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Bericht der

Minderheit der ständeräthlichen Commission, betreffend den Rekurs der Pastoralkonferenz des Cantons Solothurn gegen einen Beschluss des Bundesraths vom 4. April 1873.

(Vom 15. Juli 1873.)

Herr Präsident ! Herren Ständeräthe ! Herr Advocat J. Amiet von Solothurn, als Bevollmächtigter der Pastoralkonferenz des genannten Cantons, führt mit Datum vom 20. Juni 1873 bei der Bundesversammlung Beschwerde gegen einen Beschluß des Bundesraths vom 4. April dieses Jahres, womit letztere Behörde eine Klage auf Verfassungsverletzung durch ein Solothurnisches Gesetz vom 28. November 1872, betreffend die Wiederwahl der Pfarrgeistlichkeit, als unbegründet abgewiesen hat. Die Mehrheit der von Ihnen niedergesetzten Commission hat Ihnen soeben beantragt, dieser Abweisung ebenfalls beizutreten, während eine Minderheit von 2 Mitgliedern Ihnen vorschlägt, den Rekurs begründet zu erklären und den Solothurnischen Cantonsrath zur Zurücknahme des in Frage liegenden, von uns als inconstitutionel betrachteten Gesetzes zu veranlaßen. Bezüglich des faktischen Theils, der Daten und des Inhalts dieses Wiederwahlgesetzes beziehen wir uns theils auf den bundesräthlichen Beschluß, theils auf den Bericht der Majorität, und gehen unserseits sofort zur rechtlichen Erörterung der Beschwerde über.

593 Die Rekurrentschaf fußt sieh für ihr Begehren auf eine formale Bemängelung des Gesetzes und weiterhin auf mehrere materielle O O Rechtsgründe. Da unser Antrag dem Hauptbegehren des Rekurses entsprechen will, so mag es immerhin am Platze sein, darzulegen, inwieweit wir diese Ausführungen unserer eigenen Auffassung zu Grunde gelegt haben. Die Beschwerde glaubt, schon nach dem formalen Hergang müsse das bezügliche Gesetz als inconstitutionell betrachtet werden, weil die Art seiner Vorlage an das Volk an sich selbst eine Verletzung der Solothurnischen Verfassung gewesen sei. Art. 32 derselben bestimme: Alljährlich findet, und zwar i n der R e g e l im Frühling und Herbst, eine Volksabstimmung statt (wie wir in Parenthese einschalten, um über die in § 30 bezeichneten Gesetze und Materien zu ' entscheiden.) Diese Zeitbestimmung sei aus dringenden Zweckgründen hervorgegangen, und es dürfe ihr nur im N o t h f a l l e zuwidergehandelt werden. Demnach involvire die Vorlage jenes Gesetzes im W i n t e r , nämlich am 22. Dezember 1872, bereits eine Verletzung der Kantonsverfassung, und schon dieses einzige Moment müsse hinreichen, das Gesetz von Bundeswegen zu cassiren.

Auch die Minderheit Ihrer Commission hat diesen formalen Grund nicht als maßgebend und durchschlagend acceptiren können.

Wohl findet sie die Hast auffällig, mit welcher ein so wichtiges Gesetz, welches am 28. November erst die abschließende Berathung des Cantonsrathes passirt hatte, schon am 22. Dezember, also nach kaum vierthalb Wochen, der Abstimmung des Volkes vorgelegt ·wird, aber bei all' dem gelangt sie nicht zu der letzten Folgerung der Rekurrenten. Der logische Gegensatz der Regel für die Frühlings- und Herbstabstimmung ist nicht der Nothfall sondern einfach nur irgend ein A u s n a h m efall für welchen die anordnende Behörde sich die Erwägungs- und Zweckmäßigkeitsgründe mit einer ziemlichen Freiheit zurecht legen mag. Diese Auffassung, praktisch geübt, wird doch wohl kein anderes Resultat weisen, als daß den Vorlagen in den regelgerechten Perioden etwa die eine oder andere Ausnahme gegenübersteht, und hätte wirklich in Absicht gelegen, in der Verfassungö gegenüber der Regel einzig den Gegensatz der o O O ö O dringlichen Noth aufzustellen, so wäre es Sache des Gesetzgebers gewesen, diese Meinung klar, präzis und unzweifelhaft
auszusprechen während wir einen solchen Ausspruch im § 32 gänzlich vermissen, und den Akten auch kein Nachweis aus den Protokollen beigegeben ist, daß zur Zeit der Verhandlungen über die Verfassung die Auffassung der Rekurrenten der Redaktion jenes Paragraphen zu Grunde gelegen habe. Der formale Grund fällt also weg, und wir haben nunmehr die materielle Beweisführung für die Verfassungswidrigkeit jenes Gesetzes vom 28. November in' Auge zu fassen.

594 Diese Argumente werden von der Rekursschrift m vier Rubriken vorgeführt: 1) nämlich bilde jenes Gesetz eine Verletzung der Bundes- und Cantonsverfassung ; 2) eine Mißachtung sonstiger gesetzgeberischer Grundsätze und selbst positiver Bestimmungen; (Nichtrückwirkung der Gesetze, Reehtsconsequanzen der Stiftbriefe und Donationen; Rechtsansprüche bereits auf Lebensdauer gewählter Benefiziaten im Falle des Entzugs ihrer Pfründen u. s. w.); 3} ein Abgehen von den rechtlichen Verbindlichkeiten des Diözesanvertrags von 1828, und 4) ein Verlassen des uralten Gewohnheitsrechtes des Kantons Solothurn.

Tit. ! Die Anschauung und Ueberzeugung Ihrer Commissionsminorität trifft mit den Ausführungen der Rekurrenten unter Ziff. l und 4 zusammen und M'ir eliminiren von vornherein aus unsern Erörterungen die Punkte 2 und 3, nicht deßhalb, weil wir etwa damit die gänzliche Unwichtigkeit und Unstichhalti gkeit dieser letztern constatiren wollen, sondern weil wir ihre Untersuchung und Abwägung für überflüssig und zur Begründung unseres Antrages nicht nothwendig erachten, da in den erstgenannten Punkten die Entscheidung der Rechtsfrage in ihrem vollen Umfange enthalten ist.

Also wir sagen : Das solothurnische Gesetz der Wiederwahl der Pfarrgeistlichen vom 28. November 1872 verträgt sich weder mit der Bundesverfassung, noch mit der Verfassung des Cantons Solothurn.

Der Art. 3 der letztern lautet: ,,Die Ausübung der christlichen Religion nach dem römisch-katholischen und evangelisch-reformirten Glaubensbekenntniß steht u n t e r dem b e s o n d e r n S c h ü t z e des Staates. Die freie Ausübung des Gottesdienstes ist den übrigen anerkannten christlichen Confessionen gewährleistet.a Was ist, in eine andere Fassung zerlegt, der Sinn und der Werth dieses Artikels? Vorab offenbar eine markirte Anerkennung der Freiheit des christlichen Glaubens und Gewissens, denn dem äußerlichen Momente der A u s ü b u n g der Religion muß die freie Entwicklung des religiösen Bewußtseins, die freie Wahl des Cults und die darauf sich beziehende o r g a n i s c h e G l i e d e r u n g der religiösen Genossenschaft nothwendig vorhergehen. Sodann involvirt der Artikel , daß in den Handlungen und Verhältnissen, welche sich auf den Cult beziehen, die religiösen Vereinigungen nicht nur von Niemanden in ihrer Freiheit beeinträchtigt, gehindert
und unterdrückt werden dürfen, sondern daß es selbst Pflicht der Staatsgewalt ist, sie nöthigenfalls gegen jeden Angreifer zu schützen und zu vertheidigen.

Berühren wir kurz, in welcher Weise diese Grundsätze mit unserer Bundesverfassung selbst in Verbindung und im Einklang stehen.

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Das eidgenössische Grundgesetz von 1848 enthält in ausdrücklichen Bestimmungen die Anerkennung der Vereinsfreiheit, der Preßfreiheit und des Petitionsrechts, nirgends aber die spezielle Garantie des natürlichen Rechtes der Glaubens- und Gewissensfreiheit.

Ist daraus zu schließen, daß also, die Constitution des Bundes diese prinzipale Freiheit gänzlich ignorirt? Durchaus nicht. Der Art. 5 gewährleistet in allgemeiner Form ,,die Freiheit, die Rechte des Volkes und die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger," und diese Garantie muß in erster Linie auf die Freiheit des Glaubens und des Gewissens bezogen werden. Ferners gewährleistet auch der Bund im ganzen Umfang der Eidgenossenschaft ,,den anerkannten christlichen Confessionen die freie Ausübung des Gottesdienstes,"und stimmt also auch in diesem Punkte mit Art. 3 der Solothurner-Verfassung überein. Dieser Artikel hat also seine Concordanzen in den Paragraphen 5 und 44 der Bundesverfassung, und was gegen jenen Artikel verstößt, muß conséquent auch als eine Verletzung der genannten Bundesvorschriften angesehen werden.

Auf diesem Punkte angelangt, ist nun der Nachweis durchzuführen, in welch' prägnanter Weise das in Frage stehende Solothurnische Gesetz der Freiheit des Gewissens und des Cultus widerspricht.

Tit. ! Die Ausübung der Religion, des Cultus einer Genossenschaft, hängt ganz wesentlich ab von der Organisation dieser letztern und bei jeder Form und Art religiöser Vereinigung steht das Priesterthum in der hervorragendsten und innigsten Beziehung zu den gottesdienstlichen Verrichtungen. Ein Staat, für den Gewissens- und Glaubensfreiheit richtig verstandene und ernsthaft gewollte Begriffe sind, kann also sich niemals anmaßen, bei der Aufstellung und Abberufung von Beamten der Kirche in die Sphäre der letztern hinüberzugreifen. Die Organisation und Gliederung einer Kirche ist einzig Gewissenssache ihrer Angehörigen, und niemals Objekt politischer Machtbeschlüsse und Erwägungen. Ein Uebergreifen des Staates in dieses ihm nicht zugehörige Gebiet erzeugt, je nach dem Grade dieses Uebergriffs, ein mehr oder weniger gehässiges Staatskirchenthurn mit nachtheilisen Störunsen und Verwicklungen und O O O mit tief empfundenen Verletzungen der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verschiedenheit der bcidseitigen Verhältnisse verbietet es absolut, den Geistlichen
je als Staatsbeamten aufzufassen und als solchen zu reglementiren und zu behandeln. y,Der Kirchea, bemerkt Bluntschli in seinem allgemeinen Staatsrecht, ,,kann das Recht aus natürlichen Gründen nicht bestritten werden, ihre Organe, die Beamten und Diener der Kirche, s e l b s t s t ä n d i g zu ernennen, denn sollen diese ihr angehören und ihr dienen, so müssen sie auch von ihrem Geiste erfüllt und nicht von einer fremden Macht, ge-

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wissermaßen als fremde Glieder, an ihren Körper geheftet worden sein. Die bloß allgemeinen Vorbedingungen der kirchlichen Weihen entscheiden noch nicht: auch unter den irn Allgemeinen Fähigen den rechten Mann für die rechte Stelle zu finden, kommt voraus dem Körper zu, zu welchem diese gehört und dessen Bedürfnissen sie dient." (Bluutschli, 2. Auflage des Staatsrechts, 2. Bd., S. 320.)

Die den Räthen eingereichte Beschwerde ist ausschließlich von katholischer Seite ausgegangen; es steht demnach zu prüfen, aus welchen Gründen gerade das katholische Gewissen durch die Wiederwahl seiner Pfarrgeistlichen sich verletzt und die Ausübung seiner Religion in vielen Fällen gefährdet findet. Wir stellen diesen Untersuch an nicht als Catholikeo, sondern wir zitiren und würdigen einfach die kirchengeschichtlichen Thatsachen.

Gewissen und Glaube des Katholiken umfaßt als Wahrheit, die christliche Kirche habe schon von ihrem ersten Auftreten an sich auf einen göttlichen Auftrag berufen. Für die Apostel naoe er bestanden in den Worten Christi: ,,Wie mich der Vater gesendet, so sende ich euch11 und : ,,Gehet hin in die ganze Welt und prediget das Evangelium allen Völkern ! u In dem Oberhaupte der Kirche habe der Stifter selbst den für die Erhaltung der Einheit nothwendigen Mittelpunkt gesetzt, die Bischöfe seien in ununterbrochener Reihenfolge die Nachfolger der Apostel, die von rechtmäßigen Bischöfen rechtmäßig geweihten Priester seien durch Auftrag und Sendung der letztern nach den Vorschriften der Kirche die geistlichen Hirten der Gemeinden, die legitimen Verwalter des Gottesdienstes und Spender der Sacramente. Einmal vom Volke, oder einer berechtigten Behörde, oder einem Einzelcollator dem Bischof zur Wahl p r ä s e n t i r t , und von diesem admittirt, seien die Priester laut bezüglichen Conzilsbeschlüssen auf Lebensdauer in den Genuß ihrer Pfründe gesetzt, und könnten gegen ihren Willen nur durch regelrechten kanonischen Prozeß und durch Strafurtheil aus derselben entfernt. werden. Das, meine Herren ! ist die historische Organisation und Gliederung der katholischen Hierarchie.

Daraus ergibt sich ferner die Eigenort der katholischen Kirche.

Das Volk hört, das Priesterthum verkündet die Glaubenslehre, die Nachfolger der Apostel, d. h. die Bischöfe, üben das Ansehen der l e h r e n d e n Kirche, während der
Begriff der h ö r e n d e n Kirche die niedere Geistlichkeit wie die Gesammtheit der gläubigen Laien umfaßt. Die Kirchenverfassung erheischt mit Nothwendigkeit, daß der Bischof die Priester der Gemeinden bestellt, und eine Behinderung dieser Competenz ist nicht nur ein Einbruch in die Kirchenordnung, sondern auch eine Verletzung des katholischen Gewissens. Die Competenz des Bischofs wird aber auch nicht aus-

597 geübt ohne gerechte Rücksichtnahme auf ein in Frage kommendes staatliches Moment. Es ist ein natürliches Volksrecht, als geistlichen Hirten keine Persona ingrata zu erhalten, und die fruchtbare Wirksamkeit eines Geistlichen muß nothwendig erhöht und gefördert werden, wenn er zum vornherein das Vertrauen seiner Gemeinde besitzt. Dieser Gedankengang liegt dem Verfahren zu Grunde, daß die Gemeinden das Recht besitzen und üben, dem Bischöfe den gewünschten Seelsorger vorzuschlagen, der, sofern keine Irregularität der Person entgegensteht, den Wunsch der Gemeinde auch gerne beachten wird.

Uns dünkt, wir hören hier den Einwarf erheben, warum denn dieser Umstand, dem die kirchliche Autorität bei der ersten Besetzung der geistlichen Stellen die gerechte Würdigung nicht versagen könne, später für dieselbe keine Bedeutung besitze, warum ·denn die Kirche für die gewählten Pfarrer eine Lebenslänglichkeit der Anstellung fordere, und es nicht auf eine periodische Probe ankommen lassen wolle, ob der betreffende Geistliche noch immer das Vertrauen seiner Gemeinde besitze? Es fällt nicht schwer, diesen Einwand zu beseitigen.

Die erste Berufung-ö eines Priesters in einen Wirkungskreis erO fordert entgegenkommendes Vertrauen, das Wirken selbst aber erheischt vor Allem Erkenntniß seiner Pflicht, und Treue in der Erfüllung dieser Pflicht. Ob nun ein unermüdlicher, ernster und häufig auch ungelegener Verkünder der christlichen Glaubens- und Sittenlehre sich Menschengunst erwerben oder die Zuneigung der Mehrheit seiner Pfarreiangehörigen erhalten wird, das hängt sehr ab von den sittlichen Zuständen einer Pfarrei, und welche Achtung christliche Lehre, Sitte und Zucht in derselben noch behalten haben.

Es ist leicht denkbar, daß eine mehr oder weniger gesunkene Bevölkerung einem berufstreuen Priester in ihrer Majorität unfreundlich gesinnt wird, und daß sie wünschen möchte, den Anlaß einer periodischen Wahl zu benutzen, um denselben an einen laxen, gleichgültigen, wenn nicht noch schlimmem zu vertauschen. Aber wir fragen, ist ein solcher Fall und andere, die ihm angereiht werden kennten, geeignet, ein Wiederwahlgesetz auch nur vom Standpunkte der Zweckmäßigkeit und der Vorsicht, die für das Wohl seiner Bürger auch dem Staate geziemt, zu empfehlen?

Der kirchliche Gedanke der Lebenslänglichkeit will dagegen den Priester
angemessen seiner Würde behandeln, er soll frei sein von kleinlichen Befürchtungen, von niedriger Abhängigkeit, vor den launenvollen Wandelungen des alltäglichen Lebens. Hängt die äußere Existenz eines Pfarrers von einer periodischen Wiederwahl ab, so unterwirft ihn das möglicherweise der Politik eines Dorfs-, oder: Bundesblatt Jahrg. XXY. Bd. III.

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598 bei anderai Wahlverhältniß auch eines höhern Magnaten, es setzt ihn der Rancune der Größern oder dem böswilligen oder bestochenen Leichtsinn der Kleinen aus; eine an Zahl bei Weitem nicht überwiegende und zudem ungerechte Opposition kann auf den Tag der Wähl durch leidenschaftliche Agitation zu einer gefälschten Mehrheit aufgeblasen werden, und zu den politischen, ohnehin zahlreich genug das Volksleben auffurchenden Wahlhändeln kommt noch die periodische ,,Pfarrmachereitc rastloser Intriguanten. Eine Wunde für das kirchliche und soziale Leben ist schon unter diesem Gesichtspunkte vorauszusehen. Man rede uns nicht von guten Früchten, welche ein Wiederwahlgesetz schon anderweitig getragen habe. Die Möglichkeit einer ausnahmsweisen günstigen Wirkung steht in verschwindender Geringfügigkeit da vor den offen auf der Hand liegenden schlechten Consequenzen einer solchen gesetzlichen Maßregel. Man gebe sich auch keine Mühe, übertriebene Schilderungen des Zustandes zu entwerfen, wenn ein Seelsorger das Vertrauen seiner Gemeinde verloren hat. Selbstverständlich können dafür nur jene Fälle herbeigezogen werden, wo die Schuld des Zerwürfnisses nicht auf Seite der Gemeinde, sondern thatsächlich auf Seite des Geistlichen ist. Nun weiß aber Jedermann, daß bishin noch stets durch andere Mittel solche Mißverhältnisse in befriedigender Weise beseitigt worden sind, und zwar durch Resignation, durch bischöfliche Abberufung oder kanonischen Prozeß. Also auch nicht mit Berufung auf seine Zweckmäßigkeit kann ein solches Gesetz genugsam gestützt werden, wobei es sich aber natürlich von selbst versteht, daß für die Beschlussesfassung der Käthe nur die constitutionelle Frage maßgebend sein kann.

Die Anwendung des Gesetzes wird aber in einer Anzahl von Fällen noch weit schroffere und einschneidendere Folgen haben.

Die von oben nach unten übertragene Lehrgewalt des Priesterthums, im kürzesten und üblichsten Ausdruck die hierarchische Ordnung, · gehört zum Dogma der katholischen Kirche und ein Ignoriren dieser Wahrheit ist eine schroffe Willkühr gegenüber dem katholischen ·Cult und dem katholischen Gewissen. Man macht das Volk glauben, die Wahl beruhe auf demokratischem Prinzip, oder bildet sich in einer Wahlbehörde selbst ein, man besitze die Befugniß,*aus eigenem Rechte eine definitive Wahl treffen zu können. Gesetzt
nun den Fall, vom Bischöfe wird aus zwingenden kanonischen Gründen die Wahl nicht anerkannt und der Ernannte als unberechtigt zu jeder Cultushandlung, ja selbst als nicht mehr zur Kirche gehörig erklärt, welch' ein Zustand wird dann durch ein solches Gesetz geschaffen?

Dann ist das Gewissen aller von einem solchen Unfälle betroffener und treu zu der Lehre ihrer Kirche haltenden Katholiken schonungslos darniedergetreten, ihr rechtmäßiger Gottesdienst, auf den sie ein

599 so hoch und vielfach verbürgtes verfassungsmäßiges Recht besitzen, ist beseitigt, verunmöglicht, und an die Stelle desselben ein schweres Aergerniß gesetzt, und eine heillose von der Staatsmacht heraufbeschworene Unordnung wird auf dem kirchlichen Gebiete einreißen müssen. *) Dann, meine Herren! ist das heilige und natürliche Recht der Glaubens- und Gewissensfreiheit für Tausende nur eine betrübende Illusion, ein Papierflik der Verfassungen, eine prahlerische Phrase, auf welche einzig das klassische : purpureus late qui splendeat unus et alter assuitur pannus" seine Anwendung finden mag, denn schlechte Gedichte und gebrochene Verfassungen bieten in der That ein Verhältnis dar, nach welchem sie nicht ganz unpassend mit einander verglichen werden können. -- Läßt man aber die kirchliche Ordnung in ihrem Rechte, so ist eine solche Verwirrung niemals möglich: jedes Individuum, das mit seiner Kirche im Zwiespalt ist, hat die volle Freiheit, sich von derselben zu scheiden. Sind es mehrere oder viele, so mögen sie zu einer neuen Genossenschaft zusammentreten ; sie mögen sich einrichten nach ihrem Belieben, und ihre geistlichen Lehrer sich selbst setzen, da das eigentliche kirchliche Institut mit ihnen nichts mehr Gemeinsames haben kann : aber Eines scheint uns nicht gestattet, nämlich: die alten Kinder des Hauses in ihrem Rechte zu verkümmern, einfach deßhalb, weil Usurpatoren sich an ihre Stelle setzen wollen.

Man hat einzelne Fälle aus der Vergangenheit der katholischen Schweiz herbeigezogen, um damit die Behauptung zu verknüpfen, die katholischen Republiken der Schweiz hätten die Selbstwahl und die Wiederwahl der Geistlichen als ein ihnen zuständiges Recht häufig mit Energie in Anspruch genommen. Man irrt darin in dreifacher Hinsicht. Einmal erwägt man die Zeitverschiedenheit nicht, nach welcher einige von jenen Vorfällen gemessen werden müssen. Es gab vor Jahrhunderten eine Zeitperiode, in welcher ,,das Salz, mit welchem gesalzen werden soll,a vielfältig ,,schaal"geworden war. Nicht nur der niedere Klerus war gesunken, sondern es ließ auch die Vigilanz der Bischöfe an manchem Orte zu wünschen übrig. Es ist nicht zu wundern, wenn bei solcher Sachlage manche christliche Obrigkeit die Gefahr des Verzugs vermied, und selbst verfügte, was unter geordnetem Verhältnissen von der Kirchengewalt vorzukehren
gewesen wäre. Zweitens bezogen sich die Bestimmungen für das wiederholte Anhalten um die Pfründen in der That und Wahrheit nur auf die Temporalien der Pfrund*) Allerdings ergibt sich hieraus im Widerspruch, mit der dritten Erwägung des bundesräthlichen Entscheids, daß ein Wiederwahlgesetz der katholischen Pfarrer sich in der That gegen das W e s e n des Catholizismus verstößt.

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benefizieu, und man war dabei nicht gemeint, sich auf dem eigentlich kirchlichen Gebiete eine Verletzung der hierarchischen Befugniß anmaßen zu wollen. Es führt uns das zum dritten Punkt.

Jene katholischen Behörden der altern Zeit waren in fast allen Fällen bei ihren Maßregeln von freundlichen Absichten und von guten Treuen für die Kirche geleitet, und sie waren von der Neigung erfüllt, Mißstände, wo sie sich fühlbar machten, zu beseitigen und keineswegs Conflikte geflissentlich hervorzurufen, zu verschärfen und die Kirchenordnung in ihren Fundamenten anzugreifen. Kamen ganz vereinzelt Mißgriffe vor, und vertiefte man sich momentan in falsche Meinungen über die Grenze des Rechtsgebiets von Kirche und Staat, so können wir nicht zugeben, daß dieses Verhalten heut1 zu Tage der Nachahmung würdig sei; wir glauben im Gegentheil, in dem Ueblen, welches immerhin solche Verwicklungen gestiftet haben, hält uns der Spiegel der Zeiten eine Warnung vor, wie Kirche und Staat der Gegenwart die gleichen Fehler vermeiden sollen.

Man weist darauf hin, daß gleichlautende Gesetze schon vordem in andern Cantonen votili, und ohne Widerspruch zu erfahren, in Vollziehung gesetzt wurden. Es ist in der That gegen die Richtigkeit dieser Thatsache nichts zu erinnern. Aber ebenso wahr und deßhalb den Werth des Citats berichtigend ist, daß die constitutionelle Frage über die Zuläßigkeit solcher Gesetze heute zum ersten Alale bei den Bundesbehörden anhängig gemacht wird, und es ist kein Zweifel, daß der Wegfall des solothurnischen Gesetzes allen andern analogen Vorschriften das nämliche Schicksal bereiten müßte. Haben unzuläßige Bestimmungen gleicher Art bisher keinem Einhalt von Seite des Bundes gerufen, so darf deßhalb ein zu spät erkanntes Unrecht nicht perpetuiren, sondern es wird immerhin Pflicht und Aufgabe des Bundes sein, es bei dem erst gegebenen Anlaße zu beseitigen.

Dieser Objektion könnte sich .eine zweite anschließen, die gewissermaßen a fortiori beweisen will. Ist es, kann man sagen, Pflicht des Bundes, mit Berufung auf die Rechte des Glaubens und Gewissens hier für den niedern Clerus einzustehen, so wäre der Bund noch viel zwingender veranlaßt, ohne Verzug und offiziell für die hierarchische Stellung einiger Bischöfe einzutreten, die theils durch Verbannung, theils durch Absetzung von ihren Amtsposten entfernt
sind. Der Bund hat jedoch in dieser Richtung keine Schritte gethan, also wird er noch viel weniger bei einem viel geringfügigem Anlaß für den niedern Clerus Stellung nehmen wollen.

Der Minor dieses Syllogismus ist von bedenklicher Schwäche und enthält absolut keine Beweiskraft. Wir sind allerdings ganz

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der Ansicht: der Bund war durch obige gewichtige Thatsachen dringend angemahnt, das confessionelle Recht der katholischen Schweiz aufrecht zu halten und zu schirmen; aber wenn er es unterlassen, so folgt daraus nicht, daß die Indolenz der constitutionellen Wächter für Fälle geringerer Art nun erst recht zu billigen sei, und noch viel weniger folgt daraus, daß die, um deren Rechte man sich nicht kümmert, nun auch nicht mehr den Ruf der Beschwerde erheben dürfen. Diese Rufenden wissen wohl, daß sie um einer höchst traurigen Begriffsverwirrung, und vielleicht auch um gefaßter Plane willen, auf keine Erhörung und auf keinen Erfolg zu rechnen haben, aber das ändert weder ihre Ueberzeugung noch ihr ideales Recht.

Der h. Regierungsrath des Cantons Solothurn hat in seiner Rekursbeantwortung der Auffassung Ausdruck verliehen, der staatliche Gesetzgeber, wenn er sich an die Vorschriften der katholischen Kirchenordnung kehren wollte, würde dadurch sich seiner Souveränetät entkleiden, und sein eigenes Gesetz demjenigen der Kirche unterstellen. Wir exempliren mit einem Beispiel aus dem Privatrecht. Wenn Jemand, wie billig, der Ansicht ist, er habe in dem Hause seines Nachbars nichts zu befehlen, und er habe eines daherigen Eindringens sich zu enthalten, darf dafür die Formel gebraucht werden, er anerkenne dadurch den Nachbar als seinen Oberherrn, und sein eigenes Recht sei dem Rechte dieses Andern unterworfen? Niemand würde diese Darstellung zutreffend finden können. Geradeso verhält es sich im Staatsrechte mit dem Verhältnisse zwischen Staat und Kirche. Der eine ordnet auf dem Gebiete des Rechts, die andere schaltet auf dem Gebiete des Gewissens. Beide, haben gleichen Anspruch auf Freiheit in ihrer Sphäre, und dürfen sich Friede und heilsames Wirken nicht verkümmern. Wir haben bereits gezeigt, wie das in Frage stehende Gesetz nicht nur den weit vorzüglichem kirchlichen Gedanken für eine gedeihliche Wirksamkeit des Priesters durchbricht, und nicht nur die nach dem Dogma auctoritative Kirchenordnung in eine demokratische, und für die Dispositionen, die sie trifft, incompetente umwandelt, sondern daß die Handhabung des Gesetzes auch zur Folge haben wird, daß irreguläre, schismatische und außer der Kirche stehende Priester auf Pfründen berufen werden, wobei die doch gewiß auch den Katholiken gebührende Cultus-
und Gewissensfreiheit absolut nicht bestehen kann. Eine durch gesetzgeberische Maßregeln eingesetzte und gehaltene Staatskirche ist nicht die katholische Kirche, und sie ist den Katholiken gegenüber eine offenbare Verletzung ihres verfassungsmäßigen confessionellen Rechtes und ihres organischen Bestandes, der auch in der Schweiz von den ältesten bis in die neuesten Zeiten von allen Staatsbehörden stets

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anerkannt war, und selbst nur unter dein Gesichtspunkte eines historischen, wohlerworbenen Rechtes die höchsten Ansprüche auf seine Aufrechthaltung besitzt. Wir geben der Beweisführung für diesen Punkt keinen weitern Umfang, weil er auf einer großen und nicht zu bestreitenden Notorität beruht.

Tit.! Wir wiederholen sonach zum Schlüsse den Antrag: ,,Es sei der Rekurs der Pastoralconferenz von Solothurn begründet zu erklären, und die gesetzgebende Behörde von Solothurn von Bundes wegen zu veranlaßen, das Gesetz über die Wiederwahl der Geistlichen vom 28. November 1872 als inkonstitutionell zurückzuziehen.

B e r n , den 15. Juli 1873."

Die Minderheit der ständeräthlichen Commission : T. Hettlingen, Referent.

Schaller.

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Bericht der

Mehrheit der nationalräthlichen Commission über den Recurs der Pfarrgeistlichkeit des Kantons Solothurn gegen das Wiederwahl-Gesez vom 28. November 1872 und den Entscheid des h. Bundesrathes vom 4. April 1873.

(Vom 18. Juli 1873.)

Tit.

Der Sachverhalt und die Rechtsfrage dieses Rekurses sind kurz folgende: Am 28. November 1872 hat der Kantonsrath von Solothurn ein Gesez über die Wiederwahl der Geistlichen erlassen, welches besonders zwei hier in Betracht kommende Bestimmungen enthält: 1. ,,Die Konfessionsgenossen einer Kirchgemeinde haben jeweilen ,,einen doppelten Vorschlag aus den Bewerbern zu Händen ,,der wählenden Behörde zu machen und diese wählt dann ,,auf die Dauer von 6 Jahren."

2. ,,Für Geistliche, welche bei Erlaß dieses Gesezes bereits defi,,nitiv angestellt sind, beginnt die Amtsdauer von 6 Jahren ,,vom Tage an zu laufen, an dem dieses Gesez in Rechtskraft tritt."

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Bericht der Minderheit der ständeräthlichen Commission, betreffend den Rekurs der Pastoralkonferenz des Cantons Solothurn gegen einen Beschluss des Bundesraths vom 4.

April 1873. (Vom 15. Juli 1873.)

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13.09.1873

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