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Schweizerisches Bundesblatt.

XXY. Jahrgang. III.

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Nr. 47.

25. Oktober 1873.

Bundesrathsbeschluss in

der Rekurssache des Louis C o r n u z in Mur (Waadt), betreffend Gerichtstand für Paternitätsklagen.

(Vom

24. Juli 1873.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat in Sachen des L o u i s Gor n uz in waadtländisch-Mur, betreffend Gerichtsstand für Paternitätsklagen; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Mit Urtheil des Präsidenten des freiburgischen Zivilgerichtes des Seebezirkes vom 29. September 1870 wurde ein von der Freiburgerin Henriette Cornuz außerehelich gebornes Kind dem Rekurrenten zugesprochen und verfügt, daß das Kind auf die Zivilstandsregister sowohl der freiburgischen als der waadtländischen Gemeinde Mur aufgetragen werden soll. Im Weitern wurde Louis Cornuz dazu verurtheilt, der Klägerin einen Betrag von Fr. 20 für Kindbettkosten, sowie bis zum erfüllten 4. Altersjahre des Kindes eine jährliche Alimentation von Fr. 56 zu leisten; endlich wurde Louis Cornuz in dem gleichen Urtheile zu einer Strafe von Fr. 72.

46 Ct. und in die Kosten verfällt.

Bundesblatt. Jahrg. XXV. Bd. III.

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1010 Dieses Urtheil ist, wie folgt, motivili: ,,Considérant: 1} Que soit la mère soit l'accusé sont ressortissants des Communes Mur fribourgeois et vaudois; 2) Que la mère habite la Commune fribourgeoise et l'accusé la Commune vaudoise; 3) Que l'accusé sur toutes les invitations à lui adressées et enfin sur la citation édictale ne se présente pas, ni personne en son nom, ce qui est constaté par les proclamations d'usage."

II. Gegen dieses Urtheil führte Herr Advokat Ls. Fauqucz in Yverdon, Namens des Louis Cornuz, mit Eingabe vom 27. September18711 Beschwerde, weil dem Leztern keine Gelegenheit zur Vertheidigung gegeben worden sei, und weil derurtheilendee Richter weder nach der kantonalen Gesezgebung, noch nach dem Bundesrechte kompetent gewesen.

Louis Cornuz sei ein Bürger der waadtländischen Gemeinde Mur und im Kanton Waadt wohnhaft. Nun bestimme die freiburgische Gesezgebung (Art. 225 des Code civil}, daß eine Klage auf Zusprechung von außerehelichen Kindern gegen einen Nichtkantonsbürger nicht zuläßig sei. Es werde zwar in dem gleichen Artikel der Freiburgerin gestattet, den außerkantonalen Urheber der Schwangerschaft für die ökonomischen Folgen zu belangen; allein auch diese Klage sei hier unzuläßig, weil Louis Cornuz nicht auf freiburgischem Gebiete wohne.

Auf die waadtländische Gesezgebung könne sich das fragliche Urtheil ebenfalls nicht stüzen, denn laut derselben sei die Mutter eines außerehelichen Kindes von jeder auf die Vaterschaft gegründeten Klage ausgeschlossen.

Das Urtheil stehe aber auch im Widerspruch mit Art. 50 der Bundesverfassung. Die Paternitätsklage im eigentlichen Sinne des Wortes habe die Fixirung des Zivilstandes einer Person zum Zweke.

Solche Klagen seien aber, wie im Art. 14 des freiburgischen Code de procédure civile anerkannt werde, (und wie auch der Code de procédure civile vaudois bestimme) persönlicher Natur. Deßgleichen sei die Forderung von Alimentation eine persönliche. Von einer Deliktsklage könne hier nicht die Rede sein. Die fragliche Klage Latte daher am Wohnort des Beklagten angehoben werden müssen.

Dies sei nicht geschehen, somit sei das fragliche Urtheil als nichtig zu erklären.

III.Diese Rekursbeschwerdee wurde von dem Präsidenten des Zivilgerichtes des Seebezirkes beantwortet, welcher in seiner dies-

1011 fälligen Zuschrift vom 16. Oktober 1871 wesentlich darauf sich stüzte, daß Louis Cornuz nicht nur Bürger von waadtländisch-Mur sei, sondern auch Bürger der freiburgischen Gemeinde Haut-Vuilly, (zu welcher Gemeinde freiburgisch-Mur gehöre). Vor Ausfallung seines Urtheils habe er sich dessen bei dem Gemeinderath von Haut-Vuilly versichert. Das bezügliche Prozeßverfahren sei also gegen einen Freiburger gerichtet gewesen.

Der Art. l des freiburgischen Gesezes vom 4. Dezember 1835, betreffend die Paternitätsklagen, schreibe vor, daß diese Klagen vor dem Präsidenten desjenigen Gerichtes auszutragen seien, in dessen Bezirk die Mutter den Wohnsiz habe. Eine Verlezung des Art. 50 der Bundesverfassung liege nicht vor; statt jeder- weitern Ausführung hierüber werde auf den Beschluß des Bundesrathes vom 23. Januar 1863 im Rekurse des Jos. Couchoment von Gletterens, Kts. Freiburg, verwiesen.

Louis Cornuz habe übrigens von der gegen ihn erhobenen Klage Kcnntniß gehabt. Er sei von dem Präsidenten des Gerichtes des Sacbczirks zur Verhandlung über die Vaterschaftsklage zitirt worden.

Cornuz habe sich jedoch geweigert zu erscheinen, solange er nicht durch ein Rogatorium vorgeladen werde. Der Präsident habe daher nach Anleitimg von Art. 11 und 33 des zitirten Paternitätsgesezes eine EdiktalVorladung erlassen. Auch das Urtheil sei ihm auf dem Ediktalwege kund gegeben worden.

IV. In den Akten des Prozesses gegen Louis Cornuz befindet sich ein vom 26. September 1870 datirtes Schreiben des Syndic von Haut-Vuilly, worin erklärt wird, daß Louis Cornuz von Mur ein wahrer Bürger der Gemeinde Haut-Vuilly und demnach ein frciburgischer Staatsbürger sei.

Der Gerichtspräsident des Seebezirks produzirte auch die Abschrift einer am 31. Dezember 1866/2. Januar 1867 zwischen den Gemeinden Haut-Vuilly und waadtländisch-Mur abgeschlossenen Uebcreinkunft, laut deren Art. 4 diejenigen außerehelichen Kinder, welche inskünftig von solchen erzeugt und solchen zugesprochen werden, die Bürger der beiden Gemeinden sind, ebenfalls Bürger der beiden Gemeinden sein sollen.

V. Endlich langte am 13. Dezember 1871 noch eine Antwort der Henriette Cornuz ein, in welcher auf Abweisung des Rekurses angetragen wurde.

Dieser Antrag wurde wesentlich auf die gleichen Gesichtspunkte gestüzt, die schon von dem Präsidenten des Zivilgerichtes des Seebezirks geltend gemacht worden sind. Namentlich wurde noch besonders hervorgehoben, daß Louis Cornuz gegen das fragliche Urtheil

1012 inner nüzlicher Frist kein Rechtsmittel ergriffen habe, weßhalb dasselbe in Rechtskraft erwachsen sei, und daß seine Verurtheilung zu ökonomischen Leistungen an die Klägerin ihn nicht zur Beschwerde berechtige, indem gemäß Art. 229 des freiburgischen Code civil die Klage auf ökonomische Leistungen, die auf die Vaterschaft gegründet werden, als konnex mit der eigentlichen Vaterschaftsklage vor dem für die Hauptklage zuständigen Richter auszutragen sei.

In E r w ä g u n g : 1) Sowohl der Rekurrent als die Geschwächte sind Bürger des Kantons Freiburg. Da Statusfragen vom Gerichtsstande der Heimat zu beurtheilen sind, so steht es den Gerichten des Kantons Freiburg zu, den bürgerlichen Stand des unehelichen Kindes der Henriette Cornuz nach den Vorschriften der kantonalen Geseze zu bestimmen; 2) Die Klage der Geschwächten und das gerichtliche Urtheil beschlagen aber nicht allein die Zusprechung des Kindes an den Vater, sondern auch ökonomische Leistungen, zu welchen Rekurrent verurtheilt wurde. Es fragt sich also, ob der im Kanton Waadt wohnende Beklagte zu verlangen berechtigt sei, daß wenigstens die Alimentationsklage vor den waadtländischen Richter gebracht werden müsse; 3) Es ist richtig, daß die Alimentations- und Entschädigungsklage aus Partinität persönlicher Natur ist. Insoweit also Ansprüche solcher Art selbstständig geltend gemacht werden wollen, müssen sie bei dem Richter des Wohnortes des Beklagten eingeklagt werden.

Anders verhält es sich dagegen, wenn solche Fragen konnex mit der Hauptklage, der Statusfrage, zu behandeln sind. Nach Vorschrift der Freiburger Geseze sind wirklich die Statusfrage und die Frage über die ökonomischen Leistungen des Vaters im Zusammenhang zu behandeln. Es ist also hier eine Konnexität vorhanden, die im Gesez und in der Natur der Sache begründet ist; 4) Es kommt noch in Frage, ob der Ausspruch des freibur gischen Richters, daß das Kind dem Vater auch in dem Bürgerrecht der waadtländischen Gemeinde Blur folge, gültig sei. Regel ist, daß kein Gericht eines Kantons einem außerehelichen Kinde die Angchörigkeit oder das Bürgerrecht eines andern Kantons zusprechen kann, sofern nicht hierüber Bundesvorschriften oder Konkordate bestehen ; 5) Zwischen der freiburgischen Gemeinde Haut-Vuilly und der waadtländischen Gemeinde Mur ist aber wirklich im Jahr 1866 eine
von beiden Kantonsregierungen bestätigte Uebereinkunft abgeschlossen worden, wonach ein uneheliches Kind., welches von einem in beider Gemeinden verbürgerten Vater erzeugt und ihm zugesprochen wird»

1013 auch in beiden Gemeinden das Bürgerrecht erwirbt. Es rechtfertigt sich also das angegriffene Urtheil auch in diesem Punkte; 6) Wenn Rekurrent sich über ein ungehöriges Prozeßverfahren glaubt beschweren zu können, so hat er eine diesfallsige Beschwerde nicht bei dem Bundesrathe, sondern bei der betreffenden obern gerichtlichen Instanz des Kantons Freiburg anzubringen; beschlossen: 1. Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2.' Sei dieser Beschluß der Regierung des Kantons Freiburg zuhanden des Präsidenten beim Zivilgerichte des Seebczirkes und der Rekursbeklagten Henriette Cornuz, sowie dem Herrn Advokaten Ls. Fauquez in Yverdon als Anwalt und zuhanden des Rekurrenten Louis Cornuz in Mur unter Rüksendung der Akten mitzutheilen.

Bern, den 24. Januar 1872.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Bundesrathsbeschluss in

Sachen des Rekurses des Gemeinderaths von Murten, betreffend Verfassungsverlezung.

(Vom 8. August 1873.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat h hat

in Sachen des G e m e i n d e r a t h e s der Stadtgemeinde M u r t e n , betreffend Verfassungsverlezung ; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben : I. Im Januar 1873 wurde nach Gesez vom 30. November 1872 in der Gemeinde Murten ein Generalrath gewählt, der sich am 6. März zum ersten Male versammelte, und in dieser Sizung zur Berathung des Budget pro 1873 über die Fonds für die Ortsverwaltung (Stadtsekel) und über den Schulfond vorgehen wollte.

Allein der Gemeinderath von Murten weigerte sich, ihm dieses Budget vorzulegen, gestüzt auf einen Beschluß der Gemeindeversammlung vom 16. Februar 1873, womit diese die Kompetenz zur Feststellung des Budget in seinem ganzen Umfange beansprucht hatte. In Folge dessen rekurrirte der Generalrath an die Regierung von Freiburg, welche, gestüzt auf die Art.39 und, 61 Litt, a des Gemeinde- und Pfarreigesezes vom 7. Mai 1864, unterm 22. April 1873 den Gemeinderath aufforderte, das Budget dem Generalrathe

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Bundesrathsbeschluss in der Rekurssache des Louis Cornuz in Mur (Waadt), betreffend Gerichtstand für Paternitätsklagen. (Vom 24. Juli 1873.)

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1873

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47

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25.10.1873

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