausfuhr nach der Schweiz, da solche nur nach den Rubriken: (von und nach überseeischen Ländern), von und nach europäischen Ländern per Schiff, per Berliner-Bahn, Kieler-Bahn, p. Altona und Haarburg aufgestellt werden.

Ad 6. In dem Einfuhr-Zolltarife hat keine Aenderung stattgefunden; Ausfuhrzölle bestehen in Hamburg nicht mehr.

Ad 7. Hierfür ist auf dies Ad 3 Bemerkte zu verweisen.

Ad 8. Am 1. Dezember vorigen Jahres hat die Eröffnung der Eisenbahnverbindung zwischen Hainburg und Haarburg stattgefunden und ist damit die seit vielen Jahren ersehnte bessere Verbindung mit Mittel- und Süddeutschland hergestellt worden. Auch dies ist eine Frucht der veränderten politischen Gestaltung Deutschlands, denn das Hinderniß hatte einzig und allein in dem Widersprüche dei- früheren hannoverschen Regierung gelegen. Schon jezt stellt sich heraus, daß diese Verbindung einen außerordentlichen Verkehrsaufschwung gebracht hat, indem die Baulichkeiten für Unterbringung der mit dieser Bahn zu befördernden Güter erweitert werden müssen. Diese Bahn steht einerseits mit den Quais, an welchen tue Seeschiffe direkt laden und löschen,
.in Verbindung, andererseits mit der Berlin-Hamburger und der Altona-Kieler Bahn Auch eine direkte Eisenbahnverbindung zwischen Hamburg und Magdeburg steht binnen Kurzem zu erwarten. Das Netz der holsteinischen Eisenbahnen wird beständig vergrößert und bringt dieses O O O ackerbautreibende fruchtbare Gebiet in bessere Verbindung mit dem Bundesblatt. Jahrg. XXV. Bd. IV.

27

394

übrigen deutschen Lande. Der Osten Holsteins ist bereits in ver schiedenen Richtungen von Eisenbahnen durchzogen; der Westen harrt noch dieses Vorthcils, wird dessen aber auch bald theilhaftig werden und sind schon verschiedene Consortien um die dcßfallsigc Conzession eingekommen. -- Die für Hamburg speciell sehr wich -tige Bahn von Haarburg nach Stade und von Stade nach Cuxhaven ist auf der legieren Streke bereits in Ausführung begriffen. Cux haven ist bekanntlich ein vorzüglicher Winterhafen, der durch die oben gedachten Anlagen an Bedeutung ei lieblich wachsen wird Wenn die eben bezeichneten Bahnen ausgebaut sein werden, sind die hiesigen Kaufleute in der Lage, zu allen Zeilen die zur See angekommenen Waaren bis auf hier kommen zu lassen, wahrend bis jezt in kaltem Wintern, wenn die Elbe hier und abwärts bis Gluksstadt mit Eis bedekt war, die Waaren monatelang m Cux haven bleiben mußten oder nur mit sehr erheblichen Kosten une mit Zeitaufwand hierher befördert werden konnten. Von kurz sichtigen Leuten ist wohl die Befürchtung ausgesprochen \\ orden, daf Cuxhaven Hamburg Schaden bringen und der Verkehr sich direkt mi dem Hinterlande entfalten werde, unter Umgehung Hamburgs. Aber di( Erfahrung lehrt, daß solche See-Hafen-Stadte, welche gewissermaßen nur Dependenzen einer großen weiter landwärts liegenden Handels Stadt sind, mit ihrem Emporbluhen auch die Bluthe der lezteren fordern, « ic z. B. Bremerhafen Bremen nicht nur nicht geschadet sondern genuzt hat, und ein Handelsplaz wie Hamburg, wo das Capital sich in so großem Maße ansammelt, ist durch eine kleine Hafenstadt nicht zu beseitigen. Es wird Sache der hamburgischen Kaufmannschaft sein, sich die Vortheile der neuen Anlage nicht O entgehen zu lassen, sondern solche für sich auszunuzen.

Ad 9. In den hiesigen Geldverhältnissen hat eine bedeutende Veränderung stattgefunden durch die mittelst Gesezes vom l November 1872 erfolgte Aufhebung der besonderen hamburgischen Bank-Valuta und die Ersezung derselben durch die deutsche Reichs münze. In Folge dieses Gcsezes sind am 15. Februar 1873 die auf Fein-Silber begründeten Conten in der Hamburger Bank gc schlössen und wird von jezt an m der Hamburger Bank ausschließ lieh nach Reichsmünze gerechnet. Die nach dem 15. Februar 1873 fallig werdenden Banko-Forderungen sind zufolge gesezlichen Bestimmung zu
dem festen Course von Bcos 100 = Rins 150zui bezahlen und zu empfangen. Vielfach machte sich dieAnsichtl geltend, daß damit die Wirksamkeit dieser alten, unter Staatsauf sieht stehenden Hamburger Giro-Bank überhauptaufhörenn könne und müsse, da die seitdem gegründeten Privatbanken, die Vereins tank, die Norddeutsche Bank, denen in den lezten beiden Jahrer O

7

395 die Commera- und Diskontobank, die Anglo-Deutsche Bank, die Internationale Bank, eine Maklerbank, und mehrere andere dem Geldverkehr dienende Institute gefolgt sind, dem Bedürfnis des hiesigen Plazes genügten.

O O O Indessen traten eben so entschieden Anhänger der alten Bank und des alten Princips ,auf, Zahlungen durch Zu- und Abschreibungen aus in der neuen Reichsmünze deponirten Baarbeständen resp.

zu leisten und zu empfangen, und diese trugen schließlich den Sieg davon. Die alte Bank besteht fort und sieht ihren Wirkungskreis dadurch erweitert, daß bei derselben Wechsel zahlbar gemacht werden können. Grundsäzlich macht diese ,,alte Hamburger Bank" keine Geschäfte irgend welcher Art für eigene Rechnung, ist vielmehr nur die Depositarin der hiesigen Kaufmannschaft: Eine andere Erweiterung ihres Geschäftskreises ist räumlich erfolgt: es können jezt auch Bewohner der nächsten Umgegend, also Altonaer etc., Conten bei derselben haben.

An ,,Gründungen" hat es auch in Hamburg nicht gefehlt, wie sich aus dein Verstehenden von selbst ergibt. Jedoch unterscheiden sich manche hiesigen Gründungen von den sonstigen dadurch vortheilhaft, daß sie gemeinnüzigen Zweken, als Verbesserung der Communikationen, Anlage von Docks, Lagerräumen etc. dienen.

Ad 10. Der Bankfond in der alten Bank betrug am 1.

Januar 1873 Bcos 22, 482, 225, 67 und erreichte seinen höchsten Stand am 17. Oktober 1872 mit Bcos 62, 144, 914, -- '/2 s, als zur Dekung der französischen Kriegsentschädigung bedeutende Beträge auf hier disponirt wurden. Geld war, mit Ausnahme kleiner Unterbrechungen, fast immer reichlich und der Discontosaz bewegte sich gewöhnlich zwischen 3 und 4°/o. Ungeachtet sich jezt das Capital, soweit es nicht dem Geschäfte dient, mehr und mehr den Eisenbahn- und Staatspapieren zugewendet hat und zuwendet, wie denn die Course solcher Werthpapiere durchweg hoch stehen, hat auch das Grundeigenthum von der Reichlichkeit des Geldes profitirt und ist der Zinsfuß für Hypothekposten, welcher vor zwei Jahren durchweg steigende Tendenz hatte, wieder herunter gegangen, obwohl derselbe nie wieder auf den früher üblichen niedrigen Stand herabsinken wird. Durchschnittlich bedingen sichere Hypothekposten 4'/2 -- 5°/o.

Ad 11. In Betracht kommen für diese Rubrik hauptsächlich die hier verschlossenen Seeversicherungen, welche gegen
die früheren Jahre eine weitere Zunahme erfahren haben. Die im Jahre 1871 gezeichnete Summe, -- für 1872 liegen die genauen Angaben noch nicht vor -- hat zum ersten Male eine Milliarde Mark Banco überstiegen. Die versicherte Summe betrug nämlich 1871 Bancos 1,132,

396 355, 800, und die Durchschnittsprämie dafür l, 08%.

Vor ungefähr fünfzig Jahren wurden hier versichert Bcos 118, 136, 100, zu einer Durchschnittsprämie von 2.51% Die hamhurgische Rhederei bestand im Anfange des Jahres aus 404 Schiffen mit 80114 Commerzlast à 6000 so daß gegen 1871 eine Abnahme von 7 Schiffen in der Zahl, dagegen eine Zunahme an Ladefähigkeit von 750 Commerzlast zu notiren ist.

Wesentlich zugenommen hat der Seeverkehr des Plazes und, wie schon oben erwähnt, namentlich die Dampfschiffsverbindungen.

Im verflossenen Jahre sind angekommen 5913 Seeschiffe mit circa 1,368,000 Lust à 4000 darunter 892 Schiffe mit ca. 325,000 Last von transatlantischen Pläzen, und Seedampfschiffe 2749 (nach den Reisen gezählt) mit ca. 980,000 Last. Im Jahre 1871 waren angekommen 5439 Seeschiffe mit 1,258 337 Last, darunter 794 von transatlantischen Pläzen und Seedampfschiffe 2458. Abgegangen von hier sind im Jahre 1872: 5872 Seeschiffe mit 1,354,000 Last, dann 742 nach transatlantischen Ländern und zwar mit ca. 242,000 Last und 2726 Seedampfschiffe mit ca. 971,000 Last.

Z w e i t e r T h eil.

Die Auswanderung über Hamburg hat auch im vorigen Jahre wiederum zugenommen um 31,746. Personen, obgleich man staatsseitig, d. h. nicht von Hamburg, immer mehr bemüht ist, der Auswanderung Hindernisse zu bereiten, um dieselbe zu beschweren, z. B. in Meklenburg und in einigen preußischen Provinzen, weil in derselben an ländlichen Arbeitern großer Mangel ist.

Im Ganzen wurden im Vorjahr über Hamburg befördert 74,011 : Personen, davon direkt 52,828; indirekt 21,183, gegen im Ganzen 42,265 Personen im Jahre 1871.

' Ueber die hier bestehenden zwei Schweizer-Gesellschaften ,,Die Unterstüzungskasse" und ,,Klub Eintracht" ist nichts Besonderes zu bemerken, und es haben dieselben wie bisher guten Fortgang.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Schweiz. Konsuls in Hamburg von (Hrn. Emil Mercier von Lausanne) über das Jahr 1872. (Vom 9. Mai 1873.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1873

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

51

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

22.11.1873

Date Data Seite

391-396

Page Pagina Ref. No

10 007 960

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.