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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung,

betreffend

zwei Verfassungsgeseze des Kantons Genf.

(Vom 18. Juni 1873.)

Tit. !

Der Staatsrath des Kantons Genf hat uns mit Schreiben vom 30. April a. c. zwei Geseze, welche eine theilweise Abänderung der bestehenden Verfassung dieses Kantons enthalten, mit dem Gesuche eingeschikt, dieselbe Ihnen zur Ertheilung der Gewährleistung vorzulegen.

Es sind dies folgende zwei Geseze: A. das Verfassungsgesez zur Mod: fikation von Kapitel II des Titels X der Verfassung, betreffend den katholischen Kultus (Loi constitutionelle modifiant le chapitre II du titre X de la Constitution sur le Culte catholique), vom Großen Rathc des Kantons Genf unterm 19. Februar a. c. erlassen, und B. das Verfassungsgesez über die Betheiligung der Schweizerbürger aus andern Kantonen bei den Gemeindewahlen (Loi constitutionelle sur la participation des Suisses des autres Cantons aux élections communales), erlassen unterm 26. Februar a. c.

930, Diese, beiden Geseze passirten am 23- März a. c. dio Volksabstimmung und würden ' hiebei laut der beigeschlossenen Publikation des Staatsrathes von Genf angenommen, das erstere bei 9232 gültigen Stimmen mit 9081, und das zweite bèi 9271 gültigen, Stimmen mit. 8757Stimmen.

. ,< .

.

/ Sie lauten < (in-deutscher Uebersezung) wie folgt:

, / A. Das Gesez über den katholischen Kultus.

,,Art. 1. Die Pfarrer und Vikare werden gewählt von den der katholischen Konfession angehörigen Bürgern, die.auf den kantonalen Wählerlisten aufgetragen sind. ' - >, , "Die Gewählten können abberufen werden.

,,Art. 2. Nur der vom Staate anerkannte Diözesanbischof kann, inner den Grenzen des Gesezes Handlungen der bischöflichen Gerichtsbarkeit und Verwaltung vornehmen. Wenn er seine Gewaleinem Bevollmächtigten überträgt, so bleibt immerhin der Diözesant bischof selbst verantwortlich, und diese Delegation bedarf der Genehmigung des Staatsrathes.

,,Die einem solchen Bevollmächtigten ertheilte Genehmigung des Staatsrathes kann immer wieder zurükgezogen werden.

,,Die katholischen Pfarreien im Kantone sollen im Verbände eines schweizerischen Bisthums sein.

,,Der Siz des Bisthums darf nicht in dem Kanton Genf errichtet werden.

,,Art. 3. Das Gesez wird die Anzahl und die Umgrenzung der Pfarreien, die Formen und Bedingungen bezüglich der Wahl der Pfarrer und Vikare, sowie den Eid, welchen diese bei ihrem Amtsantritte zu leisten haben, und die Fälle, sowie die Art ihrer Abberufung bestimmen, ebenso die Organisation der Kirchenräthe, welche mit der Verwaltung der Temporalien beauftragt sind, und die Fälle der Sanktion von gesezlicher Erlassung betreffend den Kultus durch das Volk.

,,Art. 4. Hiemit sind aufgehoben die Artikel 130 und 133 der Verfassung von 1847, und .überhaupt alle mit dem gegenwärtigen Geseze im Widerspruche stehenden Bestimmungen.

,,U e b e r g a n g s b e s t i m m u n g. Die gegenwärtig in Amt stehenden Pfarrer und Vikare, welche nach den bis dahin geltenden Formen ernannt wurden, sind der Wahl nicht unterworfen. Dagegen finden alle andern Vorschriften dieses Gesezes, mit Einschluß derjenigen betreffend den Eid, auf sie Anwendung."

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B. Das Gesez über die Beteiligung -der Schweizerbürger aus andern Kantonen bei den Gemeindewahlen.

,,Der Art. 105 der Genferverfassung wird abgeändert wie folgt : ,,In Gemeindeangelegenheiten sind alle Schweizerbürger stimmberechtigt, welche im Kanton Genf im Genüsse der politischen Rechte stehen, sofern sie in der betreffenden Gemeinde geboren und domilizirt sind, oder wenn sie seit mehr als einem Jahre dort Grundeigenthum besizen oder domiliziren.

i ,,Hiemit sind alle Bestimmungen aufgehoben, die mit dem gegenwärtigen Geseze im Widerspruche stehen."

Nachdem wir Ihnen den Inhalt dieser beiden Verfassungsgeseze zur Kenntniß gebracht, können wir noch beifügen, daß gegen dieselben keine Einsprachen erhoben worden sind.

Es wird nun zu untersuchen sein, ob diese Geseze mit der Bundesverfassung im Einklang stehen, c.enn nur in diesem Falle kann denselben die bundesgemäße Garantie ertheilt werden, weil einzelne Verfassungsgeseze eben so gut wie Gesammtverfassungen mit dem eidgenössischen Grundgeseze im Einklang stehen müssen.

Was das erste Gcsez betrifft, so ist Folgendes zu bemerken: Bereits im Jahr 1868 hat der Große Rath des Kantons Genf eine theilweise Abänderung der Verfassung vorgenommen, welche sich auch auf das zweite Kapitel des Titels X der Verfassung von 1847 ausdehnte und die Art. 129, 131, 132 und 134 derogirte Wir verweisen diesfalls auf unsere Botschaft vom 2. Dezember 1868, die auch für die Prüfung des jez1. in Frage hegenden Verfassungs gesezes vom 19. Februar 1873 nicht ohne Interesse sein wird.) Es beschränken sich die vorgeschlagenen Modifikationen eigentlich nur auf die Art. 130 und 133 der Verfassung, welche aufgehoben werden sollen, so daß durch die Verfassungsgeseze von 1868 und 1873 das ganze zweite Kapitel des Tixels X der Verfassung von 1847, handelnd vom katholischen Kultus, umgearbeitet erscheint.

Dieser Art. 130 lautet also: ,,Der Staatsrath ist unter Vorbehalt der Ratifikation des Großen Rathe beauftragt, mit der obern kirchlichen Behörde alles das zu regeln, was sich auf die Genehmigung der Regierung bezüglich der Wahl derPfarrer1 und der übrigenBenefiziantenu bezieht. B i d e r i ' Große Rath d i e zwischen deStaatrathth und haben wird, kann die Wahl der Pfarrer und der übrigeBenett-üziaten nur auf solche Kandidaten fallen, welche durch den Bischof vorgeschlagen und vom Staatsrath genehmisind.". 1 ' *) Siehe Bundesblatt v. J. 18(58, Bd. III, Seite 942.

Bundesblatt. Jahrg. XXV. Bd. II.

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932 Der Art. 133 lautet : ,,Jede katholische Kirche hat ihre Verwaltung (fabrique).

,,Das Gesez regelt, was sich auf diesen Gegenstand bezieht. " Wie auf den eisten Blik klar ist, so bestimmt der Art. l des neuen Verfassungsgesezes eine andere Wahlart der Geistlichen, indem die Wahl derselben auf die betreffende katholische Kirchgemeinde übergeht.

Die Artikel 2 und 3 regeln Verhältnisse, von denen bisher in der Verfassung nicht gesprochen wurde. Der erstere Artikel normir die Stellung des Bischofs, und der Art. 3 ruft einem Geseze über diedarin bezeichneten Verhältnisse.

Beide Artikel sind klar und bedürfen keiner nähern Beleuchtung.

Es ist nämlich nicht Aufgabe der Bundesbehörden, dieses Verfassungsgesez einer kritischen Beleuchtung zu unterstellen oder von einer andern Seite zu prüfen, als ob 1) dasselbe nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalte, und 2) ob dasselbe vom Volke angenommen worden sei und revidirt werden könne, wenn die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt.

Beiden Verlangen ist ein Genüge geleistet und somit nach Art. 6 der Bundesverfassung die Bundesgenehmigung auszusprechen.

Das zweite Verfassungsgesez ändert den Art. 105 der bestehenden Verfassung in einer liberalen Weise ab. In Zukunft können in Genf alle Schweizerbürger unter den gleichen Voraussezungen in Gemeindeangelegenheiten stimmen, wie die Genferbürger, welche bis anhin allein stimmberechtigt waren. Gegen diese Erweiterung des Stimmrechtes ist nicht nur nichts einzuwenden, sondern dieselbe ist auf dem eidgenössischen Standpunkte zu begrüßen.

Wir schlagen Ihnen daher die nachstehenden Beschlüsse vor, und erneuern Ihnen, Tit., die Versicherung unserer- vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 18.'Juni 1873.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident: Ceresole.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schiess.

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(Entwurf),

bundesbeschluss betreffend

die Garantie des Verfassungsgeseze des Kantons Genf »Abänderung des Kapitels II. Titel X der Verfassung über den katholischen Kultuss.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht eines Berichtes und Antrages des Bundesrathes vom 18. Juni 1873 über ein vom 19. Februar 1873 datirtes Verfassungsgesez des Kansons Genf behufs theilweiser Abänderung der dortigen Staatsverfassung ; in Berüksichtigung, daß dieses Verfassungsgesez in keiner Weise mit der Bundesverfassung im Widerspruche steht; daß dasselbe von der Mehrheit des Volkes des Kantons Genf am 23. März abbin angenommen und auch seither keine Einsprache dagegen gemacht wurde, beschließt: 1. Dem erwähnten Verfassungsgeseze des Kantons Genf wird die bundesgemäße Garantie ertheilt.

2. Der Bundesrath wird mit der weitern Vollziehung dieses Beschlusses beauftraget.

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(Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend

die Garantie des Verfassungsgesezes des Kantons Genf über die Betheiligung der Schweizerbürger aus andern Kantonen bei den Gemeinde wählen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht eines Berichtes und Antrages des Bundesrathes vom 18. Juni 1873 über ein vom 26. Februar 1873 datirtes Verfassungsgesez des Kantons Genf behufs theilweiser Abänderung der dortigen Kantonsverfassung; in Berüksichtigung, daß dieses Verfassungsgesez in keiner Weise mit der Bundesverfassung im Widerspruche steht; daß dasselbe von der Mehrheit des Volkes des Kantons Genf am 23. März abbin angenommen und auch seither keine Einsprache dagegen erhoben wurde, beschließt: 1. Dem erwähnten Verfassuugsgeseze des Kantons Genf wird die bundesgemäße Garantie ertheilt.

2. Der Bundesrath wird mit der weitern Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend einen Bundesbeitrag an die Erstellung einer Lukmanierstrasse.

(Vom 20. Juni 1873.)

Tit.!

Die .Regierung dos Kantons Tessin hat mit Schreiben vom 11. Februar d. J. Gesuch um Bewilligung einer Bundessubvention für die Lukmanierstraße eingereicht. Sie beruft sich dabei auf ein solches schon unterm 29. März 1870 eingereichtes Gesuch mit demselben angefügter Eingabe der Gemeinden des Distriktes Blenio, betreffend das gleiche Anliegen. Wie sie selbst vermuthet wurde lezterm aus dem Grunde keine Folge gegeben, weil es von keiner Planvorlage, oder irgend welchem Nachweise für die angegebenen Kosten begleitet war und diese notwendigen Vorlagen auch niemals nachgeliefert wurden.

Dieselben finden sieh nun aber der gegenwärtigen Eingabe beigefügt in einem detaillirten Situationsplane (respektive Horizontalprojektion des Straßenprojektes) und eben solchem Längenprofile und Kostenvoranschlag, leztererer mit beschreibenden Notizen über die demselben zu Grunde gelegten Normalien und über die einzelnen Kunstbauten. Spezialpläne für leztere, Normalzeichnungen und die Querprofile, auch die ganze Massenberechnung liegen nicht

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffen zwei Verfassungsgeseze des Kantons Genf. (Vom 18. Juni 1873.)

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1873

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30

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05.07.1873

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929-935

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