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Schweizerisches Bundesblatt.

XXV. Jahrgang, m.

Nr. 41.

13. September 1873.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

Einrükungsgebühr per Zeile 15 Rp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Druk und Expedition der Stämpfiischen Buchdrukerei in Bern.

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Note des

französischen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten an die schweizerische Gesandtschaft in Paris, betreffend die Nationalität der Söhne von den in der Schweiz naturalisirten Franzosen.

(Vom 1. August 1873.)

Mein Herr!

Ich habe die Anstände nicht aus den Augen verloren, welche sich infolge der Anwendung unseres Rekrutirungsgesezes auf Söhne von in der Schweiz naturalisirten Franzosen erhoben haben, und auf welche der schweizerische Herr Gesandte die Aufmerksamkeit schon meines Amtsvorgängers gelenkt hat. Herr Kern hat im vorigen Jahr den Vorschlag gemacht, dieselben durch eine Vereinbarung auf diplomatischem Wege zu regeln. In seiner Note vom 13. Februar 1873 hat Herr von Rémusat die hauptsächlichen Motive kurz angegeben, welche gegen das vorgeschlagene Arrangement sprechen.

Mein Kollege, der Minister der Justiz, welcher die Tragweite dieser Einwendungen neuerdings sorgfältig geprüft hat, ist zum nemlichen Ergebniß gelangt, und ich selbst kann, nachdem auch ich die verschiedenen Seiten der Angelegenheit geprüft habe, meinerseits die Anschauungsweise des Herrn Ernoul nur theilen.

Der fragliche Anstand rührt nicht, wie die eidgenössischen Behörden glauben, von einer ungenauen Interpretation der Geseze her, ,,welche den persönlichen Status der Söhne von in der Schweiz, Bundesblatt. Jahrg. XXV. Bd. III.

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566 naturalisirten Franzosen regeln, sondern von dem Widerstreit der Gesezgebungen der beiden Staatenj welche diese Nationalitätsfragen in entgegengeseztem Sinne ordnen.

Nach der Auffassung des Bundesraths verlieren die minderjährigen Kinder eines Franzosen, der sich in der Schweiz hat naturalisiren lassen, wie ihr Vater, die Eigenschaft als Franzosen, da Art. 1.0 des Code civil sie ja ermächtigt, diese Eigenschaft w i e d e r zu erwerben.

Diese Interpretation, welcher wir nicht beipflichten können, beruht auf einer Verwechslung. Um den Art. 10 strikte anzuwenden, muß man zwischen den Kindern, die v o r der Naturalisation des Vaters und zwischen denen, die n a c h derselben geboren sind, unterscheiden.

Die erstem sind Kinder eines Franzosen, sie sind selbst auch Franzosen in Gemäßheit des § l von Art. 10 (Tout enfant né d'un Français à l'étranger est Français), und sie brauchen nicht erst eine Eigenschaft wieder zu erwerben, welche ihnen bereits zukommt.

Nach unsevm Gesez, ' welches hierin von der in einigen Kantonen der Schweiz in Kraft bestehenden Gesezgebung abweicht, übt die vom Vater im Auslande erlangte Naturalisation keinen Einfluß auf den Status der ihm bereits gebornen Söhne, da in Frankreich Niemand das Recht hat, einzig von sich aus den Status oder die Rechtsfähigkeit eines Andern abzuändern.

Was die nach der Nationalitätsveräuderung des Vaters im Auslande gebornen Kinder betrifft, so werden sie Frankreich gegenüber als Ausländer geboren; aber das Gesez berechtigt sie durch eine spezielle Vergünstigung, die frühere Nationalität ihres Vaters zu beanspruchen, indem sie die im Art. 9 vorgeschriebenen Formalitäten erfüllen. Nur auf sie bezieht sich der § 2 des Art. 10, der ihnen gestattet, die Eigenschaft als Franzose wieder a n z u n e h m e n , oder richtiger gesagt, zu erwerben.

Es ist also nicht genau, wenn man im allgemeinen Sinne sagt, daß die Kinder eines in der Schweiz naturalisirten Franzosen die französische Nationalität verloren haben, indem die Naturalisation · des Vaters den Status der ihm schon gebornen Söhne nicht berührt.

Es ist gerade ein Grundprinzip unseres Gesezes, daß die Nationalität des Kindes zur Zeit seiner Geburt durch diejenige, welche damals der Vater besaß, bestimmt wird. Auf der andern Seite ließe es sich nicht erklären, wie das französische Gesez die
Kinder eines Franzosen, der sich nach ihrer Geburt im Auslande hat naturalisiren lassen, als Fremde betrachten sollte, während es doch die fremde Nationalität der bereits gebornen Kinder eines Fremden, der sich in ^Frankreich naturalisiren läßt, anerkennt.

567 Noch eine andere Bestimmung des Code civil soll nach der Schweiz.

Auffassung dagegen sprechen, daß die Söhne eines in der Schweiz naturalisirten Franzosen in Frankreich auf die Rekrutirungslisten eingetragen werden können. Es ergibt sich in der That aus der Note des Herrn Kern vom 6. Juni 1872, daß die minderjährigen Söhne, um die es sich handelt, in der Schweiz als solche betrachtet werden, welche die Schweiz. Nationalität erworben haben und unter diesem Titel sämmtlich in die eidgenössische Armee eingereiht werden, wodurch sie angeblich ihre Eigenschaft als Franzosen nach dem Wortlaut von Art. 21 des Code civil verlieren sollen. Diesem Ein*wurf gegenüber ist zu bemerken, daß der Minderjährige, der für Handlungen des bürgerlichen Lebens rechtsunfähig ist, nicht berechtigt ist, auf seine Nationalität zu verzichten. Der Militärdienst, in den er im Auslande tritt, läßt ihn dieselbe ebenfalls nicht verlieren. So wurde durch zwei Sentenzen des Gerichtshofes von Metz vom 25. April und 10. Juli 1849 und durch eine solche des Gerichtshofes von Chambéry vom 22. Dezember 1862 entschieden.

Der Grundsaz, daß der Minderjährige seine angeborne Nationalität nicht ablegen kann, gilt so absolut, daß der Kassationshof bestimmt hat, es könne ein in Frankreich gebornes Kind eines Ausländers selbst unter der Beistandschaft seines Vaters und mit der Zustim.

mung seines Familienraths die Eigenschaft als Franzose unter pro.

visorischem Titel nicht verlangen (Erlaß vom 31. Dezember 1860)_ -Endlich hat allerdings das Gesez vom 7. Februar 1851, auf welches sich der Bundesrath stütz dem Kinde eines in Frankreich naturalisirten Ausländers die Fakultät eingeräumt, bei Erlangung der g O O Volljährigkeit durch eine einfache Erklärung die Nationalität seines Vaters zu erlangen, aber es hat nie beabsichtigt, eine ähnliche Befugniß dem Sohne eines im Auslande naturalisirten Franzosen zu gewähren.

Der Gerichtshof von Chambéry hat zwar, wie Heer Kern in seiner Note vom 6. Juni 1872 bemerkte, durch einen Erlaß vom 5. Juli 1869 dem Sohne eines im Auslande naturalisirten Franzosen ein Optionsrecht zuerkannt; allein diese Sentenz wurde dem Kassationshof zur Prüfung überwiesen und von diesem durch einen Erlaß vom 3. August 1871 unter folgender Begründung kassirt ,,Attendu, que si l'article 9 du Code Napoléon autorise l'enfant
,,né en France d'un père étranger à réclamer, dans l'année de sa ,,majorité, la qualité de Français, il n'admet pas -- réciproquement ,,que l'enfant né d'un Français en pays étranger puisse abdiquer sa ,,nationalité pour acquérir celle du lieu de la naissance; -- attendu ,,que peu importe que la législation genevoise contienne des dispo,,sitions analogues à celles de l'article 9 du Code Napoléon, puisque

568 ,,cette législation ne peut produire aucun effet contraire à. la loi ,,française, chaque pays étant libre et indépendant dans l'exercice ,,de sa souveraineté.1' Aus dem Vorstehenden ergibt es sich, daß die jungen Franzosen, deren Vater Schweizer wird, ihre ursprüngliche Nationalität beibehalten, daß die ihnen in der Schweiz während ihrer Minderjährigkeit, sei es direkt oder indirekt, ertheilte Naturalisation in Frankreich keine Wirkung' äußern kann. Mit Fug und Recht werden sie also in Gemäßheit der Bestimmungen unseres Militärgesezes in ihrem 20. Altersjahr zur Rekrutirung beigezogen.

Es erübrigt noch die Prüfung der Frage, ob es möglich sei, die von der eidgen. Regierung uns gemachten Eröffnungen anzunehmen, welche durch ein diplomatisches Uebereinkommen den Reklamationen vorzubeugen suchen, die mitunter bei der Loosziehung erhoben werden und welche, wie wir festgestellt haben, einzig von der Verschiedenheit der in den beiden Staaten herrschenden gesezlichen Bestimmungen über die Wirkungen der Naturalisation herrühren.

Das vorgeschlagene Arrangement besteht darin, den Söhnen von in der Schweiz naturalisirten Franzosen das Recht zu ertheilen, beim Eintritt der Volljährigkeit zwischen den beiden Nationalitäten zu optiren und bis dahin die Diensteinberufung der jungen Leute zu verschieben.

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Ein Uebereinkommen dieser Art würde die Grundsäze unseres Gesezes modifiziren und müßte demnach der Nationalversammlung zur Genehmigung vorgelegt werden, in welcher es ohne Zweifel keine Aussicht hätte, günstige Aufnahme zu finden. Die Erwägungen, welche die gesezgebende Gewalt in Frankreich bestimmt habenj die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, sind mit einem Arrangement unvereinbar, welches einer ziemlich großen Zahl junger Leute es erleichtern würde, durch Wegzug in's Ausland der ihnen vom Gesez auferlegten Wehrpflicht sich zu entziehen. Es liegt hier allermindestens eine Opportunitätsfrage vor, deren Bedeutung die eidgenössische Regierung sicherlich würdigen wird, und welche uns nicht gestattet, zur Zeit uns auf bezügliche Verhandlungen einzulassen.

Genehmigen Sie etc.

Versailles, den 1. August 1873.

Broglie.

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Note des französischen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten an die schweizerische Gesandtschaft in Paris, betreffend die Nationalität der Söhne von den in der Schweiz naturalisirten Franzosen. (Vom 1. August 1873.)

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13.09.1873

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565-568

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