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Bericht der

nationalräthlichen Kommission betreffend das Begehren des Kantons Tessin um Abänderung des Art. 8 des Bundesgesetzes über die eidg. Wahlen und Abstimmungen.

(Vom 11/23. Juli 1873.)

Tit. !

Mit dem dringendsten Gesuch um Wiedereinführung der öffentl i c h e n S t i m m a b g a b e vorab bei e i d g e n ö s s i s c h e n W a h l e n hatten sich folgende Potenten an den Großen Rath des Kantons Tessin gewendet: a. die Schützengesellschaft des Liviner Thaies mit Eingabe d. d.

Faido vom Ì5. April 1. J. ; b. die Schützengesellschaft ,,la Vittoria" von Valmaggia, unter gleichem Datum ; c. die Schützengesellschaft von L o c a m o unterm 27. April5 d. die Schützengesellschaft ,,Vittoria" von Sevio unterm 28. April ; e. die Schützengesellschaft Ver ban o mit Eingabe d. d. Brissago, den 29. April ; f. die Schützengesellschaft von Onsernone mit Eingabe vorn 29. April; g. der Municipalitätsrath von Bellinzona unterm 2. Mai l. J., und endlich h. der demokratische Verein der Stadt Bellenz mit Eingabe vom 6. gleichen Monats.

Bundesblatt Jahrg. XXV. Bd. III.

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Diese Patenten, man kann es nicht leugnen, zählen alle zu den Vertretern desjenigen Theils des Tessinischen Volks, der sich seit zwanzig Jahren treu an die Eidgenossenschaft und die neuen Bundesverhältnisse angeschlossen hat.

Der Große Rath von Tessin behandelte diese Petitionen in seiner Sitzung vom 7. Mai abbin und beschloß, nachdem er dieselben zur Vorprüfung und Antragstellung an eine Kommission gewiesen hatte, -- was folgt: 1. Der Staatsrath ist eingeladen, sich Namens des Kantons bei den eidgenössischen Räthen dahin zu verwenden, daß das Bundesgesetz über die eidg. Wahlen (in Art. 8} in dem Sinn abgeändert werde, daß den Kantonen das Recht wieder eingeräumt werde, den Abstimmungsmodus in eidg. Angelegenheiten selber festzusetzen.

2. Bei Anlaß der nächsten Volksabstimmung über eine Parüalreform (der Verfassung) soll dem Volke .gleichzeitig die Frage der Aufhebung der geheimen Abstimmung im Großen Rathe -- mit Ausnahme der Begnadigungsfälle -- zur Entscheidung vorgelegt werden.

In Ausführung des ersten Theils dieses Großrathsbeschlusses vom 7. Mai richtete der Staatsrath von Tessin unterm 5. Juni ein Memorial an den Bundesrath zu Händen der eidg. Räthe, in welchem derselbe die großräthliche Schlußnahme und das ihr zu Grund liegende Begehren an die Bundesversammlung zu rechtfertigen sucht.

Das Memorial hebt im Wesentlichen folgende Momente hervor : Der Kanton Tessin habe durch Gesetz vom 19. F e b r u a r 1852 die ö f f e n t l i c h e S t i m m a b g a b e nach allseitiger, reifer Prüfung dieses Wahlmodus allgemein vorgeschrieben, Vor Erlassung des Art. 8 des Bundesgesetzes vom 19. .Juli 1872 sei von dem Staatsrath und den Tessinischen Abgeordneten in den eidg.

Räthen gegen die geheime Abstimmung Verwahrung eingelegt worden.

Man könne sich theoretisch über den Vorzug der g e h e i m e n Abs t i m m u n g vor der ö f f e n t l i c h e n streiten -- Thatsache aber sei es, daß sich der Kanton Tessin unter der Herrschaft des alten, republikanischen Wahlmodus in kantonaler und föderaler Beziehung im Ganzen wohlbefunden habe. Das Tessiner Volk habe seit zwanzig Jahren die Verwaltungsbehörden des Kantons in gutem, freiheitlichen und fortschrittlichen Geiste bestellt und in der Regel auch eidgenössisch gesinnte Männer in die eidgenössischen Räthe entsendet. Bei der o f f e n e n und offen tlich
en S t i m m a b g a b e sei der gemeine Bürger, der sich nach alten, lange verwahrlosten staatliehen Zuständen nur langsam politisch heranbilde, dem Rath und Beispiel der Vertrauensmänner gefolgt, welche bisher die öffentlichen

459 Interessen in Staat und Gemeinde zu seiner Zufriedenheit besorgt haben.

Seit der Anwendung des Art. 8 des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872 sei all das im Kanton Tessin anders geworden. Niemand als die Parthei der Klerokraten, die seit 20 Jahren in der Minderheit gewesen, habe die Einführung der geheimen Abstimmung willkommen geheißen. Diese Parthei beherrsche jetzt durch Geistliche, welche in auswärtigen theologischen Lehranstalten und Seminarien in staatsfeindlicher Richtung erzogen werden, die kantonalen und eidgenössischen Wahlen. Diese und fremde Kleriker, von ausländischen Kirchenobern oft aus den entferntesten Provinzen Italiens nach dem Tessin versetzt, bearbeiten den gemeinen Mann, benützen die Kanzel, den Beichtstuhl, die Hausvisiten u. s. w., um den freisinnigen Bestrebungen des Staates, seiner Gesetzgebung in Schulund Ehesachen etc. feindselig entgegen zu treten und überall ihre Creaturen an das Ruder der Landes- und Gemeindsverwaltung zu bringen. Wie namentlich diese Parthei der Klerokraten es bei den letzten Natiónalrathswählen getrieben habe, darüber liefere der sachbezügliche Bericht der eidgenössischen Commissarien den actenmäßigen Beweis.

Die Commission konnte sich nach Prüfung dcr,, Acten und Würdigung der eigentümlichen Zustände und Verhältnisse im Kanton Tessin nicht verhehlen, daß hier der Uebergang vom System der ö f f e n t l i c h e n zu derjenigen der g e h e i m e n S t i m m g a b e bei Wahlverhandlungen, verbunden mit der dem tessinischen Clerus durch Art. 2 des Bundesgesetzes eingeräumten n e u e n W a h l b e f u g n i ß anfänglich mit großen Uebelständen und vielleicht unguten Rückwirkungen auf die eidgenössischen Wahlen begleitet sein werde.

Dessen unbeachtet muß die Kommission, in Uebereinstimmung mit der bundesräthlichcn Botschaft vom 25. Juni abhin, ihr Gutachten dahin abgeben, daß dem, im Beschluß des Großen Rathes vom 7. Mai 1. J. enthaltenen Gesuch um Abänderung des Art. 8 des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872 n i c h t entsprochen werden könne. Ihre Gründe hiefür sind kurz folgende : Der Art. 8, welcher bei Nationalrathswahlen und Verfassungsabstimmungen die g e h e i m e Stimmabgabe vorschreibt, ist nach einläßlicher Prüfung beider Wahlmodalitäten im Nationalrathe mit überwiegendster Mehrheit in das Bundesgesetz vom Juli 1872 aufgenommen worden. Die r
a t i o l e g i s liegt auf flacher Hand. Die g e h e i m e Stimmgebung auf offiziell verabfolgtem Wahlzettel, welche der Stimmberechtigte n i c h t zu unterzeichnen hat, sichert den andern Staatsgenossen und der Regierung gegenüber weit besser die Ueber-

460 zeugung und den unabhängigen freien W i l l e n des Stimmenden, als die ö f f e n t l i c h e Stimmabgabe, bei welcher ein Bestechender oder derjenige, welcher durch bestechende Kredit-, Arbeits- oder andere Verhältnisse auf Dritte Einfluß hat, eine Kontrole über die Stimmgebung führen kann. Man erwidert zwar, was die Wahlb e s t e c h u n g betreffe, so .werde ja dieselbe mit Strafe belegt und an beiden Betheiligten geahndet. Das ist vollkommen richtig und auch im Kanton Tessin besteht ein Gesetz, das Wahlbestechungen mit schwerer Strafe bedroht. Allein wie selten folgt diesem Delicte der Wahlfälschung die Strafe nach, -- aus dem einfachen Grunde, weil beide Theile Interesse haben, das Vergehen möglichst geheim zu halten.

Mit Recht bringt die bundesräthliehe Botschaft in Erinnerung, daß auch die W a h l p r a x i s in den Kantonen bei Annahme des mehrerwöhnten Art. 8 berücksichtigt worden sei. Die geheime Stimmgabe für kantonale Wahlen und Abstimmungen bestand schon vor dem Juli 1872 in einer Anzahl der Kantone, welche mehr als S /G der schweizerischen Bevölkerung repräsentiren.

Endlich steht der Große Rath des Kantons Tessin mit seinem Begehren um eine a u s n a h m s w e i s öffentliche Stimmgebung bei eidgenössischen Wahlen ganz allein. Aus keinem andern Kantone sind Klagen- gegen die geheime Stimmgebung lautbar geworden.

Selbst in den Landsgemeinde-Kantonen hat man sich der Bundesvorschrift in Art. 8 des Gesetzes gefügt, und die letzten cidg. Wahlverhandlungen haben hier überall von Gemeinde zu Gemeinde ihren regelmäßigen Verlauf genommen.

Auch im Kanton Tessin dürften manche, bei den Wahlverhandlungen zur Zeit waltende Uebelstände und Mißbräuche aufhören, wenn gesetzliche Bestimmungen und Verordnungen, welche auf die Wahlen in Kreis- und andern Wahlversammlungen, auf bessere Eintheilung der örtlichen Wahlkreise im Sinne der Erleichterung der Stimmgebung, auf Abgabe von Stimmfähigkeitskarten und von Stimmzetteln an die Stimmberechtigten etc., Bezug haben, einer zeit- und zweckgemäßen, e r p r o b t e V e r f a h r u n g s w e i s e n in a n d e r n K a n t o n e n b e r ü c k s i c h t i g e n d e n , Revision unterworfen würden.

Nach dem Erörterten stellt Ihre Kommission den einstimmigen Antrag: *) Der N a t i o n a l r a t h , Nach Ansieht und Prüfung des durch den Staatsrath des Kantons Tessin mit Memorial vom 5. Juni eingebrachten Begehrens des *) Angenommen: Nationalrath 23., Ständerath 24. Juli 1873.

461 Tessinischen Großen Raths vom 7. Mai 1. J., dahingehend: man möchte das Bundesgesetz vom 19. Juli 1872 über die eidg. Wahlen (Art. 8) in dem Sinn abändern, daß den Kantonen das Recht wieder eingeräumt werde, den Abstimmungsmodus in eidg. Angelegenheiten selber festzusetzen; nach Kenntnißnahme von der sachbezüglichen Botschaft des Bundesraths vom 25. Juli 1. J.; erwägend, daß keine stichhaltigen Gründe vorliegen, in die vorn Großen Rathe des Kantons Tessin begehrte Abänderung des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872 über die eidg. Wahlen und Verfassungsabstimmungen, einzutreten, -- beschließt: · T a g e s o r d n u n g ü b e r das v o r l i e g e n d e B e g e h r e n bezüglich A b ä n d e r u n g des Art. 8 des Bundesgesetzes vom 19. J u l i 1872.

Mittheilung der Schlußnahme durch den Bundesrath an den Staatsrath des Kantons Tessin.

Bern, den 11/23. Juli 1873.

Für die Kommission,*) Der B e r i c h t e r s t a t t e r :

Hungerbühler *) Die Kommission bestand aus den HH H u n g e r b ü h l e r , Berdez, Brosi, Migy und v. Segesser.

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Bericht der

Kommission des Nationalraths, betreffend Ergänzung des Bundesgesetzes über das Pulverregal.

(Vom 20. November 1872.)

Tit.!

Die Commission, welche Sie zur Prüfung des bundesräthlichen Antrages betreffend Ergänzung des Bundesgesetzes über das Pulverregal niedergesetzt haben, beehrt sich, Ihnen zu eröffnen, daß sie sich mit den Intentionen des Bundesrathes, welche auch vom Ständerathe bereits genehmigt worden sind, der Sache nach in vollkommener Uebereinstimmung befändet.

Der Gegenstand, um den es sich handelt, ist Ihnen aus frühern Verhandlungen her schon so genau bekannt, daß es genügt, denselben hier mit zwei Worten zu charakterisiren.

Art. 38 der Bundesverfassung sagt: ,,Fabrikation und Verkauf des Schießpulvers im Umfange der Eidgenossenschaft stehen ausschließlich dem Bunde zu.

Was ist nun Schießpulver? Ueber die Bedeutung und den Umfang dieses terminus technicus hat sich bei Anlaß der Erfindung des sogenannten Massip'sche Sprengfabrikats eine Controverse entsponnen. Im Jahr 1866 glaubten die beiden Räthe, den Begriff Schießpulver so ausdehnend interpretiren zu sollen, daß dadurch auch das Massip'sche Fabrikat ins Regal fiel. Als aber

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Bericht der nationalräthlichen Kommission betreffend das Begehren des Kantons Tessin um Abänderung des Art. 8 des Bundesgesetzes über die eidg. Wahlen und Abstimmungen.

(Vom 11/23. Juli 1873.)

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Jahr

1873

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

39

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

30.08.1873

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457-462

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10 007 815

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