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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Ergänzung des Art. 19 im Geseze vom 19. Juli 1872 über die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen.

;

(Vom 6. Juni 1873.)

T i t. !

Bei Anlaß der Prüfung der bestri ttenen Wahlen in den Nationalrath wurde von demselben folgendes Postulat angenommen: ,,Der Bundesrath ist eingeladen, die Frage in Erwägung zu ziehen, ob es nicht zur Herstellung eines überall gleichmäßigen Verfahrens erforderlich wäre, den Art. 19 des Gcsezes vom 19. Juli 1872, betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen durch eine besondere Vorschrift über Behandlung derjenigen Stimmzedel, welche weniger !

Namen tragen als Stellen zu besezen sind, angemessen zu ergänzen und hierüber Bericht und Antrag vorzulegen.

Um die nöthigen Materialien zur richtigen Erledigung dieser Angelegenheit zu erhalten, ersuchte der Bundesrath sämmtliche eidgenössische Stände um Berichterstattung über ihr Verfahren, sowie um eine Ansichtsäußerung darüber, welches Verfahren ihnen ala das der Wahrheit des Wahlaktes entsprechende erscheine. .

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Ueber Behandlung derjenigen Stimmzedel, welche weniger Namen tragen, als Stellen zu besezen sind, haben sich nicht zu besondern Vorschriften oder Meinungsäußerungen veranlaßt gesehen die Stände Uri, Unterwalden ob und nid dem Wald, Zug, Appenzell I. Rh.

und Wallis, außer leztere alle aus dem Grunde, weil sie nur einen Nationalrath zu wählen hätten.

Alle andern Stände, mit Ausnahme von St. Gallen und Graubünden, haben Bestimmungen, aber in drei verschiedenen Richtungen : a. Zürich, Bern, Luzern, Schwyz, Glarus, Freiburg, Solothurn, beide Basel, Aargau, Thurgau, Tessin, "Waadt und Neuenburg fassen die Vorschrift des Gesezes, leere Stimmzedel werden bei Ausmittlung der absoluten Mehrheit nicht berüksichtigt" wörtlich und zählen also den Stimmzedel, welcher nur einen statt mehrere Namen trägt, bei Ermittlung des absoluten Mehres als einen ganzen Stimmzedel; b. Genf erklärt denselben als ungültig und nicht in Berechnung fallend ; ' c. Schaffhausen und Appenzell A. Rh. erklären denselben in dem Verhältniß als ungültig, als er unausgefüllt ist. Wenn also von zwei Namen einer fehlt, so gilt der Stimmzedel als ein halber, wenn von dreien zwei fehlen, als ein DrittclsStimmzeddel mit andern Worten, es wird die Summe der geschriebenen gültigen Namen aller Stimmzedel durch die Zahl der zu Wählenden dividirt und der halbe Quotient +1 ist die absolute Majorität der Stimmenden.

In St. Gallen und Graubünden werden alle drei Systeme praktizirt. Die antwort enden Regierungen erklären sich aber im Sinne der Gruppe a.

Für das Verfahren der Gruppe a wird angeführt: vor Allem der bestimmte Wortlaut des Gesezes; gegen die Ansicht 5 bemerkt Bern noch, daß bei. Ungültigerklärung der Stimmzedel, welche nicht die volle Zahl von Namen tragen, für die Geschwornenwahlen der Fall eintreten würde, daß immer eine sehr beträchtliche Zahl von Stimmzedeln ungültig erklärt werden müßte, und Tessin bemerkt, daß bei einer solchen Vorschrift die betreffenden Wähler sich gezwungen sähen, ihren Stimmzedel mit unbedeutenden Namen ihrer nächsten Bekanntschaft zu ergänzen. Gegen die Ansicht c führt Basel-Stadt, welches-diesen Modus gehabt, aber abgeschafft, und Basel-Landschaft ari, es sèi geradezu ungerecht, indem auf diese Weise Leute als gewählt aus der-Urne hervorgehenkönnen, welche die -wählende Mehrheit entschieden nicht für sich haben.

831 Für die Ansieht 6 führt Genf einzig den Grand an, daß bei diesem Modus sehr oft ein zweiter Wahlgang vermieden werde, der sonst nöthig würde.

Die Ansicht c wird als eine konsequente Ausbildung des Prinzips, daß die der Stimmgebung sich Enthaltenden nicht zu rechnen seien, welches in der Gesezesvorschrift liege, bezeichnet; auch die Antwort von Glarus stimmt dieser Meinung bei.

Der Bundesrath glaubt mit Gruppe a, daß die wörtliche Auslegung des Art. 19 nicht allein im Sinne des Gesezgebers liege, sondern auch die wenigsten Inkonvenienzen mit sich führe; auch scheint es ihm namentlich, daß mit dem Ungültigerklären und daherigem Nichtberechnen der Stimmzedel, welche nicht für alle zu besezenden Stellen einen Namen tragen, den Wahlern ein nicht gerechtfertigter Zwang angethan würde, dein sich diese nur durch das von Tessin angegebene, die Wahloperation erschwerende Mittel entziehen könnten.

Weniger hart und eher mit dem Wortlaut des Gesezes vereinbar, erscheint die proportionelle Berechnung eines unvollständigen Stimmzedels nach der Ansicht der Gruppe 6.

Nur wird auch damit den Wählern Gewalt angethan und unter Umständen ein Resultat oktroirt, welches entschieden der Mehrheit der Stimmenden zuwider ist. Nehmen wir z. B. an, 100 Summende haben 5 Stellen zu besezen ; sie sind mit den bisherigen Inhabern derselben in der Mehrheit nicht zufrieden. Da sie aber keine Vorversammlung gehalten, zersplittern sie sich auf 25 verschiedene Namen A, B, C u. s. w., zählend auf Art. 20 des Gesezes, wornach im ersten Wahlgang nur die a b s o l u t e M e h r h e i t entscheidet u n d , wenn eine solche sich nicht herausstellt, ein zweiter, g a n z f r e i e r Wahlgang stattfindet; nun schreibt der eine 5, ein anderer 4, andere 3. 2 oder nur einen tarnen, alle 100 zusammen 200 Namen; dann wäre die Zahl der Stimmzedel 40 zu rechnen, das absolute Mehr = 21, so daß diejenigen, welche aus reinem Zufall, z. B. als bisherige Inhaber der Stelle, auf diese Zahl zu gelangen im Stande sind, als der Ausdruk der 100 Stimmenden angesehen werden müßten!

Der Bundesrath ist also der Ansicht, es seien im Interesse des , freien Wahlrechts diejenigen Stimmzedel, welche weniger Namen , tragen, als Stellen zu besczen sind, gleich den» andern zu behan-1 dein, und es sei dies, da der bisherige Wortlaut des Gesezes sich * als unzureichend erwiesen habe, durch einen Zusaz ausdrüklich aus-1 zusprechen.

822 Bevor er einen daherigen Antrag formulirt, muß er aber noch darauf aufmerksam machen, daß unser Art. 19 auch noch in anderer Richtung verschiedene Anwendung findet. Während nämlich die einen Kantone, z. B. ausdrüklich Luzern, aus dem Wortlaut des Art 19 den Schluß gezogen haben, daß nur l e e r e Stimmzedel bei Ermittlung des absoluten Mehrs nicht in Berechnung fallen, bleiben andere bei ihrer bisherigen Vorschrift, wornach überdies alle unli 11 ig erklärten S t i m m z e d e l -- abgesehen- vom Grund der Annullirung --, auch nicht in Berechnung gezogen werden. Und was nun vollends die Motive zur Ungültigerklärung betrifft, so herrscht in den Gesezen eine große Mannigfaltigkeit; die einen erklären bloß diejenigen Stimmzedel ungültig, mit welchen sich überhaupt nichts machen läßt, weil man sie nicht lesen kann oder weil ihr. Inhalt nicht verwendbar ist, z. B. wegen Nichtwählbarkeit des Vorgeschlagenen ; andere gehen viel weiter und erklären Stimmzedel als ungültig, welche nicht auf weißes Papier geschrieben sind, welche unanständige oder beleidigende Bern rkungen enthalten, welche numerirt sind oder sonst Zeichen ihres Urhebers tragen u. s. w. ; einige Kantone erklären auch Stimmzedel ungültig, welche zu viel Namen enthalten, während andere bloß die überzähligen und die wiederholt vorkommenden Namen weglassen.

Der Bundesrath ist der Ansicht, es sei kein Grund vorhanden, auch nach dieser Seite hin Vorschriften aufzustellen, auch sei es nicht möglich, durch gesezliche Bestimmungen alle Fälle, welche bei der Verschiedenartigkeit unserer Verhältnisse zur UngültigerO O O klärung eines Stimmzedels Grund bieten könnten, zu erschöpfen ; überdies ist wohl in Betracht zn ziehen, daß eine jede Bestimmung, welche im Interesse eines einheitlichen Verfahrens bei eidgenössischen Abstimmungen aufgestellt wird, in einer Menge von Kantonen mit dem Verfahren bei kantonalen Abstimmungen nicht harmoniren und in dieser Beziehung viel auffallendere Ungleichheiten schaffen würde.

Der Bundesrath beschränkt sich daher darauf, Ihnen die Annahme des beigeschlossenen Gesezvorschlages zu empfehlen, und benuzt diesen Anlaß, Sie, Tit., seiner vollkommenen Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 6. Juni 1873.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

A

Ceresole.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schiess.

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(Entwurf)

Bundesgesez betreffen

Ergänzung des Bundesgesezes über die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872.

Einziger Artikel. Art 19, zweites Alinea des Bundesgesezes vom 19. Juli 1872 erhält folgenden Zusaz : ,,Stimmzedel, welche weniger Namen trugen, als Stellen zu besezen sind, werden dagegen gleich andern beschriebenen Stimmzedeln behandelt."

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Uebertragung der Konzession für das noch im Betriebe befindliche, auf stadtbaslerischem Gebiete gelegene Stük der alten Elsässer-Bahn an die schweizerische Centralbahngesellschaft.

(Vom 11. Juni 1873.)

Tit. !

Durch Beschluß des Großen Rathes des Kantons Basel-Stadt vom 21. Juni 1843 wurde der Kleine Rath ermächtigt, der Straßburg-Baseler-Eisenbahngesellschaft die Konzession für den Bau und Betrieb einer Eisenbahn von der französischen Grenze bei St. Louis bis in die Stadt Basel zu ertheilen, und am gleichen Tage die Konzession unter den Bedingungen des Pflichtenheftes vom 9. Juni 1843 wirklich ertheilt (Eisenbahnaktensammlung Band IV, Seite 210 ff.).

Diese Linie ging später in das Eigenthum der französischen Ostbahn über, wurde aber um das Jahr 1860 bis auf ein unmittelbar an der französischen Grenze liegendes, nach Angabe 927' langes Stük abgetragen.

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Ergänzung des Art. 19 im Geseze vom 19. Juli 1872 über die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen. (Vom 6. Juni 1873.)

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28.06.1873

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829-834

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