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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Ausdehnung des Bundesgesetzes über Freizügigkeit des Medizinalpersonals vom 19. Dezember 1877 auf die Zahnärzte.

(Vom 26. November 1886.)

Tit.

Das am 19. Dezember 1877 in Ausführung von Artikel 23, Alinea 2, der Bundesverfassung erlassene B u n d e s g e s e t z b e t r e f fend die Freizügigkeit des Medizinalpersonals i n d e r s c h w e i z e r i s c h e n E i d g e n o s s e n s c h a f t (Amtl. Samml. n. F., III, 379) beschränkt seine Wirksamkeit ausdrücklich auf die Aerzte, A p o t h e k e r und T h i e r ä r z t e , indem nur für diese drei Kategorien von Medizinalpersonen die Nothwendigkeit eines ernsten wissenschaftlichen Studiums vorausgesetzt, der Beruf des Z a h n a r z t e s dagegen (zu vergleichen Seite 16 der Botschaft vom 18. Mai 1877, Bundesblatt II, 869"), gemeinschaftlich mit denjenigen der Hebammen, niederen Chirurgen und Orthopädisten, eher als bloße handwerksmäßige Anwendung technischer Fertigkeiten, welche in verhältnißmäßig kurzer Lehrzeit zu erwerben seien, qualifizirt wurde.

Schon damals fand indessen diese Auffassung, soweit sie sich auf die Zahnärzte bezog, weder im Schooße der gesetzgebenden Räthe, noch in den Kreisen der Fachleute allgemeine Zustimmung.

Im Ständerathe wurde die in mehreren Petitionen nachgesuchte, von Herrn Bodenheitner beantragte Aufnahme der Zahnärzte in das Bundesgesetz nur mit schwacher Mehrheit (16 gegen 13 Stimmen)

916 abgelehnt, während die vorberathende Kommission des Nationalrathes von vorneherein der Meinung war, Art. l, Litt, a, des Gesetzentwurfes umfasse unter der Rubrik ,,Aerzte" selbstverständlich auch die Zahnärzte, weßhalb es unnöthig sei, die letztere Kategorie noch besonders aufzuzählen. Wenn der Rath diese Ansicht nicht theilte und den Antrag des Herrn Römer, die Zahnärzte im Gesetze ausdrücklich zu erwähnen, schließlich mit Mehrheit verwarf, so ist dieses Ergebniß wohl theilweise dem Umstand zuzuschreiben, daß gleichzeitig von dritter Seite auch die Hebammen in den Bereich des Gesetzes gezogen werden wollten, gegen welche Ausdehnung sich eine große Opposition geltend machte. Von abweichenden fachmännischen Aeußerungen erwähnen wir beispielsweise die Besprechung des Gesetzentwurfes durch Prof. Dr. med. Karl Emmert (Bern, Max Fiala, 1877), welche auf Seite 9 u. ff., nach einläßlicher Begründung, im Interesse des Publikums sowohl als des ärztlichen Standes verlangte, daß der zahnärztliche Beruf nicht zu einem bloßen Gewerbe herabgedrückt, sondern vielmehr durch Abverlangung einer dem dermaligen Standpunkte der Zahnheilkunde entsprechenden Prüfung, d. h. durch Aufnahme in das Bundesgesetz, zu einem wissenschaftlichen Berufe erhoben werde.

Seit jener Zeit, d. h. im Laufe der letzten zehn Jahre, sind nicht nur auf dem speziellen Gebiete der Zahnarzneikunde ganz bedeutende Fortschritte erzielt worden, sondern es hat sich auch durchwegs die Ueberzeugung Bahn gebrochen, daß der gewissenhafte Zahnarzt, welcher den heutigen Anforderungen seines Berufes in jeder Beziehung gerecht werden will, eine allgemeinere medizinische Ausbildung ebenso wenig entbehren kann, als andere Spezialisten, wie z. B. Nasen-, Kehlkopf- und Ohrenärzte, und daß die bloße handwerksmäßige Aneignung mechanischer Fertigkeiten dazu keineswegs ausreicht. Die richtige Behandlung kranker Zähne kann unmöglich immer eine rein technische sein, sondern sie wird sich zu richten haben nach der Konstitution des Patienten, nach andern gleichzeitig bestehenden Krankheiten, nach erblichen Anlagen, Dyskrasieu etc. Die gehörige Würdigung dieser Verhältnisse setzt anatomische, physiologische und chirurgische Kenntnisse voraus, die nur durch regelmäßige Studien an einer Universität oder Fachschule erworben werden können, welche ihrerseits wiederum
eine entsprechende theoretische Vorbildung bedingen.

Die Unerläßlichkeit wissenschaftlicher Fachstudien für die Zahnärzte ist schon seit längerer Zeit insofern zu allgemeinerem Bewußtsein gekommen, als einerseits die Einsichtigen unter denselben aus eigenem Antrieb den akademischen Bildungsgang einschlugen, während andererseits einzelne Kantone, wie namentlich Zürich,

917 Bern, St. Gallen, Genf, Thurgau und Baselstadt hohe Anforderungen an die Patentirung knüpften, indem sie von den Aspiranten für den zahnärztlichen Beruf nicht blos ein Minimum von Gymnasialbildung, sondern auch bestimmte Hochschulstudien, wie Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie, Arzneimittellehre, Chirurgie, theoretische und praktische Zahnheilkunde, sowie überdies eine mehrjährige praktische Bethätigung bei einem patentirten Zahnarzte verlangten. Andere Kantone, nämlich Luzern, Schwyz, Graubünden, Solothurn, Aargau, Waadt, Neuenburg und Schaffhausen, stellten etwas weniger strenge Bestimmungen auf, ohne indessen den wissenschaftlichen Charakter ihrer Zahnärzte gänzlich zu verwischen. Da aber die Vorschriften der Kantone Zug und Freiburg sich auf dem Niveau der sogenannten niederen Chirurgie bewegten, während die Kantone Appenzell, Baselland, Glarus, Tessin, Unterwaiden, Uri und Wallis gesetzliehe oder reglementarische Bestimmungen über die Vorbildung und Prüfung der Zahnärzte überhaupt nicht erließen, so machten sich auf diesem Gebiete allerlei Uebelstände geltend, und es trat in Ermanglung jeglichen Konkordates endlich ein so mißlicher Zustand ein, daß im Laufe dieses Jahres sowohl aus Berufskreisen, als von Seite der meisten Kantonsregierungen um Abhülfe von Bundes wegen petitionirt wurde.

Im Namen des am 7. März laufenden Jahres etwa 60 Mitglieder stark in Zürich versammelt gewesenen V e r e i n s s c h w e i z e r i s c h e r Z a h n ä r z t e stellte nämlich die hiezu beauftragte Kommission, bestehend aus den Hei-ren Prof. Dr. Billeter in Zürich, Dr. Debonneville in Lausanne, Dr. de Trey in Vivis, P. A. Kölliker in Zürich, F. Montigel in Chur, Prof. Dr. Redard in Genf, A. Rittmann in Basel, Prof. Weber in Genf und F. Wellauer in Frauenfeld, in einer am 9. Juli hier eingelangten, unseres Wissens auch an die Mitglieder der Bundesversammlung verschickten Eingabe das Gesuch : fl Es möge den hohen Räthen belieben : 1. In den Rahmen der eidgenössischen Medizinalprüfung auch die Prüfung der Zahnärzte einzufügen.

2. Eine Prüfungsordnung für Zahnärzte zu schaffen, die dem gegenwärtigen Stande der Zahnheilkunde nach wissenschaftlicher und praktischer Richtung hin entspricht."1 Andererseits hatten sich auf Anregung des thurgauischen Sanitätsdepartements schon am 1. Februar abbin Vertreter
der Kantone Z ü r i c h , B e r n , L u z e r n , S c h w y z , S o l o t h u r n , St. G a l l e n , A a r g a u und T h u r g a u in Zürich zu einer Konferenz vereinigt, um die Frage der Patentirung und Beaufsichtigung

918 der Zahnärzte einer eingehenden Besprechung zu unterziehen. Der Vertreter des Kantons S c h a f f h a u s e n war am Erscheinen verhindertgewesen; die Regierungen der Kantone B a s e l l a n d , G r a u b ü n d e n , 0 b \v a l d e n, U r i und Zug .hatten zwar keinen aktiven Antheil genommen, aber um Mittheilung des bezüglichen Konferenzprotokolles ersucht. Bei einer Fortsetzung der Konferenzverhandlung am 19. April ließen sich auch die Kantone B a s e l s t a d t und G e n f vertreten, und die Departementsvorstände des Innern von W a a d t und N e u e n b u r g erklärten ihre Zustimmung. Das Ergebniß dieser zweiten Konferenz bildet die mit Einmuth beschlossene, bei den Akten liegende Petition, welche in dem einläßlich motivirten Begehren gipfelt : ,,Es wolle der Bundesrath die Angelegenheit der Zahnärzte neuerdings in Berathung ziehen und bei der Bundesversammlung eine Novelle zu dem Medizinalgesetze vom Jahre 1877 in der Weise beantragen, daß auch die Zahnheilkunde als wissenschaftliche Berufsart anerkannt und das Prüfungsreglement durch entsprechende gemeinsame Bestimmungen ergänzt werden möchte."1 Es mag hier beiläufig hervorgehoben werden, daß die Regierungen der sämratlichen Hochschulkantone bei diesem Beschlüsse mitgewirkt haben, was wohl zu der Annahme berechtigt, daß dieselben bereit sein werden, gegebenenfalls an ihren medizinischen Fakultäten die erforderlichen Einrichtungen zu treffen, worin übrigens Genf mit der Gründung einer eigentlichen Zahnarzneischule ihnen bereits vorangegangen ist.

Der leitende Ausschuß für die eidgenössischen Medizinalprüfungen, welchem zunächst die zitirten Petitionen zur Prüfung und Begutachtung überwiesen wurden, hat die Berechtigung der gemachten Anregung ebenfalls anerkannt und dieselbe zu weiterer Verfolgung empfohlen, indem er sich von ihrer Zweckmäßigkeit sowohl als von ihrer Durchführbarkeit überzeugt zu haben glaubt. Für den Fall, da li es gelingen sollte, einen Beschluß in dieser Richtung herbeizuführen, hat die genannte Behörde ihre Bereitwilligkeit ausgesprochen, zur Durchführung desselben ihre Mitwirkung eintreten zu lassen.

Angesichts aller dieser übereinstimmenden Aeußerungen und Wünsche zögern wir um so weniger, Ihnen einen dahinzielenden Antrag zu unterbreiten, als die Verfassungsrnäßigkeit, welche lediglich darauf beruht, daß die Zahnheilkunde als wissenschaftlicher Beruf aufgefaßt wird, nach Einsicht der vorliegenden Eingaben wohl kaum mehr bestritten werden kann.

919 In erster Linie handelt es sich nun darum, die Bestimmungen des B u n d e s g e s e t z e s betreffend die Freizügigkeit des Medizinalpersonals in der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 19. Dezember 1877 auf die Zahnärzte auszudehnen. Hiefür scheint es zu genügen, wenn in Art. l, lit. a, dieses Gesetzes hinter dem Worte ,,Aerzte" das Wort ,,Zahnärzte" eingeschoben wird, unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß in Art. l, lit. b, die Bezeichnung ,,vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes" für die Zahnärzte sich auf das hiemit beantragte Ergänzungsgesetz bezieht.

Was sodann die Aufstellung der P r ü f u n g s bestim m u n gen für die Zahnärzte anbelangt, so wird der leitende Ausschuß unter Beiziehung von zahnärztlichen Fachmännern die einschlägige Verordnung entwerfen. Das Prüfungsreglement vom 2. Juli 1880 (Amt). Samml. n. P. V, 115) ist ohnehin revisionsbedürftig geworden, und es soll im künftigen Jahre eine Totalrevision desselben stattfinden. Falls der gegenwärtige Gesetzentwurf angenommen wird, so können bei jenem Anlaß die PrüfungsVorschriften für die Zahnärzte gleichzeitig in das revidirte Reglement aufgenommen werden.

Indem wir Ihnen schließlich den umstehenden Gesetzentwurf zur Genehmigung empfehlen, benutzen wir diesen Anlaß, um Sie, Tit., unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 26. November 1886.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

920 (Entwurf)

Bundesgesetz betreffend

Ausdehnung des Bundesgesetzes über Freizügigkeit des Medizinalpersonals in der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 19. Dezember 1877 auf die Zahnärzte.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in weiterer Ausführung des Artikels 33, zweites Lemma, der Bundesverfassung, und in Abänderung bezw. Ergänzung des Bundesgesetzes betreffend die Freizügigkeit des Medizinalpersonals ÌD der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 19. Dezember 1877 (A. 8. n. F. III, 379); nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 26. November 1886, beschließt: Art. 1. latterà a von Art. l des Bundesgesetzes betreffend die Freizügigkeit des Medizinalpersonals in der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 19. Dezember 1877 wird dahin abgeändert, beziehungsweise ergänzt: Diejenigen Aerzte, Z a h n ä r z t e , Apotheker und Thierärzte, welche nach Maßgabe dieses Gesetzesein eidgenössisches Diplom erworben haben.

Art. 2. Der Bundesrath ist beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Buodesgesetzes betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlilsse vom 17. Juni 1874 (Amtl. Samml. n. F. I. 116) die Bekanntmachung dieses Bundesgesetzes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusetzen.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Ausdehnung des Bundesgesetzes über Freizügigkeit des Medizinalpersonals vom 19. Dezember 1877 auf die Zahnärzte. (Vom 26. November 1886.)

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27.11.1886

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