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Bericht der

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Minderheit der ständeräthlichen Kommission über den Rekurs von Joseph Maria D ü r r e r, betreffend Verfassungsverlezung. . . . . . . . Y ; (Vom 14. Dezember 1872.)

Der Rekurrent, Joseph Maria Durrer von Obwalden, erhielt am 25. April 1869 nach Beendigung der Lands gemeinde, auf der Post in Samen, ein anonymes Schreiben, das er auf dem Postbureau selbst öffnete und laut vorlas.

In diesem Schreiben waren eine Anzahl Personen aus Obwalden, meistens Beamte, theils injurirt theils lächerlich gemacht.

Vom Postbüreau weg begab er sich in eine Wirthschaft und las daselbst vor d'en ziemlich zahlreichen Gästen das betreffende Schreiben ebenfalls laut vor.

In Folge dessen haben 13 Einwohner von Sarnen am 3. Mai 1869 bei der Regierung von Obwalden Klage geführt, indem sie verlangten, die Regierung möge gegen den Urheber und den Verbreiter des Pamphletes eine strafrechtliche Untersuchung einleiten und dem schon seit längerer Zeit andauernden Unwesen der öffentlichen Beschimpfung und Verhöhnung der Bürger ein Ende machen.

Die in dem erwähnten Briefe beschimpften oder verhöhnten Regierungsräthe, sowie diejenigen, welche mit diesen im Ausstands-

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grade ' verwandt waren, nahmen bei Behandlung der Sache den Ausstand, und es blieben in Folge dessen nur noch 3 Mitglieder übrig.

Diese 3 Mitglieder fassten am 5. Mai 1869 den Regierungsbeschluss, sich als Justizkommission zu konstituiren. Als Schreiber des Regierungsrathes handelte hiebei der Landschreiber Herr Jos.

Gasser.

Zu den verfassungsmässigen Funktionen der Justizkommission gehört die Beschlussfassung über Untersuchung in Kriminal- und Polizeifällen, die Leitung und Beaufsichtigung der Verhöre, die UeberweisungO der Prozeduren an das Kriminal- oder Polizeigericht und O die Ueberwachung der Staatsanwallschaft.

Die so gebildete Justizkommission beschloss die Einleitung des Strafverfahrens und demgemäss die Anhebung einer Untersuchung.

Ein Mitglied der Justizkommission trat nunmehr als Verhörrichter und ein anderes als Staatsanwalt in Thätigkeit.

Nach beendigter Untersuchung führte dieser Staatsanwalt gegen Jos. Maria Durrer beim Polizeigerichte des Kantons Obwalden Klage ,,wegen Veröffentlichung des an lezter Landsgemeinde ihm per Post zugekommenen ehrverlezenden Pamphletes."

Der Anwalt des Angeklagten beantragte, es wolle das. Polizeigericht auf die bezügliche Klage nicht eintreten, a. weil in der Art und Weise der Einleitung der Klage eine Verlezung der Verfassung und der Geseze liege, und b. weil das Polizeigericht zur Beurtheilung des Falles nicht compétent sei.

Eine Verlezung der Verfassung liege darin, dass die in Sachen handelnde .Justizkommission nicht verfassungsgemäss gebildet worden sei.

Nach Art. 54 der Verfassung seien mindestens 4 Mitglieder der Regierung erforderlich, um einen gültigen Beschluss fassen zu können. Diese Justizkommission sei aber bloss unter Mitwirkung von 3 Mitgliedern gebildet worden. Sei aber die Justizkommission keine verfassungsmässige Behörde, so seien auch die von ihr gefassten Beschlüsse nichtig; seien aber diese Beschlüsse nichtig, so liege gegen ihn keine gültige Untersuchung und keine Klage vor.

Eine Verlezung von Verfassung und Gesez liege ferner darin, dass Verhörrichter und Staatsanwalt 2/3 der Justizkommission gebildet hätten, während nach Art. 53 der Verfassung und Art. 13

3*1 des Gesezes über das Strafrechtsverfahren Verhörrichter und Staatsanwalt der Justizkommission untergeordnet und nicht beigeordnet seien.

Das Gericht sei zur Beurtheilung des Falles nicht compétent, weil es sich um eine Injurie handle und weil nach Art. 59, lit. c der Verfassung, sowie nach Art. l, Ziff. 5 der Strafprozessordnung die Abwandlung von Injurienklagen nicht dem Polizeigerichte, sondern dem Civilgerichte zukomme.

Das Polizeigericht erkannte unterm 5. Juli 1869, es sei zur Beurtheilung des vorliegenden Falles nach Art. 59, Ut. e der Verfassung und nach Art. l, Ziff. 5 der Strafprozessordnung nicht compétent.

, Die in Sachen niedergesezte Justizkommission erklärte hierauf die Appellation.

Der Angeklagte liess in der Appellationsinstanz geltend machen : 1) das für seinen Prozess in ausserordentlicher Weise constituirte Obergericht sei nicht in verfassungsmässiger Weise zusammengesezt und daher nicht compétent, auf die Appellation einzutreten ; 2. das Urtheil des Polizeigerichts sei nicht appellabel (Art. 119 der Strafprozessordnung) ; 3. beantrage er eventuell Bestätigung des erstinstanzlichen Urtheils aus den vor Polizeigericht geltend gemachten Gründen.

Das Obergericht des Kantons Obwalden besteht aus 9 ordentlichen Mitgliedern und 4 Suppleanten.

Für den Fall Durrer war es zusammengesezt aus 4 ordentlichen Mitgliedern und 5 ausserordentlichen Ersazrichtern, nämlich einem Civilrichter und 4 Friedensrichtern. Die Leztern wurden für den konkreten Fall von den Erstem ernannt, resp. gewählt.

Präsidirt wurde das Obergericht durch den Oberrichter und Landschreiber Joseph Gasser, der bereits als Sekretär des Regierungsrathes in Sachen geamtet hatte.

Das Obergericht wies die gegen dasselbe vorgebrachte Einrede der Inkompetenz ab, gestüzt darauf, dass es nach Art. 63 der Verfassung sich selbst zu ergänzen gehabt habe, sobald es mit den ordentlichen Richtern und Suppleanten nicht mehr vollzählig .sei, welcher Fall vorliege.

Ferner erklärte es das Polizeigericht für compétent zur materiellen Behandlung der Klage, da nicht eine Klage auf Ehrverlezung, Bundesblatt. Jahrg. XXV. Bd.I.

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342 sondern eine solche wegen Versuchs der Provokation und Ruhestöfung wegen Verbreitung eines Pamphletes vorliege. Es komme hiebei Art. 79 des Polizeistrafgesezes zur Anwendung, welcher, das Polizeigericht zur Abwandlung solcher Klagen anweise.

In Folge dieses Erkenntnisses wurde der Fall wieder an's Polizeigericht zurükge^Viesen.

Vor Polizeigericht erhob der Beklagte ausser den schon bei der ersten Verhandlung geltend gemachten Einreden folgende weitere : 1) der erstinstanzliche Entscheid sei nicht appellabel gewesen; 2) das Obergericht sei nicht in verfassungsgemässer Weise gebildet gewesen ; 3) das Obergericht habe eine andere Klage behandelt, als diejenige, welche der ersten Instanz vorgelegen habe. Bei der ersten Instanz sei nämlich wegen Ehrverlezung geklagt worden, das Obergericht habe dagegen eine Klage wegen Gefahrdung der öffentlichen Ordnung und wegen Erregung öffentlichen Aergernisses behandelt.

Das obergerichtliche Urtheil sei daher nach allen Seiten hin nichtig.

Das Polizeigericht wies die Einrede auf ungehörige Besezung des Obergerichtes ab, weil der Beklagte versäumt habe, das Kassationsverfahreu einzuleiten, und dadurch dieses Gericht faktisch anerkannt habe.

Ferner erklärte sich das Polizeigerichl zur materiellen Behandlung der Klage für kompetent, weil eine Klage auf Provokation und Ruhestörung durch Verbreitung eines Briefes vorliege, daher Art. 79 des Polizeistrafgesezes zutreffe.

In der Sache selbst erklärte es den Angeklagten des Versuches der Provokation "und der Ruhestörung durch Verbreitung eines an lezter Landsgemeinde per Post erhaltenen Briefes für schuldig und verfällte ihn zu einer Busse von 31 Franken und zur Tragung der Kosten.

Auf die übrigen vom Beklagten vorgebrachten Einreden gab das Polizeigericht keine Antwort.

Gegen dieses Urtheil wurde von keiner Seite appellirt. Es trägt das Datum des 24. August 1869.

Am 22. März 1870 erhielt der Verurtheilte die Kostenrechnung.

Sie beträgt ohne die Busse Fr. 90. 75 Cts.

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Die Regierung forderte ihn auf, diese Kosten nebst Busse innert 14 Tagen zu bezahlen, widrigenfalls er dieselben mit Strafarbeit zu Fr. 1. 50 Cts. per Tag sogleich abzuverdienen habe.

Mit Zuschrift an die Regierung vom 25. März verweigerte Joseph Durrer die Bezahlung der Busse und Kosten aus zwei Gründen : a. weil er bereits an den Bundesrath rekurirt habe, und b. weil die Kosten um Fr. 44. 35 Cts. zu hoch angesezt seien.

Das Obergericht habe-nämlich die für den Civilprozess geltende Vorstandsgebühr berechnet, während es doch selbst und gegen seine Anträge die Klage alsPolizeiklagee bezeichnete. Der Unterschied mache dea von ihm bestrittenen Betrag aus.

Ferner machte er der Regierung gegenüber geltend, dass sie ihn für die Kosten nicht mit Zwangsarbeit bedrohen könne, vielmehr zur Beibringung derselben nach Gesez und Recht nur das Mittel des Rechtstriebs zur AnwendungO bringen dürfe.

O Später deponirte er die Busse von Fr. 31 bis zur Erledigung seines Rekurses.

Mit Eingabe vom 20. Dezember 1870 erhob Namens des Joseph Maria Dürrer Herr Fürsprecher R. Deschwanden in Stans beim Bundesrathe Beschwerde gegen das ganze Verfahren, weil dadurch Verfassung und Gesez verlezt worden seien.

Der Bundesrath wies die Beschwerde ab und zwar in Erwägung: 1) Die Beschwerde richtet sich gegen Verlezungen der Bundesverfassung, der Kantonsverfassung und verschiedene kantonale Geseze.

2) Was die behauptete Verlegung von Vorschriften der Bundesverfassung betrifft, so beruft sich Rekurrent auf die Art. 5 und 53.

Diese Artikel gewähren dem Bürger allerdings den Schuz der verfassungsmässigen Rechte, daher darf Niemand seinem verfassungsmässigen Gerichtsstand entzogen und vor ein Ausnahmsgericht gestellt werden.

3) Von einem Ausnahmsgericht kann aber hier keine Rede sein, da es sich einzig darum handelt, welches von zwei verfassungsgemäss aulgestellten Gerichten zur Beurtheilung des Straffalles zuständig sei. Es hängt dieses von der rechtliehen Natur der eingeklagten Handlung ab. Diese zu bestimmen ist aber nicht Sache des Bundesrathes, sondern der zuständigen kantonalen Behörden.

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4) Soweit die Beschwerde gegen Verlezung kantonaler Verfassungsbestimmungen gerichtet ist, so ist auffallend, dass Rekurrent von dem Rechte der Weiterziehung an obere gerichtliche Instanzen keinen Gebrauch gemacht hat. Indess ist daran zu erinnern, dass Beschwerden gegen die Verfassungsmässigkeit von Entscheiden oder Verfügungen kantonaler Behörden nach konstanter bundesrechtlicher Praxis zuerst vor die oberste Kantonsbehörde gebracht werden müssen, ehe eine solche bei den Bundesbehörden zulässig ist (vide Ullmer, Bd. I, Nr. 355 und Bd. II, Nr. 861, S. 166).

5) Was endlich die Auslegung und Anwendung blosser kan-.

tonaler Geseze betrifft, so fallen diese ganz in den Bereich der kantonalen Souveränität. Eine Einmischung des Bundesrathes würde sich erst in demFalle rechtfertigen, wenn dadurch Bundesvorschriften verlezt würden; es ist dieses jedoch hier nicht der Fall."

Gegen diesen Entscheid rekurrirte Dr. Franz Schmied, Fürsprecher in Altdorf, Namens des Joseph Maria Durrer, an die Bundesversammlung.

Er beantragt: ,,Es wolle der Bundesversammlung belieben, in Aufhebung des ^bundesräthlichen Entscheides vom 15. Mai 1871 und der bezüglichen Motive, das Urtheil des Obergerichtes von Obwalden d. d.

,,7. August 1869 und dasjenige des Polizeigerichtes vom 21. gleichen ,,Monats seinem vollen Inhalte nach als nichtig erklären und ausser ,,Kraft sezen.

Er begründet diesen Antrag im Wesentlichen wie folgt: ,,1. dass die dem Rekurrenten zur Last fallende Handlung, weil, wenn überhaupt ahndungswürdig, unter den Begriff der als Ehrverlezung zu bezeichnenden Reate fallend, zufolge "Vorschrift der Verfassung von Obwalden (Art. 59 litt, c) und der einschlägigen Landesgeseze (Gesez über- Strafrechtsverfahren Art. 5, Abs. l und Art. 6, Abs. 3) der Cognition des Civilrichters zu unterstellen war; 2. dass auch die gerichtliche Verhandlung, da der Thatbestand der Amtsehrverlezung, wie dies die Regierung; von Obwalden in ihrer Eingabe selbst zugesteht, hier nicht vorliegt, gemäss Verfassung (Art. 57) und Gesez (Strafprozessordnung Art. l, § 5) nach civilrechtlichen Formen hätte erfolgen sollen; 3. dass die ganze Procedur, wie sie gegen den Rekurrenten geführt, wurde, als eine durch und durch ungesezliche und verfassungswidrige sich darstellt, indem a. der Regierungsrath, aus nur 3 Mitgliedern bestehend, entgegen Art. 54 der Verfassung Beschlüsse i'asste und als ausserordentliche Justizkommission sich konstituirte,

345 b. Verhörrichter und Staatsanwalt dem Regierungsrath, resp. der extra formirten Justizkommission angehörten und sogar zwei Drittheile derselben repräsentirten, statt ausser und unter derselben zu stehen, e. der rechtliche Standpunkt des Prozesses durch den Staatsanwalt vor den Schranken des Obergerichtes und dann durch das Obergericht selbst unbefugt und willkürlich zum Nachtheile des Beklagten verändert und verrükt wurde ; 4. dass auch bei .bestehender Zuständigkeit des Polizeigerichtes dem Urtheile desselben vom 5. Juli 1869 die Appellationsfähigkeit nach Art. 62 der Verfassung mangelte; 5. dass das Obergericht in ungenügender ungehöriger Weise besezt, resp. ergänzt war; 6. dass eine Kassationsbewerbung weder erforderlieh noch ausführbar war; 7. dass ebensowenig eine Weiterziehung an die obersten kantonalen Gerichts- und Verwaltungsbehörden bei vorhandener vielfacher Ausserachtlassung bundesrechtlicher Grundsäze und kantotonaler Verfassungsbestimmungen als unerlässliche Bedingung zur Betretung des Rekursweges vor die h. Bundesbehörden sich hinstellen lässt.a Nach reiflicher Prüfung des umfangreichen |Aktenmaterials ist Ihre Kommission zu folgenden Anschauungen und Schlüsseö gelangt : 1) Was die Behauptung anbetrifft, dass die dem Rekurrenten zur Last fallende Handlung, wenn überhaupt ahndungswürdig, unter den Begriff der als Ehrverlezung zu bezeichnenden Reate falle und daher nach Art. 59, litt, c der Obwaldner Verfassung und nach Art. 5, AI. l und Art. 6. AL 3 des Gesezes über Strafrechtsverfahren der Cognition des Civilrichters zu unterstellen gewesen sei, so ist allerdings richtig, dass der betreffende Brief zunächst eine Reihe von Injurien enthielt und dass es daher wohl am richtigsten gewesen wäre, wenn Durrer wegen Ehrenkränkung belangt worden wäre.

In diesem Falle hätte nicht das Polizeigericht den Fall zu erledigen gehabt und es hätte auch eine Strafuhtersuchung nicht stattfinden können ; denn Art. 59 der Verfassung sagt : ,,Das Civilgericht beurtheilt uncl bestraft alle Ehrverlezungen ,,in Wort und Schrift" und Art. 5 der Strafprozessordnung lautet: ,,Ehrverlezungen, welche in civilrechtiichen Formen auf civil,,rechtlichem Wege abgewandelt werden, wodurch deren Bestrafung ,,durch diese Behörden nicht ausgeschlossen wird, Amtsinjurien ,,werden nach strafprozessualischem Untersuch und auf Klnge des

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,,Staatsanwaltes gleichfalls mit Straffolge vom Civilrichter abge,,wandelt.

Dagegen lautet § 79 des Polizeistrafgesezes : ,,Vom Staat aus werden dann immer Verleumdungen, Ehrverlezungen, Verbreitung lügenhafter Gerüchte, Vorgaben u. s. w. vor Polizeigericht verfolgt, -wenn das Geschehene vermöge des Zusammenhaltes der vorausgehenden und begleitenden Umstände derart gestaltet ist, dass der Staat aus sich, abgesehen von der Injurie als solcher, wegen öffentlichen Aergernisses, Schwächung der Auktorität, Gefahrdung des allgemeinen Wohlvernehmens oder der Sicherheit, Verlezung guter Sitte u. s. w. einzuschreiten pflichtig ist. Es bleibt dann der Regierung unbenommen, diese Klage vor dem spezifisch strafrichterlichen Forum gesondert, oder vor dem civilrichterlichen Forum in Zusammenhang mit der nach Anweis von Art. l, Ziffer 5 der Strafprozessordnung anzuhebenden Injurienklage und im Auftrag und als Sachwalterin des oder der Injurirten oder neben Leztern durchzufechten. Auf jeden Fall thut die Anhebung der Strafverfolgung Seitens des Staates dem Privatklagrecht keinen Eintrag. Die Strafe auf solche Akte ist, über die Injurienstrafe hinaus, mit der sie bei gleichzeitiger Abwandlung nach Massgabe von Art. 52 des K. St. G. kumuliren würde, eine Geldbusse von 20--150 Fr. oder passende Freiheitsstrafe. In solchen Fällen wie überhaupt bei der Amtsehrverlezung wird auf strafprozessualischen Beweis hin entschieden.

,,In Fällen der Civilklage entscheidet und straft der Civilrichter nach Massgabe der vorausgehenden Artikel dieses Titels."

Es können also Verleumdungen und Ehrverlezungen unter gewissen Umständen auch von Staatswegen verfolgt und vom Polizeigericht beurtheilt werden. Das Polizeigericht ist délier kompetent, die Frage zu entscheiden, ob eine Ehrverlezung im Sinne von Art. 79 des Polizeistra fgesezes vorliege. , Bejaht es diese Frage, was in dem vorliegenden Falle geschehen ist, so hat es die Strafe festzusezen.

Das Polizeigericht war also allerdings zur Beurtheilung des Falles kompetent.

Was die Behauptung anbetrifft, dass das Verfahren ungesezlich und verfassungswidrig gewesen sei, so ist hierauf zu bemerken: Der Regierungsbeschluss, wonach die Regierungsräthe von Moos, Reinert und Vogler die Justizkommission bilden sollten, sowie der Bèschluss, dass ein Untersuch in Sachen stattzufinden und dass Herr Reinert als Verhörrichter die Untersuchung zu führen habe, ist in

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einer Sizung gefasst worden, in welcher nur 3 Mitglieder und zwar eben die Herren von Moos, Reinert und Vogler anwesend waren.

Alle übrigen beobachteten den Ausstand.

Art. 54 der Verfassung sagt nun aber : ,,Zur gültigen Beschlussfassung im Regierungsrathe wird die ,,Anwesenheit von wenigstens 4 Mitgliedern erfordert. Ist aber nur ,,leztere Zahl anwesend, so müssen zu einem gültigen Beschlüsse ,,mindestens 3 Mitglieder stimmen."

Nach dieser ganz klaren und unzweideutigen Bestimmung sind also die angeführten Beschlüsse der Regierung auf Bildung einer Justizkommission, auf Anhebung einer Untersuchung, sowie die Wahl des Verhörrichters nichtig, weil nicht die zur Beschlussfäh gkeit erforderliche Zahl der Mitglieder anwesend w a r.

Daraus folgt, dass alle Handlungen der Justizkommission und alle Handlungen des Verhörrichters ebenfalls ungültig sein müssen.

. Zu den Handlungen der Justizkommission gehört: 1) der Beschluss, dass von Staatswegen klagend gegen Joseph Maria Durrer vorgegangen werden soll; 2) die Bestellung des Verhörrichters, und 3) die Appellationserklärung, denn die leztere ist nach den Akten nicht vom Staatsanwalt, sondern von der Justizkommission ausgegangen.

Zu den Handlungen des Verhörrichters gehört die Führung der Strafuntersuchung:.

O Wenn alle diese Handlungen und damit die aus ihnen folgenden Resultate als nichtig dahinfallen, so existirt keine Klage gegen Durrer, es existirt auch keine Appellation gegen das erste Urtheil des Polizeigerichtes, es fällt überhaupt das ganze Verfahren und folglich auch das Strafurtheil dahin.

Dürrer beschwert, sich ferner deshalb, dass Verhörrichter und Staatsanwalt 2/3 der Justizkommission gebildet hätten.

§ 53 der Verfassung sagt: ,,Die Justizkommission ertheilt dem Verhörrichter und Staatsanwalt die nöthigen Weisungen."

Das Gesez über das Strafrechtsverfahren sagt in §13, Ziff. 2: ,,Die Justizkommission leitet und beaufsichtigt den Untersuch in der Weise, dass sie in die aufgenommenen Verhöre immer Einsicht nimmt, dass sie sich nöthig erachteten Falles vom Verhörrichter

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auch mündlich berichten lässt, und dass sie lezterm bestimmte Weisungen ertheilt, etc.

§ 13, Ziff. 5 desselben Gesezes lautet: ,,Die Justizkommission ertheilt dem Staatsanwalte nöthig erachtete Weisungen allgemeinen oder besondern Inhalts. - - · Sie kann den Staatsanwalt mit b er a t h e n d e r Stimme ihren Sizungen beiziehen etc."

Aus den angerufenen Verfassungs- und Gesezesbestimmungen ist ganz klar, dass Verhörrichter und Staatsanwalt der Justizkommission u n t e r g e o r d n e t und nicht b e i g e o r d n e t sein sollen, und dass insbesondere dem Staatsanwalte n u r eine berathende Stimme in dieser Kommission zukommen kann.

Entgegen diesen Gesezesvorschriften waren nun aber Staatsanwalt und Verhörrichter Mitglieder der betreffenden Kommission, ja sie bildeten sogar die Mehrheit in derselben.

Es l i e g t also auch in der Art der Zusammensezung d i e s e r K o m m i s s i o n eine V e r l e z u n g der V e r f a s s u n g u n d d e r a u s d i e s e r a b g e l e i t e t e n Geseze.

Die weitere Behauptung" des Rekurrenten, es sei der rechtliche Standpunkt des Prozesses durch den Staatsanwalt vor den Schranken des Obergerichts und dann durch das Obergericht selbst unbefugt und willkürlich zum Nachtheile des Angeklagten verändert und verrükt worden, lässt sich nach den der Kommission unterstellten Akten nicht als genugsam erwiesen annehmen. Wäre sie aber auch richtig, so würde allerdings eine Verlezung der gewöhnlichen Prozessregeln vorliegen, aber keineswegs wäre damit die Verlezung klarer obwaldnerscher V e r f a s s u n g s - und Gesezesbes t i m m u n g e n constatirt.

" Weiter behauptet der Rekurrent, es habe dem Urtheile des Polizeigerichts vom 5. Juli 1869 nach Art. 62 der Verfassung die Appellationsfähigkeit gemangelt.

Art. 62 der Verfassung lautet: ,,Wenn nur eine Geldbusse bis auf Fr. 30 oder Gefängniss bis, ,,auf 14 Tage vom Polizeigericht verhängt wird, so ist sein Ent,,scheid inappellabel. " · Durch das Urtheil des Polizeigerichtes vom 5. Juli 1869 wurde überhaupt keine Busse erkannt, sondern bloss die Competenzfrage ' entschieden.

Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, dass wo nicht ausdrükliche Gesezesbestimmungen entgegenstehen, ein Urtheil über die Zuständigkeit eines Untergerichtes appelläbel sein muss. Und

:349 .gerade der Rekurrent sollte dies um so weniger bestreiten, da er ja sogar die Bundesversammlung über den bezüglichen Entscheid der Obwaldner Gerichte anruft.

Rekurrent greift das stattgefundene Verfahren ferner aus dem Grunde an, weil das Obergericht in ungenügender, ungehöriger Weise besezt, resp. ergänzt war.

Befremdend ist allerdings, dass derselbe Beamte, welcher bereits als Protokollführer der Regierung in Sachen geamtet hatte, das in derselben Sache urtheüende Obergericht präsidirte ; dass aber hiedurch Verfassung oder Geseze veiiezt worden seien, wird wohl behauptet, aber nicht nachgewiesen ; denn die Verfassung von Obwalden spricht allerdings den Grundsaz der Trennung der Gewalten aus, allein es scheint derselbe nur so verstanden zu sein, dass der Regierungsrath als solcher keine richterlichen Punktionen haben soll, dass dagegen ein Mitglied der Regierung immerhin auch Mitglied eines Gerichtes sein könne.

Dass das Obergericht sich selbst ergänzte, geschah in Anwendung des Art. 63 der Verfassung, welcher lautet : ,,in gleicher Art ergänzt sich das Obergericht in allen andern Fällen, wenn dasselbe in Verhinderung d,er genügenden Zahl eigener Richter und Suppleanten nicht beschlussfähig sein sollte."

Damit ist für den Fall, als die ordentlichen Mitglieder und Suppleanten zur Vollzähligkeit des Gerichtes nicht ausreichen, das Recht der Selbstergänzung ganz unzweifelhaft constatili. Dass dieser Fall, vorgelegen habe, ist nirgends bestimmt bestritten.

Ob die Ergänzung in der richtigen Art stattgefunden habe, ist allerdings nicht klar. Art. 63 der .Verfassung spricht sich nicht deutlich aus, in welcher Art die Ergänzung stattzufinden ha.be.

Die Regierung von Obwalden behauptet, es sei dies nach bestehendem Usus geschehen.

Die Kommission findet dema;emäss keine genügenden Gründe,7 O O O um in Zweifel zu ziehen, dass das Obergericht in verfassungsmässiger Weise zusamrnengesezt gewesen sei.

Nachdem wir nachgewiesen haben, dass in dem gegen Durrer angewendeten Verfahren allerdings eine Verfassungs- und Gesezesverlezung liege, kommen wir an die entscheidende Frage, ob die Räthe auf Grund des Art. 5 der Bundesverfassung das UrJ;heil des Obergerichtes von Obwalden vom 7. August 1867 und dasjenige des Polizeigerichtes vom 24. gl. Monats als nichtig erklären und ausser Kraft sezen könne, oder ob nicht vielmehr Rekurrent aus dem Grunde abzuweisen sei, weil er an die Bundesbehörden gelaugte,

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bevor er sämmtliche ihm im Kanton Obwalden zu Gebot gestandenen Rechtsmittel erschöpfte.

$ Wir müssen zuerst untersuchen, ob ihm noch solche Rechtemittel zu Gebote gestanden wären.

Art. 66 der Obwaldner Verfassung lautet: ,,Das Revisions- und Kass ationsgericht hat folgende Attribute: ,,b. es spricht die Kassation der Urtheile des Obergerichtes und ,,der nicht appellablen Urtheile der untern Gerichte aus, ' ,,wenn von denselben Verfassung oder Geseze oder gesezliche ,,Formen im Prozessverfahven unzweifelhaft verlezt worden ,,sind, etc.a o Hienach ist es ganz unzweifelhaft, dass Joseph Maria Durrer gegen den Entscheid des Obergerichtes vom 7. August 1869 ein kantonales Rechtsmittel gehabt hätte, das Mittel des Kassationsverfahrens.

Rekurrent sagt zwar, das Mittel der Kassation wäre nicht ausführbar gewesen, weil alle Kassationsrichter bis auf einen sich im Ausstande befunden hätten und eine verfassungsmässige Konstituiruriffö Ö D des Kassationsgerichtes gar nicht möglich gewesen wäre.

Vorerst ist es nicht Sache einer prozessführenden Partei, zu untersuchen, ob der- Staat in der Lage sei, die zur Erledigung seines Rechtsstreites erforderlichen gesezlichen Organe zu schaffen oder nicht. Der Staat ist verpflichtet, diese Organe zu schaffen und wird auch die Mittel finden, dieser Pflicht zu genügen. Speziell im Kanton Obwalden wäre es troz aller Kleinheit und in diesem Prozesse zu Tage tretenden Kleinlichkeit möglich gewesen, einen Kassationshof zu bilden, denn nach § 66 der Verfassung kommt die Wahl der Mitglieder des Gerichtes dem Kantonsrathe zu, und die Wahl ist unter allen stimmfähigen Staatsbürgern frei.

Ferner besteht in dem Kantonsrathe eine Behörde, welche darüber zu wachen hat, dass Verfassung und Geseze gehandhabt werde.

Rekurrent hätte also auch an diese Behörde gelangen könnenDer Buudesrath hat nun die Beschwerde des Joseph Maria Durrer wesentlich aus dem Grunde abgewiesen, weil derselbe seine Beschwerde nicht zuerst bei den zuständigen kantonalen Behörden angebracht habe, was nach constanter bundesrechtlicher Praxis geschehen müsse,i bevor man an die Bundesbehörden gelangen könne.

O o Der Rekurrent bestreitet die Existenz einer solchen Praxis und beruft sich, ohne jedoch bestimmte Fälle zu bezeichnen, auf Ullmer8 staatsrechtliche Praxis, Bd. I & EL

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Die Commission ist nun zu der Ueberzeugung gelangt, dass die vom Bundesrathe behauptete Praxis allerdings bestehe und bestehen müsse.

· Wenn der Angehörige eines Kantons in einem andern Kantone unter Verlezung des Art. 50 der Bundesverfassung belangt wird, so braucht er allerdings nicht die in diesem Kantone bestehenden Rechtsmittel zu ergreifen, er kann vielmehr direkt an die Bundesbehörden gelangen, um sich gegen verfassungswidrige Competenzanmassung zu schüzen. Er braucht nicht Autoritäten anzuerkennen, denen er vermöge seiner Staatsangehörigkeit nicht unterstellt ist.

Wenn aber ein Burger in dem Kanton, in welchem er wohnt, vor einem unzuständigen Richter belangt wird, dann allerdings muss er zuerst alle in diesem Kantone ihm zu Gebote stehenden Rechtsmittel erschöpfen, bevor er an die Bundesbehörden gelangt. Denn er ist vermöge seiner Staatsangehörigkeit der Staatsgewalt dieses Kantons unterstellt.

Der Verkehr von Kanton zu Kanton steht unmittelbar unter tìem Schuze des Bundes, der Verkehr im Kantone selbst nur in so weit, als die verlassungsmässigen Rechte der Bürger, nicht durch die betreffenden Staatsbehörden geschüzt werden (Art. 5 der Bundesverfassung).

Die Kommissionsminderheit kommt daher zu demselben Schlüsse, wie der Bundesrath, jedoch unter andern Motiven : Sie beantragt : in Erwägung, 1) dass der Rekurrent sich darüber beschwert, dass in dem gegen ihn im Kanton Obwalden zur Anwendung gekommenen Strafverfahren eine mehrfache Verlezung der 'kantonalen'Verfassung und kantonalen Geseze liege; 2) dass er desshalb gemäss Art. 5 und 53 der Bundesverfassung berechtigt zu sein glaubt, den Schuz des Bundes in Anspruch zu nehmen ; 3) dass jedoch Beschwerden wegen Verlezung der Kantonsverfassung nach constanter bundesrechtlicher Praxis erst dann vor die Bundesbehörden gebracht werden können, wenn der Beschwerdeführer sämmtliche in seinem Kanton zulässigen Rechtsmittel erschöpft, insbesondere auch die oberste Kantonsbehörde ohne Erfolg um Schuü angerufen hat;

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4) dass nun aber der Rckurrent wegen der von ihm behaupteten Rechtsverlezung weder an das ohne Zweifel zuständige Käs sationsgericht noch an den Kantonsrath des Kantons Obwalden ge langt ist, bevor er seine Beschwerde an die Bundesbehörden brachte beschliesst: 1. Es sei der Rekurs im Sinne der Erwägungen abgewiesen.

2. Sei dieser Beschluss der Regierung des hohen Standes Obwalden, sowie dem Herrn Fürsprecher Dr. Schmied m Altdorf als Anwalt und zu Händen des Rekurrenten, Herrn Joseph Maria Durrer in Wylen bei Samen, unter Rüksendung der Akten mitzutheilen.

Bern, den 14. Dezember 1872.

Namens der Minderheit der ständeräthlichen Kommission: Stamm.

N o t e . Der Ständerath hat am 14. Dezember 1872 den Rekurs unter Bestätigung der bundesräthlichen Motive abgewiesen, der Nationalrath aber am 23. gl. Mts. einen Entscheid verschoben.

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Konzessions-Akt des

Kantons Solothurn für die Jurabahnen.

(Vorn 8. Dezember 1872.)

Der Regierungsrath des Kantons Solothurn, auf Ansuchen des Verwaltungsrathes der Initiativgesellschaft der Jurabahnen vom 30. und 31. März 1870; gemäss Kantonsrathsbeschluss vom 2. Dezember 1871 und in Folge Vereinbarung mit der Regierung von Basel-Landschaft, vom 24. Mai 1872, beschliesst: § 1. Dem Verwaltungsrathe der Initiativgesellschaft für Anstrebung der Jurabahnen wird zu. Händen einer Aktiengesellschaft, welche derselbe ins Leben zu rufen beschäftigt ist, die Konzession für die auf dem Gebiete des Kantons Solothurn befindliche, von der solothurnisch-bernischen Grenze bei der Liesbergermühle in der Richtung nach Basel bis an die Kantonsgrenze bei der Laufen-Glashütte und von der bernischen Grenze bei Angenstein bis an die basellandschaftliche Grenze bei Dornachbrugg (rechtes Birsufer) sich erstreitendeAbtheilung; der Jurabahnen zu den nachstehenden Bedingungen und unter Vorbehalt der Bundesgenehmigung ertheilt.

O

§ 2. Die Gesellschaft hat eine Kaution von Fr. 10,000 zu erlegen. Diese Summe ist zu 3% verzinslich und sofort nach Uebergabe der Bahn zum öffentlichen Betriebe zurükzubezahlen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der Minderheit der ständeräthlichen Kommission über den Rekurs von Joseph Maria Durrer, betreffend Verfassungsverlezung. (Vom 14. Dezember 1872.)

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Bundesblatt

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1873

Année Anno Band

1

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08

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

22.02.1873

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339-353

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