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Bericht der

Kommission des Nationalrathes über den Rekurs des betreffend Gerichtsstand in Erbschaftssachen.

(Vom 18. Juli 1873.)

Tit.!

Aus den Akten ist ersichtlich, daß im Beschlüsse des Bundesrathes vom 18. November 1872 die faktischen Verhältnisse richtig dargestellt worden sind ; allein der Vollständigkeit wegen wollen wir dieselben hier nochmals in Kürze reproduziren.

1) der dort seit vielen Jahren niedergelassen gewesene mit Hinterlassung einer Wittwe, kinderlos.

2) Die gesammte Verlassenschaft liegt im Kanton Graubünden.

3) Als Erben treten auf: der und dann anderseits die Nachkommen von vier andern Brüdern des Vaters des Erblassers, Ersterer unter Berufung auf das Schwyzer resp. Gersauer Erbrecht, indem er als n ä c h s t e r Verwandter a l l e i n i g e r Erbe sei, Letztere als Miterben nach graubündnerischem Recht (nach Stollen, Repräsentation), daher denn auch jener die Theilung vor dem schwyzerischen, diese aber vor grau.

bündnerischem F o r u m durchzuführen suchten.

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4) Auf Begehren des JSohn eines Oheims des Erblassers) bewilligte unterm 23. Juni 1871 die Regierung des Kantons und Erbenaufruf im Amts blatte.

5) erhob Protest gegen die Theilung durch das Amt Dissentis (10. August 1871) und erhob eine Provocationsklage vor B e z i r k s g e r i c h t G e r s a u gegen J in der er verlangte, daß dieser innert peremtorischer Frist seine Ansprüche auf die Verlassenschaft g e r i c h t l i c h geltend zu machen habe.

Dieser erhob Competenz-Einrede und das Gericht erklärte sich unterm 28. Okt.1872 als nicht compétent, da Ansprüche und Klagen bezuglich fraglicher Verlassenschaft, weil Graubunden dem Concordate vom 15. Juni 1822 betreffend Erbschaften nicht beigetreten sei, vor das Foruni des Kantons Graubunden gehorten.

zind erklarte Rekurs, stand aber spater davon ab.

6) Unterm 2. November 1871 erließ Dissentis Aufforderungen an alle Erben, sich zur T h e i l u n g in Danis einzufinden.

wandte sich an die Regierung von Schwyz, diese i n t e r v e n i r t e unterm 17. November 1871, indem sie an die Regierung von Graubunden das Gesuch stellte, das Theilungsverfahren in Dissentis zu s i s t i r e n , und den Nachlaß nach s c h w y z er i s c h e m Rechte zur Vertheilung kommen zu lassen.

Die Regierung bezog sich hiebei auf Art. l, Ziff. 4, litt, b des bürgerlichen Gesezbuchcs von Graubunden, und sprach die Erwartung aus, es werde dieser Kanton in Casu als einem Specialfalle eine Ausnahme von dem Territorialprinzipe machen, da er kein Interesse an der Theilung haben könne.

Kein Angehöriger des Kantons sei Erbe und was die Wittwe betreffe, so habe erklart, daß er ihr die gleichen Rechte zusichere, welche das graubündnerische Recht ihr einräume.

( 2 /' des Nachlasses zur Nutznießung , wahrend das schwyzerische Recht bloß die Hälfte bestimmt.)

7) Die Regierung des Kantons Graubunden erklarte sich mit Schreiben vom 23. Janner 1872 hiemit einverstanden, sofern alle Erben diese Erklärung bezuglich der Wittwe des Erblassers abgeben wurden oder aber dann das zuständige Gericht die Erbsanspruche der übrigen Erbspratendenten (außer Fz. Cammenzind) als unbegründet erklaren wurde.

Eine Erklärung im obigen Sinne wurde aber von den übrigen Erhspratendenten nicht gegeben.

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8) Eine nochmalige Verwendung bei der Regierung des Kantons Graubünden, welche Fz. Cammenzind verlangt hatte, lehnte die Regierung des Kantons Schwyz ab.

9) In Folge dessen ließ dann Fz. Cammenzind die übrigen Erbsprätendenten am 22. Juli 1872 vor Bezirksgericht Gersau vorladen und stellte das B e g e h r e n , es hätten ihn diese nach dem Erbrechte von Gersau als a l l e i n i g e n Erben im Nachlasse des R. Cammenzind anzuerkennen.

Am 29. darauf kam es zur Verhandlung und es erhoben dia Beklagten die E i n r e d e , daß sie sich ,, z u r Z e i t " nicht einzulassen hätten. Beide Begehren wurden jedoch abgewiesen, weil der Kläger bereits unterm 21. Oktober 1871 wegen Incompetenz des Gerichtes abgewiesen worden sei und die neuen Rechtsbegehren den gleichen Streitgegenstand beträfen.

10) Indessen, am 13. und 30. Juli 1872, hatte J. M. Cammenzind, als Bevollmächtigter der Gegenpartei, den Fz. Cammenzind vor das Vermittleramt Truns (Dissentis) vorladen lassen zum Sühneversuch. Es wurde das B e g e h r en gestellt, daß Fz. Cammenzind die Gegenpartei, als miterbberechtigt anzuerkennen habe. Allein der Vorgeladene erhob gegen beide Vorladungen Protest und erschien nicht. Hierauf machten die Gegner am 14. August 1872 vor dem Bezirksgericht Dissentis förmlich Klage gegen ihn anhängig.

11) Vorher aber schon hatte Fz. Cammenzind mit Eingabe vom 7. August 1872 die Angelegenheit dem Bundesrathe zum Entscheide vorlegen lassen.

Die tragenden Momente des Falles resumiren wir kurz in folgenden Sätzen : Der Erblasser hatte sein Domicil seit 1857 bis zu seinem Todestage (10. Juli 1871) in ; -- die Heimath des Erblassers ist Gersau, Kts. Schwyz; -- die Erbsberechtigten , außer seiner Wittwe, wohnen alle in Gersau ; -- E r b s p r ä t e n d e n t e n - sind : einerseits, der Bruder des Vaters des Erblassers. Dieser will mit Berufung auf das schwyzerische Erbrecht, resp. auf dasjenige von Gersau, als nächster Verwandter a l l e i n i g e r Erbe sein; und die Nachkommen von vier andern bereits verstorbenen Brüdern des Vaters des Erblassers anderseits, welche unter Berufung auf das graubündnerische Recht behaupten, M i t e r b e n zu sein. Jener will Theilung nach schwyzerischem Rechte und im Kanton Schwyz, diese dagegen Durchführung derselben vor dem graubündnerischen Forum und nach dem Rechte des Kantons Graubünden. -- Eine Erledigung des Streites

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hat nicht stattgefunden, da eine Klage vor graubündnerischem Gerichte erst anhängig gemacht worden, das schwyzerische Gericht aber sich in Sachen inkompetent erklärt hat.

Die Frage, die wir zu lösen haben, stellt sich für uns folgendermaßen: Sind die h e i m a t h l i e h e n Gerichte oder das Gericht des letzten W o h n o r t s des Erblassers Gersau oder Dissentis in der Streitsache zuständig, compétent?

Die Commission spricht sich im Einverständniß mit dem Entscheide des Bundesrathes für Bejahung der letztern Frage aus und zwar aus folgenden Motiven: 1) Eine allgemeine, für die Kantone verbindliche Bundesvorschrift über den Gerichtsstand in Erbsstreitigkeiten besteht n i c h t .

2) Zwischen den Kantonen Graubünden und Schwyz besteht a u c h k e i n Concordat über erbrechtliche Verhältnisse, indem Graubünden dem Concordate vom 15. Juli 1822 n i c h t beigetreten ist,, somit können aus letzterem keine Folgerungen gezogen werden.

Die Berufung auf das Gegen r e c h t , das Schwyz in fraglicher Beziehung andern Kantonen gegenüber aufrecht erhalten habe, ist hier ohne Bedeutung, da solches in erster Linie absolut keine gleichartige Pflicht begründen kann, namentlich nicht, wenn bestimmte gesetzliche Vorschriften anders lauten, wie dieß im Kanton Graubünden der Fall ist und namentlich nicht in Rücksicht auf § 48 der Bundesverfassung, welcher die gleiche Behandlung aller Schweizerbürger in der Gesetzgebung im gerichtlichen Verfahren eingeführt hat.

3) In Ermanglung anderer Concordate ist jeder Kanton nach Art. 3 der Bundesverfassung berechtigt, seine G e s e t z g e b u n g und G e r i c h t s b a r k e i t für alle in Folge des Wohnorts des Erblassers auf seinem Gebiet eröffneten Erbschaften in Anwendung zu bringen.

Der Erblasser hat in Danis, Kts. Graubünden , gewohnt und es ist daher auch dort die Erbschaft eröffnet worden.

Nun lautet aber das Gesetz von Graubünden: ,,Die Anwendbarkeit dieser (das Erbrecht betreffenden) Gesetze hat zu erfolgen: ,,b. Auf die im Kanton gefallenen, von N i c h t b ü n d n e r n herrührenden Erbschaften und Vermächtnisse, insofern nicht die h e i m a t h l i c h e n Gesetze des Erblassers die Anwendung der letztern verlangen.

.,,Die V o r s c h r i f t e n über gerichtliche V e r w a h r u n g und

739 Liquidation sind j e d o c h auf alle im K a n t o n e gefallenen Erbschaften anwendbar. 1 ' Es ist zu bemerken, daß ersterer Punkt, welches Gesetz, ob das schwyzerische oder graubündnerische bei der endlichen Entscheidung über die Erbsberechtigung in Anwendung kommen soll, hier gar nicht in Frage steht, sondern allein, wer zu entscheiden compétent sei, und da spricht das graubündnerische Gesetz für die Competenz des Kantons Graubünden unbedingt.

4") Bei den Entscheidungen betreffs der Präge, wo und nach welchem Gesetze der Nachlaß eines Verstorbenen getheilt werden solle, hat der Bundesrath immer an dem Grundsatz festgehalten, daß in Ermanglung abweichender Bestimmungen durch Concordate d e r Gerichtsstand begründet sei, in dessen Jurisdictionskreis die Erbsgegenstände liegen. (Fall Bingesser, St. Gallen 1872. Anton Angher, Thurgau 1863. Langenauer 1855).

Im letzten Falle finden wir folgende Erwägung : ,,Der Grundsatz der Einheit einer Erbschaft gehört dem positiven Recht und der Gesetzgebung an und kann daher keine weitere Gültigkeit beanspruchen, als jene Gesetzgebung reicht, wenn er nicht in einem Bundestaate durch Bundesvorschriften oder durch Concordate auf andere Glieder des Bundes ausgedehnt wurde, wie dieses z. B. bei dem bereits erwähnten Concordate der Fall ist."Auch ist hierorts zu betonen, daß das Territorialprinzip in seiner p r a k t i s c h e n Durchführung keinen Schwierigkeiten unterliegt, indem es die Wirksamkeit des Gesetzes auf die Grenzen des Staatsgebietes beschränkt. Im gegebenen Falle will man aber über die Grenzen hinaus und in das nach Art. 3 der Bundesverfassung garantirle Souveränetätsrecht des Kantons Graubünden eingreifen.

Es darf daher gesagt werden, es sei Grundsatz des allgem e i n e n schweizerischen Rechts, erbrechtliche Verhältnisse durch den Gerichtsstand des W o h n o r t s des Erblassers reguliren zu lassen, sofern nicht Concordate oder Gesetzgebungen das Gegentheil aussprechen.

5) Eine Berufung auf Art. 50 der Bundesverfassung ist hier ebenfalls nicht begründet. Es handelt sich in concreto nicht um eine p e r s ö n l i c h e Klage, sondern um eine dingliche Erbschaftsklage und diese geht an denjenigen Richter, in dessen Kreis sich das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Erblassers befindet.

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Damit stimmt § 27 bündnerischen Gesetzes überein, welches Streitigkeiten in Erbsachen an den Gerichtsstand des Wohnorts des Erblassers verweist.

Auch die Prozeßordnung des Wohnorts des Kantons Schwyz selbst enthält in Titel II, § 14 die Bestimmung: ,,Bei Streitigkeiten über noch unvertheilte Erbschaften ist derjenige Gerichtsstand zuständig, welchem der Erblasser zur Zeit seines Todes unterworfen war.

,,Klagen, welche gegen die Erbsmasse gerichtet sind, können bis zu gänzlicher Beendigung der Theilung ebenfalls bei dem Richter des Erblassers angebracht werden."

6) Ob es praktischer wäre, das Forum von Schwyz anzunehmen , wie Récurrent behauptet, der Entscheid dieser Frage ist zwar hier ganz ohne Werth. Allein es ließe sich dieß noch bezweifeln und sich fragen, ob nicht das Forum der gelegenen Sache in jedem Fall das practischere sei und in vorliegendem Falle besonders deßhalb, weil die Haupterbin, die Wittwe, in demselben Gerichtskreis wohnt.

7)) Unrichtig ist dann auch die Geltend machungO des P r ä v e n o tionsprincips. Die Prävention ist im Gegentheil auf Seite des Kantons Graubünden, denn Schwyz hat bloß Vorfragen entschieden und die Competenz w i e d e r h o l t abgewiesen.

7) Ebenso unbegründet ist die Berufung auf Ziff. 2, Art. 90 der Bundesverfassung. Hier ist vor Allem aus nochmals darauf aufmerksam zu machen, daß der schwyzerische Richter und zwar mit vollem Rechte seine Competenz abgelehnt hat; es kann daher Récurrent auf Art. 90 cit. mit Recht sich nicht berufen, da nach Mitgabe dieses Artikels der Bundesrath wohl darüber zu wachen hat, daß kein Bürger seinem competenten Richter entzogen und einem incompetenten zu gewiesen werde, nicht aber angehalten wird, einem Richter die Competenz a u f z u d r ä n g e n .

Daher Schluß: Zustimmung zum ständeräthlichen Beschluß auf Abweisung des Recurses.

Für die Kommission, Der Berichtserstatter : Bläsi.

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Bericht der

ständeräthlichen Kommission für Prüfung der Botschaft des Bundesrathes über die Bewaffnung der Landwehr.

(Vom 21. Juli 1873.)

Tit.!

Mittelst Vorlage vom 2. Juli 1873 erstattet der Bundesrath den gesetzgebenden Räthen der Eidgenossenschaft Bericht über den Stand der Bewaffnungsfrage der Infanterie im Allgemeinen, vorzüglich aber der Landwehr, hinsichtlich welcher letztern er bestimmte Anträge damit verbindet.

Nachdem bis Ende des Jahres 1873 die nöthige Zahl Repetirgewehre für den Auszug und die Reserve des Bundesheeres, inbegriffen die Gewehr-Reserve von 20°/o der gewehrtragenden Mannschaft, geliefert sein wird, hält es der Bundesrath an der. Zeit, die Bewaffnungsfrage der Landwehr ebenfalls definitiv zu erledigen.

Er beantragt deßnahen der Bundesversammlung, die gewehrtragende Mannschaft der Infanterie und der Schützen der Landwehr mit dem Repetirgewehr (Stutzer) zu bewaffnen. Die Zahl der Gewehre wird auf 60,000 festgesetzt, mit Einrechnung einer Reserve von 20%.

Diese Bewaffnung soll sukzessive derart geschehen, daß die aus der Reserve in die Landwehr übertretende Mannschaft die Repetirgewehre beibehält und der Bund den Kantonen für die Bewaffnung der Rekruten jährlich 8000 Gewehre im Verhältniß ihrer Contingente verabfolgt. Der Mehrbedarf wäre aus der Gewehrreserve zu Bundesblatt. Jahrg. XXT. Bd. III.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der Kommission des Nationalrathes über den Rekurs des Fz. Camenzind in Gersau betreffend Gerichtsstand in Erbschaftssachen. (Vom 18. Juli 1873.)

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1873

Année Anno Band

3

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42

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

20.09.1873

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735-741

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