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Bundesrathsbeschluss in

Sachen des Rekurses des Hrn. Amadée S i m o n i n in Yverdon, betreffend Vollziehung eines französischen Civilurtheils.

(Vom 7. April

1873

D e r s h w cize r isohe B u nd e sra th hat

in Sachen des Hrn. Amadéc H. S i m o n i n , wohnhaft in Yverdon, Kts. Waadt, betreffend Vollziehung eines französischen Zivilurtheiles: nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polieidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben : 1. Im Jahre 1865 machte Hr. Handelsmann MachenaudNenillac in Angouleme (Frankreich) bei dem Handelsgerichte des Departements (1er Seine eine Klage gegen den Rekurrenten, der sich damals in Paris aufhielt, anhängig, dahin gehend, daß dieser als Liquidator der Handelsgesellschaft Ward & Simonin in NewYork, ihm einen Rechnungssaldo von Fr. 6052. 83 Cts. zu bezahlen habe. Das Gericht fand dieses Begehren für begründet, und verurtheilte Hrn. Simonin unterm 21. März 1866 zur Bezahlung des eingeklagten Betrages nebst Zinsen, sowie in die Prozeßkosten.

564 r ' lu dem ' bezüglichen Urtheile ist konstatirt,' daß Hr. Simonin m i t Exploit v o m '13. Dezember 1.865 v o r d a s Gericht zitirt der: in.... fleti beiden ersten Vorstünden lediglich a u f Vertagung Termine abgelehnt wurde, einläßlich auf die Klage antwortete. Bei der Schlußverhandlung (21. März 1866) erschienen jedoch weder der Beklagte, der auch zu diesem Vorstande zitirt worden war, nodi .sein Anwaltwesshalblb das Gericht, das erwähnte Urtheil in contumaciam aussprach.

,· Die Notitikiition dieses Urtheils an Hrn. Simonin erfolgte unterm 24. April 1866 auf dem Ediktalwege da es sich ergeben halte, daß derselbe damals Paris bereits wieder verlassen hatte.

II. [m Jahre 1570 hielt sich Hr. Simonin neuerdings in Paris auf.. Hr. Machenand suchte nun, das Urtheil vom '21 März 186.6 zur Vollziehung zu bringen. Allein Simonin opponirte hiegegen und ließ gleichzeitig den leztern auf den 14. September 1870 vor das Handelsgericht in Paris zitiren, zur Verhandlung über das Begehren, daß seine Opposition gegen das Urtheil vom 21. März 1866 als zulässig, erklärt, und sodann, daß jenes Urtheil im Sinne der Abweisung der Klage des Herrn Machenaud reformirt werde. Dieses Begehren begründete er lediglich damit, daß sein Rechnungsverhältniss mit dem Kläger bereits geregelt und daß er diesem nichts mehr schulO ' O ~ dig sei.. ' · · Am Tage der Prozessverhandlung (14. September1870) erschien jedoch Hr. Simonin nicht vor dem Gerichte. Dasselbe wies daher mitKontumazurtheil vom gleichen Tage sein Begehren ab und verfügte, daß das frühere Urtheil ungeachtet der erhobenen Opposition vollstrekbar bleibe.

Dieses zweite Urtheil wurde dem Hrn. Simonin erst im Januar 1872 notifizirt und zwar ebenfalls auf dem Ediktalwege, da "-er bereits im Sommer 1871 von Paris nach der Schweiz abgereist war.

III. Herr Machenaud versuchte nun, in der Schweiz die Voll" ziehung dieser Urtheile zu erlangen, und bewarb sich zu diesem ·Ende, unter Berufung auf den Staatsvertrag zwischen der Schweiz und F r rankreich vom 15. Juni 1869, betreffend ' die zivilrechtlichen Verhältnisse, bei dem Staatsrathe des Kantons Waadt um das Exequatur Hr. Simonin opponirte gegen eine Bewilligung der Exekution, indem er behauptete, daß er nicht französischer sondern nordamekanisch Bürger- sei wesshalb jener Staats vertrag; hier . nicht zur Anwendung gebracht werden könne Im·'. Weitern verlange er,

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daß seine Opposition nach Vorschrift der waadtländischen Gesezgebung den Gerichten zur Erledigung überwiesen werde.

1 Der Staatsrath des Kantons Waadt erklärte jedoch mit Beschluß vom 4. Januar 1873, daß diese Opposition vor den waadtländischen Gerichten nicht zugelassen werden könne, und ertheilte im Uebrigen dem Urtheile vom 14. September 1870 das Exequatur.

Dieser Beschluß ist wie folgt motivili: [m Spezialfalle seien die in Art. 16 des Vertrages mit Frankreich vom 15. Juni 1869 vorgesehenen Bedingungen erfüllt worden, und es liege ferner keine der Voraussezungen vor, unter welchen gemäß Art. 17 des gleichen Vertrages die Vollziehung des fraglichen Urtheiles verweigert werden könne. Hr. Simonin habe nämlich durch die Bestellung eines Sachwalters im Prozesse vor dem Handelsberichte in Paris, durch, seine einläßliche Antwort auf die Klage und dadurch, daß er weder bei diesen Verhandlungen von 1865/66, noch bei seiner Opposition gegen die im Jahre 1870 versuchte Vollziehung des ersten Urtheiles die Einrede der Inkompetenz des Gerichtes erhoben habe, die französische Gerichtsbarkeit anerkannt. Ein französisches Urtheil, das im Prozesse zwischen einem Franzosen und einem Bürger eines dritten Staates gelallt worden sei, müsse gegen den leztern in der Schweiz ebenfalls vollziehbar sein, was schon daraus hervorgehe, daß die Franzosen gemäß dem erwähnten Vertrage von 1869 berechtigt seien, auch einen hier ansässigen Fremden vor den schweizerischen Gerichten zu verfolgen.

Sodann seien die Parteien im Prozesse gehörig vor das Gerieht in Paris zitirt worden, das Urtheil qualifizire sich ferner als ein definitives, und endlich stehe kein Interesse der öffentlichen Ordnung der Vollziehung desselben entgegen. Was die von Hrn. Simonin erhobene Opposition betreffe, so könne er diese gemäß Art. 12 des erwähnten Vertrages nur vor demjenigen Gerichte erheben, welches das Kontumazurtheil gefällt habe. Das im waadtländischen Zivilprozeß vorbehaltene Recht der Opposition gegen im Auslande erlassene Zivilurtheile könne nur soweit geltend gemacht werden, als dasselbe nicht durch die Bundesverfassung oder durch Staats vertrage derogirt werde.

IV. Mit Eingabe vom 18. Januar 1873 rekurrirte nun Herr Simonin ari den.Bundesrath, indem er Folgendes geltend machte: Das Handelsgericht in Paris sei nicht kompetent gewesen,
über die, Klage des Hrn. Machenaud zu verhandeln, denn er (Simonin) habe das- Domizil in New-York, wo er etablirt sei, gehabt und zur Zeit jenes Prozesses nur vorübergehend in Paris sich befunden, [n lezterer Stadt sei er im Jahre 1865 bis zum 29. März 1866 wegen

566 ; einer Krankheit zurückgehalten worden. Auch seien die Thatsachen, auf welche die Klage sich stüze in Amerika vorgefallen. Uebrigens sei das Urtheil vom 21. März 1866 auch materiell unrichtig.

Er habe erst im Jahre 1870, als er wiederum vorübergehend in Paris sich befunden, von dem Urtheile Mittheilung erhalten und sodann die Sache einem Anwalte übergeben. Er wisse nicht, was weiter geschehen sei, denn er habe, da inzwischen der Krieg mit Deutschland ausgebrochen und Paris belagert worden sei, keine gerichtliche Kundmachung; erhalten.

O Durch den Entscheid des Staatsrathes von Waadt sei der Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Nordamerika, vom 25. November 1850 verlezt worden. Gemäß Art.. l dieses Vertrages seien nämlich die amerikanischen Bürger ganz gleich zu behandeln, wie die Schweizer. Nach der waadtländischen Gesezgebung (Art. 519 des Code de procédure civile) sei aber dem Waadtländer und dem Schweizerbürger das Recht zur Opposition gegen die Vollziehung eines außerhalb des Kantons gefällten Urtheils gewahrt. Zu diesem Rechte sei er nicht zugelassen worden; somit liege eine nach dem Vertrage unzulässige Ungleichheit der Behandlung vor.

Der Staatsrath von Waadt könne sich nicht auf den Vertrag mit Frankreich vom 15. Juni 1869 berufen, denn die im Vertrage mit Nordamerika den Bürgern dieses Landes gewährten .Garantien haben infolge jenes neuern Vertrages keine Beschränkung erleiden können. Auch dürfe der Vertrag mit Frankreich nur auf die Angehörigen der beidseitigen Staaten zur Anwendung kommen. Er (Simonin) müsse daher Schuz in seinen Rechten verlangen.

V. Namens des Hrn. Machenaud-Neuillac antwortete Herr Procureur Nieß in Yverdon (Waadt), der in seiner Eingabe vom 3. Februar 1873 auf Abweisung des Rekurses antrug.

Nach dem Staatsvertrage mit Nordamerika können die. Bürger der Vereinigten Staaten nichts Weiteres verlangen, als da.ß sie in den schweizerischen Kantonen gleich wie die eigenen Angehörigen behandelt werden. Der Rekurreut sei aber im Kanton Waadt nicht anders behandelt worden, als wie auch die eigenen Kantonsangehörigen am gleichen Falle hätten behandelt werden müssen. Wären die fraglichen Urtheile gegen einen Waadtländer unter den gleichen Verhältnissen ausgefällt worden, so müßten sie laut dem Vertrage mit Frankreich vom Jahre 1869 im Kanton Waadt vollziehbar sein,
Sodann hätte auch ein Waadtländer :die Bewilligung der Vollziehung nicht anfechten können, da das im Art. 519 des waadtländischen Zivilprozeßgesezes vorbehaltene Recht zur Opposition gegenüber französischen Urtheilen nicht geltend gemacht werden.,-könne (Art. 1072

567 des gleichen Prozeßgesezes). Der Vertrag mit Frankreich bezweke die französischen Urtheile vollständig den Urtheilen zu assimiliren, welche in demjenigen Kantone gefällt werden, wo die erstem zur Vollziehung gebracht werden sollen. Gemäß Art. 520 des waadtländisehen Prozeßgesezes sei aber keine Opposition gegen die Vollziehung eines rechtskräftigen waadtländischen Urtheiles zulässig.

Den amerikanischen Bürgern stehen aber keine bessern Hechte zu.

als unter den gleichen Verhältnissen den eigenen Kantonsangehörigen Der Staatsrath habe also mil Recht die Vollziehung der fraglichen Urtheile bewilligt und eine Opposition hiegegen als unzulässig erklärt.

VI. Neben dieser Antwort reichte auch Hr. MaehenaudNeuillac persönlich noch zwei, vom 26.. Januar und 3. Februar 1873 datirte Eingaben ein, in welchen er bestritt, daß der Rekurrent amerikanischer Bürger sei. Derselbe sei in Frankreich geboren, habe in der französischen Armee gedient, und soll auch zur Zeit des amerikanischen Sezessionskriege.-* sich auf seine französische Nationalität berufen haben, um dem Militärdienst in Nordamerika auszuweichen.

Der Rekurrent sei allerdings in New-York établir! gewesen, allein er habe in den Jahren 1865 und 1866 nicht blos vorübergehend in Paris sich aufgehalten, vielmehr damals über Jahresfrist dort gewohnt. Er habe also nach der französischen Gcsc.zge.bnng (Art. 69 und 74 des Code de procédure civile) vor dem Gerichte in Paris belangt werden können. Uebrigens haben die Bundesbehörden sich nicht mit der Frage zu befassen, ob er zur Zeit des ersten Prozeßverfahrens nur vorübergehend in Paris sich aufgehalten, habe: hätte er die Kompetenz der Parisergerichte anstreiten wollen, so hätte er es damals vor dem Gerichte selbst thun müssen und namentlich bei seiner Opposition gegen die Vollziehung des Urtheils (1870) eine bezügliche Einrede erheben sollen. Auch sein zweiter Aufenthalt in Paris sei kein vorübergehender gewesen, da er laut vorliegendem Miethsvertrage bereits im Juni ISO!) wieder in Paris Wohnung genommen habe. Er habe diese Stadt erst im Mai 1871 verlassen, sei also auch zur Zeit der Ausfällung des von ihm selbst veranlagten Urtheiles vom 14. September 1870 noch dort gewesen.

I n Er w ä g u n g :

\ ) Für die Bundesbehörden kömmt einzig in Betracht, ob die Behörden des Kautons Waadt Staatsverträge verlezt haben, weil sie dem in Frankreich gegen den Rekurrenten erlassenen Urtheil exekutorische Wirkung zuerkennen und Hand dazu bieten, daß das Urtheil im Kanton Waadt seine. Vollziehung finde:

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2) Anbelangend den zwischen «1er Schweiz und Frankreich bestehenden Vertrag über den Gerichtsstand und die Vollziehung von Urtheilen vom Jahre 1869, so ist vorab zu bemerken, daß nach Art. 12 dieses Vertrages Opposition gegen das Kontumazurtheil nur bei den Behörden in Frankreich erhoben werden kann. Was die Vollziehung selbst anbetrifft, so liegt kein Verstoß gegen die Art. 16 und 17 des Vertrages vor, so daß eine Inhibition Seitons der Bundesbehörden sich nicht rechtfertigen würde: 3) Was den zwischen der Schweiz und Nordamerika bestehenden Vertrag betrifft, so ist zu bemerken, dass die Eigenschaft des Rekurrenten als nordamerikanischer Bürger bestritten wird, und daß zudem nicht nachgewiesen ist, daß gegen ihn anders verfahren worden sei, als gegen einen Schweizerbürger im gleichen Falle geschehen würde ; 'Uebrigens kann aus dem Vertrage mit Nordamerika für die Gerichtsstandsfrage und die Vollziehung eines Urtheiles überhaupt nichts abgeleitet werden, weil dieser Vertrag die Regelung ganz anderer Verhältnisse bezwekt und sich mit der hier zu entscheidenden Frage gar nicht befaßt; beschlossen: 1. Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. Sei dieser Beschluß dem Staatsrathe des Kantons Waadt, für sich und zuhanden des Hrn. Fürsprecher Nieß in Yverdon als Anwalt des Rekursbeklagten Hrn. Machenaud-Neuillac, sowie dem Rekurrenten. Hm. Amadee H. Simonin in Yverdon, unter Rükschluss der Aktenmitzutheilen..

B e r n , den 7. April 1873.

[m Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident

Ceresole.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Schiess

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Summarische Uebersicht der

Ein

A u s - und D u r c h f h r in der Schweiz im Monat April 187 und 1872.

(Mit Angabe der wichtigsten Artikel dieses Verkehrs.)

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluss in Sachen des Rekurses des Hrn. Amadée Simonin in Yverdon, betreffend Vollziehung eines französischen Civilurtheils. (Vom 7. April 1873.)

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24.05.1873

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