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der Schweiz und Portugal über gegenseitige Auslieferung von Verbrechern.

(Vom 30. Oktober 1873.)

Der Bundesrath der schweizerischen Eidgenossenschaft und

Seine Majestät der König von Portugal und Algarbien, von dem Wunsche beseelt, zur Regelung der g e g e n s e i t i g e n A u s l i e f e r u n g der Verbrecher einen Vertrag abzuschließen, haben zu diesem Ende zu ihren Bevollmächtigten ernannt: Der Bundesrath der schweizerischen Eidgenossenschaft: Herrn Bundesrath Joseph Martin Knüsel, Vorsteher des Justizund Polizeidepartements, Seine Majestät der König von Portugal und Algarbien: Herrn Vicomte von Santa lsabel, Seinen außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei der schweizerischen Eidgenossenschaft, welche, nach gegenseitiger Mittheilung ihrer, in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten, über folgende Artikel sich verständigt haben: Art. 1.

Die Regierung der schweizerischen Eidgenossenschaft und die portugiesische Regierung verpflichten sich, gegenseitig alle diejenigen Individuen (mit Ausnahme der eigenen Staatsangehörigen) auszuliefern, welche von Portugal, den Inseln Madeira und den Azoren und aus den Provinzen jenseits des Meeres in die schweizerische Eidgenossenschaft, oder von der Schweiz nach Portugal, nach den Inseln Madeira und den Azoren, oder in die Provinzen

424 jenseits des Meeres sich geflüchtet haben und welche als Urheber oder Mitschuldige eines der im dritten Artikel des gegenwärtigen Vertrages aufgezählten Verbrechens von den Gerichten desjenigen der beiden Staaten, dessen Gerichtsbarkeit sie unterstehen, angeklagt oder verurtheilt sind.

Die in beiden Ländern vor der Begehung des Verbrechens naturalisirten Individuen sind in der Ausnahme dieses Artikels inbegriffen.

Art. 2.

Das Auslieferungsbegehren muß von beiden Regierungen auf diplomatischem Wege gestellt werden.

Zur Begründung der Auslieferung ist nothwendig, · daß in Original oder amtlich beglaubigter Abschrift das Décret über Versezung in Anklagezustand, oder das Strafurtheil, oder der von der competenten Behörde und nach den gesezlichen Formen des Landes, dessen Regierung die Auslieferung verlangt, ausgestellte Verhaftsbefehl, beigebracht werde. Die betreffende Urkunde muß die Natur des Verbrechens angeben und eins anwendbare Strafgesez bezeichnen.

Die Personalbeschreibung des Angeklagten oder Verurtheilten, sowie alle zur Ermittlung seiner Identität geeigneten Angaben sind, wenn möglich, ebenfalls beizubringen.

Art. 3.

Die Auslieferung wird stattfinden hinsichtlich der als Urheber oder Mitschuldige nachstehender Verbrechen Angeklagten oder Verurtheilten : 1) Absichtliche Tödtung, Elternmord, Kindsmord, Vergiftung; 2) absichtliche Körperverlezung, die ohne Absicht zu tödten den Tod zur Folge hatte, oder welche die Zerstörung oder Beraubung eines Gliedes, Verstümmelung oder Unbrauchbarmachung eines Organs, Störung oder Beraubung des Verstandes, oder lebenslängliche oder mehr als zwanzig Tage andauernde Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte; 3) Nothzucht, gewaltsame Entführung, und jedes andere, mit oder ohne Gewaltthätigkeit begangene Attentat auf die Scham · haftigkeit, wenn die angegriffene Person weniger als dreizehn Jahre alt ist; 4) Abtreibung der Leibesfrucht; 5) Bigamie ; 6) simulirte Niederkunft; Verheimlichung, Unterdrükung, Vertauschung oder Entführung von Minderjährigen ;

425 7) Diebstahl über 20,$000 Reis -- 100 Franken; Vertrauensmißbrauch, Kassendiebstahl, Erpressung, Unterschlagung von zur Aufbewahrung anvertrauten Werthschriften oder Dokumenten, oder begangen durch einen Angestellten der Anstalt oder des Bureaus, wo sich die Titel befanden.

8) Komplott zur Begehung von Verbrechen, welche in gegenwärtigem Vertrag vorgesehen sind ; 9) Androhung eines Angriffes, welcher ein mit schwerer Strafe belegtes Verbrechen bildet ; 10) Absichtliche Brandstiftung; 11) Anfertigung, Einfuhr, Ausgabe, Verkauf, Nachmachung und Gebrauch falscher Münze, mit Inbegriff von Obligationen, Inskriptionen oder irgend welcher andern Staatsschuldscheine; -- von Banknoten und aller andern Papiere, die Kurs haben wie Geld ; -- Nachmachung von Diplomen oder amtlichen Akten, von Siegeln, Postmarken, Kontrol- und aller andern Stempeln der Staatsregierung oder irgend welcher öffentlichen Verwaltung; -- von Wechseln und andern Kreditpapieren; -- Fälschung öffentlicher oder privater Urkunden oder Titel; 12) betrügerischer Bankerott; 13) falsches Zeugniß und falsche Expertisen in Kriminalsachen Bestechung von Zeugen; 14) absichtliche Zerstörung oder Beschädigung von beweglichem oder unbeweglichem Eigenthum; Angriff gegen Personen mit Anwendung von äzenden oder giftigen Stoffen, oder unter andern erschwerenden Umständen; in strafbarer Absicht begangene Zerstörung oder Schädigung einer Eisenbahn oder von Telegraphenverbindungen, wenn daraus ein Unglük oder schwerer Schaden entstanden ist.

In den vorstehenden Begriffsbezeichnungen ist der Versuch von allen Handlungen Inbegriffen, welche durch die Gesezgebung beider kontrahirenden Länder als Verbrechen bestraft werden.

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§ 1. Die Auslieferung wird nicht gewährt, wenn das Vergehen nach der in Kraft bestehenden Strafgesezgebung eines der beiden Länder nur korrektionell strafbar ist.

§ 2. Individuen, die wegen Verbrechen angeklagt oder verurtheilt sind, auf welche nach der Gesezgebung des reklamirenden Staates die Todesstrafe anwendbar ist, können nur unter der Bedingung der Umwandlung dieser Strafe ausgeliefert werden.

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Art. 4.

In keinem Falle darf die Auslieferung wegen politischer Verbrechen oder Vergehen oder wegen irgend eines andern darauf bezüglichen Grundes ' stattfinden.

Art. 5.

Die Individuen, deren Auslieferung gewährt worden ist, können in keinem Fall beurtheilt oder bestraft werden wegen politischer Verbrechen oder Vergehen, welche v o r der Auslieferung begangen wurden, noch wegen damit zusammenhängender Handlungen, noch auch wegen irgend eines anderen vorangegangenen Verbrechens oder Vergehens, das nicht identisch ist mit demjenigen, welches die Auslieferung begründet hat, wenn nicht die ausdrükliche und freiwillige Zustimmung des Angeklagten vorliegt, wovon der Regierung, welche die Auslieferung bewilligt hat, Kenntniß gegeben werden muß.

Art. 6.

Die Auslieferung wird gleichfalls verweigert, wenn nach den Gesezen desjenigen Landes, in welches der Angeklagte sich geflüchtet hat, in Bezug auf die ihm angeschuldigte That Verjährung der Strafe, oder dei- Strafklage, eingetreten ist.

Art. 7.

Die Verbindlichkeiten der Strafbaren gegen Privatpersonen können die Auslieferung nicht aufhalten; es bleibt aber der geschädigten Partei vorbehalten, ihre Rechte vor der zuständigen Behörde geltend zu machen.

Wenn der Verurtlieilte oder Angeschuldigte den beiden kontrahirenden Staaten fremd ist, so kann die Regierung, welche die Auslieferung zu bewilligen hat, Einwürfe, welche die Regierung desjenigen Landes, dem das betreffende Individuum angehört, gegen die Auslieferung zu erheben im Falle .wäre, vernehmen. Die Regierung, an welche das Auslieferungsbegehren gerichtet wurde, kann den Angeschuldigten nach freiem Ermessen demjenigen Staate, auf dessen Gebiet das Verbrechen oder Vergehen begangen wurde, oder dem heimatlichen Staate ausliefern, wofern lezterer sich verpflichtet, den Angeschuldigten den Gerichten zu überweisen.

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Art. 9.

Wenn der Angeklagte oder Verurtheilte, dessen Auslieferung von einem der Vertragsparteien nach dem gegenwärtigen Vertrage verlangt wird, auch von einer anderà Regierung, oder von mehreren, mit denen gleichartige Verträge abgeschlossen worden sind, wegen Verbrechen begehrt wird, welche auf den betreffenden Territorien begangen worden sind, so wird derselbe der Regierung desjenigen Staates, auf dessen Gebiete er das schwerste Verbrechen begangen hat, oder falls die Verbrechen gleich schwer wären, derjenigen Regierung ausgeliefert, welche das Auslieferungsbegehren zuerst gestellt hat.

Art. 10.

In dringenden Fällen kann jede der beiden Regierungen, gestüzt auf einen Spruch über Versezung in Anklagezustand, auf einen Verhaftbefehl, oder auf ein gegen den Schuldigen gelulltes Strafurtheil, durch den Telegraphen oder durch jedes andere Verkehrsmittel und auf diplomatischem Wege die provisorische Verhaftung des Angeklagten oder Verurtheilten begehren, unter der Bedingung, daß sie in der Frist von 25 Tagen die Dokumente nachsende, welche nach dem Wortlaut des gegenwärtigen Vertrags ein Auslieferungsbegehren begründen.

Art. 11.

Wenn die Auslieferung in der Frist von drei Monaten, vom Tage an zu rechnen, wo der Angeklagte oder Verurtheilte der Behörde des requirirenden Staates zur Verfügung gestellt wurde, nicht vollzogen ist, so muß besagter Angeklagte oder Verurtheilte i:i Freiheit gesezt und darf derselbe wegen des nämlichen Grundes nicht wieder verhaftet werden.

In diesem Falle hat diejenige Regieruno;, welche die Auslieferung verlangt hat, die Kosten zu tragen.

Art. 12.

Individuen, deren Auslieferung verlangt wird, und welche in dem Lande, wohin sie sich geflüchtet haben, wegen dort begangener Verbrechen in Untersuchung gezogen oder verurtheilt worden sind, werden erst nachdem sie freigesprochen worden oder die ihnen auferlegte Strafe ausgestanden haben, ausgeliefert.

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Art. 13.

Die gestohlenen, im Besize des Verbrechers gefundenen Sachen, die Werkzeuge und Geräthe, deren er sich zur Begehung des Verbrechens bediente, sowie jedes andere ßeweissstük, sollen auf jeden Fall ausgehändigt werden, ob die Auslieferung bewerkstelligt, oder durch Tod oder Flucht des Schuldigen unmöglich wird. Vorbehalten bleiben die Rechte dritter Personen auf die erwähnten Gegenstände, welche ihnen nach beendigtem Strafverfahren kostenfrei zurükzustellen sind.

Art, 14.

Die -Kosten der Verhaftung, der Gefangenhaltung, des Unterhalts und des Transportes der Individuen, deren Auslieferung bewilligt worden, sowie die Kosten der Zustellung der im vorstehenden Artikel erwähnten Gegenstände, fallen demjenigen Staate zur Last, auf dessen Gebiet der Schuldige sich geflüchtet hat. Die Transport- und andern Kosten auf Gebiet der zwischenliegenden Staaten trägt der requirirendc Staat.

Art. 15.

Wenn im Laufe des in einem der beiden Staaten eingeleiteten Strafverfahrens die Abhürung von Zeugen, welche in dem andern Staate wohnen, für nöthig erachtet würde, so soll zu diesem Zweke auf diplomatischem Wege ein Rogatorium eingesandt werden, und es ist demselben Folge zu geben gemäß den in Kraft befindlichen Gcsezen des Landes, in welchem die Abhörung der Zeugen stattfinden soll.

Die beiden Regierungen verzichten auf jede Forderung auf Rukerstattung der Kosten, die durch den Vollzug der Rogatorien entstehen, es wäre denn, daß es sich um Kriminal-, Handels- oder gerichtlich-medizinische Expertisen handeln würde.

Art. 16.

Die beiden Regierungen verpflichten sich, einander die Strafurtheile, welche von den Gerichten des einen der Vertragsstaaten gegen Angehörige des andern .wegen Verbrechen und Vergehen ausgefällt werden, mitzutheilen.

Diese Mittheilung hat auf diplomatischem Wege durch Zustellung einer amtlich beglaubigten Abschrift des rechtskräftig gewordenen Urtheils an die Regierung desjenigen Landes, dem der Schuldige angehört, zu geschehen.

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Art. 17.

Der gegenwärtige Vertrag verbleibt in Kraft während fünf Jahren, vom Tage der Auswechslung der Ratifikationen an gerechnet, und wird so lange verbindlich bleiben, bis eine der beiden kontrahirenden Regierungen der andern sechs Wochen vorher ihre Absicht, von ihm zurükzutreten, mittheilt. Der gegenwärtige Vertrag ist zu ratifiziren, und es sollen die Ratifikationen so bald als möglich zu Bern ausgewechselt werden.

Zur Urkunde dessen haben die.Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet und demselben ihr Wappensiegel beigedrukt.

So gesehen zu B e r n in doppelter Originalausfertigung, den dreißigsten Oktober eintausend achthundert dreiundsiebenzig (30. Oktober 1873).

Der schweizerische BevollDer portugiesische Bevollmächtigte : mächtigte : (Gez.) J. M. Knüsel.

(Gez.) Vicomte de Santa lsabel.

(L. S.)

(L. S.)

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Botschaft des

Bundesrathes an die geschehenden Räthe der Eidgenossenschaft, betreffend den Ankauf des Posthauses in Genf.

(Vom 17. November 1873.)

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Von allen Verwaltungen des Bundes sind die Post- und die Telegraphen-Verwaltung die einzigen, welchen vorn Bunde keinerlei Lokale geliefert werden und welche daher darauf angewiesen sind, sich die erforderlichen Diensträumlichkeiten durch Privat-Miethverträge zu beschaffen.

Während für die eidg. Zoll,- Pulver- und Militärverwaltungen wenigstens theilweise und in soweit es die dienstlichen Interessen jeweilen erheischten, von Bundes wegen Gebäulichkeiten erstellt oder angekauft wurden, während sowohl die Kantone als auch die Privat-Unternehmungen es für angemessen und vortheilhaft erachten, eigene Amtslokale und Gebäude zu besizen, während in andern Staaten vorzugsweise darauf Bedacht genommen wird, die Postverwaltung in Bezug auf die Dienstlokale unabhängig und selbstständig zu stellen, damit sie im Falle sei, jeweilen den wechselnden Interessen des Verkehrs folgen zu können, während endlich leicht nachgewiesen werden kann, daß der eigenthümliche Besiz von Dienstlokalen für die

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Vertrag zwischen der Schweiz und Portugal über gegenseitige Auslieferung von Verbrechern. (Vom 30. Oktober 1873.)

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1873

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52

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29.11.1873

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423-430

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