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Bericht der

Commission des Nationalraths, betreffend die Ernährung des Ergebnisses der "Wahlakten vom 1/3. Dezember 1872 im 39. eidg. Wahlkreise Tessin.

; (Vom 21. Dezember 1872.)

Nachdem im ersten Wahlgang vom 27. Oktober abhin im 39. Wahlkreis nur die HH. Nationalräthe Battaglini .und Mag a t t i formell mit absoluter Mehrheit aus der Wahlurne hervorgegangen, die Wahl "des d r i t t e n Mitgliedes hingegen zwischen den HH. Oberst B er n a s c o n i und Dr. Carl P a s t a unentschieden geblieben war, -- wurde von der Regierung des Kantons Tessin auf Sonntag den 1. Dez. 1. J. ein z w e i t e r W a h l g a n g angeordnet.

Die Wahlverhandlungen giengen an diesem Wahltage in a l l e n Z i r k e l n des 39. Wahlkreises (bestehend aus den politischen Bezirken Mendrisio und Lugano und dem zum politischen Bezirk Bellinzona gehörigen Wahlzirkel Giubiasco) vor sich. Eine Ausnahme machten-nur der Zirkel G i u b i a s c o , wo die Wahlen Tags darauf, am Montag, fortgesezt und beendigt werden mussten, und der Wahlzirkel C er e si o, wo, in Folge des schreklichen Orkans, welcher am Wahlsonntag den 1. Dez. stattfand, so wenige Wähler auf den Wahlplatz sich begeben konnten, dass es nicht möglich war, das Wahlbüreau zu bestellen und die Wahlverhandlung zu beginnen. Der Orkan und die regnerische Witterung hatten die Wähler aus dem

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Arogno-Thal, aus den Bergen von Rovio, von B r u s i n o - A r s i z i o , die den, an jenem Tage unbefahrbaren, Luganer See zu passiren gehabt hätten, u. s. w., absolut verhindert, an der Wahlverhandlung Theil zu nehmen.

Der Präsident des Wahlbüreau, Herr Cometta, wartete auf dem Wahlplatz bis halb 12 Uhr Mittags und, als mit Ausnahme von circa 15--20 Wählern Niemand sich einfand, fertigte er einen Verb a l p r o c e s s , d. d. Maroggia den 1. Dezember, über den Sachverhalt aus, übersandte denselben an die Regierung und erbat sich Weisung, -- w a n n die nothgedrungen unterbliebene Wahlverhandlung im Zirkel Ceresio vorgenommen werden solle.

Die Regierung gab hierauf dem Friedensrichter Cornetta den Auftrag, die Wahl in C e r e s i o auf D i e n s t a g den 3. D e z e m b e r anzuordnen. Solches geschah und die Wahl Verhandlung gieng dann an diesem Tage in üblicher Weise vor sich.

Nachdem das Ergebniss der Wahlen aus allen Zirkeln an die Regierung abgesendet und von dieser durch eine Prüfungskommission von drei Mitgliedern näher untersucht und festgestellt war, publizirte der Staatsrath u n t e r m 8. D e z e m b e r das folgende offizielle Wahlresultat des z w e i t e n W a h l g a n g s im 39. eidg.

Wahlkreise : Es waren : Stimmende . . . 9475.

Gültige Stimmzettel 9438.

Absolutes M e h r . . . . 4720.

' Es erhielten Stimmen : Oberst B e r n a s c o n i . . . . 4756 d. h. 36 über das absolute Mehr.

Dr. Carlo Pasta 4670, so dass Hr. Bernasconi 8 6 Stimmen mehr erhielt, als sein Gegenkandidat Dr. Pasta.

Gegen die Gültigkeit der Wahl des Hrn. Bernasconi sind bei der Tessiner Regierung nachfolgende Rekurse, beziehungsweise Cassatiopsgesuche, eingegangen : 1) Von Riva, Curati und Consorten, d. d. 5. Dezember.

2) ,, Degiorgi, d. d. 9. Dezember.

3) ,, Carlo Castelli und Consorten.

4) ,, Baretta, Piccoli und Consorten, d. d. 12. Dezember 1872.

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Die wesentlichsten Beschwerden und Einwendungen gegendie Wahl reduziren sich auf folgende: a. Die Festsetzung eines zweiten W a h l t a g s auf den 3 . D e z e m b e r fiir d e n W a h l z i r k e l C e r é s i o s e i u n g e s e t z l i c h u n d u n s t a t t h a f t . E s habe hier eine abermalige Wahlverhandlung gar nicht sattfinden dürfen.

Was an diesem Tage geschehen sei, erscheine null und nichtig. Es dürfen somit die 286 Stimmen, die Hr. Bernasconi hier erhalten habe, i h m so wenig zugerechnet werden, als.

die 117 Stimmen, die Hrn. Dr. Pasta zugefallen, dem letztern anzurechnen seien. Fallen aber die Stimmen des Wahlzirkels Ceresio gar nicht-in Betracht, so habe Dr.. Pasta die absolute Mehrheit erreicht und sei gegenüber dem Hrn. Bernasconi als gewählt anzusehen.

6. Bei den Wahl Verhandlungen des Kreises Giubiasco hätten 112 Bürger Theil genommen, welche nach ihrer Herkunft dem Wahlzirkel Giubiasco angehören, aber, weil in Bellinzona domicilirend in Giubiasco nicht hätten stimmen sollen.

c. Zwischen dem e r s t e n Wahlgang vom 27. O k t o b e r und dem z w e i t e n Wahlgang vorn 1. resp. 3. D e z e m b e r seien mehr als 4 Wochen verflossen ; inner diesem Zeitverlauf hätten Domicilsveränderunge Seitens der Wähler aus dem 40. in den 39. Wahlkreis vor sich gehen können, so dass z. B. Bürger, die ihr Wahlrecht am 27. Oktober schon im 40. Wahlkreis ausgeübt, von diesem Rechte zum zweiten Mal am 1/3. Dezember im 39. Wahlkreis Gebrauch gemacht haben.

Diese drei Beschwerden und Einwendungen sind die wesentlichen gegen die Wahl des Hrn. Bernasconi, -- andere, wie z. B.

es hätten, weil einzelne identische Namen sich in den Urnen vorgefunden, einzelne Wähler zweimal gestimmt, und es hätten sich viele Bürger aus Lugano und andern Gemeinden, neugierig über den Ausgang der Wahlen, am 3. Dezember in Ceresio eingefunden, Bürger, -- welche angeblich indirecten Einfluss auf die Wahlen ausgeübt, -- sind theils irrelevant, theils nicht bewiesen, theils so allgemeiner Natur,t dass diese Beschwerden nicht in Betracht ö fallen können.

Ad a. Ihre Kommission konnte die erste Behauptung der Recurrenten, dass die Wahl des Wahlzirkels Ce r e s i o vom 3. Dezember als gar nicht geschehen betrachtet, und vom Gesammtwahlergebniss des zweiten Wahlgangs vom 1. Dezember abgezogen werden müsse, -- mit der Regierung des Kantons Tessin nicht für

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. begründet halten. Die Wahlverhandlung konnte in Ceresio am 1. Dezember in Folge des ausserordentlichen Orkans -- wegen Gottesgewalt -- nicht stattfinden. Nach Vorschrift des Art. 16 des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872, sowie in Gemässheit des Art. 14 des Tessinischen Vollzugsgesetzes musste die Kantonsregierung da, wo die Wahlverhandlung am ersten Tage (1. Dezember) nicht beendigt werden konnte, eine spätere Zeit für Beendigung derselben festsetzen. Das hat die Regierung ohne Säumen in zweckmässiger Weise gethan, ein f r ü h e r e r Wahltag als der 3. Dezember k o n n t e nach den örtlichen Verhältnissen unmöglich festgesetzt werden.

Ihre Kommission kann jedoch nicht umhin, das Verlangen auszusprechen, dass solche, n a c h dem a l l g e m e i n e n W a h l t a g e später angesetzte Wahlverhandlungen in Tessin und anderwärts möglichst unterbleiben und Massregeln getroffen werden, welche z. B. die Wähler in Brusino-Arsizio, auch wenn das Befahren des Luganer Sees Unwetters halber unmöglich ist, in den Stand setzen, ihr Wahlrecht am allgemeinen Wahltag auszuüben.

Ad b. Auf die Beschwerde der Recurrenten : es hätten 112 .Bürger unbefugt im Wahlzirkel G i u b i a s c o gestimmt, -- erwidert der Staatsrath vonTessili : Es sei ihm unbekannt, ob wirklich in Bellenz domicilirende Angehörige des Wahlkreises Giubiasco in diesem Wahlzirkel gestimmt haben. Thatsache sei, dass schon am 21. Oktober durch Regierungsbeschluss selbst verschiedene Bürger, welche der ein und andern politischen Parteien angehört hätten, -- firn Stimmregister des Wahlkreises Giubiasco eingetragen worden seien, um ihnen die Möglichkeit zu bieten, ihr Stimmrecht im eigenen Kreise auszuüben, ohne sie zu nöthigen, mit Mühe und Kosten sich in das politische Domicil zu begeben.a Gegen die Eintragung j e n e r Bürger in die erwähnten Stimmregister habe vom ·21. Oktober bis zum 1. resp. 3. Dezember gar Niemand Einsprache erhoben. Der Art. 3 de« Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872 schreibt allerdings-vor, dass man das Stimmrecht da ausübe, wo man als Ortsbürger, Niedergelassener oder Aufenthalter wohnt. Vergleiche -Art. 10 desselben Gesetzes.

Ad c. Die dritte und letzte Haupteinwendung, dnss möglicherweise zwischen dein ersten und zweiten Wahlgang DomizilsändeO rungen stattgefunden, welche es Einzelnen möglich gemacht, in .Folge eines zweiten
Wahlgangs, ein zweites Mal in einem andern eidg. Wahlbezirke an den Nationalrathswahlen Theil zu nehmen, -- .ist nach der Ueberzeugung Ihrer Kommission vollkommen unbegründet. Solche Domizilsveränderungen sind unvermeidlich; einige Wähler gehen, andere kommen, andere werden in der Zwischenzeit

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stimmfähig- oder verlieren die Stimmfähigkeit, und so gleicht sich das Verhältniss der Wahlbevölkeruug gegenseitig annähernd aus.

In concreto hat sich namentlich ergeben, dass tessinische Maurer, Strassenarbeiter etc., welche während des Sommers und Vorherbsts in der Lombardei, in der deutschen Schweiz und anderwärts sich aufgehalten haben, irn Laufe des Novembers nach Hause zurückkehrten und theilweise an dem zweiten nationalräthlichen Wahlgang Antheil genommen haben.

Nachträglich soll die Kommission noch hervorheben, dass der Rekurs, d. d. Lugano 5. Dezember 1872, nicht gerade positiv behauptet, und noch weniger diesfällige -Thatsachen anfuhrt, dass bei diesem Wahlgang Bestechungen, Gratis-Trinkgelage u. dgl. stattgefunden haben. In der Klageschrift wird indessen bemerkt : ,,Jeder könne sich vorstellen, welche Manöver, welcher Druck, welche Umtriebe und Versprechungen (promesse) stattgefunden haben. (Poi ognuno può immaginare quali siano stati i maneggi, le pressioni, le circuizioni, le promesse).

Eine Rekursschrift, d. d. Stabbio, 3. Dezember, unterzeichnet von Lorenzo Per nicchi und 9 Consorten, g e g e n die W a h l d e s K a n d i d a t e n Dr. P a s t a eingereicht, -- bringt die Klage vor: Es seien mehrere Wühlzettel mit äussern Erkennungszeichen in auffallender Weise in die Urne gelegt worden -- als Beweis, dass die Stimmabgabe!- von Drittpersonen, die Spenden geleistet, haben kontrolirt werden müssen. Eine Eingabe von Mendrisio vom 9. Dezember wirft den Anhängern der Candidatur Pasta geradezu vor : sie hätten unerlaubte Wahlmittel, Pression und Korruption in Anwendung gebracht.

Nach dem Ausgehobenen, musste demnach die Kominission an sich und vom bloss f o r m e l l e n Standpunkte darauf antragen, die Wahl des Hrn. Oberst Bernasconi als durch Erlangung einer absoluten Mehrheit gewählt, zu validiren.

t Wenn Ihre Kommission jedoch in Erwägung zog, dass, mag auch der zweite Wahlgang an sich gänzlich frei sein, derselbe doch .nit demj ersten Wahlgang, dessen genaue Ergebnisse zur Zeit noch nicht ausgemittelt sind, wesentlich zusammenhängt, dass ferner die ausserordentliche Agitation, welche anlässlich der diesmaligen Nationalrathswahlen im Kanton Tessin waltete, naturgemäss auch auf den z w e i t e n W a h l g a n g im 39. Wahlkreis fortwirken musste ; wenn die Kommission endlich erwog, dass in Bezug auf diese Agitation, ihre Mittel und Folgen durch Beschluss des Nationalraths vom 5. D e z e m b e r abhin eine spezielle Untersuchung durch

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eidg. Kommissarien angeordnet und der Entscheid über die Gültigkeit der a m 27. O k t o b e r 1872 getroffenen Wahlen im 39.

und 40. eidg. Wahlkreis für einmal vertagt worden ist, -- so musste dieselbe . zu dem einstimmigen A n t r a g gelangen : Es sei auch der Entscheid ü b e r die G ü l t i g k e i t der am 1/3. D e z e m b e r 1872 g e t r o f f e n e n W a h l im 39. eidg.

Wahlkreis einstweilen vertagt.

B e r n , den 21. Dezember 1872.

Mit Hochachtung, Namens der Kommission :

Hungerbühler. *) *) Mitglieder der Kommission: die Herren Heer, Demiéville, Hungerbühler, Desor und Karrer.

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Bericht der

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Minderheit der ständeräthlichen Kommission über den Rekurs von Joseph Maria D ü r r e r, betreffend Verfassungsverlezung. . . . . . . . Y ; (Vom 14. Dezember 1872.)

Der Rekurrent, Joseph Maria Durrer von Obwalden, erhielt am 25. April 1869 nach Beendigung der Lands gemeinde, auf der Post in Samen, ein anonymes Schreiben, das er auf dem Postbureau selbst öffnete und laut vorlas.

In diesem Schreiben waren eine Anzahl Personen aus Obwalden, meistens Beamte, theils injurirt theils lächerlich gemacht.

Vom Postbüreau weg begab er sich in eine Wirthschaft und las daselbst vor d'en ziemlich zahlreichen Gästen das betreffende Schreiben ebenfalls laut vor.

In Folge dessen haben 13 Einwohner von Sarnen am 3. Mai 1869 bei der Regierung von Obwalden Klage geführt, indem sie verlangten, die Regierung möge gegen den Urheber und den Verbreiter des Pamphletes eine strafrechtliche Untersuchung einleiten und dem schon seit längerer Zeit andauernden Unwesen der öffentlichen Beschimpfung und Verhöhnung der Bürger ein Ende machen.

Die in dem erwähnten Briefe beschimpften oder verhöhnten Regierungsräthe, sowie diejenigen, welche mit diesen im Ausstands-

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II. Bericht der Commission des Nationalraths, betreffend die Erwahrung des Ergebnisses der Wahlakten vom 1/3. Dezember 1872 im 39. eidg. Wahlkreise Tessin. (Vom 21.

Dezember 1872.)

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1873

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1

Volume Volume Heft

08

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22.02.1873

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