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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche Kantonsregierungen, betreffend Anwendung des zwischen der Schweiz und Frankreich am 15. Juni 1869 abgeschlossenen Vertrags über civil rechtliche Verhältnisse.

(Vom 28. Mai 1873.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Während der Herrschaft des Vertrages mit Frankreich vom 18. Juli 1828, betreffend verschiedene nachbarliche, gerichtliche und polizeiliche Verhältnisse, wurde allgemein darüber Beschwerde geführt, daß die französischen Gerichte Prozesse gegen Schweizer über civilrechtliche Verhältnisse persönlicher oder beweglicher Natur an die Hand nahmen und beurtheilten, obschon nach dem Wortlaute jenes Vertrages der kompetente Gerichtsstand am Wohnorte des Beklagten in der Schweiz gewesen wäre. Der verurtheilte Schweizer wurde dadurch genöthigt, seine Opposition gegen das Urtheil vor den französischen Gerichten geltend zu machen, also vor Gerichten, die nach dem Staats v ertrage inkompetent waren.

Bei Anlaß der Revision des Vertrages von 1828 bestund daher eine der wichtigsten Aufgaben der Bundesbehörden darin, in dem neuen Vertrage die Aufnahme von Vorschriften zu sichern, welche

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die genaue Anwendung des Staatsvertrages Sorge trage und den Prozeß dem zuständigen Gerichte zuweise.

,,Dadurch, daß der Art. 11 dem Richter die Pflicht auferlegt, sich, s o g a r a m t l i c h , als inkompetent zu erklären, scheint schon klar ausgesprochen zu sein, daß auch in Abwesenheit des Beklagten, und selbst ohne eine von ihm geltend gemachte Einrede dei- Inkompetenz, das Gericht seine eigene Inkompetenz erklären soll."

,,Nichts desto weniger sind noch die Worte hinzugefügt worden: ,, u n d z w a r s e l b s t in A b w e s e n h e i t des B eklagten."

,,Es kann also der Beklagte, ohne gehalten zu sein,t T) O , O .

vor den Schranken zu erscheinen, sei es dem Präsidenten des Handelsgerichts, sei es dem Vertreter der Staatsanwaltschaft, wo ein solcher Beamter funktionirt, Notizen und Bemerkungen überschiken, die geeignet sind, über die Anwendung der Bestimmungen des Vertrages aufzuklären. Dieses Mittel kann wenigstens bewirken, daß die Aufmerksamkeit des Gerichtes auf die ihm zustehende Kompetenz gerichtet wird.

Uebrigens werden die Gerichte, in den Instruktionen über die Vollziehung des Staatsvertrages auch über die Tragweite der Bestimmungen des Art. 11 belehrt werden."

Dieses ist wirklich geschehen, und zwar von Seite des Schweiz.

Bundesrathes mittelst Kreisschreiben vom 10. November 1869 (Bundesblatt 1869, III, 133) und von Seite des französischen Ministeriums der Justiz mittelst Cirkular vom 7. Februar 1870.

· ' Dennoch sind in neuerer Zeit wieder die gleichen Uebelstände zu Tage getreten, wie sie unter der Herrschaft des Vertrages von 1828 bestanden und so vielen Bürgern Schaden gebracht haben.

Indeß hat sich aus der Behandlung mehrerer bezüglicher Beschwerden ergeben, daß die Ursache dieser Erscheinung nicht allein in dem Bestreben der französischen Kläger liegt, ihre Klagen von einem französischen Richter beurtheilen zu lassen, sondern auch in der Nachläßigkeit, deren die Schweiz. Beklagten oder ihre Advokaten sich schuldig machen, indem sie die durch den neuen Vertrag ihnen eingeräumten Schuzmittel entweder gar nicht oder nicht rechtzeitig gebrauchen.

Der Bundesrath hat sich daher mit der französischen Regierung dahin geeinigt, daß beidseitig neue Circulare erlassen werden sollen, um die Gerichte und betheiligten Privaten auf die Vorschriften des Vertrages aufmerksam zu machen und deren allseitige Beobachtung

669 ^angelegentlichst zu empfehlen, was unsererseits hiemit geschieht und von Seite des französischen Ministers der Justiz mit Erlaß vorn 12. April a._c. geschehen ist. (Siehe die Beilage hienach.)

Wir bemerken hiebei nochmals, wie es schon in unserm Kreisschreiben vom 10. November 1869 geschehen ist, daß Vorladungen vor inkompetente Gerichte durch die Vorschriften des Vertrages keineswegs absolut verhindert werden können. Sie müssen vielmehr auf dem im Art. 20 des Vertrages vorgeschriebenen Wege an die Beklagten vermittelt werden, ohne daß sie von den vermittelnden Behörden zurükgewiesen werden dürfen. Die Verwaltungsbehörden, sind nämlich nicht berechtigt, von sich aus den Lauf eines gerichtlichen Aktes zu hemmen, selbst wenn sie von der Unstatthaftigkeit desselben vollkommen überzeugt wären, indem.es Sache der betreffenden Partei ist, ihre Interessen zu wahren und entweder eine Kompetenzeinrede zu erheben, oder darauf zu verzichten.

Wenn aber eine Partei glaubt, die Kompetenz bestreiten zu können, so soll sie es unverzüglich nach Empfang der Vorladung thun, indem sie ihre Gründe entweder auf die Citation selbst schreibt," oder direkt in einem besondern Briefe den im erläuternden Protokollzu Art. 11 bezeichneten Beamten mittheilt. Indeß wird der leztere Weg vorzuziehen sein, weil die Citation leicht erst -verspätet an das betreffende Gericht zurükkommt und ein Kontumazurtheil ohne 'vorhergegangene Kompetenzeinrede vermieden werden sollte.

Es ist nämlich ;die Ansicht durchaus irrig, als £>b das von einem inkompetenten französischen Richter erlassene Kontumazurtheil auf diplomatischem Wege, oder von Amtes wegen, nichtig erklärt werden müßte. Dieses Ziel kann lediglich erlangt werden auf gerichtlichem Wege und durch das Rechtsmittel der Opposition, wie Art. 12 des Vertrages ausdrüklich vorschreibt. Der verurtheilte Schweizer muß daher in diesem Falle den Prozeß in Frankreich aufnehmen, wenn auch die Einleitung desselben noch so sehr mit dem Vertrage im Widerspruch steht.

Da nach Art. 20 des Vertrages die Vorladungen auf diplomatischem Wege vermittelt werden müssen, so kommen oft Verspätungen vor. Damit aber der Schweiz.

Beklagte von dem im Vortrage ihm ~ O O eingeräumten Schuzmittel nüzlichen Gebrauch mächen könne, ist nöthig, daß die Vorladung rechtzeitig in seine Hand komme. Der Bundesrath
erlangte deßhalb von der französischen Regierung die Zusicherung, daß künftig die Versendung der Vorladungen an schweizerische Beklagte möglichst befördert werden soll.

Indem wir Sie ersuchen, dieses Kreisschreiben sämmtlichen Gerichten Ihres Kantons mitzutheilen und es überhaupt in thunlicher

670 Weise zu publiziren, hoffen wir, daß alle mit Frankreich im VerkeKr stehenden Privaten in vorkommenden Fällen darnach sich richten und nicht vergessen werden, daß sie ihre Privatinteressen in wirksamer Weise nur auf dem gerichtlichen, Wege wahren können und selbst wahren müssen, indem die Berufung an die Verwaltungsbehörden nur in den seltenern Fällen und einzig bei offenbarer Verlegung des Vertrages zuläßig ist.

Bei diesem Anlaße empfehlen wir Sie, getreue, liebe Eidgenossen, nebst uns in den Machtschuz Gottes.

B e r n , den 28. Mai 1873.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Ceresole.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schiess.

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Beilage.

Kreisschreiben des

Justizministers der französischen Republik an die Herren Generalprokuratoren.

(Vom 12. April 1873.)

, Monsieur le procureur général, une convention conclue le 15 Juin 1869 entre la France et la Suisse, reproduisant et complétant les dispositions d'un précédent traité portant la date du 18 Juillet 1828, a déterminé les règles relatives à-la compétence judiciaire et à l'exécution des jugements en matière civile. · L'article 11 de cette convention est ainsi conçu : ,, Le tribunal suisse ou français devant lequel sera portée la ,, demande qui, d'après les articles précédents, ne serait pas de sa ,, compétence, devra d'office, et même en l'absence du défendeur, ,, renvoyer les parties devant les juges qui devront eu connaître. " L'article 1er de la môme convention dispose que, ,, dans -les ,, contestations en matière mobilière et personnelle, civile ou de ,, commerce, qui s'élèveront, soit entre Français et Suisses, soit ,, entre Suisses et Français, le demandeur sera tenu de poursuivre ,, son action devant les juges naturels du défendeur. " II résulte de la combinaison de ces deux articles qu'en matière personnelle les juges du domicile du défendeur sont, d'une manière absolue, seuls compétents pour connaître de la demande, et que tout autre tribunal qui aurait été saisi doit, d'office, déclarer son incompétence.

Les conférences qui ont précédé le traité et le protocole explicatif qui y a été annexé, les instructions qui ont été adressées par les deux Gouvernements, ne peuvent laisser aucun doute sur la portée de l'article 11, dont le sens a été nettement précisé par une circulaire de l'un de mes prédécesseurs du 7 Février 1870.

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Cette règle, qu'en matière personnelle, civile et commerciale, le juge naturel du défendeur doit seul connaître des contestations entre Français et Suisses, avait déjà été adoptée par le traité du 18 Juillet 1828 et consacrée par la jurisprudence. Un arrêt de la Cour de cassation du 12 Novembre 1832 a annulé, dans l'intérêt de la loi, un jugement du tribunal de commerce de Montpellier, rendu dans un procès intenté par un Français contre un commerçant du Canton de Neuchâtel, et ce principe a été de nouveau proclamé par un arrêt de la chambre civile de la môme cour, du 26 Août 1835.

Cependant j'ai pu me convaincre, par des exemples récents, que la disposition de l'article 11 était souvent méconnue, surtout en matière commerciale. Un assez grand nombre do Suisses, se croyant protégés par cette disposition, avaient négligé de comparaître devant les tribunaux français: ils ont été condamnés par défaut, et obligés de former opposition ou d'interjeter appel des décisions incompétemment rendues contre eux.

La convention du 15 Juin 1869 a été conclue avec un pays auquel nous sommes unis par des relations traditionnelles d'amitié.

C'est un devoir pour nos tribunaux de la respecter, et je suis convaincu qu'il suffira de la leur rappeler pour que désormais elle soit strictement observée.

Je n'ai pas besoin d'ajoiiter que la violation de l'article 11 a non seulement pour conséquence de contraindre les Suisses défendeurs à plaider en France malgré les stipulations formelles du traité, mais encore qu'elle cause, en réalité, un préjudice à nos nationaux eux-mêmes, puisque les frais de ces instances irrégulièrement engagées doivent, en définitive, rester à leur charge.

Je vous prie, Monsieur le Procureur général, de m'accuser réception de la présente circulaire, dont vous voudrez bien transmettre un exemplaire à vos substituts et aux présidents des tribunaux civils et de commerce de votre ressort.

Recevez, Monsieur le Procureur général, l'assurance de ma considération la plus distinguée.

P a r i s , le 12 avril 1873.

· Le Garde des Sceaux, Ministre de" la Justice, J. DUFAURE.

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Vernehmlassung der

Petitionskommission von Basel-Landschaft, in Sachen des Rekurses von Dr. E. Frey, betreffend Besteuerung.

(Vorn 1. Februar 1873.)

Geehrter Herr Präsident!

G ee h r t e H er r e n !

Der Steuerrekurs des Herrn Dr. Emil Frey in Ariesheim tritt nun zum siebenten Male vor Ihre Behörde.

Der Landrath hat sich bisher beharrlich geweigert, denselben materiell zu behandeln, sich stüzend auf § 34 der Verfassung, nach welchem die Gewaltentrennung zu Recht besteht, und auf § 64, nach welchem der Regierungsrath Steuerkonflikte entscheidet.

Einige Mitglieder Ihrer Behörde haben zwar früher schon, mit dem Rekurrenten, aus dem § 46 der Verfassung, nach welchem der Landrath die oberste Behörde des Landes ist und die Oberaufsicht über alle Behörden übt, für den Landrath die Kompetenz des allerlezten Entscheides auch in Steuerkonflikten, mithin einen administrativen Instanzenzug ableiten wollen. Allein die Mehrheit hat sich zu der bei uns bisher unbestrittenen Interpretation bekannt, nach welcher der Landrath beim Vorkommen eines auch verfassungs- oder gesezwidrigen Entscheides dem Regierungsrathe nicht geradezu die Abänderung des getroffenen Entscheides, sondern eine Revision der angewandten Grundsäze auftragen kann.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche Kantonsregierungen, betreffend Anwendung des zwischen der Schweiz und Frankreich am 15. Juni 1869 abgeschlossenen Vertrags über civilrechtliche Verhältnisse. (Vom 28. Mai 1873.)

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1873

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07.06.1873

Date Data Seite

667-673

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