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Schweizerisches Bundesblatt.

XXY. Jahrgang. IV.

Nr. 49.

8. November 1873.

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Bundesrathsbeschluss in

der Rekurssache des Tagwen Haslen im Kanton Glarus, betreffend Verfassungsverlezung.

(Vom 21. Juli 1873.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des Tagwen H a s l e n , Kantons Glarus, betreffend Verfassungsverlezung ; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Mit Eingabe vom 7. Juni 1873 erhob Herr Advokat Dr.

Dresselli in Uznach, Namens des Tagwen's Haslen, bei dem Bundesrathe folgende Beschwerde: Der Tagwen Haslen sei Eigenthümer der sehr umfangreichen Alp Ennetseewen in der Gemeinde Diesbach (Glarus). Zugleich habe er das Recht des Weidganges in den an diese Alp anstoßenden Wäldern des Tagwen's Schwanden. Dieses Recht des Weidganges qualifizire sich als ein Realrecht, das auf den gleichen Schuz des Staates Anspruch habe, wie das Eigenthum am Walde selbst.

Durch das Gesez des Kantons Glarus vom 29. September 1872 sei aber eine verfassungswidrige Gefährdung dieser Rechte eingeführt worden, gegen welche der Tagwen Haslen reklamiren müsse.

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Bundesblatt. Jahrg. XXV. Bd. IV.

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170 Ein Gesez von 1837, betreffend die Bannung der Wälder und die Behandlung abgeholzter Waldstellen (Landbuch Bd. II. S. 72), schreibe nämlich vor, daß nach Waldschlägen das abgeholzte Gebiet für 10 Jahre in Bann gelegt werden solle, in dem Sinne, daß darin weder mit Vieh geäzt, noch gemäht werden dürfe. Diese zehnjährige Bannzeit sei aber durch das Gesez vom 29. September 1872 für Mederwaldungen auf 15 und für höher gelegene auf 20 Jahre ausgedehnt worden. Im Weitern bestimme noch dieses Gesez, daß der Waldeigenthümer dem Weideberechtigten für die ersten 10 Jahre keine Entschädigung zu leisten habe, daß er aber für den Rest der Bannzeit zu einer ,,billigen11 Entschädigung verpflichtet sei. Diese Bestimmung stehe im Widerspruch mit der Verfassung des Kantons Glarus.

Der § 7 der Verfassung von 1836 laute nämlich: ,,Das Privateigenthum ist unverlezlich; indessen räumt die Verfassung dem Staate das Recht ein, in Fällen, wo es das Staatswohl erheischt, von Privaten oder Gemeinheiten das Opfer eines unbeweglichen Besizthums gegen gerechte ,,nach Anleitung des Gesezes auszumittelnde Entschädigung zu fordern." Durch diese Verfassungsbestimmung sei nicht bloß das Eigenthum im engern Sinne, sondern im Allgemeinen das Privatvermögen, somit auch die hier in Frage stehenden Weiderechte des Rekurrenten, garantirt. Es werde zugegeben, daß solche Rechte nach Inhalt des §· 7 der Verfassung im Interesse der Forstkultur beschränkt werden dürfen 3 allein -- wie dort vorgeschrieben -- nur gegen volle Entschädigung; Das alte Gesez von 1837 sage nichts davon, daß abgeholzte Wälder in Bann gelegt werden können o h n e Entschädigung an den Weideberechtigten. Es behalte vielmehr diese Frage offen ; die Entschädigungspflicht sei aber nach allgemeinen Rechtsgrundsäzen und zufolge der erwähnten Vorschrift der Verfassung als selbstverständlich vorauszusezen. Auch in dem § 91 des glarnerischen Gesezes über das Sachenrecht von 1869, in welchen der Inhalt des Gesezes von 1837 aufgenommen worden, sei die Entschädigungsfrage unberührt gelassen. Es bieten daher weder dieser § 91, noch das ältere Gesez Anlaß zur Beschwerde, da sie den Entschädigungsanspruch nicht ausschließen, also zulassen. Erst das Gesez vom 29. September 1872 stelle sich in Widerspruch mit der Verfassung, indem es den Weidberechtigten für die ersten 10 Jahre
jedes Entschädigungsanspruches verlustig erkläre und auch für den Rest der Bannzeit nicht eine volle, sondern nur eine billige Entschädigung vorsehe.

Die Gesezgebung müsse sich aber der Verfassung unterordnen und wohlerworbene Rechte schüzen. Der Grundsaz, daß in Fällen der vorliegenden Art für die Beschränkung von Weidreehten Entschädi-

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gung zu leisten sei, habe überall Anerkennung gefunden (vergi.

z. B. § 258 des graubündischen Privatrechtes).

Durch das fragliche Gesez von 1872 sei der Tagwen Haslen mit einem höchst bedeutenden Verluste an seinem Vermögen bedroht.

Bei den gegebenen lokalen Verhältnissen könnte er sogar unter Umständen das Weidrecht in dem ganzen Umfange der Wälder des Tagwen's Schwanden und auf den von jenen Wäldern umschlossenen freien Stellen (Weitenen) für immer verlieren. Die Vertreter des Tagwen's Haslen haben deßhalb schon bei der Berathung dieses G-esezes im Laudrath gegen dasselbe opponirt, und es sei auch bei der Landsgemeinde selbst angefochten worden. Da diese Opposition ohne Erfolg geblieben, so sehe sich der Rekurrent genöthigt, bei den Bundesbehörden Schuz zu suchen.

Herr Dr. Dresselli schloß mit dem Antrage, es möchten die angefochtenen Bestimmungen des Gesezes vom 29. September 1872 aufgehoben und der Kanton Glarus angehalten werden, dieselben mit der kantonalen Verfassung in Einklang zu bringen.

II. Die Regierung des Kantons Glarus bemerkte in ihrer Antwort vom 27. Juni 1873, der Rekurrent beschwere sich über ein Gesez, welches, soweit es etwas Neues enthalte, ganz auf dem Boden stehe, den er vertheidige.

Bei Fällen von Holzschlägen stehen die Interessen der Weideberechtigten und diejenigen der Waldbesizer einander gegenüber.

Der Staat habe aber beide in gleicher Weise zu schüzen, und es sei Sache der Gesezgebung, die beidseitigen Interessen zu vermitteln.

Nun habe das Gesez von 1837 allerdings die Weiderechte im Interesse der Fqrstkultur beschränkt. Allein darin liege nichts Hartes und nichts Ungerechtes, indem ohne diese BeschränkungO das EigenO 7 O thum des Waldbesizers sehr geschädigt werden müßte, da bei Fortsezung des Weidganges ein junger Wald nicht mehr aufkommen könnte. Es seien bis dahin nur darüber Klagen laut geworden, daß wegen der Kürze der Bannzeit die forstlichen Interessen zu ungenügend geschüzt seien. Die Behauptung aber, daß in jenem Geseze die Frage der Entschädigung offen gehalten worden, habe keinen Anhaltspunkt, weder im Texte des Gesezes, noch in dem Memorial, womit dasselbe im Entwurf der Landsgemeinde vorgelegt worden, noch auch in der bisherigen Praxis. Wäre in dieser Hinsicht irgend ein Zweifel bestanden, so hätte die Redaktion des neuen Gesezes von 1872 anders
lauten müssen. Die angefochtene Stelle dieses Gesezes, dahin lautend: ,,für die ersten 10 Jahre leistet der Waldeigenthümer dem Weideberechtigten (wie bisher) keine Entschädigung", sei aber von keiner Seite angegriffen worden.

172 Das Gesez von 1872 enthalte also nur darin etwas Neues, daß es für die das bisherige Maß übersteigende Schonungszeit den Grundsaz der Entschädigung aufstelle. Daß nur von einer billigen und nicht von einer vollen Entschädigung gesprochen werde, habe nichts zu bedeuten, da der Richter das Maß nach den Verhältnissen des einzelnen Falles feststellen werde.

InErwägung: 1) Die von den Rekurrenten angegriffenen gesezlichen Vorschriften haben den natürlichen und durchaus gerechtfertigten Zwek, die sich widerstreitenden Interessen zweier Berechtigten in der Weise auszugleichen, daß Jeder von seinem Rechte nur insoweit Gebrauch machen kann, als dadurch nicht das Recht des Andern benachtheilig't wird, womit zugleich auch wichtige öffentliche Interessen geschüzt werden ; 2) Die Rekurrenten geben zu, daß eine solche Verfügung nicht, im Widerspruche mit der Verfassung stehe, nur glauben sie, daß dem in Ausübung seines Rechtes beeinträchtigten Weidrechtsbesizer eine Entschädigung Seitens des Waldeigenthümers zugestanden werden sollte, welche dem verursachten Schaden entspreche. Eine Regelung auf diesem Fuße würde allerdings angezeigt sein, wenn das W eiderecht bisanhin ein unbeschränktes gewesen wäre. Es ist dieses aber nicht der Fall, da die in Frage liegenden Weiderechte schon nach dem bisherigen Gresez durch die Rechte des Waldbesizers beschränkt waren; 3) Wenn behauptet wird, es habe das alte Gresez die Entschädigungspflicht des Waldbesizers für die ersten zehn Jahre de1' Bannzeit anerkannt, während das neue G-esez dieselbe ausschließe, so beruht diese Annahme auf einem Irrthum. Es ist im neuen Gesez für den ersten Zeitraum durchaus keine Aenderung eingeführt, sondern ausdrüklich stipulirt, daß w i e b i s h e r die Entschädigungspflicht für die ersten zehn Jahre ausgeschlossen sei.

Die in diesem Sinne während 35 Jahren unbeanstandete Handhabung des frühern Gesezea wird also auch in Zukunft in gleicher Weise statthaben. Da hierin bis jezt keine Verfassungsverlezung gefunden worden, so ist nicht abzusehen, wie eine solche im neuen Geseze liegen sollte, zumal dieses nichts anderes will und nichts anderes bestimmt, als was bisanhin schon Rechtens war ; 4) Anbelangend die über zehn Jahre verlängerte Bannzeit, so ist für diesen neu eingeführten Zeitraum die Entschädigungspflicht ausgesprochen. Daß nur von
einer billigen, nicht von einer gerechten oder vollen Entschädigung die Rede ist, hat nichts zu bedeuten, da unparteiische Sachverständige das Maß festsezen werden,

173 wie es nach ihrem Urtheil die wirkliche Sachlage erfordert. Das Gesez hat nur den Grundsaz der Entschädigungspflicht aufgestellt, die richtige Anwendung des Grundsazes bleibt dem freien richterlichen Ermessen anheimgestellt; eine bloße Präsumption, es werde der Richter seine Pflicht nicht thun, ist zu verwerfen; beschlossen: 1. Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. Sei dieser Beschluß der Regierung des Kantons Glarus, sowie dem Herrn Advokat Dr. Dresselli in Uznach, als Anwalt und zuhanden des Tagwen Haslen, unter Rükschluß der Akten mitzutheilen.

B e r n , den 21. Juli 1873.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Ceresole.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Bericht der

ständeräthlichen Kommissionsmehrheit in der Rekurssache des Salomon Bloch, betreffend Gerichtsstand.

(Vom 18. September 1873.)

Tit. !

Joseph Dreifuß, wohnhaft in Reinach, Kantons Aargau, wurde von Pferdehändler Salomon Bloch, wohnhaft in Avenches, Kantons "Waadt, bei dem Bezirksgericht Kulm wegen einer Injurie belangt, welche Jener in einem Wirthshause zu Luzern sich habe zu Schulden kommen lassen. Der Beklagte stellte eine forideclinatorische Einrede, weil er beim forum delicti zu belangen sei. Das Bezirksgericht Kulm erklärte, gestützt auf das aargauische Zuchtpolizeigesetz, diese Einrede als begründet, allein das Obergericht hob das erstinstanzliche Urtheil auf, indem es dahin reassumirte, es handle sich um eine interkantonale Angelegenheit, und es dürfen sonach die kantonalen Gesetze nicht zur Anwendung gelangen, soweit Bundesvorschriften entgegenstehen. Da die Klage auf Genugthuung wegen Ehrbeleidigung ihrer Natur nach einen persönlichen Zivilanspruch zum Gegenstande habe, so müsse diese Klage gemäß Art. 50 der Bundesverfassung beim Wohnorte des Beklagten, somit im Spezialfall vor dem aargauischen Richter geltend gemacht werden. Gegen dieses Urtheil beschwerte sich Herr Fürsprecher Strähl in Zofingen, Namens des Dreifuß, beim Bundes-

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1873

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08.11.1873

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169-174

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