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Schweizerisches Bundesblatt.

XXV. Jahrgang. I.

Nr. 6.

8. Februar 1873.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Pranken.

E i n r ü k u n g s g e b ü h r per Zeile 15 Rp- -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Druk und Expedition der Stämpflischen Buchdrukerei in Bern.

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Belehrung über

die Maul- und Klauenseuche.

Herausgegeben für das Schweizervolk vom eidgenössischen Departement des Innern am 4. Hornung 1873.

Die Maul- und Klauenseuche tritt vorzugsweise bei Rindvieh, Schafen, Ziegen und Schweinen auf; sie kann aber auf alle wiederkäuenden Thiere übertragen werden, während eine Anstekung bei Pferden, Hunden etc. nur in seltenen Ausnahmsfällen beobachtet wird.

Ueber die ursprüngliche E n t s t e h u n g der Seuche ist nichts Sicheres bekannt. Sie kam schon vor Jahrhunderten in unserem Lande vor. Nach allen Erfahrungen erhält und verbreitet sie sich durch Anstekung. Sie entwickelt einen sehr wirksamen, schwer zerstörbaren und leicht zu verbreitenden Anstekungsstoff.

Bis jezt, ist kein Mittel bekannt, welches die Empfänglichkeit der Thiere für diese Krankheit vernichten würde. Die Erfahrung beweist unzweifelhaft, dass alle bisher zu diesem Zweke empfohlenen Mittel im Stiche lassen; und wenn in neuester Zeit solche durch eindringliche Empfehlungen zu häufiger Anwendung führten, so sind gerade die dabei gemachten Erfahrungen geeignet, den Beweis der Nuzlosigkeit dieser Vorbauungskuren zu leisten. Auch das Bestehen der Krankheit schüzt die Thiere nur für kurze Zeit vor neuen AnBundesblatt. Jahrg. XXV. Bd. I.

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stekùngen. Dieselben können schon nach 6 Wochen zum zweiten und dritten Male befallen werden.

Die K r a n k h e i t sizt in der ganzen Säftemasse der Thiere, und tritt durch einen Ausschlag in Erscheinung, der in Blasen besteht, welche sich durch Abhebung der Oberhaupt mittelst wässeriger Ergiessungen unter dieselbe bilden. Der Ausschlag erscheint gewöhnlich auf der Schleimhaut des Maule» (Maulseuche); in den Klauenspalten und am Saum der Klauen (Klauenseuche); er kann aber an jeder Hautstelle auftreten, und wird im ferneren bei unserm ziemlich dikhäutigen Vieh am häufigsten am Euter und den Zizen wahrgenommen.

Im Blaseninhalt ist der Anstekungsstoff konzentrirt enthalten, und alle Gegenstände, welche mit demselben verunreinigt werden, können die Anstekung vermitteln. Dieselbe erfolgt sehr oft durch mit Ausschlagsprodukten verunreinigten Maulschleim und die Feuchtigkeiten der Klauen.

Die Krankheit entsteht 2 bis 8 Tage nach der Anstekung. Die Thiere fiebern im Anfang. Die Futteraufnahme ist im Verhältniss der Entwiklung des Ausschlages im Maule erschwert. Den Thieren spinnt zäher Speichel aus dem Maule. Die Zunge wird manchmal in grossen Partien von der Oberhaut entblösst. Die Aufnahme von .Rauhfutter ist fast unmöglich.

Je nach dem Grade des Ausschlages an den Füssen sind diese entzündet. Das Stehen wird erschwert, die Thiere hinken. Die Ortsbewegung wird namentlich schweren Thieren zur Plage.

Auf der Weide leidet das Vieh am meisten, weil es sich dort der kranken Lippen und Zunge zum Erfassen und Abreissen des Rauhfutters bedienen muss, und der Gebrauch der Fusse ebenfalls unvermeidlich ist für die Aneignung der Nahrung.

Der Euterausschlag erschwert das Melken, und Verunreinigung der Milch mit dem Ausschlagsprodukt kann dieselbe anstekungsfähig machen, wenn sie vor dem Genuss nicht gekocht wird.

Die Menge der Milch vermindert sich im Verhältniss der gestörten Futteraufnahme.

Der V e r l a u f d e r K r a n k h e i t ist in der Regel gutartig, fast immer bei sonst gesunden Thieren, wenn der Ausschlag in seinem Verlauf nicht durch ungünstige Verhältnisse gestört wird, und keine Verdauungsleiden oder andere Krankheiten hinzutreten.

Störend auf den Verlauf des Ausschlages wirken Kälte, sowie grosse Hize in übersezten dunstigen Ställen, starke Beleidigungen der

191 Ausschlagsstellen durch hartes Futter, Azung auf der Weide, andauerndes Stehen und Herumlaufen, sowie sorgloses Verfahren beim Melken u. dgl.

In etwa 8 bis 14 Tagen heilen die von der Oberhaut entblössten Stellen in der Regel aus; sie bedeken sich mit neuen Oberhautschichten, und die Genesung geht rasch vor sich.

Als N a c h k r a n k h e i t e n entstehen am häufigsten Fussentzündungen und Euterkrankheiten. Die Fussentzündungen können zu lange dauernden Klauengeschwüren, selbst zum Ausschuhen führen ; sie bedingen hie und da uriregelmässige Ernährung des Hornes und Missgestaltung der Klauen. Im Euter bleibt hin und wieder die Milchabsonderung dauernd vermindert; es entstehen Verhärtungen in der Milchdrüse, Verengerungen und Verwachsungen der Zizen und andere Folgen von Entzündungsherden.

Hin und wieder verwerfen trächtige Kühe während des Krankheitsverlaufes.

Verbindungen mit Milzbrand und andern schweren Krankheiten treffen um so häufiger zu, als in Seuchenzeiten oft der ganze .Viehstand einer Gegend an Maul- und Klauenseuche leidet, und somit wohl Thiere unter den seuchekranken vorkommen können, die den Keim anderer Krankheiten schon in sich trugen oder den Ursachen derselben ausgesezt sind.

Ohne solche Komplikationen erliegen ausnahmsweise einzelne Thiere dei' Maul: und Klauenseuche. · Vor allem zarte junge Thiere : Kälber, Ferkel, Lämmer und Ziklein, sodann Weidevieh, das während der Seuche äussern «Unbilden ausgesezt oder nicht befähigt ist, sich ausreichend zu ernähren.

Es kann in einzelnen seltenen Fällen auch vorkommen, dass sich der Au-schlag auf den Schlund und die Vormägen ausbreitet und den Tod der Thiere bedingt. Oder es entwikelt sich ein heftiger Lungenkatarrh, verstopft einzelne Zweige der Luftröhre und bedingt Athmungsstörungen. Auch bilden sich bei Störungen im lleilungsvorgang der Ausschlagsstellen Geschwüre, und diese können durch Ueberführung von Eiter und Jauche ins Blut Vergiftung des leztern und einen tödtlichen Ausgang bedingen, oder sonst langwieriges Siechthuni erzeugen'.

Die im ganzen seltenen Fälle eines tödtlichen Ausgangs der Maul- und Klauenseuche werden meistens durch unzwekmässige Behandlung veranlasst. Wenn den Thieren Flüssigkeiten eingegossen werden, die mit ungelösten Substanzen gemengt sind, gleichviel ob

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Nahrungs- oder Arzneimittel, so kann durch Ueberschütten oder in Folge erschwerten Schlingens ein Theil der Flüssigkeit in den Kehlkopf überfliessen, durch die Luftröhre .und ihre Verzweigungen in die Lunge gelangen, woraus unheilbare Erkrankungen dieses Organs erfolgen.

Der günstigste Verlauf der M a u l - und K l a u e n s e u c h e las s t s i c h e r w a r t e n , w e n n die T l i i e r e r u h i g im S t a l l e g e h a l t e n w e r d e n , d e r Stall g e r ä u m i g u n d w a r m i s t , die Luft desselben regelmässig erneuert wird, damit sie n i c h t d u n s t i g und ZU warm werde; wenn die Thiere a u f w e i c h e r S t r e u e n achBedürfniss b e q u e m l i e g e n k ö n n e n , h ä u f i g g e t r ä n k t w e r d e n , u n d weiche N a h r u n g in a u s r e i c h e n d e r M e n g e e r h a l t e n , wie Milch, Mehlwasser, Abkochungen von Gerste oder Roggen, Malz, Schlempe, Kleien, Grumet (Emd) oder weiches Grünfutter, gekochtes, zerstossenes oder abgebrühtes Wurzelwerk, wie Kartoffeln, Mohren etc.

Der günstige Verlauf der Krankheit wird beförd e r t durch U n t e r l a s s u n g j e d e r m e d i z i n i s c h e n B e h a n d lung und V e r m e i d u n g j eden E i n g r i f f s auf die kranken T h ei le. Nur bei Fussgeschwüren ist Reinigung derselben nothwendig.

In den seltenen Fällen, wo andere Krankheiten hinzutreten oder die oben angeführten ausserordentlichen Erscheinungen in den Verdauungs- und Athmungsorganen, an den Füssen oder am Euter auftreten, ist eine ärztliche Kur am Plaz, die aber in jedem einzelnen Falle besonders zu bestimmen ist.

Anders verhält es sich mit der Behandlung der Seuche durch polizeiliche Anordnungen im Grossen und Allgemeinen. Die Erfahrungen der lezten Jahre beweisen aufs Neue, dass die Seuche bleibend wird und nicht verschwindet ohne die Anwendung ausgebreiteter und energischer Tilgungsmassregeln. Diese leztern führen unvermeidlich die Nachtheile einer mehr" oder minder lange andauernden Hemmung des Verkehrs im Gefolge. Man hat, schon oft behauptet, diese Verkehrsbeschränkungen bedingen grösseren .Schaden, als die im Ganzen gutartige Seuche selbst.

Da die Maul- und Klauenseuche jedoch nicht erlischt, wenn alle empfänglichen Thiere durchseucht haben, sondern dieselben Stüke von neuem ergreift, so erschöpft sie sich nicht in der Durchseuchung. Sie bleibt stationär im Lande. Ohne jede Beschränkung

193 derselben würde sie jedes Jahr mindestens den vierten Theil aller empfänglichen Thiere befallen. Diese Annahme steht bedeutend unter den bisherigen Erfahrungen. Und der Schaden, welchen die Seuche bei dem einzelnen Rinde veranlasst, beträgt mit Rüksicht auf deren Nachtheile bei'm Weidevieh auf den Alpen, die Milchverminderung und den Schaden für Mastvieh wohl allermindestens Fr. 40 per Stük. Rechnen wir -- um jede Uebertreibung sorgfaltig zu vermeiden,-- nur Fr. 35, und für das Schmalvieh Fr. 5 per Stük, was ebenfalls unter der Wirklichkeit steht, so kommen wir auf folgende Summen : Vi von 993,000 Rindern = 248,250 X 35 = Fr. 8,688,750 V* ,, 1,124,000 St. Kleinv. = 281,000 X 5 = ,, 1,405,000 Total

Fr. 10,093,750

U e b e r zehn Millionen Franken s c h ä d i g t d i e s e 'sogenannte gutartige Seuche unser Nationalvermögen allj ährlich.

Die s c h w e i z e r i s c h e L a n d wir t hsch af t von diesem alljährlichen, Niemanden zu gut kommenden Tribut z u befreien, i s t d e r Z w e k d e r v o n d e n Bundesbehörden a n g e o r d n e t e n p o l i z e i l i c h e n Massregeln.

Denselben liegt die Forderung zu Grunde, dass jeder Viehbesizer, bei dessen Thieren die seine Nachbaren gefährende Seuche ausbricht, d a v o n K e n n t n i s s gebe, damit diese gewarnt und geschüzt werden können; eine Forderung, die offenbar schon durch die Moral geboten ist, daher die auf Umgehung derselben gesezten empfindlichen Strafen vollständig gerechtfertigt erscheinen.

Die k r a n k e n T h i e r e sollen in den Seuchenställen abg e s c h l o s s e n bleiben. Da aus diesen auch durch Menschen, gesunde Thiere, Gerätschaften, Dünger und allerlei andere Gegenstände eine mittelbare Verschleppung des Anstekungsstoffes möglich ist, soll der Verkehr mit solchen Trägern des Krankheitsgiftes verboten sein, bis eine vollständige Heilung der Thiere, Reinigung und Auslüftung der Ställe erfolgt ist.

Die V i e h m a r k t e , von denen aus der Keim anstekender Krankheiten so rasch und leicht in allen Richtungen der Windrose verbreitet wird, sollen beschränkt und besonders überwacht werden.

Die E i s e n b a h n e n mit ihren fahrenden Viehställen, welche -- einmal infizirt -- Gelegenheit zur extensivsten Ausbreitung der Seuche geben, werden in ausserordentlicher Weise kontrolirt.

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Und der G r e n z v e r k e h r , durch den aus vom verseuchten Ausland beständig neue Einschleppungen erfolgen, wird besonders überwacht. Die gefährlichen Schaf- und Schweineherden,, welche nicht unmittelbar an die Schlachtbank abgeliefert werden, haben sich daselbst so lange aufzuhalten, bis man ihres Gesundheitszustandes versichert ist. Aber auch im L a n d e s e l b s t musate der Viehverkehr in so weit beschränkt werden, dass jeder Stall, in welchen Thiere eingeführt wurden, acht Tage lang für den Viehhandel verschlossen bleibt.

Die Bundesbehörden sind überzeugt, dass eine weiter gehende Beschränkung des Verkehrs auch sicherer und schneller zur Tilgung der Seuche geführt hätte, aber Rüksichten auf die allseitigen Bedürfnisse des Lebens und die Scheu vor jeder Massregel, welche eine Steigerung der Preise der wichtigsten Lebensmittel zur Folge hal>en müsste, liess dieselbe bei den allernothwencligstcn Massregeln stehen bleiben.

^ Um so dringlicher ist nun aber eine unnachsichtig strenge Vollziehung aller Vorschriften. Aber die Behörden allein vormögen diese wichtige Aufgabe nicht zu erfüllen. Der günstige Erfolg würde aubleiben ohne die ernste und andauernde Mithülfe aller guten Bürger. Thut aber jeder zur Erreichung des gemeinschaftlichen Zwekes, was er an seinem Orte zu thun vermag, so ist es nicht unmöglich, dass wir vor Eintritt des Frühlings unser Ziel erreichen.

.Die vorübergehenden Erschwerungen des Verkehrs drükcn in der Winterzeit nicht merklich. Wenn wir aber bei der Bergfahrt die Seuche wieder auf die Alpen verschleppen, so ist die Schädigung für ein ganzes Jahr unvermeidlich, und die Zuversicht für neue polizeiliche Anstrengungen im folgenden Winter geschwächt.

D e r V i e h b e s i z e r lasse s i c h n i c h t t ä u s c h e n d u r c h d i e A n p r e i s u n g v o n V o r b a u u n g s k u r e n ; e r s u c h e vielmehr seinen Viehstand vor Anstekung zu b e w a h r e n , i n d e m e r d i e B e r ü h r u n g f r e m d e r P e r s o n e n m i t demselben vermeidet, den Einkauf auf das allernothwendigste b e s c h r ä n k t , u n d weder s e l b s t n o c h d u r c h s e i n e A n g e h ö r i g e n mit v e r s e u c h t e n T h i e r en o d e r L o k a l e n in Berührug gelangt.

Wer bei seinem Viehstand Spuren der Seuche wahrn i m m t , v e r m e i d e alle K u r e n , m a c
h e s o f o r t A n z e i g e u n d h e l f e e h r l i c h mit, d i e V e r s c h l e p p u n g e n z u v e r h i n dern, die auch für ihn wieder zur Gefahr werden k ö n n e n .

195 Wenn die Behörden der Gemeinden und des Staates, die Polizei, die Beamten und Angestellten der Eisenbahn- und Zollverwaltungen, die Thierärzte und Viehinspektoren alle gewissenhaft ihre Pflicht thun; wenn ihnen die Gerichts- und Verwaltungsbehörden durch Bestrafung der Fehlbaren an die Seite stehen ; wenn sie bei allen guten Bürgern Unterstüzung finden, und insbesondere die Viehbesizer selbst sorgfältig thun, was zum Schuz ihres Viehstandes dient: dann -- aber auch nur dann -- dürfen wir hoffen, von einer mehrjährigen Landesplage wieder befreit zu werden. Wer zu dein schönen Ziele beitragen will, nehme Kenntniss von den Bestimmungen der Verordnung des Bundesrathes vom 17. Jänner 1873 und helfe nach Kräften mit, dieselben zu vollziehen.

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Belehrung über die Maul- und Klauenseuche. Herausgegeben für das Schweizervolk vom eidgenössischen Departement des Innern am 4. Hornung 1873.

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06

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08.02.1873

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